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Risikogeschäfte und strafbare Untreue

Entscheidungstheorie und Verhaltensökonomie im Strafrecht

von Martin Stenzel (Autor:in)
©2016 Dissertation 321 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor beschäftigt sich mit der Problematik der strafrechtlichen Beurteilung von Unternehmensentscheidungen im Rahmen des § 266 StGB. Er untersucht, ob unternehmerische Entscheidungen justiziabel sind und welche Einschränkungen gemacht werden müssen. Dazu stellt der Autor die Erkenntnisse der Entscheidungslehre und «Behavioral Economics» dar und analysiert sie umfassend. Er arbeitet heraus, inwieweit diese Erkenntnisse in das Strafrecht übertragen werden können, und zeigt deren Bedeutung für den Prozess der gerichtlichen Überprüfung einer unternehmerischen Entscheidung auf. Einen Schwerpunkt bildet die Frage, ob intuitive Entscheidungen tatsächlich schlechter als rationale Entscheidungen und daher zwangsläufig pflichtwidrig sind. Hierzu führte der Autor eine Umfrage unter Entscheidungsträgern durch.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • A. Einleitung und Problemaufriss
  • I. Problemstellung
  • II. Untersuchungsgegenstand
  • B. § 266 StGB – Dogmatik und Kriminologie
  • I. Grundlegungen
  • 1. Geschütztes Rechtsgut und Unrechtsgehalt
  • 2. Kriminologie
  • a) Täterstruktur
  • b) Untreue als wirtschaftsstrafrechtliches Delikt
  • 3. Sozialschädlichkeit
  • 4. Systematik des Tatbestands
  • II. § 266 StGB in der wissenschaftlichen Diskussion
  • C. Unbestimmtheit und Auslegungsprobleme
  • I. Pflichtverletzung
  • II. Vermögensschaden
  • III. Verschleifung
  • 1. Subjektiver Tatbestand
  • 2. Faktischer Fahrlässigkeitsmaßstab
  • 3. Entwicklung zu einem Gefährdungsdelikt
  • IV. „Untreuemode“ und Strafverfolgungspraxis
  • 1. „Untreuemode“
  • 2. Strafverfolgungspraxis
  • a) Die Untreue im Ermittlungsverfahren
  • b) Bewertungsfähigkeit
  • aa) Einstellungspraxis
  • bb) Ressourcen und Fachkenntnisse
  • V. Zivilrechtliche Folgen
  • VI. Verfassungsmäßigkeit
  • VII. Notwendigkeit von § 266 StGB
  • VIII. Die „gravierende Pflichtverletzung“
  • 1. Kreditvergabeentscheidungen
  • a) BGH, NJW 2000, 2364
  • b) BGH, NJW 2002, 1211
  • 2. Die „SSV Reutlingen“-Entscheidung
  • 3. Die „Kinowelt“-Entscheidung
  • 4. Verallgemeinerung
  • D. Grundzüge der zivilrechtlichen Innenhaftung für unternehmerische Entscheidungen
  • I. Grund der Innenhaftung
  • II. Geschäftsführerhaftung
  • 1. Ausgangspunkt – Die GmbH in der Krise
  • 2. Allgemeine Haftungsvoraussetzungen
  • a) Sorgfaltsmaßstab
  • b) „Erfolgshaftung“
  • c) Schaden
  • 3. Sorgfaltspflichten
  • a) Allgemeine Sorgfaltspflichten
  • b) Spezielle Sorgfaltspflichten
  • 4. „Unternehmerischer Ermessensspielraum“
  • 5. Business Judgement Rule
  • III. Vorstandshaftung
  • 1. Allgemeine Sorgfaltspflichten
  • 2. Besondere Sorgfaltspflichten
  • a) Gesetzlich normierte Pflichten
  • b) Risikomanagementsysteme
  • IV. Aufsichtsratshaftung
  • V. Eckpunkte zur Haftungsvermeidung
  • VI. Haftung und Strafbarkeit
  • VII. Unternehmerische Freiheit
  • 1. Freiheit des Unternehmers
  • 2. Die Fallgruppe: „Risikogeschäfte“
  • E. Einführung in Fragen der allgemeinen Betriebswirtschafts- und Entscheidungslehre
  • I. Allgemeine Betriebswirtschaftslehre
  • 1. Standort
  • 2. Methodologische Grundlagen
  • a) Der „homo oeconomicus“ und das ökonomische Prinzip
  • aa) Modellbildung
  • bb) „Homo oeconomicus“
  • cc) Das „ökonomische Prinzip“
  • b) Aussagekraft der wirtschaftstheoretischen Modelle
  • II. Wirtschaftsethik
  • 1. Entscheidungsträger
  • 2. Invisible Hand
  • III. Entscheidungslehre
  • 1. Phasenschema
  • a) Planungsphase
  • b) Entscheidungsphase
  • c) Umsetzungsphase
  • d) Kontrolle
  • 2. Entscheidungstheorie
  • a) Grundlagen
  • b) Entscheidungslehre
  • aa) Zielkonflikt
  • bb) Grundstrukturen
  • cc) Entscheidung unter Unsicherheit
  • dd) Entscheidung unter Risiko
  • (1) μ-Kriterium (Bayesregel)
  • (2) μσ-Kriterium
  • (3) Bernoulli-Prinzip
  • c) Anwendungsbeispiele
  • aa) Zielkonflikte
  • bb) Entscheidung unter Unsicherheit
  • cc) Entscheidung unter Risiko
  • IV. Entscheidungslehre im Strafrecht
  • 1. Phasenschema
  • a) Allgemeine Bedeutung
  • b) Nutzen für die strafrechtliche Beurteilung
  • 2. Entscheidungsregeln
  • a) Berechenbarkeit
  • b) Berechnungsmodelle im Strafprozess
  • F. Ökonomische Analyse des Rechts
  • I. Definition
  • 1. Grundlegungen
  • 2. Kritik
  • 3. Stellungnahme
  • II. Innenhaftung – Eine ökonomische Analyse
  • 1. Prinzipal-Agenten-Konflikt
  • 2. Lösung nach der Theorie der ökonomischen Analyse
  • 3. Stellungnahme
  • III. § 266 StGB – Eine ökonomische Analyse
  • 1. Ökonomische Analyse des Strafrechts
  • a) Rationalität und Kosten-Nutzen-Analyse
  • b) Ökonomischer Nutzen
  • c) Übertragbarkeit und Erkenntnisse
  • 2. § 266 StGB aus Sicht der ökonomischen Analyse des Rechts
  • 3. Fazit
  • G. Behavioral Economics
  • I. Grundlagen
  • 1. Standort
  • 2. Methoden
  • II. Ausgangspunkt: Grenzen kognitiver Leistungsfähigkeit
  • 1. Kognitive Beschränkungen
  • a) Ursachen
  • b) Folgen der Restriktionen in der Informationsverarbeitung
  • 2. „Anomalien“
  • a) Wahrnehmungs-„Anomalien“
  • aa) Vereinfachung
  • bb) Confirmation Bias und kognitive Dissonanz
  • cc) Framing
  • dd) Primacy und Receny
  • ee) Priming und Kompromisseffekt
  • ff) Zeitdruck und Komplexität
  • b) Verarbeitungs-„Anomalien“
  • aa) Anchoring
  • bb) Mental Accounting
  • cc) Verlustaversion
  • dd) Wahrscheinlichkeits-„Anomalien“
  • ee) Hindsight Bias
  • c) Informationsverfügbarkeit
  • aa) Halo Effect
  • bb) Mood Congruent Recall
  • d) „Anomalien“ außerhalb des Informationsprozesses
  • aa) Overconfidence
  • bb) Sunk Costs Effect
  • cc) Endowment bias
  • III. Anomalien und Experten
  • 1. „Anomalien“ im Strafprozess
  • a) Hindsight bias im Strafverfahren
  • b) Anchoring
  • 2. Kognitive Beschränkungen und Strafverfahren
  • IV. Vermeidungsstrategien
  • V. Abkehr vom „homo oeconomicus“
  • 1. Neudefinition des Begriffes der Rationalität
  • 2. Kritik
  • 3. Bedeutung für die Rechtswissenschaft im Allgemeinen
  • VI. Zusammenfassung
  • H. Intuitive Entscheidungen
  • I. Merkmale einer intuitiven Entscheidung
  • 1. Entscheidungsprozess
  • 2. Ausgangspunkt
  • 3. Heuristiken und evolvierte Fähigkeiten
  • a) Heuristiken
  • b) Evolvierte Fähigkeiten
  • c) Kombination
  • 4. Definition
  • II. Vorurteile
  • 1. Elemente einer „guten“ Entscheidung
  • 2. Einfache Lösungsstrategien
  • 3. Rationalisierung
  • III. Vorteile
  • 1. Entscheidungsarten im Vergleich
  • 2. Vorteile intuitiver Entscheidungen
  • 3. Grenzen von Intuition und Rationalität
  • a) Grenzen der Rationalität
  • b) Systematische Fehlentscheidungen
  • c) Grundvoraussetzung: Erfahrung
  • IV. Modellbildung
  • V. Zusammenfassung
  • I. Die vermeintliche Rationalität
  • I. Untersuchungsziel
  • II. Methode
  • 1. Teilnehmerstruktur
  • 2. Gestaltung und Fragestellung
  • 3. Pretest
  • III. Aussagekraft
  • IV. Auswertung und Ergebnis
  • 1. Auswertung
  • 2. Ergebnis
  • J. Verhaltensökonomik und Strafrecht
  • K. Restriktionsansätze
  • I. Geeignetheit
  • 1. Der „funktionale Zusammenhang“
  • 2. Der „wirtschaftlich vernünftige Gesamtplan“
  • 3. Vorsatzlösung
  • 4. Fazit
  • II. Restriktion durch Dogmatik
  • III. Die „gravierende Pflichtverletzung“ – Problem der objektiven Zurechnung
  • 1. Objektive Zurechenbarkeit
  • 2. Erlaubtes Risiko
  • 3. Schutzzweckzusammenhang (Siemens ./. AUB)
  • 4. Pflichtwidrigkeitszusammenhang
  • 5. Zusammenfassung
  • a) Restriktionspotenzial der objektiven Zurechnung
  • b) Objektive Zurechnung und die „gravierende Pflichtverletzung“
  • c) Objektive Zurechnung und Verhaltensökonomik
  • L. Zusammenfassung der Arbeit
  • I. Thesenbildung
  • II. Kombinatorische Entscheidungen
  • Anhang
  • I. Auswertung der Kriminalstatistik
  • II. Auswertung Verurteilungsstatistik (destatis)
  • III. Vergleich Kriminalstatistik – Verurteilungsstatistik
  • IV. Auswertung der Online-Umfrage
  • 1. Fragebogen mit Auswertung - Gruppe 1
  • 2. Fragebogen mit Auswertung - Gruppe 2
  • Literaturverzeichnis

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Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Täterstruktur bei Untreuestraftaten

Tabelle 2 In der PKS erfasste Untreuestraftaten

Tabelle 3 Verurteilungen wegen § 266 StGB

Tabelle 4 Ergebnismatrix für Entscheidungen unter Risiko

Tabelle 5 Vergleich von System 1 und 2

Tabelle 6 Eigenschaften von System 1 und 2

Tabelle 7 Fehlerquellen bei intuitiven Entscheidungen

Tabelle 8 Vorteile intuitiver Entscheidungen

Tabelle 9 Altersstruktur (Gruppe I)

Tabelle 10 Altersstruktur (Gruppe II)

Tabelle 11 Altersstruktur: beruflicher Entscheidungsträger (Gruppe I)

Tabelle 12 Altersstruktur: beruflicher Entscheidungsträger (Gruppe II)

Tabelle 13 Bildungsstruktur (Gruppe I)

Tabelle 14 Bildungsstruktur (Gruppe II)

Tabelle 15 Fragenverteilung

Tabelle 16 Antworten auf Frage 1 (Gruppe I)

Tabelle 17 Antworten auf Frage 1 (Gruppe II)

Tabelle 18 – Antworten auf Frage 1 – (Gruppe I)

Tabelle 19 Antworten auf Frage 1 (Gruppe II)

Tabelle 20 Antworten auf Frage 1 (Gruppe I)

Tabelle 21 Antworten auf Frage 1 (Gruppe II)

Tabelle 22 Antworten auf Frage 27 (Gruppe I)

Tabelle 23 Antworten auf Frage 26 (Gruppe II)

Tabelle 24 Antworten auf Frage 2 (Gruppe I)

Tabelle 25 Antworten auf Frage 2 (Gruppe II)

Tabelle 26 Antworten auf Frage 2 (Gruppe I)

Tabelle 27 Antworten auf Frage 2 (Gruppe II)

Tabelle 28 Antworten auf Frage 4 (Gruppe I)

Tabelle 29 Antworten auf Frage 4 (Gruppe II)

Tabelle 30 Antworten auf Frage 8 (Gruppe I)

Tabelle 31 Antworten auf Frage 8 (Gruppe II)

Tabelle 32 – Antwort auf Frage 12 – (Gruppe I)

Tabelle 33 – Antwort auf Frage 10 – (Gruppe II)

Tabelle 34 – Antwort auf Frage 23 – (Gruppe I) ← 13 | 14 →

Tabelle 35 – Antwort auf Frage 23 – (Gruppe II)

Tabelle 36 Antworten auf Frage 7 (Gruppe I)

Tabelle 37 Antworten auf Frage 7 (Gruppe II)

Tabelle 38 Antworten auf Frage 5 (Gruppe I)

Tabelle 39 Antworten auf Frage 5 (Gruppe II)

Tabelle 40 Antworten auf Frage 26 (Gruppe I)

Tabelle 41 Antworten auf Frage 27 (Gruppe II)

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Abkürzungsverzeichnis

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A. Einleitung und Problemaufriss

Die Untreuestrafnorm erfreut sich in der Strafverfolgungspraxis einer anhaltend wachsenden Beliebtheit. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Anwendungshäufigkeit der Untreue in den letzten Jahren spürbar gestiegen ist und § 266 StGB „Hochkonjunktur“ hat1. Dies gilt jedenfalls im Hinblick auf die Wahrnehmung des Tatbestands in der Wissenschaft2 und den Medien3. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht ein Wirtschaftsstrafverfahren bekannt oder entschieden wird, in dem die strafbare Untreue keine Rolle spielt4.

Das Spektrum der betroffenen Sachverhalte könnte hierbei breiter nicht sein5: Umgang mit Parteispenden6, Managervergütungen, riskante Geldanlagen, Kreditvergabe oder auch Pflichtverletzungen von GmbH-Geschäftsführern, um nur einige Beispiele zu nennen7. Die Strafverfolgungspraxis berührt immer wieder Lebens- und Rechtsbereiche, denen die Strafrechtswissenschaft bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt hat8. Das Strafrecht sieht sich zunehmend vor die Aufgabe gestellt, gesellschaftsrechtliche Problemfelder in einem strafrechtlichen Kontext zu erschließen oder strafrechtlich zu behandelnde Sachverhalte in einem wirtschaftlichen Kontext ← 19 | 20 → zu beurteilen9. Gerade diese „Neuheit“ der Probleme verschärft die Unsicherheiten bei der Anwendung des § 266 StGB10.

Die Weite des Tatbestands und dessen notorische Unbestimmtheit ist Ausgangspunkt und Ursache für das weite Anwendungsfeld der Untreue. Aufgrund der offenen Formulierung des Tatbestands kann bei nahezu jedem wirtschaftlichen Vorgang, welcher als unangemessen oder bedenklich empfunden wird, eine Untreuestrafbarkeit zumindest diskutiert werden und in der weiteren Folge ein Anfangsverdacht bejaht werden11. Über die Folgen, welche aus der extensiven Anwendung für die Betroffenen entstehen, macht sich die Strafverfolgungspraxis keine großen Gedanken. Die Auswirkungen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren werden bei der (teils vorschnellen) Bejahung eines Anfangsverdachts nicht berücksichtigt.

Entgegen der Beliebtheit in der Strafverfolgungspraxis muss sich der Untreuetatbestand im Schrifttum eine zum Teil scharfe Kritik gefallen lassen12.

I. Problemstellung

Gegenstand der Arbeit ist die Beurteilung von Unternehmensentscheidungen im Hinblick auf eine etwaige strafbare Untreuehandlung. Es bestehen erhebliche Anwendungsunsicherheiten im Umgang mit § 266 StGB13. Insbesondere bei der strafrechtlichen Beurteilung von Unternehmensentscheidungen herrscht große Unsicherheit darüber, wann und ob in einer Entscheidung eine strafrechtlich relevante Pflichtwidrigkeit zu sehen ist14. Verbunden ist dies mit einer unerträglichen Rechtsunsicherheit für die Entscheidungsträger15. Die Frage, wann die Trennlinie zwischen unternehmerischer Handlungsfreiheit und Kriminalität überschritten ist16, kann bisher nicht mit der notwendigen Deutlichkeit beantwortet werden. Die Strafrechtsprechung lässt mit vagen Beschränkungen des Tatbestandes und ← 20 | 21 → wechselnden Kriterien bei der Bestimmung der Pflichtwidrigkeit die Grenzen der Strafbarkeit im Dunkeln17.

Entscheidungsträger stehen ständig vor einem Dilemma: Einerseits besteht die Gefahr bei risikoreichen Entscheidungen, dass diese nachträglich als pflichtwidrig im Sinne des § 266 StGB angesehen werden. Andererseits ist es die Aufgabe der Entscheidungsträger, risikoreiche Entscheidungen zu treffen. Denn ohne Risiko können keine Gewinne erwirtschaftet werden, keine Umsätze gesteigert werden und keine Rendite erzielt werden. Das Risiko ist der Wirtschaft immanent18. Nur der Monopolist oder der Festgeldanleger vermag der Gefahr eines Nachteils durch mehr oder weniger vorhersehbare Entwicklungen entgehen, wobei auch in Zeiten der Finanzkrisen Festgeldanlagen nur noch eine Scheinsicherheit bieten. Die Dynamik des Wirtschaftslebens zwingt zu Prognoseentscheidungen, die auch immer in Verlusten enden können, unabhängig davon, wie sorgfältig eine Entscheidung vorbereitet wurde. Das Risiko und die damit einhergehende Möglichkeit eines Verlustes sind an der Tagesordnung. Es ist zu beobachten, dass sobald der „erhoffte“ Erfolg ausbleibt, zunächst immer an der Qualität der Entscheidungsträger gezweifelt wird, egal wie erfolgreich diese bisher gearbeitet haben. Es werden zumeist sofort Rufe nach der Absetzung der Entscheidungsträger laut. Auf einer zweiten Stufe werden Schadensersatzklagen und Strafanzeigen wegen einer vermeintlichen Untreuestrafbarkeit erwogen19. Es gilt das alte Bonmot – „Nichts ist erfolgreicher als der eingetretene Erfolg“.

Risikogeschäfte sind nach unserer Rechtsordnung nicht verboten20. Sie sind für das Funktionieren unseres Wirtschaftssystems notwendig21. Ein Misserfolg kann hierbei nie ausgeschlossen werden, mag die Entscheidung auch noch so sorgfältig vorbereitet und durchgeführt worden sein. Prognosen basieren immer auf Unsicherheiten über die zukünftige Entwicklung. Die Zukunft kann nicht vorhergesagt oder berechnet werden. Es gibt auch keine allgemeingültigen Prüfungsmaßstäbe zur Durchführung von unternehmerischen Entscheidungen. Ebenso kann es keine eindeutigen Handlungsdirektiven geben. Bei unternehmerischen Entscheidungen handelt es sich immer um Einzelfallentscheidungen und -probleme. Trotz dieser Unsicherheiten müssen aber Entscheidungen getroffen und damit Risiken in Kauf genommen werden.

Dennoch besteht derzeit sowohl im Straf- als auch im Zivilrecht die Tendenz, dass Unternehmensentscheidungen einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen ← 21 | 22 → werden22. Aus der Enttäuschung über einen eingetretenen Misserfolg folgt meist die „Erkenntnis“, es müsse eine fehlerhafte Entscheidung vorliegen, eine zivil- und strafrechtlich relevante Pflichtverletzung. An dieser Stelle stellt sich bereits die Frage, ob unternehmerische Entscheidungen überhaupt justiziabel sind. Und falls man dies bejahen sollte, wie weit die gerichtliche Nachprüfung gehen kann und darf. Komplexe Entscheidungen können nicht ohne Weiteres nachträglich überprüft werden. Bezweifelt werden darf auch, dass die Gerichte die notwendige Sachkunde mitbringen, komplexe wirtschaftliche Entscheidungsprozesse sachgerecht nachzuvollziehen. Wie soll ein Richter die Angemessenheit einer Information ex post beurteilen können? Kann er die tatsächlich eingetretenen Ereignisse bei seiner Beurteilung ausblenden, oder ist dies wegen kognitiver Beschränkungen überhaupt nicht möglich? Die Beurteilung eines Entscheidungsprozesses darf sich nicht an den letztlich eingetretenen Umständen orientieren, sondern hat anhand der zum Zeitpunkt der Entscheidung vorhanden Informationen zu erfolgen. Spätere Erkenntnisse dürfen diesen Prozess nicht mitbeeinflussen. Im Nachhinein ist es immer einfach, eine Entscheidung zu kritisieren.

Details

Seiten
321
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653066753
ISBN (ePUB)
9783653951295
ISBN (MOBI)
9783653951288
ISBN (Paperback)
9783631671917
DOI
10.3726/978-3-653-06675-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (März)
Schlagworte
Ökonomische Analyse des Rechts Intuitive Entscheidungen Verhaltensökonomie Wirtschaftsstrafrecht
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 321 S., 41 Tab.

Biographische Angaben

Martin Stenzel (Autor:in)

Martin Stenzel studierte Rechtswissenschaften an der LMU München, wo er an der Juristischen Fakultät promoviert wurde. Er ist als Staatsanwalt tätig.

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