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Die Tages- und Jahreszeitenzyklen von Caspar David Friedrich

von Momoko Ochiai (Autor:in)
©2016 Dissertation 271 Seiten

Zusammenfassung

Caspar David Friedrich (1774–1840), einer der bedeutendsten Landschaftsmaler der deutschen Romantik, beschäftigte sich lebenslang mit Tages- und Jahreszeitenzyklen. Momoko Ochiai untersucht den im Jahre 2004 wiederentdeckten Sepiazyklus sowie weitere vier Zyklen, um die Sonderstellung Friedrichs im Zusammenhang von Tageszeiten, Jahreszeiten und Lebensaltern zu erläutern. Durch ihre umfangreichen Recherchen zeitgenössischer bildlicher wie literarischer Quellen stellt die Autorin Friedrichs Zyklen in den historischen Kontext. Ihr zufolge hat die Zyklusthematik nicht nur in Friedrichs Werken, sondern generell in der zeitgenössischen Kunstproduktion eine bedeutende Rolle eingenommen. In einem Exkurs skizziert die gebürtige Japanerin die Friedrich-Rezeption in ihrem Heimatland.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Forschungsstand und Fragestellung
  • 1.2 Kurzer Überblick über das Motiv des Tages- und Jahreszeitenzyklus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland
  • 1.2.1 Tages- und Jahreszeiten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
  • 1.2.2 Die Bedeutung von Tages- und Jahreszeitenzyklus
  • 1.2.3 Der Tages- und Jahreszeitenzyklus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
  • 1.3 Tages- und Jahreszeiten in den Werken Caspar David Friedrichs
  • 1.3.1 Einzelbilder
  • 1.3.2 Bilderpaare/Pendants
  • 1.3.3 Zyklen
  • Exkurs 1. Die Rezeptions- und Forschungsgeschichte von Caspar David Friedrich in Japan
  • 1. Bis 1945
  • 2. Die Ausstellung „Caspar David Friedrich und sein Kreis“ in Japan 1978
  • 3. Heute
  • 4. Zusammenfassung
  • 2. Der »Tageszeiten-, Jahreszeiten- und Lebensalterzyklus« (BS103–106)
  • 2.1 Die Provenienz des Zyklus
  • 2.2 Die „Sepiamanier“ und Jakob Crescentius Seydelmann
  • 2.3 Die Datierungsfrage
  • 2.4 Zeitgenössische Kritik und andere Varianten
  • 2.4.1 Erste Kritik
  • 2.4.2 Eine zweite Variante
  • 2.4.3 »Der Sommer« und »Der Winter«
  • 2.5 »Die vier Jahreszeiten« von Samuel Gränicher und die Zimmerdekoration von Johann Gottfried Klinsky
  • 2.5.1 »Die vier Jahreszeiten« von Samuel Gränicher
  • 2.5.2 Die Zimmerdekoration von Johann Gottfried Klinsky
  • 2.6 Gestalterische und inhaltliche Analyse
  • 2.7 Zusammenfassung
  • 3. Die »Vier Tageszeiten« (BS234–237)
  • 3.1 Die Provenienz des Zyklus
  • 3.2 Tageszeitenzyklus in Seestücken vom 16. bis 18. Jahrhundert
  • 3.3 Das Schiffsmotiv in Friedrichs Werken
  • 3.4 Zeitgenössische Beispiele einer Bilderfolge in Seestücken
  • 3.4.1 Christian August Semlers „Ideen zu allegorischen Zimmerverzierungen“
  • 3.4.2 Lebensalterkahn und Ditlev Conrad Bluncks »Vier Lebensalter«
  • 3.5 Zusammenfassung
  • 4. Die »Vier Tageszeiten« (BS274–275, 296–297)
  • 4.1 Die Provenienz des Tageszeitenzyklus
  • 4.2 Bisheriger Forschungsstand
  • 4.3 Tageszeitenzyklen zeitgenössischer Künstler
  • 4.3.1 Claude Lorrain und die »Vier Tageszeiten«
  • 4.3.2 Der Tageszeitenzyklus von Johann Christian Klengel
  • 4.3.3 Tageszeiten bei Karl Friedrich Schinkel
  • 4.3.4 Der Tageszeitenzyklus von Anton Graff
  • 4.4 Zusammenfassung
  • 5. Der »Tageszeiten-, Jahreszeiten- und Lebensalterzyklus« (BS338–340, 431–434)
  • 5.1 Bildbeschreibung, zeitgenössische Kritik und andere Varianten
  • 5.2 Die Zyklen in sechs, sieben oder acht Zeichnungen: Berthold, Olivier und Dähling
  • 5.2.1 Kupferstiche für den „Sonntag“ von Ferdinand Berthold
  • 5.2.2 »Sieben Gegenden aus Salzburg und Berchtesgaden« von Ferdinand Olivier
  • 5.2.3 »Lebensmomente« von Heinrich Anton Dähling
  • 5.3 Die Analogie von Tageszeiten, Jahreszeiten und Lebensaltern
  • 5.3.1 Der Tageszeiten-, Jahreszeiten- und Lebensalterzyklus von Friedrich August Moritz Retzsch
  • 5.3.2 „Göttersaal“ der Glyptothek in München von Peter von Cornelius
  • 5.3.3 »Entwicklung des Lebens auf der Erde vom Morgen zum Abend«: Entwurf für die Vorhalle des Museums von Karl Friedrich Schinkel
  • 5.4 Zusammenfassung
  • 6. Die »Allegorie der Musik« (BS435–438)
  • 6.1 Die Entstehungsgeschichte des Transparentzyklus
  • 6.2 Friedrich und die Transparentmalerei
  • 6.3 Musikalische Allegorien
  • 6.4 Inhaltliche Analyse
  • 6.5 Zusammenfassung
  • Exkurs 2. »Die Lebensstufen« (BS411)
  • 1. Analyse der Komposition der »Lebensstufen«
  • 2. Die Bedeutung der fünf Personen
  • 3. Die Anordnung der fünf Personen und Schiffe
  • 4. Zusammenfassung
  • Schlussbemerkung
  • Personenverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Kapitel 1
  • Kapitel 2
  • Kapitel 3
  • Kapitel 4
  • Kapitel 5
  • Kapitel 6

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1.  Einleitung

1.1  Forschungsstand und Fragestellung

In der vorliegenden Arbeit geht es um die Tages-, Jahreszeiten- und Lebensalterzyklen des Malers Caspar David Friedrich (1774–1840).

Im Jahre 2006 wurden im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin die drei Sepia-Blätter »Frühling«, »Herbst« und »Winter« aus dem Tages- und Jahreszeitenzyklus um 1803–1807 ausgestellt, die 2004 in Privatbesitz wiederentdeckt worden waren.1 Daraus hat sich die Möglichkeit ergeben, Friedrichs gesamte Tages- und Jahreszeitenzyklen eingehender zu untersuchen. Ich habe mich schon früher für diese Thematik in Friedrichs Werken interessiert: In meiner Magisterarbeit, die 2004 an der Waseda Universität in Tokio angenommen wurde, ging es um das im Museum der bildenden Künste Leipzig befindliche Bild »Lebensstufen« (um 1834/1835, BS410). Anschließend habe ich mich außerdem mit dem Tages-, Jahreszeiten- und Lebensalterzyklus in der Hamburger Kunsthalle (1826, BS338–340, 431–434) beschäftigt. Durch diese Arbeiten bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass Friedrichs gesamte Zyklen genauer untersucht werden sollten. Außerdem habe ich während der Recherchen herausgefunden, dass nicht nur Friedrich, sondern auch viele andere zeitgenössische Maler Zyklen oder Bilderfolgen zu diesem Thema schufen, was in der bisherigen Friedrich-Forschung kaum beachtet wurde.

Im Zuge dieser Forschung, die Ende des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm, hat Karl Wilhelm Jähnig schon im Jahre 1927 auf die Bedeutung des Themas der Tageszeiten, Jahreszeiten und Lebensalter in Friedrichs Werk aufmerksam gemacht: „Das Thema, die Verbindung von Jahres- und Tageszeiten mit den Stationen des Lebens, das Gemeinsame des Schicksalhaften im Natur- und Menschenleben, beschäftigte ihn schon längere Zeit und hat ihn noch lange beschäftigt.“2

Danach hat Charlotte de Prybram-Gladona in einem Kapitel ihrer 1942 an der Universität Paris veröffentlichten Dissertation „Caspar David Friedrich“ Friedrichs Zyklen der Tages- und Jahreszeiten sowie das Leipziger Bild »Lebensstufen« erstmals eingehend behandelt.3 Im Jahre 1961 hat Erika Platte unter dem Titel „Caspar David Friedrich: Die Jahreszeiten“ die erste Monographie über den sogenannten Hamburger Zyklus von 1826 publiziert, ← 9 | 10 → in der die Autorin den Zyklus vor allem im Zusammenhang mit der romantischen Naturphilosophie untersucht hat.4

In den 70er-Jahren erschien umfassende Literatur zu diesem Maler. Besonders zu nennen ist hier das Werk- und Literaturverzeichnis von Helmut Börsch-Supan und Karl Wilhelm Jähnig. Im Hinblick auf das Thema Tages- und Jahreszeiten interpretieren Peter Märker und Peter Rautmann Friedrichs Pendants und Zyklen unter geschichtlichen und politischen Aspekten. Märker hat in seiner Dissertation „Geschichte als Natur: Untersuchungen zur Entwicklungsvorstellung bei Caspar David Friedrich“ Friedrichs Bilder einschließlich Pendants und Zyklen in Zusammenhang mit der damaligen Geschichtsvorstellung betrachtet.5 Rautmann hat sich in seiner Dissertation „Caspar David Friedrich: Landschaft als Sinnbild entfalteter bürgerlicher Wirklichkeitsaneignung“ mit Friedrichs Pendants sowie Einzelwerken aus allen seinen Perioden unter dem historischen Aspekt beschäftigt.6 Ferner hat er in einem 1976 veröffentlichten Aufsatz den Hamburger Zyklus in Zusammenhang mit der kleinbürgerlichen Lebenssituation untersucht.7

Im Jahre 1996 hat die Ausstellung „The Passage of Time: Philipp Otto Runge, Caspar David Friedrich“ in Amsterdam stattgefunden, in der Friedrichs siebenteiliger Hamburger Zyklus und Runges Zyklus »Vier Zeiten« nebeneinander gezeigt wurden.8 Werner Busch hat in dem Katalog zu dieser Amsterdamer Ausstellung den Hamburger Zyklus unter dem Aspekt der Ikonographie der Tages- und Jahreszeiten ausführlich untersucht.9 Ferner erschien 1999 Wieland Schmieds Buch „Caspar David Friedrich: Zyklus, Zeit und Ewigkeit“, in dem er auf vier Zeitsysteme bei Friedrich hinweist, nämlich auf den zyklischen Zeitverlauf der Natur, die Vergänglichkeit, die historische Dimension und den Begriff der ‚Transzendenz’.10 Außerdem werden Friedrichs Bildpendants in der Forschung wieder stärker beachtet: Reinhard Zimmermann hat »Der Mönch am Meer« und »Abtei im Eichwald« sowie andere Bilderpaare hinsichtlich Friedrichs Gedanken zu Leben und Tod untersucht.11 Sowohl Werner Busch als auch Hilmar Frank haben je ein Kapitel ihrer Friedrich-Monographie diesem Thema gewidmet.12 ← 10 | 11 →

Wie oben skizziert, bezieht sich die bisherige Forschung meist ausschließlich auf den 1826 veröffentlichen Hamburger Zyklus und Pendants mit dem Thema Tages- und Jahreszeiten. Jedoch wurden 2004, wie anfangs bereits gesagt, drei Sepia-Blätter aus einem seit dem Zweiten Weltkrieg verschollenen Tages- und Jahreszeitenzyklus in Privatbesitz wiederentdeckt. Dieses frühere Werk stellt die künstlerische und gedankliche Grundlage dar und kann somit als der wichtigste Zyklus Friedrichs gelten. Daraufhin sollten seine gesamten Zyklen einschließlich des wiederentdeckten noch einmal untersucht werden. Außerdem sollten verschollene oder nur in schriftlichen Beschreibungen überlieferte Zyklen mehr beachtet werden. Ferner schufen nicht nur Friedrich und Runge, sondern auch viele andere zeitgenössische Maler Bilderfolgen mit dem Thema Tages- und Jahreszeiten, was in der bisherigen Forschung noch kaum beachtet wird.

In der vorliegenden Arbeit möchte ich daher nach einem kurzen allgemeinen Überblick über den Tages- und Jahreszeitenzyklus bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf fünf heute noch, zumindest teilweise, vorhandene Zyklen Friedrichs eingehen. Mein Hauptinteresse liegt dabei aber nicht darin, diese Bilder aus heutiger Sicht neu zu interpretieren, sondern darin, zeitgenössische Quellen über die Bilder und deren Herkunft zu sammeln, damit Friedrichs Werke in den Kontext seiner Zeit gestellt und in diesem betrachtet werden können. Außerdem möchte ich die in der Friedrich-Forschung kaum beachteten Zyklen und Bilderfolgen anderer zeitgenössischer Maler zum Vergleich heranziehen, um abschließend die besondere Eigenart von Friedrichs Zyklen und seine in zyklischer Form dargestellte Weltanschauung zu erläutern.

Die vorliegende Arbeit ist die leicht gekürzte Fassung meiner Dissertation, mit der ich im Januar 2014 am Fachbereich Kulturwissenschaften der Universität Bremen promoviert wurde. Mein herzlicher Dank gilt Prof. Dr. Peter Rautmann (Hannover/Bremen) und Prof. Dr. Michael Müller (Bremen), die mir den Weg zur Promotion in Deutschland eröffneten. Nicht weniger gilt mein Dank Prof. Yasunori Tan’O (Tokio), der mich während des Master- und Promotionsstudiums an der Universität Waseda betreut hat. Für die großzügige finanzielle Unterstützung während meines dreijährigen Aufenthalts in Deutschland möchte ich mich beim Deutschen Akademischen Austauschdienst bedanken. Nicht zuletzt spreche ich Judith Schmidt meinen herzlichen Dank aus, die keine Mühe scheute, die vorliegende Arbeit sprachlich auszuarbeiten. ← 11 | 12 →

1.2  Kurzer Überblick über das Motiv des Tages- und Jahreszeitenzyklus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland

1.2.1  Tages- und Jahreszeiten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

Schon in der griechischen und römischen Kunst wurden die vier Tages- und Jahreszeiten in symbolischer Form oder durch Götter und Göttinnen repräsentiert.13 Die landschaftliche Bilddarstellung der Tages- und Jahreszeiten entwickelte sich dagegen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vor allem aus der Tradition der Monatsbilder und zeigte meist landwirtschaftliche Tätigkeiten, allegorische Figuren oder Attribute der vier Tages- und Jahreszeiten, wie sie zum Beispiel Cesare Ripa 1593 in seinem Emblembuch „Iconologia“ zugeordnet hat. In dieser Zeit beschäftigten sich viele niederländische Maler und Kupferstecher mit dieser Thematik, darunter Pieter Bruegel d. Ä. (1525/30–1569). Nicolas Poussin (1594–1665) hat 1660–1664 in den »Vier Jahreszeiten« die vier Geschichten aus dem Alten Testament (»Das irdische Paradies«, »Ruth und Boas«, »Die Heimkehr der Kundschafter aus dem Gelobten Land«, »Die Sintflut«) in Landschaften im Wandel der vier Jahreszeiten dargestellt.14

Im 18. Jahrhundert schufen Maler wie Antoine Watteau (1684–1721) und Nicolas Lancret (1690–1743) mehrere Jahreszeitenzyklen aus je vier Landschaften; Motive innerhalb der Bildgattung der sogenannten „Fêtes galantes“. Claude Joseph Vernet (1714–1789) hingegen schuf Tageszeitenzyklen in Form von Seestücken.

Bis Ende des 18. Jahrhunderts spielte die Ikonographie der Tages- und Jahreszeiten weiterhin eine große Rolle. Jakob Philipp Hackerts (1737–1807) »Vier Jahreszeiten« zum Beispiel zeigen italienische Landschaften als Prospekt für saisonale Tätigkeiten, nämlich Tierweidung, Kornernte, Weinlese und Jagd.15 Das Thema war auch in der Decken- und Wandmalerei weit verbreitet, wobei meist allegorische Figuren der Jahreszeiten dargestellt wurden, so ← 12 | 13 → etwa im Deckenbild mit Jahreszeiten des Malers Christian Bernhard Rode (1725–1797) im königlichen Schloss zu Berlin.16

1.2.2  Die Bedeutung von Tages- und Jahreszeitenzyklus

Um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert entstand eine neue Vorstellung von Tages- und Jahreszeiten. Der Kunsthistoriker Hans H. Hofstätter schreibt hinsichtlich des Tages- und Jahreszeitenzyklus im 19. Jahrhundert in seinem Buch „Symbolismus und die Kunst der Jahrhundertwende“ (1965):

Tages- und Jahreszeiten-Allegorien gehörten zur architekturgebundenen Kunst der Feudalzeit seit dem Spätmittelalter. Aber die Wiedergabe beschränkte sich zumeist auf konventionelle Personifikationen oder auf Realien: auf die Landschaft im Morgen-, Mittags-, Abend- und Mondlicht oder im Wechsel der Jahreszeiten, wobei die menschlichen Staffagefiguren den der Saison gemäßen Verrichtungen nachgingen.
Mit der Revolution zerbrechen auch diese konventionellen Vorstellungen, und die Romantik trachtet wieder nach einer neuen Weltlehre, die sie zu gestalten sucht. Asmus Jakob Carstens ringt um Neugestaltung der Vier Elemente, der Vier Tageszeiten, der Lebensalter.17

Asmus Jakob Carstens (1754–1798) hat in der Skizze »Die vier Jahreszeiten« die Jahreszeiten durch vier Tierkreiszeichen (Zwillinge, Jungfrau mit Waage, Schützen und Wassermann) symbolisiert.18 Ferner schuf er die Zeichnungen »Der Morgen« (1788) und »Die Nacht mit ihren Kindern« (1795), in denen er die Tageszeiten mit allegorischen Gestalten darstellte.19 Abschließend führt Hofstätter Werke von Philipp Otto Runge (1777–1810) an: ← 13 | 14 →

Runges Zyklus der »Vier Tageszeiten« ist die typische Kosmogonie in der Kunst des 19. Jahrhunderts – Weltlehre aus dem Geist der Romantik, Aufstieg aus der rational erklärbaren Allegorie ins mehrschichtige, sich nur noch dem Schauen offenbarende Symbol der Weltschöpfung und Menschwerdung20.

Runge beschäftigte sich zuerst 1802–1803 mit vier Kompositionsentwürfen und Konstruktionszeichnungen, dann entstand die Radierfolge »Die Zeiten« in zwei Auflagen (1805 und 1807). Er schuf zudem die drei Gemälde »Der Tag (Mutter Erde mit ihren Kindern)« (1803), »Der kleine Morgen« (1808) und »Der große Morgen« (ab 1808, unvollendet) in Öl.21 Die Kunsthistorikerin Suse Barth erklärt, dass die Darstellung der Tages- und Jahreszeiten, symbolisiert in den Lebensaltern, erst am Anfang des 19. Jahreshunderts entstand:

Erst am Anfang des 19. J[h]. wurden Jahreszeiten-Landschaften mit Lebensalter-Figuren voll ausgebildet. Die Jahreszeiten-Landschaften veranschaulichen mit ihren vier Stadien Frühling, Sommer, Herbst und Winter naturhaftes Wachsen und Vergehen, der Mensch ist mit seinen vier Lebensphasen völlig eingebettet in den Kreislauf der Natur. Voraussetzung für die nun entstehenden Zyklen z. B. C. D. Friedrichs ist ein neues Naturgefühl: Der Mensch erlebte erst jetzt seine tiefe Eingebundenheit in die Natur.22

Bildtheoretisch betrachtet ist der Zyklus eine geeignete Form, um den Verlauf der Zeit und der Geschichte darzustellen. Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) schreibt dazu in seinem Buch „Laokoon“ (1766), in dem er Malerei und Poesie vergleicht:

Wenn nun aber die Malerei, vermöge ihrer Zeichen oder der Mittel ihrer Nachahmung, die sie nur im Raume verbinden kann, der Zeit gänzlich entsagen muss: so können fortschreitende Handlungen, als fortschreitend, unter ihre Gegenstände nicht gehören, sondern sie muß sich mit Handlungen nebeneinander, oder mit bloßen Körpern, die durch ihre Stellungen eine Handlung vermuten lassen, begnügen.23

Der Malerei kann Lessing zufolge somit keine Darstellung des Vergehens der Zeit gelingen. Mit der zyklischen Form können Künstler diese Grenze der Malerei und der bildenden Künste jedoch überschreiten, um so auch in der Malerei fortschreitende Handlungen und den Verlauf der Zeit darstellen zu können. ← 14 | 15 →

Grundlage ist, wie Hofstätter und Barth angedeutet haben, die Geschichts- und Naturauffassung vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit wurde einerseits die Menschheitsgeschichte oft mit dem Verlauf des Lebens eines einzelnen Menschen, nämlich Kindheit, Jugend, mittleres Lebensalter und Greisenalter, verglichen – so zum Beispiel in Johann Gottfried von Herders „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ (1784–1791) und in Georg Wilhelm Friedrich Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“ (1837).

Andererseits wurden nicht nur die Geschichte, sondern auch die Natur und andere Lebensformen als eine sich entwickelnde Ganzheit betrachtet. Carl Gustav Carus erläutert das in seinem Buch „Neun Briefe über Landschaftsmalerei“:

Nun ist aber das Leben selbst in seinem Wesen unendlich, und nur seine Formen sind stätiger [sic] Veränderung unterworfen, im steten Hervor- und Zurücktreten begriffen, so daß wir dadurch in jeder individuellen Lebensform auf vier Stadien hingewiesen werden, welche als Entwicklung und vollendete Darstellung, Verwelkung und völlige Zerstörung sich unterscheiden lassen. […] Beispiele hierzu lassen nun im Naturleben, inwiefern es Gegenstand landschaftlicher Darstellung werden kann, in Menge sich nachweisen. Die nächsten bieten die stets wechselnden Jahres- und Tageszeiten dar, wo Morgen, Mittag, Abend und Nacht, Frühling, Sommer, Herbst und Winter jene Stadien ganz bestimmt zeigen (…).24

Auch Rautmann schreibt: „Die Zyklusform ermöglicht die bildliche Umsetzung des Anspruchs des Bürgertums, die Welt in ihrer Gesamtheit (Mensch, Natur, Geschichte) zu begreifen und zu ordnen“25. Daher lässt sich sagen, dass sich die damalige Geschichts- und Naturauffassung in den zyklischen Werken der Tages- und Jahreszeiten jener Zeit widerspiegelt.

Ferner möchte ich darauf hinweisen, dass Tages- und Jahreszeiten auch in der japanischen Kunst ein weit verbreitetes Thema sind. In der japanischen Landschaftsmalerei werden die Jahreszeiten als wiederkehrend oder bewegungslos aufgefasst. Dagegen scheint mir, dass die vier Zeiten in der europäischen Landschaftsmalerei, besonders in Friedrichs Werken, nicht nur mit den Lebensaltern, sondern auch mit dem Zeitbewusstsein und dem Entwicklungsgedanken verbunden sind.

1.2.3 Der Tages- und Jahreszeitenzyklus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Außer den Bildern von Friedrich, Runge oder Carstens entstanden in dieser Zeit zahlreiche weitere Werke zum Thema Tages- und Jahreszeiten. ← 15 | 16 →

Die vier Gemälde von Claude Lorrain (1600–1682), »Landschaft mit Tobias und dem Engel«, »Landschaft mit der Ruhe auf der Flucht nach Ägypten«, »Landschaft mit Jakob, Lea und Rahel am Brunnen« und »Landschaft mit Jakobs Kampf mit dem Engel«, die als Tageszeitenzyklus betrachtet wurden, befanden sich seit 1738 in der Sammlung des Landgrafen von Hessen-Kassel.26 Nach diesem Zyklus schufen mehrere Künstler Radierungen und Zeichnungen, darunter die Kupferstecher Wilhelm Friedrich Schlotterbeck (1777–1819) und Christian Haldenwang (1770–1831) (Abb. 4–9 und 4–10).27

Details

Seiten
271
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653058703
ISBN (ePUB)
9783653963328
ISBN (MOBI)
9783653963311
ISBN (Paperback)
9783631665374
DOI
10.3726/978-3-653-05870-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (November)
Schlagworte
Romantik Landschaftsmalerei Lebensalter
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 271 S., 106 s/w Abb.

Biographische Angaben

Momoko Ochiai (Autor:in)

Momoko Ochiai studierte Kunstgeschichte an der Waseda Universität in Tokio und promovierte an der Universität Bremen. Zurzeit ist sie als Kuratorin am Museum der Kyushu Sangyo Universität in Fukuoka tätig.

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