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Rechtsformen der Staatsverwaltung – eine Dekonstruktion

Unter besonderer Berücksichtigung des Landes Niedersachsen

von Johannes von Zastrow (Autor:in)
©2016 Dissertation 374 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor untersucht die Rechtsfolgen, die mit der Wahl einer Rechtsform der Staatsverwaltung verbunden sind. Dabei betrachtet er die rechtlichen Vor- und Nachteile, die von der Wahl einer bestimmten Rechtsform – zum Beispiel der einer Anstalt, Stiftung oder GmbH – abhängen. In der Literatur sind wiederholt Zweifel laut geworden, welche die Unterscheidbarkeit der Rechtsformen der Staatsverwaltung mehr oder weniger deutlich in Frage stellen. Diese Zweifel sind Anlass der systematischen und vergleichenden Untersuchung der Rechtsformen der Staatsverwaltung mit dem Ergebnis einer deutlichen Dekonstruktion der Rechtsformen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Einführung in die Problemstellung
  • 1. Zum Problem des grundsätzlich hohen Abstraktionsniveaus der Definitionen der Rechtsformen – der Ansatzpunkt der Untersuchung
  • 2. Zur Untersuchungsmethode – die Dekonstruktion der Rechtsformen mittels Vergleichs ihrer materiellen Merkmale
  • 3. Zum Gegenstand der Untersuchung – die Unzulänglichkeiten der Rechtswissenschaft und der Rechtspraxis
  • a. Die detaillierte Befassung mit den Rechtsformen in der Rechtswissenschaft
  • b. Der Einzelfallcharakter der Rechtsformen in der Rechtssetzungspraxis
  • c. Zum Verhältnis von Rechtswissenschaft und Rechtssetzungspraxis für die Untersuchung – die abstrakte Begründung
  • d. Zur konkreten Begründung des Untersuchungsgegenstands
  • i. Zur besonderen Berücksichtigung der niedersächsischen mittelbaren Staatsverwaltung
  • ii. Die Erläuterung zu den konkret berücksichtigten Rechtsgrundlagen
  • iii. Ergänzende Erläuterungen zur berücksichtigten Literatur
  • iv. Zwischenergebnis – der Untersuchungsgegenstand als Kompromiss
  • 4. Zum Untersuchungsziel – die Thesen der Untersuchung
  • a. Die fehlende rechtliche Wirkung der Rechtsformen
  • b. Von der Wahlfreiheit der Rechtsformen zur Wahlbeliebigkeit
  • c. Zur Verdeckung verfassungsrechtlicher Anforderungen an die Staatsverwaltung durch die Rechtsformen der Staatsverwaltung
  • 5. Zum Ausschluss potentieller Grenzen einer Dekonstruktion der Rechtsformen der Staatsverwaltung
  • a. Die (formelle) Zuordnung der Rechtsformen der Staatsverwaltung zum öffentlichen oder bürgerlichen Recht
  • b. Die formelle Verleihung der Rechtsfähigkeit im Zusammenhang mit den Rechtsformen der Staatsverwaltung bzw. deren Nicht-Rechtsfähigkeit
  • c. Die rechtliche Bedeutung der hergebrachten Begrifflichkeiten der Rechtsformen der Staatsverwaltung für die Dekonstruktion
  • 6. Zwischenfazit
  • II. Gang der Untersuchung
  • B. Die formellen Merkmale der Rechtsformen der Staatsverwaltung
  • I. Die Rechtsformen des öffentlichen Rechts
  • II. Die Rechtsformen des bürgerlichen Rechts
  • III. Die mittelbare Staatsverwaltung
  • IV. Die unmittelbare Staatsverwaltung
  • V. Fazit der formellen Merkmale der Rechtsformen
  • C. Die materiellen Merkmale der Rechtsformen der Staatsverwaltung
  • I. Die Organstruktur als prägendes Element der Rechtsformen
  • 1. Die Grundzüge der Organstruktur
  • a. Die eingeschränkte Abgrenzungsfähigkeit der Organstruktur anhand einer Organein- oder Organmehrheit
  • i. Die Organstruktur der öffentlich-rechtlichen Rechtsformen
  • ii. Die Organstruktur der privatrechtlichen Rechtsformen
  • b. Keine Systematisierung der Organstruktur anhand der Bezeichnung der Organe
  • c. Zwischenfazit – die grundlegende Vergleichbarkeit der Organstruktur der Rechtsformen der Staatsverwaltung
  • 2. Die Organstruktur unter dem Aspekt der Außen- und Binnensteuerung
  • a. Die Organstruktur als Vermittlung einer Außensteuerung
  • i. Die Vermittlung der Außensteuerung durch Besetzungsrechte zum Willensbildungsorgan
  • ii. Die Beschränkung der Steuerung durch Differenzierungen der Mitglieder des Willensbildungsorgans
  • iii. Die Beschränkung der Steuerung durch Differenzierungen der Art und Weise der Besetzung zum Willensbildungsorgan
  • iv. Die Beschränkung der Steuerung durch Amtszeiten und erschwerte Abberufungsvoraussetzungen
  • v. Die Abhängigkeit des Einflusses der Mutterkörperschaft von den Mehrheitsverhältnissen im Willensbildungsorgan
  • (1) Die Bestimmung der Mehrheitsverhältnisse im Willensbildungsorgan anhand der Besetzungsrechte
  • (2) Die Bestimmung der Mehrheitsverhältnisse im Willensbildungsorgan anhand der Differenzierungen der Mitglieder des Willensbildungsorgans
  • vi. Die Beschlussfassung und weitere Ausgestaltung der Mehrheitsverhältnisse im Willensbildungsorgan insbesondere durch Sonderrechte und Beschlussquoren
  • (1) Die Voraussetzungen der Beschlussfähigkeit des Willensbildungsorgans
  • (2) Die Quoren für eine Beschlussmehrheit des Willensbildungsorgans
  • (3) Die Steuerung in Abhängigkeit von der Größe des Willensbildungsorgans
  • vii. Die alternative Steuerung mangels Willensbildungsorgan durch die Besetzung des Leitungsorgans
  • b. Das Verhältnis der Organe als Frage der Binnensteuerung
  • i. Die Besetzungsrechte innerhalb einer Einrichtung
  • (1) Die Steuerung durch Besetzungsrechte zum Leitungsorgan neben einem Willensbildungsorgan
  • (2) Die Steuerung durch Besetzungsrechte zum Aufsichtsorgan im Rahmen einer dreigliedrigen Organstruktur
  • (3) Die Steuerung durch Besetzungsrechte zu einem Beratungsorgan
  • (4) Die Steuerung durch Besetzungsrechte zu einem Geschäftsführungsorgan neben einem Leitungsorgan
  • (5) Zwischenfazit zur Binnensteuerung durch Besetzungsrechte
  • ii. Das Verhältnis der Organe zueinander durch die Zuweisung bestimmter Aufgaben als Frage der Binnensteuerung
  • (1) Die Aufgaben des Willensbildungsorgans
  • (2) Die Aufgaben des Leitungsorgans
  • (3) Die Aufgaben des Aufsichtsorgans
  • (4) Die Aufgaben des Beratungsorgans
  • (5) Die Aufgaben des Geschäftsführungsorgans
  • 3. Die Prägung der Organstruktur entsprechend der Auslegung des Demokratieprinzips statt durch die Rechtsformen
  • a. Die Beschränkung der Steuerung in einer horizontalen Ebene als Folge einer Personenmehrheit in Abhängigkeit vom Demokratieprinzip
  • b. Die Beschränkung der Steuerung in einer vertikalen Ebene als Verhältnis der Organe bzw. Organwalter in Abhängigkeit vom Demokratieprinzip
  • c. Fazit der Auslegung der Organstruktur anhand des Demokratieprinzips
  • 4. Fazit der Organstruktur der Rechtsformen als Grundlage der Dekonstruktion der Rechtsformen
  • II. Der Zweck als materielles Merkmal der Rechtsformen
  • 1. Die Aufgabenübertragung eines Teil-Zwecks als Grundlage des Zwecks einer Einrichtung
  • 2. Die Satzungsautonomie in Abhängigkeit von der Organstruktur
  • 3. Die Steuerung durch den Grad der Konkretisierung des Zwecks
  • 4. Der Bestandsschutz und die Selbstauflösung in Abhängigkeit von der Organstruktur
  • 5. Die inhaltliche Bestimmung des Zwecks der Rechtsformen
  • 6. Die Prägung des Zwecks durch die Verfassungsprinzipien
  • 7. Die Art der Aufgabenwahrnehmung der Rechtsformen als Folge gesamtstaatlicher Aufgabenverteilung
  • 8. Fazit zum Zweck – die Abhängigkeit des Zwecks von der Organstruktur im Einzelfall und den Verfassungsprinzipien im Allgemeinen
  • III. Das Vermögen als materielles Merkmal der Rechtsformen
  • 1. Der Erwerb des Vermögens
  • 2. Die inhaltliche Bestimmung des Vermögens
  • 3. Der Umfang des Vermögens
  • 4. Die Prägung der Vermögensverwendung durch die Verfassungsprinzipien
  • 5. Die Grundsätze der Verwaltung des Vermögens
  • 6. Die Rechnungsprüfung
  • 7. Das Vermögen einer Einrichtung im Verhältnis zur Mutterkörperschaft in Abhängigkeit von der Organstruktur
  • 8. Die Vermögensabwicklung bei der Auflösung
  • 9. Fazit zum Vermögen – die Abhängigkeit des Vermögens von der Organstruktur im Einzelfall und den Verfassungsprinzipien im Allgemeinen
  • IV. Das Personal als materielles Merkmal der Rechtsformen
  • 1. Die relative Bedeutung eigenen Personals für die Rechtsformen
  • 2. Der Status des Personals
  • 3. Die Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse des Personals
  • 4. Fazit zum Personal – als Merkmal organisationsrechtlich unerheblich
  • D. Die Ergebnisse der Dekonstruktion der Rechtsformen in Thesen
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Anhang 1: Liste der in der Untersuchung berücksichtigten Einrichtungen der niedersächsischen Staatsverwaltung und deren Rechtsgrundlagen
  • I. Für die Körperschaft des öffentlichen Rechts (KöR):
  • II. Für die (rechtsfähige) Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR):
  • III. Für die teil-rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts (tr-AöR):
  • IV. Für die nicht-rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts (nr-AöR):
  • V. Für die (rechtsfähige) Stiftung des öffentlichen Rechts (SöR):
  • VI. Für die juristische Person des öffentlichen Rechts (JPöR):
  • VII. Für die staatliche GmbH (st. GmbH):
  • VIII. Für die staatliche AG (st. AG):
  • IX. Für den staatlichen eingetragenen Verein (st. e. V.):
  • X. Für die staatliche eingetragene Genossenschaft (st. e. G.):
  • XI. Für die staatliche Stiftung des bürgerlichen Rechts (st. SbR):
  • XII. Für die staatliche nicht-rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts (nr-SbR)
  • XIII. Für die nicht-rechtsfähige Verwaltungseinheit (nr-VE):
  • Anhang 2: Diagramm der dekonstruierten Rechtsformen der Staatsverwaltung

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A. Einleitung

I. Einführung in die Problemstellung

Das Thema der Rechtsformen der Staatsorganisation hat eine lange Tradition. Dennoch ist es weiterhin regelmäßig Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung und politischer Diskussion.

Die zeitliche Dimension zeigt sich unter anderem daran, dass rechtswissenschaftliche Abhandlungen, welche sich mit der Organisation des Staates, seiner Verwaltung und seinen Rechtsformen befassen1, auch aktuell2 auf die „Definition“ der Anstalt des öffentlichen Rechts durch O. Mayer aus dem Jahr 18963 zurückgreifen.

Angestoßen wird diese Befassung vielfach durch die Rechtssetzungspraxis4, die sich wiederholt mit „neuen“ Strukturen der Staatsverwaltung beschäftigt, und hierfür auf die hergebrachten Rechtsformen der Rechtswissenschaft zurückgreift5. Zu nennen ist hier für Niedersachsen die Einführung einer Trägerschaft für Hochschulen in der Form einer Stiftung des öffentlichen Rechts6, die Erweiterung der Rechtsformen für eine wirtschaftliche Betätigung der Kommunen um eine Anstalt des öffentlichen Rechts7 oder auch die Umwandlung und damit den Wechsel der Rechtsform einzelner Einrichtungen8. Eine insbesondere phasenweise ← 13 | 14 → verstärkt zu verzeichnende Organisationsprivatisierung ist hierbei noch gar nicht berücksichtigt9.

Vor dem Hintergrund der umfangreichen wissenschaftlichen10 Literatur zum Thema der Rechtsformen der Staatsverwaltung sowie deren traditioneller Verwendung durch die Rechtssetzungspraxis drängt sich die Frage auf, warum dieses Thema erneut in einer Dissertation aufgegriffen wird. Naheliegenderweise könnte angenommen werden, dass aufgrund der langen Tradition und umfangreichen rechtswissenschaftlichen Aufarbeitung die Rechtsformen der Staatsverwaltung einen bereits hinreichend bestimmten Inhalt erhalten haben sollten. Gerade unter diesem Aspekt ließe sich daher annehmen, dass das Thema der Rechtsformen der Staatsverwaltung bereits erschöpfend behandelt wurde.

Sobald man jedoch beginnt, sich mit den Rechtsformen der Staatsverwaltung näher zu befassen, stellt man fest, dass sie sich nur schwer fassen lassen. In zunehmendem Maße erfassen einen dann Zweifel11, ob die Rechtsformen sich überhaupt in einem hinreichenden Maße differenzieren lassen12. Kennzeichnend hierfür ist, dass ← 14 | 15 → sich vermeintliche Unterscheidungskriterien zumeist aufzulösen scheinen, je näher man sich mit ihnen auseinander setzt. Umso erstaunlicher ist, dass eine umfassende und fundierte rechtsformkritische Auseinandersetzung mit den Rechtsformen der Staatsverwaltung ersichtlich noch nicht stattgefunden hat13. Umgekehrt wird der Abgrenzung der Rechtsformen zumeist sogar nur ein geringes Gewicht beigemessen14. So klar der – nachfolgend noch herausgearbeiteter – Rechtsformenkanon auf den ersten Blick erscheint, so wenig Vergleichendes findet sich zu den Rechtsformen der Staatsverwaltung insgesamt. Um die sich hieraus ergebende Problematik – in einer ersten Näherung – erfassen zu können, ist zunächst der Gegenstand nachfolgender Untersuchung herauszuarbeiten. ← 15 | 16 →

1. Zum Problem des grundsätzlich hohen Abstraktionsniveaus der Definitionen der Rechtsformen – der Ansatzpunkt der Untersuchung

Die Rechtsformen der Staatsverwaltung werden von der h. M. nur sehr abstrakt definiert. Die Körperschaft zeichnet sich demnach einhellig dadurch aus, dass sie Mitglieder hat15. Für die Anstalt wird, wie bereits angedeutet, auf die Definition von O. Mayer zurückgegriffen. Eine Anstalt ist demnach „ein Bestand von Mitteln, sächlich wie persönlich, welche in der Hand eines Trägers öffentlicher Verwaltung einem besonderen öffentlichen Zweck dauernd zu dienen bestimmt sind.“16 Regelmäßig wird für die Anstalt zusätzlich betont, dass sie in Abgrenzung zur Körperschaft nur Nutzer und keine Mitglieder habe17. Für die Stiftung wird regelmäßig angeführt, dass sie sich durch ein zweckgebundenes Vermögen auszeichne, dass ihr endgültig übertragen wurde und auf das der Stifter nach Errichtung der Stiftung keinen Einfluss mehr habe18. Für die Privatrechtsformen wird im Wesentlichen auf die damit verbundene Haftungsbeschränkung abgestellt19; bei der AG zusätzlich auf den Ausschluss von ← 16 | 17 → Weisungen gegenüber den Mitgliedern des Aufsichtsrates20. Insbesondere die (nicht-rechtsfähigen) Verwaltungseinheiten zeichnen sich entsprechend der h. M. durch ihre Eingliederung in ihren Träger bzw. die Unterordnung in einem hierarchischen Verwaltungsaufbau aus21.

Bei näherer Betrachtung stellt man schnell fest, dass eine Abgrenzung der Rechtsformen anhand dieser Definitionen schwerlich gelingen kann. Es ist sogar davon auszugehen, dass die Definitionen nur jeweils Teilaspekte einer Organisation schwerpunktmäßig betrachten, wenn pointiert für die Körperschaft ihre Mitglieder, für die Anstalt ihr Zweck und die Stiftung ihr Vermögen als Kern herausgestellt wird22. Diese Aspekte können jedoch nicht alleine stehen und schließen sich insbesondere nicht gegenseitig aus. So könnte die Mitgliedschaftsstellung, der Zweck, das Vermögen und als weiterer Aspekt das Personal jede Rechtsform in grundsätzlich vergleichbarer Weise charakterisieren. Als Zwischenergebnis ist hiernach festzuhalten, dass die Rechtsformen nach der h. M. nur in einer Weise allgemein definiert sind, dass sie als nicht vollständig definiert anzusehen sind. Sie könnten demnach allenthalben als Typenbegriffe angesehen werden.

Jedoch auch als Typenbegriffe sind die Rechtsformen der Staatsverwaltung zu hinterfragen. Die Unterscheidung zwischen Körperschaft und Anstalt stellt so lediglich auf den ersten Blick ein hinreichendes Differenzierungskriterium dar, soweit ← 17 | 18 → sich die Rechtsstellung als Mitglied und Nutzer nicht ausschließen müssen23. Hinterfragt werden müsste dagegen die Rechtsstellung des Staates als Träger oder als Stifter im Vergleich zu der eines Mitglieds einer Körperschaft. Ggf. ist das Vorhandensein von Nutzern durch außerhalb der Rechtsformen liegende Gründe bestimmt und damit von dieser unabhängig. Ebenso ist die Definition der Anstalt zu abstrakt, um die sächlichen Mittel bereits von dem Vermögen einer Stiftung, Körperschaft oder GmbH abgrenzen zu können. Auch wird sich noch zeigen, dass ebenso wenig eine Stiftung ohne einen Zweck auskommen kann wie die Körperschaft, Anstalt oder jede andere Rechtsform. Die Anstalt vermag dieses abstrakte Merkmal eines besonderen Zwecks daher ebenso wenig zu charakterisieren. Ob der Einfluss des Staates auf seine Stiftung ausgeschlossen ist bzw. sich überhaupt ausschließen lässt, ist ebenso fraglich wie möglicherweise die Haftungsbeschränkung bzw. ein entsprechender Haftungsdurchgriff für jede Rechtsform in gleicher Weise gegeben wie ausgeschlossen sein kann.

Festzuhalten ist, dass die Definitionen der Rechtsformen der Staatsverwaltung hiermit jedoch – als vorläufiger Befund – bei näherer Befassung tendenziell jegliche Konturen verlieren. Ob damit überhaupt relevante Unterschiede bestehen, bedarf daher einer detaillierteren Untersuchung. Die Untersuchung dabei allein auf die h. M. zu stützen stellt sich – als erstes Ergebnis – als kein gangbarer Weg dar. Die nachfolgende Untersuchung nimmt diese vielmehr zum Anlass, die Typenbegriffe der Rechtsformen der Staatsverwaltung selbst zu dekonstruieren.

2. Zur Untersuchungsmethode – die Dekonstruktion der Rechtsformen mittels Vergleichs ihrer materiellen Merkmale

Es stellt sich die Frage, wie die Zweifel an der Unterscheidbarkeit der Rechtsformen untersucht werden können. Ausgangspunkt für eine Untersuchung ist, dass Rechtsformen sich aus einem Begriff (formelles Merkmal) und einer hiermit ggf. verbundenen Ausgestaltung (materielle Merkmale) zusammensetzen – mit anderen Worten „konstruiert werden“. Die Dekonstruktion24 stellt die Umkehrung dieser rechtlichen Konstruktion der Rechtsformen dar, wie sie anhand ihrer Merkmale – zwingende oder nicht-zwingende – begründet wird.

Dabei ist zu beachten, dass der Gegenstand einer rechtswissenschaftlichen Untersuchung wesentlich durch das juristische Grundverständnis geprägt ist, was sich bereits an Folgendem zeigt: Wie noch weiter auszuführen sein wird, sind die ← 18 | 19 → Rechtsformen sowohl in der Rechtswissenschaft als auch in der Rechtssetzungspraxis mit einem einigermaßen25 feststehenden Kanon bestimmter Begriffe verbunden, die sich selbstverständlich voneinander unterscheiden, soweit Körperschaften, Anstalten, Stiftungen26, GmbH, AG, e. V., Eigen-, Regie- und Landesbetrieb begrifflich differenziert werden können. Insofern könnte die Untersuchung der verschiedenen Rechtsformen der Staatsverwaltung bereits an dieser Stelle beendet sein. Ergebnis wäre, dass die Rechtsformen aus gerade den von dem Kanon27 umfassen bzw. aus den durch die Rechtssetzungspraxis gewählten Rechtsformen bestehen.

Diese Herangehensweise verschließt sich mit der ausschließlichen Anknüpfung an die Begriffe jedoch gerade einer kritischen, wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesen Begriffen. Damit kann der Untersuchungsgegenstand nicht allein die begriffliche Ausdifferenzierung der Rechtsformen sein28. Diesem Grundverständnis, dass wesentlich auf die Begriffe zur Abgrenzung der Rechtsformen abzustellen sei (Wortlaut), soll nachfolgend daher nicht gefolgt werden. Die (Typen-)Begriffe selbst bilden insofern nur die formellen Merkmale einer Rechtsform, welche sich durch ihre materiellen Merkmale begründen und differenzieren lassen müssen oder umgekehrt zu dekonstruieren sind29. Die Untersuchungsmethode ist damit eine ← 19 | 20 → vergleichende, welche darauf aufbaut, identische materielle Merkmale der Rechtsformen herauszuarbeiten. Dass hierfür über die abstrakten Definitionen der h. M. hinausgegangen werden muss, wurde bereits herausgearbeitet.

Dennoch sind es nicht allein die materiellen Merkmale, die Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung sein können. Auch in einer wissenschaftlichen Untersuchung können die Begriffe nicht ausgeblendet werden, insbesondere soweit diese rechtsformkritisch untersucht werden sollen. Insofern sind es gerade die Begriffe, die den Sachzusammenhang begreiflich machen30 und so selbst regelmäßig in einem Zusammenhang stehen, den es herauszuarbeiten gilt. Die Begriffe gewinnen so die Funktion, einen Zusammenhang wieder zu verdeutlichen31, ohne welche insbesondere diese Untersuchung nicht möglich wäre. Angewendet auf die Rechtsformen der Staatsverwaltung bedeutet dies, dass die Begriffe der Rechtsformen als formelle Merkmale nur den Ausgangspunkt dieser Untersuchung bilden können, die insofern nicht ohne ihren materiellen Kern als schwerpunktmäßiger Untersuchungsgegenstand verbleiben können. Die Begriffe geben gleichzeitig jedoch zwingend den Rechtsformenkanon vor, der hiervon ausgehend dekonstruiert wird.

Bereits an dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass die Differenzierung zwischen formellen Merkmalen – insbesondere dem Wortlaut – und materiellen Merkmalen32, wie Funktion und Wirkung auf unterschiedlichen Ebenen betrachtet werden muss und sich der Untersuchungsgegenstand somit als mehrdimensional erweist. Der Untersuchungsgegenstand ist in dieser Beziehung nicht nur zweidimensional, wie die vorgenannte Gegenüberstellung von Begriff und Inhalt (formelle und materielle Merkmale) den Anschein erwecken könnte. Die Bedeutung der Begrifflichkeiten setzt sich vielmehr zusätzlich im Rahmen der materiellen Merkmale, die die Rechtsformen differenzieren könnten, fort. Erst eine Betrachtung der Funktionen eines Mitglieds, eines Trägers usw. oder eines Nutzers wird bspw. ← 20 | 21 → eine Aussage darüber zulassen, ob anhand dieser Merkmale die Rechtsformen unterschieden werden können oder ob ggf. die Funktionen des Mitglieds und des Nutzers für alle Rechtsformen in vergleichbarer Weise maßgeblich und prägend sind. Entscheidend sind auch für diese weiteren Ebenen die rechtlichen Auswirkungen, die anhand der organisationsrechtlichen Regelungen zu untersuchen sind. Als rechtliche Aussagen können diese Merkmale die Abgrenzung der Rechtsformen und damit einhergehend die Begrifflichkeiten nur begründen, soweit hiermit mehr als eine bloße begriffliche Differenzierung verbunden ist. Insofern gewinnen systematische Argumente entscheidende Bedeutung, welche die materiellen Merkmale in einen rechtsvergleichenden, funktionalen Zusammenhang stellen.

Zu verwerfen ist dagegen der Ansatz, dass vorrangig auf das Ziel abzustellen ist, was mit der Wahl einer Rechtsform verbunden wird (Sinn und Zweck). So wird vielfach mit einer Rechtsform eine Verselbständigung der mittelbaren Staatsverwaltung angestrebt33. Gleichwohl ist dieser Wunsch bereits nicht geeignet die Rechtsformen abzugrenzen, soweit sogar mit den nicht-rechtsfähigen Verwaltungseinheiten eine Verselbstständigung verknüpft wird34. Zusätzlich lässt sich die Verselbstständigung nicht abstrakt festlegen und für die Auslegung der materiellen Merkmale heranziehen, ohne selbst als Argumentation zirkelschlüssig zu werden. Nur solange aus der konkreten Ausgestaltung Argumente hergeleitet werden können, welche die Verselbstständigung ohne Rückgriff auf den Sinn und Zweck begründen können, lässt sich diese ohne entsprechenden Zirkelschluss begründen.

Ebenso ist als Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung auch ein weiterer Ansatz zu verwerfen, der aufgrund der langen Tradition der Rechtsformen der Staatsverwaltung sowohl in der Rechtswissenschaft als auch in der Rechtssetzungspraxis eigentlich naheliegend erscheint. Insofern entspricht es zwar der langen Tradition der Befassung mit den Rechtsformen, die historische Entwicklung in Rechtswissenschaft und Rechtssetzungspraxis als Ausgangspunkt einer Untersuchung der Rechtsformen der Staatsverwaltung zu wählen35. Diesem Ansatz ist sicherlich zuzubilligen, dass eine historische Darstellung die oben bereits angesprochene Entwicklung der Sprache zutreffend nachzeichnet. Gleichwohl ist die Untersuchung eines Begriffs ← 21 | 22 → jedoch immer auch eine Momentaufnahme, soweit durch eine weitere zukünftige Entwicklung jeder Begriff eine andere Bedeutung erhalten kann36. Die historische Auslegung wird nachfolgend daher nur eine untergeordnete Stellung einnehmen37.

Die nachfolgende Untersuchung verfolgt damit insgesamt das Ziel, dieses Mosaik der materiellen Merkmale – unter Einschluss der Rechtssetzungspraxis – so widerspruchsfrei wie möglich zusammenzusetzen. Die Rechtsformen werden daher in ihren materiellen Merkmalen (gerade auch unter Berücksichtigung zahlreicher Selbstverständlichkeiten) vergleichend zu einem neuen, wesentlich dekonstruierten Bild zusammengesetzt. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass Rechtsformen, die sich nicht unterscheiden lassen, keine rechtlich relevanten Rechtsformen sind. Dies wird die zumindest bisher als weitgehend gesichert geltende Einschätzung der Existenz eines Rechtsformenkanons für die Staatsverwaltung erschüttern.

3. Zum Gegenstand der Untersuchung – die Unzulänglichkeiten der Rechtswissenschaft und der Rechtspraxis

Dies leitet zu der Frage über, was Grundlage der nachfolgenden Untersuchung sein kann. Die Rechtsformen der Staatsverwaltung finden sich – insofern abschließend – in Rechtswissenschaft und Rechtssetzungspraxis wieder. Die Grundlage der nachfolgenden Untersuchung der Rechtsformen der Staatsverwaltung kann damit sowohl die bereits in der Einleitung angeführte rechtswissenschaftliche Auseinandersetzungen als auch Ausgestaltungen der Rechtsformen durch die Rechtssetzungspraxis sein. Bevor jedoch geklärt werden kann, in welchem Maße diese beiden Aspekte als Grundlage gewählt werden können, und vor allem in welchem Verhältnis sie zueinanderstehen, ist jedoch auf weitere Unzulänglichkeiten beider Aspekte einzugehen.

a. Die detaillierte Befassung mit den Rechtsformen in der Rechtswissenschaft

Bedenken begegnet bereits der am nächsten liegende Ansatz einer wissenschaftlichen Untersuchung. Die Rechtswissenschaft hat sich jenseits der h. M. immer wieder auch in detaillierterer Weise mit den Rechtsformen der Staatsverwaltung befasst. Diese Untersuchungen beschränken sich jedoch regelmäßig auf eng umrissene Ausschnitte der Rechtsformen der Staatsverwaltung insgesamt. So werden in detaillierteren Abhandlungen zumeist nur einzelne Rechtsformen behandelt – die (Selbstverwaltungs-)Körperschaft, die Anstalt, die Stiftung oder die Privatrechtsformen38. ← 22 | 23 → Dass die Abgrenzung der Rechtsformen hierbei nur eine untergeordnete Rolle spielt, ist bereits hervorgehoben worden39. Außerdem erscheinen die Ausführungen auch regelmäßig inkonsistent, wenn nicht sogar in sich widersprüchlich40. Nicht zuletzt lassen sich diese Meinungen aufgrund dessen – wie insbesondere auch die nachfolgende Untersuchung noch eindrucksvoll zeigen wird – nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen.

Details

Seiten
374
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783631701355
ISBN (ePUB)
9783631701911
ISBN (MOBI)
9783631701928
ISBN (Paperback)
9783631701348
DOI
10.3726/978-3-631-70135-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (September)
Schlagworte
Anstalt des öffentlichen Rechts Stiftung des öffentlichen Rechts Organisationsprivatisierung Rechtsformwahl Wahlfreiheit Eigenbetrieb
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2016, S. 374

Biographische Angaben

Johannes von Zastrow (Autor:in)

Johannes von Zastrow studierte Rechtswissenschaften an der Universität Hannover, der University of Turku sowie der Åbo Akademi in Turku (Finnland). Nach Erwerb des Magister Legum Europae wurde er an der Universität Hannover promoviert und ist als Rechtsanwalt tätig.

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