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Pragmatische und rhetorische Determinanten des Translationsprozesses

von Beate Sommerfeld (Band-Herausgeber:in) Karolina Kęsicka (Band-Herausgeber:in) Małgorzata Korycińska-Wegner (Band-Herausgeber:in) Anna Fimiak-Chwiłkowska (Band-Herausgeber:in)
©2018 Sammelband 166 Seiten

Zusammenfassung

Die Bandbreite der im vorliegenden Band angesprochenen Themenfelder und Aspekte der Translation will ersichtlich machen, wie viele Faktoren diesen Prozess mitbestimmen und bei einer sachgerechten und wo möglich objektiven Bewertung der Übersetzer- und Dolmetscherleistung zu berücksichtigen sind. Aus der Vielzahl der möglichen Blickpunkte, aus denen die Qualitätssicherung des Translationsprozesses hinterfragt werden kann, nehmen die Autoren des Bandes besonders zwei Fragestellungen ins Visier - pragmatische und rhetorische Determinanten der Translation. Dabei werden Pragmatik und Rhetorik sowie Qualitätsmanagement des Translationsprozesses in Fachtexten, in audiovisuellen Übersetzungen und am Beispiel der Dolmetschpraxis aufgedeckt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Pragmatische und rhetorische Determinanten des Translationsprozesses
  • Rhetorische Kriterien für Übersetzungsqualität
  • Theoretische und pragmatische Aspekte der Rechtsübersetzung
  • Zur pragmatischen Äquivalenz im Translationsprozess
  • Kriterien für die Qualität der Übersetzung im juridischen Diskurs als Bestandteil des Forschungsprojektes TransIus
  • Leistungsüberprüfung und der Übersetzungsprozess von Fachtexten
  • Grundkompetenzen von Gesprächsdolmetschern im Bereich nonverbale Kommunikation und wie sie durch Training gefördert werden können
  • Laien-Dolmetschen im Rahmen von Linienunterweisungen am Beispiel eines deutsch-polnischen Offshoring-Projekts
  • Zwischen objektiver Beschreibung und subjektiver Wahrnehmung. Zur Mehrdimensionalität von AD-Texten und ihrer Bewertungskriterien
  • Über die Qualität von multimedialen Übersetzungen. Exemplifiziert an der Humorübersetzung in der deutschen Synchron- und Untertitelfassung von Woody Allens Annie Hall
  • Translator’s Footnotes: the Territory where Loyalty is not Required?
  • Zu den AutorInnen
  • Index

Pragmatische und rhetorische Determinanten des Translationsprozesses

Vorwort der Herausgeberinnen

Nimmt man den konzeptuellen Wandel des Translationsbegriffes, der sich im 20. Jh. in der modernen Translationswissenschaft vollzogen hat, in den Blick, so wird deutlich, wie viele Determinanten und Aspekte mit einbezogen werden (müssen), um der vielfachen Kontextualität des Begriffs gerecht zu werden. Übersetzung wird demnach linguistisch orientiert als interlingualer Transfer, ein „Aufeinandertreffen zweier sprachlicher Systeme“ (Vernay 1974: 2) definiert, mit den zentralen Begriffen des Kodierungswechsels, der Übersetzungsregeln/-prozeduren sowie der Übersetzungsäquivalenz (Kade, Neubert, Catford, Vinay/Darbelnet, Koller u. a.); kommunikationstheoretisch und pragmalinguistisch orientiert in den Kontext einer Kommunikationssituation und einer funktionalen Varianz des translatorischen Handelns eingebettet, mit der Auffassung von Translation als Form der Kommunikation und des Übersetzers als Handelndem (Reiß, Vermeer, Nord, Hönig/Kußmaul, Stolze, Holz-Mänttäri), und schließlich mit Blickrichtung auf den inter-/transkulturellen Dialog beim Übersetzen als eine Kulturarbeit (kulturvermittelnd sowie kulturkonstruierend), ein kulturelles Faktum bzw. eine Repräsentation von Kulturen betrachtet (Reiß/Vermeer, DTS, Postcolonial Studies, Bachmann-Medick).

Aus der Vielzahl der Aspekte, unter denen der Translationsprozess theoretisch betrachtet werden kann, wollen wir in diesem Band drei ins Visier nehmen: 1) die Pragmatik des Übersetzens, also die Korrelation zwischen Sprachzeichen und deren Benutzer in den gegebenen Kommunikationssituationen, die Analyse von Kommunikationsbedingungen und Diskurstypen sowie die Analyse der Funktion/Zielgerichtetheit von Übersetzungen; 2) Wie Texte verfasst und übersetzt/gedolmetscht werden, also eine Text- und Diskursanalyse unter rhetorischem Aspekt, d. h. mit dem Fokus auf lexikalische, syntaktische und stilistische Besonderheiten sprachlicher Kodes, diskurseigene Sprach- und Textkonventionen sowie die Bewahrung und Form der Wiedergabe der Textästhetik in der Übersetzung und 3) die Qualität von Übersetzungen und die Frage von Qualitätsmaßstäben, mit Hilfe derer man die Qualität des Translats objektiv bewerten könnte.

Texte werden von und für Menschen gemacht. So sind auch Übersetzungen ein Kommunikationsinstrument und ein Bestandteil des jeweiligen Diskurses. Setzt man sprachliche Äußerungen mit Handlungen gleich, „[sind] Worte auch Taten“, – um mit Wittgenstein zu sprechen (Wittgenstein § 546, 1982 [1953]: 231) –, so ist auch ein Translat ein bewusstes, zielgerichtetes Handeln des Translators. Der Übersetzer handelt kommunikativ, rezipiert und produziert einen Text, jeweils vor dem Hintergrund seiner Erfahrung, seines Vorwissens, d. h. gefiltert durch sein eigenes mentales Lexikon und seine kulturelle Einbettung. Er ist ein Aktant des Kommunikationsprozesses, der nur scheinbar im Text unsichtbar bleibt.

Den Übersetzungsbegriff eng eingegrenzt als einen Mechanismus des Sprachtransfers zu begreifen, erweist sich für die Übersetzungswissenschaft als wenig fruchtbar und nicht mehr zeitgemäß. Texte sind nämlich nicht monofunktional, wie in der Translationslinguistik der 1950er und 1960er Jahre behauptet wird. Ganz im Gegenteil, Textfunktionen sind variabel. Stets werden zudem neue Textformen entwickelt. Texte informieren, instruieren und unterhalten. Sie nehmen auch einen Dialog mit anderen Texten und Textgenres auf und initiieren so ein intellektuelles Spiel mit dem Leser. Sie entfalten sich außerdem zunehmend in einem multimedialen Raum und kombinieren mehrere Medien miteinander. Ein und derselbe Text kann dabei variabel genutzt und somit auch bei der Übersetzung für verschiedene Zwecke unterschiedlich verarbeitet werden.

Der Bruch mit der „Illusion“ der Funktionskonstanz von Texten (Prunč 2001: 165) in der Translationswissenschaft hat eine Fokusverlagerung von der inhaltlichen Invarianz der Übersetzung als Schwerpunkt der Analyse und Bewertung der Übersetzungsleistung auf die pragmatische Äquivalenz im Übersetzungsprozess zur Folge. Wichtig werden also nicht nur der Transferprozess selbst, sondern auch seine Aktanten, darunter der Translator, seine Rolle und sein eigenes Rollenverständnis sowie die Kompetenzen des Übersetzers.

An die Stelle inhaltlicher und formeller Imitation des Ausgangstextes ist die Adäquatheit der Übersetzung getreten, also das entsprechende „Verhältnis zwischen den Mitteln des sprachlichen Ausdrucks und dem Skopos“ (Horn-Helf 1999: 72). In vielen Fällen, insbesondere in der Fachübersetzung, genießt die pragmatische Äquivalenz Vorrang gegenüber den übrigen Typen von Äquivalenzrelationen. Als Beispiel kann etwa die Software-/Websitelokalisierung angeführt werden. Die funktionsgerechte Ausführung eines Übersetzungsauftrags, also die zielleserfreundliche und kommunikationsfördernde Textgestaltung ist hier wichtiger als die inhaltliche Invarianz des Textes. Der eigentlichen Textanalyse geht die Analyse des jeweiligen Übersetzungsauftrags und die Ermittlung von Übersetzungszweck und Zielempfängererwartungen voraus. Der Translator hat damit eine Doppelloyalität nachzuweisen, einerseits dem Ausgangstext(autor) und andererseits dem Zieltextempfänger gegenüber (vgl. Nord 1991: 31).

Unter die Pragmatik des Übersetzens ist schließlich auch der Begriff der Übersetzerkompetenz zu subsumieren, als ein Konglomerat von Teilkompetenzen, die mit Stolze als „hermeneutische Kompetenz“ (Stolze 2015: 341) bezeichnet und als situationsadäquates Formulieren von Texten in der ZS aufgefasst wird.

Die Übersetzungspragmatik geht mit rhetorischen Aspekten der Übersetzung einher. Ausschlaggebend für die Gewährleistung von Übersetzungsqualität und reibungsloser Kommunikation ist neben der richtigen Interpretation des Übersetzungsauftrags durch den Übersetzer und dem skoposadäquaten Erstellen des Zieltextprofils auch die sachgerechte und stilistisch treffende Wortwahl. Entsprechend der Lasswell-Formel muss sich auch der Übersetzer die Frage stellen, was, in welcher Reihenfolge und mit welchen verbalen (auch nonverbalen) Mitteln er dem Textempfänger übermitteln will. Dies bedeutet eine tiefgründige sprachliche Analyse der Ausgangstextes im Hinblick auf seine Struktur, Kohärenz, Semantik, Syntax und Stilistik. Übersetzen als ein Top-down-Prozess setzt voraus, zunächst den Textzusammenhang herzustellen, bevor man über die Wahl der Übersetzungsstrategie entscheidet. Von Relevanz ist dabei die Kenntnis von diskurseigenen Sprach- und Textkonventionen sowie Erkenntnis, wie der Text durch seine Ästhetik auf den Empfänger wirkt.

Die Ergebnisse der funktionalen und sprachlichen Textanalyse determinieren dann die Wahl einer situationsadäquaten Übersetzungsstrategie, die wiederum einen der Bestandteile der Bewertung übersetzerischer Qualität darstellt. Wenn „Dominante aller Translation […] deren Zweck [ist]“, – wie im funktionalen Ansatz (Reiß/Vermeer 1991: 96) behauptet wird, – ist der Übersetzungsauftrag auch der „Maßstab, an dem die Qualität einer bestimmten Übersetzung zu messen ist“ (Nord 2006: 385). Diese Sichtweise bedeutet die Abkehr vom übersetzungslinguistischen Bewertungsmaßstab der Inhalts- und Intentionstreue und betont eine gewisse Autonomie des Translats dem Originaltext gegenüber. Damit wird zwar eine einfache Bewertung als ‚gut’ oder ‚schlecht’ relativiert, trotzdem ist es, die Qualitätsprüfung und -bewertung als Prozess objektivierbar zu machen. Dies bedarf der Entwicklung von Instrumenten und Methoden sowie des Erstellens von einheitlichen Bewertungskriterien. Da sie allerdings in verschiedenen Übersetzungstypen jeweils woanders verortet werden und somit textübergreifend nicht einheitlich gestaltet werden können, bleibt eine absolute Objektivierbarkeit der Übersetzungsbewertung als Postulat unerreichbar.

Aus den bisherigen Vorbemerkungen geht deutlich hervor, dass der Zentralbegriff der Translationspragmatik mehrere Problemfelder fokussiert, die in den Beiträgen des Bandes thematisiert werden.

Das Übersetzen als eine dynamische Aufgabe und den Übersetzer als einen handelnden Koautor wahrzunehmen, ist der Ausgangspunkt für den hermeneutischen Ansatz von Radegundis Stolze. In ihrem Beitrag Rhetorische Kriterien für Übersetzungsqualität plädiert die Übersetzungswissenschaftlerin für eine holistische Herangehensweise an den Text und formuliert einen Katalog von rhetorischen Bewertungskriterien, die als Orientierungspunkte fürs Textverstehen und anschließend fürs Formulieren der Übersetzung gelten können. In Anlehnung an die einzelnen Bereiche klassischer Rhetorik unterscheidet sie folgende Kriterien für das Übersetzen und zugleich für die Revision der Übersetzung: Kohärenz (actio), Medialität (memoria), Stilistik (elocutio), Textfunktion (dispositio) und Inhaltsspezifik (inventio). Diese werden um Elemente einer holistischen Textanalyse auf der Makroebene (Makrostrategie) ergänzt, die die Textbotschaft verständlich werden lassen. Als übersetzerische Vorarbeit betrachtet, umfasst die Textanalyse den Entstehungskontext eines Textes, seine Diskursfeldcharakteristik, Begrifflichkeit und Aussageform. Das Integrieren von Makrostrategieelementen und rhetorischen Orientierungspunkten ermöglicht es dann dem Übersetzer, die formulierte Rohfassung der Übersetzung mikrostrategisch auf mehreren Ebenen des Textes zu überarbeiten und abschließend mit Blick auf die jeweils festgelegten translatorischen Formulierungsziele zu revidieren.

Stolze betont dabei die Relevanz der hermeneutischen Übersetzungskompetenz und deren Personenbezogenheit. In den Vordergrund wird der Übersetzer gestellt, der Verstandenes so auszuformulieren hat, dass durch seine Handlung eine effiziente Kommunikation gesichert werden kann. Die beschriebenen rhetorischen Qualitätskriterien verstehen sich als intersubjektive Orientierungshilfe auf diesem Weg.

Die Übersetzungspragmatik nimmt auch der Beitrag Theoretische und pragmatische Aspekte der Rechtsübersetzung – eine kritische Betrachtung von Julian Maliszewski ins Visier. Der Forscher greift in seinem Beitrag auf den theoretischen Ansatz von Kierzkowska und ihr 8-Ebenen-Modell der pragmatischen Rechtsübersetzung (der Analyse des Diskursumfelds) zurück. Das Modell stellt eine gewisse Modifikation der früheren Skopos-Theorie von Vermeer – weiterentwickelt von Nord – dar. Es bezweckt die Beschreibung von Elementen einer Kommunikationssituation, innerhalb deren der Übersetzungsprozess verläuft. Ähnlich wie Nord verweist Kierzkowska auf die folgenden Elemente der Kommunikationssituation: Kontext, Texttyp, Intentionen des Autors sowie Erwartungen und Wissen des Textempfängers. Unter Berücksichtigung der Skopos-Theorie versucht die Forscherin allerdings, in ihrem Modell die genannten Faktoren der Translation in einer dynamischen Wechselbeziehung aufzufassen. Die einzelnen Ebenen (Diskursschilde) „bewegen“ sich gegenüber den anderen je nach dem Skopos der Kommunikationssituation. Aus der Dynamik der Interaktion zwischen den einzelnen Faktoren kann der Übersetzer dann auf die Wahl einer situationsadäquaten Translationsstrategie schließen. Wie Kierzkowska selber betont, integriert das Modell Elemente von verschiedenen translatorischen Konzepten (vgl. Kierzkowska 2002: 74).

Laut Maliszewski bietet das Modell „überprüfbare Lösungen für die Vorbereitung zur Rechtsübersetzung“. Der Forscher betont dabei, dass die komplexe Erfassung der Translationspragmatik der Einbeziehung von außersprachlichen Determinanten (u. a. von emotionalen, räumlichen und kulturbezogenen Begleitelementen des Translationsprozesses) bedarf. Damit geht die Ausbildung von ÜbersetzerInnen und DolmetscherInnen über das traditionelle Gebiet der Philologie hinaus.

Details

Seiten
166
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631775066
ISBN (ePUB)
9783631775073
ISBN (MOBI)
9783631775080
ISBN (Hardcover)
9783631768556
DOI
10.3726/b14940
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
Translationswissenschaft Qualitätsmanagement Fachübersetzung Dolmetschen audiovisuelle Übersetzung Audiodeskription
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. 163 S., 5 Tab.

Biographische Angaben

Beate Sommerfeld (Band-Herausgeber:in) Karolina Kęsicka (Band-Herausgeber:in) Małgorzata Korycińska-Wegner (Band-Herausgeber:in) Anna Fimiak-Chwiłkowska (Band-Herausgeber:in)

Beate Sommerfeld, Karolina Kęsicka, Małgorzata Korycińska-Wegner und Anna Fimiak-Chwiłkowska sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Lehrstuhl für Komparatistik und Theorie der literarischen Übersetzung am Institut für Germanische Philologie der Universität Poznań (Polen).

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