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Information und Wissen – Beiträge zum transdisziplinären Diskurs

Beiträge des Symposions in Berlin am 21. und 22. April 2016

von Kristina Pelikan (Band-Herausgeber:in) Thorsten Roelcke (Band-Herausgeber:in)
©2020 Konferenzband 276 Seiten
Reihe: Transferwissenschaften, Band 12

Zusammenfassung

Information und Wissen stellen einen wesentlichen sozialen, kulturellen und ökonomischen Faktor der Gesellschaft dar. In dem Band, der auf ein Symposion 2016 in Berlin zurückgeht, werden sie aus erkenntnis-, informations- und sprachtheoretischer Perspektive diskutiert. Schwerpunkte bilden dabei: Grundsätzliche Überlegungen zu Information und Wissen, das Fehlen von und Zweifel an Wissen, Quantität und Qualität von Information aus dem Internet, Zusammenhänge zwischen Wissen und Sprache.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title Page
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Matthias Ballod, Kristina Pelikan, Thorsten Roelcke, Tilo Weber: Transferwissenschaften – gestern und heute: Zur Weiterführung und -entwicklung der Reihe
  • Kristina Pelikan, Thorsten Roelcke, Tilo Weber: Wissen – Information – Transformation: Umrisse der Transferwissenschaften
  • Grundsätzliche Überlegungen zu Information und Wissen
  • Günter Abel: Das Wechselspiel von Wissen und Information
  • Walther Ch. Zimmerli: MACHT INFORMATION SINN? Reflexionen zur Iteration von Unterschied und Nichtwissen
  • Jakob Zinsstag: Information und Wissen in der internationalen Gesundheitsforschung
  • Fehlen von und Zweifel an Wissen
  • Hans-Liudger Dienel, Christoph Henseler: Landkarten des Ungewissen – ein Werkzeug für die Kommunikation von Ungewissheit in den Wissenschaften
  • Christian Schwarke: Wissen in der Theologie
  • Qualität und Quantität von Information aus dem Internet
  • Gerd Antos: Philologie und Hermeneutik digital: Informationelle Verlässlichkeit und kommunikative Glaubwürdigkeit als Problem aktueller Internet-Nutzung
  • Marvin Wassermann: Informationsratifizierung und Wissensgenese. Überlegungen zum Wissenstransfer auf Grundlage von Web-Informationen
  • Zusammenhänge zwischen Wissen und Sprache
  • Jochen A. Bär: Wissen in der historischen Semantik
  • Winfried Thielmann: Sprachliche Voraussetzungen einer europäischen Wissenschaftsbildung
  • Konrad Ehlich: Unvorgreifliche Thesen zu Wissen und Sprache
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes

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Transferwissenschaften – gestern und heute

Zur Weiterführung und -entwicklung der Reihe

Als 2001 der erste Band der Reihe Transferwissenschaften erschien, war die „Debatte um die Wissensgesellschaft“ (Heidenreich 2003) bereits mehr als ein Jahrzehnt in vollem Gange. In den 1990er Jahren hatten Soziologen und Ökonomen die These mit Untersuchungen belegt, dass der Erfolg moderner Gesellschaften nicht länger vom Reichtum an Bodenschätzen und traditionellen Technologien abhänge, sondern zunehmend auf einer anderen, immateriellen Ressource beruhe: Wissen. Es waren Gerd Antos und Sigurd Wichter, die damals aus ihrer sprach- und kommunikationswissenschaftlichen Perspektive feststellten, dass Wissen – in seinen vielfältigen Formen und Manifestationen – seine gesellschaftliche Relevanz durch Vermehrung, Ausdifferenzierung und Anwendung nur entfalten kann, wenn es zwischen Akteuren oder Gruppen von Akteuren weitergegeben, vermittelt, dabei verändert und an unterschiedliche Bedingungen angepasst wird (Antos 2001). Dass Sprache und sprachliche Kommunikation hierbei wesentliche Faktoren darstellen, schien offensichtlich. Wie sich Wissenskommunikation jedoch konkret vollzieht und welche begrifflich-theoretischen Unterscheidungen nötig wären, um diese Prozesse überhaupt wahrnehmbar, beschreibbar und analysierbar zu machen, das waren offene und drängende Fragen, die im Zentrum der aktuellen Forschungsentwicklung lagen (vgl. Roelcke 32010: 18–28, 204–206; Roelcke 2018).

Um hierauf erste Antworten zu finden und die Umrisse eines möglichen Forschungsgebiets herauszuarbeiten, das sie – zunächst versuchsweise – Transferwissenschaften nannten, luden Wichter und Antos 1999 unter demselben Titel zu einem ersten Kolloquium nach Göttingen. Zu den Ergebnissen dieses ersten Treffens gehörte die Formulierung einiger grundlegenden Annahmen, die sich in den folgenden Jahren als fruchtbringend erweisen sollten. Sie bildeten seither das Fundament einer Serie von Kolloquien, die bis 2009 im Wechsel zwischen Göttingen und Halle stattfanden, den theoretischen und methodologischen Rahmen für die Reihe Transferwissenschaften setzen und sich wie folgt zusammenfassen lassen:

Sprache ist ein wesentlicher Faktor der Wissenskommunikation, aber Wissenskommunikation ist nicht allein mit den Mitteln der Sprachwissenschaft zu analysieren. Die Transferwissenschaften müssen also interdisziplinär sein, mit erkennbaren Ansätzen der Transdisziplinarität, wie im vorliegenden Band ←7 | 8→von Pelikan, Weber und Roelcke näher erläutert wird. Die Transferwissenschaften orientieren sich am Gegenstand Wissen im Austausch zwischen allen Fächern, hierzu sind nicht nur Vertreterinnen und Vertreter der Sozial- und Kulturwissenschaften, sondern auch solche des gesamten wissenschaftlichen Spektrums inklusive der Naturwissenschaften eingeladen.

Wissen ist nicht absolut, sondern notwendigerweise Wissen von etwas, Wissen in bestimmten Wissensdomänen. Deshalb ist Wissenskommunikation stets im Hinblick auf bestimmte praxisbezogene Bereiche zu untersuchen, innerhalb deren Akteure mit Blick auf konkrete Lösungen für theoretische und praktische Probleme Wissen kommunizieren und über Wissen kommunizieren. Dies entspricht einer transdisziplinären Orientierung (vgl. z.B. Balsiger 2005; Dubielzig & Schaltegger 2004), die neben Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen auch Vertreter der unterschiedlichsten Anwendungsbereiche außerhalb der Wissenschaft einschließt.

Wichter und Antos sprachen von der Transferwissenschaft als von einer Familie von Ansätzen, die sich mit einem zunächst nur grob umrissenen Gegenstandsbereich beschäftigen sollten: dem Wissenstransfer (vgl. z.B. Antos & Wichter 2001). Mit der Rede vom Transfer soll ein Merkmal hervorgehoben werden, das für die Entwicklung von Wissensgesellschaften entscheidend ist: Wissen entfaltet seine gesellschaftliche Wirkung nämlich erst dann, wenn es nicht das Wissen eines Einzelnen oder einzelner Gruppen bleibt, sondern geteilt, weitergegeben, mit anderem Wissen und dem Wissen anderer verknüpft wird. Diesen Aspekt der Weitergabe hat Wissenstransfer mit der Übertragung von materiellen „Gütern“, wie beim Geld-, Waren- oder Spielertransfer, gemeinsam. Von Beginn an war allen Beteiligten jedoch klar (vgl. Dewe 2004; Ballod 2004; Weber 2009a,b), dass die Rede vom Wissenstransfer nicht eine physische Übertragung meinen kann, bei der ein Gegenstand von einem Ort zum anderen bzw. von einem Akteur oder kognitiven System zum anderen verschoben wird. Wissenstransfer vollzieht sich vielmehr durch Kommunikation, und so lassen sich darauf alle Argumente anwenden, die gegen die sogenannte Rohrleitungsmetapher (conduit metaphor; vgl. den klassischen Aufsatz von Reddy 1979) formuliert wurden. Mit anderen Worten: Wissen verändert sich notwendigerweise im Prozess des Transfers, wird dabei transformiert. Und es gehört zu den zentralen Aufgaben der Transferwissenschaften zu untersuchen, welche Faktoren auf diese Transformation in welcher Weise Einfluss nehmen (vgl. Weber 2009a,b).

Nach 2009 konnten zunächst die Kolloquiums- und später auch die Publikationsreihe aus Gründen nicht fortgesetzt werden, die sich nicht aus inhaltlicher ←8 | 9→Erschöpfung, sondern aus den Lebensläufen der Protagonisten ergaben. Seitdem und vor allem auch als Reaktion auf den Band mit dem heute mehr denn je aktuellen Titel Autarke Kommunikation. Wissenstransfer in Zeiten von Fundamentalismen (Ballod & Weber 2013) wurde von unterschiedlicher Seite festgestellt, dass sich die wissenschaftlichen Fragen und Aufgaben, vor allem aber auch die gesellschaftlichen Entwicklungen, die das Unternehmen Transferwissenschaften von Beginn an motiviert hatten, keineswegs an Dringlichkeit verloren hatten.

So kamen Matthias Ballod, Thorsten Roelcke und Tilo Weber 2015 mit Gerd Antos und Sigurd Wichter überein, das bewährte Format der Transferwissenschaften zu übernehmen und es in ein neues Design zu übertragen. Wir haben die erfolgreiche Publikationsreihe des Peter Lang Verlags wieder aufgenommen und laden zur Reihe Transferwissenschaften Autorinnen und Autoren, Herausgeberinnen und Herausgeber, Projektkoordinatorinnen und Projektkoordinatoren ein, die mit ihren Denkanstößen, Erfahrungen und Forschungsergebnissen ein Publikum erreichen möchten, für das Wissenskommunikation kein Gegenstand einer bestimmten Einzeldisziplin ist, sondern sich erst im inter- und transdisziplinären Dialog unterschiedlicher Fachwissenschaftler und Experten außerhalb der Wissenschaft umfassend erhellen lässt, um daraus Konsequenzen für die Analyse und deren Umsetzung in der Praxis zu ziehen. Innerhalb dieses inhaltlich definierten Rahmens werden Monographien (darunter insbesondere auch Qualifikationsarbeiten), Forschungsberichte und Sammelbände erscheinen.

Die Transferwissenschaften sind von uns als umfassendes Projekt zur transdisziplinären und kollaborativen Forschungsarbeit konzipiert. Die Publikationsreihe bildet hierfür ein zentrales textbasiertes Forum. Ideen, Debatten und fruchtbare Kontroversen entstehen jedoch oft im direkten persönlichen Austausch. Aus diesem Grund setzen wir als Komplement zu den Publikationen auch die Tagungen zu Themen der Transferwissenschaften fort. Wir tun das in der Regel in dem bewährten Format des Kolloquiums, welches im kleinen und informellen Rahmen einen hohen Grad an Interaktivität gewährleistet (s.u. für weitere Details). Bei unseren Planungen und im Rückblick auf bisherige Entwicklungen haben wir festgestellt, dass es nicht leicht ist, Gedankengänge und Diskussionsprozesse kontinuierlich fortzuentwickeln, wenn hierfür zwischen den jährlichen Tagungen und der Detailarbeit zur Herausgabe von Publikationen keine geeigneten Strukturen zur Verfügung stehen. Diese Strukturen bereitzustellen, streben wir deshalb mit einer elektronischen Plattform an, die ab Oktober 2017 unter <www.transferwissenschaften.de> kontinuierlich zugänglich und nutzbar ist.

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Publikationsreihe, jährliche Kolloquien und Internetplattform verstehen sich als miteinander verbundene Räume eines Labors. Hier werden durchaus jeweils eigenständig zu rezipierende Beiträge geleistet werden. Doch hoffen wir, dass diese durch die Möglichkeiten zum Weiterdenken, die ihnen aufgrund der jeweiligen kommunikativen Modalitäten innewohnen, zu wechselseitiger produktiver Kritik und damit zur kontinuierlichen Arbeit am Projekt der Transferwissenschaften beitragen werden.

Innovatives Tagungsdesign

Wissenschaftliche Tagungen lassen sich oft als Folgen von Vorträgen mit anschließenden Kurzdiskussionen charakterisieren. Anstatt einen effizienten Wissenstransfer durch Interaktion zwischen allen Anwesenden zu unterstützen, kreiert dieses bekannte Design häufig eher eine anonyme Atmosphäre (Pelikan 2019). Für das transdisziplinäre Kolloquium Information und Wissen im Jahr 2016 an der Technischen Universität Berlin wurde daher ein Format gewählt, das die Interaktion zwischen allen Beteiligten fördert, indem es eine dreifache Abfolge von Kurzvorträgen, kleineren wechselnden Gesprächsrunden und informellen Pausenunterhaltungen vorsieht. Die Gesprächsrunden wurden als Wissenscafés durchgeführt – ein Design, das sich an die Methode der sogenannten World Cafés (Brown & Isaacs 2005), bzw. Knowledge Cafés (Gurteen 2013a) anlehnt.

Zur Vorbereitung der Tagung wurden von den Referenten keine Abstracts, sondern Thesen erbeten, die allen anderen Teilnehmern bereits im Vorfeld zugänglich gemacht wurden. Basierend auf diesen Thesen hielt jeder Referent einen 20-minütigen Kurzvortrag. Im Anschluss an jeweils drei Kurzvorträge folgten drei parallele Wissenscafés, in denen sich Teilnehmer und Referenten wechselseitig austauschen konnten. Diese Gesprächsrunden waren zwar erneut zeitlich beschränkt, wurden aber moderiert und protokolliert, sodass die vor Ort geführten Diskussionen aus allen Wissenscafés den Referenten anschließend zugänglich waren und von diesen für die Verschriftlichung ihrer Beiträge für den vorliegenden Band genutzt werden konnten.

Ein World Café steht für die Interaktion mit allen Beteiligten in einem die Kreativität fördernden Umfeld. Gemeinsam wird über ein Thema gesprochen, das alle Beteiligten interessiert – ohne den Anspruch auf ein bestimmtes Ergebnis dieser Diskussion. Davon abgeleitet wurde das Knowledge Café als Instrument für Wissensmanagement und unterstützten Wissensaustausch entwickelt: “Using knowledge cafes to power connected know-how” (Gurteen 2013b) – das Wissen der Beteiligten soll in Interaktion ausgetauscht und somit ←10 | 11→verknüpft werden. “Rather than defending a position, strive for mutual understanding through a frank exchange of ideas” (Gurteen 2013a) – dies kann durch unterschiedliche Variationen dieses Konzepts erreicht werden. Während beim ursprünglichen World Café und auch bei manchen Versionen des Knowledge Cafés auf möglichst bedeutungsvolle Fragen (Brown et al. 2003) als Einstieg in die Diskussion geachtet wird, eignen sich hierfür auch sehr gut Impulsvorträge. Diese Kombination aus thesenbasierten Kurzvorträgen und Wissenscafé ermöglicht einen gewinnbringenden Austausch, ohne dass die jeweiligen Moderatoren durch gezielte Fragen die Diskussion anregen müssen (Pelikan 2019). Durch die Interaktion in unterschiedlichen Gruppen pro Runde ergaben sich an allen Tischen interessante Gespräche, und die durch dieses Design erwünschten Effekte wurden erreicht. Auf unterschiedliche Weise entwickelten sich informelle und offene Gespräche, die sich zwar an dem jeweiligen Referat und den darin vorgebrachten Gedanken orientierten, jedoch eher die Form eines Austauschs zwischen Gleichberechtigten als einer Abfolge von Fragen und Antworten mit festen Rollen annahmen. Auf diese Weise erhielten alle Referentinnen und Referenten Rückmeldungen von (fast) allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, gleichzeitig nutzten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Gelegenheit, mit den Referentinnen und Referenten ins Gespräch zu kommen.

Die neue Struktur des Knowledge Café erlaubt das Aushandeln von Antworten auf unterschiedliche Fragestellungen und fördert so die Kreativität der Teilnehmenden. Dieses sprachliche Aushandeln halten wir auch im Hinblick auf folgende mehrsprachige Tagungen, beispielsweise 2018 in Liberec, für sehr wichtig. Die Grundidee, das klassische Tagungsdesign aufzubrechen, wird also auch in den folgenden Veranstaltungen der Transferwissenschaften weitergeführt werden.

Die Beiträge dieses Bandes

Der hier vorgelegte Band verbindet das neue Design der Transferwissenschaften mit unterschiedlichen Positionen aus den verschiedenen Disziplinen zum Thema. Er enthält zehn Beiträge, die teils auf Vorträge des Symposions 2016 in Berlin zurückgehen, teils eigens für den Band verfasst wurden. Unter dem Titel „Information und Wissen – Beiträge zur transdisziplinären Diskussion“ fassen die Reihenherausgeber der „Transferwissenschaften“ und die Organisatoren der Berliner Tagung zunächst einige zentrale Elemente der Diskussion um Information und Wissen zusammen. Hierzu zählen insbesondere etymologische und konzeptionelle Aspekte, die Relation von Daten, Informationen, Wissen und Sprache sowie methodische Überlegungen zur inter- oder transdisziplinären ←11 | 12→Herangehensweise; diese werden hierbei miteinander in Verbindung gebracht und anhand weiterführender Überlegungen vertieft. Die folgenden Beiträge lassen sich vier thematischen Schwerpunkten zuordnen: Grundsätzliche Überlegungen zu Information und Wissen, Fehlen von und Zweifel an Wissen, Quantität und Qualität von Information aus dem Internet sowie Zusammenhänge zwischen Wissen und Sprache.

Grundsätzliche Überlegungen zu Information und Wissen: In seinem grundlegenden Aufsatz geht Günter Abel (Berlin) auf das „Wechselspiel von Wissen und Information“ ein: Vor dem Hintergrund der erheblichen Relevanz und Heterogenität von Wissen und Information zeigt Abel zunächst die Grenzen einer informationstheoretischen Semantik auf und plädiert im Anschluss hieran für ein dynamisches Modell von miteinander verschränkten Wissens- und Informationsräumen, welches ein Zusammenspiel von unterschiedlichen Qualitäten von und Perspektiven auf Information und Wissen erlaubt. – „Macht Information Sinn?“ Diese Frage nimmt Walther Ch. Zimmerli (Berlin/Zürich) im Anschluss hieran zum Anlass von „Reflexionen zur Iteration von Unterschied und Nichtwissen“. Angesichts der immer wieder zu beobachtenden Tatsache, dass ein Zuviel an Information nicht sinnstiftend, sondern vielmehr sinnverschleiernd wirken kann, diskutiert er Konzeptionen der Abgrenzung von Informationen und der Sinnstiftung von Nichtwissen. Angesichts der kaum zu übersehenden Menge an Information seitens des Internets erhalten Zimmerlis Überlegungen eine hohe Brisanz. – An dem konkreten Beispiel von „Information und Wissen in der internationalen Gesundheitsforschung“ zeigt Jakob Zinsstag (Basel) auf, wie disziplinäres, interdisziplinäres und transdisziplinäres Wissen entsteht und zusammenwirkt. Internationale Gesundheitsforschung hat die Verbesserung komplexer Systeme von Mensch und Umwelt zum Ziel, nimmt dabei ein breites Feld an sozial- und naturwissenschaftlichen Fragestellungen in den Blick und bezieht dabei nicht allein akademische, sondern auch nichtakademische Akteure mit ein.

Fehlen von und Zweifel an Wissen: Neben Überlegungen zu Information und Wissen nehmen auch solche zum Fehlen von oder zum Zweifel an Wissen eine wichtige Rolle im Diskurs der Transferwissenschaften ein (vgl. oben). „Landkarten des Ungewissen“ stellen daher für Hans-Liudger Dienel (Berlin) und Christoph Henseler (Berlin) ein „Werkzeug für die Kommunikation von Ungewissheit in den Wissenschaften“ dar. Von dem Faktum ausgehend, dass zwischen dem Forschungswissen, das von der Gesellschaft (etwa mit Blick auf die Erklärung und Bewältigung von Krisen und Katastrophen) erwartet oder vorausgesetzt wird, und dem Forschungswissen, welches in den betreffenden Wissenschaften tatsächlich generiert wird, werden Räume des wissenschaftlichen Nichtwissens ←12 | 13→ausgelotet und erörtert. – Christian Schwarke (Dresden) beschäftigt sich in seinem Beitrag „Wissen in der Theologie“ mit verschiedenen Konzeptionen von Glaube und Wissen. Gelte Glaube im Alltag als eine weniger verbindliche Form von Wissen, das seinerseits in den Wissenschaften systematisch gefestigt und begründet werde, entstehe und entwickele sich Glaube aus der Perspektive der Theologie als eine allgemeine Übereinkunft und ein gesichertes Vertrauen in dasjenige, was von einer bestimmten menschlichen Gruppe als Gegenstand des gemeinsamen Wissens angesehen wird.

Quantität und Qualität von Information aus dem Internet: Viele Fragen der Transferwissenschaften fokussieren die Quantität und die Qualität von Informationen im Internet. In diesem Kontext widmet sich Gerd Antos (Halle) unter dem Titel „Philologie und Hermeneutik digital“ dem Problem der informationellen Verlässlichkeit und der kommunikativen Glaubwürdigkeit des Internets. Er zeichnet die Bedingungen von dessen Nutzung auf und fragt nach Kriterien, mit dem Internetinformationen in Bezug auf ihre Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit geprüft werden können. Letztlich kann dies allein außerhalb des Internets erfolgen – nämlich in der tatsächlichen Bildung seiner Nutzenden, sodass sich aus Antos’ Antwort auch erhebliche didaktische Konsequenzen ergeben. – Die Entwicklung eines konkreten „Modells des Wissenstransfers mit Web-Informationen“ ist das Ziel von Marvin Wassermann (Aachen) in seinem Beitrag „Informationsratifizierung und Wissensgenerierung“. Auch Wassermann problematisiert das Internet als Informationsressource und entwickelt daraufhin ein an kommunikativer Effizienz ausgerichtetes rezipientenorientiertes Modell der Evaluation von Web-Informationen und der Generierung von Wissen auf deren Grundlage; der Beitrag schließt mit der Entwicklung einiger sprachwissenschaftlicher und letztlich auch -didaktischer Forschungsfragen.

Zusammenhänge zwischen Wissen und Sprache: Der enge Zusammenhang zwischen Wissen und Sprache ist unstrittig; strittig jedoch ist dessen Modellierung. Am Beispiel älterer Texte deutscher Sprache, die nicht (mehr) unmittelbar verständlich sind, diskutiert vor diesem Hintergrund Jochen A. Bär (Vechta) in seinem Aufsatz „Wissen in der historischen Semantik“ die Generierung von Bedeutungswissen im Allgemeinen. Er analysiert Formen, Grundlagen und Methoden der Erschließung semantischen Wissens und zeigt dabei, dass die Beschäftigung mit Sprachgeschichte nicht nur zu einer vertieften Einsicht in die Sprache der Gegenwart führen, sondern auch einen Beitrag zur Methodologie der Sprachwissenschaft selbst leisten kann. – Der Beitrag von Winfried Thielmann (Chemnitz) ist darauf den sprachlichen „Voraussetzungen einer europäischen Wissenschaftsbildung“ gewidmet. Vor dem Hintergrund eines aktuellen Forschungsprojektes werden zunächst einige sprachliche Beobachtungen im ←13 | 14→Bereich der wissenschaftlichen Lehre in deutscher Sprache und in englischer Lingua franca miteinander verglichen, um hieraus abschließend Konsequenzen für ein europäisches Bildungskonzept zu ziehen, welches konsequent an wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit ansetzt. – Zum Abschluss des Bandes stellt Konrad Ehlich (Berlin) sieben „unvorgreifliche Thesen zu Wissen und Sprache“ auf. Mit implizitem Verweis auf Leibniz’ „Unvorgreifliche Gedanken“ und vor dem Hintergrund einer funktionalen Pragmatik kreisen die Überlegungen von Ehlich um das Verhältnis von Wissen und Sprache sowie die Verarbeitung von und die Teilhabe an Wissen im Rahmen einer Sprach- und Wissensgemeinschaft, die sich letztlich in einer griechisch-lateinisch-europäisch geprägten theoretischen Tradition befindet und bewegt.

Wir danken der Arbeitsgemeinschaft für Linguistische Pragmatik e.V. (ALP) für die freundliche Unterstützung beim Druck dieses Bandes.

Literatur

Antos, Gerd (2001): Transferwissenschaft. Chancen und Barrieren des Zugangs zu Wissen in Zeiten der Informationsflut und der Wissensexplosion. In: Wichter, Sigurd/Antos, Gerd (Hg.): Wissenstransfer zwischen Experten und Laien. Umriss einer Transferwissenschaft (= Transferwissenschaften 1). Frankfurt, M.: Peter Lang, 3–33.

Antos, Gerd/Wichter, Sigurd (2001): Wissenstransfer zwischen Experten und Laien. Umriss einer Transferwissenschaft. In: Wichter, Sigurd/Antos, Gerd (Hg.): Wissenstransfer zwischen Experten und Laien. Umriss einer Transferwissenschaft (= Transferwissenschaften 1). Frankfurt, M.: Lang, VII.

Details

Seiten
276
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631705414
ISBN (ePUB)
9783631705421
ISBN (MOBI)
9783631705438
ISBN (Hardcover)
9783631713532
DOI
10.3726/b15936
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Dezember)
Schlagworte
Sprache Denken Wissenstransfer Digitalisierung Wissensmanagement Wissenschaftsbildung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 276 S., 22 s/w Abb., 5 Tab.

Biographische Angaben

Kristina Pelikan (Band-Herausgeber:in) Thorsten Roelcke (Band-Herausgeber:in)

Kristina Pelikan war Wissenschaftliche Mitarbeiterin der TU Berlin und arbeitet am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut, Basel. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der Angewandten Linguistik. Thorsten Roelcke ist Leiter des Fachgebiets Deutsch als Fremdsprache an der TU Berlin. Schwerpunkte seiner Arbeit bilden Deutsch als Fremdsprache und fachliche Kommunikation.

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