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Der gutgläubige Erwerb der streitbefangenen Sache

von Mark A. Lye (Autor:in)
©2017 Dissertation XXVIII, 122 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch untersucht den Erwerb streitbefangener Gegenstände durch einen redlichen Dritten. Hierzu trifft § 325 Abs. 2 ZPO eine Grundaussage, wobei jedoch sein Anwendungsbereich und der Anknüpfungspunkt vorausgesetzter Redlichkeit unklar bleiben. Bei der Auslegung der Norm legt der Autor den Fokus insbesondere auf ihre Entstehungsgeschichte, welche die historische Praxis einiger in Deutschland geltender Partikularrechte einschließt (gemeines, preußisches, französisches und badisches Recht). Ebenso geht der Autor auf die Entwürfe der Reichszivilprozessordnung ein. Er zeigt auf, dass die Norm bei einem Erwerb vom Berechtigten keine Anwendung findet und ferner die Kenntnis des Erwerbers von der Rechtshängigkeit nicht entscheidend ist.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Vorwort
  • B. Einleitung zu § 325 ZPO
  • I. Funktion der Norm und Zusammenhänge
  • II. Die Streitstände zu § 325 Abs. 2 ZPO
  • C. Partikularrechtsordnungen vor Inkrafttreten der Reichszivilprozessordnung
  • I. Gemeines Recht
  • 1. Einleitung
  • 2. Veräußerung der streitbefangenen Sache
  • II. Preußisches Recht
  • 1. Einleitung
  • 2. Veräußerung der streitbefangenen Sache
  • III. Das französische und das badische Recht
  • 1. Einleitung
  • 2. Veräußerung der streitbefangenen Sache
  • IV. Sonderfall: Handelsrecht
  • D. Genese des § 325 Abs. 2 ZPO
  • I. Deutscher Bund (1815–1866)
  • II. Norddeutscher Bund (1866–1871)
  • III. Deutsches Reich (1871–1918)
  • E. Anwendung der §§ 236, 238 CPO vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs
  • I. Allgemeines zu den §§ 236, 238 CPO
  • II. Anwendung im gemeinen Recht
  • III. Anwendung im preußischen Recht
  • IV. Anwendung im badischen und französischen Recht
  • F. Anwendung der Zivilprozessordnung ab Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs
  • I. CPO-Novelle von 1898
  • II. Die Rechtsprechung zu § 325 Abs. 2 ZPO
  • III. Auslegung des § 325 Abs. 2 ZPO
  • 1. Historische und teleologische Auslegung
  • 2. Auslegung nach dem Wortlaut
  • 3. Systematische Auslegung
  • 4. Zwischenergebnis
  • IV. Bedeutung prozessualer Redlichkeit
  • 1. Dogmatische Bedeutung
  • 2. Praktische Bedeutung
  • 3. Zwischenergebnis
  • V. Keine Rechtsfortbildung
  • VI. Ergebnis
  • G. Anwendung des § 325 Abs. 2 ZPO
  • I. Kongruenz von materieller Rechtslage und Inhalt des Urteils
  • 1. Bewegliche Sachen
  • 2. Grundstücke
  • 3. Forderungen
  • II. Inkongruenz von materieller Rechtslage und Inhalt des Urteils
  • H. Fazit
  • Literaturverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis

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A.  Vorwort

Ein Urteil entfaltet Rechtswirkung und erwächst in Rechtskraft zwischen den Parteien. Das ergibt Sinn, da diese beiden Parteien, Kläger und Beklagter, vor Gericht auftreten und die Möglichkeit haben, sich dort zu äußern. Ein Urteil entfaltet daher grundsätzlich keine Wirkung gegenüber Dritten. Auch das leuchtet unmittelbar ein, ist doch ein Dritter bereits per Definitionem eine Person, die neben dem Rechtsverhältnis der Parteien auftritt und insoweit gerade nicht involviert ist. Der Dritte wurde in der Regel nicht angehört, und er hatte daher auch keine Möglichkeit, auf den Verlauf des Prozesses Einfluss zu nehmen. Dieser Grundsatz liefert ein faires Ergebnis, wenn man sich einen Dritten vorstellt, der mit der Rechtssache überhaupt nichts zu tun hat. Steht der Dritte aber zu ihr in einem engen rechtlichen und zeitlichen Zusammenhang derart, dass er Rechtsnachfolger einer der Parteien nach Rechtshängigkeit wird, so ist die Situation anders gelagert. Hier ist ein berechtigtes Interesse einer weiteren Person zu berücksichtigen, nämlich der obsiegenden Partei. Denn ein günstiges Urteil nützt einem Kläger wenig, wenn er es aus tatsächlichen Gründen nicht (mehr) gegen den Beklagten vollstrecken kann und aus rechtlichen Gründen (kein Vollstreckungstitel) von vornherein nie gegen den Dritten vollstrecken konnte. Konsequenterweise lässt die Zivilprozessordnung (ZPO) hier die Rechtskrafterstreckung in subjektiver Hinsicht auf den Rechtsnachfolger zu (§ 325 Abs. 1 ZPO). Auch das leuchtet ein und liefert ein faires Ergebnis, jedenfalls dann, wenn sich der Dritte auf ein Erwerbsgeschäft einlässt, obwohl er genau weiß, dass ein Rechtsstreit anhängig ist und sein Vertragspartner vielleicht gar nicht berechtigt ist. Es gibt jedoch ein breites Spektrum an „Dritten“. Hier wurden lediglich die beiden Extremfälle aufgezeigt. Für einen Dritten, der trotz Rechtsnachfolge nach Rechtshängigkeit schützenswert erscheint, sieht die ZPO eine Ausnahmeregelung vor: „Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts zugunsten derjenigen, die Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, gelten entsprechend“ (§ 325 Abs. 2 ZPO). Es wird auf ein Rechtsinstitut des materiellen Rechts verwiesen und dessen entsprechende Geltung angeordnet. Die Bedeutung und der Inhalt dieses Verweises sind jedoch alles andere als klar. ← 1 | 2 →

Veräußert etwa ein nichtberechtigter Beklagter während des Prozesses das streitbefangene Gemälde an einen Dritten, so kann ein für den Beklagten ungünstiges Urteil nach §§ 325 Abs. 1, 727 ZPO gegen diesen Dritten vollstreckt werden. § 325 Abs. 2 ZPO legt nun nahe, dass der redliche Rechtsnachfolger „belohnt“ werden soll. Zum Anknüpfungspunkt der Redlichkeit äußert sich die Vorschrift nicht. Bei einem Erwerb vom Nichtberechtigten kommt Redlichkeit in Bezug auf die Berechtigung des Veräußerers1 sowie in Bezug auf die Nicht-Rechtshängigkeit2 in Betracht. Ferner stellen sich die Fragen, ob diese zwingend kumulativ vorliegen müssen und wie ein einfacher Erwerb vom Berechtigten zu behandeln ist, bei dem es auf eine materiell-rechtliche Redlichkeit gar nicht ankommt.

Diese und damit zusammenhängende Fragen zum vieldiskutierten Inhalt und den Rechtsfolgen des § 325 Abs. 2 ZPO sollen in dieser Arbeit erörtert und beantwortet werden. Dabei lohnt sich ein genauerer Blick auf die geschichtliche Entwicklung. Bereits mit Inkrafttreten der Reichszivilprozessordnung am 1. Oktober 1879 (CPO) existierte eine Vorgängernorm. Diese war notwendigerweise anders gefasst, da erst mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) am 1. Januar 1900 ein allgemeines bürgerliches Recht für Deutschland (genauer, das deutsche Kaiserreich) galt. Die Vorgängernorm musste zuvor die unterschiedlich zu beurteilenden Sachverhalte der jeweils geltenden Rechtsordnungen regeln. Insbesondere durch die Gesetzesnovelle3 im Zeitraum zwischen Inkrafttreten der CPO und Inkrafttreten des BGB kam es zu entscheidenden Änderungen, welche im Verlauf dieser Arbeit bei der Auslegung des § 325 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen sein werden.


1 Im Folgenden: „materiell-rechtliche Redlichkeit(bzw. Unredlichkeit).

2 Im Folgenden: „prozessuale Redlichkeit(bzw. Unredlichkeit).

3 RGBl. 1898, S. 256 ff.; dazu siehe unten S. 75 ff.

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B.  Einleitung zu § 325 ZPO

I.  Funktion der Norm und Zusammenhänge

Der Eigentümer einer Sache kann und darf sie einem anderen verkaufen und übereignen (vgl. § 903 BGB). Der Nichtberechtigte darf zwar in der Regel nicht, kann aber gleichwohl einem anderen eine fremde Sache verkaufen und übereignen (§§ 932 ff., 892 f. BGB). Daran ändert sich auch nichts, wenn über diese Sache ein Rechtstreit geführt wird, denn „die Rechtshängigkeit schließt das Recht der einen oder der anderen Partei nicht aus, die in Streit befangene Sache zu veräußern oder den geltend gemachten Anspruch abzutreten“ (§ 265 Abs. 1 ZPO). Eine solche Veräußerung oder Abtretung hat auf den Prozess keinen Einfluss (§ 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Diese Feststellung wirft unmittelbar die Frage auf, wie sich die Verfügung über den Streitgegenstand auf das Urteil auswirkt. Gemäß § 325 Abs. 1 ZPO müsste der neue Eigentümer das Urteil grundsätzlich gegen sich gelten lassen. Dieses Ergebnis erscheint „unvollständig“, und das ist es auch, dürfte doch im Falle einer Leistungsklage auf Herausgabe der Sache nach allgemeinem (materiell-rechtlichem) Verständnis ein Eigentümer nicht zur Herausgabe seiner Sache an einen Dritten (hier den ursprünglichen Eigentümer) verpflichtet sein, welcher keinerlei Rechte (mehr) an der Sache hat. Endlich geht es um § 325 Abs. 2 ZPO, welcher offenbar versucht, einen redlichen Rechtsnachfolger zu privilegieren, indem er die materiell-rechtlichen Vorschriften über den Erwerb vom Nichtberechtigten für entsprechend anwendbar erklärt.

Es wird hier üblicherweise vom „gutgläubigen Erwerb der streitbefangenen Sache“ gesprochen. Diese Bezeichnung enthält gleich zwei Ungenauigkeiten. Die Vorschrift geht natürlich weiter und erfasst nicht nur Sachen im engeren Sinne (§ 90 BGB) sondern Gegenstände.4 Außerdem verweist § 325 Abs. 2 ZPO nicht nur auf Vorschriften, welche an den legaldefinierten Begriff des guten Glaubens (§ 932 Abs. 2 BGB) anknüpfen, sondern auch auf solche, bei welchen Rechte von einem Nichtberechtigten hergeleitet werden. Trotz einer „herrschenden Meinung“ in Rechtsprechung und ← 3 | 4 → Literatur zu einzelnen Fragestellungen rund um § 325 Abs. 2 ZPO, bleiben viele Aspekte fraglich.

Details

Seiten
XXVIII, 122
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631714713
ISBN (ePUB)
9783631714720
ISBN (MOBI)
9783631714737
ISBN (Hardcover)
9783631714706
DOI
10.3726/b10599
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (November)
Schlagworte
Subjektive Rechtskraft Preußisches Recht Gemeines Recht Römisches Recht Rechtskrafterstreckung Rechtsnachfolger
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. XXVIII, 122 S.

Biographische Angaben

Mark A. Lye (Autor:in)

Mark A. Lye hat das Studium der Rechtswissenschaften mit dem Schwerpunkt Zivilverfahrensrecht an der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg abgeschlossen. Im Anschluss promovierte er im Bereich des Zivilverfahrensrechts.

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