Lade Inhalt...

Deutsch-türkische Erzähltexte im interkulturellen Literaturunterricht

Zur Funktion und Vermittlung literaturästhetischer Mittel

von Inga Pohlmeier (Autor:in)
©2015 Dissertation 201 Seiten

Zusammenfassung

Literarisch-interkulturelles Lernen ist das Kernanliegen der interkulturellen Literaturdidaktik. Dieses Buch stellt das Ästhetisch-Literarische in den Mittelpunkt. Am Beispiel deutsch-türkischer Erzähltexte – insbesondere am Jugendroman Der Mond isst die Sterne auf von Dilek Zaptçıoğlu – wird die Funktion literaturästhetischer Mittel untersucht: Welches interkulturelle Potential haben sie? Einen Schwerpunkt bildet die Evaluation von Unterrichtsmethoden, die zur Vermittlung sowohl interkultureller als auch literarischer Ziele geeignet sind.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Forschungsbereich, zentrale Bezugspunkte und Gegenstand der Arbeit
  • 1.2 Studien zur deutsch-türkischen Erzählliteratur und Standardwerke der interkulturellen Literaturwissenschaft und -didaktik
  • 1.3 Ziel und Aufbau der Arbeit
  • 2 Interkulturelles Lernen – warum? Interkul­turelle Lebenswirklichkeit als Begründung
  • 2.1 Türkische Einwanderung nach Deutschland und die Situation von Türkinnen und Türken in Deutschland
  • 2.2 Bildungspolitische Entwicklung und Konsequenzen des Umgangs mit Interkulturalität
  • 3 Stellenwert und Funktion ästhetisch-fiktionaler Literatur: Deutsch-türkische Erzähltexte als Beispiel
  • 3.1 Zum interkulturellen Wirkungspotential ästhetisch-fiktionaler Literatur
  • 3.1.1 Zur Kritik an der Abbildfunktion ästhetisch-fiktionaler Literatur und ihrer Relevanz im interkulturellen Kontext
  • 3.1.2 Die interkulturelle Relevanz traditioneller rezeptionsästhetischer Prämissen
  • 3.2 Themen, Wirkungspotential und literaturästhetische Tendenzen deutsch-türkischer Erzähltexte
  • 4 Theorie literarisch-interkulturellen Lernens: Forschungslage und Diskussionsstand
  • 4.1 Ziele interkultureller Literaturdidaktik
  • 4.2 Reflexion der spezifischen inhaltlich-pädagogischen und fachlich-literarischen Relevanz deutsch-türkischer Erzähltexte
  • 4.3 Zur Diskussion ausgewählter didaktischer Phasenmodelle
  • 4.4 Methoden als Gegenstand der interkulturellen Literaturdidaktik
  • 4.4.1 Analyse methodischer Ansätze im Kontext literarisch-interkulturellen Lernens
  • 4.4.2 Stellenwert und Funktion textanalytisch-orientierter Verfahren für literarisch-interkulturelles Lernen
  • 4.4.3 Die Bedeutung von handlungsorientierten Verfahren für literarisch-interkulturelles Lernen
  • 4.4.4 Zur spezifischen Leistung rezeptionsästhetisch begründeter produktionsorientierter Verfahren für literarisch-interkulturelles Lernen
  • 4.4.5 Zusammenfassende Überlegungen
  • 5 Zur interkulturellen Funktion ausgewählter literaturästhetischer Mittel des Jugendromans Der Mond isst die Sterne auf
  • 5.1 Interkulturell relevante autobiographische Einflussfaktoren
  • 5.2 Die Art und Weise interkulturellen Erzählens
  • 5.3 Zur interkulturellen Funktion ausgewählter Figuren
  • 5.3.1 Seyfullah Gülen: Das Leben eines türkischen Gastarbeiters zwischen zwei Welten
  • 5.3.2 Ömer Gülen: Die hybride Identität eines deutsch-türkischen Bildungsbürgers
  • 5.3.3 Adnan Gülen: Spiel mit vorgegebenen Identitätsmustern
  • 5.3.4 Meryem, Margret und Laila Gülen: Passives versus aktives Frauenbild
  • 5.4 Zeit- und Raumgestaltung
  • 5.5 Zum interkulturellen Wirkungspotential des Jugendromans im Hinblick auf potentielle Leserinnen und Leser
  • 6 Literarisch-interkulturelle Bildung durch Der Mond isst die Sterne auf: Didaktische und methodische Konsequenzen
  • 6.1 Literaturdidaktische Begründungszusammenhänge
  • 6.1.1 Exemplarische Bedeutung und potentielle Erfahrungsbezüge des Jugendromans
  • 6.1.2 Zur inhaltlich-pädagogischen und fachlich-literarischen Relevanz des Werkbeispiels
  • 6.2 Produktionsästhetische Verfahren zur Vermittlung der interkulturellen Funktion literaturästhetischer Mittel
  • 6.2.1 Aufgabenbeispiele zur produktionsästhetischen Konkretisation
  • 6.2.2 Aufgabenbeispiele zur produktionsästhetischen Veränderung
  • 7 Exemplarisch ausgerichtete qualitative Studie: Zur Effektivität produktions­ästhetischer Verfahren im Hinblick auf literarisch-interkulturelles Lernen
  • 7.1 Ziel und Rahmenbedingungen der Studie
  • 7.2 Auswertung und Darstellung zentraler Ergebnisse
  • 7.2.1 Auswertung der Schreibprodukte und der Verfahren zur produktionsästhetischen Konkretisation
  • 7.2.2 Auswertung der Schreibprodukte und der Verfahren zur produktionsästhetischen Veränderung
  • 7.3 Fazit aus der Studie
  • 8 Resümee und Ausblick
  • 9 Literaturverzeichnis
  • 10 Abbildungsverzeichnis

| 11 →

1 Einleitung

1.1 Forschungsbereich, zentrale Bezugspunkte und Gegenstand der Arbeit

Die vorliegende Arbeit ist innerhalb der interkulturellen Literaturwissenschaft und -didaktik einzuordnen, wobei der Schwerpunkt im Bereich der interkulturellen Literaturdidaktik liegt. Beide Forschungsbereiche reagieren auf gesellschaftliche und politische Veränderungen im Zuge von Globalisierungs- und Migrationsprozessen. Die interkulturelle Literaturwissenschaft interessiert sich „im besonderen Maße für die interkulturellen Prozesse, die bei der Konfrontation deutschsprachiger Leserinnen und Leser mit ‚fremder‘ Literatur zu beobachten sind. […] [Ihr] kommt […] aber auch die Aufgabe zu […] die Auseinandersetzung mit den Kulturen zu fördern […].“1 Auch die interkulturelle Literaturdidaktik – verstanden als „eine spezifische Form von globalem und interkulturellem Lernen“ – möchte „eine offene Einstellung gegenüber dem Zusammenleben der Vielen und der Unterschiedlichen [fördern], wozu auch eine positiv verstandene Konfliktbereitschaft gehört“.2

In beiden Forschungsbereichen nimmt der Begriff „Fremde“ einen zentralen Bezugspunkt ein. Es handelt sich um einen „relationalen Begriff“, der in der deutschen Sprache ausgesprochen vieldeutig ist:3 (1) „Fremd ist, was außerhalb des eigenen Bereichs vorkommt“, womit ein topographischer Aspekt angesprochen ist (z.B. Auszug aus der vertrauten Umgebung, Reise, Eroberung, Kolonialisierung). (2) „Fremd ist, was einem anderen gehört, wobei in diesem Verständnis auch der Aspekt der Nationalität eine wichtige Rolle spielen kann.“ (3) „Fremd ist, was von ← 11 | 12 → fremder Art ist und als fremdartig gilt. Hier erscheint das Fremde als das Unvertraute, als das, was in seiner Erscheinung und möglicherweise auch in seinem ‚Wesen‘ als grundsätzlich verschieden von dem Subjekt betrachtet wird, von dem die Bestimmung ausgeht.“4 Die interkulturelle Literaturwissenschaft und -didaktik begreifen „das Aushalten der Differenz und die Hinnahme des Fremden als Fremden als ein wichtiges Moment […]“.5 Es geht weniger um das Verstehen des Fremden als um die Koexistenz des fremd Bleibenden. Positionen der Eigenheit und der Fremdheit, die im wechselseitigen Kontakt gegenseitig hervorgerufen werden, müssen permanent ausgehandelt werden.

Weitere Bezugspunkte der interkulturellen literaturwissenschaftlichen und -didaktischen Forschung bilden die Begriffe „Identität“ und „Kultur“. Beide Forschungsbereiche sehen Identitäten und Kulturen als etwas Dynamisches, Prozesshaftes an. Der indische Literaturwissenschaftler Homi K. Bhabha ist maßgeblich daran beteiligt, dass Konzepte von Identität, Kultur und Nation eine Neudefinition erfuhren.6 Er hat (u.a.) die Leitbegriffe „Dritter Raum“ und ← 12 | 13 → „Hybridität“ geprägt, die weiterführend kursorisch erläutert werden sollen. Als „Dritten Raum“ bezeichnet Bhabha den Ort einer neuen Kultur, der durch das Zusammentreffen verschiedener Kulturen entsteht. Innerhalb dieses „Dritten Raumes“ können laut Bhabha „Strategien – individueller oder gemeinschaftlicher – Selbstheit ausgearbeitet“7 werden, wobei „durch das Überlappen und De-plazieren (displacement) von Differenzbereichen […] intersubjektive und kollektive Erfahrungen von nationalem Sein (nationness), gemeinschaftlichem Interesse und kulturellem Wert verhandelt [werden]“. Sehr anschaulich wird diese Idee durch das von Bhabha verwendete Bild eines Treppenhauses:

Das Treppenhaus als Schwellenraum zwischen den Identitätsbestimmungen wird zum Prozeß symbolischer Interaktion, zum Verbindungsgefüge, das den Unterschied zwischen Oben und Unten, Schwarz und Weiß konstruiert. Das Hin und Her des Treppenhauses, die Bewegungen und der Übergang in der Zeit, die es gestattet, verhindern, daß sich Identitäten an seinem oberen oder unteren Ende zu ursprünglichen Polaritäten festsetzen. Dieser zwischenräumliche Übergang zwischen festen Identifikationen eröffnet die Möglichkeit einer kulturellen Hybridität, in der es einen Platz für Differenz ohne eine übernommene oder verordnete Hierarchie gibt[.]8

Kulturen und Identitäten sind hybride Phänomene, die mit der positiven Anerkennung von Heterogenität, Mehrdeutigkeit, Instabilität, Ambivalenz, Differenz und Transformation in Verbindung gebracht werden:

Hybrid ist alles, was sich einer Vermischung von Traditionslinien oder von Signifikantenketten verdankt, was unterschiedliche Diskurse oder Technologien verknüpft, was durch Techniken der collage, des samplings, des Bastelns zustandegekommen ist.9

Vor dem Hintergrund dieses Kultur- und Identitätsverständnisses kann der Begriff „Interkulturalität“ als „eine dynamische Zwischen- oder Überschneidungssituation zwischen zwei oder mehreren, sich voneinander unterscheidenden, ← 13 | 14 → einander ‚fremden‘ Kulturen“10 verstanden werden. Der Begriff impliziert das Vorhandensein von verschiedenen Kulturen und die Beziehungen zwischen denselben, stellt aber starre Differenzen von Kulturen in Frage.11

Die Literatur und literarisch-interkulturelle Lernprozesse sind zentrale Gegenstände interkultureller literaturwissenschaftlicher bzw. -didaktischer Forschung. Einen spezifischen Gegenstand stellt die deutsch-türkische Literatur dar, die – unter besonderer Berücksichtigung von Dilek Zaptçıoğlus Jugendroman Der Mond isst die Sterne auf (1998)12 – im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht. Der Begriff „deutsch-türkische Literatur“ ist ein Bezeichnungsversuch unter vielen, um der Literatur deutsch-türkischer Autorinnen und Autoren einen Namen zu geben.13 Bis heute werden entsprechende Definitionsversuche kritisiert, da sie die Gefahr der Stereotypisierung bzw. Marginalisierung in sich ← 14 | 15 → bergen. Wenn innerhalb dieser Arbeit der Begriff „deutsch-türkische Literatur“ bzw. „deutsch-türkische Erzähltexte“ verwendet wird, ist dies

rein pragmatisch auf die Herkunft und kulturelle Prägung der erwähnten Autorinnen und Autoren bezogen; diese Prägung wird aber gerade nicht nationalistisch als fraglose Identität verstanden, sondern als ein Bezugsrahmen, der zum Ausgangspunkt von Vorgängen kreativen Überschreitens und Transzendierens wird.14

Die deutsch-türkische Literatur „ist nicht einfach deutsch und nicht einfach türkisch, aber auch nicht der kleinste gemeinsame Nenner zwischen beiden, sondern ist eine deutsche Literatur, bei der fremdkulturelle Perspektiven dazu verwendet werden, Konstruktionen stereotyper Identität zu überwinden“.15 Es handelt sich um deutschsprachige Gegenwartsliteratur, deren Geschichte mit den Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei im Jahre 1961 beginnt. In über fünfzig Jahren Einwanderungsgeschichte sind zahlreiche deutsch-türkische Werke in nahezu allen literarischen Genres entstanden.16 In den Anfangsjahren ← 15 | 16 → wurde vor allem Lyrik produziert.17 Dramen-Texte liegen trotz der aktiven Theaterarbeit deutsch-türkischer Künstlerinnen und Künstler relativ wenige vor, da – zumindest in der Anfangszeit – den Autorinnen und Autoren an einer Veröffentlichung dieser Texte nicht gelegen war. Erst seit den 2000er Jahren wächst die Anzahl aufgeschriebener Dramen-Texte.18 Die größte und erfolgreichste Gattung deutsch-türkischer Literatur ist spätestens seit den 1990er Jahren die Epik. Der Erfolg deutsch-türkischer Epik macht sich unter anderem dadurch bemerkbar, dass deutsch-türkische Erzähltexte ab den 1990er Jahren vermehrt von großen deutschen Verlagen veröffentlicht werden. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass deutsch-türkische Autorinnen und Autoren zunehmend Auszeichnungen für ihre Werke und damit Ansehen in einer breiten Öffentlichkeit erhalten (z.B. Ingeborg Bachmann-Preis 1991 für Emine Sevgi Özdamar; Adelbert von Chamisso-Preis 1999 für Emine Sevgi Özdamar, 2005 für Feridun Zaimoğlu). Außerdem werden deutsch-türkische Erzähltexte zunehmend von der interkulturellen Literaturwissenschaft und -didaktik als deutschsprachige Gegenwartsliteratur wahr- und ernstgenommen. Dies zeigt der folgende Blick in die interkulturelle Forschungslandschaft.

1.2 Studien zur deutsch-türkischen Erzählliteratur und Standardwerke der interkulturellen Literaturwissenschaft und -didaktik

Sowohl die interkulturelle Literaturwissenschaft als auch die interkulturelle Literaturdidaktik widmet sich in einschlägigen Forschungsarbeiten deutsch-türkischen Erzähltexten und ihrer Aneignung und Vermittlung.19 Innerhalb ← 16 | 17 → der interkulturellen Literaturwissenschaft ist Norbert Mecklenburgs Monographie Das Mädchen aus der Fremde (2008) hervorzuheben.20 Die Studie stellt grundlegende Begriffe und Konzepte der interkulturellen Literaturwissenschaft vor und bezieht diese (u.a.) auf deutsch-türkische Erzähltexte. Ein weiteres Standardwerk interkultureller Literaturwissenschaft ist der von Michael Hofmann verfasste Einführungsband Interkulturelle Literaturwissenschaft (2006).21 Hier wird ein systematisches Gesamtkonzept interkultureller Literaturwissenschaft entwickelt und anhand ausgewählter Werkbeispiele erläutert, dass „die deutsch-türkische Literatur der zentrale Bezugsraum des Interkulturellen in Deutschland [ist]“.22 Auch in der Studie Transkulturalität (2007) von Hendrik Blumentrath (u.a.) – bei der es sich um eine Differenzierung interkultureller Literaturwissenschaft unter dem Einfluss postkolonialer und poststrukturalistischer Theorie handelt – sind deutsch-türkische Erzähltexte ein zentraler Gegenstand.23 Exemplarische Untersuchungen ausgewählter deutsch-türkischer (und türkischer) Erzähltexte erfolgen auch in Hofmanns Monographie Deutsch-türkische Literaturwissenschaft (2013).24 Neben der aufgeführten Forschungsliteratur, die einen Schwerpunkt in der Darstellung einer Gesamtkonzeption interkultureller, deutsch-türkischer bzw. transkultureller Literaturwissenschaft hat, existiert eine Vielzahl von Einzelstudien und Facharbeiten zur deutsch-türkischen Erzählprosa.25 Darüber hinaus liegen wegweisende ← 17 | 18 → literaturwissenschaftliche Untersuchungen zu deutsch-türkischen Erzähltexten aus der anglo-amerikanischen und britisch-irischen Germanistik vor. Laut Karin E. Yeşilada ist insbesondere der von Leslie A. Adelson und Tom Cheesman geforderte Paradigmenwechsel hinsichtlich der Rezeption deutsch-türkischer Literatur von Belang: „Es geht um die Wahrnehmung der türkischen Wende in der deutschen Literatur und um die Anerkennung des künstlerischen Beitrags einer in Deutschland sesshaft gewordenen Einwandererkultur.“26 Leslie A. Adelson spricht von einer ‚türkischen Wende‘ in der deutschen Gegenwartsliteratur.27 Sie lehnt die Verortung der deutsch-türkischen Literatur im Dazwischen dezidiert ab und weist auf „die türkische Präsenz in der deutschen Gegenwartsliteratur“28 hin. Auch Tom Cheesman stellt in seiner Untersuchung Novels of Turkish German Settlement (2007) diesen grundlegenden Wandel dar.29 Er spricht sich für die Etablierung des Begriffs „Literatur der Sesshaftigkeit“ („literature of settlement“30) zur Bezeichnung der Literatur von Deutschen nicht-deutscher Herkunft aus und betont damit deren dauerhafte Präsenz in Deutschland. Die türkische Germanistik befasst sich ebenfalls mit deutsch-türkischen Erzähltexten. Mit dem von Nilüfer Kuruyazıcı (u.a.) herausgegebenen Band Schnittpunkte der Kulturen (1996) und dem von ihr und Manfred Durzak herausgegebenen Buch Die andere deutsche Literatur (2004) sind zwei Tagungsbände entstanden, die (u.a.) auf deutsch-türkische Erzähltexte eingehen.31 Auch einige Beiträge der seit 2011 regelmäßig erscheinenden ← 18 | 19 → Jahrbücher Türkisch-deutsche Studien machen deutsch-türkische Erzähltexte zu ihrem Gegenstand.32

Innerhalb der interkulturellen Literaturdidaktik stellt Werner Wintersteiners Monographie Transkulturelle literarische Bildung (2006) eine einschlägige Forschungsarbeit dar.33 Die Studie liefert eine systematisch entwickelte Gesamtdarstellung interkultureller bzw. transkultureller Literaturdidaktik, zieht eine kritische Bilanz der bestehenden Literaturdidaktik und skizziert die Aufgaben und Methoden transkultureller literarischer Bildung. Mit zahlreichen Beispielen und didaktischen Exkursen werden Anregungen für die Unterrichtspraxis gegeben, wenn auch nicht mit konkretem Bezug zur deutsch-türkischen Literatur. Ein weiteres Standardwerk interkultureller Literaturdidaktik ist der von Christian Dawidowski und Dieter Wrobel herausgegebene Band Interkultureller Literaturunterricht (2006).34 Neben Aufsätzen, in denen Konzepte, Modelle und Perspektiven der interkulturellen Literaturdidaktik aufgeführt werden, entwerfen Dieter Wrobel und Petra Josting in ihren Beiträgen didaktische Perspektiven für deutsch-türkische Texte im interkulturellen Literaturunterricht.35 Einschlägige Forschungsarbeiten gehen auch von Heidi Rösch aus. Die Literaturdidaktikerin „hat wesentlich zur Schärfung der verwendeten Begriffe in der Beschreibung der betreffenden Literatur beigetragen“36 und in zahlreichen Studien, Handreichungen und Aufsätzen ← 19 | 20 → Texte der Migration – auch von deutsch-türkischen Autorinnen und Autoren37 – zusammengestellt. Darüber hinaus trägt Rösch mit praktischen Vorschlägen für den Deutschunterricht zur Erweiterung der didaktischen Handlungskompetenz bei. Bemerkenswert ist außerdem der von Petra Büker und Clemens Kammler herausgegebene Band Das Fremde und das Andere (2003), in dem ausgewählte Texte der Kinder- und Jugendliteratur zur Interkulturalitätsthematik vorgestellt werden.38 Auch die deutsch-türkische Kinder- und Jugendliteratur wird hier berücksichtigt.39 Literaturdidaktische Arbeiten zur deutsch-türkischen Literatur finden sich ferner in dem von Michael Hofmann und Christof Hamann herausgegebenen Band Kanon heute (2006).40 Dieter Wrobel stellt hier ausgewählte deutsch-türkische Erzähltexte als sinnvolle Erweiterung des (oft immer noch nationalphilologisch orientierten) Lektüreplans vor, was für die Anerkennung der deutsch-türkischen Literatur als deutschsprachige Gegenwartsliteratur spricht.41 Fachdidaktische Perspektiven zur deutsch-türkischen Literatur werden auch in diversen Beiträgen des von Michael Hofmann und Inga Pohlmeier herausgegebenen Bandes Deutsch-türkische und türkische Literatur (2013) entwickelt.42 Neben den bisher vorgestellten literaturdidaktischen Forschungsarbeiten mit bildungsphilosophischer Ausrichtung ist auf empirische Arbeiten zur Leseforschung zu verweisen, die sich (u.a.) mit dem Stellenwert von deutsch-türkischen Erzähltexten für Jugendliche mit türkischer Einwanderungsgeschichte befassen.43 ← 20 | 21 →

Als allgemeine Tendenz innerhalb der interkulturellen literaturwissenschaftlichen und -didaktischen Forschung lässt sich feststellen, dass die Rolle des Ästhetisch-Literarischen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Wurden deutsch-türkische Erzähltexte von der interkulturellen Literaturwissenschaft zunächst vor allem wegen ihrer vermeintlichen Authentizität als Sozialanalysen wahrgenommen, hat sich der Rezeptionsschwerpunkt weg von einer Fokussierung des Inhalts zu einer stärkeren Fokussierung des Ästhetisch-Literarischen verlagert.44 Auch die interkulturelle literaturdidaktische Forschung nimmt die spezifische Rolle des Ästhetisch-Literarischen wahr.45 Allerdings wird diese Auffassung nicht so eindeutig vertreten, wie innerhalb der interkulturellen Literaturwissenschaft. Immer wieder muss sich die interkulturelle Literaturdidaktik der Kritik einer „Indienstnahme der Literatur für pädagogische Zwecke“46 stellen. Die Kritik richtet sich an Beiträge, die die inhaltlich-stoffliche Ebene von Texten sowie pädagogische Lernziele (z.B. Fremdverstehen bzw. Perspektivenübernahme) fokussieren, literaturästhetische Aspekte hingegen vernachlässigen.47 Von entsprechenden Beiträgen möchte sich die vorliegende Arbeit dezidiert abgrenzen, indem sie die Bedeutung des Ästhetisch-Literarischen in den Mittelpunkt stellt. ← 21 | 22 →

1.3 Ziel und Aufbau der Arbeit

Details

Seiten
201
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653058888
ISBN (ePUB)
9783653963120
ISBN (MOBI)
9783653963113
ISBN (Hardcover)
9783631665497
DOI
10.3726/978-3-653-05888-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juli)
Schlagworte
Unterrichtsmethoden qualitative Studie Rezeptionsästhetik deutsch-türkischer Jugendroman interkulturelle Literaturwissenschaft
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 201 S., 2 s/w Abb.

Biographische Angaben

Inga Pohlmeier (Autor:in)

Inga Pohlmeier absolvierte das Erste und Zweite Staatsexamen für die Lehrämter Sekundarstufe I und II. Sie promovierte an der Universität Paderborn und ist dort als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie am Zentrum für Bildungsforschung und Lehrerbildung (PLAZ) tätig. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Literaturdidaktik.

Zurück

Titel: Deutsch-türkische Erzähltexte im interkulturellen Literaturunterricht
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
204 Seiten