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Accept Diversity! Accept Equality?

Eine analytische Untersuchung des Anspruchs und der Realität von Gleichstellung in der Filmindustrie mit Hinblick auf die Funktion des internationalen Filmfestivals Berlinale

von Mahelia Hannemann (Autor:in)
©2016 Dissertation 192 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort der Herausgeberin
  • Einführung
  • 1.1 Allgemeine historische Kontextualisierung der (Film-) Frauenbewegung
  • 1.2 Aktuelle Diskurse zu Frauen und Film
  • 1.3 Die Berlinale – ‚Schaufenster der freien Welt‘
  • Gender und Filmfestival
  • 2.1 Frau Macht Film
  • 2.1.1 Frauen hinter der Kamera
  • 2.1.2 Die Darstellung von Frauen im Film
  • 2.1.3 Dramaturgische Grundlagen
  • 2.1.4 Medienästhetische Überlegungen
  • 2.2 Film Fest
  • 2.2.1 Entstehung und Legitimation
  • 2.2.2 Programmierung
  • 2.2.3 Preisvergabe
  • 2.2.4 Filmemacherinnen und Filmfestivals
  • Anspruch und Realität
  • 3.1 Kosslick und die Berlinale
  • 3.1.1 Die kulturellen ‚Gatekeeper‘
  • 3.1.2 Ritualisierung von Prestige-Hierarchien
  • 3.1.3 Erfolgsindikatoren
  • 3.2 Der Wettbewerb
  • 3.2.1 Selektionsprozess
  • 3.2.2 Frauenanteil
  • 3.3 Weibliche Wettbewerbsbeiträge 2013
  • 3.3.1 Filmanalyse: Layla Fourie (D, F, ZAF, NL, 2013) von Pia Marais
  • 3.3.2 Filmanalyse: W imię… (PL, 2013) von Małgorzata Szumowska
  • 3.3.3 Filmanalyse: Elle s’en va (F, 2013) von Emmanuelle Bercot
  • 3.3.4 Befragung der Filmemacherinnen
  • 3.3.5 Programmierung und Presseresonanz
  • 3.4 Weibliche Ehrengäste der 63. Berlinale
  • 3.5 Aktualisierung 2015
  • Zusammenfassung und Ausblick
  • 4.1 Berlinale – Ein Konfigurationsinstrument
  • 4.2 Politisierte Filmfrauen – Die treibende Kraft
  • 4.3 Wettbewerb 2013 – Zwischen AutorInnen und MarktbedienerInnen
  • Quellenverzeichnis
  • 1. Literaturquellen
  • 2. Internetquellen
  • 3. Pressequellen
  • 4. Wortbeiträge
  • 5. Abbildungen
  • 6. Filmquellen
  • Anhang
  • Abbildungen
  • Danksagung

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Vorwort der Herausgeberin

Frauen im Film, als Filmschaffende oder als Charaktere, deren Situation und Repräsentanz widmet sich die Autorin in der vorliegenden Arbeit am Beispiel der Berlinale der ‚starken Frauen‘.

Die Berlinale ist das deutsche A-Festival und dient sowohl dem deutschen Filmmarkt, als auch einem Austausch über Film während der Präsentation einer spezifischen Auswahl des weltweiten Filmschaffens für 10 Tage in Deutschland. Wie diese Auswahl von wem getroffen wird, diskutiert die Autorin im Sinne der Frage, warum nur wenige Frauen – als Filmschaffende wie als zentrale handlungsführende Charaktere es in den Wettbewerb der Berlinale schaffen.

Eine Studie über die Präsentation von Regisseurinnen als auch den dargestellten Frauen in präsentierten Filmen trägt grundsätzlich, auch als Mikrostudie wie der hier vorliegenden, zu einem besseren Verständnis über die Gesellschaft und der Situation von Frauen in dieser bei. Filme spiegeln kulturelle und gesellschaftliche Verhältnisse und wirken in diese zurück. Auch das Kinopublikum besteht zu einem großen, in einigen Altersgruppen zum überwiegenden, Teil aus Frauen. Wir sind integraler Teil der Gesellschaft und ohne uns würde es weder eine Gesellschaft noch Zivilisation geben. Das ist eine Binsenweisheit, muss aber erstaunlicherweise immer wieder in Erinnerung gebracht werden.

In den jüngeren Film- und Fernsehproduktionen, die weiterhin vorwiegend von Regisseuren und Produzenten, Redakteuren und Programmdirektoren dominiert werden, sind nicht nur Geschichten vorwiegend aus männlicher Sicht erzählt. Es werden auch Frauen in einer Weise dargestellt, über die sich der Eindruck erhebt, dass Frauen weder in der Lage sein würden, so einen anspruchsvollen Beruf wie den einer Regisseurin auszuüben, noch irgendeinen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten zu können. Produktionen wie die skandinavischen Fernsehserien FORBYDELSEN (DNK 2007–2012) oder BORGEN (DNK 2010–2013) bilden weiterhin die Ausnahme.

Ästhetisch und dramaturgisch Film- und Fernsehproduktionen der letzten Dekaden analysierend, stellt sich insbesondere im deutschen Filmschaffen der Eindruck dar, dass Frauen, wenn sie eine relevante Rolle in Filmen erhalten, schlechte Mütter oder gefühlskalte ‚Karrierefrauen‘ sind. Sogenannte ‚schwache‘ oder ‚starke‘ Frauen. ‚Starke Frauen‘ ist ein Begriff, der den männlichen Blick auf Frauen transportiert und die herrschenden Machtverhältnisse und Gesellschaftskonstruktionen in sich trägt. Er entspricht dem von ‚ganzen Kerlen‘ und verweist in der Ausdrucksweise auf eine Besonderheit, die über die ironische Brechung ← 11 | 12 → auf die nahezu unerreichbare Ausnahme verweist und ebenso zum Ausdruck bringt, dass mit ‚starken Frauen‘ wie mit ‚ganzen Kerlen‘ ein bürgerlich tradiertes Eheleben wenig in Übereinstimmung zu bringen ist oder hierarchisierte Rollenverhältnisse und / oder spezifische Freiräume für die so bezeichneten Personen einfordert.

Diese Figuren werden im Drehbuch und insbesondere der Inszenierung dramaturgisch so angelegt, dass sie im Sinne der erzählten Handlung scheitern müssen, denn sie verstoßen auf der impliziten Ebene gegen tradierte konservative Grundannahmen, die im westdeutsch bestimmten Regelkanon vorrangig über ihre Rolle als Mutter und Ehefrau definiert werden. Hier hängt immer noch der lange Schatten der Weltvorstellungen des Dritten Reichs über uns, welche über die Propagandamaschinerie der Zeit und Kontinuitäten im Nachkriegsfilm der BRD Rollenzuschreibungen geprägt haben. Im Sinne der Psychologie hat ein ‚priming‘ stattgefunden, Anker wurden gesetzt, durch die Wahrnehmung gerichtet wird (Kahneman, 2012), das von den wenigen anders erzählten Filmen nicht aufgelöst werden konnte. In der Hierarchie der Charaktere werden Frauenfiguren überwiegend aus der männlichen Perspektive erzählt und haben selten mehr oder gleichrangig Einfluss auf die Handlung. Ist es ihnen doch einmal vergönnt, handlungsführende Figuren zu sein, wird wie in BARBARA (D 2012, Petzold) – um ein Berlinale-relevantes Beispiel anzuführen - ihre Handlung privat, sinnlich und erotisch motiviert, aber nicht aus einem individuellen und gesellschaftlich relevanten Gestus heraus entwickelt. Diesen hatte die Vorlage, die für BARABARA adaptiert wurde, noch. In DIE FLUCHT (DDR 1977, Gräf) beschließt der Protagonist, aus Frustration über die Behinderung seiner wissenschaftlichen Arbeit, in den Westen zu fliehen.

In dem ebenfalls preisgekrönten deutschen Film DIE KRIEGERIN (D 2011, Wnendt), der auf der Berlinale 2011 seine Premiere feierte, wird die junge, blonde, weibliche Hauptfigur, gespielt von Alina Levshin, als Opfer der Umstände – gefühlskalte Mutter, nicht zufrieden stellende Arbeit und die Liebe – in die Gruppe der Neonazis getrieben. Nachdem sie sich einmal menschlich korrekt verhalten und gegen die Regeln der Gruppe verstoßen hat, wird sie am Ende des Films geopfert. Eigenständige relevante Entscheidungen einer Frauenfigur werden nicht geduldet. Die tote Figur der Marisa wird ästhetisch überhöht und in ‚Edelkitsch‘ (Friedländer, 2007) überführt.

Dieser dramaturgische Ansatz, die Analyse der Charaktere und deren Relevanz für die Entwicklung der Handlung, wird in der Soziologie als Agency bezeichnet. Obwohl dieser Begriff zunächst grundsätzlich die Möglichkeit des eigenständigen, selbstbestimmten Agierens beinhaltet (vgl. u.a. Holland, 1998) und noch nicht deren Einfluss auf die stattfindenden Ereignisse oder die gestaltete Handlung, wird er ← 12 | 13 → bereits als ein wichtiges Analysemerkmal eingesetzt, um die Gestaltung von Charakteren, insbesondere weiblichen, zu diskutieren. So auch in der vorliegenden Studie für die drei von Regisseurinnen gedrehten Wettbewerbsfilme der Berlinale der starken Frauen. Im Rahmen der hier gegebenen Möglichkeiten stellt Mahelia Hannemann die dramatische Struktur der Filme in den soziokulturellen Kontext, in dem die Regisseurinnen agieren. Sie diskutiert, in wieweit die Filmerzählung und deren ästhetische Ausgestaltung, aber auch Produktionsbedingungen den Kontext widerspiegeln. Dass diese Analysen im Rahmen einer umfassenderen Arbeit wie dieser sich auf eine Überblicksdarstellung beschränken müssen, versteht sich von selbst.

Die besondere Qualität der vorliegenden Studie besteht jedoch darin, dass sie sich weder auf eine interpretierende Filmanalyse verlegt, noch sich auf Filmanalysen beschränkt. Diese stellen ein Kapitel der Arbeit dar und sind eingebettet in eine umfassende Diskussion der Geschichte und aktuelle Situation der Berlinale, filmhistorische Entwicklungen, gesellschaftliche und ökonomische Gegebenheiten, von denen sowohl die Berlinale, als auch das Filmschaffen beeinflusst werden. Insbesondere die umfangreiche faktische Erhebung und daher genaue Argumentation macht diese Studie zu einem wertvollen Beitrag der Diskussion der Frage danach, ob und wie Frauen als Filmemacherinnen oder auch ‚nur‘ als handelnde Figuren in Filmen eine Stimme haben.

Dass dies möglich ist und auch zu keinem Verlust an Attraktivität oder Zuschauerzustimmung (auch Quote genannt) führen muss, zeigen die bereits genannten skandinavischen Produktionen, aber auch die noch nicht genannte schwedische Serie ARNE DAHL (S 2011–2015), oder die israelische HATUFIM (ISR 2009–2012, RAFF). In diesen Serien agieren weibliche Figuren auch und insbesondere dramaturgisch auf Augenhöhe mit den männlichen Figuren. Handlungen, Entscheidungen, Wünsche und Hoffnungen der Frauenfiguren bestimmen den Handlungsverlauf oder sind von gleicher Relevanz, wie die der männlichen Charaktere.

Selbstverständlich gibt es auch erfolgreiche Kinofilme, die von Regisseurinnen gedreht wurden, wie von Agnès Varda, Agnieszka Holland, Deepa Mehta, Sally Potter, um nur einige der international bedeutenden Regisseurinnen zu nennen. Doch auf Grund der soziokulturellen Strukturen im Kino-Film-Bereich, wie sie in der vorliegenden Arbeit am Beispiel der Berlinale 2013 und einem Ausschnitt der Entwicklung seitdem umrissen werden, werden deren Filme anders vertrieben und rezipiert, als die der etablierten männlichen Regisseure. Analysiert man diese Filme genauer, wird deutlich, dass Regisseurinnen öfter als ihre männlichen Kollegen offene, moderne Erzählweisen wählen, ein größeres Figurenensemble interagieren lassen und weniger klassische Heldengeschichten erzählen. Dies ← 13 | 14 → erfordert Offenheit gegenüber anderen Erzählstrukturen und ein Verständnis bzw. eine Akzeptanz einer erzählerischen Vielfalt. Bei allem Optimismus gegenüber den gegenwärtigen politischen Aktionen für eine bessere Quote in den unterschiedlichen Gewerken besteht aus meiner Sicht eine weitere Herausforderung darin, in einer neoliberalen Gesellschaft, die auf Messbarkeit und berechenbare Effizienz, Formate und Heldenreisen setzt, eine Akzeptanz für eine ästhetische Vielfalt zu erreichen. Erst dann werden Geschichten von Frauen und über Lebenswelten von Frauen, wie sie in den zitierten Fernsehserien bereits dargestellt werden, ihren gleichwertigen Platz auch im Kino finden, in dem sehr viel mehr Geld und Macht mit dem Erfolg oder Misserfolg einer Produktion verbunden ist als bei Fernsehproduktionen.

Hier gilt es, grundsätzlich ein Bewusstsein für die Chancen einer ästhetischen und erzählerischen Vielfalt zu schaffen, das nicht über biologistische oder klischeebeladene konservative Argumentationen gelenkt wird. Die vorliegende Arbeit trägt einen Baustein dazu bei.

Kerstin Stutterheim, Bournemouth, November 2015

Literaturverzeichnis

FRIEDLÄNDER, S. 2007. Kitsch und Tod - der Wiederschein des Nazismus, München, Hanser.

HOLLAND, D. C. 1998. Identity and agency in cultural worlds, Cambridge, Mass., Harvard University Press.

KAHNEMAN, D. 2012. Thinking, Fast And Slow, London, Penguin Books.

Filmverzeichnis

BARBARA. D 2012. Regie: Christian Petzold. Drehbuch: Christian Petzold; Harun Farocki. Schramm Film Körner & Weber / ZDF. 105 min.

Details

Seiten
192
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653062373
ISBN (ePUB)
9783653953695
ISBN (MOBI)
9783653953688
ISBN (Paperback)
9783631670309
DOI
10.3726/978-3-653-06237-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Dezember)
Schlagworte
Berlinale, Filmfestival Randsparte
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 192 S., 11 farb. Abb., 3 Tab., 11 Graf.

Biographische Angaben

Mahelia Hannemann (Autor:in)

Mahelia Hannemann studierte Psychologie sowie Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Universität Bonn und an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. Sie arbeitete studienbegleitend für die Berlinale und kuratiert und moderiert regelmäßig Veranstaltungen zu Frauen im Film- und Medienbereich.

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