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Der Schutz vor den Wirkungen des Fluglärms auf den Menschen nach der Novellierung des FluLärmG

Zugleich ein Beitrag zum Problem der Transformation außerrechtlicher Erkenntnisse in das Recht

von Martin Wilke (Autor:in)
©2017 Dissertation 20 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor untersucht die rechtlichen Rahmenbedingungen des Schutzes der Bürger in Deutschland vor den Wirkungen des Fluglärms. Ausgangspunkt ist dabei die Frage, wie die Fachwissenschaften das Phänomen «Schall» und seine Wirkungen auf den Menschen erfassen. Auf verfassungsrechtlicher Ebene wird auf Basis dieser Erkenntnisse eine nachvollziehbare Zuordnung der verschiedenen Geräuschwirkungen zu Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und zu Art. 2. Abs. 1 GG möglich. Die Untersuchung stellt den von der Rechtsprechung geprägten abgestuften Fluglärmschutz dar, wie er bis zur Novellierung galt. Darauf folgt eine intensive Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des neuen Fluglärmschutzgesetzes auf dieses abgestufte Schutzsystem, insbesondere seinen Grenzwerten, seinen Durchführungsverordnungen und seiner Bedeutung sowohl für die planerische Abwägung auf Ebene der Flughafenplanung als auch auf Ebene der Flugroutenfestsetzung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Die Bedeutung von fachlichem Wissen im abgestuften Fluglärmschutzsystem und dessen Anbindung an das Verfassungsrecht
  • B. Gang der Untersuchung
  • Teil 1: Realbereichsanalyse – Geräusche und ihre Wirkung auf das Bewusstsein und den Körper des Menschen
  • A. Vom Schall zum Lärm – Wirkungsketten
  • B. Das Phänomen „Schall“ – Messung, Berechnung und Bewertung
  • I. Physikalische Grundlagen – Akustische Merkmale
  • 1. Vom Schalldruck zum Schalldruckpegel – Objektive Messbarkeit und Berechnung?
  • 2. Der Einfluss der Schwingungsfrequenz auf die Hörschwelle – Frequenzbewertungen
  • 3. Der Einfluss der Einschwingzeit des menschlichen Ohrs – Zeitbewertungen
  • 4. Der Einfluss der Geräuschdauer – Dauerschall-, Maximal- und Beurteilungspegel
  • II. Psychoakustische Geräuschmerkmale
  • 1. Signalanalyse, Verdeckung und Frequenzgruppen
  • 2. Lautstärkewahrnehmung in der Psychoakustik
  • 3. Berücksichtigung psychoakustischer Merkmale über Pegel-Zuschläge
  • 4. Berücksichtigung von psychoakustischen Merkmalen mittels Frequenzanalyse
  • III. Sonstige (physikalische) Einflussfaktoren
  • 1. Messung und Berechnung
  • 2. Berechnungsverfahren und Datengrundlagen
  • 3. Bauliche Dämmwirkungen und die Unterscheidung von Außen- und Innenpegeln
  • IV. Ergebnisse
  • C. Geräusch- bzw. Lärmwirkungen
  • I. Was ist und wie funktioniert „empirische (Sozial-)Forschung“?
  • 1. Wissenschaftstheoretische Grundlagen
  • a. Definition von Begriffen
  • b. Hypothesen, Theorien und Gesetze
  • c. Erklärung und Falsifikation
  • d. Der wissenschaftliche Wert einer Erklärung
  • 2. Zur Erklärung „sozialen Handelns“ bzw. „sozialer Zustände“
  • II. Psychosoziale Lärmwirkungsforschung
  • 1. Methoden und Konzepte psychosozialer Lärmwirkungsforschung
  • a. Das psychoakustische Lästigkeitsurteil
  • b. Das Moderatorenkonzept
  • c. Verfeinerungen vorhandener Konzepte?
  • d. Stellungnahme
  • 2. Überblick über den Stand der psychosozialen Lärmwirkungsforschung
  • a. Von den Primärreaktionen zur Globalreaktion der Belästigung
  • b. Allgemeine Erkenntnisse
  • III. Physiologisch-medizinische Lärmwirkungsforschung
  • 1. Das Verständnis der „menschlichen Gesundheit“ in der Medizin als „Abwesenheit von Krankheiten“
  • a. Biomedizinisches Krankheitsmodell
  • b. Psychosomatische Krankheitsmodelle
  • c. Epidemiologische Modelle als „noch weitergehende“ Öffnung des Krankheitsbegriffs?
  • d. Zwischenergebnisse
  • 2. Grundlagen der Epidemiologie
  • a. Allgemeine Epidemiologie
  • b. Zur Frage der Kausalität
  • aa. „Stärke“ bzw. „Dosis-Wirkungs-Beziehungen“
  • bb. „Studiendesigns“
  • 3. Funktionszusammenhänge
  • a. Grundlegendes
  • b. Schlaf
  • 4. Überblick über den Stand der physiologisch-medizinischen (Flug-)Lärmforschung
  • a. Primärreaktionen bzw. akute funktionale Wirkungen
  • b. Sekundärreaktionen bzw. „chronische Schäden“
  • c. Allgemeine Erkenntnisse
  • IV. Exkurs: Das Problem der summativen Betrachtung von Geräuschquellen
  • V. Ergebnisse
  • D. Exkurs: Lärm und Ökonomie
  • Teil 2: Verfassungsrechtliche Determinanten des (Flug-)Lärmschutzes
  • A. Problemebenen – Norminterpretation, Abwägungen und Funktionsbereiche
  • I. Zum Umgang mit „außerrechtlichen Wissensbeständen“
  • 1. Norminterpretation/Normergänzung
  • 2. Abwägungen
  • II. Grundrechtliche Funktionsbereiche
  • B. Relevante Grundrechtsbereiche
  • I. Fluglärm und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG
  • 1. Fluglärm und Gesundheit in Rechtsprechung und Literatur
  • a. Einbezug qualifizierter psychischer und Ausschluss sozialer Belastungen – BVerfGE 56, 54 ff. als zentrale Entscheidung
  • b. Systematisierung und Kritik
  • aa. Verwendung des WHO-Begriffs und Konturenlosigkeit des Schutzbereichs
  • bb. Normative Argumente in der Lohausen-Entscheidung
  • cc. Rezeption fachwissenschaftlichen Wissens durch die Einbindung des Einwirkungsakts
  • c. Körperliche Unversehrtheit als das „Freisein von pathologischen Zuständen“ – Zum funktionalen Verständnis des sachlichen Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG
  • d. Zwischenfazit
  • 2. Gesundheit (und Belästigung) in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vor dem Hintergrund fachwissenschaftlicher Methodiken – Versuch einer Präzisierung
  • a. Die Verbindung des sachlichen Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu Wissen über Gesundheitsreaktionen
  • b. Die Verbindung des sachlichen Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu Wissen über Belästigungsreaktionen
  • c. Zur Beeinträchtigung des sachlichen Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG
  • d. Zum Problem „besonders schutzwürdiger Gruppen“ in den Rechts- und den Fachwissenschaften
  • 3. Rechtspolitische Überlegungen zur Abwägungsoffenheit der Schutzgüter von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG
  • 4. Ergebnisse
  • II. Fluglärm und Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG
  • 1. Grundsätze des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes
  • 2. Vermittelter Schutz gegen „Eingriffe in die Gesundheit“ durch Art. 14 GG?
  • a. Fachwissenschaftliche Anleitung im Hinblick auf Wissen über Gesundheitsreaktionen
  • b. Fachwissenschaftliche Anleitung im Hinblick auf Wissen über Belästigungsreaktionen
  • 3. Exkurs: Rezeption „ökonomischen“ Wissens
  • 4. Ergebnisse
  • III. Fluglärm und Art. 2 Abs. 1 GG
  • 1. Zur Unterteilung des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 GG
  • a. Allgemeines Persönlichkeitsrecht
  • b. Allgemeine Handlungsfreiheit
  • 2. Schutz vor der geräuschinduzierten Belästigungswirkung über Art. 2 Abs. 1 GG?
  • a. Fachwissenschaftliche Anleitung im Hinblick auf Wissen über Belästigungsreaktionen
  • b. Abschließende Überlegungen zur Rezeption des Wissens über Belästigungsreaktionen
  • aa. Gemeinsamkeiten psycho-sozialer und physiologisch-medizinischer Lärmwirkungsforschung und das Problem der „Wissenszersplitterung“
  • bb. Einschränkbarkeit und Abwägungsoffenheit
  • cc. Abgleich mit dem einfach-rechtlichen System gestuften Fluglärmschutzes auf Ebene der Flughafenplanung
  • dd. Auffang- und Unterstützungsfunktion des Wissens über Belästigungsreaktionen
  • 3. Ergebnisse
  • C. Maßstabsbildung
  • I. Maßstabsbildung allein über die Zuordnung zu einer Grundrechtsfunktion?
  • 1. Tatsächliche und rechtliche Bedingungen der Fluglärmemission
  • 2. Die Problematik des Rechtsstatus der Betreibergesellschaften
  • 3. Die Problematik der Zurechnung des Verhaltens Dritter
  • II. Die Dogmatik der Schutzpflichten in der Diskussion
  • 1. Die Position des BVerfG
  • a. Evidenz
  • b. Untermaß
  • 2. Rezeption im Schrifttum
  • III. Ausrichtung der Untersuchung des einfach-rechtlichen Fluglärmschutzes
  • 1. Prüfungsstrukturen und ihre Abwägungen – Zum hier verwendeten Begriff der Verhältnisüberlegung
  • 2. Gesetzgebungsermessen
  • a. Abstufungen des Gesetzgebungsermessens nach dem Mitbestimmungsurteil
  • b. Fluglärmschutz und Gesetzgebungsermessen
  • 3. Darlegungsanforderungen und objektive Beweislastverteilung
  • a. Allgemeine Darlegungsanforderungen und Verfahrensgegenstände
  • b. Darlegungsanforderungen im Bereich des Fluglärmschutzes aus Sicht des BVerfG
  • c. Von der Darlegungs- zur Beweislastverteilung?
  • 4. Ergebnisse
  • Teil 3: Einfach-rechtlicher Fluglärmschutz vor und nach der Novellierung des FluLärmG
  • A. Mittel und Entscheidungsebenen des Fluglärmschutzsystems
  • I. Aktiver und passiver Verkehrslärmschutz – Ein Überblick
  • 1. Verkehrsmittel
  • 2. Der Betrieb bzw. die Nutzung von Verkehrsanlagen und Verkehrsmitteln
  • 3. Verkehrsweg bzw. Verkehrsanlage
  • 4. Zum Verhältnis von aktivem und passivem Verkehrslärmschutz bei der Planung von Verkehrswegen bzw. Verkehrsanlagen
  • II. Zur Ausrichtung einer Schwerpunktidentifikation
  • 1. Emittierte „objektive“ Schallgesamtlast?
  • 2. „Lärmlast“ als Verlauf der Belästigungs- oder Gesundheitsreaktionen?
  • 3. Nochmals: Darlegungsanforderungen?
  • III. Versuch der abstrakten Bewertung einzelner Lärmschutzmaßnahmen zur Reduktion des Untersuchungsgegenstands
  • 1. Ausschluss der Betrachtung von Lärmschutzmaßnahmen „am Verkehrsgerät“
  • 2. Ausschluss der Betrachtung der Entscheidungsebene „Raumordnung“
  • 3. Fokussierung der Entscheidungsebenen „Flughafenplanung“ und „Flugroutenfestsetzung“
  • B. Flughafenplanung
  • I. Struktur und Inhalt der Flughafenplanung im Überblick
  • 1. Luftverkehrsrechtliche Genehmigung und luftverkehrsrechtliche Planfeststellung
  • a. Technische Grundlagen im Überblick
  • b. Notwendigkeit und Inhalt einer luftverkehrlichen Genehmigung
  • c. Konzentration auf die luftverkehrliche Planfeststellung
  • 2. Grundlagen des Flughafenplanfeststellungsrechts
  • a. Planrechtfertigung und Bedarf
  • b. „Striktes Recht“ und „planerische Abwägung“
  • 3. Bestimmung von Unzumutbarkeitsschwellen – Das „Minimalprogramm“ der Rechtsprechung bis zur Novellierung des FluLärmG
  • a. Grundrechte
  • b. Rechtsstaatsprinzip und fachplanungsrechtliche Dogmatik
  • c. Bestimmung und Auswirkungen der Vorfeld-Zumutbarkeit – Schutzzone und Schutzziel in der Rechtsprechung vor der Novellierung
  • aa. Startbahn West – BVerwGE 56, 110 ff.
  • bb. München II – BVerwGE 69, 256 ff.; 75, 214 ff.; 87, 332 ff.
  • cc. Erfurt – BVerwGE 107, 313 ff.
  • dd. München Nachtflugregelungen – BVerwGE 123, 261 ff.
  • ee. BBI – BVerwGE 125, 116 ff.
  • ff. Leipzig – BVerwGE 127, 95 ff.; 131, 316 ff.
  • gg. Zwischenfazit
  • d. Verfassungsrechtliche Unzumutbarkeit?
  • 4. Die „Neuprogrammierung“ durch das neue FluLärmG
  • a. Das alte FluLärmG
  • b. Gesetzgebungsverfahren
  • c. Zur Problematik der inhaltlichen Anknüpfung an die „Fluglärmsynopse“
  • d. Wesentlicher Inhalt des neuen FluLärmG und die Änderungen im LuftVG
  • II. Fluglärmschutz auf Ebene der Flughafenplanung nach der Novellierung des FluLärmG – Schnittstellen und Effekte
  • 1. Zum Konzept „gestuften“ Fluglärmschutzes
  • a. Die Stufungen im Überblick
  • b. Die Stufen im Lichte einfach-rechtlicher Begriffsbestimmungsversuche
  • c. Die verfassungsrechtliche Anknüpfung der Stufen und Schutzmittel
  • aa. Grundsätzliches
  • bb. Kritik an den Stufungen
  • (1) Der (verfassungsrechtliche) Übernahmeanspruch
  • (2) Der (einfach-rechtliche) Anspruch auf passiven Schallschutz
  • cc. Konsequenzen und Neubestimmung
  • d. Zwischenergebnisse
  • 2. Das FluLärmG und seine Grenzwerte
  • a. Passiver Schallschutz
  • aa. Schutzzonendefinitionsgrenzwerte
  • (1) Folgenableitung aus den Schutzzonendefinitionswerten
  • (2) Fachlich angeleitete Beurteilung der Schutzzonendefinitionswerte
  • (a) Einschätzung der Gesundheitsreaktionen
  • (b) Verhältnisüberlegung
  • (3) Zwischenfazit
  • bb. Schutzzielwerte
  • (1) Folgenableitung aus den Schutzzonenzielwerten
  • (2) Fachlich angeleitete Beurteilung der verschiedenen Schutzniveaus
  • (3) Zwischenfazit
  • cc. Belästigungsreaktionen und gesetzgeberische Grenzwerte
  • (1) Auffangfunktion
  • (2) Unterstützungsfunktion
  • (3) Zwischenfazit
  • dd. Nichtbeachtung von SRU 2004 und weiterer Ausblick
  • b. Außenbereichs- und Bauverbotsentschädigung
  • c. Aktiver Schallschutz
  • 3. Technische und ökonomische Aspekte der Durchführungsverordnungen
  • a. Die Lärmermittlung bzw. Lärmberechnung nach der 1. FlugLSV
  • b. Gewährleistung von Schallschutz nach der 2. FlugLSV
  • 4. Der abschließende Charakter des FluLärmG
  • a. Verbindlichkeitsthese
  • b. Mindeststandardthese
  • c. Zwischenfazit
  • 5. Bedeutung und Struktur der planerischen Abwägung auf Ebene der Flughafenplanung
  • a. Gewichtung der Lärmschutzinteressen „ohne“ fachliche Anknüpfung?
  • b. Das „Herauslösen“ von Abwägungselementen
  • III. Ergebnisse
  • C. Flugroutenfestsetzung
  • I. Struktur und Inhalt der Flugroutenfestlegung
  • 1. Luftverkehrstechnische Grundlagen und rechtliche Rahmenbedingungen
  • 2. Verfahren und Ablauf einer Flugroutenfestlegung
  • 3. Zur Bedeutung der Flugroutenprognose im Rahmen der Flughafenplanung
  • II. Fluglärmschutz auf Ebene der Flugroutenplanung
  • 1. Bisherige Rechtsprechung zur Abwägung auf Ebene der Flugroutenfestlegung
  • a. Notwendigkeit und Struktur der Abwägung auf Ebene der Flugroutenfestlegung
  • b. Komplexität zurückliegender Entscheidungen – Übertragbarkeit der Kernaussagen?
  • 2. Das „Lärmpotential“ und seine Veränderung am Beispiel des Flughafenausbaus Frankfurt/Main
  • 3. Übertragung der zentralen Thesen der bisherigen Rechtsprechung
  • a. Verteilung eines Lärmpotentials
  • b. Grenzziehungen und Vergleichbarkeit der Angaben zum „Lärmpotential“
  • c. Flugroutenfestlegung – Sicherheits- oder Planungsaufgabe?
  • d. Konflikttransfer und Abwägungen – Rechtsschutzprobleme
  • III. Ergebnisse
  • Teil 4: Abschließende Zusammenfassung
  • Literaturverzeichnis

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Einleitung

Die industrialisierte Welt ist ohne ihre erhebliche Geräuschkulisse zurzeit nicht vorstellbar. Geräusche entstehen insbesondere als Nebenprodukte der verschiedenen Arten, mit denen wir uns fortbewegen. Ist das ein Problem? Und wenn man diese Frage bejaht, welche Möglichkeiten gibt es in tatsächlicher Hinsicht, mit diesem Problem umzugehen? Schließlich: Wie stellt sich das Recht zu diesen Fragen? In welchem Umfang sieht es ebenfalls ein Problem? Welche Rolle spielen die außerrechtlichen, fachlichen Erkenntnisse über die Wirkung von Geräuschen und etwaige technische Lösungen, wie etwa der Einbau von Schallschutzfenstern, bei der Beantwortung dieser Fragen? Präferiert, unterstützt oder erzwingt das Recht sogar bestimmte Lösungen? Die vorliegende Untersuchung stellt sich diese, nicht ganz neuen Fragen vor einem ganz bestimmten Hintergrund:

A.   Die Bedeutung von fachlichem Wissen im abgestuften Fluglärmschutzsystem und dessen Anbindung an das Verfassungsrecht

Seit Januar 2009 ist der Ausbau des größten deutschen Flughafens in Frankfurt am Main im vollen Gange. Ihm ging eine lange Planungsphase voraus, die im Dezember 2007 mit dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses zum Ausbau des Flughafens Frankfurt Main endete1. Kurz vor dem Erlass dieses PFB, somit erst in der Endphase dieser Planung, wurde der Gesetzgeber tätig und gestaltete die bis dahin geltende Rechtslage in einem für den Ausbau entscheidenden Aspekt scheinbar grundlegend um, nämlich im Bereich des Fluglärmschutzes. Er novellierte das bis dato rechtspraktisch für irrelevant gehaltene2 FluLärmG. Die Planfeststellungsbehörde war nun gezwungen, das neue Gesetz auch anzuwenden. In der Folge wurde es zu einem zentralen Streitpunkt von Gegnern und Befürwortern des Flughafenausbaus in Frankfurt am Main. Was genau war geschehen?

Das FluLärmG sieht vor, dass die im Einwirkungsbereich von Flughäfen herrschende Geräuschkulisse nach bestimmten Berechnungsverfahren zu bestimmen ist. An diese Berechnungen, die in gewissem Umfang auch bestimmte Bewertungen ← 1 | 2 → enthalten3, knüpft sich eine an Grenzwerten orientierende Schutzzonenausweisung an. Mit ihr werden die geographischen Bereiche beschrieben, innerhalb derer die berechneten Geräusche bzw. deren weitere Wirkungen bestimmte Rechtsfolgen nach sich ziehen, insbesondere etwa ein Anspruch auf Gewährung passiver Schallschutzmaßnahmen. Diese Regelungssystematik war bereits im alten FluLärmG angelegt. Trotz dessen Nichtanwendbarkeit bestimmte diese Systematik die Flughafenplanungen der letzten Jahrzehnte. Denn die Fachplanungsbehörden waren ja gezwungen, Entscheidungen über den Neubau bzw. die Erweiterung bestehender Flughäfen zu treffen. Bei diesen Entscheidungen orientierten sie sich zwar an der im FluLärmG von Anfang an enthaltenen Systematik, verwarfen aber die dortigen Grenzwerte und ersetzten diese – Fall für Fall – durch die jeweils dem Stand der Lärmwirkungsforschung entsprechenden Erkenntnisse4.

Mit der Novellierung wurden dann insbesondere die Grenzwerte im FluLärmG gegenüber den Grenzwerten der alten Gesetzesfassung herabgesetzt und somit die Schutzzonen räumlich erweitert. Zudem wurde im Rahmen der Novellierung in § 8 Abs. 1 S. 3 LuftVG aber auch die Pflicht eingefügt, bei planfestzustellenden Ausbautätigkeiten diese Werte im Rahmen der planerischen Abwägung zu beachten5. In § 8 Abs. 1 S. 1 LuftVG ist geregelt, dass Flughäfen nur angelegt – und bestehende nur geändert – werden dürfen, wenn vorher von der zuständigen Fachplanungsbehörde ein Plan festgestellt worden ist. Als zentrales Element dieser Planfeststellung statuiert § 8 Abs. 1 S. 2 LuftVG für den Plan nach S. 1 die Berücksichtigung der vom Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange im Rahmen der Abwägung. Nur soweit diese Abwägung fehlerfrei zu dem Ergebnis kommt, dass die für das Vorhaben sprechenden Interessen die gegen das Vorhaben sprechenden Interessen überwiegen, lässt sich aus Sicht des Rechts das Vorhaben insgesamt legitimieren. Ein Aspekt, der regelmäßig gegen den Bau oder die Erweiterung von Flughäfen spricht, ist die damit einhergehende zusätzliche Belastung der Flughafenumgebung mit Verkehrsgeräuschen. Eigentlicher Streitpunkt dabei sind jedoch die sich daran anknüpfenden körperlichen Folgen. Wenn nunmehr im Rahmen dieser planerischen Abwägung die jeweils anwendbaren Werte des neuen FluLärmG zu beachten sein sollen, inwiefern verändert dies die Abwägung?

Neben der Pflicht zur fehlerfreien Abwägung war die zuständige Planungsbehörde vor der Novellierung des FluLärmG auch nach § 9 Abs. 2 LuftVG dazu verpflichtet, in dem Planfeststellungsbeschluss dem (Flughafen-)Unternehmer die Errichtung und die Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen, die für das öffentliche Wohl oder zur Sicherung der Benutzung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren oder Nachteile notwendig sind, und zwar im Sinne eines Rechtsanspruchs ← 2 | 3 → der Betroffenen auf Schutzanordnungen6. Der Begriff der Schutzanordnung war weit zu verstehen und umfasste sowohl aktive als auch passive Schallschutzmaßnahmen7; regelmäßig lief die Verpflichtung aus § 9 Abs. 2 LuftVG aber gerade auf einen Anspruch der Betroffenen auf passiven Lärmschutz hinaus8. Die Grenze, ab welcher für das öffentliche Wohl oder zur Sicherung nachbarlicher Grundstücke Gefahren oder Nachteile abzuwehren waren, bezeichnete man gemeinhin als die Schwelle fachplanerischer Unzumutbarkeit. Wenn nun das novellierte FluLärmG solche Ansprüche in ausreichendem Maß gewährleistet, welche rechtlich Bedeutung hat daneben noch § 9 Abs. 2 LuftVG?

Die beim Betrieb von Flughäfen entstehenden Geräusche wurden bisher bzw. werden noch immer, und zwar auch in Anbetracht der soeben überblicksartig dargestellten Regelungssystematik, in Rechtsprechung und Literatur in verschiedene Beachtlichkeitsbereiche unterteilt9, beginnend (1.) mit dem geringfügigen, nicht abwägungserheblichen Lärm, der dann übergeht (2.) in den beachtlichen, also abwägungserheblichen Lärm. Diese beiden Bereiche werden gemeinhin der Vorsorge zugeordnet. Sie signalisiert dem Betroffenen, dass seine Belastung zwar prinzipiell anerkannt wird, jedoch anderen – als gewichtiger angesehenen – Aspekten untergeordnet werden kann. Schließlich (3.) kommt man zur fachplanerischen Unzumutbarkeit bzw. zur Abwehr erheblicher Nachteile. Hier erreichen im Stufensystem die Geräuschbelastungen dann einen Schweregrad, der nicht mehr nur unter Vorsorgegesichtspunkten zu behandeln ist, sondern – anknüpfend an § 9 Abs. 2 LuftVG – ein Aktivwerden der Fachplanungsbehörden erzwingt. Jedoch soll auch damit – also bei Überschreiten der Schwelle fachplanerischer Unzumutbarkeit – ein konkreter grundrechtlicher Bezug nicht einhergehen. Über all diesen Bereichen steht nämlich letztlich noch (4.) der Bereich der verfassungsrechtlichen Unzumutbarkeit als die Grenze, bei deren Überschreitung eine Geräuschbelastung zum Gesundheitsschaden oder Enteignungsgrund im Sinne der Art. 2 Abs. 2, 14 Abs. 1 GG wird. Diese Beachtlichkeitsbereiche wurden nie grundsätzlich in Frage gestellt, mussten vor der Novellierung des FluLärmG allerdings von Fall zu Fall näher bestimmt werden, da hinsichtlich der genauen Grenzziehungen normative Aussagen des Gesetzgebers fehlten10. ← 3 | 4 →

Verwaltung und Gerichte mussten sich also für jede konkret zu entscheidende Situation ein Bild darüber machen, wann die jeweiligen Beachtlichkeitsbereiche begannen bzw. endeten, wann also etwa fachplanerisch unzumutbarer Lärm zum verfassungsrechtlich unzumutbaren Lärm wird. Praktisch bedeutete dies, dass die Gerichte sich mit der sachlich-inhaltlichen Frage zu beschäftigen hatten, wie und worauf Geräusche einwirken und was das für weitere Folgen haben kann. Sie mussten – angeleitet durch Aussagen von Sachverständigen – entscheiden, wann und wieso Geräusche negative Effekte haben können und daher nicht mehr bloß als Geräusche, sondern als Lärm zu bezeichnen sind11. Sie mussten vor allem entscheiden, wann, wo und wie sie zu verhindern sind.

An diesem gestuften System des Schutzes vor Fluglärm hat sich aus Sicht der Rechtsprechung durch die Novellierung des FluLärmG nur insofern etwas geändert, als nunmehr der Gesetzgeber die Gerichte von der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit den angedeuteten sachlich-inhaltlichen Fragen der Geräuschwirkungen befreit haben soll12. Der Gesetzgeber habe nämlich diese Geräuschwirkungen nunmehr selbst beurteilt und, wie es auch in anderen Umweltverwaltungsbereichen gängige Praxis ist, Grenzwerte erlassen, die als (zumindest vorläufig13) abschließende gesetzgeberische Wertung verstanden werden müssten. Er habe also die Schwelle der fachplanerischen Unzumutbarkeit bestimmt14.

Mit diesen Zusammenhängen, die den Kern des gestuften Systems des Schutzes vor Fluglärm darstellen, ist auch der Hauptgegenstand der vorliegenden Untersuchung beschrieben. Es soll nämlich gezeigt werden, dass die vielen Implikationen des Stufensystems, so plastisch es auch zunächst erscheinen mag, nicht in Übereinstimmung zu bringen sind mit den Erkenntnissen der Geräusch- bzw. Lärmwirkungsforschung15. Das Stufensystem enthält aber nicht nur hinsichtlich der Übertragung von außerrechtlichem Wissen in Recht gravierende Mängel, es wirft auch schwerwiegende rechtliche Probleme auf, an denen die Novellierung des FluLärmG nichts verändert hat. ← 4 | 5 →

Nach wie vor ist nämlich die Anknüpfung dieses – vermeintlich durch die Novellierung des FluLärmG präzisierten – Systems an das Verfassungsrecht nicht überzeugend. Die zurzeit im Wesentlichen unumstrittene16 Konstruktion der verfassungsrechtlichen Unzumutbarkeitsgrenze (Stufe 4) führt dazu, dass Betroffene sich gegen die Umweltbelastung Lärm zwar durchaus unter Berufung auf grundrechtliche Gewährleistungen wehren können. Einen realen, durchschlagenden Effekt hat dies, wie gezeigt werden soll, jedoch nicht. Die Grundrechte der Betroffenen sind im abgestuften Lärmschutzsystem das Gegenteil von „omnipotenten Zellen“17, also bloß leere Hülsen.

Dies hängt vor allem damit zusammen, dass das Verfassungsrecht noch immer keine überzeugende Position zu der Frage gefunden hat, welche Rolle Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zukommt, wenn umweltvermittelte Belastungen erst im Verlauf der Zeit zu chronischen Schäden führen. In Rechtsprechung und Literatur wird nämlich nicht nur der Begriff der menschlichen Gesundheit in sehr unklarer Weise als von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG umfasst angesehen18. Es harrt auch der Maßstab zur Überprüfung etwaiger Anforderungen aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG weiter der Präzisierung19.

Es bedarf keiner großen Erläuterung, dass die Bestimmung des Begriffs der Gesundheit erhebliche Auswirkungen auf die Anforderungen hat, welche Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG entfaltet bzw. die einfache Gesetze zu beachten haben, wenn sie keine verfassungsrechtlichen Konfliktlagen auslösen wollen. Bezogen auf das obige Beispiel chronischer Schäden stellt sich die simple Frage, ob auch langfristig wirkende Umweltbelastungen Grundrechtsbereiche tangieren können. Die Frage ist nicht neu und im juristischen Schrifttum vor allem im Zusammenhang mit den Begriffen Risiko, Gefahr und Vorsorge schon vielfach bearbeitet worden20. Die vorliegende Arbeit möchte hierzu einen weiteren Beitrag leisten, indem ein Ansatz zur Präzisierung insbesondere des Begriffs der Gesundheit gewählt wird, der sich stärker als bisher an dem Vorgehen der Fachwissenschaften, welches ihn für die dortige empirische Forschung operabel macht, orientiert.

Das bedeutet nicht, dass das Recht dadurch zum bloßen Empfänger der Erkenntnisse degradiert wird, die in anderen Wissenschaftsbereichen erzielt werden21. Dennoch ist die Angst vor dem Verlust von Deutungshoheit seit jeher – insbesondere ← 5 | 6 → gegenüber den Sozialwissenschaften – ein viel diskutiertes Thema22. Ob das Recht jemals – und zwar selbst im Bereich naturwissenschaftlicher Erkenntnisse – zu einem bloßen Umsetzungsautomaten zusammenschrumpft, ist hier aber nicht Thema und sei daher dahin gestellt. Es besteht jedenfalls die Hoffnung, dass durch ein stärkeres Aufzeigen bzw. durch eine stärkere Trennung der jeweiligen Erkenntnisbereiche und durch ein Verdeutlichen der Funktionsweise der für die Lösung des Sachproblems wesentlichen Schnittstellen im Recht – die also, wie etwa Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, außerrechtliches Wissen aufnehmen und weiterverarbeiten – das Ergebnis des Zusammenwirkens von Recht und Fachwissenschaften transparenter bzw. nachvollziehbarer wird. Wenn darin ein höherer Grad an Rationalität gesehen werden kann, so muss es als wünschenswert betrachtet werden, ihn zu erreichen.

B.   Gang der Untersuchung

Der vorliegenden Arbeit geht es also um ein gesteigertes Verständnis der vielen Entscheidungen, aus denen sich im abgestuften Fluglärmschutzsystem realer Schutz ergibt. Bevor man die damit zusammenhängenden rechtlichen Fragen untersuchen kann, ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass Umweltrecht insgesamt – und eben auch das Fluglärmschutzrecht – ein in hohem Maße durch technische bzw. naturwissenschaftliche Sachverhalte geprägtes Rechtsgebiet ist, und zwar sowohl auf Problemverursachungsseite als auch beim Problemlösungsansatz23. Dieser Ausgangslage kann dadurch Rechnung getragen werden, dass der jeweilige Problemlöser sowohl adäquate Maßstäbe zur Erfassung und Beurteilung als auch adäquate Mittel zur Behebung der negativen Effekte findet, die mit einer Umweltbelastung für den Menschen in irgendeiner Form verknüpft sind. Er muss die Probleme also umfassend und zutreffend erkennen, was für die im Fall des Fluggeräusche im Raum stehenden negativen Effekte auf den Körper und das Bewusstsein des Menschen vor allem bedeutet, dass man sich vor Augen führt, welche Erklärungskraft die sie untersuchenden Fachwissenschaften haben bzw. nicht haben.

Da die Steuerungswirkung des FluLärmG vor allem über Grenzwerte hergestellt wird, ist es für die vorliegende Untersuchung zunächst wichtig, sich mit den wissenschaftlichen Grundlagen dieser speziellen Grenzwertfindung auseinanderzusetzen, also dem Bereich der Beschreibung geräuschinduzierter Effekte auf den Körper und das Bewusstsein des Menschen. Es soll also weniger um eine allgemeine Auseinandersetzung mit den Grundlagen des Grenzwertgebungsprozesses gehen als um die Frage, welche sachlich-inhaltlichen Erkenntnisse anderer Wissenschaften ← 6 | 7 → die Grenzwerte des FluLärmG prägen. In diesem Zusammenhang ist sowohl ein Grundverständnis für das Phänomen Schall als auch für seine weiteren Folgen unabdingbar, die ihn erst zum Lärm machen. Damit beschäftigt sich der erste Abschnitt dieser Untersuchung (Teil 1).

Im Unterschied zu vielen juristischen Arbeiten zum Thema des Verkehrslärmschutzes soll auf diesen Aspekt größerer Wert gelegt werden, jedoch nicht mit dem Ziel, zu einem vermeintlich besseren Grenzwert zu kommen und diesen dann mit den im Gesetz festgelegten Grenzwerten abzugleichen. Das wäre auf Grund des interdisziplinären Zugangs der Untersuchung vermessen. Im Idealfall werden aber im Bereich der das Fluglärmschutzrecht beeinflussenden Fachwissenschaften – also insbesondere der Geräusch- bzw. Lärmwirkungsforschung – zumindest deren grundlegende Methoden und Theorien erarbeitet, so dass auch eine erste Einschätzung der Bedeutung (Erklärungskraft) der jeweiligen fachlichen Erkenntnisse für das Recht vornehmbar ist. Den nachfolgenden Abschnitten, die – notgedrungen – dennoch konkrete Einzelergebnisse der Lärmwirkungsforschung oder eine Art Stand der Forschung aufgreifen, ist auf Grund des interdisziplinären Zugangs mit Vorsicht zu begegnen.

Mit Blick auf die Grenzwerte des FluLärmG darf darüber hinaus nicht verkannt werden, dass die Setzung eines Grenzwerts letztlich immer als wertende, politische Entscheidung zu charakterisieren ist24. Die umfassende Auseinandersetzung mit der Geräusch- bzw. Lärmwirkungsforschung kann daher nur dazu führen, diese wertende Entscheidung transparenter zu machen und ihre Folgen besser einschätzen zu können. Gerade was die Folgen und Effekte der verschiedenen Ebenen und Mittel des Fluglärmschutzes im Stufensystem anbetrifft, besteht in der juristischen Auseinandersetzung mit dem Problem Lärm Nachholungsbedarf.

Dieses Grundverständnis für die das abgestufte Lärmschutzsystem prägenden Fachwissenschaften – dies soll im zweiten Abschnitt dieser Arbeit gezeigt werden (Teil 2) – kann dabei helfen, die Schwächen der bisherigen Versuche aufzudecken, die beiden Hauptreaktionen des Menschen auf Geräusche, nämlich die Belästigungs- und die Gesundheitsreaktion, verfassungsrechtlich einzuordnen. Die Auseinandersetzung mit den Methoden und Theorien der Geräusch- und Lärmwirkungsforschung hilft zudem zu verstehen, dass sich beide Hauptreaktionen aus diversen Einzelreaktionen zusammensetzen. Die empirische Erforschung der Hauptreaktionen setzt an diesen sog. Primärreaktionen an, um am Ende ein Konstrukt hervorzubringen, nämlich die Summe vieler Einzelreaktionen. Das Ergebnis dieses integrativen Vorgangs kann man dann als die Belästigung oder die Gesundheitsbeeinträchtigung bezeichnen. Wissen über Reaktionen an diesen beiden sog. ← 7 | 8 → Wirkungsendpunkten25 ist also nur bedingt vergleichbar mit dem Wissen über etwas aktuell Reales, wie etwa die aus einem Unfall resultierende Verletzung.

Diese Differenzierungen – also von Primärreaktionen und Wirkungsendpunkten bei sowohl der Belästigung als auch der Gesundheitsbeeinträchtigung – haben zunächst Auswirkungen auf die Frage, wie das damit beschriebene Phänomen im Verfassungsrecht einzuordnen sein könnte. Dabei bleibt es selbstverständlich nicht bzw. ist es vielmehr das einfache Recht – im Bereich des Flugverkehrs also vor allem das LuftVG und das novellierte FluLärmG bzw. das, wie bereits angedeutet, hier angesiedelte abgestufte Fluglärmschutzsystem –, das die konkreten Anforderungen aufstellt, wie mit den Folgen der Geräuschemission beim Menschen umzugehen ist. Den hier bestehenden Problemen und Unklarheiten widmet sich der dritte Abschnitt (Teil 3).

Ziel ist es dabei, die vorhandenen Problemlösungsansätze zu analysieren, die das einfache Recht bereithält. Allerdings kann dies, wie zu zeigen sein wird, nicht vollumfänglich geschehen. Dafür gibt einerseits das Verfassungsrecht – d.h. wie es vor allem vom BVerfG interpretiert wird – nicht ausreichend konkrete Vorgaben hinsichtlich des Prüfungsmaßstabes vor. Andererseits sind die tatsächlich vorhandenen Mittel zum Schutz des Menschen vor den Wirkungen des Fluglärms so vielfältig, so komplex und so verstreut, dass nach Schwerpunkten gesucht werden muss, um den Überblick zu bewahren.

Es muss allerdings auch kein Neuland betreten werden, um zu erkennen, dass das Recht Schutz vor den Wirkungen des Fluglärms in Deutschland seit jeher vor allem über die Durchführung von Schalldämmmaßnahmen gewährt. Dennoch ist die Ausrichtung des gesamten Systems staatlicher Maßnahmen schon abstrakt nicht einfach zu erfassen bzw. zu beurteilen. Dazu tragen auch die nach wie vor nicht vorhandenen gesamtstaatlichen Planungen und Zielsetzungen bei. Letztlich muss man sich bei der Bestimmung des abgestuften Fluglärmschutzsystems als Schwerpunkt der direkt steuernden staatlichen (Schutz-)Maßnahmen mit abstrakten Überlegungen helfen, was jedoch vor dem Hintergrund aktueller Kammerrechtsprechung des BVerfG – wie zu zeigen sein wird – problematisch erscheint26.

Wenn man aber das abgestufte Fluglärmschutzsystem auf Ebene der Flughafenplanung als Schwerpunkt anerkennt, stellt sich die weitere Frage, wie es zur Einhaltung etwaiger grundrechtlicher Verfassungsvorgaben beiträgt und welche Rolle dabei das novellierte FluLärmG spielt. Wie funktioniert das novellierte FluLärmG? Welche Effekte kann man aus den dort vorgesehenen Maßnahmen ableiten? Welche Rolle spielen insoweit die nach der Novellierung des FluLärmG ergangenen ← 8 | 9 → Durchführungsverordnungen? Schließlich: Wie lassen sich die hierbei gewonnenen Ergebnisse vor dem Hintergrund der Fachwissenschaften einordnen?

In diesem Zusammenhang soll auch analysiert werden, welchen Beitrag die planerische Abwägung nach der Novellierung des FluLärmG noch zum Schutz vor Lärm leistet bzw. noch leisten kann. Dass ihr tatsächlicher Effekt bisher bereits als gering einzuschätzen ist, hing bzw. hängt nicht nur damit zusammen, dass der Schwerpunkt dort auf die Gewährung passiver Schallschutzmaßnahmen im Umfeld der Flughäfen gesetzt wurde und aus diesem Grund auch im Rahmen der planerischen Abwägung ein Heranziehen außerrechtlicher Erkenntnisse über die – abwägungserheblichen – Geräuschbelastungen unterbleibt27. Die planerische Abwägung war und ist auch deshalb zahnlos, weil eines der wesentlichen flugtechnischen Elemente der Berechnung des Geräuschausmaßes – also nicht der damit verbundenen Wirkungen – in Folge einer Flughafenplanung nur als vorläufige Information, also prognostisch einzustellen ist. Der vierte Abschnitt behandelt daher nicht nur die Flughafenplanung bzw. die dort angesiedelte Verknüpfung mit dem FluLärmG und das abgestufte Fluglärmschutzsystem, sondern auch die Flugroutenplanung.

Nur wenn man weiß, entlang welcher (zukünftigen) Route die (zukünftigen) Flugzeuge ihre Geräusche emittieren, kann man auch sinnvoll entscheiden, wo und welcher Schutz davor umgesetzt werden sollte. Diese in eine Lärmberechnung einzustellenden Informationen sind so wesentlich, dass sich die Zahl der von Geräuschen im Umfeld von großen Verkehrsflughäfen Belaststeten rechnerisch schnell um einige Tausend verändern kann28.

Über diesen Berechnungsaspekt wird aber erst im Rahmen der Flugroutenfestsetzung entschieden. Wenn nun diese Entscheidung ebenfalls als planerisches Abwägungsergebnis charakterisierbar ist, stellt sich die Frage der Verzahnung mit der Abwägung auf der Flughafenplanungsebene. Wenn es nämlich zulässig ist, von der planerischen Abwägung im Rahmen der Flughafenplanung auf Ebene der Flugroutenfestsetzung abzuweichen, könnte dies das Lärmschutzkonzept in Frage stellen, welches als Ergebnis der ersten planerischen Abwägung anzusehen ist. Zudem steht die Frage im Raum, ob damit der – an der Fachplanung ansetzende – Rechtsschutz der Betroffenen nicht unzulässiger Weise verkürzt wird. Wenn nämlich das Abwägungsergebnis bloß vorläufiger Natur ist und – jedenfalls durch einen determinierenden Akt (Flugroutenfestsetzung) – nachträglich erheblich beeinflusst werden kann, dann ist der hier erreichbare Rechtsschutz eingeschränkt bzw. nicht (mehr) vollumfänglich. ← 9 | 10 →


1 PFB zum Ausbau des Verkehrsflughafens Frankfurt Main, PF-66 p –V–, Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, vom 18.12.2007 (PFB FFM 2007).

2 Wysk, in: Ziekow (Hg.), Praxis des Fachplanungsrechts, S. 628, Rn. 1697; Ramsauer, NVwZ 2004, 1041 (1049); Storost, NVwZ 2004, 257 (257 und 264); Berkemann, ZUR 2002, 202 (203); vgl. auch BGHZ 69, 105 (114 ff.) und BVerwGE 125, 116 (195 f., Rn. 254 f.).

3 S. unten Teil 1, B., I., 4. und II.

4 Ein Darstellung der Entwicklung, die die Rechtsprechung des BVerwG hier genommen hat, erfolgt später in Teil 3, B., I., 3.

5 S. unten Teil 3, B., I., 4.

6 Hier nur Franke, Lärmgenzwerte, S. 98 (m.w.N.).

7 Aktive Schallschutzmaßnahmen setzen an der Schallquelle an und zielen auf eine Verhinderung schon der Emission ab. Bei den passiven Schallschutzmaßnahmen wird dagegen das zu schützende Objekt bzw. Subjekt in den Blick genommen, bei dem das Geräusch als Immission ankommt, vgl. unten Teil 3, A., I.

8 Deutlich Wysk, ZLW 1998, 456 (464); Ausführlich dazu unten Teil 3, A., I., 4.

9 Zusammenfassende Darstellung bspw. bei Franke, Lärmgenzwerte, S. 98 f.; Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, S. 310 f., Rn. 80 f.; kritisch Ekardt/Schmitdke, DÖV 2009, 187 (190 ff.). Aktuell dazu aus der Rechtsprechung BVerfG, NVwZ 2009, 1489 (1492, Rn. 50 ff.) und zur Rechtsprechung des BVerwG vor der Novellierung unten Teil 3, B., I., 3., c.

10 Franke, Lärmgenzwerte, S. 130; Hermann, Schutz vor Fluglärm, S. 285 ff.; Storost, NVwZ 2004, 257 (258); Paetow, NVwZ 2010, 1184 (1188 f.).

11 Kürer, in: Koch (Hg.), Schutz vor Lärm, S. 21 („unerwünschte Geräusche“); Kutscheidt, NVwZ 1989, 193 (194) („störende Schallereignisse“); zur wirkungsfachlichen Begriffsbestimmung sogleich auch unten Teil 1., A.

12 BVerwGE 142, 234 (287, Rn. 182). Die Frage, inwieweit es nachvollziehbar ist, lärmwirkungsfachliches Wissen aus den auf Ebene der Flughafenplanung zu treffenden Entscheidungen zu entfernen, wird später ausführlich behandelt, s. unten Teil 3, B., II., 5., b.

13 Vgl. § 2 Abs. 3 FluLärmG.

14 BVerwGE 142, 234 (286, Rn. 180). Für das vorangehende Verfahren vor dem VGH Kassel bedeutete dies insbesondere, dass ein Sachverständigenstreit über die mit dem Vorhaben einhergehenden Geräuschwirkungen nicht mehr für notwendig erachtet wurde und entsprechende Beweisanträge unter Verweis auf das FluLärmG abgelehnt wurden, VGH Kassel, Urteil v. 21.8.2009 – 11 C 227/08 ua., Rn. 846 (Juris).

15 Ausführlich dazu bzw. den anderen Aspekten, die auf eine Inkonsistenz des Systems schließen lassen, unten Teil 3, B., II., 1.

16 Ausnahme Ekardt/Schmitdke, DÖV 2009, 187 (190); Ekardt, Fluglärmschutzgesetz, § 1, Rn. 7 ff., wobei die Kritik eher grundrechtstheoretischer Natur ist und sich nicht explizit auf die Schwelle zur verfassungsrechtlichen Unzumutbarkeit richtet.

17 Storost, NVwZ 2004, 257 (259), zeichnet mit diesem Begriff ein Problem, welches so nicht existiert.

18 Dazu unten Teil 2, B., I.

19 Dazu unten Teil 2, C.

20 Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 236 ff.; Couzinet, Zulässigkeit von Immissionen, S. 148; Ekardt, Nachhaltigkeit, S. 314 ff. (jeweils m.w.N.); s. auch unten Teil 2, B., I., 1., b., cc. und 2., c.

21 Zur Normativität der Rechtswissenschaft vor dem Hintergrund ihrer Ausrichtung als Handlungswissenschaft, vgl. etwa Neumann, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hg.), Rechtstheorie, S. 396 ff.; s. auch Jestaedt, in: Funke/Lüdemann (Hg.), Öffentliches Recht und Wissenschaftstheorie, S. 27 f.

22 Vgl. etwa Lepsius, JZ 2005, 1 (10); Engel, in: Engel/Schön (Hg.), Rechtswissenschaft, S. 230; s. auch Voßkuhle, in: Bauer/Cybulka/Kahl/Voßkuhle (Hg.), FS Schmidt 2001, S. 175. Mit besonderem Blick auf die Rechtsetzung Lüdemann, in: Funke/Lüdemann (Hg.), Öffentliches Recht und Wissenschaftstheorie, S. 122 ff.

23 Kloepfer, Umweltrecht, § 1, Rn. 29.

24 Böhm, Normmensch, S. 153 (m.w.N.); Kirchhof, AöR 2010, 29 (39); aus der Rechtsprechung prägnant VGH München, NVwZ 2007, 230 (236). Zur Eigenleistung oder Deutungshoheit der Rechtswissenschaft, s. bereits soeben Einleitung, A. und zur Sicht der Lärmwirkungsforschung auf diese Frage unten Teil 1, C., II., 2., b. sowie Teil 1, C., III., 4., c.

25 Insbesondere in der physiologisch-medizinischen Wirkungsforschung wird deutlich herausgearbeitet, dass Reaktionen aufeinander abfolgen bzw. aufeinander aufbauen. Begrifflich wird daher dort auch nach Primär-, Sekundär-und Tertiärreaktionen unterschieden, s. unten Teil 1, C., III., 3. und 4.

26 S. unten Teil 2, C., III., 3.

27 BVerwGE 142, 234 (289 f., Rn. 190).

28 UBA, Lärmfachliche Bewertung, S. 56 (Tab. 10).

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Teil 1:   Realbereichsanalyse – Geräusche und ihre Wirkung auf das Bewusstsein und den Körper des Menschen

Es ist Aufgabe des Rechts, verschiedenste Lebenssachverhalte beurteilen und unter Umständen abschließend entscheiden zu müssen, obwohl für bestimmte inhaltliche Fragestellungen innerhalb eines Entscheidungskomplexes die bessere Sachkompetenz regelmäßig in anderen Wissenschaftsfeldern liegt29. Das Recht kann daher nicht auf die Rezeption der Erkenntnisse dieser anderen Wissenschaften verzichten. Auch wenn damit nicht nur schwierige methodische Probleme angesprochen sind30, die die Rechtswissenschaft schon lange beschäftigen, sondern auch die Frage nach bzw. die Konsequenzen aus der Unterscheidung von Sein und Sollen31, ist diese Lösung im Grunde unumstritten32. Wie aber genau bzw. nach welchen Regeln die Rezeption abzulaufen hat33 und ob zwischen den Natur- und Sozialwissenschaften Unterschiede bestehen34, die es dem Juristen erlauben, deren jeweilige Wissensbestände auf unterschiedlichen Wegen zu rezipieren, ist bisher nicht eindeutig entschieden. ← 11 | 12 →

Gleich welchem Rezeptionsmodell35 man den Vorzug gibt, eine Abschottung der Rechtswissenschaft ist jedenfalls nicht denkbar36. Man mag als Jurist beispielsweise sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen skeptisch gegenüberstehen; dennoch wird man nicht umhin kommen, deren Irritationspotential anzuerkennen, auf welches das Recht in der Vergangenheit immer wieder reagieren musste37. Es ist genau diese Funktion der Irritation im Grunde aller Wissensbestände aus anderen Wissenschaftsbereichen, welche letztlich zu einer Art Verbesserungsanleitung führen kann, die später auch hier im Mittelpunkt der rechtlichen Ausführungen stehen bzw. die ermöglicht werden soll.

Ziel des ersten Abschnitts dieser Untersuchung ist es daher, den Realbereich der vom Flugverkehr ausgehenden Geräusche und deren Wirkungen auf den Geist und den Körper des Menschen zu beschreiben bzw. die ihn bestimmenden Tatsachen aufzuarbeiten, wie sie sich den jeweiligen Fachwissenschaften (bisher) präsentieren. Erst wenn darüber eine gewisse Klarheit besteht, kann der Frage nachgegangen werden, wie mit diesen Erkenntnissen im System Recht umgegangen wird bzw. umgegangen werden sollte. Was also sind die relevanten fachlichen Erkenntnisse? Welchen anderen Wissenschaftsbereichen entstammen sie? Und wie funktionieren diese anderen Wissenschaften bzw. welche Methoden und Konzepte werden dort verfolgt?

Natürlich stellt sich immer auch die wissenschaftstheoretische Frage, wann man überhaupt von Erkenntnis in diesem Sinne sprechen kann. Dieser Frage kann hier aber nicht nachgegangen werden. Die folgenden Darstellungen gehen grundsätzlich davon aus, dass es – in einem gewissen Rahmen – wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über reale Phänomene geben kann und sie Grundlage juristischer Entscheidungen sein können38. Für die Akustik und die an sie anknüpfende Geräusch- oder Lärmwirkungsforschung werden diese Erkenntnisse hier daher im Wesentlich nur zusammengefasst (B. und C.)39. Zum besseren Verständnis dieser ← 12 | 13 → Abschnitte werden zuvor jedoch die hier maßgeblichen Wirkungsketten etwas näher beschrieben, über die Schall mit seinen Folgen verknüpft ist (A.).

A.   Vom Schall zum Lärm – Wirkungsketten

Einfach ausgedrückt interessiert Juristen, die sich mit auf den Körper und den Geist des Menschen einwirkenden Geräuschen beschäftigen, eine auf den ersten Blick relativ simple Ereigniskette: An einer Quelle (hier: ein Flughafen bzw. die dortigen Flugzeuge bzw. die Turbinen etc.) entsteht eine Emission (hier: Schall bzw. Luftschall). Diese breitet sich aus40 und trifft – dann bezeichnet als Immission – auf einen Empfänger bzw. wird dort/ durch ihn aufgenommen (hier: das menschliche Ohr bzw. der menschliche Organismus). Im Empfänger wirkt sich der Schall aber in verschiedenen Formen weiter aus, etwa als Verletzung des Empfangsorgans durch eine in irgendeiner Form extreme Immission. In juristischen Zusammenhängen spricht man dann häufig von Fluglärm, wobei der Begriff Lärm schon negativ besetzt ist und eigentlich zwischen dem – in einem gewissen Rahmen neutralen – Begriff des Geräuschs und dem wertenden – weil bereits negative Wirkungen beim Empfänger implizierenden – Begriff des Lärms unterschieden werden müsste41.

Diese drei Schritte – Entstehung, Wahrnehmung bzw. erste Aufnahme und weitere Auswirkung – gilt es zunächst zu unterscheiden. Ihre Trennung ermöglicht es nämlich, sie eingehender zu untersuchen: Man erkennt, dass der erste Ereignisabschnitt im Wesentlichen Gegenstand der Physik ist, genauer gesagt der physikalischen Akustik. Die Beschreibung der Entstehung von Schall und seiner Ausbreitung sind also naturwissenschaftlich geprägte Aufgabenbereiche. Der zweite Ereignisabschnitt ist dagegen schwieriger einzuordnen, weil hier das physikalische Phänomen und der biologische Apparat aufeinandertreffen. Das naturwissenschaftlich beschreibbare Phänomen Geräusch wird aufgenommen und von den dafür vorgesehenen Mechanismen, sozusagen als primäre Wirkung, im menschlichen Körper verarbeitet. Man spricht von Wahrnehmung. Es überschneiden sich also die physikalischen Fragestellungen mit den biologischen bzw. physiologischen Fragestellungen nach der Funktionsweise menschlicher Sinneswahrnehmung, insbesondere des menschlichen Gehörs. Mit Blick auf das Gehör ist es zweckmäßig, zwischen dem Reiz und der durch ihn hervorgerufenen Empfindung zu unterscheiden42. ← 13 | 14 → Allerdings ist Wahrnehmung damit bei weitem nicht abschließend erfasst. Für Reize wird seit längerem angenommen – dies sei bereits hier erwähnt –, dass sie auch direkt auf körperliche Funktionen einwirken, ohne dass dann mit dem Begriff Wahrnehmung unbedingt ein bewusster – mit Blick auf den Schlaf könnte man auch sagen erinnerbarer43 – Vorgang gemeint ist44. Um schließlich ein Verständnis für den dritten Ereignisabschnitt zu erlangen, muss Klarheit darüber herrschen, wie das – gehörte – Schallereignis sich, also im Anschluss an seine primäre Wirkung auf das menschliche Ohr45, auf den weiteren Organismus auswirkt, sozusagen als „sekundäre“ Wirkung. Sie sind Gegenstand verschiedener Wissenschaftsbereiche und für die juristische Beurteilung von zentraler Bedeutung, da es doch Ziel des Rechts ist, bestimmte negative Wirkungen von Rechts wegen zu verhindern. Die folgende schematische Übersicht vertieft diese Wirkungskette noch etwas und fasst einige der sich dabei ergebenden Probleme kurz zusammen (Abb. A1):

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Details

Seiten
20
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631721568
ISBN (ePUB)
9783631721575
ISBN (MOBI)
9783631721582
ISBN (Paperback)
9783631716489
DOI
10.3726/b11057
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Mai)
Schlagworte
Belästigung Lärmwirkungen Verfassungsrecht Gesundheitsschutz Flughafenplanung Grenzwerte
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. XX, 488 S., 4 Abb.

Biographische Angaben

Martin Wilke (Autor:in)

Martin Wilke studierte Rechtswissenschaften in Frankfurt/Main. Nach seinem Studium befasste er sich als Anwalt mit den Verfahren einiger betroffener Gemeinden gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens. Er arbeitete dann als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Goethe-Universität Frankfurt und promovierte am Fachbereich für Öffentliches Recht.

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Titel: Der Schutz vor den Wirkungen des Fluglärms auf den Menschen nach der Novellierung des FluLärmG
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