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Die besonderen Therapierichtungen und der Neutralitäts- und Objektivitätsanspruch des Staates

von Mathias Benedix (Autor:in) Stefan Greiner (Band-Herausgeber:in)
©2017 Dissertation 350 Seiten

Zusammenfassung

Das Recht der Alternativmedizin ist von gegensätzlichen Interessen und Weltanschauungen geprägt und lässt eine einheitliche Linie nur schwer erkennen. Insbesondere die Frage, unter welchen Voraussetzungen nicht wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethoden auf Kosten der (gesetzlichen wie privaten) Krankenversicherungen zu erbringen sind, wird durch das Gesetz selbst höchst widersprüchlich beantwortet. Hierbei haben die sogenannten besonderen Therapierichtungen – insbesondere Homöopathie, anthroposophische Medizin und Phytotherapie – im SGB V eine in ihrer Tragweite höchst umstrittene gesetzliche Sonderstellung erfahren. Dieses Buch zeigt auf, dass schon aus verfassungsrechtlichen Gründen die jeweiligen Methoden letztlich stets objektiv und ideologiefrei zu betrachten sind.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Einführung in die Thematik
  • B. Ziel der Untersuchung
  • C. Gang der Untersuchung
  • Kapitel 1 – Vorüberlegungen
  • A. Besondere Therapierichtungen und andere Formen der Alternativmedizin im Gesetz
  • I. Allgemeines
  • II. Verwandte und entgegengesetzte Begriffe
  • 1. Schulmedizin
  • 2. Evidenzbasierte Medizin („Evidence based medicine“)
  • 3. Alternativ- und Komplementärmedizin
  • III. Rechtsquellen
  • 1. Sonderregelungen bezüglich der besonderen Therapierichtungen
  • 2. Sonstige Regelungen der Alternativmedizin
  • B. Überblick über die einzelnen gesetzlich genannten besonderen Therapierichtungen
  • I. Homöopathie
  • 1. Ursprünge (Hahnemann)
  • 2. Terminologie: Homöopathie und Allopathie
  • 3. Konzept
  • 4. Praktische Bedeutung
  • 5. Verhältnis zur Schulmedizin
  • 6. Unterschiedliche Strömungen innerhalb der Homöopathie
  • II. Anthroposophische Medizin
  • 1. Allgemeines; Ursprünge
  • 2. Das anthroposophische Menschenbild und seine Bedeutung für die Therapieauswahl
  • 3. Anthroposophische Heilmittel
  • 4. Verhältnis zur Schulmedizin
  • 5. Abgrenzung zur Homöopathie
  • 6. Praktische Bedeutung
  • III. Phytotherapie
  • 1. Grundgedanke
  • 2. Ursprünge
  • 3. Verhältnis und Abgrenzung zur Schulmedizin
  • 4. Praktische Bedeutung
  • C. Annäherung an eine Begriffsbestimmung der besonderen Therapierichtungen
  • I. Der Begriff der Therapierichtung im AMG
  • II. Bestimmung des sozialrechtlichen Begriffs der besonderen Therapierichtung
  • 1. Problematik
  • 2. Gemeinsamer Befund aller gesetzlich genannten besonderen Therapierichtungen
  • 3. Vorläufige Kriterien
  • Kapitel 2 – Vorgaben höherrangigen Rechts
  • A. Verfassungsrechtliche Vorgaben
  • I. Allgemeines
  • 1. Gründe für die Anerkennung der besonderen Therapierichtungen
  • 2. Widerstreitende Prinzipien
  • II. Konkrete Bedeutung der einzelnen Grundrechte
  • 1. Therapiefreiheit des Arztes (Art. 12 I 1, 2; 2 I 1 GG)
  • 2. Unternehmer-/Unternehmensfreiheit
  • 3. Selbstbestimmungsrecht des Patienten (Art. 2 I, II 1; 1 I GG)
  • 4. Wissenschaftsfreiheit
  • 5. Gleichheitssatz
  • B. Europäisches Recht
  • Kapitel 3 – Die besonderen Therapierichtungen im Arzneimittelrecht
  • A. Allgemeines
  • I. Zielsetzung des Arzneimittelgesetzes
  • II. Grundsatz der Zulassungspflicht
  • B. Das Registrierungsverfahren für homöopathische Arzneimittel
  • I. Systematik
  • II. Zweck des vereinfachten Verfahrens
  • III. Versagensgründe nach § 39 II AMG
  • 1. Mindestanforderungen
  • 2. Sondervorschriften
  • 3. Nach § 39 II AMG unbeachtliche Kriterien
  • IV. Informationspflichten
  • 1. Kennzeichnungspflicht
  • 2. Werbung für homöopathische Arzneimittel
  • V. Verschreibungspflicht
  • VI. Verfassungsrechtliche Bewertung
  • 1. Ungleichbehandlung; Bewertungsmaßstab
  • 2. Sachgründe für die Ungleichbehandlung
  • C. Das Registrierungsverfahren für traditionelle pflanzliche Arzneimittel
  • I. Systematik
  • II. Zweck
  • III. Versagungsgründe nach § 39c II AMG
  • 1. Ermessen der Behörde?
  • 2. Einordnung als traditionelles Arzneimittel
  • 3. Mindestanforderungen
  • 4. Erleichterungen gegenüber § 25 II AMG
  • IV. Kennzeichnungspflicht
  • V. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
  • 1. Maßstab
  • 2. Sachgründe für die Ungleichbehandlung
  • D. Anwendbarkeit auf anthroposophische Arzneimittel
  • I. Kein eigenes Verfahren
  • II. Registrierung über §§ 38 f. und 39a ff. AMG
  • E. Besonderheiten bei zulassungsbedürftigen Arzneimitteln
  • I. Überblick
  • II. Die Berücksichtigung der medizinischen Erfahrungen der jeweiligen Therapierichtung
  • 1. Allgemein
  • 2. Das Verhältnis zwischen § 25 I 1 Nr. 4 und 5 AMG
  • III. Zulassungskommissionen
  • 1. Gesetzlich benannte besondere Therapierichtungen
  • 2. Unbenannte besondere Therapierichtungen
  • Kapitel 4 – Die besonderen Therapierichtungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherungen
  • A. Überblick
  • B. Die Einordnung der besonderen Therapierichtungen in der Systematik des § 2 I SGB V
  • I. Einführung
  • 1. Problemanalyse
  • 2. Verhältnis des § 2 I SGB V zu anderen Vorschriften
  • II. Streitstand
  • 1. Lehre vom Vorrang des Satzes 3
  • 2. Theorie der Binnenanerkennung
  • 3. Lehre von den therapieimmanenten Kriterien
  • 4. Praktische Konkordanz ohne Sonderstellung der besonderen Therapierichtungen
  • 5. Rechtsprechung
  • III. Analyse und Auslegung
  • 1. Isolierte Betrachtung des S. 3
  • 2. Isolierte Betrachtung des S. 2
  • 3. Auslegung beider Sätze in der Gesamtbetrachtung
  • IV. Nicht allgemein anerkannte Leistungen bei schwerwiegenden Erkrankungen
  • V. Fazit
  • C. Die Bedeutung des Gemeinsamen Bundesausschusses für die besonderen Therapierichtungen
  • I. Allgemeines
  • 1. Organisation (§ 91 SGB V)
  • 2. Grundsätzliche Aufgaben (§ 92 SGB V)
  • 3. NUB-Richtlinien (§ 135 SGB V)
  • 4. Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus (§ 137c SGB V)
  • 5. Bedeutung des § 139a IV SGB V
  • II. Die Rolle des G-BA im Hinblick auf die besonderen Therapierichtungen
  • 1. Die Anwendbarkeit des § 135 SGB V für die besonderen Therapierichtungen
  • 2. Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der besonderen Therapierichtungen nach § 135 I 1 Nr. 1 SGB V
  • 3. Besondere Therapierichtungen in der Krankenhausbehandlung
  • D. Ausschlüsse bestimmter Leistungen unabhängig vom allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
  • I. Der Ausschluss von Arznei-, Hilfs- und Heilmitteln gemäß § 34 SGB V und seine Auswirkungen auf die besonderen Therapierichtungen
  • 1. Ausschluss von OTC-Arzneimitteln
  • 2. Einbeziehung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch den G-BA
  • 3. Ausschluss von Arzneimitteln nach Abs. 1 S. 6
  • 4. Ausschluss von Arzneimitteln nach Abs. 3
  • 5. Ausschluss von Hilfsmitteln nach Abs. 4
  • II. Die einheitlichen Bewertungsmaßstäbe (EBM und Bema)
  • 1. Gesetzliche Regelung
  • 2. EBM und Homöopathie
  • 3. EBM und anthroposophische Medizin
  • III. Beschränkung auf bestimmte Leistungserbringer
  • E. Das Wirtschaftlichkeitsgebot und seine Auswirkungen auf die besonderen Therapierichtungen
  • I. Allgemeines
  • 1. Überblick
  • 2. Bedeutung des Wirtschaftlichkeitsgebots
  • 3. Dogmatik
  • II. Das Kriterium der ausreichenden Leistung als Schranke des Wirtschaftlichkeitsgebots
  • 1. Ausreichende Leistung als Mindeststandard
  • 2. Mindeststandard und besondere Therapierichtungen
  • III. Zweckmäßigkeit von Leistungen im Bereich der besonderen Therapierichtungen
  • 1. Allgemeines
  • 2. Maßstab der Zweckmäßigkeit bei Leistungen der besonderen Therapierichtungen
  • IV. Notwendigkeit von Leistungen im Bereich der besonderen Therapierichtungen
  • 1. Allgemeines
  • 2. Maßstab der Notwendigkeit bei Leistungen der besonderen Therapierichtungen
  • 3. Vorrang einer günstigeren Leistung innerhalb einer Therapierichtung
  • 4. Vorrang einer günstigeren Leistung einer anderen Therapierichtung
  • V. Wirtschaftlichkeit i.e.S.
  • VI. Qualität
  • F. Rechtsfolgen im Einzelfall
  • I. Heilmittel der besonderen Therapierichtungen, insbesondere der anthroposophischen Medizin
  • 1. Allgemeines
  • 2. Homöopathie und Phytotherapie
  • 3. Anthroposophische Heilmittel
  • II. Anforderungen an ein Systemversagen
  • 1. Formelle Voraussetzungen der Feststellung eines Systemversagens
  • 2. Materielle Voraussetzungen
  • G. Einbeziehung besonderer Therapierichtungen jenseits der allgemeinen Versorgung
  • I. Wahltarife
  • 1. Allgemeines
  • 2. Der Wahltarif „Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen“ gemäß § 53 V SGB V
  • II. Verträge zur integrierten Versorgung
  • III. Modellvorhaben nach §§ 63 ff. SGB V
  • IV. Sonstige Sondervereinbarungen
  • Kapitel 5 – Alternativmedizin im Recht der privaten Krankenversicherungen
  • A. Überblick über die Systemunterschiede zwischen GKV und PKV
  • I. Allgemeines
  • II. Eigenverantwortung und soziale Fürsorge
  • III. Private Krankenversicherung als privatrechtlicher Vertrag
  • 1. Grundsatz
  • 2. Die Reformen durch das GKV-WSG
  • 3. Beziehungen zum Leistungserbringer
  • 4. Beitragsbemessung
  • B. Die Stellung der Alternativmedizin nach dem Versicherungsvertragsgesetz
  • I. Einführung
  • II. Medizinisch notwendige Heilbehandlungen
  • 1. Allgemeines
  • 2. Maßstab der medizinischen Notwendigkeit
  • C. Die rechtliche Stellung der Alternativmedizin nach Maßgabe der Musterbedingungen
  • I. Rechtsnatur und Bedeutung der Musterbedingungen
  • II. Medizinische Notwendigkeit in den MB/KK
  • 1. § 1 MB/KK
  • 2. § 5 II MB/KK
  • III. Besondere Regelungen der MB/KK und MB/BT für alternativmedizinische Behandlungsmethoden
  • 1. Die reine Wissenschaftlichkeitsklausel nach § 5 I f) MB/KK 1976
  • 2. Die modifizierte Wissenschaftlichkeitsklausel nach § 4 VI 1, 2 MB/KK n.F.
  • 3. Sonderregelungen in den MB/BT
  • Kapitel 6 – Alternativmedizin im Beihilferecht
  • A. Bundesrecht
  • I. Allgemeines
  • II. Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit
  • III. Nachweis nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
  • B. Landesrecht NRW
  • I. LBG NRW
  • II. BVO NRW
  • 1. Wissenschaftlichkeitserfordernis
  • 2. Besondere Regelung für Arzneimittel
  • Kapitel 7 – Alternativmedizin im Vertragsverhältnis zwischen Behandelndem und Patient
  • A. Der Behandlungsvertrag
  • I. Allgemeines
  • II. Die Behandlung gemäß dem fachlichen Standard
  • 1. Grundsatz
  • 2. Abweichende Vereinbarungen
  • 3. Medizinischer Standard
  • III. Informations- und Aufklärungspflichten
  • 1. Allgemeines
  • 2. Informationspflichten über die Behandlung (Allgemeine und therapeutische Aufklärung)
  • 3. Informationspflichten über die Kosten
  • 4. Aufklärungspflichten
  • IV. Unmöglichkeit bei erwiesenermaßen unwirksamer Heilmethode?
  • B. Haftung wegen Behandlungsfehlern
  • I. Vertragsrecht und Deliktsrecht
  • II. Behandlungsfehler
  • III. Kausalität bei Fehlern im Rahmen wissenschaftlich nicht anerkannter Behandlungsmethoden
  • IV. Deliktische Haftung für nutzlose Methoden?
  • C. Gebühren- und Entgeltrecht
  • I. Gebührenordnung für Ärzte
  • II. Krankenhausentgeltgesetz
  • D. Berufs- und Standesrecht
  • I. Berufs- und Standesrecht der Ärzte
  • 1. Rechtsgrundlagen
  • 2. Inhalt
  • II. Heilpraktikergesetz
  • Schlussbetrachtung
  • A. Thesen
  • B. Systemvergleich
  • C. Ausblick
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

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Einleitung

A.  Einführung in die Thematik

Die Regelungen des Medizin- und Krankenversicherungsrechts sind im Grundsatz auf Therapieformen und Behandlungsmethoden ausgerichtet, die von rein rationalen Erwägungen geleitet werden und die sich am Maßstab der Naturwissenschaften überprüfen lassen: die sogenannte Schulmedizin. Da diese Regelungen für „alternative“ Heilmethoden als unangemessen empfunden wurden, hat der Gesetzgeber insbesondere mit dem AMG 1976 und dem SGB V Sonderregelungen für einige Heilkonzepte geschaffen, die den Grundsätzen der Schulmedizin nicht entsprechen. In Abgrenzung zur Schulmedizin als der „allgemeinen“ Therapierichtung1 bezeichnet das Gesetz diese als „besondere“ Therapierichtungen. Verstanden wird dies als Ausdruck der weltanschaulichen Neutralität des Staates, der für einen so grundrechtsrelevanten Bereich wie die Krankenversorgung nicht einseitig auf naturwissenschaftlich ausgelegte und begründete Therapien verweisen soll.2

Ausdrücklich zählt das Gesetz Homöopathie, anthroposophische Medizin und Phytotherapie als besondere Therapierichtungen auf (§ 34 III 2 SGB V, § 25 VI 6 AMG). Innerhalb der Ärzteschaft sind gerade Homöopathie und anthroposophische Medizin umstritten. Besonders intensiv wird die Diskussion um die Wirksamkeit der Homöopathie geführt. Die anthroposophische Medizin steht angesichts ihres geringeren Verbreitungsgrades weniger im Zentrum der Diskussion; Schulmediziner, die sich mit ihr befassen, kritisieren sie jedoch umso vehementer.

Ausgetragen wird die Diskussion aber nicht nur im Bereich der Medizin selbst. Mit anderen Mitteln setzt sich der Konflikt in der politischen und schließlich auch in der juristischen Diskussion fort. Oft stößt die Rechtswissenschaft jedoch bei der Beurteilung bestimmter Fragestellungen – wie der Frage nach der Wirksamkeit homöopathischer Methoden – an ihre Grenzen. Derartige Grundfragen lassen sich juristisch nicht klären; die Rechtswissenschaft muss die Erkenntnisse der Medizin als gegeben hinnehmen. Der Politik verbleibt ein Spielraum hinsichtlich der Rechtsfolgen; Tatsachenfragen wie die nach der Wirksamkeit muss aber auch sie letztlich der medizinischen Wissenschaft überlassen.

Eine zentrale Frage im Recht der Alternativmedizin ist, wessen Auffassung letztlich für die Bewertung grundlegender Kriterien wie Wirksamkeit, Geeignetheit oder Unbedenklichkeit ausschlaggebend ist. Die Vertreter verschiedener alternativmedizinischer Strömungen nehmen für sich in Anspruch, in gleichem oder ähnlichem Maße „wissenschaftlich“ zu sein wie die Schulmedizin. Daher dürften die Kriterien der Schulmedizin nicht allein maßgeblich sein. Auf der anderen Seite erscheint es als höchst unbefriedigend, rein subjektive Wertungen genügen zu lassen, auf die sich ← 17 | 18 → viele alternativmedizinische Methoden letztlich gründen, während die Schulmedizin sich (zumindest überwiegend) dadurch auszeichnet, dass sie ihre Methoden einer objektivierten Prüfung durch kontrollierte Studien unterzieht. In anderen Bereichen der Rechtsordnung werden belastbare Beweise eingefordert, ehe eine Tatsache als gegeben akzeptiert wird. Eine bedeutende Vorfrage ist daher, inwieweit Homöopathie und anthroposophische Medizin überhaupt in der Lage sind, die Geeignetheit ihrer Methoden stichhaltig zu belegen, oder ob zumindest gute Gründe vorliegen, Anforderungen für diese (und ggf. andere) Therapierichtungen abzusenken.

B.  Ziel der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit soll das Recht der besonderen Therapierichtungen beleuchten und die zugrundeliegenden Prinzipien herausarbeiten. Zudem sollen gemeinsame Linien und Unterschiede in den verschiedenen betroffenen Rechtsgebieten untersucht werden.

Im Zentrum der Arbeit steht das Recht der gesetzlichen Krankenversicherungen und die Frage, unter welchen Bedingungen diese als Solidargemeinschaft auch für die Kosten von Methoden aufkommen, deren Wirksamkeit und Nutzen aus wissenschaftlicher Perspektive in Zweifel stehen. Hierbei stehen sich zwei Ziele gegenüber, die kaum miteinander in Einklang zu bringen sind. Auf der einen Seite steht die Forderung nach einem Pluralismus der Methoden. Therapeutische Konzepte, die nicht dem wissenschaftlichen „Mainstream“ entsprechen, sollen nicht majorisiert und an den Rand gedrängt werden. Auf der anderen Seite ist ein gewisses Maß an gesicherten Erkenntnissen über Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der Leistungen zu verlangen, um eine Kostenübernahme durch die solidarisch finanzierten Krankenkassen zu rechtfertigen. Das SGB V enthält Regelungen, die beiden Zielen zur Geltung verhelfen sollen, ohne aber zu klären, in welchem Verhältnis diese Regelungen zueinander stehen und wie sie miteinander in Einklang zu bringen sind. Seit Inkrafttreten des SGB V sind zahlreiche Versuche unternommen worden, die teilweise in offenem Widerspruch zueinander stehenden Regelungen zu harmonisieren, sei es durch Zurückstellung des einen oder des anderen Ziels, sei es durch praktische Konkordanz. Ziel dieser Arbeit ist es, diese Ansätze im Lichte der Gesamtrechtsordnung zu betrachten – ausgehend vom Verfassungsrecht – und eine Systematik zu erarbeiten, innerhalb derer das Recht der besonderen Therapierichtungen nicht wie ein Fremdkörper erscheint.

Um der Problematik gerecht zu werden, genügt es nicht, isoliert das Sozialrecht zu betrachten. Dem Krankenversicherungsrecht ist das Arzneimittelrecht vorgelagert, das darüber entscheidet, welche Arzneimittel überhaupt in den Verkehr gebracht werden sollen. Gerade nachdem die Regelungen der privaten und der gesetzlichen Krankenversicherungen mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz einander angenähert worden sind, drängt es sich auf, vergleichend auch die Behandlung der Alternativmedizin im privaten Versicherungsrecht zu betrachten. Mit dem Beihilferecht besteht ein drittes System zur Absicherung von Kosten der Gesundheitsversorgung, das seinerseits eigene, mit dem SGB V zu vergleichende ← 18 | 19 → Regelungen trifft. Schließlich enthält das Medizinrecht verschiedene Regelungen, die in Wechselwirkung mit dem Krankenversicherungsrecht stehen.

Eine Differenzierung zwischen besonderen Therapierichtungen und sonstiger Alternativmedizin lässt sich außerhalb des Arzneimittel- und Sozialrechts nicht durchhalten, da das Konzept der besonderen Therapierichtungen außerhalb dieser Rechtsgebiete allenfalls eingeschränkte Bedeutung besitzt, zumindest aber nicht im Gesetz angelegt ist.

C.  Gang der Untersuchung

Zunächst sind im 1. Kapitel das Wesen, die Besonderheiten und Gemeinsamkeiten der jeweiligen Therapierichtungen zu untersuchen. Ohne ein Verständnis dessen, was die Homöopathie, die anthroposophische Medizin und die Phytotherapie ausmacht und wie sich ihre Konzeption zu den gängigen „schulmedizinischen“ Erkenntnissen verhält, wird sich eine sachgerechte Lösung kaum finden lassen.

Im Anschluss sind im 2. Kapitel die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen zu erörtern. Beide Kerngedanken des Rechts der besonderen Therapierichtungen, Methodenpluralismus und Wissenschaftlichkeitsanspruch bzw. Objektivität, finden Rückhalt im Verfassungsrecht, was eine nähere Betrachtung der einzelnen betroffenen Grundrechte erforderlich macht.

Im 3. Kapitel soll die besondere Situation homöopathisch hergestellter und traditioneller pflanzlicher Arzneimittel im Arzneimittelrecht dargestellt werden. Im Zentrum stehen hierbei Ziele und Auswirkungen der vereinfachten Registrierungsverfahren gemäß §§ 38 ff. AMG.

Im Hauptteil der Arbeit, dem 4. Kapitel, sind die konkreten Regelungen des SGB V und ihre Bedeutung für die besonderen Therapierichtungen zu erörtern. Im Einzelnen darzustellen ist einerseits, unter welchen Bedingungen Leistungen der besonderen Therapierichtungen von der allgemeinen Versorgung durch die gesetzlichen Krankenversicherungen eingeschlossen sind. Zu untersuchen ist, inwieweit die einander widersprechenden Ziele tatsächlich Niederschlag im Gesetz gefunden haben und unter welchen Umständen eine Kostenübernahme für alternativmedizinische Leistungen in Betracht kommt. Andererseits ist zu erörtern, inwieweit Leistungen besonderer Therapierichtungen durch Vereinbarung zwischen Patient und gesetzlicher Krankenversicherung einbezogen werden können, insbesondere im Rahmen des Wahltarifs gemäß § 53 V SGB V.

Schließlich ist eine vergleichende Betrachtung anderer Rechtsgebiete vorzunehmen. Ein Schwerpunkt liegt hierbei auf dem Recht der privaten Krankenversicherungen (5. Kapitel), auch und gerade in Abgrenzung zum Recht der gesetzlichen Krankenversicherungen. Ebenfalls zu vergleichen ist die Erstattung der Kosten alternativmedizinischer Behandlungsmethoden im Beihilferecht (6. Kapitel). Betrachtet werden soll im 7. Kapitel auch die Behandlung alternativmedizinischer Methoden im Arztvertrags- und Arzthaftungsrecht und die Wechselwirkung mit den Regelungen des Sozialrechts. Am Rande sind hierbei auch das Gebührenrecht und das Berufsrecht der Ärzte und Heilpraktiker zu betrachten. ← 19 | 20 →


1 Hauck/Noftz/Noftz, SGB V, § 2 Rn 45.

2 BSG, 16.09.1997, 1 RK 28/95, BSGE 81, 54 (juris-Rn 42).

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Kapitel 1 – Vorüberlegungen

A.  Besondere Therapierichtungen und andere Formen der Alternativmedizin im Gesetz

I.  Allgemeines

Der Begriff der besonderen Therapierichtungen wird sowohl im SGB V als auch im Arzneimittelrecht verwendet. Er bezeichnet jeweils nicht einzelne Behandlungsmethoden, sondern umfassende therapeutische Konzepte, die bestimmte Besonderheiten gegenüber der Schulmedizin aufweisen.3 Hierbei unterfällt nicht jede von der Schulmedizin abweichende Methode einem Sonderstatus als besondere Therapierichtung.4 Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die weder durch die Schulmedizin noch durch eine der besonderen Therapierichtungen anerkannt sind, werden als „echte Außenseitermethoden“ bezeichnet.5 Der Begriff der „Außenseitermethode“ beschreibt grundsätzlich sämtliche Methoden, die dem derzeitigen allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht entsprechen, und schließt damit die besonderen Therapierichtungen ein.6 Auch die sogenannten Neulandmethoden, bei denen eine allgemeine Anerkennung noch nicht erfolgt ist, bei denen aber noch Aussicht auf diese Anerkennung besteht, sind zunächst Außenseitermethoden.7 Die Bezeichnung als „echte“ Außenseitermethoden hat sich eingebürgert, sollte jedoch nicht zu dem Fehlschluss führen, dass die besonderen Therapierichtungen im Verhältnis zu diesen besser belegt seien oder gar allgemein anerkannt seien.

Die Definition der besonderen Therapierichtungen ist dem Gesetz nicht ohne Weiteres zu entnehmen. Das AMG bezieht den Begriff der Therapierichtung in Klammerzusätzen (z.B. in § 25 VI 6 AMG) auf drei bestimmte Heilkonzepte: Homöopathie, anthroposophische Medizin und Phytotherapie. Auch in § 34 III 2 SGB V werden diese drei als Beispiele besonderer Therapierichtungen aufgeführt. Diese drei Therapierichtungen werden aufgrund ihrer Nennung im Gesetz regelmäßig als „anerkannte besondere Therapierichtungen“ bezeichnet.8 Die Verwendung dieses ← 21 | 22 → Begriffes ist jedoch nicht unproblematisch. Teilweise wird aus dem Begriff selbst gefolgert, die Therapierichtung sei als solche anerkannt.9 Anerkannt wird durch die Aufzählung als Regelbeispiel jedoch allenfalls der Status als besondere Therapierichtung im Sinne des Gesetzes. Entsprechend hat das BSG klargestellt, dass es „anerkannte“ besondere Therapierichtungen im SGB V nicht gibt.10

II.  Verwandte und entgegengesetzte Begriffe

1.  Schulmedizin

Der Begriff der Schulmedizin zur Beschreibung der herrschenden Meinung ist unter Medizinern11 wie unter Juristen12 umstritten. Verwendet wurde er erstmals von Anhängern der Homöopathie, die sich von der Mehrheitsmeinung abgrenzen wollten.13 Ursprünglich handelt es sich somit um einen von den Gegnern der „Schulmedizin“ verwendeten Kampfbegriff.14 Alternativ wird von vielen Vertretern der „Schulmedizin“ selbst der Begriff der „wissenschaftlichen Medizin“ bevorzugt.15

Im Gesetz wird der Begriff der Schulmedizin an keiner Stelle verwendet; zumindest im Recht der privaten Krankenversicherung wird er jedoch relevant, da die Musterbedingungen der Krankenkassen auf ihn zurückgreifen (vgl. § 4 VI 1 MB/KK). Die Auslegung ist hierbei umstritten. Nach einer Auffassung soll die Schulmedizin diejenigen Formen der Heilkunde umfassen, die an medizinischen Hochschulen gelehrt werden.16 Dies spiegelt aber gerade nicht das Selbstverständnis der Schulmedizin wider. An den Hochschulen und innerhalb der Ärzteschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ein Verständnis von Schulmedizin herausgebildet, das sich nicht mehr an Mehrheitsmeinungen orientiert, sondern an einem streng naturwissenschaftlichen Wissenschaftsbegriff, der evidenzbasierten Medizin (s. sogleich u. 2.). Die Schulmedizin unterscheidet sich von der Alternativmedizin hiernach dadurch, dass ihre Ergebnisse unter kontrollierten Bedingungen reproduzierbar sind.17 Diesem medizinischen Selbstverständnis sollte auch der juristische Begriff der Schulmedizin folgen.18 ← 22 | 23 →

2.  Evidenzbasierte Medizin („Evidence based medicine“)

Jede Form der Heilkunde unterliegt der Gefahr, dass die Beurteilung ihrer Methoden und Ergebnisse nicht nach objektiven Maßstäben erfolgt, sondern von Meinungen und Vorurteilen geprägt ist. Selbst wenn eine große Anzahl von Experten über einen langen Zeitraum positive Ergebnisse mit einer Methode erzielt – bzw. zu erzielen glaubt –, bedeutet dies nicht, dass die Methode tatsächlich wirksam ist.19 Scheinbare Erfolge können sich einerseits durch Placebo-Effekte, andererseits durch sog. Confirmation Bias einstellen, bei der Ergebnisse im Sinne einer bestimmten Auffassung fehlinterpretiert werden. Auch Spontanheilungen oder Wirkungen unerkannter Drittursachen können zu einer Verzerrung der Erkenntnisse beitragen. Um einen möglichst objektiven Blick auf erprobte ebenso wie neue Methoden zu erreichen, wurde die Methode der „Evidence based medicine“, der evidenzbasierten Medizin entwickelt.20

Die evidenzbasierte Medizin ist eine empirische Methode, mit der die konsequente Umsetzung des Wissenschaftlichkeitsprinzips in der Medizin angestrebt wird.21 Theorien, die für sich in Anspruch nehmen, wissenschaftlich zu sein, aber weder verifizierbar noch falsifizierbar sind, werden demgegenüber als pseudo-wissenschaftlich abgelehnt.22 Evidenz bedeutet in diesem Sinne nicht, dass keinerlei Zweifel mehr an der Wirksamkeit der Methode bestehen.23 Vergleichbar ist sie eher den im Prozessrecht vorausgesetzten Beweisanforderungen, also einer für den praktischen Gebrauch ausreichenden Wahrscheinlichkeit, die Zweifeln Schweigen gebietet.24

Angestrebt wird in der evidenzbasierten Medizin stets die bestmögliche Evidenz.25 Dies hat u.a. zur Folge, dass nach bisherigen Erkenntnissen wirksame Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden aufgrund verbesserter Erkenntnismethoden einer Neuüberprüfung zu unterwerfen sein können. Mögliche Fehlerquellen in Studien werden identifiziert und in die Bewertung mit einbezogen.26 Maßgeblich ist die externe Evidenz, die sich aus Befunden aus Studien und der wissenschaftlichen Literatur ergibt, im Gegensatz zur internen Evidenz, den Gründen, die zur subjektiven Überzeugung des Arztes (oder Patienten) von einer Methode führen und ← 23 | 24 → bei denen Placebo- und Bias-Effekte kaum vermeidlich sind.27 Die interne Evidenz ist aber ergänzend zu berücksichtigen, um eine rein schematische Behandlung zu verhindern.28

Die evidenzbasierte Medizin nimmt eine Einordnung der jeweiligen medizinischen Methoden entsprechend der Evidenz ihrer Wirksamkeit in Evidenzklassen bzw. -stufen vor.29 Die höchste Evidenzstufe I verlangt randomisierte, kontrollierte Studien (RCT30), wobei der Idealfall der Stufe Ia eine Metastudie in Form einer systematischen Übersicht von randomisierten, kontrollierten Studien voraussetzt, während für Stufe Ib eine einzelne randomisierte und kontrollierte Studie genügt. Auch in den Evidenzklassen II und III wird zwischen Studienübersichten (IIa/IIIa) und Einzelstudien (IIb/IIIb) unterschieden. Die Evidenz der Stufe II wird auf Kohortenstudien gestützt. Alternativ kommen randomisierte kontrollierte Studien in Betracht, die methodische Mängel haben und den strengen Anforderungen der Evidenzklasse I nicht genügen. Stufe III setzt kontrollierte Fall-Kontrollstudien voraus. Nicht kontrollierte Fall-Serien führen ebenso wie Kohortenstudien mit methodischen Mängeln zur Stufe IV. Stufe V basiert schließlich auf Konsensuskonferenzen bzw. klinischer Erfahrung anerkannter Autoritäten. Von Evidenz lässt sich hier nur im weiteren Sinne sprechen.31

Ein bedeutendes Problem bei der Bewertung medizinischer Methoden ist der Placebo-Effekt, demzufolge allein die Erwartung einer Heilwirkung eine solche auslösen kann.32 Auch das bloße Vertrauen des Patienten in den Arzt kann positive Auswirkungen haben.33 Daher gilt auch die Verblindung kontrollierter Studien, die eben diese Effekte ausschließen soll, als entscheidendes Qualitätskriterium zur Studienbewertung.34

Unterschieden wird zwischen einfacher Verblindung, bei der der Patient selbst nicht weiß, ob er der Test- oder Kontrollgruppe angehört, doppelter Verblindung, bei der auch dem Behandelnden die Zugehörigkeit unbekannt ist, und dreifacher Verblindung, bei der auch die Personen, die für die Auswertung der Daten verantwortlich sind, keine Kenntnis von der Gruppenzugehörigkeit haben.35 ← 24 | 25 →

Kritik an der evidenzbasierten Medizin löst die Tatsache aus, dass diese „ganzheitliche“ Ansätze außer Betracht lässt. Die individualisierte Medizin, wie sie etwa in der Homöopathie und anthroposophischen Medizin üblich ist, werde nicht hinreichend gewürdigt.36 Zudem bedeute die evidenzbasierte Medizin eine Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit37 und behindere durch Formalisierung den Fortschritt.38

3.  Alternativ- und Komplementärmedizin

Methoden, die nicht der „Schulmedizin“ angehören, deren Wirksamkeit also nicht wissenschaftlich nachweisbar ist und deren Vertreter diesen Nachweis auch nicht anstreben, werden als „Alternativmedizin“ bezeichnet.39 Der Begriff der „Komplementärmedizin“ beschreibt die Anwendung nicht schulmedizinischer neben schulmedizinisch anerkannten Methoden, also als Ergänzung derselben.40

III.  Rechtsquellen

1.  Sonderregelungen bezüglich der besonderen Therapierichtungen

Für die besonderen Therapierichtungen sehen SGB V und AMG verschiedene Sonderregelungen vor, mit denen die von ihren Vertretern angenommene unterschiedliche Wirkungsweise gegenüber der Schulmedizin gewürdigt werden soll. Die Einzelheiten werden jeweils in den folgenden Kapiteln näher dargestellt.

a)  AMG

Relevant wird der Begriff der besonderen Therapierichtung zunächst im Arzneimittelzulassungsrecht (Kap. 3). Während das Zulassungsverfahren für Arzneimittel grundsätzlich recht stark formalisiert ist, bestehen für die im Gesetz genannten Therapierichtungen – Homöopathie, anthroposophische Medizin und Phytotherapie – verschiedene Verfahrenserleichterungen. Hierdurch wird einerseits die Mitwirkung der Interessenverbände gewahrt, andererseits aber auch dem Umstand Rechnung getragen, dass das umfangreiche und kostenintensive Zulassungsverfahren angesichts der geringen Gefahren, die insbesondere von Homöopathika im ← 25 | 26 → Hochpotenzbereich und traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln ausgehen, unverhältnismäßig erscheint.41

aa)  Registrierung homöopathisch erstellter Zubereitungen

Grundsätzlich dürfen Arzneimittel gemäß § 21 I AMG nur nach Zulassung durch die zuständige Bundesoberhörde in den Verkehr gebracht werden. Demgegenüber genügt gemäß § 38 I 1, 2 AMG für homöopathische Arzneimittel eine bloße Registrierung bei derselben Behörde. In den in § 39 II AMG aufgeführten Fällen steht dieses vereinfachte Verfahren42 jedoch nicht zur Verfügung. Insbesondere sind homöopathische Arzneimittel dann zulassungsbedürftig, wenn eine Verdünnung der Ursubstanz von weniger als 1:10.000 vorliegt bzw. der Wirkstoffgehalt 1% der für die Zulassung „allopathischer“ – nicht homöopathischer – (s. hierzu B I 2) Arzneimittel maßgeblichen Grenze erreicht (Nr. 5b) oder deren Wirkstoff (bzw. einer deren Wirkstoffe) nicht allgemein als homöopathisches oder anthroposophisches Arzneimittel bekannt ist (Nr. 7a). Aus der Erwähnung der anthroposophischen Medizin wird deutlich, dass sich §§ 38 f. AMG nicht auf die Homöopathie als besondere Therapierichtung beziehen, sondern allgemein auf nach homöopathischen Methoden hergestellte Arzneien.

bb)  Registrierung traditioneller pflanzlicher Arzneimittel

Eine ähnliche Regelung trifft nunmehr § 39a I AMG auch für traditionelle pflanzliche Arzneimittel, um die Phytotherapie vor als übermäßig empfundener Regulierung zu schützen.43 Auch hier genügt eine Registrierung. Die Begriffe „pflanzlich“ und „phytotherapeutisch“ können hierbei synonym gebraucht werden. Die Definition pflanzlicher Arzneimittel enthält § 4 XXIX AMG. Voraussetzung ist demnach, dass die Arznei ausschließlich pflanzliche Stoffe und Zubereitungen als Wirkstoffe enthält. Pflanzliche Stoffe i.S.d. § 4 XXIX AMG sind gemäß Art. 1 Nr. 31 der Richtlinie 2001/83/EG nicht etwa chemisch isolierte Wirkstoffe pflanzlicher Herkunft, sondern die Pflanzen oder Pflanzenteile selbst.44 Nach § 39a I 2 AMG steht der Zusatz von Vitaminen oder Mineralstoffen einer Einstufung als traditionelles pflanzliches Arzneimittel nicht entgegen, wenn diese die Wirkung des Arzneimittelwirkstoffes anwendungsbezogen ergänzen.

Das vereinfachte Verfahren der §§ 39a ff. AMG wird jedoch nicht bei jedem Phytopharmakum angewandt, sondern ausschließlich bei „traditionellen“ pflanzlichen Arzneimitteln. Das Attribut „traditionell“ lässt sich hierbei nicht einfach in Abgrenzung zur Wirkstoffisolation auffassen, da die Verwendung ganzer Pflanzen (bzw. Teilen oder Zubereitungen dieser) schon Voraussetzung des pflanzlichen ← 26 | 27 → Arzneimittels ist. Hinzukommen muss eine konkrete Tradition medizinischer Anwendung. Zur Auslegung herangezogen wird Art. 16c Abs. 1 c) RL 2001/83/EG, sodass sich der medizinische Gebrauch über einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren erstreckt haben muss, davon 15 Jahre innerhalb der EU.45 Ähnlich wie bei homöopathischen Arzneimitteln zählt § 39c II AMG diverse Versagungsgründe auf, bei deren Vorliegen auf eine Zulassung nicht verzichtet werden kann. Aufgrund dieser Einschränkung sind Phytotherapie und Anwendung traditioneller pflanzlicher Arzneimittel nicht deckungsgleich. Ebenso wie bei der Homöopathie können die Definitionen des AMG daher allenfalls sehr bedingt zur Bestimmung der Therapierichtung „Phytotherapie“ herangezogen werden.

cc)  Zulassungs- und Aufbereitungskommissionen

Soweit Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen zulassungsbedürftig sind, bestehen gleichwohl Sonderregelungen, damit die jeweiligen Besonderheiten – die gemäß § 25 II 4 AMG bei der Beurteilung der Versagungsgründe zu berücksichtigen sind – nicht einfach (etwa aus Unkenntnis) übergangen werden.46 Nach § 25 VI AMG ist eine Zulassungskommission zu hören, in die spezialisierte Sachverständige der einzelnen Therapierichtungen berufen werden.

Bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (§ 25 VII 4 AMG) und der Zulassung von Arzneimitteln für Kinder und Jugendliche (§ 25 VIIa 8 AMG) kommen der zuständigen Aufbereitungskommission47 ebenfalls erweiterte Kompetenzen zu.

Die Bundesbehörde kann jeweils entgegen der Stellungnahme der Kommission entscheiden, ist in diesem Fall jedoch zur Begründung verpflichtet (§ 25 VI 3, VII 5, VIIa 6 AMG).

b)  SGB V

Während die Sonderregelungen der besonderen Therapierichtungen im AMG den Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen lediglich einen vereinfachten Marktzugang verschaffen, dienen die im SGB V getroffenen Sonderregelungen der Umsetzung der Therapievielfalt im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen.48

aa)  Allgemeine Bestimmungen

Gemäß § 2 I 2 SGB V sind Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen nicht von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen. Die Auslegung dieser Vorschrift kann als die umstrittenste Frage im Recht der besonderen Therapierichtungen gelten (vgl. Kap. 4 B). Eine besondere Ausprägung ← 27 | 28 → dieses Problems findet sich in § 34 I 3 SGB V, nach welchem bei der Verordnung nicht verschreibungspflichtiger Medikamente der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen ist (vgl. Kap. 4 E).

bb)  Wahltarife

Die gesetzlichen Krankenversicherungen können gemäß § 53 V SGB V Wahltarife anbieten, welche auch die grundsätzlich nach § 34 I SGB V ausgeschlossenen nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen abdecken (vgl. Kap. 4 H).

cc)  Verpflichtungen des G-BA

Gemäß §§ 92 ff., 135 ff. SGB V kann der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Richtlinien erlassen, durch welche das Wirtschaftlichkeitsgebot der §§ 12, 70 SGB V konkretisiert wird. Das Gesetz enthält allerdings auch hier Sonderregelungen, die einen Ausschluss der besonderen Therapierichtungen verhindern sollen (vgl. Kap. 4 C). Insbesondere ist bei Richtlinien über neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-Richtlinien) gemäß § 135 I der jeweilige wissenschaftliche Stand innerhalb der Therapierichtung maßgeblich.

2.  Sonstige Regelungen der Alternativmedizin

Außerhalb des AMG und SGB V finden sich weitere Regelungen, die für alternativmedizinische Methoden relevant sind, jedoch auf das Konzept der besonderen Therapierichtungen überwiegend verzichten. Auch insoweit werden die Einzelheiten jeweils in den folgenden Kapiteln erörtert.

a)  EBM und Gebührenordnungen

Die Einheitlichen Bewertungsmaßstäbe (EBM-Ä, BEMA) enthalten keine besonderen Regelungen alternativmedizinischer Therapieformen.49 Gleiches gilt für die Gebührenordnungen (GOÄ, GOZ). Letztere enthalten jeweils in § 1 II das Erfordernis der medizinischen Notwendigkeit. Die Bedeutung dieses Kriteriums für alternativmedizinische Methoden bedarf der näheren Erörterung.50

b)  VVG und Musterbedingungen

Details

Seiten
350
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631728864
ISBN (ePUB)
9783631728871
ISBN (MOBI)
9783631728888
ISBN (Hardcover)
9783631728857
DOI
10.3726/b11451
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Oktober)
Schlagworte
Allgemeine Anerkennung Wissenschaftlichkeit Therapiefreiheit Therapievielfalt Schulmedizin
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017., 350 S.

Biographische Angaben

Mathias Benedix (Autor:in) Stefan Greiner (Band-Herausgeber:in)

Mathias Benedix hat Rechtswissenschaft an der Universität zu Köln studiert und wurde an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn promoviert. Er ist als Justitiar und Redakteur einer sozialrechtlichen Fachzeitschrift tätig.

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Titel: Die besonderen Therapierichtungen und der Neutralitäts- und Objektivitätsanspruch des Staates
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