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Deutsch-türkische Beziehungen

Historische, sektorale und migrationsspezifische Aspekte

von Wolfgang Gieler (Band-Herausgeber:in) Burak Gümüș (Band-Herausgeber:in) Yunus Yoldaş (Band-Herausgeber:in)
©2017 Sammelband 766 Seiten

Zusammenfassung

Dieser Sammelband bietet einen umfassenden und aktuellen Einblick in die Geschichte, Dimensionen, Sachthemen und migrationsspezifische Aspekte der deutsch-türkischen Beziehungen aus der Sicht von Experten aus der Türkei und Deutschland.
Das Buch skizziert die Geschichte der deutsch-türkischen Beziehungen seit den osmanisch-preußischen bzw. osmanisch-habsburgischen Beziehungen bis in die Gegenwart und thematisiert historische sowie aktuelle Beispiele.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Teil A. Historische Dimension deutsch-türkische Beziehungen
  • Die deutsch-türkischen Beziehungen in historischer Perspektive (Tilman Lüdke)
  • Die deutsch-türkischen Beziehungen – Vom Anwerbeabkommen bis zur Gegenwart (Wolfgang Gieler)
  • Die osmanisch-habsburgische Konfrontation in Ungarn im 16. Jahrhundert: Süleyman der Prächtige, Ferdinand I. und Johann Zápolya (Yusuf Yıldız)
  • Die deutsch-osmanischen Beziehungen: Persönliche Freundschaft zweier Monarchen oder pragmatisches Zweckbündnis? (Thomas Weiberg)
  • Über die ambivalente Türkei-Politik des Deutschen Kaiserreiches (Şahin Ali Söylemezoğlu)
  • Deutsche Waffen- und Kriegsmateriallieferungen an das Osmanische Reich während der Schlacht um die Dardanellen (Fahri Türk)
  • Die deutsch-türkischen Beziehungen in der Weimarer Republik (Mehmet Oyran)
  • Die Interdependenz der politischen und wirtschaftlichen Ebene in den deutsch-türkischen Beziehungen zwischen 1933 und 1945 (Meral Avcı)
  • Die deutsch-türkische Beziehungen unter besonderen Berücksichtigung der dritten Amtszeit von Merkel (2013–2016) – eine schwierige oder eine strategische Partnerschaft? (İsmail Ermağan)
  • Teil B.Sektorale Aspekte der Deutsch-türkischen Beziehungen
  • Die Bürgerschaftspolitik der Türkei und Deutschlands im Vergleich (Olaf Leiße / Mehmet Bardakçı)
  • Neue Entwicklungen in den deutsch-türkischen Beziehungen (Hakkı Keskin)
  • Deutsch-türkische Städtepartnerschaften als Träger der kommunalen Außenpolitik – Völkerverständigung für eine gerechtere Stadtpolitik und zu Zukunftsthemen (Dirk Tröndle)
  • Cultural Diplomacy – kulturelle Aspekte der deutsch-türkischen Beziehungen (Özlem Becerik Yoldaş / Yunus Yoldaş)
  • Mehr Kampf oder Kultur? – Die deutsch-türkischen Kulturbeziehungen (Hakan Çetinyılmaz / Zehra Wellmann)
  • „Deutsche Sichtweisen – türkische Realitäten“: Über die deutsche Rezeption der Türkei (O. Can Ünver)
  • Deutschlands Rolle beim Flüchtlingsabkommen der Europäischen Union mit der Türkei – Eine Zäsur in der deutschen Türkei-Politik? (Yaşar Aydın / Ebru Turhan)
  • Die Auswirkungen der deutschen Nahostpolitik auf die deutsch-türkischen Beziehungen (Mehmet Öcal)
  • Rechts(un)sicherheit in den EU-Türkei-Beziehungen unter Berücksichtigung der deutschen Migrationspolitik (Harun Gümrükçü)
  • Teil C.Migration als Brücke der deutsch-türkischen Beziehungen
  • Die Türkei als Exilland deutschsprachiger Juden sowie politischer Oppositioneller zwischen 1933 und 1945 (Martin Schwarz)
  • Geschichte der Türken in Deutschland (Yasin Baş)
  • Transnationale Remigration nach Deutschland (Caner Aver / Burak Gümüş)
  • Temporale Umwandlungen: Kulturelle Hegemonie und der ‚Dritte Raum’ (Ülkü Güney)
  • Die Aleviten-Frage unter der AKP-Regierung im Kontrast zur Situation der Aleviten in Deutschland (Handan Aksünger / Burak Çopur)
  • Über Türkei-kritische Handlungen der Alevitischen Gemeinde in Deutschland in der AKP-Ära als Reaktion auf Diskriminierung (Burak Gümüş)
  • Juristische Auswirkungen des neuen Flüchtlingszustroms auf die deutsch-türkischen Beziehungen (Kutluhan Bozkurt)
  • Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration schaffen und nutzen (Serap Güler, MdL)
  • Appendix
  • Zeittafel der deutsch-türkischen Beziehungen
  • Allgemeines Glossar
  • Karten
  • Über die Autorinnen und Autoren
  • Die Herausgeber

Wolfgang Gieler / Burak Gümüş / Yunus Yoldaş (Hrsg.)

Deutsch-türkische Beziehungen

Historische, sektorale und
migrationsspezifische Aspekte

Herausgeberangaben

Wolfgang Gieler ist Professor am Fachbereich der Friedrich-Schiller Universität Jena und am Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Dortmund.

Burak Gümüs¸ ist Assoziierter Professor an der Fakultät für Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaft der Trakya Universität, Edirne, Türkei.

Yunus Yoldas¸ ist Assozierter Professor an der Fakultät für Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften der Bozok Universität Yozgat, Türkei.

Über das Buch

Dieser Sammelband bietet einen umfassenden und aktuellen Einblick in die Geschichte, Dimensionen, Sachthemen und migrationsspezifische Aspekte der deutsch-türkischen Beziehungen aus der Sicht von Experten aus der Türkei und Deutschland.

Das Buch skizziert die Geschichte der deutsch-türkischen Beziehungen seit den osmanisch-preußischen bzw. osmanisch-habsburgischen Beziehungen bis in die Gegenwart und thematisiert historische sowie aktuelle Beispiele.

Zitierfähigkeit des eBooks

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Teil A. Historische Dimension deutsch-türkische Beziehungen

Tilman Lüdke

Die deutsch-türkischen Beziehungen in historischer Perspektive

Wolfgang Gieler

Die deutsch-türkischen Beziehungen – Vom Anwerbeabkommen bis zur Gegenwart

Yusuf Yıldız

Die osmanisch-habsburgische Konfrontation in Ungarn im 16. Jahrhundert: Süleyman der Prächtige, Ferdinand I. und Johann Zápolya

Thomas Weiberg

Die deutsch-osmanischen Beziehungen: Persönliche Freundschaft zweier Monarchen oder pragmatisches Zweckbündnis?

Şahin Ali Söylemezoğlu

Über die ambivalente Türkei-Politik des Deutschen Kaiserreiches

Fahri Türk

Deutsche Waffen- und Kriegsmateriallieferungen an das Osmanische Reich während der Schlacht um die Dardanellen

Mehmet Oyran

Die deutsch-türkischen Beziehungen in der Weimarer Republik

Meral Avcı

Die Interdependenz der politischen und wirtschaftlichen Ebene in den deutsch-türkischen Beziehungen zwischen 1933 und 1945←5 | 6→

İsmail Ermağan

Die deutsch-türkische Beziehungen unter besonderen Berücksichtigung der dritten Amtszeit von Merkel (2013–2016) – eine schwierige oder eine strategische Partnerschaft?

Teil B. Sektorale Aspekte der Deutsch-türkischen Beziehungen

Olaf Leiße und Mehmet Bardakçı

Die Bürgerschaftspolitik der Türkei und Deutschlands im Vergleich

Hakkı Keskin

Neue Entwicklungen in den deutsch-türkischen Beziehungen

Dirk Tröndle

Deutsch-türkische Städtepartnerschaften als Träger der kommunalen Außenpolitik – Völkerverständigung für eine gerechtere Stadtpolitik und zu Zukunftsthemen

Özlem Becerik Yoldaş und Yunus Yoldaş

Cultural Diplomacy – kulturelle Aspekte der deutsch-türkischen Beziehungen

Hakan Çetinyılmaz und Zehra Wellmann

Mehr Kampf oder Kultur? – Die deutsch-türkischen Kulturbeziehungen

O. Can Ünver

„Deutsche Sichtweisen – türkische Realitäten“: Über die deutsche Rezeption der Türkei

Yaşar Aydın und Ebru Turhan

Deutschlands Rolle beim Flüchtlingsabkommen der Europäischen Union mit der Türkei – Eine Zäsur in der deutschen Türkei-Politik?

Mehmet Öcal

Die Auswirkungen der deutschen Nahostpolitik auf die deutsch-türkischen Beziehungen←6 | 7→

Harun Gümrükçü

Rechts(un)sicherheit in den EU-Türkei-Beziehungen unter Berücksichtigung der deutschen Migrationspolitik

Teil C. Migration als Brücke der deutsch-türkischen Beziehungen

Martin Schwarz

Die Türkei als Exilland deutschsprachiger Juden sowie politischer Oppositioneller zwischen 1933 und 1945

Yasin Baş

Geschichte der Türken in Deutschland

Caner Aver und Burak Gümüş

Transnationale Remigration nach Deutschland

Ülkü Güney

Temporale Umwandlungen: Kulturelle Hegemonie und der ‚Dritte Raum’

Handan Aksünger und Burak Çopur

Die Aleviten-Frage unter der AKP-Regierung im Kontrast zur Situation der Aleviten in Deutschland

Burak Gümüş

Über Türkei-kritische Handlungen der Alevitischen Gemeinde in Deutschland in der AKP-Ära als Reaktion auf Diskriminierung

Kutluhan Bozkurt

Juristische Auswirkungen des neuen Flüchtlingszustroms auf die deutsch-türkischen Beziehungen

Serap Güler, MdL

Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration schaffen und nutzen←7 | 8→

Appendix

Zeittafel der deutsch-türkischen Beziehungen

Allgemeines Glossar

Karten

Über die Autorinnen und Autoren

Die Herausgeber←8 | 9→

Einleitung

Der Sammelband thematisiert die deutsch-türkischen Beziehungen. In insgesamt drei Abschnitten – historisch, sektoral und migrationsspezifisch – werden die jeweiligen Aspekte im Beziehungsgeflecht der beiden Staaten beleuchtet.

Die einleitenden Beiträge über die Geschichte der deutsch-türkischen Beziehungen von Tilman Lüdke und von Wolfgang Gieler skizzieren jeweils einen historischen Abriss von den preußisch-osmanischen Beziehungen bzw. vom Anwerbeabkommen bis in die Gegenwart, während Yavuz Yıldız die „osmanisch-habsburgische Konfrontation in Ungarn im 16. Jahrhundert“ behandelt. In dem Themenbereich über die Beziehungen zwischen dem deutschen Kaiserreich und den Spät-Osmanen betont Thomas Weiberg in „Die deutsch-osmanischen Beziehungen: Persönliche Freundschaft zweier Monarchen oder pragmatisches Zweckbündnis?“ das persönliche Verhältnis zwischen Wilhelm II. und Abdülhamid II., wohingegen Şahin Ali Söylemezoğlu auf „die ambivalente Türkei-Politik des Deutschen Kaiserreiches“ eingeht und die geopolitisch-zweckrationalen Interessenserwägungen des wilhelminischen Kaiserreichs gegenüber der osmanischen Türkei zwischen der Bismarck-Ära bis zum Ersten Weltkrieg thematisiert.

„Deutsche Waffen- und Kriegsmaterialexporte an die Türkei während der Schlacht um die Dardanellen“ sind der Gegenstand der Ausführungen von Fahri Türk. Mehmet Oyran untersucht in seinem Beitrag „Die deutsch-türkischen Beziehungen in der Weimarer Republik“ die zwischenstaatlichen Beziehungen. In ihren Ausführungen über „Die Interdependenz der politischen und wirtschaftlichen Ebene in den deutsch-türkischen Beziehungen zwischen 1933 und 1945“ arbeitet Meral Avcı die Beziehungen zwischen den Kemalisten und den Nationalsozialisten heraus, während İsmail Ermağan im Rahmen der „deutsch-türkischen Beziehungen in der dritten Amtsperiode von Bundeskanzlerin Angela Merkel (2013–2016)“ eine Antwort auf die Frage sucht, inwieweit das bilaterale Verhältnis gegenwärtig als strategisch zu charakterisieren ist bzw. wechselseitig als vorteilhaft zu betrachten wäre.←9 | 10→

Der Abschnitt über die sektoralen Dimensionen der Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei wird mit einem Beitrag von Olaf Leiße und Mehmet Bardakçı eingeleitet, der die „Bürgerschaftspolitik der Türkei und Deutschlands im Vergleich“ zum Thema hat. Hakkı Keskin analysiert „Neue Entwicklungen in den deutsch-türkischen Beziehungen“ wie z. B. dem Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei sowie andere Streitthemen zwischen Berlin und Ankara, während Dirk Tröndle „Deutsch-türkische Städtepartnerschaften als Träger der kommunalen Außenpolitik“ untersucht. Özlem Becerik Yoldaş und Yunus Yoldaş stellen in ihrem Beitrag die kulturelle Diplomatie auf der Grundlage der deutsch-türkischen Beziehungen in den Mittelpunkt ihrer Analyse. Darüber hinaus wird eine Antwort auf die Frage gesucht, ob und wie kulturelle Diplomatie erfolgreich helfen kann, enge Beziehungen in sozialen und kulturellen Bereichen zu knüpfen.

Hakan Çetinyılmaz und Zehra Wellmann erläutern in ihrem Beitrag „Mehr Kampf oder Kultur? – Die deutsch-türkischen Kulturbeziehungen“ die Instrumente der deutsch-türkischen Kulturbeziehungen. O. Can Ünver behandelt in seinen Ausführungen unter dem Titel „Deutsche Sichtweisen – türkische Realitäten“ die deutsche Rezeption der Türkei. Yaşar Aydın und Ebru Turhan unterstreichen „Deutschlands Rolle beim Flüchtlingsabkommen der Europäischen Union mit der Türkei“, während Mehmet Öcal eher ein düsteres Bild der „Auswirkungen der deutschen Nahostpolitik auf die deutsch-türkischen Beziehungen“ vermittelt. Harun Gümrükçü stellt eine „Rechts(un)sicherheit in der EU-Türkei-Beziehung unter Berücksichtigung der deutschen Migrationspolitik“ fest.

Zu Beginn des letzten Abschnitts über die Migrationsdimension der deutsch-türkischen Beziehungen analysiert Martin Schwarz die „Türkei als Exilland deutschsprachiger Juden sowie politischer Oppositioneller zwischen 1933 und 1945“. Yasin Baş stellt die „Geschichte der Türken in Deutschland“ dar. Caner Aver und Burak Gümüş heben die Gründe der Rückkehr der vordergründig deutsch-türkischen TransmigrantInnen aus der Bundesrepublik in ihrem Beitrag über die „Transnationale Remigration nach Deutschland“ hervor, während Ülkü Güney den Einfluss des lokalen ökologischen Umfelds in der Einwanderungsgesellschaft auf die bilateralen Beziehungen auf der Mikroebene in ihrem Beitrag „Temporale Umwandlungen: Kulturelle Hegemonie und der ‚Dritte Raum‘“ herausarbeitet.←10 | 11→

Handan Aksünger und Burak Çopur behandeln die „Alevitenfrage unter der AKP-Regierung im Kontrast zur Situation der Aleviten in Deutschland“, wobei Burak Gümüş als Folgewirkung „Türkei-kritische Handlungen der Alevitischen Gemeinde in Deutschland in der AKP-Ära“ untersucht. Kutluhan Bozkurt skizziert die „juristischen Auswirkungen des neuen Flüchtlingszustroms auf deutsch-türkische Beziehungen“. Schließlich rundet Serap Güler in ihrem Essay über „Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration schaffen und nutzen“ den Band ab.

Das Gelingen eines solchen umfangreichen Grundlagenwerks zu den deutsch-türkischen Beziehungen hängt ganz wesentlich von der Zusammenarbeit vieler Beteiligter ab, denen wir allen herzlich danken möchten. Zunächst gilt unser Dank den zahlreichen Autorinnen und Autoren, die sich auf das Unternehmen eingelassen haben. Sämtliche Beiträge wurden von Kolleginnen und Kollegen verfasst, die sich intensiv mit den behandelten Themen seit Jahren befassen und hier über große Kompetenz verfügen. Ein besonderer Dank der Herausgeber geht an Herrn Dr. Hermann Ühlein und Frau Susanne Hoeves vom Peter Lang Verlag, die das Projekt von Beginn bis zum Abschluss stets durch schnelle, flexible und unbürokratische Zusammenarbeit entscheidend gefördert haben. Des Weiteren bedanken wir uns bei Herrn Dr. Martin Schwarz, der mit großer Einsatzbereitschaft und Zuverlässigkeit eine wesentliche Stütze im Rahmen der redaktionellen Arbeiten war.

Die in diesem Band wiedergegebenen Darstellungen, Analysen, Kommentare und vorgetragenen Meinungen sowie Beiträge stellen keinesfalls Meinungsäußerungen der Herausgeber dar. Die Autorinnen und Autoren sind für die Auswahl der Themeninhalte und für die in diesem Band vertretenen Meinungen selbst allein verantwortlich, und ihre Meinung ist für die Herausgeber nicht bindend.

Die Herausgeber

Wolfgang Gieler, Burak Gümüş, Yunus Yoldaş←11 | 12→ ←12 | 13→

Tilman Lüdke

Die deutsch-türkischen Beziehungen in historischer Perspektive

Einführung

Bevor es an eine Darstellung der deutsch-türkischen Beziehungen in historischer Perspektive gehen kann, muss geklärt sein, was damit gemeint ist: Kontakte zwischen Deutschen und Türken (was immer dadurch zu qualifizieren ist, dass bis vor noch recht kurzer Zeit diese zwei Termini als „Nationalidentitäten“ schlechterdings nicht existierten), oder Kontakte zwischen „Deutschland“ und „der Türkei.“ Auch hier existieren zahlreiche Definitionsprobleme: Ist unter „Deutschland“ schon das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ (das unter diesem Namen erst seit dem späten 15. Jahrhundert bekannt war) zu verstehen, oder erst das seit 1871 bestehende Deutsche Reich und seine Nachfolgerstaaten (Weimarer Republik, Drittes Reich, Bundesrepublik Deutschland bzw. Deutsche Demokratische Republik und schließlich die seit 1990 wiedervereinigte Bundesrepublik Deutschland)? Für die türkische Seite stellt sich die Frage, ob das Osmanische Reich (legal bis 1923 bestehend) als „Türkei“ (oder in manchen Quellen „Alte Türkei“) bezeichnet werden soll, oder ob es sich bei diesem Begriff im engeren Sinne um die im Oktober 1923 proklamierte Türkische Republik handelt.

Zur Klärung dieser Frage(n) scheint es hilfreich, deutsch-türkische Beziehungen im Sinne regelmäßiger und intensiver diplomatischer, später dann auch politischer, militärischer und nicht zuletzt wirtschaftlicher Beziehungen zu verstehen. Dabei lassen sich Kontinuitäten ebenso wie Brüche feststellen. In diesem Beitrag wird hauptsächlich auf die Kontakte zwischen „Deutschland“ und der „Türkei“ auf staatlicher Ebene eingegangen. Die Staaten werden durch ihre Regierungen und Eliten repräsentiert. Dies erscheint einerseits sinnvoll, doch sind „Beziehungen“ natürlich auch auf anderer Ebene denkbar: So hat die Migration von türkischen Staatsbürgern als „Gastarbeiter“ seit den 1960er Jahren zum Entstehen einer mittlerweile mehrere Millionen Menschen türkischstämmigen Hintergrundes umfas←15 | 16→senden Gruppe in der BRD geführt. Viele davon besitzen mittlerweile den deutschen Pass, und verorten sich in sprachlicher wie kultureller Hinsicht eher in Deutschland als in der Türkei. Die verschiedenen Arten der Diskriminierung, denen sich insbesondere junge Angehörige dieser Gemeinschaft gegenübersehen, haben viele von ihnen dazu gebracht, ihre berufliche und persönliche Zukunft in der Türkei zu suchen.

Chronologie

Die deutsch-türkische Interaktion hat eine lange Geschichte und könnte auf einer Vielzahl thematischer Ebenen behandelt werden. Jedoch erscheint das Argument plausibel, dass diese Beziehungen nie zuvor, und nie danach, so intensiv waren wie zwischen der Periode 1914–1945. Auf dieser wird denn auch das Hauptaugenmerk dieses Beitrages liegen. Beziehungen zwischen Preußen – als der zunehmend stärksten Macht unter den deutschen Staaten – und dem Osmanischen Reich reichten zurück bis ins 18. Jahrhundert; schon damals wurden preußische Offiziere als Ausbilder ins Osmanische Reich entsandt, und es kam auch zum Austausch von Botschaftern. Diese Praxis war jedoch noch nicht verstetigt. Zwei Ereignisse waren notwendig, um die Beziehungen zwischen „Deutschland“ und dem Osmanischen Reich zu intensivieren. Einerseits der Krimkrieg: Zwei Jahre nach dessen Ende verkündete das „Hatt-i Humayun“ von 1856 ein weitreichendes Reformprogramm für das Osmanische Reich, das durch den Krieg nun Mitglied des „Konzerts Europa“ geworden war. Die osmanische Regierung war sich bewusst, dass das Reich, wollte es angesichts der drohenden Desintegration durch die verschiedenen Nationalismen im Inneren (v. a. Serben, Griechen, Armenier) und der hieran anknüpfenden Aufspaltung durch die Kolonialmächte von außen überleben, seine Staatsform und den Regierungsapparat gründlich überarbeiten musste.1←16 | 17→

Dabei war den Osmanen nicht verborgen geblieben, dass das Reich unter den großen Mächten keine Freunde hatte; eine Art inoffizieller Allianz bestand bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts mit Großbritannien, dessen Parteinahme für die Osmanen allerdings eher dem Bestreben geschuldet war, Russland vom Vorrücken an die Dardanellen abzuhalten, als genuiner Freundschaft zum Osmanischen Reich. Andere Mächte, insbesondere Frankreich, hatten einen starken kulturellen Einfluss. Doch zum Überleben brauchte das Reich eine befreundete Macht mit vergleichbaren Interessen: Und hier kam das neu gegründete Deutsche Reich nach 1871 ins Spiel.

Das Deutsche Reich wuchs nach seiner Gründung bald zu einer der größten Wirtschaftsmächte der Erde heran. Im Unterschied zu anderen großen Mächten verfolgte es unter Bismarck keine Kolonialpolitik, obwohl es schon in den 1880er Jahren koloniale Gebiete (insbesondere in Afrika und dem pazifischen Raum) erwarb. Die deutsche Regierung fürchtete die außenpolitischen Komplikationen, die sich aus einer deutschen Teilnahme am „kolonialen Rennen“ ergeben konnten. Nach der Entlassung Bismarcks gehörte diese vornehme Zurückhaltung der Vergangenheit an. Deutschland strebte nun, nach den Worten Reichskanzler von Bülows, nach einem „Platz an der Sonne.“

Dies brachte das Deutsche Reich in eine zunehmende Konkurrenz mit dem British Empire.2 Derartige Plätze waren jedoch bis 1914 knapp geworden: Der Nahe und Mittlere Osten war eine der wenigen noch nicht direkt kolonisierten Gebiete der Erde. Vermittels seiner wirtschaftlichen Stärke konnte sich das Deutsche Reich erhoffen, in diesem Gebiet Fuß zu fassen. „Semi-koloniale“ Pläne, wie die Schaffung großer deutscher agrarischer Betriebe mit gleichzeitiger Ansiedelung deutscher Siedler kamen in den 1890er Jahren auf, wurden jedoch nicht in die Tat umgesetzt.3 Auf der anderen Seite wurden deutsche Kapitalgeber tonangebend bei großen Eisenbahnprojekten im Osmanischen Reich – sowohl bei der „Anatolischen Eisenbahngesellschaft“ wie auch bei der „Bagdadbahn“ kam der größte←17 | 18→ Teil der Gelder aus Deutschland. Trotz dieser wirtschaftlichen Aktivitäten des Deutschen Reiches im Osmanischen Reich bestand jedoch bis zur Revolution von 1908 eine Art inoffizieller Allianz zwischen der Türkei und Großbritannien. London hatte sich zum Ziel gesetzt, Russland den Weg an die Meerengen zu verbauen und somit das Osmanische Reich als Pufferstaat unterstützt. In den sechs Jahren zwischen 1908 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges sollte sich dies deutlich ändern: 1914 schlossen das Deutsche und das Osmanische Reich ein Bündnis, und im November des Jahres trat die Türkei in den Ersten Weltkrieg ein. Dies sollte den Beginn einer Phase markieren, in dem Deutschland und die Türkei mit die engsten Beziehungen pflegten.

Das deutsch-osmanische Bündnis und der Erste Weltkrieg

Wenn der Erste Weltkrieg laut Wolfgang Mommsen die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ war, so könnte man den Ersten Weltkrieg als ultimative Katastrophe des Osmanischen Reiches bezeichnen. In der kemalistischen Geschichtsschreibung werden für diese Katastrophe die Jungtürken verantwortlich gemacht: Sie seien politische Abenteurer gewesen, die das Reich in ein Bündnis mit Deutschland und den Ersten Weltkrieg hineintrieben und so seinen Untergang herbeiführten. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass das Osmanische Reich 1914 außenpolitisch isoliert und im Inneren durch vielerlei vom Westen durchgesetzte Maßnahmen – insbesondere die Kapitulationen und die Öffentliche Schuldenverwaltung – geschwächt war. Es war dem Reich nicht möglich, allein aus eigener Kraft aus dieser verzweifelten Situation herauszukommen, was einen militärisch und wirtschaftlich starken Verbündeten notwendig machte. Dass dieser Verbündete Deutschland wurde, war nicht etwa durch eine besondere „Deutschfreundlichkeit“ zu erklären, sondern ergab sich durch die Schwierigkeit, überhaupt einen europäischen Verbündeten zu gewinnen.

Die osmanische Führung ging nach dem Ausschlussverfahren vor: Sie strebte zunächst Bündnisse mit den Entente-Staaten an, denn von diesen drohte dem Reich die größte Gefahr. Doch sowohl Russland als auch Frankreich lehnten Bündnisangebote ab. Sogar das deutsche militärische und politische Establishment sah ein Bündnis mit dem osmanischen Reich kritisch; die ursprüngliche Ablehnung des Bündnisses wurde lediglich durch←18 | 19→ Intervention Kaiser Wilhelms II. revidiert.4 Die osmanische Außenpolitik im Ersten Weltkrieg wurde von der Figur des Kriegsministers Enver Paşa dominiert. Enver erwies sich im Verlauf des Krieges zwar nur als mäßig begabter Soldat, jedoch als erstklassiger Politiker, dem es gelang, aus dem deutsch-osmanischen Bündnis den maximalen Vorteil für das Reich herauszuschlagen. Zwei Ziele standen dabei für die osmanische Außenpolitik im Vordergrund: erstens, die Verteidigung des imperialen Territoriums mit besonderer Konzentration auf das mehrheitlich türkisch-muslimisch besiedelte Anatolien (was die Stärkung der osmanischen Armee durch deutsche Waffen und Instrukteure erforderte), und zweitens die Islamisierung des osmanischen Reiches durch die weitestgehende Vernichtung oder Vertreibung nichtmuslimischer Minderheiten, mit dem ultimativen Ziel der vollständigen Souveränität der osmanischen Regierung.

Das Bündnis mit Deutschland gab den Jungtürken für beide Ziele wichtige Instrumente an die Hand. Schon vor Ausbruch des Krieges bekam die osmanische Regierung Kontrolle über zwei deutsche Kriegsschiffe, die im Goldenen Horn Schutz vor einer britischen Flotte gesucht hatten, ohne diese bezahlen zu müssen (von den von osmanischer Seite angegebenen 80 Millionen Reichsmark Kaufpreis sah Deutschland keinen Pfennig). Auch verstand es Enver, die Deutschen um ansehnliche Summen zu erleichtern, wobei auch mehr oder weniger unverhohlene Erpressung nicht ausblieb: Als der Verbündete vier Monate nach Kriegsausbruch in Europa nicht mehr länger hingehalten werden konnte, verlangte Enver fünf Millionen türkische Pfund in Gold, die er auch erhielt. Kaum einen Monat nach dem Abschluss des Bündnisses erklärte das osmanische Parlament die das Reich seit Langem schwer belastenden Kapitulationen, die den europäischen Mächten die Möglichkeit zur Intervention in die internen Angelegenheiten des Osmanischen Reiches gegeben hatten, für null und nichtig. Auch hier musste Deutschland zähneknirschend einwilligen. Überhaupt wurde das Bündnis mit dem Osmanischen Reich zu einer kostspieligen Angelegenheit: Schon im Sommer 1916 belief sich der Wert der deutschen Lieferungen auf mindestens eine Milliarde Reichsmark.5←19 | 20→

Was machte das Osmanische Reich also zu einem attraktiven Bündnispartner für Deutschland? Sicher nicht seine militärische Stärke. Vielmehr hatte Deutschland Interesse an der vermeintlichen Vorherrschaft des osmanischen Sultans als Kalif über alle sunnitischen Muslime. Ein vom Sultan proklamierter Jihad, so glaubte die deutsche Oberste Heeresleitung (OHL), würde in den mehrheitlich muslimisch bewohnten Entente-Kolonien zu großem Aufruhr, vielleicht sogar zur Revolution führen. Auch könnte das Osmanische Reich als Ausgangspunkt direkter militärischer Operationen gegen z. B. Ägypten und den Kaukasus dienen.

Die osmanische Führung maß diesen Erwägungen wenig Gewicht zu, denn im Unterschied zu den Deutschen war sie sich der Uneinigkeit in der islamischen Welt wohl bewusst. Obwohl die Jungtürken, entgegen häufiger Behauptungen des Gegenteils, durchaus dem Islam nicht feindselig gegenüberstanden, hatten sie den Sultan-Kalifen schon 1908 zum konstitutionellen Monarchen degradiert – ein Unding in islamischem Staatsrecht. Sie konzentrierten ihre „islamischen“ Anstrengungen vielmehr nach innen und nutzten die Kriegszeit, um nichtmuslimische Minderheiten in Anatolien zu vernichten oder zu vertreiben. Die panislamische Propagandakampagne während des Ersten Weltkrieges wurde denn auch hauptsächlich von den Deutschen getragen. Zu ihrem Unmut mussten die deutschen Propagandisten, z. B. in den arabischen Provinzen, aber feststellen, dass den lokalen osmanischen Beamten oft mehr an einer Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gelegen war als am Anfachen des islamischen „Fanatismus“. Die empörten Deutschen wurden mit dem fadenscheinigen Argument abgefunden, man wünsche „Massaker an Christen zu verhindern“ (obwohl eben diese bald in Anatolien begangen werden würden). Die osmanische panislamische Propaganda war schlecht organisiert und finanziert, was den niedrigen Stellenwert, den die osmanische Regierung ihr einräumte, weiter unterstreicht.6 Das soll nicht in Abrede stellen, dass der Krieg offiziell durchaus als „Jihad“ proklamiert worden war, und dass die osmanische Regierung durchaus auf die Loyalität der Muslime setzte – allerdings hauptsächlich im Inneren des Reiches. Die Worte von Eşref Kuşcubaşı, einem osmanischen Geheimdienstoffizier, er habe „noch nie eine Proklamation←20 | 21→ gesehen, die eine Kugel stoppen könne“, und dass viele muslimische Soldaten in den Kolonialarmeen der Entente „mit Gusto gegen die Osmanen kämpften“, dürften diese Geisteshaltung klar dokumentieren.7 Die pragmatische Ausrichtung der osmanischen Außenpolitik lässt sich auch durch eine Analyse der osmanischen militärischen Operationen während des Ersten Weltkrieges dokumentieren.

Mit ganz wenigen Ausnahmen agierten osmanische Truppen nicht jenseits der Grenzen des Reiches. Die einzige echte Ausnahme war der kostspielige und fehlgeschlagene Angriff auf die russischen Truppen im Kaukasus im Winter 1914/1915, Enver Paşas einzige offensive militärische Aktion während des ganzen Krieges. Weitere Angriffsoperationen (z. B. auf Ägypten 1915 und 1916), sowie auf den Iran wurden nur mit geringen Kräften ausgeführt. Die osmanische Kriegsführung war von einem gewissen Opportunismus gezeichnet: Wo effektive Gegenwehr fehlte (z. B. Iran oder ab Frühjahr 1918 im Kaukasus), wurde Territorium besetzt; ansonsten lag die Hauptaufgabe der osmanischen Truppen in der Verteidigung – was den türkischen Bündnispartner für die Deutschen in offensiver Hinsicht praktisch wertlos machte. Auch auf die sich ab 1917 und mit Gewissheit ab Sommer 1918 abzeichnende Niederlage reagierte die osmanische Regierung pragmatisch. Anstatt die verbleibenden intakten osmanischen Truppen zur Verteidigung Palästinas zu nutzen – wo sie infolge mangelhafter Ausrüstung und mangelnden Nachschubs wahrscheinlich nutzlos gewesen wären – wurden sie in den Kaukasus geschickt. Hierbei war das Ziel, sowohl das lokale Machtvakuum, das durch den russischen Zusammenbruch entstanden war, für Gebietsgewinne auszunutzen, als auch diese Einheiten so weit wie möglich von den Entente-Truppen zu entfernen. Tatsächlich sollten sie eine wichtige Keimzelle der Armee der türkischen Nationalisten während des Unabhängigkeitskrieges darstellen. Die Kaukasuskampagne ist somit weniger durch einen Ersatz der ursprünglich islamischen Ausrichtung der türkischen Politik durch eine pantürkistische zu verstehen, sondern als nüchterner Versuch der Schadensbegrenzung und -wiedergutmachung.←21 | 22→

Der Erste Weltkrieg zerstörte das Osmanische Reich als Imperium, doch die während des Krieges eingetretenen Veränderungen ermöglichten auch die Bildung eines Nationalstaates nach dem Unabhängigkeitskrieg. Die arabischen Provinzen gingen verloren (was man durchaus als „gesundschrumpfen“ bezeichnen könnte), und das verbleibende Territorium war nun fast ausschließlich von Muslimen besiedelt. Es wäre nicht verfehlt zu behaupten, dass die jungtürkische Regierung eine solche Zielsetzung schon von Anfang des Krieges an verfolgt hätte, zumindest war sie ab Mitte des Krieges realistisch genug, sich auf einen derartigen Ausgang vorzubereiten. Ohne die pragmatische Politik der Jungtürken wäre der Sieg im türkischen Unabhängigkeitskrieg wohl unmöglich gewesen.

Türkische Außenpolitik in der Zwischenkriegszeit

Die türkischen Nationalisten verfolgten während des Unabhängigkeitskrieges und nach der Gründung der Republik im Oktober 1923 eine sich durch Flexibilität und Pragmatismus auszeichnende Außenpolitik. Sie war auch durch die scharfsinnige Analyse der internationalen Situation der Nachkriegszeit geprägt, dank der es die Nationalisten beispielweise schafften, die ebenfalls junge Sowjetregierung für Waffen- und Goldlieferungen zu gewinnen, ohne dadurch kommunistischen Umtrieben in der Türkei in irgendeiner Hinsicht Vorschub zu leisten. Die türkische Republik war in ein eigenartiges internationales System hineingeboren worden. William Hale hat es als „hard to categorize“ beschrieben – das System sah weder das Gleichgewicht der Mächte vor, noch war es bipolar angelegt.8 Noch schwerer wog, dass der Erste Weltkrieg, wie Atatürk es ausdrückte, keines der existierenden internationalen Probleme gelöst, sondern vielmehr die Kluft zwischen den ehemaligen Gegnern noch weiter aufgerissen hatte. Implizit klingt in dieser Einschätzung die Erwartung eines neuen bewaffneten Konfliktes weltweiten Ausmaßes mit. Es war den türkischen Nationalisten bis 1923 gelungen, die Niederlage des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg in einen Sieg des türkisch-muslimischen Nationalstaates umzuwidmen. Damit gehörten sie zu den wenigen Profiteuren der Nachkriegsordnung und standen den zunächst in Italien, später auch in Deutschland aufkommenden revisio←22 | 23→nistischen Diktaturen vorsichtig bis ablehnend gegenüber. Die Sicherung des (National-)Staates und seiner Grenzen hatte – neben der inneren Entwicklung in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht – in dieser Zeit oberste Priorität.

Damit stand die Türkei, als an Beibehaltung des Status quo interessierte Macht, in der Zwischenkriegszeit eher auf der Seite Großbritanniens und Frankreichs, da sie sich von den revisionistischen Mächten, insbesondere Italien und der Sowjetunion, bedroht fühlte. Auch deshalb schloss die Türkei 1939 ein Bündnis mit Großbritannien ab, dem später noch Frankreich beitrat. Kontakte zu Deutschland waren in dieser Zeit eher auf das Wirtschaftliche beschränkt; im Verlauf der 1930er Jahre war die Türkei in das von NS-Deutschland aufgebaute Wirtschaftsimperium in Südosteuropa hineingedriftet; etwaige Sympathien für das Dritte Reich resultierten nicht etwa aus politischer Hinneigung, sondern aus der deutschen Feindschaft gegenüber der Sowjetunion. Der Abschluss des Molotov-Ribbentrop-Paktes kam nicht nur für die Türkei überraschend, war jedoch besonders schockierend.

Die Feindseligkeit NS-Deutschlands gegen die Sowjetführung war für die Türkei beruhigend gewesen: Eine durch einen mächtigen potentiellen Feind im Westen bedrohte Sowjetunion, so die Überlegungen in Ankara, konnte nicht daran interessiert sein, sich in der Bosporus- und Dardanellen-Frage gegenüber der Türkei aggressiv zu verhalten. Kurz nach Kriegsausbruch sollte sich ein schon Anfang des Ersten Weltkrieges zu beobachtendes Muster erneut zeigen: Die türkische Republik zeigte keine Neigung, die ihr in den Bündnisverträgen auferlegten Verpflichtungen zu honorieren, sofern sie nicht gezwungen war, sich selbst zu verteidigen.

Wichtigstes Ziel der türkischen Außenpolitik im gesamten Verlauf des Zweiten Weltkriegs wurde denn auch die Aufrechterhaltung der türkischen Neutralität gegen äußere und innere Widerstände. Daran änderten auch der formale Abbruch der diplomatischen Beziehungen am 02.08.1944 und die sich anschließende Kriegserklärung an das Dritte Reich vom 23.02.1945 nichts, zumal letztere als Eintrittskarte in die neu gegründeten Vereinten Nationen galt und es zu keinen direkten Kampfhandlungen mehr kam.←23 | 24→

Die deutsch-türkischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit: Vom „zu Kolonisierenden“ zum Vorbild?

Das deutsch-osmanische Bündnis des Ersten Weltkrieges war nicht auf gegenseitige Liebe gegründet, sondern hatte eher den Charakter einer Zweckehe. In groben Zügen lässt sich sagen, dass von deutscher Seite das Osmanische Reich als Juniorpartner gesehen wurde, das – wie die Welt – am „deutschen Wesen zu genesen“ habe. Marineattaché Hans Humann ging sogar noch einen Schritt weiter: Es sei, merkte er an, eindeutig, „dass wir nach dem Krieg der Türkei gegenüber deutlich härter aufzutreten haben werden als heute.“ Humann sah die Zukunft des Osmanischen Reiches klar als deutsche Halbkolonie – sobald Deutschland den Krieg gewonnen habe.9 Andere deutsche Experten sahen eher eine wirtschaftliche Kolonisierung des Osmanischen Reiches voraus, wie der Diplomat und Orientdilettant Max Freiherr von Oppenheim.10 Die jungtürkische Führung und die mit ihr sympathisierenden Offiziere und Beamten hatten jedoch keinerlei Absicht, sich von Deutschland dominieren zu lassen. Vielmehr kann konstatiert werden, dass die Osmanen ihren Alliierten sehr geschickt „spielten“, und aus dem Bündnis erhebliche Vorteile herausschlugen – sowohl während der Kriegszeit als auch für die Nachkriegsperiode. Envers kaum verhohlene Erpressung vor dem Kriegseintritt des Osmanischen Reiches ist bereits erwähnt worden. Schon gegen Ende 1914 wurde jedoch offensichtlich, dass die vor dem Krieg vorherrschende Ansicht, der Konflikt werde von kurzer Dauer sein, irrig war: Deutschland sah sich in einen Zweifrontenkrieg verwickelt und maß dem osmanischen Verbündeten mehr und mehr Bedeutung bei. Dies ging so weit, dass die deutsche Regierung, im Hinblick auf das Bündnis, es nicht wagte, energisch gegen das Vorgehen gegen die Armenier zu protestieren, was Deutschland bis zum heutigen Tage zum Vorwurf gemacht wird.11←24 | 25→

Ende des Krieges sollten die deutsch-osmanischen Differenzen einem Höhepunkt zustreben: Nach dem Abschluss des Friedensvertrages von Brest-Litowsk zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion bestand die sowjetische Delegation darauf, dass Deutschland die Osmanen zwingen müsse, die nach dem russischen Zusammenbruch von der Türkei besetzten Territorien im Osten Anatoliens und dem Kaukasus wieder freizugeben. Die Osmanen weigerten sich strikt, was den Vertragsabschluss sogar temporär gefährdete. Es soll während dieser Phase sogar zu Feuergefechten zwischen deutschen und osmanischen Truppen in Aserbaidschan gekommen sein.

Das sehr unterschiedliche Schicksal des Deutschen Reiches und der Türkei nach dem Krieg sollte jedoch die deutsche Sichtweise auf die Türkei grundlegend verändern, vor allem auf Seiten der deutschen Rechten. Deutschland wurden im Versailler Friedensvertrag harte Bedingungen auferlegt: Es hatte die Alleinschuld am Kriegsausbruch zu akzeptieren, musste seine Streitkräfte drastisch reduzieren, bekam Verbote für die Herstellung potentiell kriegswichtiger technischer Geräte (insbesondere Motorflugzeuge und Unterseeboote) auferlegt und war zur Zahlung immens hoher Reparationen verpflichtet worden. Das „Diktat von Versailles“ sollte sich als „Schandfrieden“ und in Verbindung mit der Dolchstoßlegende schließlich für die Nazis als hervorragendes und schlagkräftiges Propagandainstrument erweisen.

Dem Osmanischen Reich erging es zunächst noch wesentlich schlechter. Der Friedensvertrag von Sèvres im Jahre 1920 teilte das Reich auf und reduzierte den muslimisch kontrollierten Teil zu einem anatolischen Rumpfstaat. Besonders schmachvoll war, dass Großbritannien Griechenland die Erlaubnis erteilte, das westliche Anatolien zu besetzen und so seinen Traum von der „megali idea“ zu verwirklichen. Doch hier sollte die Türkei einen grundsätzlich anderen Weg gehen als Deutschland. Während die osmanische Regierung in Istanbul den Vertrag unterzeichnete (er wurde jedoch nie im letzten osmanischen Parlament ratifiziert), begannen die türkischen Nationalisten unter der Führung Mustafa Kemal Atatürks einen schließlich erfolgreichen Abwehrkampf, der in die Gründung der unabhängigen und international anerkannten Türkischen Republik am 29.10.1923 mündete. Dies wurde sowohl international als auch in Deutschland, so z. B. auch auf Seiten der deutschen Rechten, mit großer Bewunderung wahrgenommen. Stefan Ihrig verweist auf eine beträchtliche Anzahl von Zeitungsartikeln←25 | 26→ konservativ-nationalistischer deutscher Zeitungen, in denen offen dazu aufgerufen wurde, eine „Ankara-Regierung“ für Deutschland zu errichten, die an die Stelle der „Erfüllungspolitiker“ und „Novemberverbrecher“ treten solle.12

Doch es war nicht nur die türkische Außenpolitik, welche die deutsche Rechte beeindruckte: Atatürk wurde als Musterbeispiel eines nationalen Führers bewundert, der mit Tatkraft – und einem gerüttelt Maß Skrupellosigkeit – ein „moribundes“ Land zu einem geeinten, modernen Nationalstaat umwandelte. Die Türkei war natürlich nicht der einzige Staat, in dem nach dem Ersten Weltkrieg eine Erziehungsdiktatur entstand – aber sicherlich der erfolgreichste. Doch der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nur wenige Jahre später sollte die Erfolge der Türkei in höchstem Maße gefährden: Von beiden kriegführenden Seiten wurde während des Konfliktes Druck auf die türkische Regierung ausgeübt, in den Krieg einzutreten – und dies hätte mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ebenso im Desaster geendet wie der Erste Weltkrieg.

Der Zweite Weltkrieg: Außenpolitische Entwicklungen bis 1941 und ihre Auswirkungen auf die Türkei

Wie bereits erwähnt, wurde der Hitler-Stalin-Pakt auch in der Türkei als Schock empfunden. Wie andere Beobachter interpretierte die türkische Regierung das Abkommen nicht nur als Nichtangriffspakt, sondern als Bündnis. Dies belastete das Verhältnis zu Deutschland erheblich; die Sowjetunion war in türkischen Augen nicht etwa Verbündeter einer freundlichen Macht geworden, sondern NS-Deutschland hatte sich mit dem gefährlichsten potentiellen Feind der Türkei eingelassen. Kurz darauf brach Deutschland den Zweiten Weltkrieg vom Zaun und schien in den darauffolgenden anderthalb Jahren geradezu unbesiegbar zu sein. Im Frühjahr 1941 erstreckte sich das Nazi-Imperium von Frankreich im Westen bis nach Griechenland und Bulgarien im Osten, von Norwegen im Norden bis nach Kreta im Süden. Die Zukunft der Türkei war plötzlich wieder höchst unsicher.

Es war wahrscheinlich, dass als nächstes der Nahe Osten auf der Liste der von NS-Deutschland zu erobernden Gebiete stehen würde. Für einen←26 | 27→ derartigen Angriff gab es jedoch nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Türkei zu attackieren oder aber durch diplomatisch-militärischen Druck die türkische Zustimmung für einen deutschen Durchmarsch zu erzwingen – falls die türkische Regierung nicht gleich gezwungen werden würde, in den Krieg auf deutscher Seite einzutreten.13 Frankreich war schon im Juni 1940 als Verbündeter ausgeschieden, und die Briten, welche die Deutschen zum damaligen Zeitpunkt alleine bekämpfen mussten, hatten große Schwierigkeiten, diesen Kampf zu führen.

Ihnen fehlten schlicht die notwendigen Ressourcen. Außerdem waren sie ohne allzu große Probleme von den Deutschen aus Griechenland und von Kreta vertrieben worden. Die Türkei erkannte die Notwendigkeit, die Waffe einzusetzen, die sie am besten beherrschte, nämlich Diplomatie. Nach einer Verständigung mit Großbritannien unterzeichneten Deutschland und die Türkische Republik am 18. Juni 1941 einen Freundschaftsvertrag, der den Deutschen zunächst keinen Grund gab, die Türkei anzugreifen und Deutschland etwas einbrachte, worauf die Türkei – jedenfalls aus deutscher Sicht – ein Monopol besaß, nämlich das für die Kriegsindustrie wichtige Chromerz. Auch wenn die unmittelbare Gefahr gebannt schien, so war Juni 1941 doch für die Türkei der Beginn einer nervenaufreibenden Periode der Schaukelpolitik. Dass es der türkischen Regierung gelang, trotz allen äußeren Drucks die türkische Neutralität bis zum 22. Februar 1945 aufrecht zu erhalten, kann mit Fug und Recht als diplomatisches Meisterstück bezeichnet werden.14←27 | 28→

Schon vier Tage nach der Unterzeichnung des Freundschaftsvertrages griff Deutschland die Sowjetunion an, und die Türkei sah sich gezwungen, sich mit der Frage der Beibehaltung der Neutralität oder aber eines Hinwendens zu Deutschland auseinander zu setzen. Der deutsche Angriff hatte nicht nur die Neutralen überrascht, sondern auch Stalin. Die gefürchtete Rote Armee wurde in den folgenden Monaten bis an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Bis Dezember 1941 nahm die deutsche Wehrmacht rund 3,8 Millionen sowjetische Soldaten gefangen und eroberte den größten Teil der europäischen Sowjetunion.

Der Krieg in der Sowjetunion: Die Stunde der Pan-Türkisten?

Es hatte seit Begründung der Türkischen Republik zwei Haltungen zum Pan-Türkismus (d. h. der Einheit aller Turkvölker in einer Konföderation oder einem gigantischen Territorialstaat) gegeben: Auf der einen Seite standen die Eliten der frühen Republik, die die Türkische Republik als Verwirklichung türkisch-nationalistischer Ziele verstanden, und nicht an Expansion oder Irredentismus interessiert waren. Sie argumentierten, dass ein moderner Nationalstaat, nicht ein „türkisches Imperium“, anstelle des multiethnischen und multi-religiösen Osmanischen Reiches das Ideal sein sollte. Auf der entgegengesetzten Seite standen die sog. Pan-Türkisten, die den Traum einer Vereinigung der Turkvölker hegten – von denen ein großer Teil in der Sowjetunion lebte. Antisowjetische Exilanten aus den turksprachigen Regionen der Sowjetunion waren lange Zeit die primären Vertreter dieser Ideologie. Eine Realisierung dieses Traumes konnte nur mit militärischen Mitteln bewerkstelligt werden. Daher traten sie dafür ein, dass die Türkei auf deutscher Seite in den Konflikt eintreten sollte.

Details

Seiten
766
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631733004
ISBN (ePUB)
9783631733011
ISBN (MOBI)
9783631733028
ISBN (Hardcover)
9783631673133
DOI
10.3726/b12271
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (März)
Schlagworte
Deutsch-türkische Geschichte Binationale Kooperation und Spannungen Transnationale Migration Flüchtlingsabkommen Städtepartnerschaften Deutsch-Türk_innen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 366 S., 6 s/w Abb., 8 s/w Tab.

Biographische Angaben

Wolfgang Gieler (Band-Herausgeber:in) Burak Gümüș (Band-Herausgeber:in) Yunus Yoldaş (Band-Herausgeber:in)

Wolfgang Gieler ist Professor am Fachbereich Politikwissenschaft der Friedrich-Schiller Universität Jena und der Universität Vechta. Burak Gümüş ist Assoziierter Professor an der Fakultät für Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaft der Trakya Universität, Edirne, Türkei. Yunus Yoldaş ist Assoziierter Professor an der Fakultät für Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften der Bozok Universität Yozgat, Türkei.

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Titel: Deutsch-türkische Beziehungen
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