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Friede und Recht

Studien zur Genese des frühmittelalterlichen Herrscher- und Tugendideals in der lateinischen Literatur der römischen Antike und des frühen Mittelalters

von Thorsten Thielen (Autor:in)
©2017 Dissertation 874 Seiten
Reihe: Rechtshistorische Reihe, Band 471

Zusammenfassung

Friede und Recht – mit keinem anderen Begriffspaar lassen sich Rechtfertigung und Anspruch mittelalterlicher Herrschaft besser beschreiben. In frühmittelalterlichen Volksrechten (leges), Urkunden, Fürstenspiegeln oder der Landfriedensbewegung dient es regelmäßig als Legitimationsgrundlage und Tugendnachweis. Der Autor widmet sich den römischen und christlichen Wurzeln dieser mittelalterlichen Legitimationsstrategie. Er stellt die Entwürfe der antiken und frühmittelalterlichen Literatur vom ersten vorchristlichen Jahrhundert bis zum siebten Jahrhundert dar. Neben der Rechtfertigung der Alleinherrschaft durch römisch-heidnische Autoren steht vor allem der Einfluss des Christentums im Mittelpunkt, der zuletzt in die römisch-christliche Herrschaftsideologie des Mittelalters einmündet.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhalt
  • A. Einleitung
  • I. Gegenstand
  • 1. Tugendherrschaft in Herrschaftsakten und mittelalterlicher Fürstenspiegelliteratur
  • 2. Ursprünge der mittelalterlichen Tugendideologie
  • II. Gang der Darstellung
  • 1. Erfasste Werke
  • 2. Zeitlicher Rahmen
  • 3. Beschränkung des Forschungsgegenstandes
  • 4. Dogmatischer Ansatz
  • III. Struktur
  • IV. Quellenauswahl
  • 1. Römische Republik
  • 2. Panegyrik
  • 3. Christliche Apologetik bis zur konstantinischen Wende
  • 4. Lateinische Panegyyrik nach Konstantin
  • 5. Christliche Herrschafts- und Herrscherethik im vierten und fünften Jahrhundert
  • 6. Christliche Tugendlehre in den germanischen regna
  • B. Römische Herrschertugend im ersten vor- und nachchristlichen Jahrhundert
  • I. Einleitung: Tugendlehre und Tugendlob in archaischer und hellenistischer Zeit
  • 1. Aspekte des Lobes menschlicher Individualtugend in der vorrömischen Antike
  • 2. Ursprünge des Herrscherlobes
  • II. Zur Struktur römischen Tugendlobes
  • 1. Bewährung der Nobilität im Staatsdienst – die Elogien der Scipionen
  • 2. Das Tugendlob in der römischen Literatur
  • III. Römische Tugend- und Staatsethik bei Cicero
  • 1. De Imperio Cn. Pompei (66 v. Chr.)
  • 2. Pro Marcello (46 v. Chr.)
  • 3. De officiis
  • IV. Sallust
  • 1. Das Imperium des Geistes im Staat im Catilinaproömium
  • 2. Das dominatio-Streben des Catilinia
  • 3. Die Charakterisierung der römischen Staatsverfassung
  • 4. Der Krieg gegen Jugurtha
  • V. Das Lob des Prinzipats – Vergil, Horaz und Calpurnius Siculus
  • 1. Die Einwurzelung panegyrischer Reden unter Augustus
  • 2. Herrschafts- und Herrscherideologie im Werk des Horaz
  • 3. Das Herrscherlob des Vergil
  • 4. Die Hirtengedichte des Titus Calpurnius
  • VI. Seneca – De clementia
  • 1. Tugend der Seele und clementia vor dem Hintergrund unbegrenzter Amtsgewalt
  • 2. Prämissen der Anwendung von clementia-Tugend
  • 3. Die Rechtfertigung des von clementia als höchster Staatstugend geleiteten Prinzipats
  • 4. Das Königtum als Knechtschaft
  • 5. Das Beispiel des Augustus und die Überlegenheit Neros
  • 6. Clementia als Voraussetzung nicht tyrannischer Königsherrschaft
  • 7. Väterliche Kaiserherrschaft
  • 8. Clementia als Ausfluss der Natur der Schöpfung, des Menschen und der Götter
  • 9. Umfang und Grenzen kaiserlicher Strafgewalt
  • 10. Das Ergebnis des ersten Buches
  • 11. Die Bestimmung der clementia – das zweite Buch
  • 12. Ergebnis
  • VII. Tacitus – Agricola
  • 1. Grundlagen falscher und rechter Herrschaft – Domitian/Nerva
  • 2. Die Laufbahn Agricolas bis zum Antritt der Statthalterschaft in Britannien
  • 3. Britannien und die Geschichte seiner Völker unter römischer Besetzung
  • 4. Die Befriedung Britanniens durch Agricola
  • 5. Bewertung
  • VIII. Schlussbetrachtung
  • C. Lateinische Panegyrik von Plinius bis Constantius
  • I. Grundprobleme des Forschungsgegenstandes
  • 1. Begriffsbestimmung
  • 2. Quellenbestand und Forschungsprobleme
  • 3. Handlungsanweisungen der panegyrischen Dichtung: Cicero und Quintilian
  • 4. Panegyrik und Herrscherideal?
  • II. Der Trajanpanegyrikus des Jahres 100
  • 1. Der Panegyrikus des Jahres 100
  • 2. Ergebnis
  • III. Die Anleitung des Menander Rhetor
  • 1. Die Anleitung Menanders
  • 2. Bewertung
  • IV. Der panegyrische Lobpreis des ausgehenden 3. Jahrhunderts
  • 1. Herrschaftslegitimation im 3. Jahrhundert bis zu Diokletian
  • 2. Einleitung
  • 3. Panegyrikus auf Maximianus (288)
  • 4. Genethliacus auf Maximianus Augustus (291)
  • 5. Anonyme Panegyrik auf Constantius (297)
  • 6. Eumenius „Pro instaurandis Scholis“ (297)
  • 7. Bewertung
  • V. Schlussbetrachtung
  • D. Frühchristliche Herrscherideologie und die „konstantinische Wende“
  • I. Christentugend und römischer Staat – früheste christliche Literatur
  • 1. Der erste Clemensbrief
  • 2. Der „Hirte“ des Hermas: Flucht vor der Unmäßigkeit in irdischen Dingen
  • 3. Papiasfragmente: Forderung nach dem rechten Maß des Handelns
  • 4. Polykarp von Smyrna: Vergeltungsverbot und christliche Liebespflicht
  • 5. Die Auseinandersetzung mit der römischen Kaiserherrschaft im frühen Christentum
  • 6. Vergleich mit der römischen Tugendlehre
  • II. Christliche Tugend im frühen apologetischen Schrifttum
  • 1. Einleitung
  • 2. Das Edikt Kaiser Trajans
  • 3. Christliche Apologetik in Reaktion der Verfolgungssituation
  • 4. Justin der Märtyrer
  • 5. Die Fragmente des Melito von Sardes
  • 6. Athenagoras Bittschrift für die Christen
  • 7. Theophilus von Antiochien: Schrift an Autolykus
  • 8. Minucius Felix – Octavius
  • III. Das römische Kaisertum im Werk Tertullians
  • 1. Grundsätze einer der iustitia entsprechenden Zivilgesetzgebung
  • 2. Kein „imperium sine fine“ durch Verehrung falscher Götter
  • 3. Die Stellung des Kaisers in der christlichen Lehre
  • 4. Die Unvereinbarkeit des kaiserlichen Amtes mit dem christlichen Glauben
  • 5. Bewertung
  • IV. Lactantius
  • 1. Leben und Werk des Laktanz
  • 2. Apologie und Tugendlehre in den Divinae Institutiones
  • 3. Über die Todesarten der Verfolger
  • 4. Vom Zorne Gottes – De ira dei
  • 5. Die Epitome Divinarum Institutionum
  • 6. Das christliche Kaiserideal in den Kaiseranreden des Lactantius
  • 7. Gesamtbewertung
  • V. Eusebius von Caesarea
  • 1. Die Kirchengeschichte
  • 2. Der Kerngehalt des Herrscherideals in der Vita Constantini und der Rede Konstantins ad sanctorum coetum
  • 4. Der Panegyrikus des Eusebius
  • 5. Gesamtbewertung
  • VI. Schlussbetrachtung
  • E. Das lateinische Herrscherlob unter und nach Konstantin
  • I. Panegyriken auf Konstantin
  • 1. Panegyrikus Maximians und Konstantins (Anonymus (307))
  • 2. Der Panegyrikus des Jahres 310
  • 3. Rede des Dankes an Konstantin (Anonymus (311))
  • 4. Panegyrik auf Konstantin (Anonymus (ca. 313))
  • 5. Der Nazariuspanegyrikus auf Crispus und Constantius des Jahres 321
  • 6. Gesamtbewertung der Konstantinpanegyrik
  • II. Claudius Mamertinus – Gratiarum Actio auf Julian
  • 1. Doppelte Bedrohung der libertas durch barbarisches Vorgehen gegen die Nobilität und Raubtaten der Magistrate gegen die Bevölkerung
  • 2. Militärische und zivile Tugend Julians
  • III. Die Kaiserreden des Quintus Aurelius Symmachus
  • 1. Oratio 1: Laudatio in Valentinianum seniorem Augustum prior (368/369, wohl Trier)
  • 2. Der zweite Panegyrikus des Symmachus auf Valentinian I. (1.1.370)
  • 3. Der Panegyrikus auf Gratian (wohl 369)
  • 4. Oratio 4: Gratiarum actio pro patre (376)
  • 5. Gesamtbewertung
  • IV. Die Gratiarum Actio des Ausonius auf Gratian (379)
  • 1. Der Kaiser als Garant des wohlgeordneten Staatswesens
  • 2. Auswahl der Staatsbeamten
  • 3. Die Ausübung umfassender Tugend mit Hilfe des göttlichen Geistes
  • 4. Bewertung
  • V. Der Panegyrikus des Pacatus auf Theodosius I. (389)
  • 1. Die Restitutionsleistung des Kaisertums
  • 2. Der Ursprung der kaiserlichen Tugend
  • 3. Die Erlangung kaiserlicher Würden gemäß der Tugend
  • 4. Der rechte Einsatz kaiserlicher Macht
  • 5. Bewertung
  • VI. Das Römische Kaisertum im Werk Claudians
  • 1. Panegyrikus dictus Olybrio et Probino consulibus
  • 2. Panegyrikus zu Ehren des dritten Konsulats des Kaisers Honorius
  • 3. In Rufinum (ebenfalls 396)
  • 4. Panegyrikus auf das vierte Konsulat des Kaisers Honorius (398)
  • 5. Panegyrik auf das Konsulat des Fl. Manlius Theodorus (399)
  • 6. De bello Gildonico Liber I (399)
  • 7. In Eutropium (399)
  • 8. De consulatu Stilichonis (400)
  • 9. Der Panegyrikus auf das sechste Konsulat des Honorius (404) und das Werk über den Krieg gegen die Goten
  • 10. Gesamtbewertung
  • VII. Schlussbetrachtung
  • F. Orthodoxer Glaube und kaiserliche Gewalt – Christliche Tugendlehre bis Augustinus
  • I. Einleitung
  • II. Firmicus Maternus
  • 1. De Matheseos libri octo
  • 2. De errore profanarum religionum
  • 3. Bewertung
  • III. Die Ausformung des christlichen Kaisertums unter Ambrosius von Mailand
  • 1. Christliche Kaiserherrschaft des lateinischen Westens nach Konstantin
  • 2. De fide
  • 3. De officiis
  • 4. Der christliche Herrscher in Korrespondenz und Herrscherlob des Ambrosius
  • 5. Die Trauerreden auf Valentinian und Theodosius
  • 6. Gesamtbewertung
  • IV. Die Vita S. Martini des Sulpicius Severus
  • 1. Christliches Tugendlob als Lob des frommen Lebens
  • 2. Christliche Tugend in römischen Diensten, Frieden durch Gottvertrauen
  • 3. Die Bekehrung des Räubers
  • 4. Die Handlungstugenden des kirchlichen Amtes – Martin als Bischof
  • 5. Der Primat des geistlichen Amtes – Martin und der Usurpator Maximus
  • 6. Bewertung
  • V. Schlussbetrachtung
  • G. Das christliche Kaisertum in der Literatur des fünften Jahrhunderts
  • I. Einleitung
  • II. Aurelius Augustinus – De civitate Dei
  • 1. Das erste Buch des Gottesstaates
  • 2. Das zweite Buch des Gottesstaates
  • 3. Das dritte Buch des Gottesstaates
  • 4. Das vierte Buch des Gottesstaates – die Ursachen der Übel der römischen Weltherrschaft
  • 5. Das fünfte Buch des Gottesstaates
  • 6. Bewertung
  • 7. Der christliche Friede im 19. Buch
  • III. Paulus Orosius – Historiae adversus paganos
  • 1. Divina providentia, menschliche Freiheit und Frömmigkeit
  • 2. Überhebung und Bestrafung menschlicher Herrschaftsgewalt
  • 3. Grundsätze der Ordnung irdischer Königsherrschaft bis zu Augustus
  • 4. Das vierte Buch: das göttliche Strafgericht über falsche Herrschaft
  • 5. Das fünfte Buch: die Vorzüge des gegenwärtigen Friedenszustandes
  • 6. Das sechste Buch
  • 7. Das siebte Buch: römische Kaiserherrschaft im Spiegel christlicher Tugend
  • 8. Gesamtbewertung
  • IV. Salvian von Marseille –De gubernatione Dei
  • 1. Gegenwärtiges göttliches Weltgericht und Menschentugend
  • 2. Die Ursachen des gegenwärtigen Zustandes des Reiches
  • 3. Der Niedergang der res publica Romana
  • 4. Scientes enim bona non bene agimus
  • 5. Die Missachtung des christlichen Friedens durch Rom
  • 6. Bewertung
  • V. Sidonius Apollinaris
  • 1. Der Panegyrikus des Sidonius auf Avitus (455)
  • 2. Der Panegyrikus des Sidonius auf Maiorian (458)
  • 3. Der Panegyrikus des Sidonius auf Anthemius (467)
  • 4. Gesamtbetrachtung
  • VI. Schlussbetrachtung
  • H. Das römisch-christliche Tugendideal in den germanischen regna
  • I. Einleitung
  • II. Avitus von Vienne
  • 1. Das Verhältnis des burgundischen regnums zur römischen Kaisergewalt
  • 2. Der Briefwechsel des Avitus mit Gundobad, Sigismund und der Brief an Chlodwig
  • 3. Bewertung
  • III. Ennodius von Pavia
  • 1. Das Leben des heiligen Epiphanius
  • 2. Panegvricus dictus clementissimo regi Theoderico
  • 3. Gesamtbetrachtung
  • IV. Boethius
  • 1. Einleitung
  • 2. Das erste Buch: Grundleiden menschlicher Irrtümer
  • 3. Das zweite Buch: Grundlegung der Natur der felicitas
  • 4. Das dritte Buch: Die wahre Glückseligkeit
  • 5. Das vierte Buch: Nichtexistenz der Macht des Schlechten und göttliche Weltregierung
  • 6. Das fünfte Buch: der Konflikt von menschlicher libertas und göttlicher providentia
  • 7. Gesamtbetrachtung
  • V. Cassiodor
  • 1. Die Variae – Zweck der Sammlung
  • 2. Die Briefe Theoderichs an Träger der Herrschaft
  • 3. Grundsätze von Administration und Ämtervergabe; Tugendlob und Rolle des Senates
  • 4. Aspekte administrativer Tugenden – Zum iustitia- und Tugendideal Cassiodors in den übrigen Briefen der ersten fünf Bücher der Variae
  • 5. Gesamtbetrachtung
  • VI. Venantius Fortunatus
  • 1. Einleitung
  • 2. Venantius Fortunatus
  • 3. Das Epithalamium des Jahres 566 – De domno Sigiberctho rege et Brunichilde regina
  • 4. De Sigiberctho rege et Brunichilde regina
  • 5. Der Panegyrikus „De Chariberctho Rege“ (567/568)
  • 6. Ad Chilpericum regem quando synodus Brinnaco habita est (580)
  • 7. Ad Chilpericum et Fredegundem reginam
  • 8. Panegyrikus auf Childebert (II.) und Königin Brunhichilde
  • 9. Gesamtbetrachtung
  • VII. Schlussbetrachtung
  • I. Schluss
  • I. Das römische Tugendideal
  • II. Einfluss des Christentums
  • III. Römisch-christliche Herrschertugend in den germanischen regna
  • Quellenverzeichnis
  • Literatur
  • Reihenübersicht

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2016/2017 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Den Anstoß hierzu gab mir im Jahr 2005 Prof. Dr. Hans Hattenhauer (†) mit seiner Schrift „Pax et iustitia“ (1983), auf die ich im Rahmen meiner ursprünglichen Recherchen zu den Gottes- und Landfrieden des Mittelalters stieß.

Der Unterstützung meines Doktorvaters Prof. Dr. Franz Dorn und meiner Familie habe ich zu danken, dass das Werk nunmehr fertig vorliegt. Sie haben mir immer wieder die Freiräume eröffnet, die für die Auswertung der teilweise umfangreichen Quellenwerke erforderlich waren, und standen mir während der Abfassung und Korrektur stets mit Rat und Tat zur Seite. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Dr. Franz Ronig für seine vielfältigen Anregungen zur lateinischen Literatur der konstantinischen Wende und Herrn Prof. Dr. Thomas Rüfner für seine ausführlichen Bemerkungen zur Arbeit.

Ganz besonders danken möchte ich meiner Ehefrau Andrea, die mir in vielen Gesprächen und bei der Korrektur stets helfend zur Seite stand.

Schweich, im Juni 2017

Thorsten Thielen

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A.  Einleitung

Herrschaftsgewalt bedarf der Legitimation. Dies ist ein Allgemeinplatz, der auch im heutigen Zeitalter der Nationalstaaten und in einer globalisierten Welt nichts von seiner Gültigkeit verloren hat. Die Legitimationsfrage stellt sich überall, wo Herrschaft über Menschen ausgeübt wird – sei es durch den „Staat“ oder eine Einzelperson. Sie ist im Herrschaftsbegriff angelegt, weil Herrschaft stets auf die Verwirklichung des Willens des Herrschaftsträgers gegenüber den Personen abzielt, die der Herrschaft unterworfen sind. Zugleich muss sie sich gegenüber potentiellen Konkurrenten behaupten. Soll sie sich nicht ausschließlich auf physische Gewalt (auf das „Schwert“) stützen, muss sie ihr Handeln gegenüber den Herrschaftsunterworfenen begründen und als legitim und rechtmäßig ausweisen. Gelingt dies nicht, droht der Verlust der Durchsetzungsmacht und damit die Ablösung der Herrschaft durch eine andere.

Die Verknüpfung von Legitimität und Herrschaft belegt am deutlichsten das Beispiel des Gewaltherrschers, der kraft seiner körperlichen Stärke und der militärischen Überlegenheit seiner Gefolgschaft herrscht. Seine Stellung ist stets dadurch bedroht, dass die gewählte Legitimationsgrundlage (physische Stärke) zugleich das Beispiel für ihre Überwindung (durch größere physische Stärke) bietet. In der Praxis stützt sich auf Dauer angelegte Herrschaft daher in aller Regel zwar auch auf Gewalt; sie will aber zugleich darlegen, dass gerade sie die Beste für die jeweiligen Herrschaftsunterworfenen darstellt und, dass ein Aufbegehren gegen sie unberechtigt wäre. Die Legitimationsfrage ist hier (im Verhältnis zur Gewaltherrschaft) komplexer, weil der Herrschaftsträger den Unterworfenen vermitteln muss, warum er die Befugnis in Anspruch nehmen darf, Zugriff auf ihre Güter oder Person zu nehmen. Er zielt nicht nur darauf ab, dass seine Herrschaft hingenommen wird, sondern wünscht ihre Akzeptanz. Herrschaftsträger, Herrschaftsform und Herrschaftsbefugnisse bedürfen daher eines Kanons von Rechtfertigungssätzen, einer Herrschafts- und Herrscherideologie.

Die Notwendigkeit dieser Rechtfertigung erfasst Herrschaft immer insgesamt und ist in jeder Hinsicht ubiquitär. Legitimiert werden muss nicht nur die gewählte Form der Herrschaft (z. B. als Allein- oder Gesamtherrschaft) mit ihren Institutionen; auch die einzelnen Träger von Herrschaftsgewalt müssen sich im Gemeinwesen ausweisen. Da Herrschaft von Menschen ausgeübt wird, muss die Legitimationsgrundlage bei einem Wechsel in der Person des Herrschaftsträgers auch zeitlich aktualisiert werden. Herrschaftsideologie ist damit zugleich auch eine Ideologie „der Herrschenden“ (Herrscherideologie). Zuletzt erstreckt sich das Rechtfertigungsbedürfnis auch auf Herrschaftsakte. Sie können in bloßen Handlungsanweisungen für das als richtig empfundene Handeln bestehen, die durch die moralische Autorität des Herrschaftsträgers gestützt werden. Sind diese Handlungsanweisungen unmittelbar auf Befolgung ausgerichtet, können sie in die Form von Geboten und ← 17 | 18 → Gesetzen gefasst werden, die im Falle der Missachtung Sanktionen vorsehen und mit der Androhung von Gewalt versehen sind.

Das Legitimationsbedürfnis ist außerhalb der modernen staatlichen Verfassungsordnung von noch größerer Bedeutung, wenn die Ableitung aller Gewalt im Staat von einer Person aus erfolgt, wenn also ein personal gebundenes Herrschaftsverständnis vorherrscht. Mit der herausragenden Stellung des Einzelnen gewinnt auch der Legitimationsaspekt herausragendes Gewicht. Die Herrscherideologie muss vermitteln, dass dem jeweiligen Herrscher seine Stellung „zu Recht“ zukommt. Hierzu kann sie an die Qualität der Herrscherpersönlichkeit selbst anknüpfen. Sie bezieht sich dann nahezu stets auf die Tugendhaftigkeit der Person und ist eine „Tugendideologie“, weil eine im Sinne der herrschenden Vorstellungen „sittlich“ gute Person, auch gut herrschen wird. Was sittlich gut ist, wird hierbei regelmäßig dadurch bestimmt, was den Herrscher in den Augen der Herrschaftsunterworfenen als „gut“ und „tugendhaft“ erscheinen lässt. Hierzu gehören Beispiele des privaten Lebenswandels des Herrschers ebenso, wie sein öffentliches Handeln oder seine Herkunft. Parallel hierzu bedient sich die Ideologie häufig eines sakralen Begründungsansatzes, der den Herrscher den Herrschaftsunterworfenen als Persönlichkeit mit einer „Sonderverbindung“ zur Sphäre des Göttlichen voranstellt.

Herrscherideologie ist schon aufgrund dieser Zielsetzung nicht mit Geschichtsschreibung zu verwechseln. Sie hat nicht die Vermittlung von Tatsachen zum Gegenstand. Geschildert wird im besten Fall der eigene Anspruch des Herrschers. Das Ziel von Ideologie ist aber nicht Vermittlung von Wissen um tatsächliche Ereignisse, sondern die Ausdeutung der Tatsachen im Sinne der Inhaber der Herrschaftsgewalt und die Kennzeichnung der Herrschaft als rechtsgemäß. Im schlimmsten Fall widerspricht deren tatsächliches Verhalten der Darstellung der Ereignisse vollständig.

So wie sich Herrschaft eine eigene Ideologie schafft, werden zugleich auch von den Herrschaftsunterworfenen selbst Idealvorstellungen von Herrschaft an den Herrscher herangetragen, weil Einzelne oder Gruppen ihre Vorstellungen von der „rechten“ Herrschaft durch den Inhaber der Gewalt verwirklicht sehen wollen. Dieses Bedürfnis ist vor allem dann stark ausgeprägt, wenn die Ideologie der Herrschaft mit dem von den Unterworfenen geforderten Verhalten nicht im Einklang steht oder Fragen der Herrschaftsordnung selbst ungeklärt sind. Die Legitimation von Herrschaft ist kein einseitiger Prozess, der ausschließlich von Inhabern der Gewalt ausgeht. Er ist offen dafür, Impulse und Umprägungen aus der Gruppe der Herrschaftsunterworfenen aufzunehmen und diese im Herrschaftsverständnis zu spiegeln. Dadurch wird die Ausübung der Herrschaft an den gesellschaftlichen Wertekonsens gekoppelt, dessen Ausdruck sie sein soll.

Die Frage nach der Rechtfertigung von Herrschaft – gleich, ob das Bemühen vom Herrscher ausgeht oder ob von außen Vorstellungen der Unterworfenen an ihn herangetragen werden – ist auch für den Rechtshistoriker von besonderer Bedeutung, weil sie die Grundlagen der Ausübung jeder Herrschaft betrifft. Ihre Beantwortung hat, wenn es dem Herrscher mit der Rechtfertigung ernst ist, unmittelbare Auswirkungen auf alle Akte, die der Durchsetzung des Herrschaftswillens dienen und damit auf rechtliche Einzelfallentscheidungen, Gesetzgebung und die Verfassung ← 18 | 19 → der Herrschaft an sich. Aufgrund dieser Folgewirkung der (ideologischen) Legitimitätsgrundlage in die Ausübung der Herrschaft hinein ist die Legitimationsfrage vorrangig eine Rechtsfrage.

I.  Gegenstand

Gegenstand der Arbeit ist die Entstehung des römisch-christlichen Tugendideals in dem Zeitraum vom ersten vorchristlichen Jahrhundert bis zum Ende des sechsten Jahrhunderts nach Christus. Sie basiert auf dem wissenschaftlichen Konsens, dass das mittelalterliche König- und Kaisertum im Frankenreich und im Sacrum Imperium Romanum an römische und christliche Traditionen angeknüpft und darüber hinaus Elemente der germanischen Gefolgschaft mit aufgenommen hat.1 Gleichwohl fehlt es in der deutschen und europäischen Rechtsgeschichte an solchen Schriften, die sich umfassend mit der Entstehung dieses „römisch-christlichen Herrscherideals“ ← 19 | 20 → befassen. Insbesondere fehlt eine Auswertung der römischen und christlichen lateinischen Literatur als Grundlage der Herrschaftsvorstellungen, wie sie sich in der römischen Antike und den ersten vier nachchristlichen Jahrhunderten ausbildeten und bis in die germanischen Reichsgründungen hinein fortwirkten.2 Die Arbeit will dazu beitragen, diese Forschungslücke zu schließen. Nur durch das Verständnis der Legitimationsprinzipien, die der Königs- und Kaiserherrschaft des Mittelalters als Institution, aber auch den Herrschaftsakten zugrunde lagen, werden die Strukturprinzipien sichtbar, die sich hinter dem vielfach „plakativen“ Gebrauch von Tugendbegriffen durch christliche Herrscher des Mittelalters verbergen.

Die nachfolgenden Ausführungen der Einleitung sollen die Bedeutung unterstreichen, die dem Tugendideal innerhalb der deutschen und europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte zukommt. Sie zeigen exemplarisch, dass die Kenntnis der Genese dieser Wurzeln für die Auslegung von Rechtsakten, Urkunden, Geschichtsschreibung und Fürstenspiegeln im Mittelalter unverzichtbar ist. Sie dokumentieren, vor der Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Forschungsgegenstand, dass die Legitimation mittelalterlicher Herrschaftsgewalt nahezu durchgängig von der Anknüpfung an die christliche und römische Tugendterminologie geprägt war. Diese Feststellung kann für den gesamten Zeitraum von den fränkischen Reichsgründungen bis hinein in die frühe Neuzeit Geltung beanspruchen. Bewusst werden daher im Rahmen der Einleitung zunächst einzelne, zentrale Herrschaftsakte, etwa Reichsgrundgesetze, die Landfriedensgesetzgebung und Wahlkapitulationen ausgewertet. Hierunter finden sich Herrschaftsakte der Kaiser- und Könige ebenso wie solche, die unter Mitwirkung der maiores et meliores terrae zustande kamen. Daneben wird auch die Literaturgattung der Fürstenspiegel berücksichtigt. In einem zweiten Schritt wird ausgehend von den Arbeiten Thiemes, Hattenhauers und des Trierer Mediävisten Hans Hubert Anton3 aufgezeigt, dass sich die im Hoch- und Spätmittelalter sowie der frühen Neuzeit gebräuchlichen Legitimationsmechanismen bereits in der Karolingerzeit und den Germanenrechten (leges) auffinden lassen. Bibelauszüge dokumentieren, dass die zur Herrschaftslegitimation im Mittelalter gebrauchten Begriffe auch hier bereits anzutreffen sind. Ihnen schließen sich (II, III) die Abschnitte zu Gang- und Struktur der Arbeit an. Im Anschluss daran folgt im Hauptteil der Arbeit (B.-I.) die thematische Auseinandersetzung mit der Herrscherideologie ausgehend von den spätrepublikanischen Staatsschriften bis hin zu den Panegyriken des Venantius Fortunatus für die Merowingerkönige. ← 20 | 21 →

1.  Tugendherrschaft in Herrschaftsakten und mittelalterlicher Fürstenspiegelliteratur

Der Rückgriff auf ideologische Grundlagen und Herrschertugenden erfolgt in Gesetzen, Urkunden und Schriften zur Königs- und Kaiserherrschaft im Heiligen Römischen Reich nahezu durchgängig. Die göttliche Einsetzung, Nachfolge nach den römischen Kaisern und Karl dem Großen, stellen den institutionellen Rahmen dar, innerhalb dessen diese Rechtfertigung erfolgt. Notwendig mussten diesem Rahmen die Grundsätze der Amtsführung entnommen werden. Im Konfliktfall konnte sich auch das von Gott eingesetzte König-/Kaisertum nicht alleine auf den göttlichen Einsetzungsakt stützen, der es als Institution rechtfertigte. Vielmehr musste der jeweilige Herrscher anlässlich seines Handelns immer wieder neu begründen, warum die Ausübung der Herrschaft durch ihn zu Recht erfolgte und er in besonderer Weise dazu ausersehen war.

a)  Urkunden

Schon der Vorspruch des Nürnberger Gesetzbuches vom 10. Januar 1356 benennt den beständigen Wunsch des Herrschers, das Volk des Reiches solle nicht den Weg der Erinnyen einschlagen, sondern den des von Gott geliebten Kaisers mit pietas und Milde.4 Nur wenige Jahre zuvor betont auch die commissio maior zur Errichtung des Reichsvikariats das Selbstverständnis Karls IV. Durch die providentia Gottes ist er vor allen anderen Königreichen mit dem Vorrang ausgezeichnet und zur Herrschaft über verschiedene Nationen bestimmt. Ihm obliegt es – vom Himmel her mit dem Augustustitel versehen – die Fülle des Rechts zu gewähren. Er hat mit den Worten der commissio für das Heil (salus) der res publica in einem stürmischen Meer Sorge zu tragen. Er muss die friedliche Verfassung, Vorteil und Ruhe (quietas) der Untertanen sicherstellen.5 Zu diesem Zweck hat sich der König gegen falsche avaritia und ambitio zu verteidigen.6

Regelmäßige Erwähnung findet das Streben nach quietas und pax in den Einladungsschreiben zur Königswahl sowie in den an den Heiligen Stuhl gesandten Wahldekreten.7 So heißt es im Wahldekret Friedrichs des Schönen (1314), den König kennzeichne neben der Abkunft ein rechter katholischer Glaube, Tüchtigkeit, Umsicht und humilitas. Er sei ersichtlich geeignet die res publica zu ihrem Nutzen ← 21 | 22 → (utilitas) durch die ihm eigene benignitas und mansuetudo anzuleiten.8 Das Wahldekret Albrechts I. vom Juli 1298 stellt gegenüber dem Papst auf die Tugend ab. Mit Albrecht sei ein Mann gewählt, der fähig sei, das Reich zu regieren, zu verteidigen, zu bessern und im Zustand der Ruhe und des Friedens zu erhalten.9 Ein körperlich tüchtiger König von katholischer Rechtgläubigkeit verspreche als Freund der Kirche und Bewahrer der iustitia eine friedliche Herrschaft. Sie werde dem Reich Eintracht, Ruhe und eine Besserung der Sitten bescheren.10 Im Zuge der Absetzung König Adolfs hatten sich die Kurfürsten derselben Argumentation bedient. Sie wurde in diesem Fall gegen den König gewandt.11 Der erste Abschnitt der Urkunde ist als eine generelle Regel gottgemäßer Herrschaft formuliert.12 Auch König Albrecht I. hebt am 7. Mai 1301 widerrechtlich errichtete Rheinzölle mit der Begründung auf, hierdurch für die friedliche Ordnung und die Ruhe (pro tranquillitate et pacifico statu Romani imperii) seiner Untertanen sorgen zu wollen, um sie so vor widerrechtlicher Gier zu schützen.13 Anlässlich der Wahl Rudolfs von Habsburg heißt es 1273 im Schreiben des Erzbischofs von Mainz an den Papst, man habe zur Abwehr der Gefahren für Leib und Gut der Menschen einen römischen König erwählt, der Träger des universellen Konsenses sei. Zugleich sei er Inhaber aller Tugenden und werde in gemeinsamer Eintracht mit dem Heiligen Stuhl das Reich zur iustitia zurückführen und Kirchen, Witwen, Waisen und Mündel schützen.14 Das damalige kurfürstliche ← 22 | 23 → Wahldekret stellt gar eine Gesamtauseinandersetzung mit dem unhaltbaren Verfassungszustand des Reiches dar, erhofft im Ergebnis aber auch, dass Friede, Eintracht und Sittlichkeit herrschen werden und durch Frieden Schwerter zu Pflugscharen umgearbeitet würden.15 Besonders eindringlich macht der anlässlich der Königswahl des Jahres 1273 zurückgesetzte König Ottokar von Böhmen in seinem Beschwerdeschreiben an den Heiligen Stuhl von Tugendbegriffen Gebrauch. Im Reich, das allen Königreichen der Welt vorgeordnet sei, sei aufgrund der Wahl des Rudolf von Habsburg die rechte Ordnung verkehrt und verdunkelt worden. Durch Missachtung desjenigen, der von Gott, vom Volk von Rom und kraft seiner virtus eingesetzt sei, werde iustitia unterdrückt, concordia aufgehoben und der Friede zugunsten herrschender Verbrechen aufgelöst.16 Noch im Wahldekret der Fürsten für Konrad IV. wird die Wahl vivente imperatore damit begründet, die Vorsorge für das Reich erfordere zur Sicherung von iustitia und tranquillitas die Wahl eines Königs zu Lebzeiten des Vaters. Der Tradition habe es von jeher entsprochen, einen König zu erwählen, der Gerechtigkeit sichere. Er müsse notfalls auch in der Lage sein, unter persönlichen Gefahren und ohne Rücksicht auf die eigenen Besitzungen die Grenzen des Reiches zu verteidigen.17 Formelhaft werden die Begriffe auch in den Wahlanzeigen Philipps von Schwaben und Ottos IV. gebraucht.18 Auch Friedrich I. greift mehrfach darauf zurück.19 Den Schutzauftrag des Königtums formuliert Papst Eugenius auch anlässlich der Wahl Friedrichs I.20 Dass gerade der Heilige Stuhl dem Begriffszusammenhang iustitia, pax, tranquillitas, concordia besondere Bedeutung zumaß, belegt die Stellungnahme Papst Urbans IV. zur Doppelwahl des Jahres 1263.21 ← 23 | 24 →

b)  Landfriedensgesetzgebung

Erwähnung findet das herrschaftliche Selbstverständnis sonst auch im Zusammenhang mit der Aufrichtung und Durchsetzung der Landfrieden zur Reduzierung und zuletzt Aufhebung des Fehderechts. So benennt eine Urkunde Adolfs von Nassau vom 18. November 1292 anlässlich der Einsetzung des Herzogs von Lothringen, Brabant und Limburg als Landvogt gleich mehrfach das ständige Bestreben des Königtums nach quietas, pax und concordia. Herausgestellt wird ferner, zur Wahrung des Friedens werde günstigstenfalls derjenige bestellt, dessen industria die tranquillitas eines blühenden Zeitalters am besten sicherstellen könne.22 Die Wirkmächtigkeit des ideellen Gedankens der Friedens- und Rechtswahrung auch außerhalb des Kreises des Königtums und der Königswähler zeigt die Friedenseinung des Rheinischen Bundes. Um den Schutz der guten und ehrbaren Menschen (innocentes) vor Räubereien sicherzustellen, bedarf es des Friedens, d. h. der Rechtswahrung durch gerichtlichen Spruch.23 Vor allem der Mainzer Reichslandfriede betont die Bedeutung eines glücklichen Zeitalters (felicitas) unmittelbar im Anschluss an die Passage, die das kaiserliche Amt auf die göttliche Einsetzung zurückführt. Das Glück, so wird dort weiter ausgeführt, sei nur durch Frieden und Gerechtigkeit sicherzustellen. Eine dementsprechende Amtsführung werde den Schlechten schaden und dem Kaiser zur gloria verhelfen. In den Bestimmungen des Friedens heißt es auch, das Reich müsse sicherstellen, dass niemand der Rächer eigenen Schmerzes (sui doloris vindex) werde, um so Willkür zu verhindern.24 Neben dem „Statutum in favorem principum“ stützt sich auch der königliche Landfriede des Jahres 1224 (Treuga Heinrici) auf Frieden und Ruhe (pax, tranquillitas).25 Eine konkrete Ausformung der Begriffe „Friede und Recht“ findet sich auch in den Urkunden Friedrichs II.26 Schon diese überblicksartige Darstellung verdeutlicht: Stets geht es den Trägern der Herrschaft darum, Herrschaftsakte auf den Herrschaftsauftrag und die daraus resultierenden Herrschaftspflichten zu stützen. Diesem Zweck dient der Rückgriff auf die Translationslehre, das Gottesgnadentum und die damit einhergehende Pflicht, Friede und Recht im Reich zur felicitas aller sicherzustellen.

c)  Fürstenspiegel

Auch in den Fürstenspiegeln des Mittelalters und der frühen Neuzeit findet sich vielfach der Rückgriff auf Herrschertugenden, um dem König- bzw. Kaisertum die Grundsätze der Ausübung von Herrschaft vor Augen zu führen, auf Missstände ← 24 | 25 → hinzuweisen oder die Ordnungsgemäßheit der Herrschaft darzustellen. Für die Spätphase des Reiches verdeutlicht dies der Traum (Somnium) des Hans von Hermansgrün (1495). Darin versucht der Autor, anlässlich des Wormser Reichstages von 1495, den von Gott gesetzten Gewalten ihre Pflichten zu verdeutlichen. Unter Berufung auf Exempla der Reichsgeschichte (Karl der Große, Otto der Große), die Schöpfer des Römisch-Deutschen Reiches,27 stellt er ein Abgehen von Tugend (virtus) und Sittlichkeit der Vorfahren in der Gegenwart fest. Er fordert eine Besinnung auf rechte Seelentugend, gerade auch im Angesicht gegenwärtiger Bedrohung von imperium und libertas. Nötig sei eine Liebe zum Staat und eine durch gute Taten gewonnene gloria. Nichts werde alleine mit Körperkraft, alles durch Seelentugend (virtute animi) und guten Rat (consilio) vollbracht. Das Beispiel der Väter lehre ein Streben durch Arbeit (labor). Es schließe kriegerischen Ruhm nicht aus. Es fordere aber ebenso dazu auf, nach dem Sieg dem erreichten Frieden (pax) durch clementia sofort iustitia und aequitas an die Seite zu stellen – und zwar sowohl in Ansehung des eigenen Geistes, wie des Gemeinwesens insgesamt. Die Errichtung der Kirchen, die Sorge für die Schwachen (als Ausfluss der liberalitas), fides, oboedientia und Liebe und Furcht vor dem Allerhöchsten gewährleisteten concordia. Im Gegensatz dazu ermangele es gegenwärtigen potentes am Willen zur iustitia, an der Liebe für das Gemeinwesen, aber auch an Gottesfurcht. Die Grundlagen des Reiches würden durch avaritia, luxuria und superbia untergraben. Das Reich werde ausgeplündert, während einzig die Leibesfülle der Fürsten gedeihe.28

In ähnlichem Gewand findet sich eine Herrschaftslehre zu Beginn der Landfriedensbewegung auf dem Gebiet des Römisch-Deutschen Reiches in den Quellen zur Geschichte Heinrichs IV. Im „Carmen de bello Saxonico“, der „Vita Heinrici IV.“ und den überlieferten Briefen desselben Herrschers, liegt ein Gesamtwerk mittelalterlicher Herrscherideologie vor, in dem sich Epik und politische Praxis ← 25 | 26 → durchaus nahestehen.29 Das Epos vom Sachsenkrieg (ca. 1075) schildert Heinrich IV. als Tugendherrscher, der zu allererst das Recht wiederaufrichtet. Er legt Gesetze fest und erlässt Verbote zum Schutze der Witwen und Waisen.30 Sein Werk ist Revindikation der Reichsrechte und des Rechts auf sächsischem Gebiet. Er setzt seinen göttlichen Auftrag dem Zustand entgegen, in dem nur faktisch Gewalt herrscht (plus nocuit, qui plus potuit)31 entgegen. An dem Ziel, Konflikte mit den sächsischen Großen mittels des Gerichts zu lösen, hält der König beständig fest, auch nachdem das sächsische Volk bereits zum Krieg rüstet und sich gegen Kirchen, Witwen, Waisen und Fremden vergeht.32 Der perfidia der abfallenden Sachsen stehen Unbestechlichkeit und Tapferkeit (fidelitas) der für den König Streitenden gegenüber.33 Dem pax-Gesuch der unterlegenen Sachsen entspricht König Heinrich IV. nach erfolgreicher Kriegsführung. Ihr erneuter Abfall zwingt ihn zu ihrer Besserung zu hartem Durchgreifen aufgrund der gezeigten Treulosigkeit.34 Das Muster – Abfall der Sachsen, Bitte um Frieden, Mäßigung des königlichen Zornes im beständigen Streben nach Ruhe, Frieden und Recht (pacemque fideli mente) – wiederholt sich im zweiten Buch des „Carmen de Bello Saxonico“35 und ebenso im dritten, obgleich die Sachsen durch erneuten Treuebruch gegen alles göttliche und menschliche Recht verstoßen und den König zum Zorn zwingen.36 Als „Art der Väter“ wird am Ende des dritten Buches die königliche Milde (clementia, pietas) angesichts der ← 26 | 27 → Demut sich ergebender Gegner hervorgehoben. Drohend stelle sich die königliche Gewalt nur demjenigen dar, der trotz sicherer Niederlage im Stolz (superbia) verharre: Parcet subiectis debellabitque superbos. Im Übrigen sei der fromme König (rex pie) ein guter Vater.37

Der gleichen Sorge des Königs um das Reich trägt die gegen 1106 von einem unbekannten Verfasser geschaffene „Vita Heinrici“ Rechnung. Nach dem Tod Heinrichs III. seien iustitia, pax und fides aus der Welt verschwunden.38 Ohne den Vater lägen Kirchen und Klöster vor Räubern ungeschützt, seien Arme nun wahrhaft arm. Es fehle am Richter, der die Räuber unterdrücke.39 Der Friedenszustand (adhuc iusticia sui vigoris, adhuc potestas sui iuris erat) existiere nicht mehr.40 Zu den ersten Handlungen des mündigen Königs habe es daher gehört, Friede, Recht und Gesetze wieder aufzurichten.41 Seine Milde und Freigiebigkeit habe stets viele geschont, die aufgrund ihrer Taten eigentlich schärfere Strafen verdient hätten.42 Die dennoch von den Fürsten gegen ihn durchgeführten Erhebungen seien durch den Stolz der Gegner gescheitert.43 In analoger Weise zu den Vorwürfen Heinrichs an seine Gegner gestalten sich deren Anfeindungen gegen Heinrich. Dieser habe als ein Tyrann gegen Kirche und Reich gewütet. Er sei aus der humilitas in das Laster des Stolzes zurückgefallen.44 Nach Ordnung der Verhältnisse in Rom, sowie der Unterdrückung der Erhebung seines Sohnes Konrad widmet die „Vita“ schließlich das gesamte achte Kapitel dem Mainzer Landfrieden. Nachdem Friede und Ruhe im Reich eingekehrt sind, ruft der Kaiser die Fürsten zu einem Hoftag zusammen. Dort kommt es zu einem vom König propagierten Friedensschwur (pacem per totum regnum sub iuramento firmari) unter Androhung schwerer Strafen für die Übertreter ← 27 | 28 → des Friedens.45 Das Friedensgesetz (pacis decretum)46 schützt Arme und Gutgesinnte. Zugleich leiden diejenigen Hunger und Not, die nicht der ihnen zukommenden Aufgabe, sondern dem Kriegshandwerk, genauer dem Räubertum, nachgegangen waren (in milites bona sua distraxerant).47 Der Landfriede stellt die Ordnung wieder her. Das Ross wird mit dem Bauerngaul, das scharlachrote Gewand mit dem ungefärbten, die goldenen Sporen werden mit eisernen vertauscht. Sittenverderbnis, Eitelkeit und Luxus weichen der Armut.48 Sinnfälligstes Bild des Friedens ist der Schiffer, der ungefährdet an den Uferflecken vorbeifährt, die zuvor vom Raub der Schiffe lebten. Er mehrt nun seinen Wohlstand, während der ehemals räuberische Herr Hunger leidet.49 Wie andere Unrecht mit Unrecht vergelten, vergilt der Kaiser das gegen ihn begangene Unrecht mit dem Frieden.50 Der unrechten, auf den eigenen Vorteil gerichteten Gewalt der Friedbrecher tritt die rechte Gewalt des Königtums entgegen. Sie ist ausschließlich Friedensgewalt. Demjenigen, der die Waffen niederlegt, droht nicht etwa königliche Rache und Vernichtung, sondern nach erfolgter Sühne lediglich die Wiedereingliederung in die Friedensordnung. Dies gilt auch für die Unterstützer des Gegenkönigtums.51 Die gesamte königliche Gewalt manifestiert sich also darin, die Übertreter des Friedens und des Rechts in eben jene Ordnung zurückzuführen. Eine Gewalt, darüber hinaus Vergeltung zu üben, kommt dem Königtum nicht zu. Folgten alle Menschen diesem Ideal, richtete also jeder die Zahl seiner Gefolgsleute nach dem Maß der ihm zur Verfügung stehenden Mittel und kehrten die Räuber auf die Äcker zurück, so würden Scheunen und Keller Überfluss haben an allem Guten. Niemand bräuchte dem anderen mehr an seinen Gütern zu schaden. Im ganzen Reich gäbe es keinen Krieg mehr und die Seelen der Menschen wären gerettet.52 Selbst der Verfasser der „Vita“ muss an dieser Stelle allerdings einräumen, dass aufgrund der menschlichen Natur, die Chancen einer dauerhaften Verwirklichung dieser Ordnung eher als gering einzuschätzen sind. Denn der ← 28 | 29 → Mensch pflege tatsächlich eher schlechte Gewohnheiten.53 Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet die potentes in gemeinsamer Sache mit dem noch jugendlichen Sohn des Kaisers zu den ersten Friedensbrechern gehören.54 Der verführte Sohn55 zeigt sich denn auch für die Verhandlungsofferten des Vaters unempfänglich, verweist auf eine erneute Bannung Heinrichs IV. und betreibt schließlich sub specie causae dei, suam causam.56 Heinrich IV. hingegen bleibt, wie auch in den ersten sieben Kapiteln, bis zu seiner Absetzung dem Friedensideal treu. Die Burg Nürnberg, in welcher er von Heinrich V. belagert wird, übergibt er, um den Sohn nicht zu gefährden. Er folgt seinem Sohn nach Würzburg, non persequitur […] sed ut pater […] ut turbatam ex te rem publicam in quietum statum restituat […]. Er flieht von der Schlacht am Regen, damit der Sohn nicht zum Vatermörder werde57 und nimmt den Krieg erst auf, nachdem der Sohn sich auch auf seine Ausführungen dazu, was Menschenliebe schuldig sei, nicht zur Umkehr bewegen lässt.58 Die „Vita“ schließt mit dem Tod und der nachfolgenden Verklärung Kaiser Heinrichs IV.

Eine Bekräftigung der „Carmen“ und „Vita“ zugrundeliegenden Grundkonzeption des Königtums bieten schließlich die Briefe Heinrichs IV. Sie zeigen auch den Gleichlauf von kaiserlicher und an den Kaiser herangetragener Tugendlehre auf. So äußert sich der Herrscher59 in einem Selbstbezichtigungsschreiben an Papst Gregor VII. (1073), dass er das Schwert der ihm von Gott verliehenen Gewalt in der Vergangenheit aufgrund Jugend und faktischer Ungebundenheit der Macht nicht stets gegen die Schuldigen gebraucht habe.60 Die Absetzungssentenz gegen den „falschen Mönch Hildebrand“ stützt der König darauf, dass der Papst die ihm verliehene Macht ausschließlich ad destructionem gebraucht habe. Auf den Stuhl des Friedens (sedem pacis) sei Gregor nicht durch Gott, sondern durch Geld und Eisen gelangt. Der Papst habe vom Stuhl des Friedens (gemeint ist damit auch der „Sitz“ des Friedens im Amt des Papstes) den Frieden gestört (sede pacis pacem turbasti).61 In einem nach Abschluss des Investiturstreites an Klerus und Volk von Rom (1081) verfassten Schreiben, erörtert Heinrich IV. sein Ziel, tyrannische Treulosigkeit im Reich aufzuheben und weitere Störungen von pax und concordia zu unterbinden.62 ← 29 | 30 → Pax und iustitia sollten den Ruin der Kirchen verhindern (1102).63 Mit seiner Erhebung streite der Sohn gegen Gott, alles Recht und Gerechtigkeit (1106).64

2.  Ursprünge der mittelalterlichen Tugendideologie

Die Frage nach den Ursprüngen der in den vorangehenden Auszügen erkennbaren Tugendterminologie ist auch in der rechtshistorischen Literatur mehrfach aufgeworfen worden. Den oben angeführten Texten lässt sich unmittelbar entnehmen, dass sich die Kaiser und Könige des Heiligen Römischen Reiches in der Nachfolge der römischen Kaiser sahen. Ihr Streben nach Wohlgeordnetheit der Verfassung der res publica und der ihnen Unterworfenen – aber auch nach rechter pietas – begründeten sie dem Vorbild der Eintracht (concordia) einer Weltordnung, die dem göttlichen Gebot gemäß gestaltet ist. Den ideologischen Ursprüngen dieser Tugendbegriffe, insbesondere pax und iustitia, die regelmäßig den „Kernbestand“ der Königs- und Kaisertugend bilden, hat sich neben der frühen Arbeit Thiemes65 1983 Hans Hattenhauer in seinem gleichnamigen Beitrag (Pax et Iustitia) zugewandt. Beide verweisen hierbei auch darauf, dass sich schon in den Volksrechten der germanischen Stämme auf römischem Boden entsprechende Begrifflichkeiten finden.

a)  Germanenrechte und Fürstenspiegelliteratur der Karolingerzeit

Schon ein kurzer Blick in den Prolog des langobardischen Ediktes König Rhotaris, bestätigt diese Einschätzung. Dort wird deutlich, dass die Aufrichtung von Recht und Gesetz für die Unterworfenen (subiecti) auch in den barbarischen Königsherrschaften der Verwirklichung des Friedens diente und, um dauernd gegen die Feinde tätig (labor) sein zu können.66 Das oben dargestellte mittelalterliche Friedens- und Gerechtigkeitsideal ist hier schon zu finden. Auch die Einung der Salfranken67 hebt das Bedürfnis hervor, durch pax gegen Gewalt zu streben und legali auctoritate andere Völker zu übertreffen. Der umfassendere Prolog des 100-Titel-Textes betont die Bedeutung der von Gott gegebenen iustitia für den Frieden (pax).68 Die christlichen Wurzeln der fränkischen Fürstenspiegelliteratur, auch über die Grenzen einzelner Reiche hinaus, sind bereits 1968 Gegenstand der Untersuchung des Trierer ← 30 | 31 → Mediävisten und Historikers Hans Hubert Anton gewesen.69 Unter Auswertung der aquitanischen und der der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts n. Chr. entstammenden Fürstenspiegel sowie konziliarer Canones (etwa des Konzils von Paris 829) kommt er zu dem Ergebnis, dass jedenfalls die Fürstenspiegel der spätkarolingischen Zeit ihre Auseinandersetzung mit dem Amt des Herrschers und der ihm obliegenden Pflichten maßgeblich nicht nur den kirchlichen Quellen (Augustinus, Gregor d. Große, Isidor von Sevilla) entnehmen, sondern auch auf die lateinische patristische Literatur insgesamt zurückgreifen.70

Der Frage, inwieweit der Gebrauch der Tugendbegriffe auch aus dem römischen Recht abzuleiten ist, geht die vorliegende Arbeit demgegenüber nicht nach. Hattenhauer hatte hierzu bereits klargestellt, dass jedenfalls in Digesten und Codex des Corpus Iuris Civilis das Begriffspaar Friede und Recht nicht im Konnex erwähnt wird.71 Soweit mit der Anknüpfung an das römische Imperium also ein konkreter Herrschaftsauftrag verbunden wurde, musste er entweder den Schriften christlicher Autoren der Spätantike, griechischen und römischen Philosophen, oder aber dem Werk des Augustinus, das auch für das Verhältnis von geistlicher und weltlicher Gewalt vielfach Pate stand, entnommen sein.72 Jedenfalls für das Verhältnis der Gewalten und die Ordnung der diesseitigen Welt in der ordinata concordia ist dieser Nachweis gut zu führen.73

b)  Anknüpfung an die Heilige Schrift

Auch der Text der Bibel selbst bietet vielfache Anknüpfungspunkte für Tugendideologie des Mittelalters.74 Der biblische Gerechtigkeitsbegriff, wie er später auch in dem bekannten Psalmenzitat im Prolog des Sachsenspiegels zum Ausdruck gekommen ist, diente Hattenhauer als Ausgangspunkt seiner Untersuchung: „Der Herr ist gerecht, er liebt gerechte Taten“ (Ps 11, 7). Der Fromme wird dem Gebot ← 31 | 32 → des gerechten Gottes folgen und hierdurch vor dem Verderben bewahrt werden, der König durch Gerechtigkeit seinen Thron befestigen, der Gottlose geht zugrunde.75 Die „Gerechtigkeit des Menschen besteht darin“, dass er sein Handeln nach Gottes Gebot richtet und „sich nicht seine eigenen Regeln, eigene Gerechtigkeit, macht.“76 Der Friede erscheint sodann als Frucht der Gerechtigkeit (Jes 32, 17). Der Christ findet „Friede in Gott“. Als praktisch erfahrbares Heil äußert sich der Friede auf der Erde in üppigem Gedeihen der Äcker und gutem Gelingen der Werke.77 Die Verknüpfung von Frieden und Recht in der Heiligen Schrift, die Hattenhauer lediglich anhand einzelner Beispiele postulierte, lässt sich – ohne einen theologischen Anspruch zu erheben –dem Schrifttext auch an vielen anderen Stellen zwanglos entnehmen.78 Als besonders aussagekräftig erweisen sich die Worte des Propheten Jesaja (Jes 33, 1–16). Den Gottlosen, Räubern und Verwüstern wird derjenige gegenübergestellt, der „in Gerechtigkeit wandelt“. Ersteren droht, nachdem sie allen anderen geschadet haben, selbst Verwüstung und Raub. Der Gerechte, der das Streben nach Gewinn zurückstellt, Geschenke abweist und von Blutschuld nichts hören will, wird stets sein Brot und Wasser haben. Stets Brot und Wasser, also ein Auskommen zu haben, ist Gegenstand des Friedens und wird von dem Propheten auch gezielt in diesen Bezug eingebettet. Beherrscht der Räuber das Land, so sind die Wege verödet, die Straßen leer, Treue und Glauben verloren und das Land verdorrt (Jes 33, 7). Auch Ijob wird verheißen, dass die Einhaltung der göttlichen Gebote seiner Hütte Frieden bringen wird (Ijob 5, 24–27) und seine Nachkommen wie „Gras auf Erden“ sein werden. Seine Klage gegen das offensichtliche Wohlergehen der Gottlosen (Ijob 21, 7–9) richtet sich gleichermaßen an diesem Friedensbegriff aus. Ganz ähnlich findet sich in den Psalmen (Ps 128, 1–3) die Aussage, dass es dem Haus desjenigen, der sich von seiner Hände Arbeit nährt, gut ergehen wird. Das in Gottes Frieden befindliche Volk erscheint so als „heil und gesund“ (Jer 33, 6). Das hier zutage tretende biblische Friedensverständnis ist auch auf das irdische Wohlergehen bezogen. Der Mensch, der Gottes Geboten folgt, kann auf Erden den Frieden im Sinne irdischen Wohlergehens erfahren.79 Adressat des Friedensgedankens ist nicht etwa nur das von Gott auserwählte Volk, sondern der Einzelne in seiner Hinwendung auf Gott ← 32 | 33 → und das göttliche Gesetz. Der Friede ist das Ergebnis der Entscheidung des einzelnen Menschen für Gott. Er ist auf Erden das mögliche (nicht sichere) Produkt der Einhaltung des göttlichen Gebots.80 Der Friedensbegriff in diesem Sinne ist irdisches „Wohlbefinden“ des Einzelnen und zugleich ein „Wohlgeordnetsein“ seiner Lebenswelt. Nach dem Gebot des Herrn in Frieden zu leben, heißt gleichsam ungestört und unbeeinträchtigt der eigenen Tätigkeit nachzugehen. Friede bedeutet also auch sicher, ruhig und ohne Furcht81 zu leben. Hierzu gehört das ruhige Bestellen des eigenen Landes, die aus eigener Kraft ohne Beeinträchtigung des anderen erfolgende Schaffung einer Lebensgrundlage für die Zukunft der eigenen Nachkommen, die Sicherheit der Straßen und Wege und der in Treue erfolgende Umgang mit anderen Menschen. Der irdische Friedenszustand beschreibt auf diese Weise nicht nur den Frieden des Einzelnen, sondern auch des von Gott auserwählten Volkes (so bei Jer 33, 4–6). Die allgemeine Achtung des göttlichen Gebotes82 schafft den Frieden im Sinne einer in Hinwendung auf Gott in Frieden geordneten Gesellschaft.83 Der durch die Einhaltung des göttlichen Gebotes geschaffene Friede ist damit nicht bloß „mehr als die Abwesenheit von Streit“ oder das Gegenteil von „Krieg“,84 sondern als irdische Glückseligkeit in umfassender Weise positiv bestimmt.85

So wie der Friede aus der Einhaltung des göttlichen Gebotes fließt, sind Recht und Gerechtigkeit Ausdruck der Bewahrung des göttlichen Gebotes. Wer seinen Frieden mit Gott macht (Ijob 22, 21–22) der hält sich vom Unrecht fern. Das Recht nach der Gerechtigkeit Gottes (Ps 35, 24) setzt sich gegen die verleumderischen, grundlosen und gegen den Frieden gerichteten Anklagen der Gottlosen durch. Wer die Gebote Gottes nicht achtet, greift stets zugleich auch den Frieden an, denn Gottes Gebote haben diesen ausschließlich zum Ziel. Gott ist selbst Friede86, Gott ist selber Recht87. ← 33 | 34 → Wer Gott nicht achtet, missachtet Friede und Recht. Besonders breit angelegt ist dieser Zusammenhang im 37. Psalm, der sich mit der Frage auseinandersetzt, warum es gerade den Gottlosen oft besser ergeht als den Friedfertigen. Obwohl der Friedensbegriff hier ausdrücklich genannt wird, steht das den Gottlosen erwartende Schicksal in dem bereits oben angesprochenen Zusammenhang. Dieser „wird verwelken“ und seine Stätte, sei sie auch wie eine prächtige Aue, wird schließlich leer sein. Er wird Opfer der eigenen Gewalt. Sein vermeintliches Glück ist nicht von Dauer, der Herr verlacht ihn (Ps 37, 2, 10, 12, 35a). Wer Gott folgt und sich zudem nicht von dem durch Neid ausgelösten Zorn und Grimm zu Unrecht gegen die Gottlosen verleiten lässt, der wird als ein Gerechter schließlich das Land erben. Daher ist auch das Wenige, das ein Gerechter hat, besser als der Überfluss vieler Gottloser. Sein Mund „redet Weisheit und seine Zunge lehrt das Recht“. Der Herr steht ihm bei (Ps 37, 1, 7–8, 11, 16, 30, 39). In ähnlicher Deutlichkeit tritt der Konnex von Gerechtigkeit, Recht und Frieden bei Jesaja hervor. Den Frieden verliert, wer Unrecht handelt und auf „krummen Wegen geht“ (Jes 59, 1–14; 8), wer den Herrn verleugnet und bedenkenlos mit Trug lügt (Jes 59, 4, 13). Wer aber den Frieden verliert, auf dessen Pfaden ist Unrecht, die Gerechtigkeit kommt nicht zu ihm. Wahrheit und Aufrichtigkeit weichen. Der Plünderer wird schließlich selbst ausgeplündert (Jes 59, 1–14, 4, 8 f., 13–15). Dementsprechend kann die rechte Handlung nur die Handlung sein, mit der der Mensch Gottes Gebot unverbrüchlich hält. Zu Gottes Gebot aber gehört, das eigene Gedeihen nach der Tätigkeit der eigenen Hände auszurichten, das Gut des Nächsten nicht zu begehren und zu nehmen.88

Recht und Friede gehen in der Hinwendung auf Gott und den Einzelnen untrennbar ineinander auf. Sie sind nicht in ein Stufenverhältnis oder eine Rangfolge auflösbar. Gott ist Friede und Recht. Für den Einzelnen gilt: Wendet er sich vom Recht ab, so verliert er den Frieden. Missachtet er den Frieden, so handelt er gegen das göttliche Gebot, also das Recht. Wenn Jesaja ein „Königtum der Gerechtigkeit“ verheißt und verkündet, der Friede werde die Frucht der Gerechtigkeit sein, der Ertrag der Gerechtigkeit in ewiger Stille und Sicherheit bestehen (Jes 32, 17), so löst dies keineswegs beide Begriffe in ein Stufenverhältnis auf. Die Stelle ist vielmehr so zu verstehen, dass die Rückkehr der Gerechtigkeit zugleich den Frieden mit sich bringt.89 Friede hat, wer sich in die heilvolle Grundordnung der Welt begibt. Hierzu gehört die Einhaltung des göttlichen Gebots. Nur wer sein Leben in dieser Weise auf Gott hinordnet, also fromm bleibt (Ps 37, 37), dem wird es gut ergehen. Er wird Frieden haben. Für den, der diesen Frieden ablehnt und hasst, gibt es keinen Frieden (Jes 48, 22; Ps 120, 6).90 ← 34 | 35 →

II.  Gang der Darstellung

Die vorliegende Arbeit erfasst zeitlich und auch in der Sache nur einen Ausschnitt der vielfältigen Bemühungen, Herrschaft zu legitimieren und ihre rechte Ausübung zu begründen. Sie umfasst den Zeitraum von der ausgehenden römischen Republik bis zu den Reichsgründungen der Germanen auf römischen Boden im fünften und sechsten Jahrhundert. Da dieser Zeitraum nahezu ausschließlich Zeiten einschließt, in denen die Summe der Herrschaftsgewalt personal in einer Person verankert war – als Kaiser des Römischen Reiches oder König eines der Barbarenstämme auf römischem Boden –, ist die hier bewertete Herrscherideologie nahezu ausschließlich Tugendideologie. Gegenstand der Arbeit ist daher vor allem die Frage, welche Tugenden dem Herrscher zugeschrieben wurden, mit welchem Inhalt diese Tugenden verbunden waren und, wie der Tugendkonsens sich in der lateinischen Literatur – etwa durch christliche Einflüsse – verändert hat. Sie zeichnet vorwiegend die in der römischen, patristischen und frühmittelalterlich-christlichen Literatur ausgetragene Auseinandersetzung um das Tugendideal vor dem Hintergrund der zentralen Bedeutung dieser Texte und der Tugendterminologie für die Rechtfertigung von Herrschaftsgewalt im Mittelalter nach.

1.  Erfasste Werke

Gegenstand der Arbeit ist innerhalb dieses zeitlichen Rahmens – ganz überwiegend – die lateinische Literatur, und zwar ausschließlich insoweit, wie sie sich mit der richtigen Ausübung von Herrschaft im Staat befasst. Der Forschungsgegenstand umfasst damit sowohl Schriften von Autoren, die im Auftrag römischer Kaiser oder germanischer Könige zur Verherrlichung von deren Herrschaft angefertigt und teilweise vor Publikum vorgetragen wurden, aber auch solche Schriften, in denen sich Staatstheoretiker, christliche und staatliche Amtsträger und Philosophen mit dem römischen Staat auseinandersetzen. Es handelt sich um Werke, die ausschließlich dem Lob einzelner Herrscher oder Feldherren verpflichtet sind (Panegyriken), Anleitungen zu richtigem Verhalten oder der rechten staatlichen Ordnung (Pflichtenlehren), Verteidigungsschriften von Christen im römischen Staat (Apologetik), christliche Geschichtsschreibung und dogmatische Werke von Kirchenlehrern. Staatskritische Schriften finden sich ebenso, wie Schriften von Autoren, die am Kaiserhof und an den Höfen der germanischen Könige eine aktive Rolle wahrgenommen haben. Stets geht es um den Blick lateinischer Autoren auf die Herrschaftsausübung, sei es in deren Versuchen zur dogmatischen Begründung der „richtigen“ Herrschaft oder in solchen Schriften, die eine bestehende Herrschaft nur durch Nennung einer Vielzahl von Beispielen von Herrschertugenden stützen wollen. Gerade die Vielschichtigkeit dieses Bildes bietet die Möglichkeit, die Leitlinien für die geforderten Tugenden der jeweiligen Zeit hervorheben zu können. ← 35 | 36 →

Alle Werke eint die Intention, Herrschaft entweder (1) aus der Sicht des Herrschers als rechtsgemäß darzustellen (Panegyrik) oder (2) den Maßstab der rechtsgemäßen Ausübung von Herrschaft aufzuzeigen (etwa in Fürstenspiegeln, Apologien, Geschichtsschreibung und Urkunden). Beide Gattungen wollen – in dem durch Gattung und Ziel bestimmten Umfang – den Maßstab richtigen Handelns darstellen und überschneiden sich inhaltlich. Sie „spiegeln“ falsches Verhalten, um auf das richtige Beispiel zu verweisen, und können damit in Teilen auch als „Fürstenspiegel“ bezeichnet werden.91

2.  Zeitlicher Rahmen

Die Eingrenzung des zeitlichen Rahmens erfolgte vom Standpunkt der europä­ischen und deutschen Rechtsgeschichte her. Die Auswahl der erfassten lateinischen Literatur ist daher auch daran orientiert, inwieweit diese Texte direkt oder über die Vermittlung durch weitere Schriftsteller auf die Herrschaftsvorstellungen des christlichen Mittelalters einwirken konnten. Dazu ist der Zeitraum vom ersten vorchristlichen bis zum sechsten nachchristlichen Jahrhundert gut geeignet, weil er zuerst die Schriften der Staatshistoriker der ausgehenden Republik erfasst, die auch später häufig Bestandteil einer klassischen Bildung waren und von christlichen Autoren im Mittelalter und der frühen Neuzeit häufig aufgegriffen wurden.92 Darüber hinaus ist damit auch erreicht, dass die Ansätze zur Begründung der Herrschaft eines Einzelnen am Ausgang der römischen Republik mitgewürdigt werden. Der Zeitraum ermöglicht auch die Erfassung der christlichen Literatur von ihrem ← 36 | 37 → Beginn in der Apologetik des zweiten Jahrhunderts bis hin zur „Konstantinischen Wende“ und darüber hinaus in den großen Geschichtswerken des vierten und fünften Jahrhunderts. Mit dem zunehmenden Verfall der Macht Roms und dem Eindringen teilweise christlicher Barbaren in den römischen Herrschaftsraum stellt sich zuletzt erneut die Frage, wie sich deren Herrschaftsgewalt begründen lässt und wie sie ausgeübt werden soll. Hier fungieren Bischöfe als Ratgeber germanischer Könige. Dieser christlichen Tradition steht die klassische Tradition der Herrscherpanegyrik gegenüber. Sie ist von Interesse, weil sie Überschneidungen zur christlichen Tradition aufweist. Auch christliche Bischöfe haben Grabreden und Festreden für Kaiser gehalten. Panegyriken sind zudem vor allem in der Spätantike und in den germanischen Königsherrschaften (regna) parallel zur christlichen Tradition entstanden. Sie lassen dabei zuverlässig die Tugenden erkennen, die die Kaiser sich selbst zuschrieben. Den Endpunkt der Arbeit bildet die Rechtfertigung der Herrschaften germanischer Könige auf römischem Boden – der Burgunder, Ostgoten und Franken.

3.  Beschränkung des Forschungsgegenstandes

Die oben dargestellte Auswahl zeigt zugleich die Beschränkung des Forschungsgegenstandes an. Die Beschränkung auf Literatur bedeutet zugleich, dass andere Legitimationsakte, mit denen sich ein Herrscher Geltung verschaffte, ausgeklammert bleiben. Es erfolgt weder eine Auswertung kaiserlicher Gesetzgebung, noch von Inschriften – sei es auf Bauwerken oder auf Münzen. Es wird auch nicht geprüft, inwieweit das in der Literatur geforderte oder propagierte Ideal eine Entsprechung im tatsächlichen Leben fand. Diese Beschränkung war aufgrund des Umfangs der lateinischen Literatur in diesem Zeitraum geboten. Sie erscheint aber auch sinnvoll, weil die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Autoren an die literarische Tradition ihrer Vorgänger anknüpfen.93

Die Auswertung der Literatur beschränkt sich ferner auf die Entwicklungen im lateinischen Westen (des Römischen Reiches). Soweit an einzelnen Stellen Texte griechischer Autoren Berücksichtigung finden, geschieht dies nur, soweit es unabdingbar ist. Diese Reduktion des Stoffes ist möglich, weil in dem Zeitraum der römischen Republik und des frühen Prinzipats das lateinische Schrifttum dominant war und die großen Kirchenlehrer – vor allem des fünften Jahrhunderts (Ambrosius, Augustinus, Orosius, Salvian) – fest auf dem Boden der weströmisch-lateinischen Tradition stehen. Notwendig unvollständig bleibt dadurch die Analyse der frühchristlichen Literatur. Hier hat der Verfasser daher auch auf Apologien griechischer Autoren in der deutschen Übersetzung zurückgegriffen. Der Einbeziehung der griechischen Panegyrik, etwa der oströmischen Rhetoren Themistios und Libanios, bedurfte es dagegen nicht, um die ideologischen Grundlagen des Westkaisertums zum Ausgang des vierten Jahrhunderts und im fünften Jahrhundert darzustellen. Die ← 37 | 38 → Kontinuitäten und Wandlungen der weströmischen Herrscherideologie erschließen sich bereits auf dem Boden der lateinischen Panegyriken des vierten Jahrhunderts.

4.  Dogmatischer Ansatz

Wo immer möglich, werden die herangezogenen Quellen vollständig ausgewertet, um die Entwürfe der Autoren in ihrer Geschlossenheit darzustellen. Eine systematische Betrachtung der Quellen nur nach bestimmten Stichworten soll so vermieden werden. Sie verstellt allzu leicht den Blick auf das gedankliche System der antiken Autoren und darauf, in welchem Umfang bestimmte Tugendbegriffe – etwa durch häufige Wiederholung und Exempla – in den Mittelpunkt gestellt werden. Ziel ist es, die Quellen immer dort „aus sich selbst heraus“ sprechen zu lassen, wo sie etwas zur Herrschaftslegitimation oder zur Tugendlehre mit Blick auf den Herrscher beitragen. Soweit eine selektive Bearbeitung notwendig war – etwa für die Literatur der späten römischen Republik und später die Werke der Kirchenväter – erfolgt die Auswahl nach diesem Kriterium; dies gilt auch für die Stoffauswahl innerhalb der einzelnen Werke. Systematisierungen und Wertungen bleiben dadurch im Grundsatz den einzelnen Bewertungsabschnitten vorbehalten, die die Gedankengänge zusammenfassen. Die Masse der lateinischen Literatur der Antike und des frühen Mittelalters und der durch die Darstellungsweise bedingte Fokus „auf die Quellen selbst“ führt auch dazu, dass Forschungsergebnisse der Sekundärliteratur häufig in den Fußnoten verarbeitet werden. Die Arbeit erhebt als rechtshistorisches Werk nicht den Anspruch, den Stand der historischen, theologischen, philologischen oder philosophischen Forschung vollständig abzubilden. Viele Aspekte, die die Ideologie ergänzen und für die Forschung von großem Interesse sind – etwa Inschriften, Münzfunde oder Kaisergesetze – spart sie aus, um dadurch das Tableau der lateinischen Literatur umso vollständiger darstellen zu können.

III.  Struktur

Die Struktur der Arbeit ist in erster Linie durch die Veränderungen vorgegeben, denen das Herrscherideal im Laufe der Zeit unterlag. Sie folgt den Umbrüchen und Wendepunkten im Herrschaftsverständnis, die es immer wieder erforderlich machten, sich der Grundlagen der Herrschaft neu zu vergewissern, sie kritisch zu hinterfragen und zu modifizieren. Die vorangestellte Einleitung soll den Blick auf die Bedeutung des christlichen Tugendlobs für die Königs- und Kaiserherrschaft im Heiligen Römischen Reich des Mittelalters schärfen. Vollständigkeit wird hierbei nicht erstrebt. Die angeführten Stellen aus Urkunden, Gesetzen, Schriften und Wahlkapitulationen des hohen und späten Mittelalters sollen lediglich schlaglichtartig die Bedeutung von Tugenden für konkrete Herrschaftsakte dieser Zeit beleuchten. Sie sind dem zweiten Abschnitt (B.) vorangestellt. Zur besseren Einordnung des Stoffes dient dort die ebenfalls kursorische Darstellung des Tugend- und Herrscherlobes in archaischer und griechischer Zeit. Die Gliederung des Stoffes folgt im Wesentlichen den Entwicklungslinien der erhaltenen lateinischen Literatur, ← 38 | 39 → ohne sich ihnen im Einzelfall sklavisch unterzuordnen.94 Das Werk bietet danach im ersten Abschnitt die Grundlegung römischer Feldherren- und Menschentugend noch vor Beginn der Prinzipatszeit. Danach folgt ein kurzer Blick auf die Ideologie des Augustus und seiner Nachfolger. Schwerpunkte bilden einzelne Werke des Cicero, Sallust, Seneca und Tacitus. Vor allem grundlegende Schriften wie Ciceros Pflichtenlehre (De officiis) und Senecas Werk (De clementia) finden sich hier wieder. Die Aufnahme von Werken des Sallust und Tacitus hat vor allem dem Zweck, Allgemeinverbindlichkeit und Kontinuität des Idealbildes zu prüfen. Der der frühen Panegyrik gewidmete Abschnitt (C.) führt auch mittels des Trajanpanegyrikus in die Gattung ein und stellt das ideologische Idealbild der Tetrarchie vor. Die Schriften heidnischer Autoren des zweiten und dritten Jahrhunderts – etwa die Selbstbetrachtungen Marc Aurels – wurden mit Blick auf die Zielsetzung zum christlichen Mittelalter hin, ausgelassen. Sie haben in der späteren Literatur christlicher und heidnischer Autoren deutlich weniger Niederschlag gefunden, als die im Abschnitt (B.) behandelten klassischen Werke. Auch im Abschnitt (D.) strebt der Verfasser zunächst nicht nach Vollständigkeit, sondern danach, christliche Tugendlehre und ihre Berührungspunkte zur römischen Staatsherrschaft nachzuzeichnen. Im Zentrum der dogmatischen Auseinandersetzung von Christentum und römischer Herrschaftsideologie stehen die Schriften des Laktanz und Eusebius. Eusebius wurde, obgleich die griechische Literatur sonst insgesamt ausgespart wurde, in die Betrachtung mit einbezogen, weil er mit Laktanz gleichermaßen im Mittelpunkt der „konstantinischen Wende“ steht. Die Auswertung der lateinischen Panegyrik des vierten Jahrhunderts im Abschnitt (E.) bildet die Grundlage des Abschnittes (F.). Sie zeigt das parallele Fortbestehen christlicher und heidnischer Herrscherideologie auf. Im Abschnitt (G.) finden sich demgegenüber die christlichen Autoren des fünften Jahrhunderts mitsamt den „großen“ Entwürfen christlicher Tugendlehre in Abgrenzung zum römischen Gemeinwesen, auch bei Orosius und Salvian. Durch die dogmatische Geschlossenheit dieser Werke wird der letzte Abschnitt (H.) vorbereitet. Er betrifft die germanischen Königsherrschaften. Darin hat sich der Verfasser wiederum auf Burgunder, Ostgoten und Merowinger beschränkt, wobei die größte Aufmerksamkeit schon aufgrund der Quellenlage der Ostgotenherrschaft in Italien gilt. Mit dem letzten großen Panegyriker des lateinischen Westens – Venantius Fortunatus – schließt das Werk. ← 39 | 40 →

IV.  Quellenauswahl

1.  Römische Republik

Die Auswahl der Literatur erfolgte im Einzelnen nach folgenden Grundsätzen: Ausgangspunkt sind die in der Krise der römischen Republik entstandenen Staatsschriften. Sie werden einer umfassenden Untersuchung unterworfen. Es sind die Schriften Sallusts, die Reden Ciceros in Ansehung des umfassenden Imperiums des Pompeius sowie des Sieges Caesars im Bürgerkrieg und sein Werk über die Tugendethik (De officiis). Die Auswertung von Ciceros Pflichtenethik ist zwingend durch den umfangreichen Rückgriff der Autoren der Spätantike auf das Werk geboten. Vor allem Laktanz, Ambrosius von Mailand (in seinem gleichnamigen Werk) und auch Augustinus nehmen hier Anleihen oder setzen sich kritisch mit Ciceros Ansätzen auseinander. Die Schrift stellt gleichsam die Grundlage einer allgemein-menschlichen Tugendethik dar. Unverzichtbar – mit Blick auf das spätantike Ideal der Kaiserherrschaft – sind auch die Schriften Ciceros über das Imperium des Pompeius sowie die Verteidigungsrede „Pro Marcello“. In ihnen entfaltet sich erstmals ein geschlossener Katalog der Tugenden, die die res publica von einem Träger des Imperiums fordern kann und muss. Als Korrelat hierzu fungieren die beiden Werke Sallusts über die „Catilinarische Verschwörung“ und den „Jugurthinischen Krieg“. Ciceros positivem Entwurf einer Lehre der Feldherrentugenden stellt Sallust die lasterhaften Verfallserscheinungen der res publica und ihrer Heerführer gegenüber. Ciceros Werk über die res publica hat der Verfasser ausgelassen, wie überhaupt vielfach eine Auswertung solcher Schriften unterblieb, deren inhaltliche Überlieferung wesentliche Lücken aufweist und deren dogmatische Struktur daher nicht vollständig erhalten ist. Sie war mit Blick auf die Zielsetzung der Arbeit, die Grundlagen des mittelalterlichen Herrschafts- und Kaiserideals darzulegen, auch deswegen nicht geboten, weil das als verschollen geltende Werk erst im frühen 19. Jahrhundert wiederentdeckt wurde. Die Autoren der augusteischen Zeit wurden nur soweit berücksichtigt, als dies zur Verdeutlichung der Entstehung der Prinzipatsideologie notwendig erschien. Vergils „Aeneis“ und der Herrschaftsauftrag Roms nehmen hier den zentralen Ort ein. Die Hirtengedichte des Titus Calpurnius Siculus illustrieren die Kontinuität des Herrscherlobes nach Augustus. Die Einbeziehung der schon von Mause umfassend ausgewerteten „Silvae“ des Statius konnte dadurch unterbleiben.95 Ebenso grundsätzlich wie Ciceros Pflichtenethik hat Seneca mit seinem Werk von der „Clementia“ die römische Herrscherideologie der folgenden Jahrhunderte geprägt. Mit dem Feldherrenlob des Tacitus (Agricola) nimmt letztmalig ein römisch-heidnischer Autor in kritischer Distanz das römische Kaisertum Domitians in den Blick. ← 40 | 41 →

2.  Panegyrik

Die Entscheidung, die lateinische Panegyrik der Antike insgesamt mit in die Arbeit aufzunehmen, ist angesichts der umfassenden Zielsetzung des Werkes notwendig. Das römisch-heidnische Herrscherideal vom dritten bis zum fünften Jahrhundert kann ohne die Lobschriften der Rhetoren und Oratoren, die aus offiziellen Anlässen und in der Regel mit ausdrücklicher Billigung des Kaisers verfasst wurden, nicht erfasst werden. Die ihnen kritisch gegenüberstehenden Werke christlicher Apologetik – dies gilt vor allem für Laktanz’ „Divinae Institutiones“ und die Schriften des Eusebius von Caesarea – könnten ohne sie nicht vollständig ausgewertet werden. Dies gilt ebenso für die Schriften des Ambrosius von Mailand, Augustinus, Orosius und Salvian, weil die Kritik der christlichen Autoren am römischen Staatswesen und seiner Verfassung stets die Auseinandersetzung mit der Legitimation der Kaiserherrschaft, wie sie sich präsentiert, beinhaltet. Die Entscheidung, dem Abschnitt über die Panegyrik eine umfassende Einleitung voranzustellen, ist vor allem der Eigenart der Gattung geschuldet. Sie dient dem Zweck, dem Leser die spezifischen Gattungsmerkmale zu verdeutlichen. Auch die Frage nach der Bedeutung des panegyrischen Lobpreises für das Herrscherlob überhaupt ist an dieser Stelle zu klären. Dies erfolgt anhand des Trajanpanegyrikus des Plinius ebenso, wie durch die Auswertung der Anleitung Menander Rhetors. Dem frühen Panegyrikus des Plinius beigestellt sind die bis zum Ausgang des dritten Jahrhunderts überlieferten Lobreden auf Maximian, Diokletian und Constantius. Sie geben Kerninhalte der diokletianischen Herrscherideologie vor und dienen als Vergleichsgrundlage für die spätere Panegyrik des vierten Jahrhunderts ebenso, wie für die ideologische Wandlung der konstantinischen Wende. Mit der in ihnen enthaltenen Herrschaftsgrundlage haben sich auch die christlichen Autoren der Zeit auseinandersetzen müssen.96

3.  Christliche Apologetik bis zur konstantinischen Wende

Der Zäsur der konstantinischen Wende, die den allmählichen Übergang von heidnischen zu christlichen Herrschaftsgrundlagen einleitet, nähert sich das vorliegende Werk erneut von den Grundlagen her. Frühchristliche Literatur und Apologetik ab dem ersten nachchristlichen Jahrhundert schaffen die geistigen Grundlagen christlicher Tugendethik. Der Verfolgungssituation ist die Zuwendung christlicher Autoren auf den römischen Staat geschuldet. Sie setzen sich mit der Verfassung des Gemeinwesens und den Tugenden des Herrschers auseinander. Im lateinischen Westen gilt dies vor allem für das Werk Tertullians, später für das des Laktanz. Den Werken des Laktanz wird vom Verfasser auch deswegen ein besonders breiter Raum eingeräumt, weil sie teilweise noch während der diokletianischen Verfolgung entstanden. Ihre Bedeutung für die ideologische Zeitenwende des beginnenden vierten Jahrhunderts beziehen diese Schriften aus der besonderen Vertrautheit des Laktanz ← 41 | 42 → mit dem System der Tetrarchie. Er versucht, alle Apologetik zu einem Abschluss zu bringen und erhebt den Anspruch, ein dem römischen Zivilrecht überlegenes System des göttlichen Rechts zu schaffen. Dass Laktanz in Diensten Konstantins auch nach der Überwindung der Tetrarchie weitere Schriften verfasst und die Institutionen überarbeitet hat, ermöglicht auch die Betrachtung der Frage, inwiefern sich dadurch die Positionen des Autors zur kaiserlichen Gewalt und Tugend verschieben. Unmittelbar mit der ideologischen Wende verbunden sind auch die Schriften des Eusebius von Cäsarea, von dem auch bereits ein christlicher Panegyrikus überliefert ist. Sie bilden das notwendige Korrelat zu den Werken des Laktanz.

4.  Lateinische Panegyyrik nach Konstantin

Die Betrachtung der christlichen Auffassung von Herrschaft ermöglicht es, auch das lateinische Herrscherlob nach Konstantin auf mögliche christliche Elemente zu überprüfen. Die Schriften der Lobredner für Konstantin und Julian, die Reden des Symmachus und die Panegyriken für Gratian und Theodosius zeichnen Veränderung in der Herrscherideologie des vierten Jahrhunderts nach und lassen sich den christlichen Werken derselben Zeit gegenüberstellen. Innerhalb des heidnisch-römischen Schrifttums ist vor allem das umfangreiche Werk des Claudius Claudianus zu behandeln. Er umreißt zum Ende des vierten Jahrhunderts das Selbstverständnis und den Weltherrschaftsanspruch des römischen Westens noch einmal umfassend.

5.  Christliche Herrschafts- und Herrscherethik im vierten und fünften Jahrhundert

Von hier aus knüpft die Schrift erneut an die christliche Dogmatik an. Mit Firmicus Maternus ist den Werken der Kirchenväter ein Autor vorangestellt, dessen Schriften über die Astrologie und den Irrtum der heidnischen Religionen die persönliche Umkehr vom heidnischen zum christlichen Glauben zugrunde liegt. Mit dem Kirchenvater Ambrosius bricht im lateinischen Westen der Konflikt um den Vorrang kaiserlicher oder kirchlicher Gewalt auf. In den Auseinandersetzungen mit Gratian, Valentinian II. und Theodosius wird das christliche Menschenkaisertum nach seinen Befugnissen näher bestimmt. Die Pflichtenlehre des Ambrosius (De officiis) wirft die Frage auf, was von Ciceros Pflichtenlehre für das Christentum noch tauglich ist.97 Die Trauerreden für Valentinian und Theodosius enthalten christliche Panegyrik. Durch sie lässt sich das christliche Herrscherlob des ausgehenden vierten Jahrhunderts vom heidnischen des Claudius Claudianus abgrenzen. Mit der „Vita S. Martinii“ des Sulpicius Severus nimmt die Arbeit ein Werk der aufkommenden Gattung hagiographischer Schriften auf. In ihm begegnen sich christliche Lebenstugend und römische Herrschaft im Gespräch des Heiligen Martin mit ← 42 | 43 → dem gallischen Usurpator Maximus.98 Seine zentrale Bedeutung liegt aber auch in dem Vorbildcharakter des heiligen Martin für das merowingische Königtum Chlodwigs im sechsten Jahrhundert begründet.99

Die christliche Kritik an der Tugend des weströmischen Kaisertums und der römischen Nobilität, stellen die Schriften des Augustinus, Orosius und Salvian im vierten Jahrhundert in den Mittelpunkt. Das Fehlgehen des Staatswesens und des römischen Lebens vor dem Fall der Stadt Rom an die Westgoten, ist für Augustinus (De civitate Dei) der Ausgangspunkt zu einer umfassenden Abrechnung mit dem römischen Staat. Die ersten fünf Bücher nutzt er zugleich dazu, auch den rechten christlichen Weg aufzuzeigen. Im neunzehnten Buch des Gottesstaates entwirft er schließlich das Ideal einer christlichen Friedensordnung, in den Grenzen der Möglichkeiten des Irdischen. Im Auftrag des Augustinus und in enger Anlehnung an die ersten Bücher des Gottesstaates, verdeutlicht der spanische Presbyter Orosius (Adversus Paganos Historiarum) die Kritik am irdischen Staat und seinen Lastern durch christliche Geschichtsschreibung. Da diese vor allem eine Geschichte der Königsherrschaften auf Erden ist, die von dem christlichen Ideal verschieden sind, stellt auch dieses Werk eine unmittelbare Auseinandersetzung mit der römischen Herrschaftsgewalt auf Erden und ihren Grundsätzen dar. Gleiches gilt für die scharfen Angriffe, die Salvian von Marseille in „De gubernatione Dei“ gegen die Art der Ausübung der Amtsgewalt durch die Provinzialen und den Kaiser richtet. Alle christlichen Autoren des fünften Jahrhunderts müssen sich schließlich auch mit der Frage befassen, wie sich christliche Herrschaft zu den Wanderungsbewegungen der Volksstämme (Vandalen, Goten, Franken) verhalten sollte. Das Ende des Abschnitts über das christliche Kaisertum in der Literatur des fünften Jahrhunderts bildet das Werk des Gallorömers Sidonius Apollinaris. Seine Panegyriken auf die Kaiser Avitus (455), Maiorian (458) und Anthemius (467) bilden den Schlussstein eines Westkaisertums sine fine. Sie ermöglichen es auch, die Aussagen kirchlicher Autoren über den Zustand des römischen Staatswesens zu verifizieren.

6.  Christliche Tugendlehre in den germanischen regna

Die im letzten Abschnitt dieser Schrift analysierten Werke christlicher Autoren des fünften und sechsten Jahrhunderts dienen der Beantwortung der Frage, welche Elemente des römisch-christlichen Herrschaftsideales den Weg in die Ideologie der germanischen Königsherrschaften fanden. Ausgehend vom burgundischen Königtum in den Schriften des Bischofs Avitus von Vienne geht es um das Verhältnis der ← 43 | 44 → Königsherrschaft zur oströmischen Kaisergewalt. Dabei wird das Herrschaftsverständnis der regna im Verhältnis zum römischen Königtum und Prinzipatsgedanken beleuchtet. Zudem stehen Fragen der Abgrenzung der Befugnisse des Königtums gegenüber der Kirche in der irdischen Ordnung im Mittelpunkt sowie der christliche Ausgleich unter verschiedenen Königsherrschaften. Darin eingeflochten sind Ausführungen über das Verhältnis barbarischer Streitbeilegung zu christlichen Grundsätzen. Sie betreffen die Frage nach der iustitia und die Art des rechten Gebrauchs des Schwertes der weltlichen Gewalt. Nur einen kleinen Raum hat der Verfasser dem Brief des Avitus anlässlich der Bekehrung Chlodwigs eingeräumt, weil auch dieser sich in den Gesamtentwurf des Autors einfügt. Die „Vita S. Epiphanii“ des Bischofs Ennodius von Pavia nimmt mit Anthemius und Theoderich zugleich einen der letzten Westkaiser und den ersten Ostgotenherrscher in den Blick. Sie bewertet konkrete Handlungen der Herrscher anhand des abstrakten christlichen Tugendmaßstabes, der im Wirken des Epiphanius verkörpert wird. Im Panegyrikus desselben Autors auf Theoderich wird erstmalig ein Barbarenkönig zum Idealbild christlichen Wirkens erhoben. Vorwiegend abstrakt, vor allem in Ansehung der Herrschaft Theoderichs, bleibt demgegenüber das Werk des Boethius, das neben der Menschen- auch die Herrschertugend einschließt und die Frage nach dem glücklichen, sicheren Leben auf Erden zu beantworten sucht. Die „Variae“ des Marcus Aurelius Cassiodor lassen schließlich auch die Überprüfung der Frage zu, inwieweit sich das christliche Idealbild eines Ennodius in der Herrschaftspraxis Theoderichs, in den Staatsurkunden und Briefen des Osgotenherrschaft niederschlug. Die gesammelten Briefe berühren sämtliche Fragen, die auch Avitus an die Burgunderherrschaft stellte. Die Arbeit beschließen im sechsten Jahrhundert die Panegyriken des Venantius Fortunatus auf die Merowingerherrscher.


1 Dies ist allgemein anerkannt. Thieme, Friede und Recht, 4: „‚Pax et iustitia‘, so lautet die immer wiederkehrende Formel der Kaiserzeit, mit der Aufgabe und Bestimmung des Reichs bezeichnet werden.“ Dort finden sich auch Ausführungen auch zu den germanischen Wurzeln des Friedensbegriffs. Ewig, Königsgedanke, 9 ff., 17 ff.; Willoweit, Dietmar, Deutsche Verfassungsgeschichte, 5. Auflage, München 2005, 59: Aufgabe des Königtums ist die Sicherung von „Friede und Recht“; der König verkörpert die gottgewollte Ordnung; 68: Bezeichnung des Kaisers als „imperator augustus Romanorum ac Francorum“; Mitteis, Heinrich/Lieberich, Heinz, Deutsche Rechtsgeschichte, 19. Auflage 1992, 103 ff., v. a. 105 zum karolingischen Imperium: „Das so erneuerte weströmische Kaisertum knüpfte nicht so sehr an den Dominat spätrömischer Cäsaren an, als vielmehr an das germanische Königspriestertum und die Civitas Dei im Sinne Augustins.“ Zum frühen Mittelalter vgl. auch Singer, Fürstenspiegel, 707: „Am Anfang des Mittelalters stehen […] die Fürstenspiegel der Karolingerzeit. Im Zuge geistiger Erneuerung sind sie entstanden: Auch das Königtum soll mit christlicher Ethik vertraut gemacht werden. Elemente eines christlichen Herrscherbildes – entnommen aus dem Alten Testament, Paulus (Röm. 13), Augustin, Gregor d. Großen, Isidor, dem irischen Pseudo-Cyprian […] finden sich im 8/9. Jh. zunehmend in Historiographie und Dichtung […] die geistlichen Mahnschreiben an Könige seit der Merowingerzeit, können vom Aufbauschema her als Vorläufer der karolingischen Fürstenspiegel gelten. Schneidmüller, Kaisertum, Sp. 1496, verweist auf das Lehnwort „Caesar“, die Übernahme des Begriffs der militärischen Kommandogewalt „Imperium“ und den Ehrentitel Augustus; Schmidt, Heiliges Römisches Reich, Sp. 885; für das Königtum der germanischen Königsherrschaften vgl. etwa Schieffer, Fränkisches Reich, Sp. 1671 und 1677 mit Hinweis auf den Akt der Salbung mit geweihtem Öl. Zum Hochmittelalter: Schimmelpfennig, Bernhard, Könige und Fürsten, Kaiser und Papst nach dem Wormser Konkordat, München 1996 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Band 37), 1f.: Titulatur als „imperator“ oder „rex romanorum“; Boshof, Eugen, Königtum und Königsherrschaft im 10. und 11. Jahrhundert, München 1997 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Band 27), 109 f. Zum Spätmittealter: Krieger, Karl Friedrich, König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter, München 2005 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Band 14), 11 f.

2 Dass dies ein Desiderat der Forschung ist, hat Hattenhauer, Pax et iustitia, 1 f. bereits dargelegt. Einzelne Arbeiten, etwa von Laufs, Friedensgedanke, haben sich mit Teilaspekten dieser Genese befasst.

3 Thieme, Hans, Friede und Recht im mittelalterlichen Reich, Leipzig 1945; Hattenhauer, Hans, Pax et iustitia, 1982/1983; Anton, Hans Hubert, Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit, Bonn 1968.

4 MGH, Fontes iuris Germanici antiqui, (Wolfgang D. Fritz, Bearb.), Tomus XI – Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. vom Jahr 1956, Weimar 1972, S. 43.

5 MGH, Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, (Ed. Karolus Zeumer et Ricardus Salomon), Tomus VIII, Hannover 1910–1926, Nr. 144, S. 224.

6 Weinrich, Diplomata et acta, Licet iuris Nr. 89, S. 290.

7 MGH, Constitutiones et acta publica imperatorum et regum (Ed. Iacobus Schwalm), Tomus III, Hannover und Leipzig, 1904–1906, Nr. 468, S. 455 f. (Schreiben vom 7. 11. 1291).

8 MGH, Constitutiones et acta publica imperatorum et regum (Ed. Iacobus Schwalm), Tomus V, Hannover und Leipzig, 1909–1913, Nr. 95, c. 3: „…virum utique katholicum, ortodoxe fidei fervidum zelatorem, strennuum et sagacem conversacionibus et moribus non modicum ornatum, devotum et humilem, de Romanorum regum prosapia oriundum, sacri imperii gubernacula regere magnifice et iura ipsius manutenere potentem necnon reipublice preesse utiliter et prodesse valentem, in omni morum honestate perspicuum et preclarum, affabilem, benignum et mansuetum ac in aliis agibilibus pro regimine reipublice plurimum circumspectum…“.

9 Weinrich, Diplomata et acta, Nr. 64, S. 214, c. 2: „…iura imperii regere et defensare et in melius reformare ac in statu tranquillo et pacifico conservare.“

10 Weinrich, Diplomata et acta, Nr. 64, S. 216, c. 4: „…idem rex est fide katholicus, ecclesiarum amator, iusticie cultor, consilio pollens, propriis potens viribus et multorum potentum affinitate connexus, deo ut opinamur amabilis et humanis aspectibus graciosus […] propter quod speramus in eo, qui reges et regna constituit, quod sub eius principatu pacifico quies regno proveniet, pax ecclesiis, concordia plebibus et moribus disciplina…“

11 Weinrich, Diplomata et acta, Nr. 63, S. 210 c. 3. Der König hat pax und concordia zu gewährleisten; S. 212, c. 5 f.: Der König war nicht fähig, gegen die Störung (turbatio) des Friedens vorzugehen.

12 Weinrich, Diplomata et acta, Nr. 63, S. 204. „Hec enim eterni fuit providentia iudicis, de cuius vultu recta iudicia prodeunt, ut recti iudices eligerentur in orbe, qui terram iudicent, iustiticam diligant, orphanos, pupillas et viduas defendant et quorum oculi respiciant equitatem.“

13 Weinrich, Diplomata et acta, Nr. 68, S. 288, c. 2 u. 3.

14 MGH, Constitutiones III, Nr. 15, S. 18 f.

15 MGH, Constitutiones III, Nr. 14, S. 17 f.

16 MGH Constitutiones III, Nr. 16, S. 19 f., Z. 11–15: „Quem senatus populusqe Romanus statuit, quem lex virtusque statuit, quem deus ipse statuit, contempnent singuli frenis agi pauperis respuentes, sicque iusticia suffocabitur et exulabit concordia et pax regnantibus criminibus expirabit, impunes dissulcabunt iniurie, proximus insurget in proximum…“

17 MGH, Constitutiones et acta publica imperatorum et regum (Ed. Ludewicus Weiland), Tomus II, Hannover, 1896, Nr. 329, S. 440 f.

18 MGH, Constitutiones II, Nr. 3, S. 3, c. 1; Nr. 19, S. 25 (pax und quietas).

19 MGH, Constitutiones et acta publica imperatorum et regum (Ed. Ludewicus Weiland), Tomus I, Hannover, 1893, Nr. 318, S. 449 (Fehdebrief gegen die Brandstifter, 1186); Nr. 277, S. 381 (Rheinfränkischer Landfriede, 1179); zum Frieden auch Nr. 176, S. 245 (Ronkalischer Landfriede, 1158); Nr. 158, S. 220: gegen Ruhestörer für pax und tranquillitas (Curia Ratisbonensis, 1155). Vgl. auch die Wahlanzeige Friederichs I., Nr. 137, S. 191 f.

20 MGH, Constitutiones I, Nr. 139, S. 194: Schutz der Kirchen und der Kirchendiener sowie Pflicht zur iustitia ihnen gegenüber; gegenüber den Herrschaftsunterworfenen Pflicht zu pax und iustitia, d. h. Schutz vor allem der Witwen, Mündel und Waisen durch unermüdlichen Einsatz zur gloria der Herrschaft.

21 MGH, Constitutiones II, Nr. 405, S. 523 f.

22 MGH, Constitutiones III, Nr. 494, S. 478.

23 MGH, Constitutiones II, Nr. 328, S. 581.

24 MGH, Constitutiones II, Nr. 196, S. 241 u. 243. Vgl. auch Nr. 171, S. 211, „iusticia et pace

25 MGH, Constitutiones II, Nr. 171, S. 211, „iusticia et pace; Nr. 284, S. 398.

26 Formelhaft etwa MGH, Constitutiones II, Nr. 197, S. 263 (Gründungsurkunde für das Herzogtum Braunschweig (1235).

27 Somnium, S. 386.

28 Somnium, S. 388, 390: „Errat qui existimat, rem militarem magis vi corporis et virium quam virtute animi et consiliis recte procedere. In consiliis autem maiores vestri reipublice amorem privatis comodis pretulerunt. Fuit illis concordia ordinum, peritia simul et disciplina rei militaris, animus in consulendo liber, neque odio neque amicitia corruptus. Divicias honestas, sed gloriam ingentem cupiebant, esse quam videri boni malebant. Laborem, sudorem et pericula viris, munditias, voluptates et molliciem mulieribus convenire putabant. Maximam gloriam in eo, in quo virtus maxime enitesceret, posuerunt; in bello audaces, in hostes terribiles, in socios et amicos fideles, at in victos clementes fuere. Ubi pax evenerat, iusticia et equitate seque et rempublicam gubernavere. […] Satis se tutos, satis fortunatos arbitrantes, si amplum, magnificum et floridum imperium esset; […] virtute eos imperium orbis meruisse.“ Demgegenüber steht die Darstellung der Gegenwart: „Pro his habetis avaritiam, is vobis ad luxuriam atque incredibilem superbiam, que vos in tot viciorum genera immersit, ut iam neque vitia ipsa neque remedia vitiorum pati potestis! Ne mirum, quod languet imperium…“.

29 Die kritische Bewertung Schmales, Quellen zu Heinrich IV, 24, trägt dem kaum Rechnung. Carmen de Bello Saxonico, Vita Heinrici IV. Imperatoris und die Briefe Heinrichs IV. werden im Folgenden nach der Ausgabe von Rudolf Buchner (Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV, Darmstadt 1974) zitiert. Die Zitierung erfolgt für das Carmen de Bello Saxonico nach Buch und Verszeile, im Übrigen nach Seite und Zeile.

30 Carmen I, 20–25, v.a. 21: „…iura dedit, leges statuit, cohibenda coercet…“.

31 Carmen I, 58 u. I, 18.

32 Carmen I, 63 f.; 67 f.

33 Carmen I, 132 „Auro vende fidem….“; 138 „Perfide sic certas miles…“; 151 „…fidem miles non comparat auro.“; wieder fällt die Parallelität der gewählten Formulierung ins Auge.

34 Carmen I, 229–235 „…Castellanorum virtus experta laborum / Fortis in arma furit per tempora nulla quievit, / Hostibus usque nocens, sibi laudis nomen adaugens: Nunc terram vastant preda, nunc torre vel ense. / Sic castellorum quoque custodes aliorum / Fines Saxonum devastavere propinquos / Quosque suis castris simul igni, caede, rapinis / Multimodis omnes…“.

35 Carmen II, 203–213 „Rex igitur, facta Saxonum deditione, / Supplicibus mitis, contrarius atque superbis, / More leonino, substratis hostibus, iram / Iustam deposuit commissaque cuncta remisit. / Ibat per patriam rex invictissimus illam, / Incorrecta regens, leges et iura reponens, / Restituens cunctis sua dudum despoliatis. Hinc propriam sedem tendens ad Goslariensem, / Saxonum genti dat iura petenti, / per totam patriam pacis iubet esse quietem, / Iusto iudicio causas componit et aequo.“

36 Carmen III, 7; 109–112. So die Schilderung in 2–29. Die Auflehnung gegen das „göttliche Recht“ kommt in der Entweihung der Gotteshäuser und Friedhöfe zum Ausdruck. Gleichermaßen berichtet die Vita 3, S. 418, Z. 2–4, die Sachsen hätten die Gebeine des Königssohnes geschändet. Vgl. auch Carmen III, 46–49.

37 Carmen III, 279 f.: „…Parcet subiectis debellabitque superbos.“ ; 288: „pietate parentes“; 287–295.

Details

Seiten
874
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631732021
ISBN (ePUB)
9783631732038
ISBN (MOBI)
9783631732045
ISBN (Hardcover)
9783631732007
DOI
10.3726/b11622
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (August)
Schlagworte
Legitimation Rom Tugend Kaiserzeit Herrschaft Ideologie
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 874 S.

Biographische Angaben

Thorsten Thielen (Autor:in)

Thorsten Thielen studierte Rechtswissenschaften in Trier, wo er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Deutsche Rechtsgeschichte arbeitete und als Lehrbeauftragter tätig ist.

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Titel: Friede und Recht
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