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Ritter und Intellektueller – Hieronymus Beck von Leopoldsdorf (1525-1596) und seine Bibliothek

von Lenka Veselá (Autor:in)
©2017 Monographie 464 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch stellt die bisher unbekannte, einzigartige österreichische Bibliothek der Ritterfamilie Beck von Leopoldsdorf aus dem Ende des 16. Jahrhunderts vor. Diese ging Ende des Dreißigjährigen Krieges als Kriegsbeute nach Schweden und wurde dort zerstreut. Die Büchersammlung gehörte zu den progressiven Typen von Adelsbibliotheken. Die Autorin stellt diese Bibliothek in Kontext zu anderen zeitgenössischen aristokratischen Bibliotheken der habsburgischen Länder und offenbart hierbei den intellektuellen Horizont des Bibliotheksbesitzers. Ein Teil der Monographie ist auch eine virtuelle Rekonstruktion dieser Bibliothek in Form einer detaillierten Bestandsaufnahme.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren-/Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Gedicht von Hieronymus Arconatus über die Bibliothek von Hieronymus Beck
  • Teil I: Studie
  • Einleitung oder die Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnis des Historikers
  • 1. Die Bibliothek der Familie Beck im historischen Kontext
  • Geschichte der Bibliothek der Familie Beck bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts
  • Hieronymus Beck von Leopoldsdorf: Biographische Skizze und seine Sammleraktivitäten
  • Bibliotheken der habsburgischen Länder und ihre Präsentation
  • 2. Die Verwaltung der Bibliothek von Hieronymus Beck und seine Erwerbsstrategie
  • Größe der Bibliothek und Wandlungen ihrer äußeren Gestalt
  • Anordnung der Bibliothek und ihr Katalog
  • Handschriften und Bücherschenkungen
  • Der Büchermarkt
  • Die Zusammensetzung der Bibliothek von Ebreichsdorf nach Druckern
  • Die Zusammensetzung nach Sprachen und die Vertretung der philologischen Literatur
  • 3. Die inhaltliche Zusammensetzung der Bibliothek von Ebreichsdorf
  • Mensch und Gesellschaft
  • Religiöse Literatur
  • Moralistik und Renaissancephilosophie
  • Recht
  • Historiographie
  • Epigraphik und Numismatik
  • Geographische und topographische Literatur
  • Turcica
  • Mensch und Welt
  • Medizin
  • Gartenbau und Botanik
  • Landwirtschaft und Zoologie
  • Alchemie, Metallurgie
  • Mathematik und Astronomie
  • Mensch und Kunst
  • Architektur
  • Graphik und Werke der bildenden Kunst
  • Mythologie, Poesie und schöngeistige Literatur
  • Musikalien
  • 4. Das Buch als Medium der Kommunikation
  • Verbotene Bücher in Ebreichsdorf
  • Das „intellektuelle Netz“ von Hieronymus Beck im Spiegel seiner Bibliothek
  • Unrühmlicher Epilog oder: Das Schicksal der Beck’schen Bibliothek nach 1596
  • Schlussbetrachtung: Die Persönlichkeit von Hieronymus Beck im Spiegel seiner Bibliothek und die Stellung seiner Büchersammlung unter den mitteleuropäischen Bibliotheken
  • Verzeichnis von handschriftlichen Quellen und Archivalien
  • Verzeichnis von bibliographischen Datenbanken und Katalogen
  • Literaturverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • An English Summary
  • Namensregister
  • Teil II: Beckiana–Katalog
  • Katalog der Bibliothek der Familie Beck von Leopoldsdorf
  • Autorenregister
  • Handschriftenregister
  • Register von Institutionen mit erhaltenen Exemplaren

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Gedicht von Hieronymus Arconatus über die Bibliothek von Hieronymus Beck1

Hospes siste gradum, non huc intrare cuiuis

Permissum, procul hoc esto prophane loco,

Est etenim sacer, & Phæbo Musisq[ue] dicatus.

Hic sedem Themis, hic inclita Pallas habent.

Queis doctam cingit frontem Parnasia laurus,

Et rigat Aeonius labra diserta liquor,

Queis Sophie & Legu[m] venera[n]da scientia cure est,

Et quos res varias perdidicisse iuuat.

Panditur his solis sacrati ianua claustri,

His solis fas est carpere delitias.

Nectar & ambrosiam quæ vincunt, nectare vel si

Quid melius, vel sit suauius ambrosia.

Hic sunt Parnassusq[ue] Heliconq[ue] hic aurea tempe

Pieridum, hic surgunt Aonij latices.

Graiorum datur hic scitari oracula vatum,

Et legere ex ipsis Attica mella fauis.

In promptu Latiæ dulcis facundia linguæ est,

Seu fuerint belli tempora siue togæ.

Hic Itali, Galli, Hispani sermone loquuntur

Diuerso, atq[ue] alij præterea populi.

Quid multis: hic Nilus habet sua munera, Ga[n]ges

Hic habet, o supero limina digna Ioue.

Sed mage te digna o felix HIERONYME, cuius

Aere, labore, opera, sic decorata nitet.


1 ARCONATUS, Hieronym: Ab epistolis bellicis poematum recentiorum volumen …. Wien 1591, S. 4 (Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts, online http://www.vd16.de, VD16 A 3221).

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Teil I: Studie

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Einleitung oder die Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnis des Historikers

Die Bibliotheken der europäischen Frühen Neuzeit stellen für die Historiker eine faszinierende Welt dar, deren Regeln, Ordnung und Sinn wir erst zu begreifen beginnen. Im 16. und 17. Jahrhundert haben vor allem die Büchersammlungen der Aristokraten eine phänomenale Entwicklung durchgemacht; dies geschah nicht nur vor dem Hintergrund des sich wandelnden Lebensstils und intellektuellen Horizonts der Besitzer, sondern auch der schnell anwachsenden Produktion von Büchern, die nun durch das entwickelte Netz des Buchhandels leicht zugänglich wurden.2

Auch die habsburgischen Länder wurden im 16. Jahrhundert zu einem Raum, in dem zahlreiche interessante individuelle Büchersammlungen entstanden. Die größte Aufmerksamkeit wurde bisher verständlicherweise den berühmtesten gewidmet – vor allem der kaiserlichen Büchersammlung in Wien, der Bibliothek Ferdinands II. von Tirol im Schloss Ambras, der Sammlung Peter Woks von Rosenberg in Südböhmen oder der Bibliothek von Balthasar Batthyány im ungarischen Teil der habsburgischen Gebiete.3 Überraschenderweise bleiben bis heute kaum bzw. ungenügend erforscht die ähnlich umfangreichen Büchersammlungen des mährischen Adligen Ferdinand Hoffmann von Grünpühel oder des Tiroler Magnaten Christoph von Wolkenstein, deren Charakter sich an der Grenze zwischen einer persönlichen und einer höfisch-repräsentativen Bibliothek bewegte. Unerforscht blieben bisher auch kleinere Büchersammlungen, wie z. B. die Bibliotheken Adams von Dietrichstein, Wolf Rumpfs von Wielroß oder diejenige der Herren von Hradec/Neuhaus in Südböhmen, für die ein überwiegend privater Charakter und logischerweise auch ein kleinerer Umfang typisch waren; von den Bibliotheken des niederen Adels ganz zu schweigen, denen bisher allein schon wegen ← 13 | 14 → der begrenzten Quellenbasis allgemein wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde.4 Es waren jedoch eben diese kleineren und weniger bekannten Büchersammlungen, die neue Tendenzen im Aufbau und der Verwaltung von Adelsbibliotheken widerspiegelten, und ihr Studium kann daher eine völlig neue Sicht der damaligen Buchkultur des adeligen Milieus einschließlich ihrer „Konkurrenten“ in Gestalt der größten, universell ausgerichteten Bibliotheken bringen.

Die Büchersammlung der österreichischen Ritterfamilie Beck von Leopoldsdorf gehört sogar zu den lange vergessenen, obwohl sie in der Zeit ihres größten Ruhmes auch vom bekannten lateinischen Dichter Hieronymus Arconatus in seinen Gedichten gefeiert wurde.5 Ihre wichtigsten Urheber – Vater und Sohn Marcus und Hieronymus Beck – gehörten zu den bedeutenden Persönlichkeiten des politischen und kulturellen Lebens in Niederösterreich sowie an den Höfen von Ferdinand I. und Maximilian II. Die Becks werden am häufigsten als Modellbeispiel für einen schnellen gesellschaftlichen Aufstieg einer ursprünglich bürgerlichen Familie in die Schicht des einflussreichen Beamtenadels erwähnt. Die Strategie der Familie sowie der Mentalitätswandel in ihren einzelnen Generationen ist einzigartig durch die erhaltene Familienchronik dokumentiert, die von drei Generationen der Familie Beck geführt wurde.6 Detailliert untersucht wurde vor allem die amtliche und politische Tätigkeit von Marcus Beck; Wolfgang Neuber bereicherte kürzlich sein bisher einseitiges Profil durch eine sorgfältige Rekonstruktion von unerwartet regen Kontakten Marcus Becks zu den Intellektuellen aus dem Umfeld der Wiener Universität.7 ← 14 | 15 →

Eine tiefe Spur in der Kulturgeschichte Niederösterreichs hat aber besonders Hieronymus Beck von Leopoldsdorf hinterlassen. Das hohe gesellschaftliche Ansehen der Familie und die nahen Beziehungen zum Herrscher, um die sich sein Vater verdient gemacht hatte, eröffneten dem jungen und aufgeschlossenen Hieronymus völlig neue Perspektiven. Obwohl er nie die gesellschaftlichen Beschränkungen des Ritterstandes überschreiten konnte (in die Reihen der Aristokratie wurden erst 1597 seine Söhne erhoben), wählte er einen Lebensstil, der eher demjenigen des der Renaissance zugeneigten höheren Adels entsprach.8 Sein zweijähriges Studium in Italien, die anschließende Kavalierstour durch Westuropa sowie diplomatische Gesandtschaften, mit denen er in der Jugendzeit betraut wurde, prädestinierten Hieronymus Beck zweifellos für eine glänzende Laufbahn im Dienste der Habsburger, er war jedoch nicht im Stande, diese Gelegenheit voll zu nutzen. Umso intensiver widmete er sich seiner Sammlerleidenschaft und seinen anderen intellektuellen Interessen, wie es Margarete Beck in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts anhand der damals bekannten Quellen in ihrer nicht publizierten Dissertation darstellte.9

Der Name Hieronymus Beck ist auch unter den Historikern, die sich der europäischen Turkologie widmen, bekannt. Hieronymus Beck erwarb 1550 in Konstantinopel eine Originalhandschrift über die Geschichte des türkischen Reiches, deren spätere Übersetzung bis zum späten 17. Jahrhundert für die gesamte mitteleuropäische Gesellschaft als wichtige Quelle zur Kenntnis der türkischen Geschichte diente. Mit Hieronymus Beck sind auch einige bedeutende überlieferte kunsthistorische und literarische Denkmäler verbunden. Es handelt sich vor allem um zwei Bücher von Miniaturporträts: Das erste davon wurde von Hieronymus Beck als ein Gedenkbuch mit Abbildungen seiner Freunde und weiterer damaliger Persönlichkeiten konzipiert, das zweite enthält Illustrationen mit der damals aktuellen und beliebten türkischen Thematik. Die beiden Handschriften stellen heutzutage eine wertvolle Quelle nicht nur für die Kenntnis der intellektuellen Welt in den habsburgischen Ländern des 16. Jahrhunderts dar, sondern sie sind auch ein einzigartiger Beleg der Existenz von heute schon untergegangenen Porträtgalerien.10 Ein ähnlich wertvolles Denkmal für die Geschichte der Epigraphik ist die überlieferte Handschrift mit Zeichnungen antiker Grabsteine und weiterer epigraphischer Denkmäler, die Hieronymus Beck in seinem Schloss Ebreichsdorf unweit von Wien in einem Lapidarium aufbewahrte, das auf seine Veranlassung hin in den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts entstand.11 ← 15 | 16 →

In den Sammleraktivitäten von Hieronymus Beck spielte eine bedeutende – wenn auch weniger bekannte – Rolle auch seine Bibliothek, die später, in den 20er Jahren des 17. Jahrhunderts, der mährische Kardinal Franz von Dietrichstein vom letzten Mitglied der Familie Beck, Marcus Eberhard Beck, erwarb. Er gliederte sie in seine Büchersammlung im Schloss Nikolsburg (Mikulov) ein, die jedoch am Ende des Dreißigjährigen Krieges als Kriegsbeute nach Schweden gebracht und dort zerstreut wurde. Zum „Vergessen“ der Bibliothek der Familie Beck von Leopoldsdorf hat wesentlich auch die Tatsache beigetragen, dass kein Katalog oder Inventar aus jener Zeit erhalten blieb, und so geriet die Beck’sche Sammlung für lange Zeit völlig in Vergessenheit. Auf ihre Existenz machte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts der schwedische Historiker Otto Walde aufmerksam, der bei seiner umfangreichen Erforschung der aus der schwedischen Kriegsbeute stammenden Bücher einige Bände mit den Exlibris von Hieronymus und Marcus Beck entdeckte.12 Der Bibliothek der Familie Beck widmete sich in größerem Ausmaß später nur noch die bereits erwähnte Margarete Beck, die in ihrer Dissertation über die kulturellen Interessen von Hieronymus Beck die bisherigen Funde der Beck’schen Bücher zusammenfasste und als erste andeutete, dass es sich um eine Büchersammlung ersten Ranges gehandelt habe.13

Methodologische Ausgangspunkte

Völlig neue Perspektiven der Erforschung der Familie Beck brachte erst kürzlich der Fund eines Auswahlverzeichnisses der Beck’schen Bücher vom Beginn des 17. Jahrhunderts mit 1.237 Einträgen, das sich im Familienarchiv der südböhmischen Familie von Rosenberg erhalten hat.14 Für die Geschichte der Familie Beck von Leopoldsdorf wurde diese Quelle bisher nicht genutzt, obwohl sie nicht ganz unbekannt ist – in der Fachliteratur wurde sie bereits im Zusammenhang mit der Büchererwerbspolitik Peter Voks von Rosenberg marginal erwähnt.15 Dieses sog. rosenbergische Verzeichnis wurde nun zur Basis einer virtuellen Rekonstruktion der Bibliothek des Hieronymus Beck: Ich versuchte, die einzelnen Originaleinträge in zugänglichen Bibliographien zu identifizieren und auf eine derart eingehende Weise zu ergänzen, dass man diese Büchersammlung unter dem Aspekt der Buchdrucker, des Inhalts und der Sprache detailliert analysieren kann.16 Ein Bestandteil des Projekts war auch ein Versuch, eine Übersicht über den gegenwärtigen Überlieferungsstand der Beck’schen Bibliothek zu schaffen. Durch extensive Erforschung wurden insgesamt fast 150 Exemplare entdeckt, die in 21 europäischen Bibliotheken aufbewahrt werden (siehe Teil II – Register der ← 16 | 17 → Institutionen mit erhaltenen Exemplaren). Diese Zahl von Exemplaren wird höchstwahrscheinlich in Zukunft in Abhängigkeit von der fortschreitenden detaillierten Bearbeitung von historischen Büchersammlungen durch die Verwalter von historischen Bibliotheksbeständen sowie von speziell der historischen Bücherprovenienz gewidmeten Forschungsprojekten noch steigen.17

Die vorliegende Monographie über die Bibliothek von Hieronymus Beck basiert auf mehreren methodologischen Ausgangspunkten. Otto Brunner, der Begründer der sozialhistorisch ausgerichteten Erforschung von Adelsbibliotheken, war der Meinung, dass durch die vergleichbare Bildung und den vergleichbaren kulturellen Gesichtskreis der einzelnen Adligen die Unterschiede zwischen den inhaltlichen Spezifika der einzelnen Adelsbibliotheken auf grundlegende Weise verwischt werden.18 Die Bibliotheken jener Zeit seien ihm zufolge auf einer ähnlichen humanistischen Basis aufgebaut und ihre Zusammensetzung sei durch die bis dahin unvorstellbare Zugänglichkeit der europäischen Buchproduktion beeinflusst, und im Falle der Sammlerbibliotheken auch das Streben nach ihrem universellen Charakter. Damit hängt auch die Resignation vieler Forscher aufgrund der inhaltlichen Ausuferung der umfangreichen Bestände von Adelsbibliotheken zusammen, die jedoch meines Erachtens nicht ganz berechtigt ist. Dank den sich rasch entwickelnden elektronischen Quellen und Datenbanksystemen, die es ermöglichen, eine große Menge von Daten zu verarbeiten und zu analysieren, wurden in den letzten Jahren bereits einige österreichische, böhmische und ungarische Bibliotheken detailliert erforscht, wenn auch überwiegend aus dem 17. Jahrhundert.19 Für die ältere Zeit stehen vor allem die Gesamtanalysen der Büchersammlung der Herren von Rosenberg, die der Humanisten Bohuslav Hasištejnský von Lobkowicz, Jan Zajíc von Házmburk und Georg von Wolkenstein zur Verfügung.20 Zur Kenntnis ← 17 | 18 → der Leseinteressen im Hause Habsburg trug auf bedeutende Weise vor kurzem auch die Erforschung der Ambraser Bibliothek Ferdinands II. von Tirol bei, die in den Jahren 2004–2008 unter der Leitung des Instituts für Kunstgeschichte der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik erfolgte.21

Bei der Erforschung der Bibliothek des Hieronymus Beck von Leopoldsdorf habe ich versucht, den zur Grundlage gelegten bibliometrischen Ansatz in möglichst hohem Maße um den komparativen Aspekt zu erweitern. Ich bin der Meinung, dass nur ein detaillierter Vergleich von einzelnen Bibliotheken (trotz Zeitaufwand und fachlichem Anspruch sowie trotz einigen durch die Quellenlage gegebenen Beschränkungen) zu allgemeiner gültigen Schlussfolgerungen über den Charakter der damaligen Bibliotheken führen kann.22 Nur so kann tatsächlich nachgewiesen werden, ob beziehungsweise wodurch sich diese oder jene Bibliothek dem durchschnittlichen Usus der Zeit entzog (falls es überhaupt einen solchen gab). Auch trotz dem limitierten Stand der heutigen Bearbeitung der einzelnen Büchersammlungen habe ich eine Charakteristik der Beck’schen Bibliothek im breiteren Kontext von böhmischen und österreichischen Adelsbibliotheken angestrebt, die ähnlich wie die Bibliothek von Ebreichsdorf in den 70er bis 90er Jahren des 16. Jahrhunderts aufgebaut wurden, also im Kontext der Büchersammlungen der letzten Herren von Rosenberg, Ferdinands II. von Tirol, Ferdinand Hoffmanns von Grünpühel, Wolf Rumpfs von Wielroß, Adams von Dietrichstein, Gundakers von Starhemberg, der Herren von Wolkenstein und anderer. In den Fällen, in denen diese Bibliotheken nicht detailliert bearbeitet sind, gewann ich die benötigten Angaben durch Teilanalysen ihrer erhaltenen Kataloge.23

Eine zweite Ebene, der ich genügend Raum einzuräumen suchte, ist das Verfolgen des sozialen und funktionalen Kontextes von Adelsbibliotheken, wie etwa die Art und Weise der Nutzung der Büchersammlungen, die Prioritäten bei ihrem Aufbau, das Ausmaß der ihnen gewidmeten bibliothekarischen Pflege und der Status der Bibliothek im Rahmen der Präsentation der übrigen Sammlungen des Hofes. Die ersten Impulse zu diesem Schritt weg von der positivistischen Herangehensweise hin zur Geschichte der Adelsbibliotheken sind wiederum mit Otto Brunner verbunden, der sich in seinen Studien marginal auch mit den Leseinteressen des österreichischen Adels befasste.24 Konkrete Themen für die Forschung auf diesem Gebiet fasste 2000 auch Václav Bůžek zusammen, der u. a. auch auf die Verflechtung von böhmischen und österreichischen Bibliotheken der Frühen Neuzeit hingewiesen hat.25 ← 18 | 19 →

Die Erforschung der Bibliothek von Hieronymus Beck von Leopoldsdorf zeigte sich jedoch noch auf einem anderen Gebiet als eine unerwartete und außerordentliche Herausforderung. Trotz absolutem Mangel an Quellen persönlicher Art (das Familienarchiv der Becks ist nicht erhalten und auch Hieronymus Beck hinterließ keine persönlichen Dokumente wie etwa ein Reisetagebuch, ein Stammbuch, oder eine umfangreichere Korrespondenz) versuchte ich, den anderswo nicht feststellbaren intellektuellen Horizont des Bibliotheksbesitzers aufzudecken und somit die Grenzen der Forschungsmöglichkeiten auf diesem Gebiet auszuloten. Es zeigte sich nämlich, dass im Unterschied zu den universell konzipierten Bibliotheken, bei denen die bisherige Forschung ein relativ geringes persönliches Engagement ihrer Besitzer auf dem Gebiet des Büchererwerbs und der Verwaltung feststellte und sogar einigermaßen überraschend auch minimale Belege für die Nutzung der Bibliothek durch ihre Besitzer als Leser fand, das Verhältnis von Hieronymus Beck zu den Büchern sehr persönlich war. Beck profilierte seine Büchersammlung in inhaltlicher Hinsicht relativ sorgfältig und von seiner aktiven Rezeption der zeitgenössischen Literatur zeugen nicht nur die erhaltenen Lesernotizen, sondern auch die originelle Struktur des ursprünglichen Katalogs seiner Bibliothek, die Václav Březan im sog. rosenbergischen Verzeichnis festgehalten hat. Die Bücherkataloge sind für ähnliche Untersuchungen eine nach wie vor wenig genutzte Quelle, obwohl bereits 1984 eine in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel veranstaltete Tagung auf ihre außerordentliche Aussagekraft hingewiesen hat.26

Auch im Bewusstsein dessen, dass einige meiner Schlussfolgerungen nach neuen Funden von bisher unbekannten Quellen, ob es sich nun um Bücher, Archivalien oder gar den ursprünglichen Katalog handeln würde, überholt werden können, bin ich der Meinung, dass auch die vorliegende Teilrekonstruktion der Bibliothek von Ebreichsdorf zur Schaffung eines plastischeren Bildes von mitteleuropäischen Bibliotheken der Frühen Neuzeit wesentlich beitragen wird.


2 HABERLAND, Detlef: Buch- und Wissenstransfer in Ostmittel- und Südosteuropa in der Frühen Neuzeit zwischen Regionalhistorie und Medientheorie(n). In: HABERLAND, Detlef (ed.): Buch- und Wissenstransfer in Ostmittel- und Südosteuropa. Oldenbourg, München 2007, S. 9–22; ŠIMEČEK, Zdeněk: Geschichte des Buchhandels in Tschechien und in der Slowakei. Harrassowitz, Wiesbaden 2002.

3 UNTERKIRCHER, Franz: Hugo Blotius und seine ersten Nachfolger (1575–1663). In: STUMMVOLL, Josef von (ed.): Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek I. Prachner, Wien 1968, S. 81–151; Paola Molino widmet sich neulich der Erforschung der kaiserlichen Bibliothek - Paola MOLINO, von deren zahlreichen Studien z. B. zumindest die folgende genannt werden sollte: Ein Zuhause für die Universalbibliothek, Biblos 58/1, 2009, S. 23–30; VESELÁ, Lenka: Knihy na dvoře Rožmberků. Knihovna AV ČR – Scriptorium, Praha 2005; PURŠ, Ivo – KUCHAŘOVÁ, Hedvika (edd.): Knihovna arcivévody Ferdinanda II. Tyrolského. Artefactum – Ústav dějin umění AV ČR, Praha 2015; MONOK, István – ÖTVÖS, Péter – ZVARA, Edina: Balthasar Batthyány und seine Bibliothek. Amt der Burgenländischen Landesregierung - Hauptreferat Landesarchiv und Landesbibliothek, Eisenstadt 2004 (=Burgenländische Forschungen Sonderband XXVI, Bibliotheken in Güssing im 16. und 17. Jahrhundert); die Literatur zu weiteren Bibliotheken siehe im Kapitel „Die Bibliotheken der habsburgischen Länder und ihre Präsentation“.

4 ČIČAJ, Viliam: Šľachtická knižnica. In: KOVAČKA, Miloš – AUGUSTÍNOVÁ, Eva – MAČUHA, Maroš (edd.): Zemianstvo na Slovensku v novoveku II. Duchovná a hmotná kultúra (=Studia historico-bibliographica Turociensia 2). Slovenská národná knižnica, Martin 2009, S. 116–122; Zur Frage der virtuellen Rekonstruktion von zerstreuten Bibliotheken siehe den Sammelband BOSERUP, Ivan – SHAW, David J. (edd.): Virtual Visits to Lost Libraries: Reconstruction of and Access to Dispersed Collections. Papers Presented on 5 November 2010 at the CERL Seminar Hosted by the Royal Library of Denmark, Copenhagen. Consortium of European Research Libraries, London 2011.

5 ARCONATUS: Ab epistolis bellicis poematum recentiorum volumen… S. 5.

6 MACHARDY, Karin J.: Cultural Capital, Family Strategies and Noble Identity in Early Modern Habsburg Austria 1579–1620. Past and Present 163, 1999, S. 37; TERSCH, Harald: Österreichische Selbstzeugnisse des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit (1400–1650): eine Darstellung in Einzelbeiträgen. Böhlau, Wien – Köln – Weimar 1998; NEUBER, Wolfgang: Die Familie als Diskurs. Textliche Konstruktionsformen in Familienbüchern der Frühen Neuzeit, am Beispiel des Beckschen Familienbuchs (Klosterneuburg, Cod. 747). In: FACKELMANN, Christoph – KRIEGLEDER, Wynfrid (edd.): Literatur – Geschichte – Österreich. Probleme, Perspektiven und Bausteine einer österreichischen Literaturgeschichte. Thematische Festschrift zur Feier des 70. Geburtstags von Herbert Zeman. Lit. Verl., Wien – Berlin 2011, S. 320–332; NEUBER, Wolfgang: Exscribo ergo sum. Self-reflexion and Meditation in Early Modern German Family Books. In: ENENKEL, Karl – MELION, Walter (edd.): Meditatio – Refashioning the Self. Theory and Practice in Late Medieval and Early Modern Intellectual Culture. Brill, Leiden 2011, S. 109–124.

7 MÖSCHL, Christine: Dr. Marcus Beck von Leopoldsdorf. Ein Staatsmann Ferdinands I. (1491–1553). Dissertation, Universität Wien 1969; NEUBER, Wolfgang: Tu certe es studijs nostris […] summum praesidium. Der Hofbeamte als Humanist – zum gelehrten Wiener Umfeld Markus Becks von Leopoldsdorf (1491–1553). Daphnis: Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit (1400–1750) 40/3–4, 2011, S. 499–534.

8 Zum Begriff „Aristokratie“ als Bezeichnung des höheren Adelsstandes und zu einer breiteren Auffassung des Begriffs „Adel“ für die beiden Adelsstände näher bei MAŤA, Petr: Svět české aristokracie (1500–1700). Nakladatelství Lidové noviny, Praha 2004, S. 11–17.

9 BECK, Margarete: Hieronymus Beck von Leopoldsdorf (1525–1596). Eine kulturgeschichtliche Studie. Dissertation, Universität Wien 1973.

10 HEINZ, Günther: Das Porträtbuch des Hieronymus Beck von Leopoldsdorf. Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien 71, 1975, S. 165–310; STICHEL, Rudolf H. W.: Ein Nachtrag zum Porträtbuch des Hieronymus Beck von Leopoldsdorf. Bildnisse orientalischer Herrscher und Würdenträger in Cod. Vindob. 8615. Jahrbuch desKunsthistorischen Museums Wien 1, 1999, S. 189–207.

11 Leiden: Universiteitsbibliotheek (Voss. lat. O. 65); KUBITSCHEK, Wilhelm: Das Lapidarium des Hieronymus Beck von Leopoldsdorf. Jahrbuch für Altertumskunde 6, 1912, S. 104–147; RUZICKA, Franz: Römische Denkmäler im Schlosse zu Ebreichsdorf. Jahreshefte des Österreichischen archäologischen Institutes in Wien 18, 1915, S. 221–232.

12 WALDE, Otto: Storhetstidens litterära krigsbyten. En kultur-historisk-bibliografisk studie I. Almqvist et Wick, Uppsala–Stockholm 1916, S. 288–296.

13 BECK: Hieronymus Beck von Leopoldsdorf (1525–1596) … S. 103–126.

14 Třeboň: Státní oblastní archiv (Bestand Cizí rody – z Rožmberka, 20a, fol. 91–116: Ex bibliotheca Ebrestorfiana … librorum … consignatio).

15 Dieses Verzeichnis erwähnte als erster K. Dudáček in seiner Magisterarbeit – DUDÁČEK, Karel: Vznik a vývoj rožmberské knihovny od jejího počátku až do poloviny 17. století. FFUK Praha 1984, S. 22–23; VESELÁ: Knihy na dvoře Rožmberků … S. 80.

16 Zum Projekt siehe VESELÁ, Lenka: Die Bibliothek der Beck von Leopoldsdorf und die mitteleuropäischen Adelsbibliotheken. Entwurf zu einem geplanten Projekt. Mitteilungen der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich 2009/1, S. 43–46; VESELÁ, Lenka: Knihovna Becků z Leopoldsdorfu v kontextu středoevropských šlechtických knihoven (zpráva o plánovaném projektu). Knihy a dějiny 16/17, 2009–2010, S. 148–151.

Details

Seiten
464
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631725917
ISBN (ePUB)
9783631725924
ISBN (MOBI)
9783631725931
ISBN (Hardcover)
9783631723593
DOI
10.3726/b11308
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (August)
Schlagworte
Adelsbibliotheken Bücher-Kriegsbeute Bibliotheken virtuelle Rekonstruktion Frühe Neuzeit Österreich
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 464 S., 12 s/w Abb., 14 farb. Abb., 6 s/w Tab., 6 s/w Graf.

Biographische Angaben

Lenka Veselá (Autor:in)

Lenka Veselá ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften in Prag. Sie befasst sich mit der Bibliotheksgeschichte und Buchkultur in der Frühen Neuzeit und mit der schwedischen Bücher-Kriegsbeute aus Böhmen und Mähren während des Dreißigjährigen Krieges.

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