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Überzeugungen zu frühkindlichen Bildungs- und Lernprozessen und die damit implizierten Aufgaben

Eine qualitative Studie in Kindertageseinrichtungen der deutschsprachigen Schweiz

von Katrin Schaerer-Surbeck (Autor:in)
©2016 Dissertation 426 Seiten

Zusammenfassung

Der Bedarf an frühkindlichen Betreuungseinrichtungen ist unbestritten und ihnen werden neue Funktionen zugeschrieben: Individuelles Begleiten und Unterstützen von frühkindlichen Bildungs- und Lernprozessen. Damit steht das Personal vor neuen Herausforderungen.
Wenn ein Paradigmenwechsel hin zu einem «Bildungsauftrag» angestrebt wird, lässt sich dies nicht über die Köpfe des frühpädagogischen Fachpersonals hinweg realisieren. Deren Verständnis und Überzeugungen beeinflussen zentral die Umsetzung der neuen Anforderungen.
In der vorliegenden Untersuchung wird der Frage nachgegangen, wie die Fachpersonen ihre Aufgaben in Bezug auf das Begleiten von frühkindlichen Bildungs- und Lernprozessen beschreiben. Dabei sollen, und so ist die qualitative Studie angelegt, die Protagonisten und mehr noch die Protagonistinnen selber zu Wort kommen. Ihre Überzeugungen werden in ihrer Komplexität aufgefächert und dargestellt. Die Studie leistet einen Beitrag zur aktuellen Bildungs-, Qualitäts- und Professionalisierungsdebatte im Frühbereich.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Dank
  • 1. Einleitung und Überblick
  • 2. Theoretischer Hintergrund I: Frühpädagogische Bildungskonzeptionen
  • 2.1 Bildung im Frühbereich
  • 2.2 Zentrale Begriffe und ihre Definitionen
  • 2.3 Historischer Abriss
  • 2.4 Frühpädagogische Bildungskonzeptionen
  • 2.4.1 Bildung als Selbstbildung
  • 2.4.2 Bildung als Ko-Konstruktion
  • 2.5 Bild vom Kind
  • 2.6 Aufgabe und Rolle der frühpädagogischen Fachperson
  • 2.6.1 Strukturierung des Aufgabenprofils
  • 2.6.2 (Neue) Aufgabenbereiche
  • 2.6.3 Kompetenzprofil und fehlende wissenschaftlich fundierte Didaktik
  • 2.6.4 Frühpädagogische Fachperson im politischen Diskurs
  • 2.6.5 (Unklare) Rolle
  • 2.7 Frühkindliche Bildung im Qualitätsdiskurs
  • 2.7.1 Qualität durch Einführung von Orientierungs- und Bildungsplänen
  • 2.7.2 Messen von Qualität
  • 2.7.3 Messinstrumente für den Frühbereich
  • 2.7.4 Kritik an Messinstrumenten
  • 2.7.5 Wirkung frühpädagogischer Institutionen auf kindliche Entwicklung
  • 2.7.6 Bedeutung der Prozessqualität
  • 2.7.7 Bedeutung der Strukturqualität
  • 2.7.8 Einfluss von familialen Faktoren
  • 2.7.9 Kompensatorische Effekte
  • 3. Theoretischer Hintergrund II: Überzeugungen
  • 3.1 Überzeugungen zu Bildungs- und Lernprozessen
  • 3.2 Definition, Merkmale und Funktionen von Überzeugungen
  • 3.3 Überzeugungen im Kontext des Professionalisierungsdiskurses
  • 3.4 Überzeugungen zu frühkindlichen Bildungs- und Lernprozessen: Bisherige Forschungsergebnisse
  • 4. Forschungsdesign und Methode
  • 4.1 Ausgangslage und konzeptueller Kontext der Untersuchung
  • 4.2 Forschungsziel und Fragestellungen
  • 4.3 Methodischer Ansatz
  • 4.3.1 Erhebungsinstrument
  • 4.4 Datenerhebung
  • 4.4.1 Konzeptuelles Vorgehen
  • 4.4.2 Generierung des Samples
  • 4.4.3 Beschreibung des Samples
  • 4.4.4 Entwicklung des Interviewleitfadens
  • 4.4.5 Durchführung der Datenerhebung
  • 4.5 Datenaufbereitung
  • 4.5.1 Transkription
  • 4.6 Datenauswertung
  • 4.7 Darstellung der Ergebnisse
  • 5. Untersuchungsergebnisse
  • 5.1 Bildungsinhalt, -gegenstand
  • 5.1.1 Öffentlicher Bildungsdiskurs
  • 5.1.2 Zukünftiger Bildungs-, Orientierungsplan
  • 5.1.3 Elementar- versus Primarschulpädagogik
  • 5.1.4 Impulse für Bildungsprozesse
  • 5.1.5 Bereichsübergreifende Inhalte
  • 5.1.6 Bereichsspezifische Inhalte
  • 5.1.7 Zusammenfassung und Fazit: Bildungsinhalt, -gegenstand
  • 5.2 Bildungs- und Lernverständnis
  • 5.2.1 Lernvoraussetzungen
  • 5.2.2 Lernen als kontinuierlicher Prozess
  • 5.2.3 Lernen als Spielhandlungen
  • 5.2.4 Lernen als Konstruktionsprozess
  • 5.2.5 Lernen als instruktiver und ko-konstruktiver Interaktionsprozess
  • 5.2.6 Lerntheoretische Bezüge
  • 5.2.7 Merkmale gelungener Bildungsprozesse
  • 5.2.8 Bild vom Kind
  • 5.2.9 Zusammenfassung und Fazit: Bildungs- und Lernverständnis
  • 5.3 Aufgaben des Kindes
  • 5.3.1 Transitionsaufgaben Familie – Kita
  • 5.3.2 Zusammenfassung und Fazit: Aufgaben des Kindes
  • 5.4 Aufgabe, Rolle der Fachperson
  • 5.4.1 Wahrnehmungs-, Beobachtungs- und Reflexionsaufgaben
  • 5.4.2 Interaktions- und Kommunikationsaufgaben
  • 5.4.3 Strukturierende, initiierende und moderierende Aufgaben
  • 5.4.4 Verantwortlichkeit/Zuständigkeit der frühkindlichen Lernprozesse
  • 5.4.5 Einschätzung beruflicher Aufgaben allgemein
  • 5.4.6 Zusammenfassung und Fazit: Aufgabe/Rolle der Fachperson
  • 5.5 Methodisch-didaktisches Handeln
  • 5.5.1 Beobachtungs-, Dokumentations- und Reflexionsverfahren
  • 5.5.2 Interaktions- und Kommunikationsformen
  • 5.5.3 Formen von Lernarrangements und -settings
  • 5.5.4 Altersheterogene Gruppen
  • 5.5.5 Zusammenfassung und Fazit: Methodisch-didaktisches Handeln
  • 5.6 Berufliche Stressoren
  • 5.6.1 Eustress
  • 5.6.2 Distress
  • 5.6.3 Zusammenfassung und Fazit: Berufliche Stressoren
  • 6. Zusammenfassung zentraler Ergebnisse
  • 7. Schlussfolgerungen
  • 8. Literaturverzeichnis
  • 9. Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
  • 10. Anhang
  • Einleitung
  • Narrativer Eingangsteil des Interviews
  • Explizite Nachfragephase zu den Themenbereichen
  • Bilanzierungsphase des Interviews

Dank

Ich bedanke mich herzlich bei all den Menschen, die mich in irgendeiner Weise in dieser Arbeit unterstützt, ermutigt, begleitet, aber auch kritisiert und hinterfragt haben. Ich verdanke Vielen viel!

   Ein besonderer Dank geht an Dr. Heidi Simoni und Dr. Corina Wustmann Seiler vom Marie Meierhofer Insititut für das Kind, die mir die Teilnahme am Projekt „Bildungs- und Resilienzförderung“ ermöglicht haben. Die interessanten Einblicke ins Forschungsprojekt und die vielen Begegnungen mit Menschen haben mein persönliches Erfahrungsspektrum erweitert und bereichert.

   Ein herzlicher Dank geht auch an die frühpädagogischen Fachpersonen, auf deren Antworten diese Arbeit basiert.

   Und meinem nächsten Umfeld gebührt ebenfalls ein herzlicher Dank: Sind sie es doch, die mit mir durch all die Höhen und Tiefen gegangen sind, mir immer wieder Freiräume geschaffen haben und nicht müde wurden, mich immer wieder zu ermutigen. Vielen Dank Stefan, Lukas, Simon!

   Und last but not least geht ein grosser Dank auch an Prof. Dr. J. Oelkers, der sich zur Betreuung dieser Arbeit bereit erklärt hat. ← 11 | 12 → ← 12 | 13 →

1.    Einleitung und Überblick

In der Schweiz ist der Bereich der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) in den letzten Jahren stärker in den Fokus bildungspolitischer und wirtschaftlicher Debatten gerückt und nimmt seit gut 20 Jahren auch im entwicklungspsychologischen und pädagogischen wissenschaftlichen Diskurs eine zunehmend beachtete Rolle ein. „Vermutlich gibt es keinen Bereich des Erziehungs- und Bildungswesens, der sich in den letzten zwei, drei Jahrzehnten so grundlegend verändert hat und sich zugleich noch inmitten so umfangreicher Veränderungen befindet wie die Kindertagesbetreuung“ (Bien, Rauschenbach & Riedel 2006, S. 11). Diese Vermutung, die im Rahmen einer deutschen Untersuchung formuliert wurde, dürfte auch auf die Schweiz zutreffen.

Die Nachfrage nach familienergänzenden Angeboten ist, bedingt durch den gesellschaftlichen, demografischen und wirtschaftlichen Wandel, in den letzten Jahren stetig gestiegen (vgl. BFS 2010). Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen, hat der Bund auf die Nachfrage reagiert und im Jahr 2002 ein Finanzhilfeprogramm lanciert, mit dessen Mitteln binnen elf Jahren 43 255 neue Betreuungsplätze geschaffen werden konnten. Bis Ende 2013 wurden 245,1 Mio. Franken in dieses Programm investiert. Aus den Unterlagen geht hervor, dass hauptsächlich Kinder im Alter von 2–4 Jahren (56 %), aber auch solche, die jünger als 2 Jahre sind (34 %), betreut werden und der grösste Anteil der Kinder durchschnittlich zwei Tage pro Woche dieses Betreuungsangebot in Anspruch nimmt. Die Nachfrage nach Finanzhilfen bleibt nach wie vor gross. Es werden fortlaufend neue Gesuche eingereicht (vgl. BSV 2014, S. 1 f.). Ein Mangel besteht vor allem an günstigen Betreuungsplätzen; zudem ist der Zugang für sozial Benachteiligte erschwert (vgl. SKBF 2014, S. 59).

Trotz dieser Bemühungen des Bundes zeigt ein OECD-Ländervergleich, dass die Schweiz und ihre Investitionen in die familienergänzende Betreuung von Kindern bis und mit dem vierten Lebensjahr mit einem Beitrag von 0,25 % des Bruttoinlandproduktes (BIP) bescheiden ausfallen. Es ist ein Viertel der von der OECD empfohlenen Mittel und weit ← 13 | 14 → unter dem OECD-Durchschnitt von 0,65 % des BIP. Beim Vergleich der zugezogenen 27 Staaten befindet sich die Schweiz auf dem drittletzten Rang vor Korea und Kanada. Die Liste wird angeführt von den Ländern Island und Dänemark (beides Länder mit einer Investition von fast 1,4 %), gefolgt von Frankreich, Schweden und Finnland, die über 1,0 % des BIP in den Frühbereich investieren (vgl. SWTR 2011, S. 20; vgl. auch Burkhardt Bossi & Zingg 2013, S. 299). Drei schweizerische Untersuchungen zum volkswirtschaftlichen Nutzen von Kindertageseinrichtungen weisen darauf hin, dass mit einem investierten Franken in den FBBE-Bereich mit einem Nutzen von ungefähr zwei bis vier Franken gerechnet werden kann (vgl. Stamm et al. 2009, S. 32; Fritschi, Strub & Stutz 2007). Neben dem volkswirtschaftlichen Nutzen ist vor allem auch der demografische Wandel nach Stamm et al. (2009) daran beteiligt, dass der Frühbereich zu einem „bildungspolitischen Top-Thema“ (ebd. 2009, S. 19) wurde und ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist. Mit der zunehmenden Überalterung und der damit einhergehenden Tendenz zunehmender Kinderlosigkeit wird Handlungsbedarf in der Familienpolitik sowie der Kinder- und Nachwuchsförderung konstatiert (vgl. ebd. 2009, S. 19).

Die aktuelle Debatte beschränkt sich jedoch nicht nur auf den volkswirtschaftlichen Nutzen sowie den quantitativen Ausbau familienergänzender Angebote. Vielmehr haben neuere Untersuchungen in den 1990er Jahren aus der Säuglings- und Kleinkindforschung dazu beigetragen, dem Frühbereich mehr Aufmerksamkeit zu zollen. Diese Untersuchungen weisen darauf hin, dass Säuglinge und Kleinkinder zu wesentlich mehr fähig sind als bisher angenommen und wie sie, mit den ihnen bereits zur Verfügung stehenden Fähigkeiten und Ressourcen, aktiv an ihren Entwicklungs- und Lernprozessen beteiligt sind (vgl. Gopnik, Kuhl & Meltzoff 2001; Wicki & Bütikofer 2002; Dornes 2009, Leu & v. Behr 2010).

Zur wachsenden Bedeutung des FBBE tragen ebenso Neurobiologen (z. B. Hüther 2004; Singer 2006) bei, die mit ihren Forschungen und mit neuen methodischen Möglichkeiten (MEG und PET1) auch die Phase der frühen Kindheit fokussieren (vgl. z. B. Becker 2010; Viehhauser 2010; Walbach 2012). Und obwohl ohne Zweifel die frühe Kindheit bei der Hirnentwicklung eine zentrale Rolle spielt, bleibt doch die pädagogische ← 14 | 15 → Relevanz dieser Studien umstritten (vgl. Becker 2010, S. 36; Viehhauser 2010, S. 31 f.). Becker bilanziert dazu: „So bleibt am Ende ein kleinster gemeinsamer Nenner der Diskussion, der in etwa lauten könnte: Kinder sollten von Anfang an umfassend umsorgt, unterstützt und kognitiv gefördert werden, um ihnen eine gute Entwicklung zu ermöglichen. Auf die Frage, wie optimale Förderung zu welchem Zeitpunkt aussehen sollte, können die Neurowissenschaften bis dato keine Antworten liefern“ (Becker 2010, S. 36, kursive Hervorhebung durch die Autorin). Nach Becker eignen sich neurologische Studien weder zur argumentativen Stützung von bildungspolitischen Forderungen noch zur inhaltlichen Gestaltung pädagogischer Programme (vgl. ebd. 2010, S. 36).

Auch die PISA-Studie hat mit ihren Testergebnissen dazu beigetragen, den Frühbereich in die Bildungsdiskussionen einzuschliessen (vgl. z. B. Fröhlich-Gildhoff & Mischo 2011, S. 2), um diesen gezielter zu nutzen, obwohl der Zusammenhang auch kontrovers diskutiert wird (z. B. Wustmann 2009, S. 325). Das Potential frühkindlicher Bildungsprozesse soll dazu genutzt werden, schulische Startchancen zu optimieren und die Bildungsgerechtigkeit in der Gesellschaft zu erhöhen. Zudem soll damit auch ein Beitrag zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit geleistet werden (vgl. Edelmann, Brandenberg & Mayr 2013, S. 166). Diese Autorinnen weisen in Bezug auf OECD-Berichte von 2006 und 2012 darauf hin, dass „Nationen, die in den PISA-Tests Spitzenpositionen einnehmen, über ein etabliertes qualitativ hochstehendes System der frühkindlichen Betreuung, Erziehung und Bildung verfügen, das allen Familien zugänglich ist“ (ebd. 2013, S. 166). Auch der Schweizerische Wissenschafts- und Technologierat (SWTR) äussert sich dazu: „In den ersten drei Lebensjahren eines Kindes werden Weichen gestellt, die für die kognitive Entwicklung und den Schulerfolg bestimmend sind. Kinder aus bildungsfernen Familien weisen bereits vor dem Eintritt in die Vorschule einen Rückstand gegenüber ihren Kameraden auf, der nur mit sehr hohem Aufwand ausgeglichen werden kann. Eine möglichst früh ansetzende Förderung kann soziale Benachteiligungen bedeutend mindern“ (SWTR 2011, S. 19). Der Frühbereich soll demnach auch präventiv und kompensatorisch genutzt werden. Und die daraus folgende Empfehlung lautet denn auch, für die frühkindliche Stufe Betreuungsplätze auszubauen und qualifiziertes Personal in genügender Zahl zur Verfügung zu stellen. Zugleich werden zur Sicherung der Chancengleichheit gezielte sozialpolitische Massnahmen wie die Übernahme von Kinderbetreuungskosten empfohlen (vgl. SWTR 2011, S. 21). ← 15 | 16 →

Aus den oben aufgeführten Darstellungen geht hervor, dass der Bedarf an frühkindlichen Betreuungseinrichtungen in der Schweiz unbestritten ist (vgl. dazu auch Burkhardt Bossi & Zingg 2013, S. 297). Klar ist zudem, dass dem Frühbereich auch in der Schweiz neue Funktionen zugeschrieben werden und der individuellen Begleitung und Unterstützung von frühkindlichen Bildungs- und Lernprozessen eine zentrale Bedeutung zukommt (vgl. Wustmann Seiler & Simoni 2012, S. 23;2 Stamm et al. 2009, S. 92 f.). Mit dem Funktionswandel von „Betreuungseinrichtungen mit Bildungsauftrag“ zu „Bildungseinrichtungen mit Betreuungsauftrag“ (Laewen 2013, S. 103) steht das Personal im Frühbereich vor neuen Herausforderungen.

Es wird davon ausgegangen, dass frühpädagogische Fachpersonen in ihrem beruflichen Handlungsfeld in der Regel über einen relativ grossen Gestaltungsspielraum hinsichtlich ihrer konkreten pädagogischen Arbeit verfügen. Für die Kindertageseinrichtungen (Kitas) gibt es in der Schweiz (noch) keine curricularen, verbindlichen Vorgaben. Dies bedeutet, dass das inhaltliche Arrangement und die pädagogische Umsetzung in erster Linie von der Entscheidung des pädagogischen Fachpersonals bzw. der einzelnen Institution und dort vor allem von der Kitaleitung und von deren Überzeugungen, Einstellungen und Orientierungen ‒hinsichtlich Zielen und Aufgaben der Kita-Arbeit – abhängig sind.

Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird deshalb den Fragen nachgegangen, wie die pädagogischen Fachpersonen ihre Aufgaben und Rollen in Bezug auf das Begleiten von frühkindlichen Bildungs- und Lernprozessen beschreiben und welche Vorstellungen über frühkindliches Lernen sich bei ihnen eruieren lassen. Dabei sollen, und so ist die vorliegende Untersuchung angelegt, die Protagonisten und mehr noch die Protagonistinnen selber zu Wort kommen. Ihre Ansichten und Überzeugungen über frühkindliches Lernen und die damit implizierten Aufgaben sollen mit dieser Arbeit eingefangen und dargestellt werden.

Dazu wird im zweiten und dritten Kapitel eine theoretische Basis gelegt. Im vierten Kapitel wird auf das Forschungsdesign und die Methodik der Untersuchung eingegangen. Nach der Darstellung der Untersuchungsergebnisse im fünften Kapitel werden die wichtigsten Ergebnisse ← 16 | 17 → im sechsten Kapitel zusammengefasst und im siebten Kapitel schliesslich Schlussfolgerungen gezogen.

Die vorliegende Untersuchung versteht sich als Beitrag zur aktuellen Bildungsdebatte im Frühbereich. Die Ergebnisse bilden einen elementaren Grundbaustein für Institutionen der Aus- und Weiterbildung des frühpädagogischen Fachpersonals. Überzeugungssysteme werden in der Qualitätsdiskussion unter der Orientierungsqualität subsumiert (vgl. Tietze et al. 2013b, S. 23). Die vorliegende Untersuchung lässt sich deshalb auch in den Kontext des Qualitätsdiskurses stellen. ← 17 | 18 → ← 18 | 19 →


1       MEG = Magnetenzephalogramm, PET = Positronen-Emissionstomographie; MEG und PET sind Forschungsmethoden zur Modellierung der Funktion von Neuronenverbänden und der funktionellen Bildgebung (vgl. Walbach 2012, S. 129).

2       Wustmann Seiler & Simoni sind die Autorinnen des Orientierungsrahmens für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz, der im Mai 2012 erschienen ist.

2.    Theoretischer Hintergrund I: Frühpädagogische Bildungskonzeptionen

Im theoretischen Teil I werden zuerst zentrale Begriffe der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung aufgenommen und definiert, um dann auf die Bildungskonzeptionen der frühen Kindheit eingehen zu können, auf deren Grundlage die deutschen Bildungspläne sowie der Orientierungsrahmen für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz erarbeitet wurden. Dabei wird auch deren Bild vom Kind thematisiert und die damit verbundenen Rollen und Aufgaben des frühpädagogischen Fachpersonals, das mit seiner Arbeit die Qualität in Kindertageseinrichtungen beeinflusst.

2.1    Bildung im Frühbereich

Dem Frühbereich wird neben der Betreuung und Erziehung neu also auch die Bildung als Aufgabenbereich zugesprochen. Wie sich die Begriffe voneinander unterscheiden lassen und wie sie auch von frühpädagogischen Bildungstheoretikern definiert werden, soll nun als erstes erläutert werden, um anschliessend darauf eingehen zu können, was diese unter frühkindlicher Bildung verstehen.

2.2    Zentrale Begriffe und ihre Definitionen

Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) bilden zusammen ein umfassendes Konzept, das Auskunft gibt über Bedingungen und Formen des Aufwachsens junger Kinder bis und mit dem vierten Lebensjahr (vgl. Stamm et al. 2009, S. 109; Wustmann Seiler & Simoni 2012, ← 19 | 20 → S. 12). Dabei sollen die einzelnen Aspekte nicht, wie lange Zeit üblich, als eindimensionale Konzepte gedacht werden, die je verschiedenen Institutionen und Akteuren zugeschrieben wurden, sondern vielmehr als ein integrales Zusammenspiel (vgl. Wustmann Seiler & Simoni 2012, S. 22). Um dieses Zusammenspiel differenziert beleuchten zu können, muss vorerst auf die einzelnen Begriffe eingegangen werden. Bei der Darstellung der frühkindlichen Bildungskonzeptionen werden die Begriffe Bildung und Erziehung in unterschiedlichen Nuancen wieder aufgegriffen und der Bildungsbegriff wird dabei auch in einen historischen Kontext gestellt. Hier soll es nun um eine kurze, erste Klärung dieser Begriffe gehen und darum, wie sie im aktuellen frühkindlichen Bildungsdiskurs definiert und verwendet werden.

Unter frühkindlicher Bildung werden Aneignungsprozesse des Kindes verstanden, sich ein Bild über sich und über die Welt zu konstruieren. Frühkindliche Bildungsprozesse sind

Dabei wird der Fokus auf die Eigenleistung des Kindes gelegt, die aber immer auch in einem sozialen Kontext stattfindet. Der Bildungsbegriff rückt das

Bildung wird bei Schäfer (2007) als ein Begriff genutzt, der eine bestimmte Qualität von Lernprozessen beschreibt. Er bringt den Begriff „Bildung“ wie folgt auf den Punkt:

Details

Seiten
426
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783034324618
ISBN (ePUB)
9783034324625
ISBN (MOBI)
9783034324632
ISBN (Paperback)
9783034324229
DOI
10.3726/978-3-0343-2461-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (November)
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2016. 426 S.

Biographische Angaben

Katrin Schaerer-Surbeck (Autor:in)

Katrin Schaerer-Surbeck, Jg. 1964, Ausbildung zur Primarlehrerin mit anschliessender Lehrtätigkeit im In- und Ausland. Studium der Pädagogik, Sozialpsychologie und Pädagogischen Psychologie (Universität Bern). Lehrauftrag an der Berufsschule Bern (Fachrichtung Kinderbetreuung), wissenschaftliche Mitarbeiterin (MMI Zürich). Seit 2015 Dozentin am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung.

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