Lade Inhalt...

Die Bildung offener Rücklagen in der Personenhandelsgesellschaft und im personengesellschaftsrechtlichen Konzern

von Leona Schefzig (Autor:in)
©2016 Dissertation 248 Seiten

Zusammenfassung

Die Bildung offener Rücklagen in Personenhandelsgesellschaften, insbesondere durch mehrheitlich getroffene Thesaurierungsbeschlüsse, war und ist in Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur Gegenstand einer kontroversen Diskussion. Die Autorin skizziert die Entwicklung dieser Diskussion und analysiert die Voraussetzungen für die Wirksamkeit mehrheitlich getroffener Thesaurierungsbeschlüsse insbesondere anhand der sogenannten Kernbereichslehre. Auf dieser Grundlage entwickelt sie einen kautelarjuristischen Lösungsvorschlag. Die Autorin untersucht die Problematik übertragen auf einen Konzern mit einer Personengesellschaft an der Spitze und entwirft abschließend ein Modell für eine konzerndimensionale Anwendung gesellschaftsvertraglicher Thesaurierungsklauseln.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Übersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Erster Teil – Gewinnthesaurierung in der unverbundenen Personenhandelsgesellschaft
  • § 1 Grundlagen
  • A. Gewinnermittlung und -feststellung in der Personenhandelsgesellschaft
  • I. Der Jahresabschluss als Grundlage der Gewinnermittlung
  • II. Die Aufstellung des Jahresabschlusses
  • III. Die Feststellung des Jahresabschlusses
  • 1. Der Feststellungsbeschluss
  • 2. Die Rechtsnatur des Feststellungsbeschlusses
  • 3. Die Bindung der Gesellschafter an den Entwurf des Jahresabschlusses
  • a) Die Grundregel
  • b) Gewinnermittlung und Gewinnverwendung
  • B. Gewinnverteilung und -verwendung in der Personenhandelsgesellschaft
  • I. Die Gewinnverteilung
  • 1. Die Verteilung von Gewinn und Verlust in der OHG
  • 2. Die Verteilung von Gewinn und Verlust in der KG
  • 3. Abweichende Gestaltungen
  • a) In der OHG
  • b) In der KG
  • II. Kapitalanteile und Gesellschafterkonten
  • 1. Der Kapitalanteil
  • 2. Die Gesellschafterkonten nach dem Gesetz
  • a) Das gesetzliche Kapitalkonto der persönlich haftenden Gesellschafter
  • b) Die Kapitalkonten und Gewinnkonten der Kommanditisten
  • 3. Abweichende Vereinbarungen
  • a) Gründe für Abweichungen
  • b) Zwei-Konten-Modell
  • c) Drei-Konten-Modell
  • d) Vier-Konten-Modell
  • e) Drei-Konten-Modell mit einem gemeinsamen Rücklagenkonto
  • III. Die Entnahmerechte und Ausschüttungsansprüche
  • 1. Das Gewinnstammrecht und das Gewinnentnahmerecht
  • 2. Die Entnahmeansprüche der persönlich haftenden Gesellschafter
  • a) Kapitalentnahmerecht nach § 122 Abs. 1 Alt. 1 HGB
  • b) Gewinnentnahmerecht nach § 122 Abs. 1 Hs. 2 HGB
  • c) Die Schranke des offenbaren Schadens (§ 122 Abs. 1 Hs. 2 HGB)
  • 3. Der Gewinnausschüttungsanspruch der Kommanditisten
  • 4. Vorschüsse und Sonderentnahmerecht
  • a) Vorschüsse
  • b) Sonderentnahmerecht
  • 5. Abweichende Gestaltungen
  • C. Beschlussfassung in der unverbundenen Personenhandelsgesellschaft
  • I. Grundsatz: Das Einstimmigkeitsprinzip
  • II. Gesellschaftsvertragliches Mehrheitsprinzip
  • 1. Gestaltungsfreiheit und Individualschutz
  • 2. Der Bestimmtheitsgrundsatz
  • a) Der Bestimmtheitsgrundsatz nach dem herkömmlichen Verständnis
  • b) Auffassung der Literatur
  • c) Die weitere Entwicklung in der Rechtsprechung
  • 3. Die Kernbereichslehre
  • a) Entwicklung in Rechtsprechung und Lehre
  • b) Unentziehbare Rechte
  • c) Unverzichtbare Rechte
  • d) Antizipierte Zustimmung zum Kernbereichseingriff
  • e) Folgen der mangelnden Zustimmung
  • 4. Verhältnis von Bestimmtheitsgrundsatz und Kernbereichslehre
  • 5. Inhalts- oder Ausübungskontrolle anhand der Treuepflicht
  • a) Inhalt der Treuepflicht
  • b) Bedeutung für Mehrheitsbeschlüsse
  • 6. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
  • § 2 Mehrheitliche Jahresabschlussfeststellung
  • A. Entwicklung in Rechtsprechung und Lehre
  • I. Entwicklung bis zur Otto-Entscheidung
  • II. Die Otto-Entscheidung
  • B. Schlussfolgerungen aus der Rechtsprechung des BGH
  • I. Auslegung nach „normalen“ Grundsätzen ohne Vorgaben des Bestimmtheitsgrundsatzes
  • II. Keine weiteren Erfordernisse nach der Kernbereichslehre
  • C. Fazit
  • § 3 Die Bildung offener Rücklagen in der unverbundenen Personenhandelsgesellschaft
  • A. Einleitung und Problemaufriss
  • I. Grundlagen der Finanzierung der Gesellschaft
  • II. Sinn und Zweck von Gewinnrücklagen
  • III. Gesetzliche Ausgangslage
  • B. Gesellschaftsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten
  • I. Allgemeine Mehrheitsklausel
  • II. Ausdrückliche Mehrheitsklausel
  • III. Vertraglich festgelegte Teilthesaurierung
  • IV. Festgelegte Quote in Kombination mit Mehrheitsbeschluss über Erhöhung dieser Quote
  • V. Ausdrückliche Mehrheitsklausel mit mehrheitsfestem Ausschüttungssockel oder Höchstgrenze
  • VI. Vorschläge aus der Literatur
  • 1. Karsten Schmidt
  • 2. Goette
  • C. Voraussetzungen für die formelle Legitimation der Mehrheit zur Rücklagenbildung
  • I. Die Rechtslage vor der Otto-Entscheidung
  • II. Die Rechtslage nach der Otto-Entscheidung
  • D. Weitere Voraussetzungen für die Wirksamkeit gesellschaftsvertraglicher Mehrheitsklauseln
  • I. Anwendbarkeit der Kernbereichslehre
  • 1. Fragestellung
  • 2. Meinungsstand
  • 3. Diskussion und Stellungnahme
  • a) Die Differenzierung zwischen Gewinnbeteiligungs- und Gewinnentnahmerecht
  • b) Wertsteigerung der Beteiligung als Ausgleich für die Thesaurierung?
  • c) Vergleich mit dem Recht der GmbH
  • d) Erhöhung des haftenden Risikokapitals
  • e) Fazit
  • II. Erforderlichkeit von festen Grenzen der mehrheitlichen Thesaurierungskompetenz
  • 1. Fragestellung und Meinungsspektrum
  • 2. Notwendigkeit mehrheitsfester Obergrenzen nach dem Rechtsgedanken des § 707 BGB?
  • a) Das „Belastungsverbot“
  • b) Vergleichbarkeit aufgrund der Steuerpflicht der Gesellschafter?
  • (1) Steuerpflicht
  • (2) Steuerentnahmerecht
  • (a) Die Besteuerung der Personenhandelsgesellschaften und ihrer Gesellschafter
  • (b) Die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG
  • (c) Steuerentnahmerecht der Gesellschafter
  • (d) Stellungnahme
  • c) Vergleichbarkeit aufgrund der Erhöhung des „Risikokapitals“
  • (1) Mögliche Auswirkungen der Thesaurierung auf das „Risikokapital“
  • (2) Vergleichbarkeit mit einer Beitragserhöhung
  • d) Fazit
  • 3. Die Notwendigkeit fester Grenzen als Auswirkung der Zustimmungsbedürftigkeit
  • a) Die Zustimmung zum Eingriff in den Kernbereich
  • b) Folgerung für die antizipierte Zustimmung
  • 4. „Thesaurieren oder Ausscheiden“?
  • III. Ergebnis und Fazit
  • 1. Erforderlichkeit von Grenzen
  • 2. Anwendung auf die genannten Klauselbeispiele
  • a) Allgemeine Mehrheitsklausel
  • b) Vertraglich festgelegte Quoten oder Beträge
  • c) Festgelegte Thesaurierungsquote in Verbindung mit einer Mehrheitsklausel für die Erhöhung dieser Quote
  • d) Ausdrückliche Mehrheitsklausel mit mehrheitsfestem Ausschüttungssockel oder Obergrenze für die Thesaurierung
  • e) Verweis auf das Recht der GmbH
  • f) Zulassung von Mehrheitsbeschlüssen, „soweit sie gesetzlich zulässig sind“
  • E. Eigener Lösungsvorschlag
  • I. Das Problem der Festlegung der maximal zulässigen Thesaurierung
  • II. Untersuchung
  • 1. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit
  • 2. Formelle Legitimation der Mehrheit
  • 3. Wirksame Zustimmung der Gesellschafter zum Kernbereichseingriff?
  • a) Voraussetzungen der antizipierten Zustimmung
  • b) Hat der Gesellschafter ein Recht auf eine Mindestausschüttung?
  • 4. Vergleich mit der Rücklagenbildung im GmbH-Recht
  • 5. Wirksamkeitskontrolle der konkreten Beschlüsse
  • 6. Rechtfertigungsnotwendigkeit der Thesaurierungsbeschlüsse
  • III. Durchsetzung des Minderheitenschutzes
  • 1. Klage gegen die Mitgesellschafter
  • 2. Darlegungs- und Beweislastverteilung
  • a) Rechtsprechung
  • b) Stellungnahme
  • IV. Prognose für die Akzeptanz des Gestaltungsvorschlags in der Rechtsprechung
  • Zweiter Teil – Thesaurierung im Konzern mit einer Personenhandelsgesellschaft als Muttergesellschaft
  • § 4 Problemaufriss und Grundlagen
  • A. Das Problem der Gewinnthesaurierung im Konzern
  • I. Die konzernrechtliche Dimension der Otto-Entscheidung
  • II. Die Bildung offener Rücklagen in Tochtergesellschaften
  • III. Die Gefahr der Mediatisierung der Gesellschafterrechte im Konzern
  • B. Die Grundlagen des personengesellschaftsrechtlichen Konzernrechts
  • I. Rechtsgrundlagen und Grundbegriffe des Konzernrechts
  • II. Rechtstatsachen und Erscheinungsformen
  • III. Möglichkeiten der Einflussnahme durch die Muttergesellschaft
  • IV. Rechte und Schutz der Gesellschafter der Muttergesellschaft
  • 1. Schutz der Aktionäre nach dem AktG
  • 2. Schutz und Rechte der Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft
  • a) Beteiligung an anderen Unternehmen und Konzernbildung
  • (1) Erwerb von Finanzbeteiligungen
  • (2) Erwerb unternehmerischer Beteiligungen
  • (3) Konzernbildung, Gewinnabführung, Unternehmensverträge
  • b) Konzernleitung
  • c) Informationsanspruch der Gesellschafter der Muttergesellschaft im Konzern: Einsichts-, Auskunfts- und Informationsrechte
  • (1) Einsichtsrecht des persönlich haftenden Gesellschafters
  • (2) Einsichtsrecht der Kommanditisten
  • C. Referenzmodell: Die Anwendung von § 58 Abs. 2 AktG in Konzernsachverhalten
  • I. Ausgangslage und Beispiele
  • II. Planwidrige Regelungslücke – konzerndimensionale Auslegung von § 58 Abs. 2 AktG
  • III. Keine konzernweite Auslegung
  • D. Schutzbedarf der Gesellschafter
  • E. Gegenstand und Gang der Untersuchung
  • § 5 Die Bildung offener Rücklagen in einem Konzern mit einer Personengesellschaft als Muttergesellschaft
  • A. Einführung
  • I. Gesetzliche Ausgangslage
  • 1. OHG als Muttergesellschaft
  • 2. KG als Muttergesellschaft
  • II. Mögliche vertragliche Konstellationen
  • 1. Gesellschaftsvertrag der Obergesellschaft enthält allgemeine Mehrheitsklausel
  • 2. Abweichung vom Vollausschüttungsgebot
  • 3. Begrenzte Mehrheitskompetenz oder festgelegte Thesaurierungsquote
  • a) Konzerndimensionale Auslegung
  • b) Unzulässigkeit der konzerndimensionalen Auslegung
  • III. Höchstrichterliche Rechtsprechung
  • B. Diskussion und Stellungnahme
  • I. Vorüberlegungen
  • II. Der Gewinnanspruchs der Gesellschafter der Muttergesellschaft im Konzern
  • 1. Die bilanzrechtliche Ermittlung des Gewinns der Muttergesellschaft
  • 2. „Reichweite“ des Vollausschüttungsgebots
  • 3. Zwingende Bedenken gegen „konzernweites“ Gewinnrecht?
  • a) Besondere Finanzierungserfordernisse im Konzern
  • b) Unterschiede zum Aktienrecht
  • c) Berechtigte Interessen Dritter?
  • 4. Organisationsrechtliche Selbständigkeit der Konzernunternehmen als zwingende Grenze des Gewinnbezugsrechts?
  • 5. Fazit
  • a) Umfang des Gewinnanspruchs
  • b) Folgen für die Voraussetzungen von Gewinnverwendungsentscheidungen in Tochtergesellschaften
  • 6. Zwingende Grenzen
  • a) Rechtsform der Tochtergesellschaft
  • b) Verpflichtungen gegenüber außenstehenden Gesellschaftern
  • 7. Zustimmung im Rahmen der Konzernbildung
  • § 6 Konzerndimensionale Anwendung gesellschaftsvertraglicher Thesaurierungsklauseln
  • A. Einführung
  • I. Vorüberlegungen
  • II. Ausgangsbeispiel für die folgende Untersuchung
  • B. Untersuchung der Möglichkeit einer konzernweiten Anwendung der gesellschaftsvertraglichen Thesaurierungskompetenz
  • I. Modelle angelehnt an die Problematik des § 58 Abs. 2 AktG
  • 1. Direkte Durch- oder Anrechnung
  • 2. Mittelbare Anrechnung oder Pflichtenlösung
  • 3. Problemfelder der konzerndimensionalen Anwendung von Thesaurierungsklauseln und Gang der Untersuchung
  • II. Kritische Würdigung der Lösungsvorschläge und Diskussion
  • 1. „Gesamtertrag“ des Konzerns
  • a) Addition der Ergebnisse aus den Einzelabschlüssen
  • b) Konzernüberschuss aus der konsolidierten Rechnungslegung
  • c) Konsolidierter Konzernabschluss im personengesellschaftsrechtlichen Konzern
  • d) Modifikationen
  • (1) Mehrheitsbeteiligungen/Fremdanteile
  • (2) Gesetzlich vorgeschriebene Rücklagen, nichtdisponible Gewinne
  • (3) Gewinne ausländischer Tochtergesellschaften
  • 2. Kreis der einzubeziehenden Unternehmen
  • a) Konsolidierungskreis nach § 290 Abs. 1 HGB
  • b) Modifikationen
  • 3. Verluste in einzelnen Konzerngesellschaften
  • 4. Behandlung konzerninterner Zwischengewinne
  • III. Eigener Lösungsansatz
  • 1. Anteiliger Konzernüberschuss als Berechnungsgrundlage
  • 2. Abstellen auf die Gewinnverwendungskompetenz der Gesellschaftergesamtheit
  • 3. Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung der konzerndimensionalen Anwendung
  • a) Das Problem
  • b) Unwirksamkeit des Jahresabschlusses
  • c) Anknüpfung an die Pflichten der Geschäftsführung
  • d) Übermäßige Thesaurierung durch die Gesellschaftermehrheit
  • 4. Das faktische Problem eines zu geringen Gewinnausweises im Jahresabschluss der Muttergesellschaft
  • C. Fazit
  • D. Vorschlag für Vertragsklauseln
  • Zusammenfassung und Fazit
  • Literatur

← 20 | 21 →

Einleitung

Gewinnermittlung, Gewinnverteilung und Gewinnverwendung sind für die Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft, die sich in der Regel zum Zwecke der gemeinsamen Gewinnerzielung verbunden haben, von hoher Bedeutung und bilden häufig Schwerpunkte der kautelarjuristischen Vertragsgestaltung. Aufgrund der weitreichenden Vertragsfreiheit im Personengesellschaftsrecht bergen diese Themen erhebliches Konfliktpotential. Die Gesellschafter müssen sich insbesondere darüber einigen, ob sie den Gewinn der Gesellschaft ausschütten oder einen Teil davon als Gewinnrücklage zurückbehalten. Wichtige Entscheidungen wie diese werden in Personengesellschaften nach der Grundkonzeption des Gesetzes einstimmig getroffen. Auch hier ist aber die individuelle Vereinbarung, z. B. durch Verankerung des Mehrheitsprinzips im Gesellschaftsvertrag, vorrangig. Zu beiden Themen – Mehrheitsbeschlüsse im Allgemeinen und Gewinnverwendungsentscheidungen im Speziellen – gibt es zahlreiche höchstrichterliche Entscheidungen. Eine der jüngeren ist die Otto-Entscheidung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 15.01.20071, die Anlass dieser Untersuchung ist und der der folgende Sachverhalt zugrunde lag:

Die Klägerin war ebenso wie die Beklagten zu 1 bis 3 Kommanditistin der Otto GmbH & Co. KG, Beklagte zu 4 war die Komplementär-GmbH2. Sie begehrte die Feststellung der Unwirksamkeit zweier Gesellschafterbeschlüsse. Der erste Gesellschafterbeschluss betraf den Jahresabschluss, den die Gesellschafter gegen die Stimmen der Klägerin mit einer der gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklausel3 entsprechenden Mehrheit von 75 % festgestellt hatten. Die Klägerin war der Ansicht, es handele sich bei der Feststellung des Jahresabschlusses um ein sogenanntes Grundlagengeschäft, das nicht von der Mehrheitsklausel erfasst sei und daher nur einstimmig hätte beschlossen werden können. Der ← 21 | 22 → Gesellschaftsvertrag sah außerdem vor, dass ohne weitere Beschlussfassung jährlich 20 % des Jahresüberschusses in offene Rücklagen eingestellt werden sollten, eine darüber hinausgehende Gewinnthesaurierung jedoch einer qualifizierten Mehrheit von 76 % der Stimmen bedürfe. Der Jahresabschluss der Otto-KG, der im Wesentlichen aus den Gewinnen der Tochter- und Enkelgesellschaften gespeist war, wies einen Überschuss von ca. 131 Mio. € aus, von denen die Gesellschafter ca. 25 Mio. € als Gewinnrücklage einbehielten, damit also im Bezug auf den Jahresüberschuss hinter der 20 %-Quote zurückblieben. Die Klägerin hielt auch diesen Beschluss für unwirksam. Sie behauptete, dass die in das Jahresergebnis der Otto-KG eingeflossenen Gewinne ihrerseits bereits durch Thesaurierungen in der jeweiligen Gesellschaft gekürzt worden seien, so dass im Bezug auf den Konzernabschluss insgesamt weit mehr als 20 % der konzernweiten Gewinne thesauriert worden seien. Der entsprechende Gesellschafterbeschluss habe daher einer qualifizierten Mehrheit, d. h. ihrer Zustimmung bedurft und sei mangels selbiger unwirksam.

Der Fall gab dem BGH die Gelegenheit, sich mit teilweise „altbekannten“ Problemen des Personengesellschaftsrechts zu befassen. Schon lange umstritten ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Gesellschafter vom Einstimmigkeitsprinzip des § 119 Abs. 1 HGB abweichen können und welchen Anforderungen eine gesellschaftsvertragliche Mehrheitsklausel nach den von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Kriterien, insbesondere dem Bestimmtheitsgrundsatz und der Kernbereichslehre, genügen muss. Konkret ging es im Fall der Otto-Entscheidung zunächst um die Frage, ob eine einfache, das heißt allgemein formulierte Mehrheitsklausel auch die mehrheitliche Feststellung des Jahresabschlusses zulasse. Der handelsrechtliche Jahresabschluss ist die Grundlage für die Berechnung des Jahresergebnisses der Gesellschaft und somit auch maßgeblich für die Höhe des an die Gesellschafter ausschüttungsfähigen Gewinns. Es ist daher evident, dass sämtliche Gesellschafter ein hohes Interesse an der Mitwirkung bei der Erstellung des Jahresabschlusses haben, wobei die Interessenlage dabei aber durchaus unterschiedlich sein kann.4 Wegen dieser Bedeutung entsprach es der früheren wohl herrschenden Meinung, dass der Jahresabschluss ein Grundlagengeschäft sei, über welches mangels ausdrücklicher anderslautender Vereinbarung nur einstimmig entschieden werden könne. Auch der BGH entschied noch im Portland-Zementwerk-Urteil aus dem Jahr 19965, ← 22 | 23 → dass eine allgemeine Mehrheitsklausel nicht ausreiche, die Jahresabschlussfeststellung hierin vielmehr nach den Vorgaben des Bestimmtheitsgrundsatzes in eindeutiger Weise benannt werden müsse. Von dieser bis dahin ständigen Rechtsprechung wich das Gericht in der Otto-Entscheidung ab und stellte zunächst fest, dass die Feststellung des Jahresabschlusses zwar im Gegensatz zu dessen Aufstellung keine bloße Geschäftsführungsmaßnahme sei, es sich dabei aber dennoch um ein – den Gesellschaftern obliegendes – Geschäft der laufenden Verwaltung handele. Als periodisch wiederkehrende Angelegenheit sei es nicht ungewöhnlich und daher regelmäßig von einer allgemeinen Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag gedeckt.6

Der Sachverhalt warf außerdem das – für die Gesellschafter bedeutsamere – Problem der Gewinnthesaurierung auf. Das Handelsgesetzbuch sieht die Bildung von Rücklagen, die in der Bilanz als solche erkennbar sind (sogenannte offene Rücklagen), für die Personenhandelsgesellschaften nicht vor. Die Vorschriften bezüglich der Ergebnisverwendung – maßgeblich die §§ 120 bis 122 HGB – sind seit Erlass des Gesetzes im Jahre 1897 unverändert und regeln den Bereich allenfalls rudimentär, weshalb ihnen inzwischen lediglich eine Auffangfunktion zukommt.7 Diese Vernachlässigung war zum einen mit der Annahme begründet, dass Rücklagen bei den Personenhandelsgesellschaften aufgrund der unbeschränkten persönlichen Haftung der Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeiten nicht notwendig seien, zum anderen mit der Überlegung, dass sich ein kleiner, überschaubarer Kreis von Gesellschaftern in wichtigen Finanzierungsfragen ohne besondere Vorgaben des Gesetzes einig werde. Mag dies für das Leitbild des historischen Gesetzgebers noch zutreffend gewesen sein, stellt sich die Situation in der Praxis heute anders dar. Die offene (Gewinn-)Rücklage bildet die einzig relevante Selbstfinanzierungsmöglichkeit der Personenhandelsgesellschaft. Offene Rücklagen sind – wenn auch im Gesetz nicht vorgesehen – auch bei den Personenhandelsgesellschaften unstreitig zulässig. Ohne Weiteres können die Gesellschafter durch einstimmigen Beschluss nach § 119 Abs. 1 HGB entscheiden, einen Teil oder auch den gesamten Jahresgewinn in offene Rücklagen zu stellen. Ebenso kann der Gesellschaftsvertrag vorsehen, dass in jedem Geschäftsjahr ein bestimmter Teil des Jahresgewinnes zur Rücklagenbildung ← 23 | 24 → einbehalten wird.8 Fraglich und umstritten ist jedoch, unter welchen Voraussetzungen die Thesaurierung eines Teils des Jahresüberschusses – oder auch des gesamten Jahresüberschusses – einem mehrheitlichen Beschluss unterworfen werden kann. Die Gewinnbeteiligung ist das zentrale Vermögensrecht eines jeden Gesellschafters, das nach herrschender Meinung zum Kernbereich der mitgliedschaftlichen Rechte gehört. Während es allgemein anerkannt ist, dass auch kernbereichsrelevante Entscheidungen einem Mehrheitsentscheid unterworfen werden können (im Einzelnen umstritten), sind die genauen Anforderungen an die vertragliche Gestaltung bisher unklar. Insbesondere stellt sich die Frage, ob und inwieweit eine Mehrheitsklausel die mögliche Thesaurierung der Höhe nach eingrenzen muss oder ob möglicherweise eine allgemeine Mehrheitsklausel ausreichend ist. In der Otto-Entscheidung musste der BGH die Frage, ob die Bildung offener Rücklagen als „bilanzrechtliches Grundlagengeschäft“9 einer besonderen Mehrheitsermächtigung mit Begrenzung nach Ausmaß und Umfang bedarf, nicht beantworten, denn im fraglichen Gesellschaftsvertrag war über eine bestimmte Rücklagenquote bereits vorab einstimmig entschieden worden.10 Zwar sah die Klausel darüber hinaus vor, dass eine höhere Rücklagenbildung eines Gesellschafterbeschlusses mit qualifizierter Mehrheit bedurfte. Ob dies den Anforderungen des Minderheitenschutzes genügt, musste der BGH aber nicht entscheiden, da für ihn nicht ersichtlich war, dass mehr als 20 % des Jahresüberschusses einer freien Rücklage zugeführt wurden.11

Für die klagende Kommanditistin sah dies anders aus: Ihrer Ansicht nach war die 20 %-Grenze überschritten, da bereits in den Untergesellschaften erwirtschaftete Gewinne thesauriert worden waren. Insgesamt seien nicht 25 Mio. €, sondern 38 Mio. € in offene Rücklagen eingestellt worden. Die Klägerin legte die gesellschaftsvertragliche Thesaurierungsklausel konzernweit aus, indem sie als Grundlage der Berechnung nicht vom Jahresergebnis der Mutter-KG ausging, sondern die Gewinne aller Konzernunternehmen sowie ← 24 | 25 → sämtliche im Konzern vorgenommenen Thesaurierungen addierte. Der Jahresabschluss der Muttergesellschaft sei, da er auf überhöhten Thesaurierungen in den Tochter- und Beteiligungsgesellschaften beruhe, unrichtig. Diese Konstellation erinnert an die aktienrechtliche Problematik des § 58 Abs. 2 AktG12. Auch dort ist fraglich, ob man die Thesaurierungsquote in konzernrechtlichem Kontext „konzernweit“ auslegen kann oder sogar muss. Im Gegensatz zu dieser Parallelproblematik ist die Diskussion im Personengesellschaftsrecht bisher nicht umfassend geführt worden. Der BGH konnte in der Otto-Entscheidung jedoch darauf verweisen, dass die Rücklagenbildung in Tochter- und Beteiligungsgesellschaften nicht Gegenstand einer Klage gegen die Jahresabschlussfeststellung und Gewinnverwendung der Muttergesellschaft sein könne, und auf Ausführungen zu der Frage, ob der Gesellschaftsvertrag so auszulegen sei, dass sich die Thesaurierungsquote auf einen „konzernweiten“ Jahresüberschuss beziehe, verzichten.

Die Entscheidung des BGH wirft mehrere in gewisser Weise aufeinander aufbauende Fragen auf, die den Gang der Untersuchung vorgeben:

Der erste Teil der Arbeit behandelt die Gewinnthesaurierung in OHG und KG. Vorangestellt ist ein Grundlagenteil, in welchem die gesetzlichen Grundlagen und Grundbegriffe im Bereich der Gewinnermittlung, Gewinnverwendung und Beschlussfassung dargestellt werden. Sodann wird, da die Jahresabschlussfeststellung Voraussetzung für die Gewinnverwendung ist, auf die Frage eingegangen, auf welche Weise in der OHG und KG der Jahresabschluss festgestellt werden kann, insbesondere ob eine allgemeine Mehrheitsklausel als Grundlage eines Mehrheitsbeschlusses ausreicht. Wenn auch der BGH diese Frage im Rahmen der Otto-Entscheidung beantwortet hat, ist sie doch auf ihre Allgemeingültigkeit zu untersuchen.

Im Anschluss wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen Gewinne in offene Rücklagen eingestellt werden können. Ausgehend von den gesetzlichen Grundlagen werden Gestaltungsalternativen dargestellt und auf ihre Wirksamkeit geprüft. Kern der Untersuchung wird die Frage sein, welchen Anforderungen eine gesellschaftsvertragliche Mehrheitsklausel genügen muss, um einen mehrheitlichen Beschluss der Gesellschafter über die Verwendung des Gewinns zu erlauben. Insbesondere soll auf die Frage eingegangen werden, ob eine absolute oder relative Begrenzung der Thesaurierungsmöglichkeit in der Mehrheitsklausel enthalten sein muss oder nicht. ← 25 | 26 →

Im zweiten Teil der Arbeit wird die Thesaurierungsproblematik auf den personengesellschaftsrechtlichen Konzern übertragen. Kern der Untersuchung wird hierbei die Möglichkeit einer „konzernweiten“ Auslegung von Thesaurierungsklauseln sein.


1 BGHZ 170, 283 = ZIP 2007, 475 = DStR 2007, 495.

2 Vom Kommanditkapital der Otto GmbH & Co. KG hielten die Klägerin 25 % und die Beklagten zu 1 bis 3 zusammen 75 %. An der Komplementär-GmbH waren die Beteiligten quotenidentisch beteiligt. Das Stimmrecht in der KG war in Abweichung von § 119 Abs. 2 HGB nicht nach Köpfen, sondern nach den festen Kapitalanteilen der Gesellschafter verteilt. Näheres zum Sachverhalt in BGHZ 170, 283, 284.

3 Laut Bestimmung des Gesellschaftsvertrages wurden „Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher Mehrheit der auf das Kommanditkapital entfallenden Stimmen gefasst, soweit nicht einzelne Bestimmungen dieses Gesellschaftsvertrages oder sonstige Vereinbarungen der Gesellschafter etwas anderes vorschreiben“.

4 So haben die nicht in der Gesellschaft tätigen Gesellschafter häufig Interesse an einer besonders hohen Ausschüttung, während die geschäftsführenden Gesellschafter gegebenenfalls eher die Belange der Gesellschaft im Blick haben.

5 BGHZ 132, 263, 266.

6 Vgl. BGHZ 170, 283, 2. Leitsatz.

7 Vgl. E/B/J/S/Ehricke, § 120 Rn. 2; MüKoHGB/Priester, § 120 Rn. 9; Schlegelberger/Martens, § 120 Rn. 1. Daneben haben sie allerdings auch eine gewisse normative Leitbildfunktion, an der sich individuelle gesellschaftsvertragliche Regelungen zu den Vermögensrechten orientieren sollen.

8 So in dem für die Otto-Entscheidung maßgeblichen Gesellschaftsvertrag: „Im Verhältnis der Gesellschafter zueinander [ist] ein zu verteilender Gewinn erst vorhanden, wenn […] ein Betrag in Höhe von 20 % des Jahresüberschusses einer freien Rücklage zugeführt worden ist. […] Die Zuführung von mehr als 20 % des Jahresüberschusses in die freie Rücklagen bedarf einer Mehrheit von 76 % der auf das Kommanditkapital entfallenden Stimmen.“

9 BGHZ 132, 263, 274 f.

10 Vgl. die betreffende Klausel in Fn. 8. Die Frage nach dem Erfordernis einer Begrenzung stellte sich nicht.

11 Siehe BGHZ 170, 283, 291.

12 Siehe hierzu näher Zweiter Teil § 4C.

Details

Seiten
248
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653070897
ISBN (ePUB)
9783653956665
ISBN (MOBI)
9783653956658
ISBN (Paperback)
9783631676677
DOI
10.3726/978-3-653-07089-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Juni)
Schlagworte
Mehrheitliche Thesaurierungsbeschlüsse Kernbereichslehre Bestimmtheitsgrundsatz Minderheitenschutz
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 248 S.

Biographische Angaben

Leona Schefzig (Autor:in)

Leona Schefzig studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Bonn und Fribourg. Sie war Mitarbeiterin am Institut für Steuerrecht der Universität Bonn, arbeitete als Rechtsanwältin und ist als Richterin tätig.

Zurück

Titel: Die Bildung offener Rücklagen in der Personenhandelsgesellschaft und im personengesellschaftsrechtlichen Konzern
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
250 Seiten