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Friesische Händler und der frühmittelalterliche Handel am Oberrhein

von Jens Boye Volquartz (Autor:in)
©2017 Dissertation X, 157 Seiten
Reihe: Kieler Werkstücke, Band 46

Zusammenfassung

Die Studie befasst sich mit dem oberrheinischen Ausläufer des sonst eher im Nordseeraum wahrgenommenen Friesenhandels. Die friesischen Handelsaktivitäten als Vorgänger des Hansehandels annehmend analysiert der Autor die Handelsorganisation der Friesen fern ihrer Heimatregion und die Interdependenzen zwischen dem von ihnen getragenen Fernhandel und der städtischen Entwicklung der oberrheinischen Bischofsstädte Mainz, Worms, Straßburg und Basel. Die Ergebnisse veranschaulichen nicht bloß Handelsrouten, Logistik, Warensortiment und Vertriebssystem friesischer Händler auf der Rheinroute, sondern auch deren Wirkung am Oberrhein, insbesondere hinsichtlich der Ausprägung eines zur frühmittelalterlichen Zeit einzigartigen Städtetypus, dessen Spuren noch heute im Stadtbild sichtbar sind.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort des Herausgebers
  • Vorwort des Verfassers
  • Inhalt
  • 1. Einleitung
  • 2. Frühmittelalterlicher Handel
  • 2.1 Handel unter den Merowingern, Karolingern und den Herrschern aus sächsischem Hause
  • 2.2 Frühmittelalterliche Handelsstrukturen
  • 2.2.1 Theorie der Netzwerkstruktur nach Selzer und Ewert
  • 2.2.2 Land- und stadtsässige Wanderhändler
  • 2.3 Handel und Stadtgeschichte
  • 2.3.1 Theorie der zwei Säulen der Stadtentwicklung nach Scheuerbrandt
  • 2.3.2 Entwicklung des Ufermarktes zur Kaufmannssiedlung nach Ellmers
  • 2.3.3 Die Kaufmannssiedlung in der frühmittelalterlichen Stadt
  • 2.4 Friesenhandel
  • 2.4.1 Exkurs: Wer waren die „Friesen“ der Quellen?
  • 2.4.1.1 Lebecq: Fränkisch-friesischer Handel
  • 2.4.1.2 Ellmers: Landsmannschaftlicher Handel der Friesen
  • 2.4.2 Friesische Kaufleute als stadtsässige Wanderhändler mit landsmannschaftlicher Netzwerkstruktur am Oberrhein
  • 2.4.2.1 Friesische Händler am Oberrhein – Ausweichbewegung oder Expansion?
  • 2.4.2.2 Verschwinden und Nachfolger der Friesen
  • 3. Handel am Oberrhein des Frühmittelalters
  • 3.1 Handelsrouten des Oberrheins
  • 3.1.1 Zölle und Zollstationen
  • 3.1.2 Nach Norden – Der Rhein
  • 3.1.3 Nach Süden – Die Alpen
  • 3.2 Handelsakteure
  • 3.2.1 Mercatores
  • 3.2.2 Fresones et Judaeos
  • 3.2.2.1 Friesische Händler am Oberrhein
  • 3.2.2.2 Rechtliche Stellung der oberrheinischen Handelsakteure
  • 3.2.2.3 Transportmittel
  • 3.3 Handelswaren
  • 3.3.1 Oberrheinische Handelsgüter
  • 3.3.2 Waren der friesischen Händler
  • 3.3.2.1 Friesentuche
  • 3.3.2.2 Sklaven
  • 3.3.2.3 Reliquien
  • 3.3.2.4 Bernstein und Seide
  • 3.4 Häfen und Märkte des Oberrheins
  • 3.4.1 Marktsiedlungstypen, Handelsformen und Marktsituation der oberrheinischen civitates
  • 3.4.2 Die oberrheinischen Bischofsstädte als Fernhandelsorte mit friesischer Kaufmannssiedlung?
  • 3.4.2.1 Mainz
  • 3.4.2.2 Worms
  • 3.4.2.3 Speyer
  • 3.4.2.4 Straßburg und das Elsass
  • 3.4.2.5 Basel und die Alpenregion
  • 4. Schlussbetrachtung
  • Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

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1.   Einleitung

Im Fokus der vorliegenden Arbeit stehen die Handelsaktivitäten am Ober-rhein und ihr Einfluss auf die Stadtentwicklung in dieser Region im Frühmittelalter sowie die spezifische Rolle der friesischen Händler im damaligen regionalen Handelssystem. Den zeitlichen Rahmen bilden die beiden parallel verlaufenden Entwicklungen im Bereich des Handels und in der Stadtentwicklung. Der frühmittelalterliche Handel in den rheinischen Gebieten war geprägt vom plötzlichen Erscheinen der friesischen Händler am Oberrhein ab der Mitte des 8. Jahrhunderts. Gleichzeitig kam es zur Bildung fester Kaufmannssiedlungen, die sich aus saisonalen Ufermärkten entwickelten. Diese Handelsplätze waren einerseits eng mit dem Fernhandel verflochten, andererseits bildeten sie einen neuen „Siedlungskern“1 vor den Mauern der großen Rheinstädte. Mit der Einbeziehung dieser Kaufmannssiedlungen in die Ummauerung der civitates oder ähnlichen Veränderungen der städtischen Topographie setzten Prozesse ein, die zur Ablösung der Friesen als dominierende Fernhändler in den oberrheinischen Bischofsstädten führten. Sie wurden im 10. Jahrhundert zuerst durch jüdische Händler und „mit dem Beginn der großen ma. Expansion an der Wende vom 10. zum 11. Jh.“2 durch „Hanseaten, Flamen und Engländer“3 abgelöst. Diese Entwicklungen zwischen dem 8. und dem 10. Jahrhundert sind Gegenstand der in der vorliegenden Arbeit durchgeführten Untersuchungen.

Geographisch wird der Untersuchungsraum im Wesentlichen auf den Oberrhein beschränkt. Er wird durch „die oberrheinische Tiefebene zwischen Basel und Mainz“4 abgesteckt, wo sich als wesentliche Handelsknotenpunkte des Frühmittelalters die fünf Bischofssitze Mainz, Worms, Speyer, Straßburg und Basel befinden, die hinsichtlich der Prozesse in den Bereichen Handel und Stadtentwicklung näher untersucht werden. Da sich Handelsströme jedoch nicht an geographische Grenzen halten, ist es notwendig, den Oberrhein ← 1 | 2 → auch innerhalb des größeren, ihn umgebenden Handelsnetzes zu betrachten. Wie aus verschiedenen Zollprivilegien der Zeit hervorgeht, wurde es als von der Rheinmündung bis zu den Alpenpässen reichend verstanden.5 Zur allgemeinen Einordnung werden darüber hinaus Handelsnetze außerhalb dieser Region herangezogen sowie die Handelsverbindungen des benachbarten geographischen Umfeldes.

Das methodische Vorgehen wird hierbei von einer Verbindung aus handels- und stadtgeschichtlichen Untersuchungsansätzen bestimmt. Die entstehende Verflechtung beider Bereiche orientiert sich an dem städtischen Element der Kaufmannssiedlung, die den Verknüpfungspunkt darstellt.

Auf der handelsgeschichtlichen Seite gingen alle Handelsaktivitäten immer von den jeweiligen örtlichen oder städtischen Knotenpunkten aus, die – insbesondere für den Fernhandel – am Oberrhein die Kaufmannssiedlungen der Bischofsstädte waren. Auf der stadtgeschichtlichen Seite waren die Siedlungskerne der Ausgangspunkt für die Impulse und Prägungen des Stadtbildes. Zu einem solchen Siedlungskern der frühmittelalterlichen Stadt wurden innerhalb des Untersuchungszeitraumes im Falle der fünf oberrheinischen Bischofsstädte die Kaufmannssiedlungen. Da wesentliche Entwicklungsprozesse der beiden Bereiche bei der oberrheinischen Kaufmannssiedlung zusammenliefen, werden in der vorliegenden Arbeit die gegenseitigen Einflüsse über dieses Vermittlungselement näher betrachtet.

Gerade im Bereich des Handels waren es die logistischen und organisatorischen Bedürfnisse und Strukturen, die die verschiedenen Facetten der Kaufmannssiedlung bestimmten. Um diesen gestaltenden Charakter zu erfassen, bedarf es einer näheren Betrachtung eben dieser Besonderheiten einzelner Aspekte des Handels. Der Fernhandel wird in diesem Kontext als besonders impulsgebend angesehen. Um nun die Mikrountersuchungen des Handels mit denen der Stadtentwicklung zusammenzubringen, muss zunächst ein Theoriekomplex gefunden werden, der die hierzu notwendige hohe Analysereichweite besitzt, aber auch in sich geschlossen genug ist, um möglichst viele Beobachtungen verwerten zu können.

Grundlage der in der vorliegenden Arbeit angewandten Theorie sind die Bereiche Handel und städtische Entwicklung. Die Verbindung zwischen ihnen wird durch die Theorie der zwei Säulen der frühmittelalterlichen Stadtentwicklung nach Scheuerbrandt geschaffen. Nach Arnold Scheuerbrandt wuchsen die oberrheinischen Städte aus zwei separaten, aber in sich geschlossenen Siedlungskernen zusammen, von denen einer die Kaufmannssiedlung war. ← 2 | 3 → Hieran schließen sich Mikrountersuchungen an, die zuerst die Entwicklung der saisonalen Ufermärkte hin zu festen Ufersiedlungen der Händler nach Detlev Ellmers betrachten, deren letzte Entwicklungsstufe vor der Einbeziehung in die städtische Ummauerung das Stadium der Kaufmannssiedlung war. Danach wird die Entwicklung der Kaufmannssiedlung als Siedlungskern beleuchtet und der Vorgang der Eingliederung in den städtischen Mauerbezirk nachvollzogen. Dieser Teil stellt die stadtgeschichtliche Theorieseite dar.

Die handelsgeschichtliche Seite setzt bei den Hintergründen an, die zur Bildung fester Ufersiedlungen führten und letztendlich zu den Kaufmannssiedlungen. Da davon ausgegangen wird, dass es der Fernhandel war, der die maßgeblichen Impulse zur Bildung dieser Form der Ansiedlung gab, wird zuerst versucht, eine passende Organisationsform frühmittelalterlicher Fernhändler zu identifizieren. Als hierfür passend wird die Theorie der auf einer Netzwerkstruktur basierenden Fernhandelsorganisation nach Stephan Selzer und Ulf Christian Ewert6 angesehen. Selzer/Ewert sind zu der Ansicht gelangt, dass der Hansehandel in seinen Einzelaspekten zwar intensiv untersucht wird, es aber an einer zusammenhängenden Analyse seiner Handelsorganisation fehlt. Sie sehen diese in einer Netzwerkstruktur einzelner, selbständiger Händler, die auf der Grundlage von nichthierarchischen und auf Vertrauen basierenden Beziehungen untereinander besteht und dabei eigene soziale Kontrollmechanismen ausgebildet hat. Einer dieser Kontrollmechanismen war die kulturelle Grenze als Zugangs- und Begrenzungskriterium für dieses Netzwerk, was dazu führte, dass die Hanse als Verband niederdeutscher Kaufleute wahrgenommen wurde.

Die so zugänglich gemachte Handelsorganisationsform unterscheidet sich wesentlich von denen, die auf Prinzipien von Hierarchie und administrativer Kontrolle beruhen. Da die beiden letztgenannten Organisationprinzipien bei verschiedenen Handelsgruppen des Frühmittelalters fehlten, eröffnete die Netzwerktheorie nach Selzer/Ewert eine neue Möglichkeit, diesen frühmittelalterlichen Handel und die ausführenden Gruppen methodisch zu erfassen. Da es sich bei der Methode von Selzer/Ewert jedoch um eine prosopographiebasierte Analyse handelt, muss die Adaption auf den handelsorganisatorischen Bereich reduziert werden, da das frühmittelalterliche Quellenmaterial nicht genug Personendaten enthält, um eine Prosopographie im nötigen Umfang erstellen zu können.7 Ein erstes Beispiel aus dem frühen Mittelalter reißen Selzer/Ewert mit ← 3 | 4 → den sogenannten „Maghribi traders“ bereits bei der Vorstellung ihrer Theorie hinsichtlich früherer historischer Beispiele als der Hanse an.

Ellmers greift diese Übertragung einer spätmittelalterlichen Theorie auf und weist sie anhand der Juden und Syrer im südgallischen Teil des Merowingerreichs noch früher nach.8 Hierbei äußert er unter anderem die Vermutung, dass auch im Falle der Friesen eine solche Organisationsform des Handels zugrunde liegen konnte,9 was in der vorliegenden Arbeit aufgegriffen und weiter ausgeführt wird. Ausgehend von der Annahme, dass die Netzwerkorganisation des Handels auch im Frühmittelalter zu finden ist, werden die Abläufe untersucht, die zu einer Handelsform führten, die es notwendig machte, eine solch komplexe Organisationform zur Steuerung von Handelsaktivitäten auszubilden. Dieser Vorgang wird darin gesehen, dass sich aus vormals landsässigen und an agrarische Siedlungsformen gebundene nun völlig von agrarischen Lebensweisen gelöste, stadtsässige Wanderhändler entwickelten, wie Ellmers herausarbeiten konnte.10 Dass sich dieser Prozess auf ein landsmannschaftliches Organisationsprinzip stützte, stellt nur einen von mehreren Aspekten dar, in denen sich die früh- und die spätmittelalterliche Form der Netzwerkorganisation gleichen. Der wesentlichste Aspekt ist der Umstand, dass sie sich primär im Fernhandel etablierten und es aufgrund der Vertrauenskomponente möglich war, dass sich eine Gruppe von Händlern im Verband und mit dem Zweck eines Wettbewerbsvorteils an bestimmten Handelsknotenpunkten – meist Handelsstädten – niederließ und so im Falle der Hanse Kontore bzw. im Frühmittelalter Kaufmannssiedlungen errichtete.

Diese beiden beschriebenen Theoriekomplexe finden ihre Verbindung in dem Element der Kaufmannssiedlung und bilden somit einen zusammenhängenden Erklärungsansatz, der einen weiteren Kreis von Ergebnissen einbezieht. Da jedoch festgestellt wurde, dass die Triebfeder beider Theoriekomplexe der Fernhandel war und die dominierenden Fernhändler des Oberrheins augenscheinlich die friesischen Händler waren, die als Fresones in den zeitgenössischen Quellen zu finden sind, muss ein vorher ansetzendes Konzept klären, warum gerade die Friesen solche von der Rheinmündung bis zu den Alpen reichenden Handelsaktivitäten ausbildeten, wie sie organisiert waren und wie sich ihr Friesenhandel im Allgemeinen wie auch am Oberrhein im Speziellen entwickelte. Da in ihrem Fall als Fernhändler eine besondere ← 4 | 5 → Bedeutung hinsichtlich der oberrheinischen Kaufmannssiedlungen angenommen wird, gilt es, in diesem Bereich die speziellen Verbindungen zwischen dieser Gruppe von Handelsakteuren und der Entwicklung dieses städtischen Elements aufzuzeigen. Zu diesem Zweck wird ein begrenzter Einblick in die Friesenforschung unternommen, wobei die Erkenntnisse hinsichtlich der friesischen Präsenz am Oberrhein fokussiert werden.11

Der so entworfene Theoriekomplex mit den genannten drei Untersuchungsgefügen wird auf die oberrheinischen Handelsaktivitäten angewandt. Um dabei die Rolle einzelner Gruppen von Handelsakteuren an den jeweiligen Entwicklungen klären zu können, werden die Händlergruppen hinsichtlich ihrer speziellen Merkmale untersucht, die sich anhand der jeweiligen Handelsform abzeichnen. Hierbei spielt die Charakterisierung der Handelsregion eine wichtige Rolle – insbesondere hinsichtlich des Fernhandels –, da die Handelsströme, mit denen die Region zur Untersuchungszeit verbunden war, erste Hinweise darauf geben, mit welchen Handelsverbindungen, -akteuren und -waren gerechnet werden kann. Darauf folgt die Untersuchung der Handelsakteure, die aus den zeitgenössischen und im regionalen Bezug stehenden Quellen erschließbar sind. Dabei werden neben den Merkmalen, die die Quellen offenlegen, die Kategorien der rechtlichen Stellung der Händler und die Kategorien ihrer Transportmittel untersucht. In einem nächsten Schritt werden die am Oberrhein nachweisbaren Waren genauer betrachtet, da damit gerechnet wird, dass sie sowohl eine Unterscheidung der Händlergruppen ermöglichen als auch Einsicht in die wirtschaftlichen Strukturen des Oberrheins zulassen anhand der Bezugs- und Handelsformen. Zuletzt werden die so gebündelten Erkenntnisse über die verschiedenen Teilbereiche der oberrheinischen Handelsaktivitäten vor dem Hintergrund des Theoriekomplexes auf die fünf Bischofsstädte des Oberrheins bezogen. Sowohl ihre Rolle innerhalb dieses Gefüges als auch die Wirkung des Handels auf sie selbst werden untersucht. Hiervon wird ein besseres Verständnis darüber erwartet, warum es zur Ausbildung der Kaufmannssiedlungen kam, wie sie strukturiert waren und wie sich der Prozess der Verschmelzung mit dem anderen Siedlungskern bzw. mit den anderen Siedlungskernen gestaltete.

Für den Bereich der frühmittelalterlichen Handelsforschung sind als richtungsweisende Werke vor allem diejenigen aus der Reihe der „Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa“ zu nennen, da mit ihnen ein bis heute stark rezipierter Erkenntnisstand verbunden ist, der in der Handelsgeschichte einen massiven Umbruch gegenüber vorherigen Forschungstendenzen darstellt.12 Daneben ist besonders hinsichtlich der frühmittelalterlichen Handelsschifffahrt Detlev Ellmers mit ← 5 | 6 → zahlreichen Werken zu nennen,13 der bei seinen Untersuchungen besonderen Wert auf die Einbettung seiner Erkenntnisse in einen größeren Rahmen legt und damit bemüht ist, die besonderen Strukturen des Handels in seiner Zeit herauszuarbeiten, insbesondere hinsichtlich seiner Organisationsformen. Ganz ähnliche methodische Erkenntnisabsichten zeigen sich im Bereich der Wirtschaftsgeschichte bei McCormick14 und im Bereich der Stadtentwicklung bei Hirschmann15 und Porsche16. Allen dreien ist gemein, dass sie die ungünstige Fund- und Quellenlage des Frühmittelalters mittels eines möglichst großen Datensatzes auszugleichen suchen und damit in den jeweiligen Bereichen richtungsweisende Tendenzen und Entwicklungen aufzeigen, an die mit entsprechenden Einzelfalluntersuchungen angeknüpft werden kann.17

Hinsichtlich der Quellenlage ist festzustellen, dass sie – selbst im Verhältnis zum allgemeinen Quellenfundus des Frühmittelalters – für den Bereich des Handels als sehr spärlich zu bezeichnen ist. Trotz der vielen herangezogenen Quellen, die kaum eine quantitative Gewichtung hinsichtlich Behandlung der Handelsthematik zulassen, sind gerade die Informationen den Handel betreffend äußerst rar. Im Falle der Rechtstexte stellt der Handel einen Bereich dar, bei dem man auf starke Zurückhaltung stößt, „die diese Texte allgemein bei der normierenden Erfassung von Handelsgeschäften zeigen.“18 In den anderen Bereichen schriftlicher Quellen sorgte gerade die kirchliche Abneigung gegenüber dem Handel und seinen Gewinnen für eine weitgehende Missachtung des Themas.19 Selbst wenn Kaufleute in erzählenden Quellen erwähnt werden, ← 6 | 7 → fällt ihre Beschreibung eher mager aus, da sie selbst, „genauer gesagt, ihre kaufmännischen Tätigkeiten, Absprachen und Handelsbeziehungen nicht im Zentrum der Erzählung“20 standen. Somit steht den frühmittelalterlichen Handel betreffend ein Quellenbestand zur Verfügung, der diesen Wirtschaftszweig marginalisiert und des Weiteren kaum individualisierbares Namensgut enthält, sodass eine Identifikation der Akteure über die landsmannschaftliche Zuordnung hinaus kaum möglich ist.

Ähnlich verhält es sich im Hinblick auf Handelsrouten, zu denen sich die Quellen kaum äußern.21 Bei den Handelswaren liegen meist nur Informationen vor, „wenn es sich um außergewöhnliche Luxuswaren handelt.“22 Gegenstände und Waren des täglichen Gebrauchs hingegen werden kaum genannt.23 Selbst im Fall der Friesen, die eine wichtige Rolle in der Versorgung der Gebiete von England und Skandinavien bis an die Alpen einnahmen, finden sich auffällig wenige Erwähnungen in den Quellen.24 Somit wird sich in der vorliegenden Arbeit insgesamt bemüht, die spärliche Quellenlage – auf die jeweils im Text noch genauer eingegangen wird – auszugleichen durch das weitreichende Theoriekonzept und die Einordnung der hilfreichen Quellenstellen in dessen erschließbare Entwicklungstendenzen.

Der inhaltliche Aufbau der vorliegenden Arbeit folgt im Wesentlichen dem methodischen Konzeptverlauf. Begonnen wird in Kapitel 2 mit einer Einführung in die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des mittelalterlichen Handels. Es folgen Ausführungen zu den frühmittelalterlichen Handelsstrukturen, die den Rahmen sowohl zur genaueren Erläuterung der ← 7 | 8 → Theorie der Netzwerkstruktur nach Selzer/Ewert als auch zur Entwicklung von landsässigen zu stadtsässigen Wanderhändlern nach Ellmers bieten. Anschließend wird die Rolle der vom Handel beeinflussten städtischen Elemente in der mittelalterlichen Stadtgeschichte dargelegt. Es werden die Theorie der zwei Säulen der Stadtentwicklung nach Scheuerbrandt erläutert und – unter Hinzuziehung der Entwicklung des Ufermarktes zur Kaufmannssiedlung nach Ellmers – die Entwicklung der kaufmännischen Ufersiedlung in der frühmittelalterlichen Stadt skizziert. Den Abschluss dieses vorbereitenden Theorieteils bildet die Behandlung des Friesenhandels, um zu klären, wer die Friesen am Oberrhein waren und welche Gründe diese Gruppe von Handelsakteuren in eine doch relativ weit entfernte Region trieb.

In Kapitel 3 wird das Teilergebnis der Analyse der oberrheinischen Handelsaktivitäten aus dem vorigen Kapitel auf die historischen Umstände dieser Region angewandt. Das Vorgehen gliedert sich in vier Abschnitte. Im ersten Abschnitt werden die Handelsrouten des Oberrheins, seine Zollsituation als Mittel der Handelssteuerung sowie die Beziehungen und Verbindungen mit seine Nachbarregionen näher beleuchtet. Der zweite Abschnitt befasst sich mit den verschiedenen Gruppen von Handelsakteuren, deren Vorkommen in den Quellen sowohl eine Kategorisierung als auch die Erfassung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden ermöglichen soll. Über eine solche Differenzierung sollen auch die Untersuchungen der rechtlichen Stellung jener Händlergruppen sowie ihre vorzugsweise genutzten Fahrzeuge Aufschluss geben. Im dritten Abschnitt werden ein aus den Quellen hervorgehendes Sortiment der Waren zusammengestellt, die am Oberrhein im Untersuchungszeitraum zu finden waren, um diese Händlern und Handelsformen zuweisen zu können. Im vierten Abschnitt wird eine Kategorisierung von Marktsiedlungstypen, Handelsformen und Marktsituation nach Ellmers und Scheuerbrandt zur genaueren Erfassung der Handelsstädte des Oberrheins ausgearbeitet und nachfolgend die erlangten Erkenntnisse auf die fünf oberrheinischen Bischofsstädte angewandt. Abschließend richtet sich das Augenmerk auf die Bischofsstädte. Als Handelsknotenpunkte stellten diese die Schnittstelle zwischen Fernhandel und Stadtentwicklung dar. Vor diesem Hintergrund werden anhand der bisherigen Erkenntnisse des Theoriekomplexes Wechselwirkungen mit der Stadt und Effekte auf die städtische Entwicklung analysiert.


1 Arnold Scheuerbrandt: Südwestdeutsche Stadttypen und Städtegruppen bis zum frühen 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Kulturlandschaftsgeschichte und zur kulturräumlichen Gliederung des nördlichen Baden-Württemberg und seiner Nachbargebiete, Heidelberg 1972: S. 84.

2 Stephane Lebecq: Art. Friesenhandel. In: Hoops, Johannes (Hg.): Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Berlin/New York 1999, S. 69–80: S. 78.

Details

Seiten
X, 157
Jahr
2017
ISBN (ePUB)
9783631706992
ISBN (PDF)
9783653061123
ISBN (MOBI)
9783631707005
ISBN (Hardcover)
9783631666678
DOI
10.3726/b11186
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Juni)
Schlagworte
Friesenhandel Stadtentwicklung Fernhandel Hanse Friesen Netzwerkstruktur
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. X, 157 S.

Biographische Angaben

Jens Boye Volquartz (Autor:in)

Jens Boye Volquartz hat Geschichte und Politikwissenschaft an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald studiert sowie Mittelalterstudien an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Als Wissenschaftlicher Mitarbeiter ist er an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel am Historischen Seminar in der Abteilung für Regionalgeschichte tätig im DFG-Projekt «Kleinburgen in Schleswig und Holstein».

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