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Die Wirksamkeit sozietätsvertraglicher Versorgungsregelungen unter besonderer Berücksichtigung von § 723 Abs. 3 BGB und § 138 BGB

von Peter Trösser (Autor:in)
©2017 Dissertation XII, 211 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor befasst sich mit der Wirksamkeit sozietätsvertraglicher Versorgungsregelungen unter besonderer Berücksichtigung des § 723 Abs. 3 BGB und § 138 BGB. Im Mittelpunkt seiner Untersuchung stehen Rentenklauseln, die eine Versorgungshaftung der Jungsozien auch nach deren (kündigungsbedingtem) Ausscheiden aus der Sozietät vorsehen. Ziel dieses Buches ist es, Leitlinien für die wirksame Ausgestaltung von Versorgungsregelungen in Gesellschaftsverträgen von Freiberufler-Sozietäten zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Zwecke wird insbesondere die einschlägige, teilweise widersprüchliche Rechtsprechung ausgewertet.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • 1. Teil: Versorgungsregelungen in Sozietätsverträgen
  • § 1 Begriff und vertragliche Ausgestaltung der Versorgungsregelung
  • I. Begriff und Rechtsnatur der Versorgungsregelung
  • 1. Begriff der Versorgungsregelung
  • 2. Rechtsnatur der Versorgungsregelung
  • II. Vertragliche Ausgestaltung von Versorgungsregelungen
  • 1. Person des Rentenberechtigten und des Rentenverpflichteten
  • a) Person des Rentenberechtigten
  • aa) Sozienrente
  • bb) Hinterbliebenenrente
  • b) Person des Rentenverpflichteten
  • aa) Haftungssituation vor Anerkennung der (Teil-)Rechtsfähigkeit der GbR
  • bb) Haftungssituation nach Anerkennung der (Teil-)Rechtsfähigkeit der GbR
  • aaa) Haftung der Sozietät
  • bbb) Persönliche Haftung der Sozien
  • (1) Fehlende Tatbestandsmäßigkeit
  • (2) Belastungsverbot nach § 707 BGB
  • (3) Zwischenergebnis
  • ccc) Modalitäten der persönlichen Haftung der Sozien
  • (1) Haftung im Außenverhältnis
  • (2) Haftung im Innenverhältnis
  • (3) Primäre oder subsidiäre Haftung
  • (4) Sonstige Haftungsbeschränkungen
  • cc) Zwischenergebnis
  • 2. Renteneintrittsalter
  • 3. Höhe und Dauer der Versorgungsleistungen
  • a) Höhe der Versorgungsleistungen
  • b) Dauer der Versorgungsleistungen
  • aa) Dauer des Rentenanspruchs
  • bb) Dauer der Rentenverpflichtung
  • aaa) Anzuwendende Auslegungsgrundsätze
  • bbb) Urteil des LG München I vom 04.03.2013 – 15 O 8167/12
  • ccc) Zwischenergebnis
  • § 2 Relevanz, Legitimität und Legalität von Versorgungsregelungen
  • I. Relevanz von Versorgungsregelungen
  • II. Legitimität von Versorgungsregelungen
  • III. Legalität von Versorgungsregelungen
  • 2. Teil: Wirksamkeit von Versorgungsregelungen im Lichte von § 723 Abs. 3 BGB
  • § 3 Unzulässige Kündigungsbeschränkungen gem. § 723 Abs. 3 BGB
  • I. Beschränkungen des ordentlichen Kündigungsrechts
  • 1. Vereinbarung eines Kündigungsausschlusses
  • 2. Sonstige Kündigungsbeschränkungen
  • a) Zeitliche Beschränkungen
  • b) Mittelbare Kündigungsbeschränkungen
  • aa) Vertragsstrafe
  • bb) Abfindungsausschluss
  • cc) Vereinbarungen über die Höhe des Abfindungsanspruchs
  • aaa) Allgemeines
  • bbb) Buchwertabfindung
  • (1) Prüfungsmaßstab
  • (2) Berechnung des wahren Anteilswertes
  • (a) Allgemeine Berechnungsmethoden
  • (b) Spezialfall: Anwaltssozietät
  • dd) Versorgungsklauseln
  • II. Beschränkungen des außerordentlichen Kündigungsrechts
  • 1. Vereinbarungen über den wichtigen Grund
  • 2. Mittelbare Kündigungsbeschränkungen
  • § 4 Unzulässige Kündigungsbeschränkung durch Versorgungsregelung
  • I. Die bisherige Rechtsprechung
  • 1. BGH, Beschluss vom 18.02.2008 – II ZR 88/07 („Schuldknechtschaftsbeschluss“)
  • 2. BGH, Beschluss vom 21.06.2010 – II ZR 133/09
  • 3. LG Heidelberg, Urteil vom 18.08.2009 – 2 O 147/09
  • 4. Vermeintlicher Widerspruch
  • 5. Stellungnahme
  • 6. Zwischenergebnis
  • II. Die Urteile des LG München I
  • 1. LG München I, Urteil vom 22.07.1998 – 25 O 6395/98
  • 2. LG München I, Urteil vom 04.03.2013 – 15 O 8167/12
  • 3. Vergleich
  • a) Gesamtbetrachtungsmethodik
  • b) Die Parameter im Einzelnen
  • aa) Bewusstes Eingehen der Rentenverpflichtung
  • bb) Bestimmung eines Nachfolgers
  • cc) Mandantenmitnahme
  • dd) Abfindungsregelung
  • 4. Zwischenergebnis
  • III. Literatur
  • IV. Abwägungsrelevante Parameter
  • 1. Mandantenmitnahme
  • a) Abwägungsrelevanz
  • b) Sonderfall: Anwaltssozietät
  • aa) Exkurs: Veränderung des Anwaltsmarktes
  • aaa) Tatsächliche Veränderungen des Anwaltsmarktes
  • bbb) Auswirkungen auf kündigungsbeschränkende Wirkung von Vertragsbestimmungen
  • ccc) Zwischenergebnis
  • bb) Abwägungsrelevanz des Gesichtspunkts der Möglichkeit der Mandantenmitnahme bei Anwaltssozietäten
  • c) Prüfungskriterien
  • d) Zwischenergebnis
  • 2. Abfindung
  • a) Abwägungsrelevanz
  • b) Prüfungskriterien
  • 3. Zahlung eines Eintrittsgeldes
  • a) Abwägungsrelevanz
  • b) Prüfungskriterien
  • 4. Bewusstes Eingehen der Versorgungsverpflichtung
  • 5. Haftungsbeschränkung
  • a) Abwägungsrelevanz
  • b) Prüfungskriterien
  • aa) Haftungsbeschränkung auf Höhe der Beteiligung
  • bb) Haftungsbeschränkung nach Dauer der Sozietätszugehörigkeit
  • 6. Wechselwirkung der abwägungsrelevanten Parameter
  • a) „Überkompensation“
  • b) Wechselwirkung von Abfindung und Mandantenmitnahme
  • aa) Buchwertklausel und unbeschränkte Möglichkeit der Mandantenmitnahme
  • bb) Gesetzliche Abfindung und Mandantenschutzklausel
  • cc) Kombination von Buchwertklausel und Mandantenschutzklausel
  • § 5 Zwischenergebnis
  • 3. Teil: Wirksamkeit von Versorgungsregelungen im Lichte von § 134 BGB
  • § 6 Allgemeines
  • § 7 Verbotswidrige Versorgungsregelungen
  • § 8 Zwischenergebnis
  • 4. Teil: Wirksamkeit von Versorgungsregelungen im Lichte von § 138 BGB
  • § 9 Heranziehung von § 138 BGB zur Beurteilung der Wirksamkeit sozietätsvertraglicher Versorgungsregelungen
  • § 10 Sittenwidrige Rechtsgeschäfte nach § 138 BGB
  • I. Funktion des § 138 BGB
  • II. Inhaltskontrolle
  • III. Gute Sitten
  • IV. Rechtsfolgen
  • § 11 Sittenwidrige Äquivalenzstörung durch Versorgungsregelung
  • I. Wucher gem. § 138 Abs. 2 BGB
  • 1. Austauschgeschäft
  • 2. Auffälliges Missverhältnis
  • 3. Subjektives Element
  • II. Wucherähnliches Rechtsgeschäft gem. § 138 Abs. 1 BGB
  • 1. Objektive Voraussetzungen
  • 2. Subjektive Voraussetzungen
  • III. Begründung sittenwidriger Äquivalenzstörung durch Versorgungsregelung
  • 1. Wucherische Versorgungsregelung
  • a) Wucher bei Gesellschaftsverträgen
  • b) Auffälliges Missverhältnis der gegenseitigen Leistungen
  • aa) Bisherige Rechtsprechung
  • bb) Literatur
  • cc) Beurteilungsmaßstab
  • aaa) Beurteilung anhand einer Bezugsgröße
  • bbb) Bestimmbarkeit der Versorgungsleistung
  • (1) Zeitlich unbefristete Versorgungsregelungen
  • (2) Zeitlich befristete Versorgungsregelungen
  • ccc) Besonderer Beurteilungsmaßstab
  • (1) RG, Urteil vom 16.10.1925 – II 5832/4
  • (2) Besonderer Beurteilungsmaßstab bei Versorgungsregelungen
  • dd) Feststellung eines auffälligen Missverhältnisses
  • aaa) Maßgebliche Rechte und Pflichten
  • bbb) Fallkonstellationen
  • ee) Zwischenergebnis
  • c) Subjektives Element
  • d) Zwischenergebnis
  • 2. Wucherähnliche Versorgungsregelungen
  • a) Objektive Voraussetzungen
  • b) Subjektive Voraussetzungen
  • aa) Bestimmbarkeit eines besonders groben Missverhältnisses
  • bb) Vermutung einer verwerflichen Gesinnung der Altsozien
  • aaa) Ratio der Vermutung
  • bbb) Ausnahmen von der Vermutung
  • (1) Kaufmann
  • (2) Internetversteigerungen
  • (3) Zwischenergebnis
  • ccc) Anwendbarkeit der Vermutung auf Versorgungsregelungen
  • cc) Zwischenergebnis
  • c) Zwischenergebnis
  • § 12 Sittenwidrige Freiheitsbeschränkung durch Versorgungsregelung
  • I. Allgemeine Überlegungen
  • II. Insbesondere: Freiheitsbeschränkungen in Gesellschaften
  • 1. Freiheitsbeschränkung durch Bindung an die Gesellschaft
  • 2. Sittenwidrige Freiheitsbeschränkung durch Abfindungsklauseln
  • a) Bisherige Rechtsprechung
  • b) Die Literatur
  • III. Sittenwidrige Freiheitsbeschränkung durch Versorgungsregelungen
  • 1. Bisherige Rechtsprechung / Literatur
  • 2. Rechtsgrundsätze zur Beurteilung von Versorgungsregelungen
  • 3. Maßgebliche Rechte
  • 4. Erhebliches Missverhältnis
  • a) Gegenüberstellung von Vor- und Nachteilen
  • b) Grund des Ausscheidens
  • c) Sonstige abwägungsrelevante Umstände
  • IV. Zwischenergebnis
  • 5. Teil: Sonstige rechtliche Schranken für Versorgungsregelungen
  • § 13 Versorgungsregelungen im Lichte von § 242 BGB
  • I. Allgemeines
  • II. Anwendung des § 242 BGB auf Versorgungsregelungen
  • 1. Grundsätze für die Erbringung von Leistungen
  • 2. Modifizierung subjektiver Rechte
  • a) Rechtsfolge
  • b) Voraussetzungen
  • c) Einzelne Fälle
  • aa) Früheres Verhalten
  • bb) Gegenwärtiges Verhalten
  • cc) Gesamtschau von früherem und gegenwärtigem Verhalten
  • d) Unzulässige Rechtsausübung bei Versorgungsregelungen
  • aa) Früheres Verhalten
  • aaa) Eigenes vertragswidriges Verhalten
  • bbb) Vertragswidriges Verhalten des Altsozius als Grund für den Ausschluss des Versorgungsanspruchs
  • (1) Grundlagen / Bisherige Rechtsprechung
  • (2) Ausschluss sozietätsvertraglicher Versorgungsansprüche
  • ccc) Vertragswidriges Verhalten des Jungsozius als „anspruchsbegründender“ Grund
  • (1) Grundlagen / Bisherige Rechtsprechung
  • (2) Gewährung eines an sich nicht bestehenden Versorgungsanspruchs
  • ddd) Zwischenergebnis
  • bb) Gegenwärtiges Verhalten
  • cc) Widerspruch zwischen früherem und gegenwärtigem Verhalten
  • 3. Inhaltliche Schranken privatautonom gestalteter Rechtsverhältnisse
  • a) Grundlagen
  • b) Inhaltliche Kontrolle sozietätsvertraglicher Versorgungsregelungen nach § 242 BGB
  • aa) Grundsatz
  • bb) Ausnahme
  • III. Zwischenergebnis
  • 6. Teil: Schlussteil
  • § 14 Zusammenfassung des Prüfungsmaßstabs für sozietätsvertragliche Versorgungsregelungen
  • § 15 Einheitliche Prüfungskriterien?
  • Literaturverzeichnis

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Einleitung

Bei Versorgungsregelungen in Gesellschaftsverträgen handelt es sich um Vereinbarungen, wonach in bestimmten Fällen Versorgungsleistungen1 an die Gesellschafter zu erbringen sind. Vorstellbar sind Versorgungszahlungen für den Fall einer langwierigen Krankheit, wegen Berufsunfähigkeit oder aufgrund des altersbedingten Ausscheidens eines Gesellschafters2. Die nachfolgende Arbeit beschränkt sich auf Versorgungsleistungen wegen Ausscheidens aus Altersgründen.

Vor allem bei Sozietäten, in denen sich Angehörige freier Berufe – wie etwa Rechtsanwälte, Steuerberater oder Architekten – zur gemeinschaftlichen Berufsausübung zusammenschließen, sind Versorgungsregelungen grundsätzlich legitim und sinnvoll3. Denn sie können für alle Beteiligten einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert mit sich bringen, was sich am Beispiel einer Rechtsanwaltssozietät zeigt: Dem jüngeren Sozius4 wird der Einstieg als gleichberechtigter Gesellschafter in eine renommierte Kanzlei ermöglicht, ohne hierfür ein Eintrittsentgelt zahlen zu müssen. Dabei muss er sich nicht über Jahre hinweg einen eigenen Mandantenstamm aufbauen und kann stattdessen von einem bereits etablierten Netzwerk profitieren. Im Gegenzug wird der ältere Sozius – zumeist auch seine Witwe im Falle seines Todes – für das Alter finanziell abgesichert.

Doch was müssen angehende Sozien beim Vertragsschluss beachten, damit die Rentenklausel, in der der Anspruch auf Versorgungsleistungen geregelt ist, einer rechtlichen Überprüfung standhält? Rechtliche Bedenken gegen eine Versorgungsregelung können sich aus einer Vielzahl von Gesichtspunkten ergeben.

Aus § 723 Abs. 1 S. 1 BGB folgt, dass jeder Gesellschafter die Gesellschaft jederzeit ordentlich kündigen kann, wenn die Gesellschaft auf unbestimmte Zeit eingegangen wurde. Ein befristeter Gesellschaftsvertrag kann gem. § 723 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB nur aus wichtigem Grund gekündigt werden. Weder das ordentliche noch das außerordentliche Kündigungsrecht dürfen gem. § 723 Abs. 3 BGB gesellschaftsvertraglich ausgeschlossen oder beschränkt werden. Dem liegt ← 1 | 2 → der Rechtsgedanke zugrunde, dass die mit der Eingehung eines Gesellschaftsvertrages verbundenen persönlichen oder wirtschaftlichen Bindungen ohne Kündigungsmöglichkeit nicht in Einklang mit der persönlichen Freiheit der Vertragsparteien zu bringen und deshalb unwirksam sind5. Dabei kann eine unzulässige Kündigungsbeschränkung auch darin liegen, dass einen Gesellschafter trotz seiner Kündigung weiterhin gesellschaftsvertraglich begründete finanzielle Verpflichtungen treffen und er sich deshalb an einem Ausscheiden aus der Gesellschaft gehindert sieht6. Denn das Bewusstsein, trotz einer Kündigung vermögenswerte Leistungen erbringen zu müssen, deren Erwirtschaftung ohne eine Beteiligung an den Gewinnen der Gesellschaft sichergestellt werden müsste, kann einen an sich kündigungswilligen Gesellschafter von der Ausübung seines Kündigungsrechts abhalten7. Auch Versorgungsregelungen können einen solchen kündigungsbeschränkenden Effekt entfalten. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn selbst ausgeschiedene Sozien weiterhin persönlich gegenüber Altsozien für deren Rentenansprüche haften müssen8. Die Rechtsprechung hat sich in einer Vielzahl von Entscheidungen mit der Frage beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen eine kündigungsbeschränkende Versorgungsregelung im Sinne von § 723 Abs. 3 BGB vorliegt9.

Festzustellen ist, dass sich die Gerichtsentscheidungen teilweise widersprechen, sodass unklar bleibt, welche Kriterien für die Beurteilung der Wirksamkeit von Versorgungsregelungen im Hinblick auf § 723 Abs. 3 BGB herangezogen werden müssen. Mit dem jüngsten Urteil des LG München I10 zur Wirksamkeit von Versorgungsregelungen ist die Rechtsunsicherheit für betroffene Sozien weiter gestiegen. Das Gericht hat eine bestimmte Versorgungsregelung einer als Gesellschaft bürgerlichen Rechts11 geführten Anwaltssozietät für nichtig erklärt, während dasselbe Gericht dieselbe Rentenverpflichtung in dem nahezu unveränderten Sozietätsvertrag noch vor 15 Jahren für wirksam hielt12. Diese ← 2 | 3 → Rechtsprechungsänderung zeichnet sich durch einen geänderten Prüfungsmaßstab aus13.

Darüber hinaus könnte eine Versorgungsregelung ein sittenwidriges Rechtsgeschäft im Sinne von § 138 BGB darstellen. Dabei kommt eine etwaige Sittenwidrigkeit der Versorgungsregelung unter verschiedenen Aspekten in Betracht. Einige wenige Gerichtsentscheidungen haben sich mit der Frage befasst, ob eine Versorgungsregelung ein wucherisches Rechtsgeschäft im Sinne von § 138 Abs. 2 BGB darstellen kann14. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Versorgungsregelung ein auffälliges Missverhältnis zwischen den gegenseitigen gesellschaftsvertraglichen Leistungen im Sinne von § 138 Abs. 2 BGB begründen kann15. Klärungsbedürftig ist, ob sich dieser Rechtsprechung klare und einheitliche Beurteilungsmaßstäbe entnehmen lassen.

Wenn die Voraussetzungen des Wuchertatbestandes gem. § 138 Abs. 2 BGB nicht erfüllt sind (z. B. in Ermangelung der oftmals schwierig zu erfüllenden subjektiven Voraussetzungen16), könnten Versorgungsregelungen dennoch den Tatbestand des sog. wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nach § 138 Abs. 1 BGB erfüllen. Ein wucherähnliches Rechtsgeschäft setzt neben einem auffälligen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung eine verwerfliche Gesinnung des – seinen Vertragspartner – Übervorteilenden voraus17. Dabei lässt nach der ständigen Rechtsprechung des BGH18 die Bejahung eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung19 in der Regel einen Schluss auf die oft schwierig zu beweisende subjektive Tatbestandsvoraussetzung des ← 3 | 4 → § 138 Abs. 1 BGB – verwerfliche Gesinnung – zu. Aus diesem Grund wird zu untersuchen sein, inwieweit sich die BGH-Rechtsprechung zum Vorliegen eines besonders groben Missverhältnisses auf gesellschaftsvertragliche Versorgungsregelungen übertragen lässt20. Kann beispielweise ein grobes, besonders krasses Missverhältnis bereits dann bejaht werden, wenn der – zugegebenermaßen aufgrund der unsicheren Lebensdauer der Versorgungsberechtigten zum Zeitpunkt des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages nicht bestimmbare21 – Umfang der Rentenverpflichtung die Höhe der Gegenleistung(en) um rund 100% übersteigt?

Des Weiteren kann die Wirksamkeit von Versorgungsregelungen unter dem Aspekt einer sittenwidrigen Freiheitsbeschränkung im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB überprüft werden. § 138 Abs. 1 BGB schützt vor sittenwidrigen Einschränkungen des Persönlichkeitsrechts und der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit22. So werden sog. „Knebelungsverträge“, welche die geschäftliche Selbständigkeit des Betroffenen gänzlich aufheben, als Verstoß gegen die guten Sitten angesehen23. Wenn die Sozien vereinbaren, dass die Jungsozien trotz Ausscheidens weiterhin für die Versorgungsansprüche der Altsozien haften sollen, könnte dies zu einer sittenwidrigen „Knebelung“ der Jungsozien führen, weil sich diese von einer Kündigung abgehalten sehen könnten.

Des Weiteren stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit von Versorgungsregelungen vor dem Hintergrund des § 134 BGB24 und § 242 BGB25.

Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf Sozietäten, welche in der Rechtsform einer GbR geführt werden, wobei auf eine ausführliche Darstellung der allgemeinen rechtlichen Grundlagen dieses bereits bekannten Gesellschaftstyps verzichtet wird. Dabei wird ein besonderer Schwerpunkt auf die weit verbreiteten Anwaltssozietäten gelegt. Gerade bei Anwälten ist die „traditionelle“ Sozietät in der Rechtsform einer GbR noch die häufigste Organisationsform für die Zusammenarbeit, wenngleich sie in Zeiten steigenden internationalen Wettbewerbs nach ← 4 | 5 → und nach durch komplexere Organisationsformen (Partnerschaftsgesellschaften, Kapitalgesellschaften etc.) ersetzt wird26. Die Arbeit wird zunächst die Begriffe der Versorgungsleistung und der Versorgungsregelung erläutern und anschließend die verschiedenen Möglichkeiten der vertraglichen Gestaltung einer Versorgungsregelung aufzeigen. Im Anschluss daran wird der Frage nachgegangen, ob sich unter Berücksichtigung der oben genannten Normen ein einheitlicher Katalog rechtlicher Anforderungen an die Wirksamkeit von Versorgungsregelungen in Sozietätsverträgen aufstellen lässt. Hierzu wird die einschlägige Rechtsprechung und Literatur ausgewertet und auf den Gegenstand der Untersuchung übertragen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Frage, wie sich Abweichungen in der Rechtsprechung erklären lassen. Möglicherweise lassen sich diese Unterschiede auf Veränderungen (rechts-)tatsächlicher Verhältnisse zurückführen, wie zum Beispiel auf die Veränderung des Anwaltsmarktes.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollen einen Leitfaden für die Ausarbeitung oder Überarbeitung von Versorgungsregelungen zur Verfügung stellen. Gerade vor dem Hintergrund der bisherigen, teilweise widersprüchlichen Rechtsprechung stellt es eine Herausforderung dar, einen Sozietätsvertrag so auszugestalten, dass die darin enthaltene Rentenklausel auf keine rechtlichen Bedenken stößt. Ziel der Arbeit ist es, Ansatzpunkte für die Beseitigung der bestehenden Rechtsunsicherheit anzubieten. ← 5 | 6 →


1 Zum Begriff vgl. unten unter § 1 I 1.

2 Schmid, in: Kraus/Kunz u. a., Sozietätsrecht, 2. Auflage, § 8 Rn. 100; vgl. auch Offermann-Burckart NJW 2014, 434.

3 LG München I NJW 2014, 478, 480.

4 Werden im Folgenden die Begriffe “Sozius” oder “Sozien” verwendet, so werden darunter auch die Sozia verstanden.

5 BGH NJW 2007, 295, 296; Offermann-Burckart NJW 2014, 434, 435.

6 Sprau, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Auflage, § 723 Rn. 7.

7 LG München I NJW 2014, 478, 481.

8 Schäfer, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 5, 6. Auflage, § 723 Rn. 76 mit Verweis auf Fn. 187.

9 BGH DStR 2008, 785 (“Schuldknechtschaftsbeschluss”); BGH DStR 2010, 1898; LG München I, Urteil v. 22.07.1998 – 25 O 6395/98, BeckRS 2013, 18383, Tz. 1.2.1; LG Heidelberg NZG 2009, 1181; LG München I NJW 2014, 478.

10 LG München I NJW 2014, 478.

11 Im Folgenden „GbR“.

12 Siehe LG München I, Urteil v. 22.07.1998 – 25 O 6395/98, BeckRS 2013, 18383, Tz. 1.2.1.

13 Vgl. hierzu im Einzelnen unten unter § 4 II 3.

14 LG München I, Urteil v. 22.07.1998 – 25 O 6395/98, BeckRS 2013, 18383, Tz. 1.2.2; OLG München NZG 1999, 821, 822; vgl. hierzu auch Römermann NZG 1999, 822.

15 Der Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB setzt u. a. das Vorliegen eines Rechtsgeschäftes voraus, welches auf einen Leistungsaustausch gerichtet ist (sog. Austauschgeschäft). Umstritten ist, ob es sich bei einem Gesellschaftsvertrag um ein Austauschgeschäft handelt; vgl. näher hierzu unten unter § 11 III 1 a.

16 Vgl. hierzu im Einzelnen unten unter § 11 I 3.

17 Sack/Fischinger, in Staudinger, BGB, Buch 1, Neubearbeitung 2011, § 138 Rn. 277.

18 BGHZ 98, 174, 178 (Ratenkreditvertrag); BGH NJW 1995, 1019, 1022 (Finanzierungsleasingvertrag); 2001, 1127 (Grundstückskauf); BGH WM 2008, 967, 970 (Verkauf eines PKW-Stellplatzes); BGH NJW 2012, 2723; vgl. auch Ellenberger, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Auflage, § 138 Rn. 34a.

19 In diesem Zusammenhang verwendet der BGH mittlerweile die Begriffe „auffälliges Missverhältnis“, „grobes, besonders krasses Missverhältnis“, „auffälliges, grobes Missverhältnis“ und „besonders grobes Missverhältnis“ synonym. Damit gibt es laut BGH zwischen diesen Begriffen inhaltlich keinen Unterschied; vgl. BGH NJW 2012, 2723 Tz. 17 und 19 (Kaufvertrag); 2014, 1652 (Grundstückskauf).

Details

Seiten
XII, 211
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631718728
ISBN (ePUB)
9783631718735
ISBN (MOBI)
9783631718742
ISBN (Paperback)
9783631718711
DOI
10.3726/b10898
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Februar)
Schlagworte
Gesellschaftsvertrag Kündigungsbeschränkung Sittenwidrigkeit Gesamtschau Sozien
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. XII, 211 S.

Biographische Angaben

Peter Trösser (Autor:in)

Peter Trösser studierte Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und absolvierte ein Masterstudium (LL.M.) in London (Großbritannien). Seine Schwerpunktbereiche umfassen Corporate/M&A und das Kartellrecht.

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