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Digitalisierung und Rundfunkkonzentrationskontrolle von Medienkonglomeraten

von Hannah Bug (Autor:in)
Dissertation XIV, 290 Seiten

Zusammenfassung

Die Frage nach der Notwendigkeit einer sektorspezifischen Rundfunkkonzentrationskontrolle in Zeiten fortschreitender Digitalisierung und Konvergenz steht im Mittelpunkt dieses Buches. Nach einer Analyse der rundfunkrechtlichen Kriterien zur Beurteilung „vorherrschender Meinungsmacht" erweist sich die Rundfunkkonzentrationskontrolle als ungeeignetes Instrument, „multimediale Meinungsmacht" zu verhindern. Zudem fehlt es der Rundfunkkonzentrationskontrolle an praktischer Relevanz. Die bislang einzige Entscheidung, mit der die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) eine Beteiligungsänderung aufgrund vorherrschender Meinungsmacht zu verhindern suchte, hob das Bundesverwaltungsgericht auf. Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, dass das Kartellrecht – insbesondere die Fusionskontrolle – hinreichenden Schutz vor multimedialer Meinungsmacht bietet.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Contents
  • Einleitung
  • A) Einführung in die Thematik
  • B) Anlass der Arbeit
  • I. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Fall Springer/ProSiebenSat.1
  • II. Folgen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts für die sektorspezifische Rundfunkkonzentrationskontrolle
  • C) Gang der Arbeit
  • Teil 1. Veränderungen der Grundlagen der Rundfunkregulierung
  • A) Digitalisierung
  • I. Alte und neue Datenübertragungswege des Fernsehens
  • 1. Digitale terrestrische Übertragung (DVB-T)
  • 2. Funknetze für mobiles Fernsehen
  • 3. Kabelbreitbandnetze
  • 4. Satellit
  • 5. Telefonnetze (IPTV)
  • 6. Internet (Web-TV)
  • II. Ergebnis
  • B) Konvergenzentwicklungen
  • I. Technische Konvergenz
  • 1. Konvergenz der Übertragungswege
  • 2. Konvergenz der Empfangsgeräte
  • II. Konvergenz der Medieninhalte
  • 1. Medieninhalte des Internets
  • 2. Soziale Netzwerke
  • III. Konvergenz des Nutzerverhaltens
  • 1. Veränderung des Medienzeitbudgets
  • 2. Veränderung der Mediennutzungsmotive
  • IV. Konvergenz und Internationalisierung der Mediensektoren
  • C) Ökonomische Aspekte der Rundfunkregulierung
  • I. Konzentrationsprädispositionen im Rundfunk
  • 1. Horizontale Konzentration
  • a) Frequenzknappheit
  • b) Hohe Anfangsinvestitionen
  • c) Fixkostendegression
  • d) Netzeffekte in zweiseitigen Märkten
  • e) Staatliche Regulierung
  • 2. Vertikale Konzentration
  • 3. Crossmediale Konzentration
  • II. Ökonomische Konzentration und Vielfalt
  • 1. Horizontale Konzentration
  • 2. Vertikale Konzentration
  • 3. Crossmediale Konzentration
  • III. Marktversagen im Rundfunk
  • 1. Natürlicher Ausnahmebereich
  • a) Natürliches Monopol
  • b) Externe Effekte
  • c) Bereitstellung öffentlicher Güter
  • d) Informationsasymmetrie
  • 2. Politischer Ausnahmebereich
  • IV. Konzentrationsprädispositionen und Marktversagen im Internet
  • 1. Konzentrationsprädispositionen
  • 2. Marktversagen: Politischer Ausnahmebereich
  • V. Ergebnis
  • D) Zusammenfassung
  • Teil 2. Konzentrationskontrolle durch das Rundfunkrecht
  • A) Zur Entstehungsgeschichte der Rundfunkkonzentrationskontrolle
  • I. RStV 1987
  • II. Das Beteiligungsmodell des § 21 RStV 1991
  • III. Alternative Ansätze
  • 1. One man – one show Modell
  • 2. Marktanteilsmodelle
  • a) Werbemarktanteilsmodell
  • b) Gesamtumsatzmodell
  • c) Zuschauermarktanteilsmodell
  • 3. Einbeziehung anderer meinungsbildungsrelevanter Märkte (Mediennutzungsmodell)
  • IV. Das Zuschauermarktanteilsmodell des RStV 1997
  • V. Reformvorhaben
  • B) Die Konzentrationskontrolle nach geltendem Recht
  • I. Zuständigkeit
  • II. Anwendungsbereich
  • III. Vermutungsregelungen des § 26 Abs. 2 RStV
  • 1. Zuschaueranteil von 30 % nach § 26 Abs. 2 Satz 1 RStV
  • 2. Zuschaueranteil von 25 % nach § 26 Abs. 2 Satz 2 RStV
  • a) Marktbeherrschende Stellung auf medienrelevanten verwandten Märkten
  • aa) Medienrelevanz und Verwandtschaft
  • bb) Marktabgrenzung nach § 26 Abs. 2 Satz 2 RStV
  • b) Gesamtbeurteilung der Aktivitäten
  • aa) Die Gesamtabwägung der KEK im Fall Springer/ProSiebenSat.1
  • bb) Kritik
  • 3. Zuschaueranteil von weniger als 25 %, § 26 Abs. 1 RStV
  • a) Qualitativer Ansatz
  • b) Quantitativer Ansatz
  • c) Qualitativ-quantitativer Ansatz
  • d) Quantitativ-qualitativer Ansatz
  • e) Stellungnahme
  • IV. Berücksichtigung der Bonusregelungen, § 26 Abs. 2 Satz 3
  • V. Berechnung der Zuschaueranteile, § 27 RStV
  • VI. Zurechnung von Programmen, § 28 RStV
  • VII. Rechtsfolgen der vorherrschenden Meinungsmacht, § 26 Abs. 3, 4 RStV
  • 1. „Externes“ Wachstum, § 26 Abs. 3 RStV
  • 2. „Internes“ Wachstum, § 26 Abs. 4 RStV
  • VIII. Verfahrensregeln
  • 1. Rechtsschutz gegen Entscheidungen der KEK
  • 2. Kontrolldichte der gerichtlichen Überprüfung von Beschlüssen der KEK
  • a) Bejahung eines Beurteilungsspielraumes
  • b) Verneinung eines Beurteilungsspielraumes
  • c) Stellungnahme
  • C) Zusammenfassende Stellungnahme zur Effektivität der Rundfunkkonzentrationskontrolle
  • Teil 3. Digitalisierung und verfassungsrechtliche Legitimation der Rundfunkkonzentrationskontrolle
  • A) Die Zielvorgaben des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG
  • I. Das Primärziel der freien öffentlichen Meinungsbildung als demokratisches Prinzip
  • II. Ziel der Vielfalt
  • 1. Positive Vielfaltssicherung
  • a) Medienübergreifende Vielfaltssicherung
  • b) Rundfunkbezogene Vielfaltssicherung
  • 2. Negative Vielfaltssicherung
  • B) Die Pressefreiheit
  • C) Die Rundfunkfreiheit
  • I. Verfassungsrechtlicher Rundfunkbegriff
  • 1. Die Einordnung von Bewegtbildangeboten unter den verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff
  • 2. Die Einordnung der Online-Presse unter den Rundfunkbegriff
  • 3. Folge der Einordnung der medialen Angebote des Internets unter den Rundfunkbegriff nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG
  • II. Rundfunkfreiheit als Funktionsgrundrecht
  • 1. Die der Dogmatik zugrunde liegende „Sondersituation“
  • 2. Keine Abkehr trotz veränderter Medienlandschaft
  • 3. Anforderungen an den Ausgestaltungsvorbehalt
  • 4. Anforderungen an die Konkretisierung des gesetzgeberischen Ausgestaltungsvorbehaltes
  • a) Das duale Rundfunksystem
  • aa) Der öffentlich-rechtliche Rundfunk
  • (a) Grundversorgungs- bzw. Funktionsauftrag
  • (b) Publizistischer Wettbewerb zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogrammen
  • (c) Binnenorganisation der Rundfunkanstalten
  • bb) Der private Rundfunk
  • (a) Programmanforderungen
  • (b) Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht
  • III. Kritik an der Sonderdogmatik des Bundesverfassungsgerichts
  • 1. Kritik an der zur Rundfunkfreiheit entwickelten Sonderdogmatik
  • 2. Veränderung der der Sonderdogmatik zugrunde liegenden „Sondersituation“
  • a) Wegfall von Frequenzknappheit und hohem finanziellen Aufwand
  • b) Abnahme der besonderen Meinungsbildungsrelevanz des „klassischen“ Rundfunks
  • aa) Meinungsbildungsrelevanz des Internets
  • (a) Breitenwirkung, Suggestivkraft und Aktualität des Internets
  • (i) Breitenwirkung
  • (ii) Aktualität
  • (iii) Suggestivkraft
  • (b) Partizipationsmöglichkeit
  • (c) Vielfalt im Internet
  • bb) Stellungnahme
  • c) Ergebnis
  • 3. Stellungnahme
  • IV. Die Rechtfertigung der Rundfunkkonzentrationskontrolle entfällt infolge von Digitalisierung und Konvergenz
  • 1. Erforderlichkeit einer positiven Vielfaltsicherung
  • 2. Erforderlichkeit einer negativen Vielfaltssicherung: Schutz vor vorherrschender Meinungsmacht
  • D) Zusammenfassung
  • Teil 4. Kontrolle crossmedialer Meinungsmacht durch Wettbewerb und das Wettbewerbsrecht
  • A) Grundstrukturen des Wettbewerbsrechts
  • I. Verhältnis zwischen nationalem Wettbewerbsrecht und der Rundfunkkonzentrationskontrolle der Länder
  • II. Verhältnis zwischen deutschem und europäischem Kartellrecht
  • III. Keine systemimmanenten Zieldivergenzen des Wettbewerbsrechts im Bereich der Konzentrationsvorsorge
  • 1. Ziele des Wettbewerbsrechts
  • a) Wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zielsetzungen
  • b) Publizistische Zielsetzungen?
  • 2. Ökonomischer und publizistischer Wettbewerb
  • IV. Marktabgrenzung im Medienbereich
  • 1. Bestimmung des relevanten Marktes
  • a) Sachlich relevanter Markt
  • b) Räumlich relevanter Markt
  • 2. Die einzelnen Medienmärkte
  • a) Fernsehen
  • aa) Zuschauermarkt
  • (a) Pay-TV
  • (b) Free-TV
  • (i) Verneinung eines Zuschauermarktes auf nationaler Ebene
  • (ii) Bejahung eines Zuschauermarktes auf europäischer Ebene
  • (iii) Stellungnahme
  • (c) Marktabgrenzung innerhalb des Zuschauermarktes
  • bb) Werbemarkt
  • cc) Vor- und nachgelagerte Märkte
  • (a) Programmbeschaffung
  • (i) Fernsehproduktionen
  • (ii) Senderechte
  • (b) Programminfrastruktur
  • b) Presse
  • aa) Lesermärkte
  • bb) Anzeigenmärkte
  • 3. Internet
  • a) Rezipientenmarkt
  • b) Werbemärkte
  • aa) Abgrenzung zum Werbemarkt im Fernsehen
  • bb) Abgrenzung zu den Anzeigenmärkten im Printbereich
  • 4. Zusammenfassung
  • B) Instrumentarien des Wettbewerbsrechts
  • I. Kartellverbot, Art. 101 AEUV, §§ 1 ff. GWB
  • II. Missbrauchsaufsicht, Art. 102 AEUV, §§ 19 f. GWB
  • III. Zusammenschlusskontrolle
  • 1. Die Zusammenschlusskontrolle nach sekundärem Gemeinschaftsrecht, FKVO
  • a) Formelle Fusionskontrolle (Aufgreifkriterien)
  • aa) Gemeinschaftsweite Bedeutung, Aufgreifschwellen
  • bb) Verweisung nach Art. 4 Abs. 4, Art. 9 und 22 FKVO
  • b) Materielle Zusammenschlusskontrolle, Art. 2 FKVO (Eingreifkriterien)
  • aa) Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung
  • (a) Horizontale Zusammenschlüsse
  • (b) Vertikale Zusammenschlüsse
  • (c) Konglomerate Zusammenschlüsse
  • bb) Entscheidungspraxis im Medienbereich
  • (a) News Corp/Premiere
  • (b) News Corp/BSkyB
  • c) Ausnahmeregelung des Art. 21 Abs. 4 FKVO
  • aa) Geltendmachung des Art. 21 Abs. 4 FKVO im Fall News Corp/BSkyB
  • bb) Notwendigkeit einer einheitlichen europarechtlichen Medienkonzentrationskontrolle aufgrund unterschiedlicher nationaler Regelungen zur Sicherung der Medienvielfalt?
  • 2. Die Zusammenschlusskontrolle nach §§ 35 ff. GWB
  • a) Formelle Zusammenschlusskontrolle (Eingreifkriterien)
  • aa) Zusammenschluss, § 37 GWB
  • bb) Umsatzschwellenwerte, §§ 35, 38 GWB
  • b) Materielle Zusammenschlusskontrolle (Aufgreifkriterien)
  • aa) Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung
  • (a) Marktbeherrschende Stellung, § 18 GWB
  • (i) Einzelmarktbeherrschung
  • (ii) Marktbeherrschung im Oligopol
  • (b) Crossmediale Effekte
  • (i) Verlust von Rand- bzw. Substitutionswettbewerb
  • (ii) Reduktion von potentiellem Wettbewerb
  • (iii) Kopplung und Bündelung
  • (iv) Portfolio-Effekte
  • (v) Stärkung von Ressourcen
  • (vi) Cross-Promotion
  • (c) Prognose über die Marktstruktur bei konglomeraten Zusammenschlüssen
  • bb) Abwägungsklausel, § 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GWB
  • cc) Sanierungsfusion im Pressebereich, § 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 GWB
  • dd) Ministererlaubnis aufgrund von überragenden Interessen der Allgemeinheit, § 42 GWB
  • 3. Zusammenfassung
  • C) Ausreichender Schutz vor publizistischer Vermachtung aufgrund crossmedialer Verflechtungen durch das Wettbewerbsrecht?
  • I. Konvergenz und Marktabgrenzung
  • 1. Medienübergreifender Rezipientenmarkt
  • 2. Medienübergreifender Werbemarkt
  • 3. Ergebnis
  • II. Kontrolle internen Wachstums
  • 1. Kontrolle internen Wachstums im Rundfunk aufgrund des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht erforderlich
  • 2. Kontrolle internen Wachstums von crossmedialen Verflechtungen?
  • a) Modifikation der materiellen Rundfunkkonzentrationskontrolle
  • b) Modifikation des Kartellrechts
  • c) Stellungnahme
  • III. Lösungsansätze
  • 1. Vereinheitlichung der medienrechtlichen und kartellrechtlichen Aufsichtsinstanzen
  • 2. Verfahrensrechtliche Harmonisierung unter Beibehaltung der medienrechtlichen und kartellrechtlichen Aufsichtsinstanzen
  • D) Zusammenfassung
  • Teil 5. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
  • Literaturverzeichnis

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Einleitung

A)  Einführung in die Thematik

Eine der großen Entdeckungen des 19. Jahrhunderts war die drahtlose Verbreitung elektromagnetischer Schwingungen. Diese legte den Grundstein für die Rundfunkverbreitung1 im 20. Jahrhundert, mit der sich Kommunikation und Gesellschaft grundlegend verändern sollten.2 Die große Bedeutung des Rundfunks für die Meinungsbildung schon früh erkennend und die knappen analogen Übertragungskapazitäten vor Augen haltend wurde der Rundfunk von Anfang an unter staatliche Kontrolle gestellt.3 Angesichts der bevorstehenden Einführung des privaten Rundfunks Anfang der 1980er Jahre warnte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt vor dem privaten Rundfunk, der „gefährlicher als die Kernenergie4 sei. Dieser begründe den „Boden, auf dem die Cäsaren sich in die Seelen der Menschen eingraben5.

Dem stand der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker mit der Bezeichnung der Radiobeiträge als „publizistische Atombomben6 nicht nach.

Dementsprechend wurde der private Rundfunk in der Folge mit einem engmaschigen Regulierungsgeflecht überzogen, welches durch die Rundfunkurteile7 des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG festgezurrt wurde. Dieses Geflecht sollte möglichst wenige meinungsvielfaltsgefährdende ← 1 | 2 → Stoffe durchlassen, jedoch gerade locker genug sein, um den privaten Rundfunkunternehmen nicht die Luft zum wirtschaftlichen Überleben abzuschneiden8. Entsprechend wurde die Veranstaltung privaten Rundfunks einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterstellt9, die Frequenzvergabe an den Beitrag des Rundfunkprogramms für die Meinungsvielfalt geknüpft10 und die Veranstaltung von Rundfunk verfassungsrechtlich11 und einfachgesetzlich12 in die Dienerschaft der Meinungsvielfalt gestellt. Diese Hürden zur Rundfunkveranstaltung einmal genommen war sicherzustellen, dass weder der Staat noch eine gesellschaftliche Gruppe den Rundfunk beherrschten. In diesem Sinne sollte die Verhinderung von Konzentrationstendenzen rechtzeitig der Gefahr einseitiger Einflussnahme auf die Meinungsbildung durch einzelne Rundfunkunternehmen – sogenannte „vorherrschende Meinungsmacht“ – vorbeugen.13

Dem nicht genug muss sich der private Rundfunk neben dem mit 7,5 Milliarden Euro14 – Tendenz steigend15 – aus Gebühren finanzierten und bei der Rundfunkverbreitung bevorzugten16 öffentlich-rechtlichen Rundfunk behaupten. Denn die Notwendigkeit der Werbefinanzierung des privaten Rundfunks wegen seiner Nichtausschließbarkeit vom Konsum wird für das durch Massenattraktivität „verseuchte“ einseitige und qualitativ minderwertige private Rundfunkprogramm als ursächlich angesehen.17 Daher wurde der binnenpluralistisch organisierte öffentlich-rechtliche Rundfunk mit der Grundversorgung der Bevölkerung beauftragt, um in der vollen Breite des klassischen Rundfunkauftrags ← 2 | 3 → zu informieren und Meinungsvielfalt in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise herzustellen.18

Neben der rundfunkrechtlichen Regulierung zum Schutz der Meinungsvielfalt unterliegen private Rundfunkunternehmen im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Betätigungen zudem der Kontrolle des allgemeinen Wettbewerbsrechts, welche darauf gerichtet ist, „die Freiheit des Wettbewerbs sicherzustellen und wirtschaftliche Macht da zu beseitigen, wo sie die Wirksamkeit des Wettbewerbs beeinträchtigt19.

Im Gegensatz zu den streng reglementieren privaten Rundfunkunternehmen, die sich aufgrund der Sonderdogmatik des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG mit der ihnen durch Gesetz zugestandenen Freiheit begnügen müssen, befinden sich Presseunternehmen geradezu in einem Zustand „totaler Anarchie“: Presseerzeugnisse dürfen ohne vorherige Erlaubnis verbreitet werden; sie sind zu keiner ausgewogenen alle wesentlichen Meinungsrichtungen berücksichtigenden Berichterstattung verpflichtet und genießen darüber hinaus sogar noch Tendenzschutz. Eine Begrenzung internen Unternehmenswachstums neben der Kontrolle des allgemeinen Wettbewerbsrechts wird im Pressebereich für nicht notwendig erachtet. Das Bundesverfassungsgericht bestätigt der Presse trotz zahlreicher lokaler und regionaler Pressemonopole ein hinreichendes Gleichgewicht, das zur Sicherstellung umfassender Information und Meinungsbildung genüge.20

Seit der Ausstrahlung des ersten Fernsehprogramms vor etwa 80 Jahren und dem ersten Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts21 aus dem Jahr 1961, welches die heute noch geltenden Grundzüge der positiven Rundfunkordnung festlegte, haben Digitalisierung, der Zugang zu Computern und die Verwendung von Datennetzen zu einem erheblichen Umwälzungsprozess der Medienlandschaft geführt. Die Veränderungen der tatsächlichen Gegebenheiten der Rundfunkveranstaltung und -verbreitung stellen die Rundfunkregulierung, insbesondere die rundfunkzentrierte Konzentrationskontrolle des §§ 26 ff. RStV infrage.

Am Anfang dieser Veränderungen steht die Erfindung der digitalen Datenübertragung, durch die der Transport von beliebigen Inhalten in Datenpaketen losgelöst von der Übertragungstechnik möglich wurde. Die damit verbundene effizientere Nutzung bestehender und neuer Infrastrukturen zur ← 3 | 4 → Rundfunkübertragung hat zu einer erheblichen Steigerung der Anzahl von Rundfunkprogrammen geführt. Konnten 1984 in Deutschland nur drei Fernsehprogramme empfangen werden,22 sind mittlerweile 182 bundesweite private und 23 öffentlich-rechtliche Fernsehprogramme zugelassen.23 Neben der Zunahme der klassischen „linearen“24 Fernsehprogrammen wurde durch die Digitalisierung die individuelle Rezeption von anderen audiovisuellen Medienangeboten per Abruf möglich (sogenannte Video-on-Demand-Dienste, VoD). Diese können etwa über Breitbandkabel (sog. Internet Protocol Television25) als Zusatz zu den klassischen Fernsehangeboten durch die Infrastrukturbetreiber selbst angeboten werden.

Diese unter dem Begriff der Konvergenz seit Ende der 1990er Jahre diskutierten26 Annäherungsprozesse von Übertragungs-, Empfangstechniken, Diensten und Nutzerverhalten haben neben der Angebotssteigerung zu einer Individualisierung der Kommunikation geführt. Die „digitale Revolution“ hat sich jedoch vor allem über das Internet vollzogen, das zu einer Explosion von Medieninhalten geführt hat27. Durch die globale Vernetzung und die portablen Endgeräte ist mittlerweile eine Flut an Medieninhalten jederzeit und überall verfügbar. Neben der Expansion klassischer Presse- und Fernsehunternehmen auf das Internet finden sich dort immer mehr Medieninhalte von Drittanbietern. Online-Video-on-Demand-Plattformen gewinnen mehr und mehr an Bedeutung und treten so zunehmend in Konkurrenz zu den klassischen Fernsehanbietern. Daneben hat das Internet die journalistische Gatekeeper-Position der klassischen Massenmedien aufgehoben.28 Über das Internet kann sich jeder über sog. Blogs und Soziale Netzwerke austauschen und in die Rolle des Kommunikators schlüpfen. Es scheint, das Internet habe den durch die privaten Rundfunkunternehmen ← 4 | 5 → geschaffenen „Boden, auf dem die Cäsaren sich in die Seele der Menschen eingraben29, vor dem Helmut Schmidt gewarnt hatte, zum Einsturz gebracht. Aus dem passiven Medienrezipienten, der dem linearen Rundfunkprogramm mangels Alternativen ausgeliefert war, ist ein aktiver Mediennutzer geworden, der sich aus der Vielzahl an Medieninhalten, die seinen Bedürfnissen entsprechenden Angebote selbst zusammenstellt.30 Durch die Etablierung von internetfähigen Fernsehgeräten – sogenannte Smart-TVs – in der Bevölkerung31 ist die digitale Revolution auch auf den Wohnzimmersofas angekommen: Die Konvergenz ist vollzogen32.

Aus den fortgeschrittenen Konvergenzprozessen ergeben sich regulatorische Fragen nach der rechtlichen Gleichbehandlung von klassischen „linearen“ und „nicht-linearen“ Fernsehangeboten, etwa im Hinblick auf eine rechtliche Angleichung der Werbezeitenregelungen und der Erlaubnispflicht für die Veranstaltung von Rundfunk. Daneben wird über die Zukunft Rundfunkkonzentrationskontrolle gestritten. Denn die Schattenseite der „schönen“ neuen digitalen Welt bildet zum einen die zunehmende Unternehmenskonzentration durch crossmedial verflochtene Medienunternehmen (sog. Medienkonglomerate), die ihre Tätigkeiten auf das Internet und andere Medien ausweiten, um ihre Umsätze und ihre Marke zu sichern. Zum anderen haben Digitalisierung und globale Vernetzung zu einer Internationalisierung der Medienmärkte und zu global agierenden Medienunternehmen geführt.33 So fordert das Bundesverfassungsgericht auch heute Vorkehrungen gegen „multimediale Meinungsmacht“ von Rundfunkunternehmen34. Die Beteiligung von Telekommunikationsunternehmen als Betreiber von Plattformen für Rundfunkprogramme sieht das Gericht trotz des damit verbundenen Eintritts neuer Marktteilnehmer in den Fernsehmarkt aufgrund der vertikalen Verflechtung als Gefahr für die Meinungsvielfalt.35 Angst herrscht ← 5 | 6 → zudem vor dem Eindringen international agierender „Medienmogule“ wie Ruppert Murdoch36 oder John Malone37 in die nationalen Medien- und Infrastrukturmärkte. Die Beteiligung an dem Channel 3 Anbieter ITV38 und die vollständige Übernahme des Bezahlfernsehsenders BSkyB in Großbritannien durch die von Ruppert Murdoch beherrschte News Corporation Inc. (News Corp) wurde letztlich durch den Druck der Öffentlichkeit abgewehrt39.

Schließlich sind durch die digitale Verbreitung von Rundfunkprogrammen neue technische und administrative Dienstleistungen zur Datenaufbereitung und Zugangskontrolle hinzugekommen. Durch die Verfügungsgewalt über die Zugangsberechtigungssysteme kann die Kontrolle über den Marktzugang erlangt werden (sog. Gatekeeper).40

Somit löst die Digitalisierung trotz des Wegfalls der der ursprünglichen Sonderregulierung zugrunde liegenden Frequenzknappheit und trotz der Vervielfachung von Medieninhalten nach Ansicht der einen die Gefahren für die Meinungsvielfalt durch Unternehmenskonzentration nicht auf.41 Für die anderen stellt die sektorspezifische Rundfunkkonzentrationskontrolle inzwischen ← 6 | 7 → eine anachronistische Überregulierung des Rundfunks dar42 und ist damit ein Fall für den analogen Switch-Off43.

B)  Anlass der Arbeit

Den aktuellen Anlass dieser Arbeit bildet das letztinstanzliche Urteil des Bundesverwaltungsgerichts44 vom 29. Januar 2014 in dem von der Axel Springer AG geführten Fortsetzungsfeststellungsverfahren gegen den Beschluss45 der Kommission zur Ermittlung von Konzentration im Medienbereich (KEK). Die KEK hatte Anfang 2006 das Übernahmevorhaben eines der beiden zuschauerstärksten Fernsehunternehmen, der ProSiebenSat.1 Media AG mit einem durchschnittlichen Zuschaueranteil von 22,06 %, durch den größten deutschen Zeitungsverlag, die Axel Springer AG, die unter anderem die größte bundesweite Boulevardzeitung die „BILD“-Zeitung herausgibt, aufgrund der Annahme vorherrschender Meinungsmacht untersagt.

Mit dem Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht das jahrelang andauernde Verwaltungsgerichtsverfahren46 um die Rechtmäßigkeit des KEK-Beschlusses zugunsten der Axel Springer AG beendet.

I.  Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Fall Springer/ProSiebenSat.1

Das Gericht entschied, dass die medienrechtliche Untersagung des Zusammenschlussvorhabens der Axel Springer AG mit der ProSieben Sat.1 Media AG durch die KEK unter Berufung auf vorherrschende Meinungsmacht nach § 26 RStV rechtswidrig war.

Zentrale Rechtsfrage des Verfahrens war, ob die KEK auch bei einem durch ein Fernsehveranstalter erreichten Zuschaueranteil von weniger als 25 % im Sinne von ← 7 | 8 → § 26 Abs. 2 RStV ein Zusammenschlussvorhaben wegen vorherrschender Meinungsmacht nach § 26 Abs. 1 RStV als bedenklich einstufen darf.47

Das Bundesverwaltungsgericht wies die KEK in ihre Schranken zurück und stellte zunächst fest, dass der Gesetzgeber mit der zuschaueranteilsbasierten Rundfunkkonzentrationskontrolle des § 26 RStV nicht etwa multimediale Meinungsmacht allgemein, sondern vorherrschende Meinungsmacht im Fernsehen verhindern wollte.48 Hierbei seien zwar nach § 26 Abs. 2 Satz 2 RStV auch die Aktivitäten außerhalb des Fernsehmarktes zu berücksichtigen. Eine Orientierung an dem Zuschaueranteil werde damit aber nicht aufgelöst. Vielmehr haben die Aktivitäten auf den anderen Medienmärkten nur dann Bedeutung, wenn sie eine schon vorhandene beträchtliche Meinungsmacht im Fernsehen verstärken können.

Die KEK dürfe bei Unterschreitung der Zuschaueranteilsschwelle von 25 % erst dann eine freie Gesamtabwägung nach § 26 Abs. 1 RStV vornehmen, wenn der Einzelfall Besonderheiten aufweise, die sich durch die kodifizierten Regelbeispiele des § 26 Abs. 2 RStV nicht angemessen erfassen lassen.49 In dem Urteil50 heißt es:

„Je weiter jedoch die Schwelle von 25 % unterschritten werde, desto mehr entfernt sich vielmehr die Rechtsanwendung von den Wertungen, die der Gesetzgeber in den Vermutungsregelungen zum Ausdruck gebracht hat, und desto stärker gerät die Prüfung der Unbedenklichkeit zu einer allgemeinen, statt spezifisch fernsehbezogenen Medienkonzentrationskontrolle.“

Das Gericht deutete an, dass die Grenze, bei der die Aktivitäten auf den verwandten medienrelevanten Märkten nicht mehr zu einer Annahme einer vorherrschenden Meinungsmacht führen können, bei einem tatsächlichen Zuschaueranteil von 20 % erreicht sei. Es ließ jedoch offen, ob ein tatsächlicher Zuschaueranteil von 20 % als absolute Untergrenze anzusehen sei. Da im vorliegenden Fall die ProSiebenSat.1 Media AG nach Abzug der Bonuspunkte von 5 % gemäß § 26 Abs. 2 Satz 3 RStV lediglich einen Zuschaueranteil von 17,06 % ← 8 | 9 → hatte, war die Grenze jedoch deutlich unterschritten gewesen, sodass die Annahme von vorherrschender Meinungsmacht im Fernsehen ausgeschlossen war.51

II.  Folgen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts für die sektorspezifische Rundfunkkonzentrationskontrolle

Mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wurde das bisher einzige durch die KEK seit ihrer Gründung im Jahr 199752 ausgesprochene medienrechtliche Verbot im Hinblick auf das Entstehen von vorherrschender Meinungsmacht gerichtlich verworfen. Die KEK hatte zuvor mit allen Mitteln und unter Anwendung von eigenen Rechenmodellen53 versucht, das Übernahmevorhaben der Axel Springer AG zu verhindern. Dieser Rechtsanwendungspraxis hat das Bundesverwaltungsgericht nunmehr einen Riegel vorgeschoben.

Im Gegensatz hierzu wurde der Beschluss des Bundeskartellamtes54, mit dem das Übernahmevorhaben der ProSiebenSat.1 Media AG durch die Axel Springer AG aufgrund marktbeherrschender Stellung verboten wurde, durch den BGH55 bestätigt.

Der Fall Axel Springer verdeutlicht, dass das Instrumentarium der medienrechtlichen Kontrolle zur Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht neben der allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Kontrolle überflüssig ist. Denn nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verbleibt für die Rundfunkkonzentrationskontrolle neben der allgemeinen Wettbewerbskontrolle nach dem GWB praktisch kein Anwendungsbereich mehr. Die medienrechtliche Kontrolle hat in dem Fall Springer – wie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nunmehr gezeigt hat – versagt.

Das Bundesverwaltungsgerichtsurteil hat damit die seit der Gründung der KEK diskutierte Frage erneut aufgeworfen, ob eine sektorspezifische Kontrolle neben der allgemeinen Wettbewerbskontrolle notwendig ist. Eine erneute Auseinandersetzung mit dem Thema ist daher geboten.

Dies gilt umso mehr, als dass sich die der Rundfunkkonzentrationskontrolle zugrunde liegenden tatsächlichen Gegebenheiten aufgrund der dynamischen Entwicklung der Medienmärkte grundlegend geändert haben und die Entwicklungen weiter fortschreiten. ← 9 | 10 →

Darüber hinaus gehen die übrigen juristischen Auseinandersetzungen mit dem Thema auf die Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks56 als geeignete und hinreichende Maßnahme zur Gefahrenvorbeugung vor einseitiger Einflussnahme auf die Meinungsbildung im Rundfunk in den übrigen juristischen Auseinandersetzungen nicht ein. Angesichts der durch die Konvergenzprozesse begünstigten crossmedialen Unternehmensverflechtungen wird der Beitrag des allgemeinen Wettbewerbsrechts zur Begrenzung von crossmedialen Zusammenschlüssen und damit zur Verhinderung von „multimedialer“ Meinungsmacht überprüft. Hierdurch soll die Frage der Notwendigkeit einer medienübergreifenden Konzentrationskontrolle beantwortet werden.

C)  Gang der Arbeit

Zur Beantwortung der zuvor aufgeworfenen Fragestellungen sollen in einem ersten Teil die tatsächlichen Veränderungen der Grundlagen der Rundfunkkonzentrationskontrolle und deren Folgen für die Mediennutzung und Medienmärkte veranschaulicht werden. Die durch die Digitalisierung der Medieninhalte ausgelösten technischen und inhaltlichen Konvergenzprozesse haben das Rezipientenverhalten grundlegend verändert. In der jüngeren Bevölkerung wurde das klassische „lineare“ Fernsehen bereits durch das Internet abgelöst. Diese Entwicklungen stellen die Funktion des Rundfunks als Leitmedium innerhalb des Meinungsbildungsprozesses zunehmend infrage.

Veränderungen haben sich auch in den Medienmärkten bemerkbar gemacht. Die Konvergenzprozesse haben crossmediale Verflechtungen begünstigt. Nachgegangen werden soll daher in dem Zusammenhang der Frage nach den Auswirkungen von ökonomischer Konzentration auf die Meinungsvielfalt und den freien Meinungsbildungsprozess. Schon hier zeichnet sich ab, dass den von ökonomischer Konzentration ausgehenden möglichen publizistischen Gefahren durch die Schutzfunktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hinreichend ← 10 | 11 → begegnet werden kann. Die den Konzentrationsgrenzen zugrunde liegende These der „Vielfalt durch Vielzahl“ soll hinterfragt werden.

Der zweite Teil befasst sich mit dem normativen Rahmen der Rundfunkkonzentrationsregelungen der §§ 26 ff. RStV und dessen Geeignetheit zur Erfassung crossmedialer Meinungsmacht. Hierzu erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Beurteilungspraxis medienrelevanter verwandter Märkte unter publizistischen Aspekten durch die KEK in dem Verfahren Springer/ProSiebenSat.1 sowie die Verwerfung des Beschlusses durch das Bundesverwaltungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2014.

Darüber hinaus werden die Schwächen der derzeitigen Regelungen aufgezeigt. Trotz Anlehnung der §§ 26 ff. RStV an die Terminologien des Wettbewerbsrechts kommt es bei der Bewertung der Tätigkeiten von Fernsehunternehmen auf medienrelevanten verwandten Märkten zu einer bloßen Marktanteilsaddition der verschiedenen Märkte. Die tatsächlichen Wettbewerbsverhältnisse auf den benachbarten Medienmärkten bleiben unbeachtet, sodass die Validität der Kriterien zur Beurteilung von crossmedialer Meinungsmacht anzuzweifeln ist. Die Nichtbeachtung der unterschiedlichen Relevanz der verschiedenen Fernsehprogramme für die Meinungsbildung führt zu unsachgemäßen Ergebnissen.

Der dritte Teil soll aufzeigen, dass die verfassungsrechtliche Erforderlichkeit einer rundfunkzentrierten Konzentrationskontrolle infolge der Veränderung der Medienmärkte entfallen ist. Die Analyse beschränkt sich hierbei auf das nationale Verfassungsrecht, da sich weder aus Art. 11 GR-Charta noch aus Art. 10 EMRK abweichende Erkenntnisse für die Erforderlichkeit einer Rundfunkkonzentrationskontrolle ergeben.57

Im Rahmen der Prüfung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG wird zunächst zwischen dem verfassungsrechtlichen positiven Vielfaltsgebot und dem Schutzgut des freien Meinungsbildungsprozesses unterschieden. Ersteres bezieht sich auf das Rundfunk und kann positive Maßnahmen in Form von Programmanforderungen und den Bestand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erforderlich werden lassen. Da der Rundfunkbegriff im verfassungsrechtlichen Sinne auch alle über das Internet verbreiteten publizistischen Angebote umfasst, muss sich auch das Ziel positiver Vielfalt auf die Summe aller unter den vom verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff fallenden Medieninhalte (klassische lineare Rundfunkprogramme und Online-Medieninhalte) beziehen. Hiervon zu unterscheiden ist das Schutzgut des freien Meinungsbildungsprozesses. Innerhalb des Meinungsbildungsprozesses kommt allen Massenmedien eine besondere ← 11 | 12 → Stellung zu. Eine Konzentration von Medienunternehmen kann durch die damit verbundene Möglichkeit der einseitigen Einflussnahme auf die Meinungsbildung eine Gefahr für den freien Meinungsbildungsprozess begründen. Diese Gefahr kann aber nur dann durch horizontale Unternehmenskonzentration im Rundfunkbereich entstehen, wenn die dem klassischen „linearen“ Rundfunk durch das Bundesverfassungsgericht zugeschriebene herausragende Bedeutung für den Meinungsbildungsprozess innerhalb der Massenmedien trotz der Veränderungen der Medien fortbesteht. Findet durch das Hinzutreten der über das Internet verbreiteten Medieninhalte und durch die zunehmende Unterhaltungsorientierung des Rundfunks eine erhebliche Abnahme der Meinungsrelevanz des klassischen Rundfunks statt, ist eine Einflussnahme auf den Meinungsbildungsprozess infolge von horizontaler Konzentration im Rundfunk nicht mehr möglich. Darüber hinaus bildet der öffentlich-rechtliche Rundfunk innerhalb des Rundfunks ein hinreichendes Schutzinstrument vor einer möglichen einseitigen Beeinflussung des Meinungsbildungsprozesses durch ein privates Rundfunkunternehmen.

Ob jedoch in der Konsequenz eine medienübergreifende Konzentrationskontrolle zum Schutz des freien Meinungsbildungsprozesses verfassungsrechtlich geboten ist, hängt davon ab, inwieweit Wettbewerb und das Wettbewerbsrecht in der Lage sind, hinreichend vor crossmedialen Vermachtungen zu schützen. Dies ist Prüfungsgegenstand des vierten Teils. Ein systemimmanentes Defizit der Wettbewerbskontrolle ergibt sich dabei nicht schon aus dem Schutz ökonomischen Wettbewerbs durch die Wettbewerbskontrolle. Zwar ist der Zusammenhang zwischen ökonomischem und publizistischem Wettbewerb umstritten. Für die folgende Analyse reicht jedoch die Erkenntnis, dass jedenfalls bestehender ökonomischer Wettbewerb publizistische Vermachtung verhindert und somit eine effektive Wettbewerbskontrolle das Entstehen von vorherrschender Meinungsmacht verhindern kann.

Der Schwerpunkt dieses Teils liegt in der Beurteilung von crossmedialen Zusammenschlüssen nach deutscher und europäischer Fusionskontrolle. Die wettbewerbsrechtliche Kontrolle von vertikaler Konzentration, insbesondere der im Zuge der Digitalisierung entstandenen Flaschenhälse durch die neuen Verbreitungstechniken, steht hier nicht im Fokus. Denn eine Regulierung muss hier auf die Gewährleistung eines offenen und chancengleichen Zugangs zu diesen Techniken gerichtet sein.58 Im Rundfunk wird daher der „Gatekeeper“-Problematik ← 12 | 13 → durch die Sicherstellung des chancengleichen Zugangs zu diesen Techniken durch § 52c RStV begegnet.59 Darüber hinaus kann eine Zugangsverweigerung einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach §§ 19 f. GWB bzw. Art. 102 AEUV begründen.60 Gleiches gilt für die Gewährleistung einer diskriminierungsfreien Datenübermittlung von vertikal integrierten Infrastrukturbetreibern. Konzentrationsrechtliche Begrenzungen bringen hierbei keinen Mehrwert für die Meinungsvielfalt.61

Die Frage nach einer kartellrechtlichen Abgrenzung eines Gesamtmedienmarkts aufgrund der Konvergenzentwicklungen wird im Ergebnis abgelehnt. Durch die Anerkennung eines Rezipientenmarktes für kostenfreie Medieninhalte kann die Kontrolle des publizistischen Wettbewerbs durch das Wettbewerbsrecht im Falle von externem Unternehmenswachstum gewährleistet werden. Die Notwendigkeit einer über Art. 7 Abs. 1 Satz 2 FKVO bzw. § 32 Abs. 2 Satz 1 GWB hinausgehenden Kontrolle internen Wachstums wird analysiert. Im Ergebnis wird zur Sicherstellung eines „demokratischen Sicherheitsnetzes“ eine medienübergreifende Konzentrationskontrolle vorgeschlagen. Diese sollte sich nach dem Vorbild des britischen public interest tests jedoch auf die Kontrolle von Vermachtungen auf einem crossmedialen Gesamtnachrichtenmarkt beschränken. Denn politische Informationen stellen den Kernbereich der öffentlichen Meinungsbildung dar. Um zukünftig eine verfahrensrechtliche Doppelkontrolle im Falle von unter §§ 36 ff. GWB fallende Zusammenschlüsse zu verhindern, sind die Möglichkeiten einer Harmonisierung der beiden Kontrollinstrumente zu prüfen. ← 13 | 14 →


1 Der Begriff des Rundfunks umfasst die Medien Fernsehen und Hörfunk. Der Fokus der Arbeit liegt auf dem Fernsehen, da die Rundfunkkonzentrationskontrolle der §§ 26 ff. RStV nur für bundesweit verbreitete private Fernsehprogramme Anwendung findet. Da die Ausführungen in der vorliegenden Arbeit jedoch überwiegend für Fernsehen und Hörfunk gleichermaßen gelten, wird nur dort der Begriff des Fernsehens verwendet, wo sich Abweichungen gegenüber dem Medium Hörfunk ergeben. Ansonsten wird auf den Begriff des Rundfunks zurückgegriffen.

2 Hesse, Rundfunkrecht, S. 1; Hoffmann-Riem, Regulierung der dualen Rundfunkordnung, S. 15.

3 Hesse, Rundfunkrecht, S. 2 f.

4 Zitiert durch Spiegel 49/1979, S. 21, 21 f.

5 Spiegel 49/1979, S. 21, 22.

6 Zitiert durch Ossenbühl, JZ 1995, 633, 638.

7 BVerfGE 12, 205 – 1. Rundfunkentscheidung; 31, 314 – Mehrwertsteuer; 57, 295 – FRAG; 73, 118 – Niedersachsen; 74, 297 – Baden-Württemberg; 83, 238 – WDR; 87, 181 – Hessen Drei; 90, 60 – Gebührenurteil I; 97, 228 – Kurzberichterstattung; 97, 298 – extra-radio; 119, 181 – Gebührenurteil II; 121, 30 – Parteibeteiligung.

Details

Seiten
XIV, 290
ISBN (ePUB)
9783631712757
ISBN (PDF)
9783653067347
ISBN (MOBI)
9783631712764
ISBN (Paperback)
9783631673980
DOI
10.3726/978-3-653-06734-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (April)
Schlagworte
Sektorspezifische Konzentrationskontrolle Konvergenz Multimediale Meinungsmacht Kartellrecht Fusionskontrolle Digitalisierung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. XIV, 290 S.

Biographische Angaben

Hannah Bug (Autor:in)

Hannah Bug studierte Rechtswissenschaften in Bonn, Berlin, Paris und Edinburgh. Sie promovierte an der Freien Universität Berlin. Ihr Referendariat absolvierte sie am Kammergericht Berlin.

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Titel: Digitalisierung und Rundfunkkonzentrationskontrolle von Medienkonglomeraten
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