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Die deliktische Außenhaftung von Leitungsorganen in der Kapitalgesellschaft

von Geesa de Vries (Autor:in)
©2017 Dissertation 264 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin befasst sich mit der deliktischen Außenhaftung der Leitungsorgane in der Kapitalgesellschaft. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit Vorstandsmitglieder in der Aktiengesellschaft und Geschäftsführer in der Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegenüber Dritten haften, wenn sie anlässlich ihrer organschaftlichen Tätigkeit eine unerlaubte Handlung im Sinne der §§ 823 ff. BGB begehen. Ausgangspunkt ist dabei das zentrale Problem, die haftungsrechtlichen Grundsätze des Kapitalgesellschaftsrechts und die Wertungen des allgemeinen Schuldrechts zu einem Ausgleich zu bringen und diese einer genauen Analyse zu unterziehen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • 1. Teil. Einleitung
  • 2. Teil. Grundlagen und Problemaufriss
  • A. Der zivilrechtliche Grundsatz der unbeschränkten Haftung für unternehmerisches Handeln
  • B. Das Konzept der Haftungskonzentration auf die Kapitalgesellschaft
  • I. Das Phänomen der juristischen Person
  • II. Die Haftung der Leitungsorgane der juristischen Person
  • 1. Der Begriff des Leitungsorgans
  • 2. Grundlagen der Zurechnung von Organhandeln
  • a) Organ- und Vertretertheorie
  • b) Stellungnahme und Konsequenzen für die deliktische Organhaftung
  • 3. Die deliktische Haftung des Unternehmensträgers nach § 31 BGB
  • a) Problemstellung
  • b) Eigenhaftung des Organs als Tatbestandsmerkmal von § 31 BGB
  • c) Haftung des Unternehmens nach § 31 BGB ohne Eigenhaftung des Organs
  • d) Stellungnahme
  • 4. Abgrenzung der Organaußenhaftung zum Haftungsdurchgriff
  • a) Trennungsprinzip
  • b) Ursprung der Haftungsbeschränkung
  • c) Abgrenzung von Organaußenhaftung zur Durchgriffshaftung
  • d) Privilegierung des Gesellschafter-Geschäftsführers?
  • III. Zusammenfassung
  • C. Analyse des Systems der Haftungskonzentration
  • I. Rechtliche Vor- und Nachteile des Systems der Haftungskonzentration
  • II. Rechtsdogmatische Einwände gegen die Haftungskonzentration
  • III. Rechtsethische Einwände gegen die Haftungskonzentration
  • IV. Wirtschaftspolitische Einwände gegen die Haftungskonzentration
  • V. Ökonomische Analyse des Prinzips der Haftungskonzentration
  • 1. Überabschreckung oder Optimierung des Sorgfaltsniveaus?
  • 2. Sonderfall Kapitalmarktinformationshaftung: Organaußenhaftung zur Vermeidung der Last Period-Problematik?
  • VI. Zwischenergebnis
  • D. Einführung in die Problemstellung und Gang der Darstellung
  • I. Untersuchungsbedarf, praktische Relevanz und Fragestellung
  • 1. Untersuchungsbedarf
  • 2. Praktische Relevanz
  • 3. Fragestellung
  • II. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands
  • III. Gang der Darstellung
  • 3. Teil. Zentrale Fallgruppen der deliktischen Haftung von juristischer Person und Leitungsorganen
  • A. Grundsatz: Haftung der juristischen Person
  • I. Bereichsspezifische Vorschriften zur Haftung des Unternehmens
  • II. Haftung des Unternehmensträgers nach allgemeinem Deliktsrecht
  • 1. Haftung nach § 831 BGB
  • 2. Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB
  • a) Haftung für unmittelbare Verletzungshandlungen
  • b) Haftung für mittelbare Verletzungshandlungen und Unterlassen
  • 3. Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB
  • 4. Haftung nach § 826 BGB
  • B. Ausnahme: Haftung der Leitungsorgane
  • I. Bereichsspezifische Vorschriften zur Organaußenhaftung
  • II. Organaußenhaftung nach allgemeinem Deliktsrecht
  • 1. Haftung nach § 831 BGB
  • 2. Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB
  • a) Haftung für unmittelbare Verletzungshandlungen
  • b) Haftung für mittelbare Verletzungshandlungen und Unterlassen
  • 3. Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB
  • a) Schutzgesetze, die auf das Verhalten der Leitungsorgane persönlich abzielen
  • b) Lederspray-Entscheidung
  • c) Rückgriff auf § 14 StGB
  • d) § 130 OWiG
  • e) Insolvenzverschleppung
  • f) BSR-Entscheidung von 2009
  • 4. Haftung nach § 826 BGB
  • a) Bewusste Falschinformation, insbesondere: Kapitalmarkthaftung
  • b) Bewusste Gläubigergefährdung
  • c) Existenzvernichtung
  • d) Subjektive Voraussetzungen in Kollegialorganen
  • 5. Haftung nach § 830 Abs. 2 BGB: Dornbracht-Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf von 2013
  • C. Zwischenergebnis
  • 4. Teil. Vergleich zu verwandten Rechtsinstituten
  • A. Allgemeiner zivilrechtlicher Grundsatz der Haftungskonzentration auf den Vermögensträger?
  • I. Idee und Ursprünge
  • II. Haftung des Stellvertreters als Ursprungskonstrukt
  • III. Zwischenergebnis
  • B. Haftung des Arbeitnehmers
  • I. Allgemeines zur Arbeitnehmerhaftung gegenüber Dritten
  • 1. Haftung für Schäden gegenüber dem Arbeitgeber: Der dreigeteilte Fahrlässigkeitsbegriff
  • 2. Ansätze zur dogmatischen Herleitung der Haftungsbeschränkung
  • 3. Haftung für Schäden gegenüber Dritten
  • a) Haftung für unmittelbare Verletzungshandlungen: Keine Beschränkung der Außenhaftung
  • b) Haftung für mittelbare Verletzungshandlungen und Unterlassen
  • 4. Der innerbetriebliche Schadensausgleich
  • II. Schlussfolgerungen für die Außenhaftung von Leitungsorganen
  • 1. Ansatz von Eckardt
  • 2. Alter Ansatz von Brüggemeier
  • 3. Ansatz von Kleindiek
  • 4. Ansatz von Sandmann
  • 5. Stellungnahme
  • C. Haftung des Beamten
  • I. Grundlagen der deliktischen Eigenhaftung des Beamten
  • 1. Staatshaftung und Eigenhaftung
  • 2. Voraussetzungen der Eigenhaftung
  • 3. Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB
  • II. Schlussfolgerungen für die Außenhaftung von Leitungsorganen
  • 1. Neuer Ansatz von Brüggemeier
  • 2. Stellungnahme
  • D. Haftung bei Treuhandverhältnissen
  • I. Die Haftung des Treuhänders
  • 1. Grundlagen
  • 2. Die Haftung im Innenverhältnis
  • 3. Die Haftung im Außenverhältnis
  • 4. Die Haftung des Treuhänders nach der Insolvenzordnung
  • 5. Zwischenergebnis
  • II. Haftung des Insolvenzverwalters
  • 1. Grundlagen der Haftung des Insolvenzverwalters.
  • a) Überblick und dogmatische Grundprinzipien
  • b) Die Haftung des Insolvenzverwalters nach §§ 60, 61 InsO
  • c) Deliktische Haftung bei Betriebsfortführung
  • d) Subsidiarität der Insolvenzverwalterhaftung
  • e) Haftung der Geschäftsleiter der eigenverwalteten Gesellschaft analog § 60 ff. InsO
  • 2. Schlussfolgerungen für die Außenhaftung von Leitungsorganen
  • III. Haftung des Testamentsvollstreckers
  • 1. Grundlagen der Haftung des Testamentsvollstreckers
  • a) Haftung des Testamentsvollstreckers gem. § 2219 BGB
  • b) Deliktische Eigenhaftung des Testamentsvollstreckers
  • c) Haftung des Nachlasses für Handeln des Testamentsvollstreckers
  • 2. Schlussfolgerungen für die Außenhaftung von Leitungsorganen
  • IV. Schlussfolgerungen für die Außenhaftung von Leitungsorganen für Treuhandverhältnisse insgesamt
  • E. Zwischenergebnis und Ausblick
  • I. Zwischenergebnis
  • II. Ausblick
  • 5. Teil. Kriterien, die eine Durchbrechung der Haftungskonzentration rechtfertigen
  • A. Grundlagen der deliktischen Haftung
  • B. Einzelne Kriterien, die eine Durchbrechung der Haftungskonzentration rechtfertigen
  • I. Die essentielle Bedeutung des Rechtsgutes als Rechtfertigung für eine persönliche Außenhaftung
  • II. Die unmittelbare Verletzungshandlung als Rechtfertigung für eine persönliche Außenhaftung
  • 1. Aktives Tun als Haftungsgrund
  • 2. Abgrenzung von Tun und Unterlassen
  • 3. Begriff der unmittelbaren Verletzungshandlung
  • 4. Anwendung auf die Außenhaftung von Leitungsorganen
  • III. Der Grad des Verschuldens als Rechtfertigung für eine persönliche Außenhaftung
  • 1. Positive Kenntnis: Die Auflehnung gegen die Rechtsordnung als Haftungsgrund?
  • 2. Keine Haftung bei nur leichter Fahrlässigkeit?
  • IV. Verbleibender Anwendungsbereich von § 823 Abs. 1 BGB
  • 1. Stand der Literatur
  • a) Haftungsfreundliche Auffassung
  • b) Haftungsfeindliche Auffassung
  • c) Differenzierung nach dem Grad des Verschuldens
  • d) Auffassung von Grunewald
  • 2. Zur Entstehung von Verkehrssicherungspflichten
  • 3. Leitungsorgane als Träger von Verkehrssicherungspflichten
  • a) Berufsspezifische Sachkunde
  • b) Übernahme von Pflichten
  • c) Eigener Ansatz: Hervorrufen eines Vertrauenstatbestandes auf Grund besonderer Umstände
  • 4. Anwendung auf die Außenhaftung von Leitungsorganen
  • V. Strafrechtliche Relevanz als Rechtfertigung für eine persönliche Außenhaftung
  • 1. Anforderungen an ein Schutzgesetz
  • a) Stand der Literatur zu den Anforderungen an ein Schutzgesetz
  • b) Strafgesetze als Schutzgesetze
  • c) Andere Schutzgesetze
  • d) Zwischenergebnis
  • 2. Anwendung auf die Außenhaftung von Leitungsorganen
  • a) Eigenhändig verwirklichte Straftatbestände
  • b) Insolvenzverschleppung
  • c) Lederspray-Fall
  • d) § 266a StGB
  • e) §§ 32, 54 KWG
  • f) § 130 OWiG
  • g) Andere Schutzgesetze
  • VI. Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung als Rechtfertigung für eine persönliche Außenhaftung
  • 1. Grundsätzliche Erwägungen
  • 2. Kapitalmarktinformationshaftung
  • a) Erwägungen der Rechtsprechung, die für eine Organaußenhaftung sprechen
  • b) Stand der Literatur
  • c) Stellungnahme
  • VII. Haftung als Teilnehmer gem. § 830 Abs. 2 BGB
  • 1. Haftung als Teilnehmer nach § 830 Abs. 2 BGB als Ersatz für die fehlende Adressateneigenschaft
  • 2. Keine Teilnahme an der Haupttat durch dieselbe Handlung im natürlichen Sinne
  • 3. Keine Teilnahme an der Haupttat durch zwei Handlungen derselben natürlichen Person
  • 4. Privilegierung des unmittelbar handelnden Leitungsorgans?
  • 5. Anwendung auf die Dornbracht-Entscheidung
  • C. Zwischenergebnis
  • 6. Teil. Rechtsfolge und Grenzen der deliktischen Außenhaftung
  • A. Rechtsfolge der deliktischen Außenhaftung von Leitungsorganen
  • I. Haftungssystem des BGB bei Schadensersatzansprüchen gegen mehrere Schädiger aufgrund eines identischen Schadensereignisses
  • II. Gesamtschuldnerische Haftung von Gesellschaft und Leitungsorgan
  • 1. Keine analoge oder direkte Anwendung von § 840 Abs. 1 BGB
  • 2. Voraussetzungen von § 421 BGB
  • a) Geschriebene Voraussetzungen von § 421 BGB
  • 3. Ungeschriebene Voraussetzung von § 421 BGB: Gleichstufigkeit der Haftung trotz vorrangiger Haftung der Gesellschaft im Innenverhältnis?
  • 4. Haftung im Außenverhältnis
  • 5. Haftung im Innenverhältnis
  • a) Innenausgleich bei Pflichtverletzung des Organs gegenüber der Gesellschaft: Grundsatz der Alleinhaftung des Organs
  • b) Innenausgleich ohne Pflichtverletzung des Organs gegenüber der Gesellschaft
  • c) Zwischenergebnis
  • 6. Gleichstufigkeit trotz vorrangiger Haftung der Gesellschaft im Innenverhältnis
  • III. Haftung mehrerer Leitungsorgane
  • 1. Im Verhältnis zur Gesellschaft
  • 2. Innenausgleich untereinander: Anwendung von § 840 Abs. 2 BGB zwischen mehreren Leitungsorganen?
  • IV. Verjährung
  • 1. Im Außenverhältnis
  • 2. Im Innenverhältnis
  • a) Ansprüche der Gesellschaft gegen die Leitungsorgane
  • b) Ansprüche der Leitungsorgane gegen die Gesellschaft sowie untereinander
  • V. Zwischenergebnis
  • B. Beeinflussung der deliktischen Organaußenhaftung durch vertragliche Vereinbarungen
  • I. Einfluss vertraglicher Ansprüche gegen die Gesellschaft auf die Organaußenhaftung
  • 1. Verhältnis vertraglicher und deliktischer Ansprüche gegen denselben Anspruchsgegner
  • 2. Einbeziehung von Organmitgliedern in gesetzliche und vertragliche Haftungsbeschränkungen zwischen der Gesellschaft und Dritten
  • II. Auswirkungen von D&O-Versicherungen auf die Haftung von Leitungsorganen
  • 1. Trennungsprinzip
  • 2. Durchbrechung des Trennungsprinzips im Rahmen deliktischer Haftung, insbesondere: Beachtlichkeit von Versicherungsschutz bei der Beurteilung von Verkehrspflichten
  • a) Tiefgaragenfall von 1972 und Reaktionen der Literatur
  • b) Stellungnahme
  • 3. Einfluss von D&O-Versicherungen auf die Außenhaftung von Leitungsorganen
  • a) Beachtlichkeit von Versicherungsschutz bei der Beurteilung von Verkehrspflichten
  • b) Einfluss des deep pocket-Phänomens
  • c) Stellungnahme
  • III. Zwischenergebnis
  • C. Beschränkung der Haftung durch Ressortaufteilung?
  • I. Grundsatz der Gesamtverantwortung
  • II. Haftungsbeschränkung durch Ressortaufteilung?
  • 1. Ansicht des VI. Senats und Reaktionen in der Literatur
  • a) Entscheidung des VI. Senats von 1996
  • b) Reaktionen in der Literatur
  • 2. Stellungnahme
  • III. Zwischenergebnis
  • D. Zwischenergebnis
  • 7. Teil. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse, Fazit und Übertragbarkeit des erarbeiteten Haftungsmodells
  • A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
  • B. Abschließendes Fazit und Frage des gesetzgeberischen Handlungsbedarfs
  • I. Abschließendes Fazit
  • II. Klarstellung durch den Gesetzgeber entbehrlich
  • Literaturverzeichnis
  • Rechtsprechungsverzeichnis (Auswahl)

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Abkürzungsverzeichnis

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1.   Teil. Einleitung

Die Haftung der Organe einer Kapitalgesellschaft gegenüber Dritten gehört zu den wesentlichen Fragestellungen des Gesellschaftsrechts. Dass eine Haftung der Organe gegenüber außenstehenden Dritten nur ausnahmsweise in Betracht kommt, ist Teil der gesellschaftsrechtlichen Risikoallokation.1 Dennoch hat die Frage der persönlichen Haftung von Vorständen, Aufsichtsräten und Geschäftsführern im letzten Jahrzehnt zunehmend an Bedeutung gewonnen.2 Immobilien-, Staatsschulden- und Finanzkrise und die damit einhergehenden Schuldnerausfälle führten dazu, dass Gläubiger verstärkt nach weiteren Schuldnern Ausschau hielten. Innerhalb der Gesellschaft führte die ARAG-Garmenbeck-Rechtsprechung3 zu einem erhöhten Aufkommen von Klagen des Aufsichtsrats gegen den Vorstand.4 Aber auch die Zahl der Schadensersatzklagen Dritter gegen das Management vervielfältigte sich.5 Üblicherweise schließen Gesellschaften für ihre Leitungsorgane zwar eine Haftpflichtversicherung ab, die sowohl Innen-, als auch Außenhaftung abdeckt (sog. Directors & Officers-Versicherung). Hierbei ist allerdings zu beachten, dass § 93 Abs. 2 S. 3 AktG in der Aktiengesellschaft einen Selbstbehalt für Vorstandsmitglieder vorschreibt. ← 19 | 20 → Zudem bleibt das Leitungsorgan jenseits der Deckungsgrenze der D&O-Versicherung persönlich verantwortlich und setzt sich damit einem wirtschaftlichen Ruin aus.6 Hinzu kommt, dass die zivil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit von Leitungsorganen durch den Gesetzgeber verschärft wurde. Eingeführt bzw. reformiert wurden u.a. die Insolvenzantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 15a InsO und das Zahlungsverbot nach § 64 S. 1 GmbHG bzw. §§ 92 Abs. 2 S. 1, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG (und §§ 64 S. 3 GmbHG, 92 Abs. 2 S. 3 AktG).7 Als Reaktion auf die Finanzmarktkrise sieht der neue § 54a KWG neue Strafbarkeits-tatbestände für Geschäftsleiter im Risikomanagement vor.8

In den vergangenen zwei Jahren ist dagegen ein Richtungswechsel in Literatur und Rechtsprechung zu verzeichnen. Nachdem die Finanzkrise zunächst ein „allgemeines Misstrauen gegen die Integrität von Managern“9 geschürt hatte, wird nunmehr vielmehr betont, dass die Organtätigkeit in großen Unternehmen nicht zu einer existenzbedrohenden Haftungsgefahr führen darf.10 Der 70. Deutsche Juristentag hat sich im September 2014 der Organhaftung und der Frage der Reformperspektiven gewidmet.11 Auch auf internationaler Ebene wurde von der London ← 20 | 21 → School of Economics im Auftrag der EU-Kommission eine rechtsvergleichende Studie über die Organhaftung erarbeitet.12

Diese Entwicklung wirft die Frage der Eingrenzbarkeit der Organaußenhaftung auf, um unkalkulierbare Haftungsrisiken für Leitungsorgane und ergebnisorientierte Einzelfallentscheidungen zu vermeiden. Die Übernahme von Leitungsverantwortung führt bereits aus rein tatsächlichen Gründen zu einer Haftungsgefahr: Nur derjenige, der handelt und etwas verbindlich entscheiden kann, kann sich falsch entscheiden und hierfür haften.13 Auch eine Haftung wegen Unterlassen kommt nur für den in Betracht, der überhaupt eine Handlungsmöglichkeit hat.14 Um den Grundsatz der Haftungsbeschränkung in der Kapitalgesellschaft aufrecht zu erhalten, müssen der Außenhaftung strenge bzw. vorhersehbare Grenzen gesetzt werden. Dies gilt insbesondere für die deliktische Außenhaftung, die bei zu weitgehender Anwendung zu einer völligen Aufhebung des Prinzips der Haftungsbeschränkung führen kann. Seit über zwei Jahrzehnten wird dabei immer wieder die sogenannte Baustoffentscheidung des VI. Senats aus dem Jahr 1989 diskutiert, in der eine Außenhaftung des Geschäftsführers einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung wegen Verletzung von Organisationspflichten bejaht wurde.15 In der diesbezüglich oftmals kritischen Literatur wurden verschiedene Lösungsansätze entwickelt, von denen sich bislang aber keiner durchsetzen konnte.16 Die neuere Rechtsprechung, die Anlass zu dieser Arbeit gab,17 scheint sich von dem bisherigen Ansatz zu lösen,18 lässt genauere Eingrenzungskriterien aber immer noch vermissen. Insbesondere fehlt es derzeit an einem einheitlichen Konzept für die deliktische Haftung insgesamt. Traditionell orientiert sich der VI. Senat in dieser Hinsicht an der Entscheidungspraxis des I. Senats zum Wettbewerbsrecht, was Ende der 1980er Jahre in der Baustoff-Entscheidung kulminierte. 2012 ließen allerdings mehrere Entscheidungen auf Oberlandesgerichtsebene19 sowie ein Urteil des VI. Senats20 ← 21 | 22 → Zweifel aufkommen, ob die haftungsfreundliche Auffassung des VI. Senats von 1989 so aufrechterhalten bleiben wird. Der I. Senat wiederum hat nunmehr auch seine vorherige Auffassung zur Haftung wegen Organisationspflichtverletzungen reformiert und eingeschränkt.21 Auch eine Rechtsprechungsänderung durch den VI. Senat wäre infolgedessen denkbar. Im Bereich der Kapitalmarktinformationshaftung nach § 826 BGB haben sich seit den bekannten Infomatec-, ComROAD- und EM.TV-Urteilen kaum relevante Neuerungen ergeben. Wichtig für diese Arbeit ist dagegen eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf zur Teilnehmerhaftung gem. § 830 Abs. 2 BGB, da sie die Geschäftsführerhaftung potentiell stark ausweiten könnte. Auch zur Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes gem. § 823 Abs. 2 BGB haben sich neue Problemstellungen ergeben, da die Ausweitung der strafrechtlichen Garantenpflichten, etwa auf dem Gebiet des Unternehmensmanagements (Compliance), parallel hierzu die Frage der zivilrechtlichen Haftung auslöst.

Ziel dieser Arbeit ist es, vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung Kriterien für die Außenhaftung von Organen einer Kapitalgesellschaft, insbesondere hinsichtlich der Haftung für Organisations-pflichtverletzungen, herauszuarbeiten. Dafür sollen zunächst der Grundsatz der unbeschränkten Haftung für unternehmerisches Handeln sowie das Konzept der Haftungskonzentration in der Kapitalgesellschaft dargestellt werden. Zudem sollen die rechtsdogmatischen, rechtsethischen, wirtschaftspolitischen sowie ökonomischen Aspekte der Haftungskonzentration analysiert werden. Die ökonomische Analyse des Rechts wird insbesondere in Bezug auf die Frage der Verhaltenssteuerung angesprochen, da dieser Punkt als besonders wichtig für die Frage der Organaußenhaftung zu erachten ist. Es soll aber auch beachtet werden, dass in der deutschen Rechtsordnung die ökonomischen Ergebnisse nur ein Faktor unter vielen sind und daher nicht monokausal berücksichtigt werden können.22 Hiernach soll anhand der vorhandenen Judikatur, insbesondere unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des I., II. und VI. Senats, versucht werden, konsolidierte Rechtsprechungslinien auszuarbeiten und immer wiederkehrende Fallgruppen zu benennen. Gewinnbringend erscheint zudem ein Vergleich mit der Haftung anderer Interessenvertreter, da ein Seitenblick auf andere zivilrechtliche Haftungsregime erforderlich erscheint, um eine Lösung zu finden, die sich stimmig in das haftungsrechtliche Gesamtgefüge einfügt. Abschließend soll versucht werden, konkrete Kriterien zu finden, die eine Durchbrechung der Haftungskonzentration rechtfertigen und auf die Rechtsfolge der gemeinsamen Haftung von Gesellschaft und Leitungsorganen eingegangen werden.


1 Mertens, FS Fischer, S. 461, 466 („bestimmendes Strukturmerkmal des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts“).

2 Bachmann, Reform Organhaftung, S. E9 – E20 (mit empirischen Erhebungen); v. Schenck, NZG 2015, 494, 494; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 3; ders., in: Fleischer Handbuch des Vorstandsrechts, § 13 Rn. 1; Stein, DStR 1998, 1055, 1055; Wilsing, BB 2013, 2257, 2261.

3 BGH, II ZR 175/95 vom 21.04.1997, NJW 1997, 1926.

4 BGH, VI ZR 341/10 vom 10.07.2012, BeckRS 2012, 16295 = NJW-Spezial 2012, 592 (zur Legalitätspflicht des Geschäftsführers); OLG Stuttgart, 5 W 9/08 vom 29.04.2008, NJW 2008, 2514 (zur Haftung des Organs der Betreibergesellschaft bei Nichterfüllung der Verkehrssicherungspflicht); OLG Schleswig, 3 U 89/10 vom 29.06.2011, BeckRS 2011, 24219 (zur Haftung des Geschäftsführers aufgrund Verletzung von Organisationspflichten); LG Wiesbaden, 6 KLs – 1160 Js26113/05 vom 12.05.2009, BeckRS 2012, 17860 (zur Loyalitätspflicht des Geschäftsführers); vgl. auch Dietz-Vellmer, NZG 2011, 248–254 (zu den Anforderungen für einen Vergleich oder einen Verzicht); Loritz/Wagner, DStR 2012, 2189, 2189; Ott, Thyssen-Krupp verklagt Ex-Manager auf 100 Millionen Euro, Süddeutsche.de, 10.12.2012, http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/korruptionsaffaere-bei-stahlkonzern-thyssen-verklagt-ex-manager-auf-millionen-euro-1.1546105 (zuletzt aufgerufen am 31.08.2015); Rieder/Holzmann, AG 2012, 265, 265; vgl. auch den Bericht von Fleischer, NJW 2009, 2337 sowie die zitierten Urteile bei Wagner, ZHR 2014, 227, 244 ff.

5 Exemplarisch: BGH, XI ZR 384/03 vom 24.01.2006, NJW 2006, 830, 842 (Kirch gegen Deutsche Bank AG und Breuer); weitere Nachweise aus der Rechtsprechung siehe 3. Teil. B. II. Aus der Literatur äußert sich zum Anstieg der Schadensersatzklagen Dritter v. Schenck, NZG 2015, 494, 494.

6 Schall, JZ 2015, 455, 456 (konstatiert, dass „gerade die extremen Schadensspitzen“ nicht mehr abdeckbar sind). Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Wagner zum Fall Kirch gegen Deutsche Bank AG und Breuer, ZHR 2014, 227, 235/236, wonach der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank AG in Höhe von 500 Millionen EUR versichert war und im Fall Kirch gegen Deutsche Bank und Breuer letztlich ein Vergleich über 900 Millionen EUR geschlossen wurde.

7 Durch Art. 9 MoMiG v. 23.10.2008, BGBl. I S. 2026, m.W.v. 01.11.2008.

8 Der neue § 54a KWG, eingeführt m.W.v. 02.01.2014, durch Gesetz vom 07.08.2013, lautet:
㤠54a Strafvorschriften

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen § 25c Absatz 4a oder § 25c Absatz 4b Satz 2 nicht dafür Sorge trägt, dass ein Institut oder eine dort genannte Gruppe über eine dort genannte Strategie, einen dort genannten Prozess, ein dort genanntes Verfahren, eine dort genannte Funktion oder ein dort genanntes Konzept verfügt, und hierdurch eine Bestandsgefährdung des Instituts, des übergeordneten Unternehmens oder eines gruppenangehörigen Instituts herbeiführt.

(2) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Die Tat ist nur strafbar, wenn die Bundesanstalt dem Täter durch Anordnung nach § 25c Absatz 4c die Beseitigung des Verstoßes gegen § 25c Absatz 4a oder § 25c Absatz 4b Satz 2 aufgegeben hat, der Täter dieser vollziehbaren Anordnung zuwiderhandelt und hierdurch die Bestandsgefährdung herbeigeführt hat.“.

9 Lackhoff/Schulz, CCZ 2010, 81, 83; Wagner, ZHR 2014, 227, 228.

10 Hemeling, ZHR 2014, 221, 221.

11 Vgl. hierzu das Gutachten von Bachmann, in: Verhandlungen des 70. DJT, Bd. I, S. E 1 ff.; kommentierend zu diesem Gutachten Vetter, AnwBl 2014, 582–587.

12 Gerner-Beuerle/Paech/Schuster, Study on Directors’ Duties and Liability, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/board/2013-study-analysis_en.pdf (zuletzt aufgerufen am 31.08.2015); hierzu Bachmann, ZIP 2013, 1946–1952.

13 Schlechtriem, in: Kreuzer, Haftung, S. 9, 54.

14 Jung, Unternehmergesellschafter, S. 346; zur Haftung wegen Unterlassens allgemein vgl. Sprau, in: Palandt, § 823 Rn. 2.

Details

Seiten
264
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631719138
ISBN (ePUB)
9783631719145
ISBN (MOBI)
9783631719152
ISBN (Paperback)
9783631719077
DOI
10.3726/b10909
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Februar)
Schlagworte
Organhaftung Deliktsrecht Haftungskonzentration Geschäftsleiterhaftung Persönliche Haftung
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 264 S.

Biographische Angaben

Geesa de Vries (Autor:in)

Geesa de Vries studierte Rechtswissenschaft an der Universität Potsdam, der Université Paris X – Nanterre sowie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, wo sie auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war.

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Titel: Die deliktische Außenhaftung von Leitungsorganen in der Kapitalgesellschaft
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