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Aristoxenos und Pythagoras

Ein elementarmathematischer Streifzug durch die Geschichte der musikalischen Skalen und Intervalle

von Walter Bühler (Autor:in)
©2017 Monographie 512 Seiten

Zusammenfassung

Das Nachdenken über Musik ist seit der Antike eng mit der Mathematik verbunden. Auf seinem interdisziplinären Streifzug durch die gemeinsame Geschichte dieser beiden Disziplinen beschränkt sich das Buch nicht auf Pythagoras und die platonische Tradition, sondern bezieht Aristoxenos und die aristotelische Tradition gleichberechtigt in die Betrachtung ein. Der Streifzug, der auch ein historisches Gesamtbild vermitteln will, beginnt in der Antike und endet in der Barockzeit mit den Gedanken Werckmeisters zu Stimmung und Temperatur. Mehrere wichtige historische Werke der Musiktheorie werden dabei kritisch untersucht, und zwar besonders in rechnerischer Hinsicht. Dadurch erscheint nicht nur die Musiktheorie, sondern manchmal auch die Geschichte der Mathematik in einem ungewohnten Licht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorwort
  • Teil I
  • I. Einführung
  • I.1 Kommunikation, Sprache, Musik
  • I.2 Die musikalische Kommunikation
  • I.3 Mathematische Modellbildungen für musikalische Intervalle und Skalen
  • Teil II
  • II. Musiktheorie in der Antike
  • II.1 Zum Umfeld der antiken Musiktheorie
  • II.2 Zur Musikpraxis im antiken Griechenland
  • II.3 Aristoxenische Musiktheorie
  • II.4 Pythagoreische Musiktheorie
  • Teil III
  • III. Spätantike Weiterentwicklungen
  • III.1 Klaudios Ptolemaios
  • III.2 Boethius
  • III.3 Aristoxenische Elemente in der neuplatonischen Musiktheorie
  • Teil IV
  • IV. Christliches Mittelalter und frühe Renaissance
  • IV.1 Frühe christliche Musiktheorie
  • IV.2 Zur Entstehung des Liniensystems
  • IV.3 Diatonische Intervallklassen
  • IV.4 Oktavgattungen und Modi
  • IV.5 Orgel und Mehrstimmigkeit
  • IV.6 Neue Entwicklungen in der Musiktheorie der frühen Renaissance
  • IV.7 Zur Entstehung des Humanismus in der Renaissance
  • Teil V
  • V. Das natürliche System der späten Renaissance
  • V.1 Die Anerkennung von Terzen und Sexten als Konsonanzen
  • V.2 Ludovico Fogliano und das natürliche System
  • V.3 Das natürliche System aus heutiger Sicht
  • V.4 Temperatur als neues Thema der Musiktheorie
  • V.5 Das natürliche System und die Vokalmusik
  • V.6 Natürliche Auswahlstimmungen und Foglianos Temperatur
  • V.7 Gioseffo Zarlino
  • V.8 Vincenzo Galilei
  • Teil VI
  • VI. Frühe reguläre Temperaturen des natürlichen Systems
  • VI.1 Grundfragen
  • VI.2 Relative Lage von regulären Temperaturen
  • VI.3 Indirekte Temperatur mit regulären Oktavteilungen
  • VI.4 Reguläre Stimmungen
  • VI.5 Das gleichmäßige Zwölfersystem im Saitenlängenmodell
  • Teil VII
  • VII. Neue Legitimationen für das natürliche System
  • VII.1 Legitimationen vor dem Hintergrund protestantischer Theologie
  • VII.2 Eine physikalische Legitimation: Die Koinzidenztheorie
  • Teil VIII
  • VIII. Mathematische Besonderheiten des natürlichen Systems und seiner Temperatur
  • VIII.1 Zur Entdeckung der Logarithmen
  • VIII.2 Kreisdiagramme für diatonische Auswahlskalen aus N
  • VIII.3 Temperatur der natürlichen Basisoktave durch optimale Oktavteilungen
  • VIII.4 Unterschiedliche Basen für das natürliche System
  • Teil IX
  • IX. Irreguläre Stimmungen
  • IX.1 Natürliche Auswahlstimmungen und ihre Temperatur
  • IX.2 Rechnen mit reinen Parametern von Stimmungen
  • IX.3 Werckmeisters wohltemperierte Stimmungen
  • IX.4 Die Werckmeister-Stimmungen von 1691
  • Teil X
  • X. Nachwort
  • Anhang
  • Anhang
  • A.1 Drei Konstruktionen für zwei mittlere Proportionale
  • A.2 „Pro clavicordiis faciendis“ (Ms 554, f. 202v der Universitätsbibliothek Erlangen)
  • A.3 Die einfachsten Proportionen aus der natürlichen Basisoktave
  • Literaturverzeichnis
  • Personen
  • Begriffe

Walter Bühler

Aristoxenos und Pythagoras

Ein elementarmathematischer Streifzug durch die Geschichte der
musikalischen Skalen und Intervalle

Autorenangaben

Walter Bühler studierte Mathematik und Physik in Tübingen und unterrichtete zuletzt auch Informatik an Berliner Gymnasien. Neben und nach der Berufstätigkeit hat er sich mit der Musiktheorie im Werk von Gottfried Wilhelm Leibniz und von anderen Naturwissenschaftlern auseinandergesetzt.

Über das Buch

Das Nachdenken über Musik ist seit der Antike eng mit der Mathematik verbunden. Auf seinem interdisziplinären Streifzug durch die gemeinsame Geschichte dieser beiden Disziplinen beschränkt sich das Buch nicht auf Pythagoras und die platonische Tradition, sondern bezieht Aristoxenos und die aristotelische Tradition gleichberechtigt in die Betrachtung ein. Der Streifzug, der auch ein historisches Gesamtbild vermitteln will, beginnt in der Antike und endet in der Barockzeit mit den Gedanken Werckmeisters zu Stimmung und Temperatur. Mehrere wichtige historische Werke der Musiktheorie werden dabei kritisch untersucht, und zwar besonders in rechnerischer Hinsicht. Dadurch erscheint nicht nur die Musiktheorie, sondern manchmal auch die Geschichte der Mathematik in einem ungewohnten Licht.

Zitierfähigkeit des eBooks

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Inhalt

Vorwort

I. Einführung

I.1 Kommunikation, Sprache, Musi

I.2 Die musikalische Kommunikation

I.3 Mathematische Modellbildungen für musikalische Intervalle und Skalen

II. Musiktheorie in der Antike

II.1 Zum Umfeld der antiken Musiktheorie

II.2 Zur Musikpraxis im antiken Griechenland

II.3 Aristoxenische Musiktheorie

II.4 Pythagoreische Musiktheorie

III. Spätantike Weiterentwicklungen

III.1 Klaudios Ptolemaios

III.2 Boethius

III.3 Aristoxenische Elemente in der neuplatonischen Musiktheorie

IV. Christliches Mittelalter und frühe Renaissance

IV.1 Frühe christliche Musiktheorie

IV.2 Zur Entstehung des Liniensystems

IV.3 Diatonische Intervallklassen

IV.4 Oktavgattungen und Modi

IV.5 Orgel und Mehrstimmigkeit←5 | 6→

IV.6 Neue Entwicklungen in der Musiktheorie der frühen Renaissance

IV.7 Zur Entstehung des Humanismus in der Renaissance

V. Das natürliche System der späten Renaissance

V.1 Die Anerkennung von Terzen und Sexten als Konsonanzen

V.2 Ludovico Fogliano und das natürliche System

V.3 Das natürliche System aus heutiger Sicht

V.4 Temperatur als neues Thema der Musiktheorie

V.5 Das natürliche System und die Vokalmusi

V.6 Natürliche Auswahlstimmungen und Foglianos Temperatur

V.7 Gioseffo Zarlino

V.8 Vincenzo Galilei

VI. Frühe reguläre Temperaturen des natürlichen Systems

VI.1 Grundfragen

VI.2 Relative Lage von regulären Temperaturen

VI.3 Indirekte Temperatur mit regulären Oktavteilungen

VI.4 Reguläre Stimmungen

VI.5 Das gleichmäßige Zwölfersystem im Saitenlängenmodell

VII. Neue Legitimationen für das natürliche System

VII.1 Legitimationen vor dem Hintergrund protestantischer Theologie

VII.2 Eine physikalische Legitimation: Die Koinzidenztheorie←6 | 7→

VIII. Mathematische Besonderheiten des natürlichen Systems und seiner Temperatur

VIII.1 Zur Entdeckung der Logarithmen

VIII.2 Kreisdiagramme für diatonische Auswahlskalen aus N

VIII.3 Temperatur der natürlichen Basisoktave durch optimale Oktavteilungen

VIII.4 Unterschiedliche Basen für das natürliche System

IX. Irreguläre Stimmungen

IX.1 Natürliche Auswahlstimmungen und ihre Temperatur

IX.2 Rechnen mit reinen Parametern von Stimmungen

IX.3 Werckmeisters wohltemperierte Stimmungen

IX.4 Die Werckmeister-Stimmungen von 1691

X. Nachwort

Anhang

A.1 Drei Konstruktionen für zwei mittlere Proportionale

A.2 „Pro clavicordiis faciendis“ (Ms 554, f. 202v der Universitätsbibliothek Erlangen)

A.3 Die einfachsten Proportionen aus der natürlichen Basisoktave

Literaturverzeichnis

Personen

Begriffe←7 | 8→ ←8 | 9→

Vorwort

Harmonie ist Einheit in der Vielheit.

G. W. Leibniz.1

Wie die beiden Bücher, die vor wenigen Jahren im gleichen Verlag erschienen sind, beschäftigt sich auch das vorliegende Buch mit der gemeinsamen Geschichte von Musiktheorie und elementarer Mathematik innerhalb der europäischen Tradition. Es umfasst den großen Zeitraum von der Antike bis in die beginnende Neuzeit und enthält somit gewissermaßen die Vorgeschichte zu meinem ersten Buch, das sich mit den Naturwissenschaftlern der frühen Neuzeit auseinandersetzt [Bühler 2013]. Erstes und drittes Buch bilden in diesem Sinne eine Einheit. Der Ausschnitt aus der Kulturgeschichte, der hierbei über die Grenzen mehrerer Fächer hinweg durchstreift wird, ist zwar thematisch eng begrenzt, vermag aber schon seit vielen Jahrhunderten eine ungewöhnliche Faszination zu entfalten.

Der in diesem Buche unternommene Streifzug bietet demnach in erster Linie eine historische Erzählung aus jenem speziellen Bereich der Geschichte der Musiktheorie, wie er etwa in den Bänden der gleichnamigen Reihe des Staatlichen Instituts für Musikforschung in Berlin beschrieben wird. Die Auswahl der Stationen für diesen Streifzug, ihre Darstellung und ihre Einbettung in den kulturhistorischen Hintergrund trägt wie die Erzählung selbst unvermeidbar subjektive Züge, und ich will und kann keinen Anspruch auf thematische Vollständigkeit erheben. Natürlich will ich in erster Linie etwas von der Faszination weitergeben, welche die historischen Quellen auf mich ausüben, obwohl oder weil sie vor so langer Zeit geschrieben worden sind. Darüber hinaus soll die Erzählung aber auch den historischen Besonderheiten der angrenzenden Fachgebiete und besonders der Mathematik gerecht werden.

Nach meinem Eindruck haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte einige wichtige neue Erkenntnisse und Akzentverlagerungen in der Geschichte der Musiktheorie durchgesetzt. Mein historischer Streifzug will diese Veränderungen nachzeichnen, soweit sie für die Anwendung der Elementarmathematik in der Musik wichtig sind. Dadurch erscheint die Musiktheorie innerhalb der Geschichte der Fächer Mathematik und Physik ebenfalls in einem veränderten Licht. Wie in der Wahl des Buchtitels zum Ausdruck kommt, hat nach meinem Eindruck Aristoxenos für die antike Musiktheorie (und damit für das ganze Gebiet der Skalen, Stimmungen und Temperaturen) inzwischen eine mindestens ebenso große Bedeutung gewonnen wie die altbekannte Gestalt des Pythagoras. Die pythagoreisch-platonische Tradition in der Musiktheorie wird deshalb in diesem Buch insgesamt einer kritischen und eher skeptischen Betrachtung unterzogen. Die grundsätzliche Frage, wie und in←9 | 10→ welchem Umfang Mathematik überhaupt für die Beschreibung musikalischer Skalen verwendet werden kann, wird in diesem Zusammenhang nicht – wie es heute noch weithin üblich ist – mit physikbasierten Begründungen beantwortet, sondern primär mit Argumenten aus dem Bereich der Kommunikation.

Elementarbildung ist bekanntlich dann erfolgreich, wenn der Stoff so gründlich gelernt wird, dass der Lernende ihn am Ende des Bildungsprozesses für selbstverständlich hält. Wenn man einen solchen elementaren Stoff – wie es hier ja in gewissem Umfange versucht werden soll – neu interpretieren will, muss man ihn auf der einen Seite in seiner neuen Gestalt so einleuchtend präsentieren, dass in jedem Leser die Bereitschaft und Neugier geweckt werden kann, wenigstens temporär die erlernten Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen. Auf der anderen Seite muss man die Abweichung von der gewohnten Perspektive so zu begründen versuchen, dass auch jene Leser zustimmen können, die über weitergehende Fachkenntnisse auf diesem Gebiet verfügen. Beides hat mich dazu gebracht, jede Station, die ich im Laufe der Erzählung vorstelle, mit großer Ausführlichkeit zu beschreiben. In diesem Buch wird daher vieles explizit thematisiert, was bei anderen Autoren als Selbstverständlichkeit gilt. Insbesondere werden in größerem Umfang Quellentexte zitiert und diskutiert. Da deren Übersetzung prinzipiell einer Kontrolle durch den kritischen Leser zugänglich gemacht werden soll, werden in den Anmerkungen gewöhnlich die Originalzitate geboten.

Das Buch will Leser aus mehreren Fachrichtungen ansprechen und sie auf Perspektiven aufmerksam machen, die sich in den jeweils fremden Fachgebieten auftun. Auch wenn die Art der Argumentation, die exemplarische Detailfreudigkeit, die explizite Einbeziehung von Rechnungen und die große Anzahl der Fußnoten an manchen Stellen einen anderen Eindruck hervorrufen werden, kann es sich wegen der fächerübergreifenden Intention im Prinzip nur um ein populärwissenschaftliches Buch handeln, das innerhalb der Allgemeinbildung und damit in der Umgangssprache zu argumentieren versucht.

Das Thema selbst mutet dem Leser immer wieder einen Wechsel zu, nämlich zwischen der historischen Erzählung auf der einen und der Darstellung mathematischer Sachverhalte auf der anderen Seite. In den historischen Quellen sind diese beiden Argumentationsstränge von alters her eng miteinander verflochten. Das macht für mich persönlich einen Teil ihres Reizes aus. Mir ist aber natürlich klar, dass der rechnerisch geprägte Strang für den heutigen Leser die flüssige Lesbarkeit beeinträchtigt, und dass selbst ein interessierter und wohlwollender Leser nur selten die Zeit und die Geduld aufbringen kann, sich über die historische Erzählung hinaus auch noch auf mathematische Einzelfragen einzulassen, selbst wenn man sich auf elementare mathematische Aspekte beschränkt. Deshalb werden auch interessierte Leser über entsprechende Passagen oft einfach hinweglesen.

Dennoch will ich mir als ehemaliger Mathematiklehrer wie schon in den beiden anderen Büchern weiterhin den Luxus leisten und daran festhalten, dass auch im rechnerischen Bereich jeder Leser prinzipiell die Gelegenheit erhalten soll, alle Gedankengänge unabhängig von ihrer fachlichen Zuordnung im Rahmen seiner Allgemeinbildung selbst nachvollziehen zu können. Die exemplarische Detailfreude,←10 | 11→ die sicherlich meiner früheren pädagogischen Tätigkeit entspringt, erstreckt sich daher in diesem Buche nicht nur auf die allgemeine historische Rahmenerzählung und auf die fächerübergreifende Geschichte der Musiktheorie, der Mathematik und der Naturwissenschaften, sondern auch auf den Bereich der elementaren mathematischen Modellbildung.

In diesem Sinne muss sich die Darstellung der mathematischen Inhalte demnach am Niveau der heutigen Allgemeinbildung orientieren. Bis auf die Rechnungen mit Matrizen in Abschnitt VIII.4 beschränke ich mich daher stets auf die Elementarmathematik, wie man sie an einem Gymnasium erlernen kann, und ich hoffe, dass für eine gründliche Lektüre dieses Buches, die auf das eigenständige Nachvollziehen der rechnerischen Abschnitte nicht verzichtet, kein Studium der Mathematik erforderlich ist. Um diese Nachvollziehbarkeit ein wenig zu erleichtern und um die Lesbarkeit nicht noch stärker zu beeinträchtigen, wird bei der formalen Darstellung mathematischer Sachverhalte weitgehend auf die historische Detailtreue verzichtet und eine moderne Schreibweise bevorzugt.

Nun habe ich bereits in meinem zweiten Buch den Versuch unternommen, die rechnerische Untersuchung von Skalen, Stimmungen und Intervallsystemen, wie sie nach meiner Meinung in einem historischen Kontext erfolgen sollte, möglichst kompakt und systematisch im Stil eines Rechenkompendiums darzustellen [Bühler 2014]. Die Grundgedanken beruhen auf den harmonischen Gleichungen im Treppenmodell, die Leibniz in seinen Manuskripten verwendet hat. Ergänzt mit einigen Gedanken von Conrad Henfling führen diese Gleichungen auf das Konzept des diatonischen Algorithmus, mit welchem sich meiner Meinung nach konsonanzbasierte Intervallsysteme gut beschreiben lassen. In jenem Rechenkompendium findet man gewissermaßen das systematische Gerüst, welches die vorliegende historische Erzählung zu tragen vermag. Im vorliegenden Buch kann man daher auf jenes Gerüst zurückgreifen und so den sperrigen mathematisch-rechnerischen Anteil im Text ein wenig reduzieren. Der Leser wird deshalb an vielen Stellen unter dem Kürzel RK [=Bühler 2014] auf die 68 Paragraphen dieses Rechenkompendiums verwiesen. Wie schon erwähnt, werden nur im Abschnitt VIII.4 Betrachtungen angestellt, die ein wenig über RK hinausgehen. Man kann es daher auch umgekehrt sagen: das vorliegende Buch enthält – wie am Ende der Einleitung von RK bereits angekündigt – eine ausführlichere Begründung für viele Thesen, die in RK selbst nur knapp angedeutet werden konnten.

Dem Leser bleibt nun das Urteil überlassen, ob und wie weit meine Ziele in diesem Buch tatsächlich erreicht werden, und ob sich meine Begründungen für eine aristoxenische Sicht auf das Thema am Ende überhaupt als stichhaltig erweisen. Da aber von der Antike bis zum 17. Jahrhundert die Mehrzahl aller erhaltenen Quellen der pythagoreischen Tradition angehören, beschäftigt sich das vorliegende Buch ausführlich und gründlich gerade mit jenen Intervallsystemen und Stimmungen, die den Kernbestand der pythagoreischen Tradition ausmachen, nämlich mit dem antiken pythagoreischen System P, mit dem natürlichen System N von Zarlino sowie mit den zugehörigen Temperaturen. Daher kann auch ein Leser, der sich meiner kritischen Bewertung der pythagoreischen Tradition letztlich nicht anschließen←11 | 12→ kann, dieses Buch letztlich doch mit Gewinn lesen, weil ihm eine ungewohnte Perspektive auf diese Systeme geboten wird. In diesem Sinne empfehle ich das Buch mit all seinen Ecken, Kanten, Untiefen und Windungen dem Wohlwollen und der kritischen Prüfung des geneigten Lesers.

Berlin, den 21.5.2017 Walter Bühler←12 | 13→


1 Leibniz, Elementa verae pietatis, A VI, 4, Nr. 256, S. 1358: „Harmonia est unitas in varietate.

Teil I

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I. Einführung

Die Worte entquillen freiwillig, ohne Noth und Absicht, der Brust, und es mag wohl in keiner Einöde eine wandernde Horde gegeben haben, die nicht schon ihre Lieder besessen hätte. Denn der Mensch, als Thiergattung, ist ein singendes Geschöpf, aber Gedanken mit den Tönen verbindend.

Wilhelm von Humboldt2.

I.1 Kommunikation, Sprache, Musik

Die Musik ist wie die Sprache eine spezielle Form der menschlichen Kommunikation. Soweit wir Menschen überhaupt auf unsere eigene Geschichte zurückblicken können, können wir uns nur vorstellen, dass beide Formen immer ganz selbstverständlich benutzt worden sind. Johann Nikolaus Forkel schreibt 1788, in der Frühphase der Klassik, im ersten Kapitel seiner allgemeinen Geschichte der Musik: „ Alles, was man mit Gewißheit vom Ursprung der Musik sagen und behaupten kann, ist ungefähr nur so viel: daß die Musik ein eben so nothwendiger Theil unseres Wesens ist, als unsere Sprache. Sie ist die Sprache unseres Herzens, und den Keim derselben bringt jeder Mensch, bey seinem Eintritt in diese Welt, mit sich.3

Über die Sprache schreibt andererseits Wilhelm von Humboldt wenig später am Anfang des 19. Jahrhunderts: „In dem gleichsam nur vegetativen Daseyn des Menschen auf dem Erdboden treibt die Hülfsbedürftigkeitt des Einzelnen zur Verbindung mit Anderen und fordert zur Möglichkeit gemeinschaftlicher Unternehmungen das Verständnis durch Sprache. Ebenso aber ist die geistige Ausbildung, auch in der einsamsten Abgeschlossenheit des Gemüths, nur durch diese letztere möglich, und die Sprache verlangt, an ein äusseres, sie verstehendes Wesen gerichtet zu werden. Der articulierte Laut reisst sich aus der Brust los, um in einem anderen Individuum einen zum Ohre zurückkehrenden Anklang zu wecken. Zugleich macht der Mensch dadurch die Entdeckung, dass es Wesen gleicher innerer Bedürfnisse und daher fähig, der in seinen Empfindungen liegenden mannigfachen Sehnsucht zu begegnen, um ihn her giebt.“ 4

Details

Seiten
512
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631730911
ISBN (ePUB)
9783631730928
ISBN (MOBI)
9783631730935
ISBN (Paperback)
9783631724293
DOI
10.3726/b11883
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (März)
Schlagworte
Mathematikgeschichte Mathematische Methodenbildung Musikalische Temperatur Musikalische Intervallsysteme Antike Mittelalter Frühe Neuzeit
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 512 S., 50 s/w Abb., 85 s/w Graf., 75 s/w Tab.

Biographische Angaben

Walter Bühler (Autor:in)

Walter Bühler studierte Mathematik und Physik in Tübingen und unterrichtete zuletzt auch Informatik an Berliner Gymnasien. Neben und nach der Berufstätigkeit hat er sich mit der Musiktheorie im Werk von Gottfried Wilhelm Leibniz und von anderen Naturwissenschaftlern auseinandergesetzt.

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Titel: Aristoxenos und Pythagoras
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