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Die Haftungsverfassung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts unter besonderer Berücksichtigung der persönlichen Gesellschafterhaftung für deliktische Verbindlichkeiten

von Tobias Hemberger (Autor:in)
©2017 Dissertation XXXI, 262 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor untersucht die Haftungsverfassung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die durch die Anerkennung ihrer eigenen Rechtsfähigkeit und das Bekenntnis zu einer akzessorischen Haftung der Gesellschafter neu konzipiert wurde. Daran schließt sich die Frage, ob die Aufwertung der GbR zum selbstständigen Rechtsträger tatsächlich mit einer gesteigerten Einstandspflicht der «unschuldigen» Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen für Delikte ihrer Mitgesellschafter «bezahlt wird». Anhand einer umfassenden historischen und teleologischen Untersuchung stellt das Buch dar, dass eine uneingeschränkte solidarische Haftung der Mitgesellschafter im Deliktsbereich mit grundlegenden gesetzlichen Wertungen nicht vereinbar ist. Aus der als notwendig erkannten teleologischen Reduktion des § 128 HGB entwickelt der Autor ein eigenständiges Haftungsmodell nach dem Konzept einer subsidiären Ausfallhaftung, das die erkannten Wertungswidersprüche zwischen Verschuldensprinzip, Gesellschafterhaftung und Gläubigerschutz in einen angemessenen Ausgleich bringt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Einführung
  • II. Gang der Untersuchung
  • B. Stand der Dogmatik zur Rechtsfähigkeit der GbR
  • I. Die Entwicklung der Rechtsfähigkeit der GbR
  • 1. Gesamthandsverständnis bei der Entstehung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts
  • a) Gesamthandsverständnis des historischen Gesetzgebers des BGB
  • b) Zentrale Problemstellungen des historischen Gesetzgebers und offene Fragen
  • (1) Doppelstruktur der Gesellschaftsverfassung
  • (2) Leitbild der Gelegenheitsgesellschaft und Wandel der Anwendungsbereiche
  • (3) Die ungelösten Fragen der Rechtssubjektivität und angelegte Folgeprobleme
  • 2. Gesamthandstheorien
  • a) Vorbemerkung
  • b) Das traditionelle Gesamthandsverständnis nach individualistischer Theorie
  • c) Das Gesamthandsverständnis der sogenannten Gruppenlehre
  • d) Stellungnahme und Fazit
  • (1) Kritik am individualistischen Gesamthandsverständnis
  • (a) Zuordnung des Gesellschaftsvermögens
  • (aa) Theorie der geteilten Mitberechtigung
  • (bb) Theorie der ungeteilten (solidarischen) Mitberechtigung
  • (b) Keine Identität von Gesellschafts- und Gesellschafterschuld
  • (aa) Inhalt der Gesellschafterhaftung
  • (bb) Gesellschafterregress
  • (cc) Fehlende Geschäftsfähigkeit einzelner Gesellschafter
  • (dd) Umfang der Gesellschafterhaftung
  • (2) Schlussfolgerung
  • (a) Übereinstimmung mit der Rechtswirklichkeit und Auslegungsmaßstab
  • (b) Praktikabilitätserwägungen
  • (aa) Identitätswahrender Wechsel im Mitgliederbestand
  • (bb) Identitätswahrender Rechtsformwechsel
  • (cc) Zuordnung des Gesellschaftsvermögens
  • (dd) Sonstige Praktikabilitätserwägungen
  • (ee) Anerkennung durch den Gesetzgeber
  • (ff) Ergebnis
  • e) Abgrenzung zwischen Außen- und Innengesellschaften
  • (1) Außengesellschaften
  • (2) Innengesellschaften
  • f) Verbleibende Abgrenzung zur juristischen Person
  • (1) Die These Raisers
  • (2) Stellungnahme
  • 3. Rechtsprechungsentwicklung zur Rechtsfähigkeit der GbR
  • a) Vorbemerkung
  • b) Rechtsprechungsentwicklung bis zur „Wiederentdeckung der Gruppenlehre“
  • c) Rechtsprechungsentwicklung seit der „Wiederentdeckung der Gruppenlehre“
  • II. Entwicklung der Haftungsverfassung der GbR
  • 1. Vorbemerkung
  • 2. Haftung für vertragliche Ansprüche
  • a) Doppelverpflichtungstheorie
  • b) Kritik der Doppelverpflichtungstheorie
  • (1) Fiktion eines Verpflichtungswillens
  • (2) Rechtsnatur der Schuld und Behandlung von Leistungsstörungen
  • (3) Beliebigkeit des Rechtsscheinsansatzes
  • (4) Haftung für gesetzliche Verbindlichkeiten
  • c) Vorbemerkung zur akzessorischen Gesellschafterhaftung
  • d) Wesen der Gesamthand
  • e) Analoge Anwendung des § 128 HGB
  • (1) Vorliegen einer haftungsrelevanten planwidrigen Regelungslücke
  • (2) Vergleichbarkeit der Interessenlage
  • (a) Vorbemerkung
  • (b) Vielgestaltigkeit der GbR
  • (aa) Erwerbsgesellschaften
  • (bb) Vermögensverwaltungsgesellschaften, Publikumsgesellschaften
  • (cc) Bauherrengemeinschaften
  • (dd) Konzernformen, Beteiligungskonsortien und Stimmrechtspools
  • (ee) „Zivilistische“ (Gelegenheits-) Gesellschaften
  • (c) Typenbezogene Beschränkung des Analogieschlusses
  • (aa) Beschränkung auf „unternehmenstragende Gesellschaften“
  • (bb) Beschränkung auf „wirtschaftlich“ agierende GbR
  • (d) Stellungnahme
  • (aa) Vorbemerkung
  • (bb) Abgrenzungskriterium der Unternehmensträgerschaft
  • (cc) Abgrenzungskriterium § 105 Abs. 2 HGB
  • (aaa) Funktion des § 105 Abs. 2 HGB
  • (bbb) Entfallen eines rechtspolitischen Bedürfnisses
  • (dd) Abgrenzungskriterium der „wirtschaftlichen Tätigkeit“
  • (ee) Fazit
  • (3) Mögliche Einschränkungen der akzessorischen Haftung
  • (a) Vorbemerkung
  • (b) Haftungsbeschränkung auf vertraglicher Grundlage
  • (aa) Haftungsbeschränkung durch Einschränkung der Vertretungsmacht
  • (bb) Individuelle Haftungsbeschränkungen
  • (cc) Vorformulierte Beschränkungsabreden
  • (c) Ansatzpunkte für eine institutionelle Haftungsbeschränkung
  • (aa) Atypische Interessenlage
  • (bb) Stellungnahme
  • (d) Übertragung des Modells der institutionellen Haftungsbeschränkung
  • f) Folgen der Anerkennung der akzessorischen Gesellschafterhaftung
  • (1) Persönliche, zeitliche und inhaltliche Reichweite der Haftung
  • (a) Persönliche Reichweite
  • (b) Zeitliche Reichweite
  • (c) Inhaltliche Reichweite
  • (2) Verhältnis von Gesellschafts- und Gesellschafterschuld zueinander
  • 3. Haftung für gesetzliche Verbindlichkeiten
  • a) Vorbemerkung
  • b) Haftung für deliktische Verbindlichkeiten
  • c) Fortgang der Untersuchung
  • C. Dogmatik der Haftungsverfassung von Personengesellschaften bei deliktischen Verbindlichkeiten
  • I. Vorbemerkung – Einfluss der dogmatischen Entwicklung
  • II. Reichweite des § 128 HGB – Historische Auslegung
  • 1. Rechtsentwicklung im 19. Jahrhundert
  • a) Kodifikation des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB)
  • (1) Historischer Kontext
  • (2) Die Beratungen der Nürnberger Kommission
  • b) Rechtsentwicklung unter Geltung des ADHGB
  • 2. Das Gesamthandsverständnis im 19. Jahrhundert – Folgen der Rechtsfortbildung
  • a) Die Position Altmeppens
  • b) Das Gesamthandsverständnis des 19. Jahrhunderts
  • (1) Vermögensordnung der Gesamthandsgesellschaft
  • (2) Stellungnahme
  • 3. Die richterliche Rechtsfortbildung des 19. Jahrhunderts als Ausdruck eines rechtsformübergreifenden Gerechtigkeitsgedankens
  • a) Tragende Erwägungen der Rechtsprechungspraxis des 19. Jahrhunderts
  • b) Der Anwendungsbereich des § 31 BGB
  • (1) Juristische Personen
  • (2) Personenhandelsgesellschaften
  • (3) Gesellschaft bürgerlichen Rechts
  • III. Ergebnis, zusammenfassende Stellungnahme und Fortgang der Untersuchung
  • D. Notwendigkeit einer teleologischen Reduktion des § 128 HGB für deliktische Verbindlichkeiten?
  • I. Problematik der Haftung für fremde Schuld
  • 1. Die Position Flumes
  • 2. Akzessorische Haftung und deliktsrechtliches Verschuldensprinzip
  • a) Grundlegendes zum deliktsrechtlichen Verschuldensprinzip
  • b) Einschränkungen des Verschuldensprinzips
  • (1) Umgehung des strikten Verschuldensprinzips
  • (2) Ausweitung des Deliktsrechts im rechtsgeschäftlichen Bereich
  • (3) Bewertung
  • c) Fortbestehende Relevanz der Problematik einer Haftung für fremde Schuld
  • (1) Lösung über Haftungsbeschränkungen
  • (2) Lösung über Verkehrssicherungs- und Organisationspflichten
  • (3) Exkurs zur „Baustoff-Rechtsprechung“ des BGH
  • (4) Differenzierung nach Verschuldensgrad
  • (5) Einschränkende Auslegung des § 31 BGB
  • (6) Lösung über das Konzept einer Entnahmehaftung
  • (7) Vergleich mit der Haftung eines Einzelunternehmers
  • II. Überprüfung der Position Flumes
  • 1. Rückschlüsse aus der historischen Auslegung des § 128 HGB
  • 2. Aspekte der teleologischen Auslegung des § 128 HGB
  • a) Grundlagen
  • b) Teleologische Reduktion des § 128 HGB
  • (1) Sinn und Zweck des § 128 HGB
  • (2) Wertung des § 31 BGB
  • (a) Verschuldensprinzip und organschaftliches Verständnis des § 31 BGB
  • (b) Verständnis des § 31 BGB als Erfolgshaftungstatbestand
  • (c) Stellungnahme
  • c) Berücksichtigung von Kapitalerhaltungsgesichtspunkten
  • (1) Risiken aus Gläubigersicht
  • (2) Bewertung
  • (a) Kapitalaufbringung
  • (b) Kapitalerhaltung
  • E. Eigener Lösungsansatz – Grundsätze der Sekundärhaftung
  • I. Auslegung im Sinne der Einheit der Rechtsordnung
  • II. Theorie der Sekundärhaftung
  • 1. Reichweite der notwendigen teleologischen Reduktion des § 128 HGB
  • a) Grundlegende Konzeption
  • b) Entscheidende Wertungskriterien
  • c) Einfügen in die Gesamtrechtsordnung
  • d) Kein ausreichender Schutz durch Gesellschafterregress
  • (1) Grundkonstellation
  • (2) Bewertung
  • (3) Berücksichtigung von Freistellungsansprüchen
  • e) Exkurs zu Haftungsprivilegierungen
  • 2. Praktische Umsetzung des Haftungsmodells
  • a) Der prozess- und vollstreckungsrechtliche Grundfall
  • b) Prozess- und vollstreckungsrechtliche Umsetzung
  • (1) Beschränkung der Zwangsvollstreckung
  • (2) Bürgschaftsmodell
  • c) Betrachtung des Insolvenzfalls
  • F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und Schlussbetrachtung

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A.   Einleitung

I.    Einführung

Mit dem Grundsatzurteil vom 29.01.20011 hat der II. Zivilsenat des BGH (scheinbar) einen „30-jährigen Glaubenskrieg“2 zur Rechtsnatur der GbR beendet, dessen Dogmengeschichte bis zum Gesetzgebungsprozess des BGB und dessen Verwurzelung in der Gesamthandsdoktrin des 19. Jahrhunderts und noch weiter zurückreicht. Die amtlichen Leitsätze des Urteils lauten wie folgt:

1. Die (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts besitzt Rechtsfähigkeit, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet.

2. In diesem Rahmen ist sie zugleich im Zivilprozeß aktiv und passiv parteifähig.

3. Soweit der Gesellschafter für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts persönlich haftet, entspricht das Verhältnis zwischen Verbindlichkeit der Gesellschaft und der Haftung des Gesellschafters derjenigen bei der OHG (Akzessorietät) – (…).

Die Entscheidung betrifft das konkrete Verständnis der Gesamthand und damit den Kern des langjährigen dogmatischen Streits, der bereits auf das Gesetzgebungsverfahren zum BGB zurückgeht. Wesentliche Ursache des Streits ist die Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Regelungen zur GbR, die eine klare Definition des „Wesens der Gesamthand“ und eine explizite Regelung zur Haftung der Gesellschafter vermissen lassen.

Dies ist Grund genug, die Rechtsauffassung des BGH zu überprüfen und sich in einem einführenden Abschnitt zunächst mit dem Stand der Dogmatik zur Rechtsfähigkeit der GbR und deren Haftungsverfassung zu beschäftigen.

Die genaue Bestimmung der Rechtsnatur der GbR steht in unmittelbaren Zusammenhang mit deren Haftungsverfassung und damit auch mit der persönlichen Gesellschafterhaftung für rechtsgeschäftliche und deliktische Verbindlichkeiten:

Denn nach dem bis in die 1970er Jahre herrschenden individualistischen Gesamthandsverständnis wurde die GbR noch nicht als eine von den Gesellschaftern zu unterscheidende rechtsfähige „überindividuelle Wirkungseinheit“3 angesehen. Dementsprechend konnte auch nicht zwischen Schulden der Gesellschaft und Gesellschafterschulden differenziert werden. Es gab also keine unterschiedlichen Schulden, sondern lediglich eine einheitliche Schuld mit doppeltem Haftungsobjekt; eine persönliche Haftung der Gesellschafter war stets die „automatische Folge“ einer Verbindlichkeit der „unselbständigen Gesellschaft“. Der geschäftsführende Gesellschafter handelt für sich selbst und verpflichtet auch die anderen einzelnen Gesellschafter gemäß §§ 714, 427 BGB. Da die Gesellschafter für Verbindlichkeiten ← 1 | 2 → mit ihrem gesamten Vermögen einzustehen haben, haften sie für diese „Einheitsschuld“ sowohl mit einem gesamthänderisch gebundenen Gesellschaftsvermögen als auch mit ihrem Privatvermögen. „Gesellschaftsschulden“ sind also nichts anderes als „gemeinschaftliche Gesellschafterschulden“. Eine selbständige Schuld der Gesellschaft, die möglicherweise anderen Regeln folgt als die Haftung der Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen, ist schlichtweg nicht existent.

Eine Haftung für deliktische Schulden kommt nach traditioneller individualistischer Gesamthandstheorie zudem nur dann in Betracht, wenn die Vertretung nicht rein rechtsgeschäftlich, sondern „organschaftlich“ zumindest im Sinne einer „organschaftlichen Vermögensverwaltung“ verstanden wird, die auch die Zurechnung deliktischen Verhaltens gegenüber den übrigen Gesellschaftern ermöglicht. Dies hätte nach streng individualistischem Gesamthandsverständnis allerdings zur Folge, dass nicht nur das gebundene Gesellschaftsvermögen, sondern auch die Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen haften würden. Denn wie im rechtsgeschäftlichen Bereich bestünde dann eine einheitliche Schuld mit doppeltem Haftungsobjekt.

Bei Anerkennung der Rechtsfähigkeit der GbR besteht demgegenüber eine eigene Schuld der Gesellschaft. Die hiervon getrennte Haftung der Gesellschafter ist damit gesondert zu begründen. Über Jahrzehnte ging man hier im Recht der GbR von einer rein rechtsgeschäftlichen Begründung der Gesellschafterverpflichtung nach Maßgabe der sogenannten Doppelverpflichtungstheorie aus.4 Der geschäftsführende Gesellschafter verpflichtet hier nicht nur sich selbst, sondern auch die Gesellschaft und die Mitgesellschafter kraft rechtsgeschäftlichem Verpflichtungstatbestand. Eine Haftung für gesetzliche Verbindlichkeiten kann es nach dieser Haftungsbegründung also nicht geben, weshalb auch diese Auffassung nochmals auf den Prüfstand zu stellen ist.

Eine andere mögliche Lösung hat der BGH bereits durch den Hinweis angedeutet, dass das „Verhältnis zwischen Verbindlichkeit der Gesellschaft und der Haftung des Gesellschafters derjenigen bei der OHG entspricht (Akzessorietät).“

Im Recht der Personenhandelsgesellschaften ist die Rechtsfähigkeit der OHG bereits seit längerer Zeit anerkannt5 und die akzessorische persönliche Gesellschafterhaftung ausdrücklich in § 128 HGB vorgesehen. Auch wenn es der II. Zivilsenat des BGH in der Grundsatzentscheidung noch vermieden hat, ausdrücklich von einer analogen Anwendung des § 128 HGB im Recht der GbR zu sprechen, hatte er offensichtlich gerade dies im Blick, was inzwischen durch nachfolgende Entscheidungen bestätigt wurde.6 ← 2 | 3 →

Nach dem Modell der akzessorischen Haftung verpflichtet der geschäftsführende Gesellschafter zunächst die rechtlich verselbständigte Gesellschaft und für diese eigenständige Gesellschaftsschuld haften die Mitgesellschafter wiederum akzessorisch nach Maßgabe der §§ 128 ff. HGB.7

Bei deliktischen Verbindlichkeiten ist jedoch noch eine weitere „dogmatische Hürde“ zu überwinden. Denn das deliktische Handeln eines Gesellschafters muss zunächst noch der Gesellschaft zugerechnet werden. Dies ist im Bereich der Personenhandelsgesellschaften durch ein organschaftliches Verständnis des Gesellschafterhandelns und einer Zurechnung nach § 31 BGB analog bereits seit langem anerkannt.8

Für die GbR hat der II. Zivilsenat des BGH hierzu im Jahre 2003 in einer weiteren Grundsatzentscheidung auf der Basis der anerkannten Rechtsfähigkeit Folgendes entschieden (amtliche Leitsätze):9

1. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts muss sich zu Schadensersatz verpflichtendes Handeln ihrer (geschäftsführenden) Gesellschafter entsprechend § 31 BGB zurechnen lassen.

2. Die Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts haben grundsätzlich auch für gesetzlich begründete Verbindlichkeiten ihrer Gesellschaft persönlich und als Gesamtschuldner einzustehen.

Entgegen der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung10 wendet der BGH damit § 31 BGB entsprechend auf die GbR an, was angesichts der Anerkennung deren Rechtsfähigkeit in konsequenter Weise der herrschenden Auffassung im Recht der Personenhandelsgesellschaften entspricht.11

Zugleich orientiert sich der BGH damit auch im Deliktsbereich am „Modell einer akzessorischen Gesellschafterhaftung“12 und verabschiedet sich damit endgültig von einer rein rechtsgeschäftlichen Begründung von Gesellschafterschulden, wie dies unter der Geltung der Doppelverpflichtungstheorie bei der GbR über Jahrzehnte herrschende Meinung war.13

Angesichts der Tragweite der Entscheidung erstaunt es allerdings, dass sich der BGH in den Urteilsgründen nicht näher mit beachtlichen Stimmen aus der Rechtswissenschaft auseinandersetzt, die einer akzessorischen persönlichen Gesellschafterhaftung für Deliktsschulden der GbR und auch anderen Gesamthandsgesellschaften ← 3 | 4 → ablehnend gegenüber stehen.14 Denn für die nicht selbst schuldhaft handelnden Gesellschafter geht es dabei um nichts anderes als um eine Haftung für fremdes Verschulden, die dem deutschen Zivilrecht angesichts des in § 831 BGB verankerten Verschuldensprinzips fremd ist.

Es ist allerdings bereits fraglich, ob § 128 HGB und dessen Vorläuferreglung im ADHGB des 19. Jahrhunderts überhaupt für deliktische Verbindlichkeiten konzipiert ist bzw. war. Dies ist daher zunächst aus historischer Sicht zu untersuchen. Dabei spielt auch das seinerzeit im Handelsrecht herrschende Gesamthandsverständnis eine entscheidende Rolle.

Aus heutiger Sicht ist bei Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Gesamthandsgesellschaften des Handelsrechts und der GbR weiter zu überprüfen, ob § 128 HGB seinem Sinn und Zweck nach auf deliktische Verbindlichkeiten anzuwenden ist.

Bei der GbR ist dabei auch die Vielgestaltigkeit ihrer Erscheinungsformen zu berücksichtigen und zu untersuchen, ob eine analoge Anwendung des § 128 HGB und damit die „handelsrechtliche Haftungsstrenge“ – sowohl im rechtsgeschäftlichen als auch im deliktsrechtlichen Bereich – ohne Einschränkungen für alle Gesellschaftstypen gleichermaßen „passt“.

II.    Gang der Untersuchung

Die Einleitung macht deutlich, dass die Frage der Haftungsverfassung der GbR nicht losgelöst vom „Wesen der Gesamthand“ und der genauen rechtlichen Begründung der persönlichen Gesellschafterhaftung untersucht werden kann. Bei der Deliktshaftung kommt es – je nach Verständnis der Rechtsnatur der Gesellschaft und der jeweiligen Haftungsverfassung – außerdem auf eine umfassende Auslegung des § 128 HGB und dessen Zusammenspiel mit §§ 31 und 831 BGB an.

Zu Beginn der Untersuchung ist damit auf die geschichtliche Entwicklung der Gesamthandsgesellschaft seit der BGB-Gesetzgebung einzugehen, um inzident den Standpunkt des BGH zur Rechtsfähigkeit der GbR zu überprüfen (Teil B.I.). Wie bereits oben skizziert ist das konkrete Gesamthandsverständnis von wesentlicher Bedeutung für die Ausgestaltung der Haftungsverhältnisse sowohl im rechtsgeschäftlichen wie auch im deliktischen Bereich.

Im nächsten Schritt ist daher näher auf die Frage einzugehen, wie genau die persönliche Gesellschafterhaftung rechtlich zu begründen ist und ob hierbei einerseits zwischen Personengesellschaften des Handelsrechts und der GbR und andererseits zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen der GbR differenziert werden muss (Teil B.II.).

An diese Grundlagenarbeit anschließend wird als Schwerpunkt der Arbeit auf die persönliche Gesellschafterhaftung für deliktische Verbindlichkeiten eingegangen. ← 4 | 5 → Hierzu ist zunächst die Entwicklung der Haftung bei den Personengesellschaften des Handelsrechts darzustellen, um dabei auch das historische Verständnis des § 128 HGB und dessen inhaltsgleiche Vorgängernorm im ADHGB näher zu beleuchten. (Teil C.).

Auf den historischen Befunden aufbauend geht es im nächsten Schritt um die teleologische Auslegung des § 128 HGB und dessen Bedeutung für die Deliktshaftung. Dabei wird auch eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem deliktsrechtlichen Verschuldensprinzip unerlässlich sein. (Teil D.).

Zielsetzung der Arbeit ist es ein interessengerechtes Haftungsregime für Gesamthandsgesellschaften und insbesondere der GbR aufzuzeigen, das sich sowohl im rechtsgeschäftlichen wie auch im deliktsrechtlichen Bereich möglichst widerspruchsfrei in die Gesamtrechtsordnung einfügt. (Teil F.). ← 5 | 6 →


1 BGH, Urteil vom 29.01.2001 – II ZR 331/00 in NJW 2001, 1056.

2 K. Schmidt, NJW 2001, 993. 994.

3 Flume, Die Personengesellschaft, § 7 II (S. 89).

4 Vgl. insbesondere MüKo-Ulmer, BGB, 3.A., § 714 Rdnr. 25 ff.

5 Baumbach/Hopt-Hopt, HGB, 36.A., § 124 Rdnr. 1f., Einleitung vor § 105, Rdnr. 14 mwN., § 124 Rdnr. 25 (zur „Deliktsfähigkeit“ der OHG); E/B/J/S-Wertenbruch, HGB, § 105, Rdnr. 12 ff. mwN., E/B/J/S-Hillmann, HGB, § 124 Rdnr. 5 (für gesetzliche Schuldverhältnisse).

6 Siehe hierzu eingehend unten Teil B.II.2.e.).

7 Teilweise wird die akzessorische Haftung auch aus dem „Wesen der Gesamthand“ abgeleitet; siehe dazu eingehend unten Teil B.II.2.d.).

8 Siehe hierzu eingehend unten Teil C.II.3. b.).

9 BGH, Urteil vom 24.03.2003 – II ZR 385/99 in NJW 2003, 1445.

10 Vgl. insbesondere BGH NJW 1966, 1807, 1808.

11 BGH NJW 2003, 1445, 1446; siehe hierzu noch eingehend unten Teil C.II.3. b.).

12 BGH NJW 2003, 1445, 1447.

13 Vgl. insbesondere MüKo-Ulmer, BGB, 3.A., § 714 Rdnr. 25 ff.; siehe hierzu eingehend unten Teil B.II.2 und 3.

14 Vgl. insbesondere Flume, Die Personengesellschaft, § 16 IV 6 (S. 343 f.); Altmeppen, NJW 1996, 1017, 1021 ff.; ders. NJW 2003, 1553, 1554 ff.; Schäfer ZIP 2003, 1225, 1227 f.; Canaris ZGR 2004, 69, 110 ff.

← 6 | 7 →

B.   Stand der Dogmatik zur Rechtsfähigkeit der GbR

I.    Die Entwicklung der Rechtsfähigkeit der GbR

Die Rechtsnatur der GbR war seit ihrer Entstehung Gegenstand heftiger juristischer Kontroversen.

Da die mit der Rechtsnatur der GbR in Zusammenhang stehenden Fragen sind grundlegender dogmatischer Natur sind sollen sie in ihrer Entwicklung im Folgenden kurz skizziert werden. Allerdings wurde die Entwicklung schon mehrfach nachgezeichnet, so dass sich die Darstellung auf die wichtigsten Grundzüge und theoretischen Ansätze beschränkt, die für das Verständnis der vorliegenden Arbeit notwendig sind. Die Darstellung wird dann jeweils direkt dort vertieft, wo eine weitergehende Analyse besonders relevant erscheint.15

1.    Gesamthandsverständnis bei der Entstehung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts

a)   Gesamthandsverständnis des historischen Gesetzgebers des BGB

Die erste Kommission zur Vorbereitung der Kodifikation eines Bürgerlichen Gesetzbuches16 orientierte sich bei der BGB-Gesellschaft am Prinzip der römischen societas.17 Die BGB-Gesellschaft war demnach im ersten Entwurf aus dem Jahr 1887/88 als lediglich zwischen den Gesellschaftern im Innenverhältnis geltendes Schuldverhältnis18 ohne dinglich gesondertes Gesellschaftsvermögen ausgestaltet.19 ← 7 | 8 → Allein die obligatorischen Verpflichtungen der Gesellschafter untereinander sollten dazu dienen, den vertraglich festgelegten Zweck der Gesellschaft zu erreichen.20 Die Gesellschafter waren an den Gegenständen gemeinsam berechtigt und verpflichtet und konnten über einzelne Gegenstände einzeln verfügen. Ausgehend von dieser Vorstellung findet sich im ersten Entwurf des BGB (§ 642 E I) noch die Regelung, dass die Gesellschafter aus Rechtsgeschäften zu gleichen Teilen berechtigt und verpflichtet werden.21

Auch die zweite Kommission hielt entsprechend der römischen Rechtstradition im Grundsatz an einem bloß schuldrechtlichen Verhältnis fest, ergänzte diese Konzeption aber um die „deutschrechtliche Auffassung“,22 nämlich das Prinzip der Gesamthand,23 das bereits in die handelrechtliche Kodifikation und Praxis Einzug gefunden hatte.24

Diese Entwicklung ging maßgeblich auf die umfassende Kritik am ersten Entwurf durch den Germanisten Otto von Gierke zurück, der ein „germanistisches Gegenbild“25 forderte.26 In Bezug auf das entworfene Gesellschaftsmodell kritisierte ← 8 | 9 → v. Gierke insbesondere, dass sich das reale moderne Gesellschaftsbild nicht ausreichend durch den individualistischen Typus der römischen Sozietät abbilden ließe. Vielmehr seien Gesellschaftsformen des nationalen Rechts erforderlich, die eine weitergehende innere und äußere Verbundenheit des Gesellschaftswesens vermittelten.27

Dabei verstand v. Gierke das „deutschrechtliche“ Gesamthandsprinzip in erster Linie personal und nicht lediglich vermögensbezogen – die personenrechtliche Verbindung der Subjekte wurde sogar als Wesenskern der Gesamthand betrachtet.28

Details

Seiten
XXXI, 262
Jahr
2017
ISBN (ePUB)
9783631703717
ISBN (PDF)
9783653072075
ISBN (MOBI)
9783631703724
ISBN (Paperback)
9783631677100
DOI
10.3726/b10674
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Dezember)
Schlagworte
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) BGB-Gesellschaft Akzessorische Gesellschafterhaftung Deliktsschulden Haftungsverfassung Verschuldensprinzip Auslegung § 128 HGB Subsidiäre Ausfallhaftung Sekundärhaftung
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. XXXI, 262 S.

Biographische Angaben

Tobias Hemberger (Autor:in)

Tobias Hemberger hat Rechtswissenschaften an den Universitäten Tübingen und Lausanne studiert. Er arbeitet als Rechtsanwalt mit den Tätigkeitsschwerpunkten Handels- und Gesellschaftsrecht, Geschäftsleiterhaftung sowie Bank- und Kapitalmarktrecht.

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