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Parlamentarische Repräsentationen

Das Bundeshaus in Bern im Kontext internationaler Parlamentsbauten und nationaler Strategien

von Anna Minta (Band-Herausgeber:in) Bernd Nicolai (Band-Herausgeber:in)
©2014 Sammelband XVI, 314 Seiten

Zusammenfassung

Parlamente, als Orte einer demokratisch verfassten Legislative, stehen heute mehr denn je im Fokus politischer Prozesse. Jenseits tagespolitischer Aktivitäten der Parlamente bilden die Bauten dieser Institution mitsamt ihrer Ausstattung nationale Monumente, die häufig den Prozess der Nationenwerdung, das nationale Selbstverständnis oder dessen Brüche dokumentieren. Das Bundeshaus in Bern mit seiner 150-jährigen Geschichte stellt innerhalb Europas das herausragende Beispiel eines kontinuierlich weiter entwickelten Hauses dar. Dieser Bau mit seiner faszinierenden Baugeschichte und seinem weitgehend erhaltenen Bildprogramm wird im Umfeld bedeutender europäischer und nordamerikanischer Parlamentsbauten neu betrachtet.
Der vorliegende Sammelband stellt die 150-jährige Geschichte des Berner Bundeshauses vor und diskutiert es im Kontext internationaler Parlamentsbauten.
Die Beiträge entstanden im Zusammenhang mit der gleichnamigen, im Bundeshaus Bern vom 17.-19.10.2012 veranstalteten Tagung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • HANSJÖRG WALTER – Grusswort
  • JÜRG STÜSSI-LAUTERBURG – Zwei Worte auf den Weg
  • ANNA MINTA und BERND NICOLAI – Einleitung und Danksagung
  • Das Berner Bundeshaus
  • JOHANNES STÜCKELBERGER – Nationale Repräsentation und Zivilreligion
  • MARTIN FRÖHLICH – Vom Bundes-Rathaus zum Parlamentsgebäude Die Bundeshaus-Wettbewerbe 1850, 1885 und 1891
  • MONICA BILFINGER – Das Schweizerische Bundeshaus Umgang mit dem Baudenkmal
  • ANNA MINTA – Republikanische Parlamentsbauten Konstruktionen von Nationalarchitekturen in der Schweiz und den USA
  • Parlamentsbauten und Nation Building
  • SUSANNE KOLTER – „To do justice to the heroic virtues which were displayed on both sides“ Historienmalerei im New Palace of Westminster im Spannungsfeld parlamentarischer und royaler Kräfte
  • MARKUS DAUSS – „Reichsaffenhaus“ und „Haus ohne Fenster“ Deutsche und französische Parlamentsarchitekturen im 19. Jahrhundert
  • MATTHIAS BOECKL – Antike und Moderne Theophil Hansens Wiener Parlamentsbau
  • JÓZSEF SISA – „Das Vaterland hat bereits sein Haus“ Das ungarische Parlament in Budapest
  • MART KALM – Representation of a nation without a glorious past The Riigikogu Building in Tallinn
  • BERND NICOLAI – 1937 – Parlamente ohne Demokratie Der Völkerbundpalast (Genf), der Palast der Sowjets (Moskau) und die Grosse Nationalversammlung (Ankara)
  • ITA HEINZE-GREENBERG – „Ein Symbol des Fortbestands“ Die Knesset in Jerusalem
  • Bildende Kunst und parlamentarische Repräsentation
  • ANNETTE DORGERLOH – „Wenn Kommunisten träumen“ Der Palast der Republik im Ensemble der Ostberliner Regierungsbauten
  • ANDREAS KAERNBACH – Zeitgenössische Kunst im Deutschen Bundestag Ein Weg zur Identitätsbildung?
  • Katalog
  • MARTIN FRÖHLICH UND LAURA HINDELANG – Nationale Parlamentsbauten bis 1945
  • Anhang
  • Bildnachweise
  • Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

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Grusswort

Hansjörg Walter, Präsident des Nationalrates 2012

Es freut mich, dass das Parlamentsgebäude der Schweizerischen Eidgenossenschaft für einmal im Mittelpunkt steht. Die umfassende internationale Tagung, veranstaltet vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Bauten und Logistik BBL, hat mir übrigens die Augen geöffnet. Ich kenne kein anderes Gebäude in der Schweiz, das mit gleicher Opulenz/Grosszügigkeit/Kunstfertigkeit aufwarten kann – abgesehen vielleicht von einzelnen Barockkirchen. Dass dem so ist, hat natürlich auch mit unserer republikanischen Tradition und Bescheidenheit zu tun. Es herrschten hier weder Kaiser, noch Könige, und es wurden auch keine Paläste für Präsidenten gebaut.

Bescheidenheit und Zurückhaltung sollte deshalb das neue Bundeshaus ausstrahlen als ein Spiegel der Volksseele. „Unnütze Pracht und übertriebene Dimensionen“ seien zu vermeiden, hielt bei der Planung die damalige Landesregierung fest. Im Nationalrat – in der grossen Kammer – war die Zustimmung zum Bauprojekt gross, was den Korrespondenten der NZZ damals zu folgendem Kommentar veranlasste: „Dieses Gebäude soll die Vertreter der ganzen Eidgenossenschaften aufnehmen, also ein Symbol des Bundes sämtlicher schweizerischer Völkerschaften werden. Dazu gehört eine würdige Ausstattung, damit sich jeder Besucher Berns daran erfreuen kann.“ Keine Freude über einen Neubau wollte im konservativen Ständerat aufkommen. Als er dann doch ja sagte, schrieb die NZZ im Frühling 1894 zufrieden: „Wir begrüssen den Beschluss vorab als Denkmal für unsere Geschichte, als Symbol des eidgenössischen Staatsgedankens.“

Ende gut, alles gut, kann man also sagen, zumindest wenn man die Protokolle der Eröffnungsfeierlichkeiten vom 1. April 1902 liest. Mein Vorgänger Ulrich Meister überschlug sich vor Lob: „Das Schweizer Volk widme dem Dienste des Herrn, der Arbeit für das Gemeinwesen, die schmuckste Heimstätte, die es zu erstellen vermag.“

Als im November 2008 nach umfassender Sanierung das Parlamentsgebäude wieder bezugsbereit war, kam ebenso Begeisterung auf, wie vor 100 Jahren. Etwas weniger wortgewaltig, aber von Herzen. Wir hatten auf einer Baustelle politisiert, was eigentlich ganz gut passte: Ist doch die Politik nichts anderes als eine ewige Baustelle. Nun, die gelungene Investition von insgesamt 100 Millionen Franken hat sich zweifellos auch aus heutiger Sicht – drei Jahr später – mehr ← ix | x → als gelohnt. Wir haben ein Baudenkmal zurückerhalten, das den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzern von heute entspricht.

Umbau und Sanierung haben bei der Bevölkerung ein bislang ungebrochenes Interesse ausgelöst: Die offiziellen Führungen sind ausgebucht. Das Parlamentsgebäude lockt seit der Wiedereröffnung jährlich 100‘000 Besucherinnen und Besucher an, die „ihr Regierungsgebäude“ sehen wollen. Wir hoffen natürlich, über die parlamentarische Repräsentation hinaus Neugier und Interesse an den politischen Inhalten und den staatspolitischen Maximen zu wecken.

Das Parlamentsgebäude ist ein offenes, transparentes Haus, wenn auch die Sicherheitsvorkehrungen in den letzten Jahren angepasst werden mussten. Eine der bedeutendsten Neuerungen ist der repräsentative Zugang, den Besucherinnen und Besucher von der Bundesterrasse her erreichen. Die grosszügige Halle ist die Visitenkarte des Hauses, Gäste sollen sich willkommen fühlen.

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Zwei Worte auf den Weg

Jürg Stüssi-Lauterburg, alt Grossrat und Historiker

CURIA heisst das Haus des römischen Senats seit der Morgendämmerung der Mutterrepublik aller Republiken. CURIA nennt sich das Bundeshaus, das Bernd Nicolai und Anna Minta vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern und Monica Bilfinger, Projektmanagement des Bundesamtes für Bauten und Logistik BBL, Gastrecht gewährt hat für ihren wegweisenden Kongress zur Parlamentsarchitektur.

Im ersten Hauptteil der vorliegenden Akten (Das Berner Bundeshaus) fragt Johannes Stückelberger nach nationaler Repräsentation und Zivilreligion und trifft damit den sakralen Charakter fast aller Parlamente; die Senatoren tagten Jahrhunderte lang angesichts des Altars der Göttin Victoria! Martin Fröhlich zeigt anhand der Bundeshaus-Wettbewerbe von 1850, 1885 und 1891, wie der alte eidgenössische Staatenbund mit seiner nomadischen Existenz zwischen den Vororten Zürich, Bern und Luzern zu neu konsolidierten demokratischen Strukturen auch ein modernes bundesstaatliches Haus bekommt. Der Umgang mit diesem bewusst als Ausdruck gemeinsamen Leistungswillens und Könnens aller Landesteile geschaffenen Baudenkmals ist Monica Bilfingers Thema. Sie führt uns keineswegs zur servilen Bewunderung toter Künstler und Bauleute, wohl aber zum kritischen Respekt einer aufrecht gehenden Nachwelt. Dass sich die USA und die Schweiz in einer Zeit, als es in Europa fast nur noch die schweizerische Republik gab und auf der Welt auch nicht gerade Volksstaaten zuhauf, als Schwesterrepubliken verstanden und dass sich dieses Verständnis in Konstruktionen von Nationalarchitekturen niederschlägt, zeigt uns Anna Minta.

Susanne Kolter, die den zweiten Hauptteil (Parlamentsbauten und Nation Building) eröffnet, illustriert am Beispiel der Historienmalerei im New Palace of Westminster die Schwierigkeit, zu einer Konsensauffassung über die eigene Vergangenheit zu gelangen. Am Ende ist dieser Versuch, allen grossen gestaltenden Kräften gerecht zu werden, wohl der am nächsten liegende Ausweg. In dieser Hinsicht nicht gar so verschieden verlief der Weg zu deutschen und französischen Parlamentsarchitekturen, denen Markus Dauss nachgeht. Im Titel seines Beitrags sind jene Schmähnamen zu finden („Reichsaffenhaus“, „Haus ohne Fenster“), deren Existenz zu einer offenen Gesellschaft unabdingbar gehört. Dem Spannungsverhältnis von Antike und Moderne widmet sich Matthias Boeckl am Beispiel des Wiener Parlamentsbaus. Josef Sisa zielt auf die Wiederherstellung einer ungarischen Staatlichkeit mit dem Parlament in Budapest als sichtbarstem ← xi | xii → Ausdruck. Wo schöpfen, wenn eine heroische Vergangenheit nicht zur Verfügung steht? Expressionismus und Modernismus sind die von Mart Kalm präsentierten estnischen Antworten. Dass die Form und der Inhalt auseinandergehen können, ruft Bernd Nicolai in Erinnerung: Ob der Völkerbundspalast in Genf 1937 für eine undemokratische Institution stand, bleibe unbeantwortet, dass der Völkerbund demokratiefern war, ist einzuräumen und dass für den Palast der Sowjets in Moskau und die Grosse Nationalversammlung in Ankara zur selben Zeit Demokratie wohl Anspruch, nicht aber Wirklichkeit war, dürfte kaum bestritten sein. In der Form aber steckte und steckt immer das Potential der Wirklichkeit, wie die weitere sowjetische und türkische Geschichte gezeigt haben. Wo sich biblische Überlieferung (das Buch Nehemia) mit konstruktivistischen und klassizistischen Tendenzen verbindet, entsteht, was Ita Heinze-Greenberg als Symbol des Fortbestands präsentiert, die Knesset in Jerusalem.

Der dritte Hauptteil (Bildende Kunst und parlamentarische Repräsentation) ist einem untergegangenen Parlament gewidmet, dem Palast der Republik in Ostberlin und den kommunistischen Träumen, die Annette Dorgerloh trefflich beschreibt. Andreas Kaernbach schliesslich tastet sich fragend auf einem Weg der Identitätsbildung voran, der zeitgenössischen Kunst im deutschen Bundestag.

Dank Martin Fröhlich und Laura Hindelang finden sich im Katalogteil ältere Parlamentsgebäude der Welt einträchtig zusammen, von der Casa de la Vall, dem Sitz des Generalrates in Andorra bis zum Beehive, wie der Executive Wing des Parlamentsgebäudes in Wellington seiner Bienenstockform wegen ganz amtlich heisst. Gewiss, viele jüngere Bauten fehlen notgedrungen. Allein, diese und weitere Lücken sind von ganz untergeordneter Bedeutung, entscheidend ist, dass sich in diesem prächtigen Band jemand der Mühe unterzogen hat, Parlamente ernst zu nehmen und die Völker ernst zu nehmen, welche ihren Parlamenten in aller Regel besondere, über das Alltägliche hinausweisende, Häuser gegeben haben. Nicht, um den gewählten Parlamentariern beiderlei Geschlechts das Gefühl zu vermitteln, sie seien die besseren Bürger als die Wähler, wohl aber, um ihnen durch Haus und Ausstattung täglich vor Augen zu führen, was die Polen, die ihren Sejm zweimal verloren und dreimal geschaffen haben, in die Worte fassen, die Exilpolen in der Schweiz und ihre Unterstützer 1868 auf die heute vor dem Rapperswiler Schloss stehende „Polnische Freiheitssäule“ einmeisselten: Freiheit ist eine grosse Sache, MAGNA RES LIBERTAS.

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Einleitung und Danksagung

Anna Minta und Bernd Nicolai

Parlamente, als Orte einer demokratisch verfassten Legislative, stehen heute mehr denn je im Fokus politischer Prozesse. Jenseits tagespolitischer Aktivitäten der Parlamente bilden die Bauten dieser Institution mitsamt ihrer Ausstattung Monumente, die häufig den Prozess der Nationenwerdung, das nationale Selbstverständnis oder dessen Brüche dokumentieren. Gegenwärtig können wir weltweit an unterschiedlichsten Orten beobachten, dass Parlamente und demokratische Verfasstheit nicht immer miteinander einhergehen. Parlamentarische Repräsentationen können daher unterschiedlichste Formen nationaler Selbstdarstellungen widerspiegeln. Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Legislative sind in diesem Zusammenhang ein essentielles Gut, für das neben dem Ursprungsland der parlamentarischen Demokratie Frankreich, insbesondere die USA und die Schweiz mit einer langen parlamentarischen Tradition stehen. Die Geschichte des „Nation Building“ durch Parlamente seit dem 19. Jahrhundert und ihre bauliche Repräsentation, wird im vorliegenden Band auf einer vergleichenden Ebene vorgestellt. Der politischnationale Umbruch in Europa, insbesondere in Mittel- und Osteuropa nach 1989, bildet neben der historischen Dimension einen Schwerpunkt.

Das Bundeshaus in Bern mit seiner 150-jährigen Geschichte stellt innerhalb Europas das herausragende Beispiel eines kontinuierlich weiter entwickelten Hauses dar. Der in drei Etappen zwischen 1850 und 1902 erbaute Komplex stand zunehmend unter Druck, modernen Nutzungsansprüchen und erweiterten Raumbedürfnissen genügen zu können und zugleich in seinem Denkmalcharakter respektiert zu werden. Zwischen 2005 und 2011 wurden Sanierungs- und Umbaumassnahmen am Bundeshaus West (ehemaliges Bundes-Rathaus) durchgeführt. 2006 begann die denkmalgerechte Restaurierung des Parlamentsgebäudes, ergänzt durch Umbauten durch das Berner Büro Aebi & Vincent. 2012 wurden die Arbeiten am Ständeratssaal vollendet. Weitere Restaurierungsarbeiten laufen bis 2018. Bis 2016 dauert die Sanierung des Bundeshauses Ost an. Damit wird der Berner Parlaments- und Regierungskomplex eine gelungene Neuausrichtung in das 21. Jahrhundert erfahren haben.

Details

Seiten
XVI, 314
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783035107296
ISBN (ePUB)
9783035196498
ISBN (MOBI)
9783035196481
ISBN (Paperback)
9783034315029
DOI
10.3726/978-3-0351-0729-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (August)
Schlagworte
Bundestag Parlament Legislative
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2014. 314 S., zahlr. Abb.

Biographische Angaben

Anna Minta (Band-Herausgeber:in) Bernd Nicolai (Band-Herausgeber:in)

Anna Minta ist Privatdozentin am Institut für Kunstgeschichte, Universität Bern, und SNF-Förderungsprofessorin am Kunsthistorischen Institut, Universität Zürich. Bernd Nicolai ist Professor für Architekturgeschichte und Denkmalpflege am Institut für Kunstgeschichte, Universität Bern.

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