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Wettbewerbspolitische Aspekte des «Amazon-Falls»

Analyse der ökonomischen Auswirkungen horizontaler und vertikaler Beschränkungen unter Berücksichtigung der Charakteristika von Onlinemärkten

von Karoline Henrike Köhler (Autor:in)
©2016 Dissertation 359 Seiten

Zusammenfassung

Selten hat ein wettbewerbspolitischer Fall so viel Interesse und Kontroversen hervorgerufen wie der E-Book-Fall rund um Amazon, bei dem führende Verlage und große Unternehmen wie Apple involviert sind. Doch dieser spiegelt nur eine von vielen unternehmerischen Vorgehensweisen Amazons wider.
Der Kern dieses Werkes stellt die wettbewerbspolitischen Vorwürfe gegenüber Amazon systematisch dar und würdigt diese auf der Basis ökonomisch-theoretischer Überlegungen. Die Analysen offenbaren dabei die ökonomischen Besonderheiten von Onlinemärkten und berücksichtigen die wachsende ökonomische Bedeutung mehrseitiger Märkte.
Die Untersuchungsergebnisse geben eine Antwort auf die sich aus der aktuellen Medienbrisanz um Internetplattformen ergebende Frage, ob «Amazon as the Next Google» einzuordnen ist. Darüber hinaus bewertet die Autorin Ansätze zur Ausgestaltung einer wettbewerbspolitischen Regulierung von Internetplattformen wie den More Technological Approach oder die Implementierung einer eigenen Regulierungsbehörde.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • 1 Einführung
  • 1.1 Explikation der Frage- und Problemstellung
  • 1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
  • 2 Rechtlich-institutionelle Grundlagen der europäischen Wettbewerbspolitik
  • 2.1 Einordnung der europäischen Wettbewerbsregeln
  • 2.1.1 Rechtliche Grundlagen und unmittelbare Anwendbarkeit
  • 2.1.2 Implikation des More Economic Approach
  • 2.2 Kartellverbot des Art. 101 AEUV: horizontale und vertikale Beschränkungen
  • 2.2.1 Einordnung und Ziele
  • 2.2.2 Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 101 Abs. 1 AEUV
  • 2.2.3 Freistellungsvoraussetzungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV
  • 2.3 Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV
  • 2.3.1 Normzweck und Schutzrichtungen des europäischen Missbrauchsverbots
  • 2.3.2 Definition des relevanten Marktes
  • 2.3.3 Tatbestandliche Voraussetzung des Art. 102 AEUV
  • 2.4 Konzernrechtliche Haftung im europäischen Wettbewerbsrecht
  • 3 Darstellung der wettbewerbsökonomischen Grundlagen
  • 3.1 Grundlagen und theoriengeschichtlicher Kurzüberlick von Wettbewerbskonzeptionen
  • 3.2 Darstellung von Verfahren zur Bestimmung von Marktmacht und Marktabgrenzung
  • 3.3 Unvollständiger Wettbewerb auf Anbieterseite: Funktionsweise, Marktverhalten und Wirkungen eines natürlichen Monopols
  • 3.3.1 Industrieökonomische Grundlagen und Wohlfahrtsbetrachtungen bei Monopolen
  • 3.3.2 Charakteristika natürlicher Monopole
  • 3.3.3 Regulierungserfordernis bei natürlichen Monopolen
  • 3.3.4 Regulierungsverfahren bei natürlichen Monopolen
  • 3.4 Unvollkommener Wettbewerb auf Nachfrageseite: Monopsone und Countervailing Power
  • 3.5 Spezifikationen von Onlinemärkten
  • 3.6 Konzept und ökonomische Besonderheiten mehrseitiger Märkte
  • 3.6.1 Grundlegende Charakteristika
  • 3.6.2 Preisstrukturen, Preisarten und Externalitäten auf mehrseitigen Märkten
  • 3.6.3 Wohlfahrtseffekte auf zweiseitigen Märkten und Beeinflussung der Marktstrukturen
  • 4 Darstellung und ökonomische Beurteilung wettbewerblicher Beschränkungen
  • 4.1 Wettbewerbspolitische Beurteilung horizontaler und vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen durch Kartellverhalten und kollusive Absprachen
  • 4.1.1 Explikation der Kartelllösung und Deskription kartellstabilisierender Determinanten
  • 4.1.2 Arten wettbewerblicher Beschränkungen durch Kartellverhalten
  • 4.1.2.1 Resale Price Maintenance
  • 4.1.2.2 Double Marginalisation
  • 4.1.2.3 Exklusivitätsvereinbarungen
  • 4.1.2.4 Pricing Rules
  • 4.2 Missbräuchliche Praktiken marktbeherrschender Unternehmen
  • 4.2.1 Allgemein
  • 4.2.2 Ökonomische Aspekte des Ausbeutungsmissbrauchs
  • 4.2.2.1 Einführung
  • 4.2.2.2 Preishöhenmissbrauch
  • 4.2.2.3 Preisdiskriminierung
  • 4.2.3 Ökonomische Betrachtung des Behinderungswettbewerbs
  • 4.2.3.1 Einführung
  • 4.2.3.2 Predatory Pricing
  • 4.2.3.3 Limit Pricing
  • 4.2.3.4 Rabattsysteme und Preisdiskriminierung
  • 4.2.3.5 Kosten-Preis-Schere
  • 4.2.3.6 Kopplungsbindungen
  • 4.2.3.7 Essential Facilities
  • 4.2.3.8 Boykottierung, Geschäfts- und Lieferverweigerungen
  • 4.2.3.9 Economics of Flat-Rate-Tariffs
  • 4.2.4 Wettbewerbspolitische Konsequenzen
  • 4.3 Beurteilung wettbewerblicher Beschränkungen auf zweiseitigen Märkten
  • 5 Anwendung auf den Amazon Konzern
  • 5.1 Einleitung
  • 5.1.1 Darstellung der wesentlichen Unternehmenscharakteristika
  • 5.1.2 Beschreibung der Märkte und Marktabgrenzungsfragen
  • 5.2 Internationale Anwendbarkeit der europäischen Wettbewerbsregeln auf Amazon
  • 5.3 Explikation potentieller Wettbewerbsverstöße
  • 5.3.1 Einleitung
  • 5.3.2 Horizontale Verdrängungsstrategien und Monopolisierung
  • 5.3.2.1 Predatory Pricing und Schaffung von Inkompatibilitäten
  • 5.3.2.2 Verdrängung des Offline-Handels und der Printbooks
  • 5.3.2.3 Natürliches Monopol mit Verdrängungswirkungen auf Plattformmärkten
  • 5.3.2.4 Verwendung von Meistbegünstigungsklauseln
  • 5.3.3 Unfaires und unlauteres Wettbewerbsverhalten: Angaben falscher UVP und gefälschte Produktrezensionen
  • 5.3.4 Exklusivitätsvereinbarungen
  • 5.3.5 Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung auf vertikaler Ebene
  • 5.3.6 Flatrate-Tarife
  • 5.3.7 Gesamtbeurteilung: wettbewerbsschädigendes oder wettbewerbsvorteilhaftes Konzernverhalten
  • 6 Erfordernis und Ausgestaltung eines wettbewerbspolitischen Eingriffs beziehungsweise einer wettbewerbsrechtlichen Regulierung
  • 7 Fazit und Ausblick
  • Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Inhaltliche Komponenten des More Economic Approach

Abbildung 2: Formen missbräuchlicher Verhaltensweisen im Rahmen des Art. 102 AEUV

Abbildung 3: Marktergebnis und Preisbildung beim Monopol im Unterschied zur vollkommenen Konkurrenz

Abbildung 4: Natürliches Monopol im Falle sinkender Durchschnittskosten

Abbildung 5: Einflussfaktoren für die Konzentrationsstärke von zweiseitigen Märkten

Abbildung 6: Darstellung der Kartelllösung bei Hardcore-Kartellen aus ökonomischer Sicht

Abbildung 7: Spieltheoretisches Beispiel zum Gefangenendilemma bei Kartelle

Abbildung 8: Determinanten der Kartellstabilität

Abbildung 9: Verlust- und Gewinnsituation beim Predatory Pricing

Abbildung 10: Logo der Amazon.com, Inc.

Abbildung 11: Konzernstrukturen und Dienste der Amazon.com, Inc.

Abbildung 12: Einflussfaktoren des zweiseitigen Marktes bei dem Amazon Konzern

Abbildung 13: Gegenüberstellung der Amazon Verkaufspreisentwicklungen nach Einführung des Agency Models

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1 Einführung

1.1 Explikation der Frage- und Problemstellung

„Amazon.com, the giant online retailer, has too much power, and it uses that power in ways that hurt America.“1

Selten hat ein wettbewerbspolitischer Fall so viel Interesse und Kontroversen hervorgerufen wie der E-Book Fall rund um Amazon, bei dem führende Verlage und große Unternehmen wie Apple involviert sind. Doch dieser spiegelt nur eine von vielen unternehmerischen Vorgehensweisen Amazons wider. In Anlehnung an das zentrale Leitbild des europäischen Wettbewerbsrechts, ein System des freien, unverfälschten und wirksamen Wettbewerbs zu schaffen und gewähren,2 beschäftigt sich diese Arbeit mit den ökonomischen Auswirkungen zahlreicher, zunehmend in die Diskussion geratenener Verhaltensweisen des US-amerikanischen Konzerns Amazon. Von welcher Brisanz der „Amazon-Fall“ ist und wie sehr der Fokus zunehmend auf diesen Internetgiganten gelenkt wird, zeigt auch das kürzlich eingeleitete Prüfverfahren der Europäischen Kommission, welches die von Amazon auferlegte Informationspflicht der Verleger über eine etwaige Gewährung günstigerer Konditionen an andere Wiederverkäufer zum Gegenstand hat.3

Im Mittelpunkt der Betrachtungen rund um Amazon steht die Feststellung, dass Wettbewerb als anonymer und dezentraler Kontroll- und Steuerungsmechanismus insoweit nicht „self-maintaining“ ist, sondern durch die verschiedensten Strategien eines Unternehmens beziehungsweise rechtlich oder faktisch aufgrund nicht kompetitiver Marktstrukturen beschränkt werden kann.4 Daher gilt es zum einen zu untersuchen, ob die dominante Marktstellung des Online-Händlers und Plattformbetreibers Folge fehlenden Wettbewerbs aufgrund hoher Eintrittsbarrieren ist oder ob das Unternehmen Amazon lediglich Vorteile der modernen Technologie und des Internets als entscheidenden Wettbewerbsvorteil für sich nutzt. Zum anderen sollen die dem Amazon Konzern entgegengebrachten Vorwürfe, sich sowohl in einem horizontalen Verhältnis als auch auf vertikaler Ebene wettbewerbswidrigen Geschäftspraktiken anzunehmen, ermittelt und beleuchtet werden, um die nicht nur von dem bekannten Ökonomen Paul Krugman ausgehende Forderung nach wettbewerbspolitischen Maßnahmen gegen Amazon zu ergründen.

Bei den dafür anzustrengenden Analysen ist neben den ökonomischen Besonderheiten von Onlinemärkten auch die wachsende ökonomische Bedeutung mehrseitiger Märkte einzubeziehen, wobei auch dargelegt werden soll, inwieweit die Besonderheiten mehrseitiger Märkte bei der Beurteilung etwaiger Wettbewerbsbeschränkungen ← 17 | 18 → Berücksichtigung erlangen müssen, um entsprechende Fehlinterpretationen zu vermeiden. So können möglicherweise etwaige Beschränkungen des Amazon Konzerns auf einem zweiseitigen Markt wie dem Amazon Marketplace aufgrund indirekter Netzwerkeffekte der verbundenen Marktseiten Anlass zur Überprüfung allgemeiner wettbewerblicher Einschätzungen geben. Auf diese Weise umfasst die Analyse des „Amazon-Falls“ stellvertretend auch die ökonomische Analyse neuer Wettbewerbsprobleme moderner Medien wie Internetplattformen und Digitalisierungen (E-Books).

Vor dem Hintergrund der Brisanz um ähnlich gelagerte Fälle wie Google, eBay oder Facebook stellt sich bei all diesen Internetunternehmen zudem die Frage danach, ob wir es mit „monopoly firms that mainly try to foreclose their markets through anticompetitive behavior?“5 zu tun haben. Von Relevanz ist es daher auch aufzuzeigen, wie die anerkannte fundamentale Hürde, zwischen einem pro- und einem anti-kompetitiven Verhalten korrekt zu differenzieren,6 in Bezug auf Amazon zu überwinden ist, um mithin die entscheidende Frage zu beantworten, ob in dem Online-Händler Amazon überhaupt der oftmals so betitelte „Bösewicht“ zu sehen ist. Denn erst auf dieser Grundlage kann eine Beurteilung erfolgen, ob bei dem Online-Händler ein derart gewichtiges wettbewerbswidriges Verhalten identifiziert werden kann, das einen wettbewerbspolitischen Eingriff oder gar eine Regulierung auf europäischer Ebene erfordert, wobei, da „antitrust has become infused with economics“,7 stets die Verbindung zwischen der Wettbewerbsökonomie und dem europäischen Wettbewerbsrecht zu suchen ist.

1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

Elementarer inhaltlicher Kern dieser Arbeit ist es, die wettbewerbspolitischen Vorwürfe gegenüber Amazon systematisch zu erarbeiten und auf der Basis ökonomisch-theoretischer Überlegungen zu würdigen. Dabei gilt es die Auswirkungen der einzelnen Verhaltensweisen auf den tangierten Märkten zu erschließen sowie wohlfahrtsökonomische Erwägungen anzustellen. Die Untersuchungsergebnisse sollen dabei dem fundamentalen Ziel dieser Arbeit dienen, das darin besteht, eine Antwort auf die sich aus der aktuellen Medienbrisanz um Internetplattformen ergebende Frage zu finden, ob „Amazon as the Next Google“ einzuordnen ist.8 ← 18 | 19 →

Um diesen praxisbezogenen, wettbewerbsrelevanten Fall eingehend zu beleuchten, weist die vorliegende Arbeit die folgende Strukturierung auf:

Zunächst wird im zweiten Kapitel ein Überblick über die rechtlich-institutionellen Grundlagen der europäischen Wettbewerbspolitik gewährt. Dieser beinhaltet eine Darstellung der grundlegenden europäischen Wettbewerbsregeln, wobei insbesondere mit Blick auf die dem Amazon Konzern entgegengebrachten Vorwürfe eine Fokussierung des im Art. 101 AEUV vorgesehenen Verbots der Kartellierung und des in Art. 102 AEUV geregelten Verbots des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung erfolgt.

Um dem interdisziplinären Zusammentreffen von Recht und Ökonomie im Rahmen des Wettbewerbsrecht beziehungsweise der Wettbewerbspolitik gerecht zu werden, sieht das nachfolgende dritte Kapitel eine allgemeine Erläuterung der wettbewerbsökonomischen Grundlagen und Effizienzziele vor. Neben der Darstellung von Verfahren zur Bestimmung der Marktmacht werden in diesem Abschnitt zudem die Besonderheiten und Wirkungen eines natürlichen Monopols aufgezeigt, wobei auch auf etwaige Regulierungsmöglichkeiten eingegangen wird. Im Gegenzug schließt sich eine Betrachtung des unvollkommenen Wettbewerbs auf der Nachfrageseite durch Monopsone an. Im weiteren Verlauf werden zudem die besonderen Spezifikationen von Onlinemärkten beschrieben. Speziell im Fokus des dritten Kapitels steht dabei das Konzept mehrseitiger Märkte, dessen besondere Strukturen eine eingehende Betrachtung insbesondere von Preisstrukturen sowie wohlfahrtsökonomischen Aspekten verlangen.

Im vierten Kapitel erfolgt eine umfassende Darstellung und Diskussion der Auswirkungen wettbewerblicher Beschränkungen. Dieses beinhaltet unter anderem die Explikation der Kartelllösung, wobei zahlreiche Arten wettbewerblicher Beschränkungen im Rahmen einer Kartellierung sowohl auf horizontaler als auch auf vertikaler Ebene aufgezeigt werden. Weiterhin werden einseitige missbräuchliche Praktiken in Form des Ausbeutungs- und Behinderungsmissbrauchs wie ein Predatory Pricing vorgestellt und in Hinblick auf die Effekte für den Wettbewerb erörtert. Speziell herausgearbeitet werden unter diesem Abschnitt zudem die besonderen Anforderungen an eine Beurteilung wettbewerblicher Beschränkungen auf zweiseitigen Märkten.

Im fünften Kapitel erfolgt eine Transferleistung der vorangestellten theoretischen Überlegungen auf den Amazon Konzern: Dabei wird zunächst eine Darstellung des Unternehmens einschließlich Erläuterung der gesellschaftsrechtlichen Strukturen vorgenommen. Im Anschluss folgt eine Beschreibung der Märkte, auf denen Amazon seine umfassende unternehmerische Tätigkeit ausübt. Da es sich bei Amazon um einen US-amerikanischen Mutterkonzern handelt, der jedoch global durch zahlreiche Tochtergesellschaften agiert, wird im Folgenden die internationale Anwendbarkeit der europäischen Wettbewerbsregeln im Rahmen der ← 19 | 20 → Effects Doctrine erarbeitet. Im Einzelnen erfolgen dann Beschreibungen und kritische Auseinandersetzungen mit den Verhaltensweisen und Geschäftspraktiken Amazons: So werden insbesondere horizontale Verdrängungsstrategien gegenüber Einzelhändlern, ein unfaires Wettbewerbsverhalten durch die Angabe falscher UVP und unrichtiger Produktrezensionen sowie ein Missbrauch der marktdominanten Position auf einer vertikalen Ebene untersucht. Dieser Schritt begründet dabei auch den wesentlichen Forschungsbeitrag dieser Arbeit, der gerade darin besteht, die weitreichenden wettbewerbspolitischen Vorwürfe, die gegen den Amazon Konzern gerichtet werden, einer ökonomischen Würdigung zu unterziehen und als anti- beziehungsweise pro-kompetitives Verhalten zu bewerten. Im Rahmen der Untersuchungen wird aufgezeigt, dass zwischen den einzelnen Geschäftspraktiken streng differenziert werden muss. Entgegen der in der Literatur und Medien zu findenden Annahmen können tatsächlich nur einige von Amazons Strategien als wettbewerbsschädigend eingeordnet werden. Insoweit kann Amazon auch allenfalls in Teilen als „transatlantischer Bösewicht“ deklariert werden.

Basierend auf einer Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse zu dem wettbewerbspolitischen Verhalten Amazons wird im sechsten Kapitel die Frage beleuchtet, inwieweit das Verhalten des zunehmend marktmächtigen Unternehmens Amazon einen wettbewerbspolitischen Eingriff oder gar eine wettbewerbsrechtliche Regulierung auf europäischer Ebene erfordert, um dem Amazon Konzern in Bezug auf einzelne, als wettbewerbswidrig zu bewertende Geschäftspraktiken adäquat zu begegnen. Hieran anknüpfend werden zur Ausgestaltung einer wettbewerbspolitischen Regulierung von Internetplattformen neuartige Ansätze wie der More Technological Approach oder die Implementierung einer eigenen Regulierungsbehörde vorgestellt, die der Berücksichtigung der besonderen Charakteristika von Onlinemärkten und mehrseitigen Marktstrukturen dienen sollen.

Das siebte Kapitel schließt mit einem Fazit sowie einem entsprechenden Ausblick auf die zukünftige Entwicklung rund um den „Amazon-Fall“ ab, der Raum für wettbewerbspolitische Maßnahmen schafft.


1 Krugman (2014).

2 Mäger (2011b), S. 40, Rn. 1.

3 Streitfeld & Scott (2015).

4 Schmidt & Haucap (2013), S. 150.

5 Haucap & Heimeshoff (2013), S. 2.

6 Dorsey & Jacobsen (2014), S. 24.

7 Baker & Bresnahan (2008), S. 2.

8 Das gegen Google von der US Federal Trade Commission geführte Verfahren wurde im Januar 2013 beendet. Der gegen den Suchmaschinenanbieter gerichtete Vorwurf umfasste nach Hauck (2015), S. 54 den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung sowie speziell die Manipulation von Suchergebnissen „to favor its own (vertical) e-commerce services (so-called search-bias allegation).“ Ausführlich zum „Google-Fall“ siehe auch Argenton & Prüfer (2012), Bork & Sidak (2012), Haucap (2012), Manne & Wright (2011), Pollock (2010), Hauck (2015), S. 53 ff. sowie Kerkmann (2015).

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2 Rechtlich-institutionelle Grundlagen der europäischen Wettbewerbspolitik

2.1 Einordnung der europäischen Wettbewerbsregeln

2.1.1 Rechtliche Grundlagen und unmittelbare Anwendbarkeit

Die vorwiegend im AEUV verankerten europäischen Wettbewerbsregeln, die die fundamentalen Bedingungen für das Funktionieren eines einheitlichen Binnenmarktes darstellen,9 werden gemäß der in Art. 3 Abs. 1 b) AEUV vorgesehenen ausschließlichen Zuständigkeit durch die Europäische Union bestimmt. Das wirtschaftspolitische Ziel der Union sieht dabei gem. der Art. 119 Abs. 1, 120 AEUV eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb vor, wobei der Wettbewerb grundlegend durch die Art. 34 AEUV und Art. 56 AEUV ermöglicht wird. Vor diesem Hintergrund sind als die beiden grundlegenden und komplementären Elemente des Wettbewerbsrechts mithin der Schutz des Wettbewerbs auf dem Markt und die Verhinderung von Markteintrittsbarrieren auszumachen.10

Der Wettbewerb ist dabei, basierend auf dem unmittelbar in Art. 101, 102 AEUV verwirklichten System des unverfälschten Wettbewerbs,11 insbesondere auch vor privaten Wettbewerbsbeschränkungen zu schützen.12 Auf diese Weise haben die europäischen Wettbewerbsregeln auch einen positiven Einfluss auf Wohlfahrtseffekte und Effizienzen13 und nehmen dementsprechend neben den Grundfreiheiten eine Schlüsselrolle für die verfassungsmäßige Ordnung der Wirtschaft ein,14 wobei ihnen das wesentliche Verständnis zugrundeliegt, dass effektiver Wettbewerb in einem Markt im Gegensatz zu staatlicher Kontrolle oder privater Monopole den besten Mechanismus für eine effiziente Ressourcenallokation darstellt.15 ← 21 | 22 →

Die europäischen Wettbewerbsregeln stellen gemäß Art. 1 VO 1/200316 keine Ermächtigungsnormen dar. Vielmehr kommt ihnen eine grundlegende Geltung unabhängig von einer vorhergehenden konstitutiven Entscheidung der Wettbewerbsbehörden zu.17 Lediglich zu deren Durchsetzung in Verwaltungs- und Bußgeldverfahren existieren entsprechende Ausführungsvorschriften.18 Somit beinhaltet beispielsweise der im Folgenden näher zu betrachtende Art. 102 AEUV ein unmittelbar wirkendes Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung.19 Die primärrechtlichen Art. 101–106 AEUV begründen darüber hinaus für Unternehmen unmittelbar anwendbare Wettbewerbsregeln und sind insoweit also self-executing, das heißt, dass Unternehmen und Personen, die durch das entsprechende Verhalten benachteiligt oder geschädigt werden, direkte Rechte aus den Vorschriften ableiten können und die erfahrenen Nachteile nach dem so genannten Verbotsprinzip direkt vor einem nationalen Gericht rügen können.20

Details

Seiten
359
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653068146
ISBN (ePUB)
9783653961928
ISBN (MOBI)
9783653961911
ISBN (Hardcover)
9783631672495
DOI
10.3726/978-3-653-06814-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (März)
Schlagworte
Wettbewerbspolitische Regulierung Internetökonomie Internationales Wettbewerbsrecht Wettbewerbsbeschränkungen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 359 S., 13 Graf.

Biographische Angaben

Karoline Henrike Köhler (Autor:in)

Die Autorin ist Absolventin der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften sowie Unternehmerin. Ihr beruflicher Werdegang ist auf eine interdisziplinäre Tätigkeit zwischen Wirtschaft und Recht ausgerichtet. Sie wurde an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Medien der Technischen Universität Ilmenau promoviert.

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