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Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls aufgrund religiös motivierten Verhaltens der Eltern

Ein Vergleich von deutschem und australischem Recht unter besonderer Berücksichtigung aktueller Fallgruppen aus der Rechtsprechung

von Sarah Jasmin Rüegg (Autor:in)
©2017 Dissertation 290 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Buch widmet sich dem Verhältnis von Familienrecht und Religion, einem Thema von höchster Aktualität. Die Autorin untersucht, wie das deutsche Recht auf religiös motiviertes Erziehungsverhalten reagiert, das mit gesetzlichen Vorgaben kollidiert, und prüft auf Grundlage eines Vergleichs mit der australischen Rechtsordnung, ob sich in dieser Beziehung Reformbedarf ergibt. Sie belässt es nicht bei der Betrachtung allgemeiner Handlungsmöglichkeiten der Familiengerichte, sondern zieht Rechtsprechung zu Fallgruppen wie etwa dem Homeschooling, der Beschneidung des männlichen Kindes und der Verweigerung von Bluttransfusionen durch Zeugen Jehovas heran.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • B. Familiengerichtliche Maßnahmen nach deutschem Recht bei Gefährdung des Kindeswohls aufgrund religiös motivierten Verhaltens der Eltern
  • I. Einschlägige Rechtsnormen des deutschen Rechts
  • 1. Einschlägige familienrechtliche Vorschriften zugunsten des Kindesschutzes bei religiös motiviertem Verhalten der Eltern
  • a) § 1666 BGB als zentrale Kindesschutzbestimmung
  • aa) Normzweck und Normstruktur des § 1666 BGB
  • bb) Konkurrenzen
  • (1) § 1671 BGB
  • (2) Sonstige Vorschriften
  • (3) Zusammenfassung
  • cc) Eingriffsvoraussetzungen des § 1666 BGB
  • (1) Personaler Anwendungsbereich
  • (2) Gefährdung des Kindeswohls
  • (a) Begriff des Kindeswohls
  • (b) Begriff der Gefährdung
  • (3) Gefährdung des Kindesvermögens
  • (4) Subsidiaritätsklausel
  • dd) Rechtsfolgen des § 1666 BGB
  • (1) Auswahlermessen des Gerichts
  • (2) Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
  • (3) Dauer der Maßnahme
  • (4) Maßnahmenkatalog des § 1666 Abs. 3 BGB
  • (a) Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen, § 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB
  • (b) Einhaltung der Schulpflicht, § 1666 Abs. 3 Nr.2 BGB
  • (c) Wohnungs- und Ortsschutz sowie Kontaktverbot, § 1666 Abs. 3 Nr. 3 und 4 BGB
  • (d) Ersetzung von Erklärungen des Sorgeinhabers, § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB
  • (e) Teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge, § 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB
  • (5) Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten gem. § 1666 Abs. 4 BGB
  • b) Zusammenfassung
  • 2. Einfluss des Verfassungsrechts auf familiengerichtliche Maßnahmen bei Kindeswohlgefährdung durch religiös motiviertes Verhalten der Eltern
  • a) Zu beachtende verfassungsrechtlich verankerte Rechte und Pflichten
  • aa) Von familiengerichtlichen Maßnahmen betroffene und in der Verfassung normierte Rechte und Pflichten der Eltern sowie die diesbezügliche Schutzfunktion des Staates
  • (1) Rechte und Pflichten der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG unter Berücksichtigung des staatlichen Wächteramtes aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG
  • (a) „Eltern“ und „Kind“ im Sinne des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG
  • (b) Rechtsnatur des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG
  • (c) Inhalt des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG
  • (d) Grenzen des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG
  • (e) Das staatliche Wächteramt im Sinne des Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG
  • (2) Religionsfreiheit der Eltern aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG
  • (a) Grundrechtsträger
  • (b) Inhalt der Religionsfreiheit
  • (c) Grenzen der Religionsfreiheit
  • (3) Religiöse Kindererziehung als verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht
  • (4) Sonstiger Schutz durch Grundrechte im Rahmen der Eltern-Kind-Beziehung
  • bb) Von familiengerichtlichen Maßnahmen betroffene Grundrechte des Kindes
  • (1) Religionsfreiheit des Kindes aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG
  • (2) Sonstiger Schutz durch Grundrechte im Rahmen der Eltern-Kind-Beziehung
  • b) Auswirkungen des Motivs der Religion auf die rechtliche Beurteilung des Verhaltens der Eltern
  • aa) Auswirkungen der Grundrechte auf privatrechtliche Sachverhalte
  • bb) Beachtung von Trennungsprinzip und Neutralitätsprinzip
  • cc) Zusammenfassung der rechtlichen Beurteilung religiös motivierten Verhaltens der Eltern
  • c) Zusammenfassung
  • 3. Fazit
  • II. Fallgruppen der Kindeswohlgefährdung durch religiös motiviertes Verhalten der Eltern im deutschen Recht
  • 1. Homeschooling als Kindeswohlgefährdung
  • a) Begriff und Definition des Homeschoolings in Deutschland
  • b) Ursprung und Verbreitung von Homeschooling in Deutschland
  • c) Gründe der Eltern, Homeschooling regulärem Unterricht vorzuziehen
  • d) Gestaltung und Resultate von Homeschooling
  • e) Rechtliche Rahmenbedingungen für die Beurteilung von Homeschooling auf dem Gebiet des Familienrechts
  • aa) Auswirkungen des öffentlichen Rechts auf die Möglichkeit des Homeschoolings
  • (1) Begriff der Schule im Sinne des Art. 7 Abs. 1 GG
  • (2) Bestehen einer allgemeinen Schulpflicht
  • (a) Historische Entwicklung der Schulpflicht
  • (b) Rechtliche Grundlagen der allgemeinen Schulpflicht nach Bundes- und Landesrecht
  • (aa) Bundesrechtliche Vorgaben zum Bestehen einer allgemeinen Schulpflicht
  • (bb) Landesrechtliche Vorgaben zum Bestehen einer allgemeinen Schulpflicht
  • (c) Landesrechtliche Regelungen zur Befreiung von der Schulpflicht und Erteilung von Hausunterricht anstelle des Schulbesuchs
  • (3) Durchsetzung der Schulpflicht
  • (4) Verletzung von Grundrechten der Eltern durch die Festlegung einer allgemeinen Schulpflicht?
  • (a) Verhältnis von Art. 7 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG als Vorfrage
  • (aa) Bedeutung der Schulaufsicht im Sinne des Art. 7 Abs. 1 GG
  • (bb) Gegenseitige Beeinflussung von Art. 7 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG
  • (b) Allgemeine Schulpflicht als zulässige Beschränkung von Grundrechten der Eltern?
  • (aa) Meinungsbild in der Rechtsprechung
  • (bb) Rechtfertigung der Schulpflicht unter Verweis auf staatliche Erziehungsziele
  • bb) Zwischenfazit zur Aufteilung der Bildungsverantwortung zwischen Eltern und Staat nach den öffentlich-rechtlichen Rahmenbedingungen für Homeschooling in Deutschland
  • f) Beurteilung von Homeschooling auf dem Gebiet des Familienrechts
  • aa) Rechtliche Bewertung von Homeschooling am Beispiel des Beschlusses des OLG Frankfurt v. 15.08.2014 – 6 UF 30/14
  • (1) Zusammenfassung des Sachverhalts
  • (2) Beurteilung der Schulverweigerung durch das Gericht
  • (3) Vergleich mit der Argumentation auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts
  • bb) Meinungsbild in der übrigen Rechtsprechung zum Umgang mit Homeschooling auf dem Gebiet des Familienrechts
  • cc) Zwischenfazit
  • g) Kritische Resonanz in der Literatur auf den derzeitigen rechtlichen Umgang mit Homeschooling
  • aa) Interpretation des Schulbegriffs
  • bb) Gleichsetzung von Homeschooling mit sonstigen Schulpflichtverstößen
  • cc) Chancengleichheit
  • dd) Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs in Form der Schulpflicht
  • ee) Recht auf Bildung von Parallelgesellschaften
  • ff) Vermittlung sozialer und staatsbürgerlicher Kompetenzen mittels Homeschoolings
  • gg) Hindernisse bei Ausweichen auf Privatschulen
  • hh) Konkrete Reformvorschläge
  • (1) Funktionales Verständnis des Schulbegriffs
  • (2) Legalisierung von Homeschooling durch den Landesgesetzgeber
  • h) Fazit
  • 2. Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft als Indiz für Kindeswohlgefährdung
  • a) Beurteilung der Fragestellung in der Rechtsprechung am Beispiel von BayObLG, Beschl. v. 25.09.1975 – BReg. 1 Z 55/75
  • aa) Zusammenfassung des Sachverhalts
  • bb) Wesentlicher Inhalt des Gerichtsbeschlusses
  • b) Beurteilung der Zugehörigkeit von Eltern zu einer Religionsgemeinschaft hinsichtlich der Auswirkungen auf das Kindeswohl durch spätere Rechtsprechung und Literatur
  • aa) Ausschluss der Bewertung der Eltern allein nach Religionszugehörigkeit aufgrund Art. 4 Abs. 1 GG
  • bb) Ausschluss der Bewertung der Eltern allein nach Religionszugehörigkeit aufgrund der Definition des Begriffs „Kindeswohlgefährdung“
  • cc) Anwendung dieser Grundsätze auf die Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas
  • c) Fazit
  • 3. Verweigerung einer ärztlich indizierten Bluttransfusion am Kind durch Zeugen Jehovas als Kindeswohlgefährdung
  • a) Begründung der glaubensgeprägten Verweigerung von Bluttransfusionen
  • b) Entscheidungsbefugnis über Vornahme und Nichtvornahme medizinischer Maßnahmen nach allgemeinen Grundsätzen
  • aa) Grundsatz der Entscheidungsfreiheit des Patienten über Vornahme und Nichtvornahme medizinischer Maßnahmen
  • bb) Entscheidungsbefugnis der Eltern über Vornahme und Nichtvornahme medizinischer Maßnahmen an Minderjährigen
  • cc) Entscheidungsbefugnis des Minderjährigen selbst
  • dd) Entscheidungsbefugnis des Gerichts
  • c) Anwendung der allgemeinen Grundsätze zur Einwilligung in medizinische Maßnahmen auf die Verweigerung von Bluttransfusionen durch die Eltern
  • aa) Beurteilung der Fragestellung in der Rechtsprechung am Beispiel von OLG Celle, Beschl. v. 21.02.1994 – 17 W 8/94
  • (1) Zusammenfassung des Sachverhalts
  • (2) Wesentlicher Inhalt des Gerichtsbeschlusses
  • bb) Beurteilung der verweigerten Zustimmung zur Vornahme von Bluttransfusionen am Kind in der übrigen Rechtsprechung und Literatur
  • d) Fazit
  • 4. Religiös motivierte Beschneidung und Genitalverstümmelung des Kindes als Kindeswohlgefährdung
  • a) Religiös motivierte Beschneidung des männlichen Kindes
  • aa) Begriff, Ursprung, Durchführung und Verbreitung der Beschneidung
  • bb) Das „Beschneidungsurteil“: LG Köln, Urt. v. 07.05.2012 – 151 Ns 169/11
  • (1) Zusammenfassung des Sachverhalts
  • (2) Wesentlicher Inhalt des Gerichtsurteils
  • cc) Die aus Anlass der Gerichtsentscheidung des LG Köln in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügte Vorschrift § 1631d BGB
  • (1) Inhalt der Vorschrift § 1631d BGB
  • (2) Resonanz auf die Gesetzesänderung in Literatur und Rechtsprechung
  • (a) Beurteilung der neu eingefügten Vorschrift in der Literatur
  • (aa) Regelungsstandort im Familienrecht
  • (bb) Ausreichende Berücksichtigung von Verfassungsrecht
  • (cc) Kindeswohlgefährdung als Grenze wirksamer Einwilligung der Eltern
  • (dd) Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst als Voraussetzung wirksamer Einwilligung
  • (ee) Von einer Religionsgesellschaft zur Durchführung der Beschneidung vorgesehene Personen
  • (b) Umgang mit der neu eingefügten Vorschrift in der Rechtsprechung: OLG Hamm, Beschl. v. 30.08.2013 – 3 UF 133/13
  • (aa) Zusammenfassung des Sachverhalts
  • (bb) Wesentlicher Inhalt des Gerichtsbeschlusses
  • (3) Bedeutung der Gesetzesänderung für die Möglichkeit des Familiengerichts zum Einschreiten bei bevorstehender oder erfolgter Beschneidung des männlichen Kindes
  • (4) Auswirkungen der neu eingefügten Vorschrift auf das Strafrecht
  • dd) Fazit
  • b) Religiös motivierte Genitalverstümmelung des weiblichen Kindes
  • aa) Begriff, Durchführung und Verbreitung der Genitalverstümmelung
  • bb) Ursprung der Genitalverstümmelung – Abgrenzung von religiös und kulturell geprägten Verhaltensweisen
  • cc) Die neu eingefügte Vorschrift § 226a StGB
  • (1) Inhalt der Vorschrift § 226a StGB
  • (2) Resonanz auf die Gesetzesänderung in der Literatur
  • (3) Auswirkungen der neu eingefügten Vorschrift auf das Strafrecht
  • (4) Bedeutung der Gesetzesänderung für die Möglichkeit des Familiengerichts zum Einschreiten bei bevorstehender oder bereits erfolgter Genitalverstümmelung
  • (a) Rechtslage vor Existenz des § 226a StGB
  • (b) Rechtslage nach Einfügen des § 226a StGB
  • dd) Fazit
  • c) Vergleich der rechtlichen Behandlung von Beschneidung des männlichen und Genitalverstümmelung des weiblichen Kindes
  • III. Zusammenfassung
  • C. Familiengerichtliche Maßnahmen nach australischem Recht bei Gefährdung des Kindeswohls aufgrund religiös motivierten Verhaltens der Eltern
  • I. Relevante allgemeine Aspekte des australischen Rechtssystems und Analyse relevanter familienrechtlicher Rechtsnormen und Rechtsprechung
  • 1. Das australische Rechtssystem im Allgemeinen
  • a) Das australische Rechtssystem des Common Law in Abgrenzung zum deutschen Recht
  • b) Gesetzgebung und Rechtsquellen in Australien
  • aa) Gesetzgebungskompetenzen auf dem Gebiet des Familienrechts
  • bb) Rechtsquellen Australiens
  • (1) Common Law – Bindung an zu einem früheren Zeitpunkt ergangene Gerichtsentscheidungen
  • (a) Doctrine of precedent oder stare decisis
  • (b) Verhältnis von Common Law und Gesetz
  • (2) Equity – Billigkeitsrecht
  • (3) Kodifiziertes Recht als Hauptquelle australischen Rechts
  • (a) Gewichtung der Gesetze
  • (b) Neben gesetzlichen Vorgaben zur Gesetzesinterpretation geltende allgemeine Auslegungsregeln des Common Law
  • (aa) Literal approach und golden rule
  • (bb) Purposive approach
  • (4) Sonstiges Recht
  • c) Abgrenzung zum Recht der indigenen Bevölkerung Australiens
  • 2. Aufbau des australischen Gerichtssystems
  • a) Bedeutung des High Court of Australia
  • b) Aufbau des federal court system
  • c) Aufbau der State court systems und Territory court systems
  • 3. Einschlägige familienrechtliche Vorschriften sowie Rechtsprechung zugunsten des Kindesschutzes bei religiös motiviertem Verhalten der Eltern
  • a) Grundsätze elterlicher Verantwortung im australischen Recht
  • aa) Inhalt der parental responsibility
  • bb) Personaler Geltungsbereich der parental responsibility
  • cc) Zweck der parental responsibility
  • (1) Grundsatz der Gewährleistung der best interests of children in section 60B(1) Family Law Act 1975 (Cth.)
  • (2) Prinzipien des Kindesschutzes in section 60B(2) Family Law Act 1975 (Cth.)
  • b) Einschlägige familienrechtliche Vorschriften und Rechtsprechung zugunsten des Kindesschutzes bei religiös motiviertem Verhalten der Eltern
  • aa) Parenting order gem. section 64B(1) Family Law Act 1975 (Cth.)
  • (1) Best interests principle gem. section 60CA und section 65AA Family Law Act 1975 (Cth.)
  • (a) Allgemeine Bedeutung der best interests
  • (b) Inhalt der best interests vor dem Hintergrund der Vorschriften des Family Law Act 1975 (Cth.)
  • (2) Arten der parenting order
  • (3) Vermutung der equal shared parental responsibility
  • (4) Charakter der parenting order
  • (5) Ausschluss der Anordnung einer parenting order
  • (6) Entscheidungsspielraum des Gerichts bei der Anordnung einer parenting order
  • (a) Voraussetzungen von section 65D(1) Family Law Act 1975 (Cth.)
  • (b) Anwendungsmöglichkeiten der section 65D(1) Family Law Act 1975 (Cth.)
  • (c) Ausübung von parental responsibility durch das Gericht selbst
  • (d) Einbeziehung eines family consultant
  • bb) Welfare order gem. section 67ZC(1) Family Law Act 1975 (Cth.)
  • (1) Parens-Patriae-Prinzip des Common Law als Ursprung der welfare order
  • (2) Beschränkung des Anwendungsbereichs durch Gesetzgebungskompetenzen
  • (3) Sachlicher Anwendungsbereich
  • (4) Personaler Anwendungsbereich
  • (5) Inhaltliche Ausgestaltungsmöglichkeiten der welfare order
  • c) Zusammenfassung
  • 4. Einfluss des Verfassungsrechts auf familiengerichtliche Maßnahmen bei Beeinträchtigung der best interests durch religiös motiviertes Verhalten der Eltern
  • a) Religionsfreiheit nach section 116 Commonwealth of Australia Constitution Act
  • b) Normadressaten
  • c) Definition von Religion und Religionsausübung
  • d) Auslegung des Begriffs „law“ in section 116 Commonwealth of Australia Constitution Act
  • e) Besonderheiten einzelner Varianten der section 116 Commonwealth of Australia Constitution Act
  • aa) Etablieren einer bestimmten Religion
  • bb) Staatlich auferlegte religiöse Heiligung
  • cc) Freie Religionsausübung
  • f) Zusammenfassung
  • 5. Fazit
  • II. Fallgruppen der Beeinträchtigung der best interests des Kindes durch religiös motiviertes Verhalten der Eltern im australischen Recht
  • 1. Homeschooling als Beeinträchtigung der best interests des Kindes?
  • a) Ausschnitte des Interviews mit Chelsea Wybrow zu ihren persönlichen Erfahrungen mit Homeschooling in Australien
  • b) Beurteilung von Homeschooling nach australischem Recht in Bezug auf die best interests des Kindes
  • aa) Begriff und Definition des Homeschoolings nach australischem Recht
  • bb) Ursprung und Verbreitung von Homeschooling in Australien
  • cc) Aufteilung der Bildungsverantwortung auf Staat und Eltern vor dem Hintergrund der Möglichkeit des Homeschoolings
  • dd) Rechtliche Voraussetzungen des Homeschoolings und Besonderheiten bei seiner Durchführung in den verschiedenen Bundesstaaten und Territorien
  • (1) Australian Capital Territory
  • (2) New South Wales
  • (3) Northern Territory
  • (4) Queensland
  • (5) South Australia
  • (6) Tasmania
  • (7) Victoria
  • (8) Western Australia
  • ee) Untersuchung einzelner Aspekte von Homeschooling in Australien
  • (1) Wechsel zwischen Homeschooling und Schulunterricht und Bewertung des Wechsels in Bezug auf Leistung und Sozialisierung: Ergebnisse einer australischen Studie
  • (a) Gründe für den Wechsel zwischen Homeschooling und Schulunterricht
  • (b) Bewertung des Wechsels in Bezug auf Leistung
  • (c) Bewertung des Wechsels in Bezug auf die Sozialisierung
  • (d) Fazit der Studie
  • (2) Gründe der Eltern, Homeschooling regulärem Unterricht vorzuziehen
  • (3) Bewertung des Homeschoolings durch die Homeschool-Schüler selbst
  • (4) Eigenschaften und Qualifikation der Lehrenden
  • (5) Effektivität des Lernens und zu verzeichnender Lernerfolg bei Homeschooling
  • (6) Sozialisierung des Kindes
  • (a) Entwicklung von Sozialkompetenz „trotz“ Homeschoolings
  • (b) Beurteilung der Sozialisierung durch die Homeschool-Schüler selbst
  • (c) Beurteilung der Sozialisierung der Kinder durch ihre Eltern
  • (d) Hürden bei der Sozialisierung
  • (7) Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Homeschooling
  • c) Fazit
  • 2. Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft als Indiz für die Beeinträchtigung der best interests des Kindes
  • a) In the Marriage of Elspeth and Peter [2006] FamCA 1385
  • aa) Zusammenfassung des Sachverhalts
  • bb) Beurteilung der Bedeutung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft durch den Family Court of Australia
  • b) In the Marriage of Firth; Boyer and Boyer (Interveners) [1988] FLC 91–971
  • aa) Zusammenfassung des Sachverhalts
  • bb) Beurteilung der Bedeutung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft durch den Family Court of Australia
  • c) In the Marriage of Paisio [1979] FLC 90–659
  • aa) Zusammenfassung des Sachverhalts
  • bb) Beurteilung der Bedeutung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft durch den Family Court of Australia
  • d) Ergänzung und Fazit
  • 3. Verweigerung einer ärztlich indizierten Bluttransfusion am Kind durch Zeugen Jehovas als Beeinträchtigung der best interests des Kindes
  • a) Entscheidungsbefugnis über medizinische Maßnahmen zugunsten des Kindes nach allgemeinen Grundsätzen
  • aa) Grundsatz der Entscheidungsfreiheit des Patienten über Vornahme und Nichtvornahme medizinischer Maßnahmen
  • bb) Entscheidungsbefugnis der Eltern über Vornahme und Nichtvornahme medizinischer Maßnahmen an Minderjährigen
  • cc) Entscheidungsbefugnis des Minderjährigen selbst
  • dd) Entscheidungsbefugnis des Gerichts
  • b) Grundsätze zur Verweigerung medizinischer Maßnahmen und Bedarf an gerichtlichem Einschreiten bei Verweigerung der Bluttransfusion durch die Eltern des Minderjährigen
  • aa) Gesetzliche Grundlagen der Bundesstaaten und Territorien für die Verwendung von Bluttransfusionen ohne Zustimmung des Minderjährigen, der Eltern oder des Gerichts
  • bb) Zuständigkeit des Family Court und des Supreme Court
  • cc) Beurteilung der Verweigerung der Bluttransfusion durch die Eltern des betroffenen Kindes in der Rechtsprechung
  • (1) Women’s and Children’s Health Network Inc v M, CN and Ors [2013] SASC 16
  • (a) Zusammenfassung des Sachverhalts
  • (b) Beurteilung der Verweigerung der Bluttransfusion durch den Supreme Court of South Australia
  • dd) Zwischenfazit unter Vergleich mit weiterer Rechtsprechung
  • c) Fazit
  • 4. Religiös motivierte Beschneidung und Genitalverstümmelung des Kindes als Beeinträchtigung der best interests des Kindes
  • a) Religiös motivierte Beschneidung des männlichen Kindes
  • aa) Verbreitung und Legalität der Beschneidung des männlichen Kindes und Umfang der Entscheidungsbefugnis der Eltern
  • (1) Verbreitung von Beschneidung in Australien
  • (2) Legalität der Beschneidung nach australischem Recht
  • (3) Umfang der Entscheidungsbefugnis der Eltern
  • (a) Anwendung der allgemeinen Grundsätze zur Einwilligung in medizinische Maßnahmen auf die Vornahme von Beschneidungen
  • (b) Entscheidungsbefugnis der Eltern und möglicher Einfluss des Gerichts vor dem Hintergrund von Re J [2000] 1 FLR (Eng.) 571
  • (aa) Zusammenfassung des Sachverhalts
  • (bb) Wesentlicher Inhalt der Gerichtsentscheidung
  • (cc) Konsequenzen für die Möglichkeit gerichtlicher Maßnahmen Eltern gegenüber
  • bb) Zwischenfazit
  • b) Religiös motivierte Genitalverstümmelung des weiblichen Kindes
  • aa) Verbreitung und Illegalität von Genitalverstümmelung des weiblichen Kindes und Umfang der Entscheidungsbefugnis der Eltern
  • (1) Verbreitung von Genitalverstümmelung in Australien
  • (2) Illegalität der Genitalverstümmelung nach australischem Recht
  • (3) Umfang der Entscheidungsbefugnis der Eltern
  • bb) Zwischenfazit
  • c) Begründung der unterschiedlichen rechtlichen Behandlung von Beschneidung und Genitalverstümmelung und Fazit
  • III. Zusammenfassung
  • D. Vergleich der Länderberichte
  • I. Gegenüberstellung der Lösungswege des deutschen und des australischen Rechts zum familiengerichtlichen Einschreiten bei religiös motiviertem Verhalten der Eltern
  • 1. Zuständigkeit eines speziellen Familiengerichts
  • 2. Existenz eines die Belange des Kindes betreffenden Rechtsbegriffs – best interests und das Kindeswohl
  • 3. Inhaltliche Vergleichbarkeit des familienrechtlichen Kindesschutzes
  • a) Einflussmöglichkeiten von Familiengericht und Family Court of Australia zugunsten des Kindesschutzes – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
  • b) Relevanz des Verfassungsrechts
  • II. Rechtsvergleichende Analyse der vorgestellten Fallgruppen in Deutschland und Australien
  • 1. Homeschooling
  • a) Lösungswege
  • aa) Zusammenfassung des Umgangs mit Homeschooling im deutschen Familienrecht
  • bb) Zusammenfassung des Umgangs mit Homeschooling im australischen Familienrecht
  • b) Gemeinsamkeiten und Unterschiede und ihre Ursachen
  • c) Folgerungen
  • aa) Reformbedarf in Deutschland
  • bb) Mögliche Lösungsansätze
  • cc) Fazit
  • 2. Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft
  • a) Lösungswege
  • aa) Zusammenfassung des Umgangs mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft im deutschen Familienrecht
  • bb) Zusammenfassung des Umgangs mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft im australischen Familienrecht
  • b) Gemeinsamkeiten und Unterschiede und ihre Ursachen
  • c) Folgerungen
  • 3. Verweigerung einer ärztlich indizierten Bluttransfusion am Kind durch Zeugen Jehovas
  • a) Lösungswege
  • aa) Zusammenfassung des Umgangs mit der Verweigerung einer ärztlich indizierten Bluttransfusion am Kind durch Zeugen Jehovas im deutschen Familienrecht
  • bb) Zusammenfassung des Umgangs mit der Verweigerung einer ärztlich indizierten Bluttransfusion am Kind durch Zeugen Jehovas im australischen Familienrecht
  • b) Gemeinsamkeiten und Unterschiede und ihre Ursachen
  • c) Folgerungen
  • 4. Religiös motivierte Beschneidung und Genitalverstümmelung des Kindes
  • a) Religiös motivierte Beschneidung des männlichen Kindes
  • aa) Lösungswege
  • (1) Zusammenfassung des Umgangs mit religiös motivierter Beschneidung des männlichen Kindes im deutschen Familienrecht
  • (2) Zusammenfassung des Umgangs mit religiös motivierter Beschneidung des männlichen Kindes im australischen Familienrecht
  • bb) Gemeinsamkeiten und Unterschiede und ihre Ursachen
  • cc) Folgerungen
  • b) Religiös motivierte Genitalverstümmelung des weiblichen Kindes
  • aa) Lösungswege
  • (1) Zusammenfassung des Umgangs mit religiös motivierter Genitalverstümmelung des weiblichen Kindes im deutschen Familienrecht
  • (2) Zusammenfassung des Umgangs mit religiös motivierter Genitalverstümmelung im australischen Familienrecht
  • bb) Gemeinsamkeiten und Unterschiede und ihre Ursachen
  • cc) Folgerungen
  • c) Folgerungen zu religiös motivierter Beschneidung und Genitalverstümmelung des Kindes
  • aa) Reformbedarf in Deutschland
  • bb) Mögliche Lösungsansätze
  • cc) Fazit
  • III. Zusammenfassung
  • E. Ergebnisse der Arbeit und Ausblick auf mögliche künftige Entwicklungen
  • F. Literaturverzeichnis
  • G. Verzeichnis der Online-Quellen
  • H. Anhang
  • I. Interview mit Chelsea Wybrow vom 11.04.2014 – Ein Einblick in australisches Homeschooling
  • II. Zitierte ausländische Gerichtsentscheidungen
  • 1. Australische Rechtsprechung
  • 2. Englische Rechtsprechung
  • III. Weiterführende Links zum australischen Recht
  • 1. Gesetze des Commonwealth of Australia
  • 2. Gesetze der Bundesstaaten und Territorien
  • a) Australian Capital Territory
  • b) New South Wales
  • c) Northern Territory
  • d) Queensland
  • e) South Australia
  • f) Tasmania
  • g) Victoria
  • h) Western Australia
  • Reihenübersicht

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A.  Einleitung

In Konstellationen, in denen Eltern ihr Verhalten nach Glaubenssätzen ausrichten und dabei den Interessenbereich ihres Kindes berühren, stellt sich die Frage, wo der elterliche Einflussbereich endet und der staatliche beginnt. Während die Eltern regelmäßig davon ausgehen, „richtig“ und im Interesse des Kindes zu handeln, sollen korrigierende Entscheidungen der Gerichte dies ebenfalls gewährleisten.

Charakteristisch für innerfamiliäre Beziehungen ist die Intensität, mit der positive und negative Einflüsse zwischen den Familienmitgliedern wirken und insbesondere Konsequenzen für die Entwicklung des Kindes nach sich ziehen. Vor diesem Hintergrund ist gerade das Familienrecht, das speziell auf diese Nähebeziehungen ausgerichtet ist, für die Untersuchung der Frage von Interesse, ob, wann und wie Gerichte auf religiös motiviertes Verhalten der Eltern reagieren können, wenn Belange des Kindes betroffen sind.

Die Auswirkungen religiös motivierten Verhaltens der Eltern auf das Wohl des Kindes erhielten in letzter Zeit gesteigerte Aufmerksamkeit. Besondere Bedeutung kam dabei den Themen Homeschooling, Beschneidung und Genitalverstümmelung zu.

Das Phänomen religiös motivierten Homeschoolings ist im vergangenen Jahrzehnt zu einem beliebten Gegenstand medialer Berichterstattung geworden1, das bis heute nicht an Aktualität einbüßt. Erst am 21.10.2014 entzog das AG Ansbach Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft Zwölf Stämme das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Regelung der schulischen Belange, der medizinischen Versorgung und der Jugendhilfemaßnahmen für sechs Kinder im Alter zwischen einem Jahr und sechs Jahren und bestellte das Jugendamt als Ergänzungspfleger2. Kurz vorher, im August 2014, hatte sich auch das OLG Frankfurt mit den Voraussetzungen des Sorgerechtsentzugs bei religiös motivierter Weigerung der Eltern, für einen Schulbesuch ihrer Kinder Sorge zu tragen, auseinanderzusetzen3. Diese Fälle tragen ebenso wie zahlreiche weitere in den Jahren zuvor dazu bei, dass sich ← 29 | 30 → derzeit neben den Medien auch die Rechtswissenschaft verstärkt mit religiös motivierter Schulverweigerung befasst4.

Der rechtliche Umgang mit Beschneidungen männlicher Kinder gewann ab Mai 2012 durch das von der bis dahin üblichen Rechtsprechung abweichende „Beschneidungsurteil“5 einer Kölner Strafkammer an Aktualität. Um die daraufhin aufkeimende Rechtsunsicherheit zu beseitigen6, wurde durch das Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes vom 20.12.2012, das am 28.12.2012 in Kraft trat, § 1631d BGB in die familienrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches eingefügt7. Diese Norm sieht vor, dass die Einwilligung der Eltern in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes unter bestimmten Umständen von der Personensorge umfasst sein kann. Auch das Gegenstück der Beschneidung, die Verstümmelung weiblicher Genitalien, wurde jüngst Gegenstand gesetzgeberischen Handelns. Durch das Siebenundvierzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien vom 24.09.2013, das am 28.09.2013 in Kraft trat, entstand mit § 226a StGB erstmals ein Tatbestand, der sich explizit gegen Genitalverstümmelung richtet8. Vor allem die unterschiedliche Verortung der Eingriffe in Familien- und Strafrecht und die daraus abzuleitende einseitige Akzeptanz der Beschneidung führte dazu, dass die beiden neu eingefügten Vorschriften Diskussionen nicht nur innerhalb der Rechtswissenschaft, sondern auch in den Medien hervorriefen9.

Die vorliegende Arbeit soll anlässlich der Präsenz des Themas in der öffentlichen Debatte und der kürzlich vollzogenen rechtlichen Weiterentwicklung einen Beitrag zu der Beantwortung der Frage leisten, ob, in welchen Fällen und auf welche Art und Weise deutsche Familiengerichte auf religiös motiviertes Verhalten der Eltern, das sich nachteilig auf die Kindesinteressen auswirken kann, Einfluss nehmen und nehmen können. Um Schwächen und Stärken der deutschen Lösungswege offenzulegen, eignet sich ein Vergleich mit einer Rechtsordnung, deren rechtliche Bewertung dieser Sachverhalte von der deutschen abweicht. Das in Deutschland viel diskutierte und hochaktuelle Thema Homeschooling beispielsweise wird in Australien grundlegend anders behandelt10. Insofern bietet sich ein Vergleich von ← 30 | 31 → deutschem und australischem Familienrecht an, der zu dieser Fragestellung bislang noch nicht gezogen wurde. Über die bloße Analyse des deutschen Rechts hinaus zielt die Gegenüberstellung von deutschem und australischem Recht darauf ab, herauszuarbeiten, ob in Deutschland zufriedenstellend mit derartigen Sachverhalten umgegangen wird oder ob Reformbedarf erkennbar ist und das australische Recht Anregungen für abweichende Lösungsmöglichkeiten bietet.

Dabei werden das deutsche und das australische Recht separat analysiert und im Anschluss verglichen. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet das deutsche Recht. Zunächst werden die allgemeinen Möglichkeiten des Familiengerichts, auf das die Kindesinteressen beeinträchtigende Verhalten der Eltern Einfluss zu nehmen, erarbeitet. Im Rahmen der Besprechung des australischen Rechts werden zusätzlich die zum Verständnis des Familienrechts notwendigen Grundlagen dieser Rechtsordnung in Kürze dargestellt, um eine adäquate Basis für den Rechtsvergleich zu gewährleisten. Den Schwerpunkt bildet nicht die Feststellung der rechtlichen, theoretischen Rahmenbedingungen, sondern die Auseinandersetzung mit dem rechtlichen Umgang mit konkreten Fallgruppen in der Praxis. Nach Analyse der allgemeinen Grundsätze des Familienrechts zum Kindesschutz bei Beeinträchtigung der Kindesinteressen durch die Eltern wird darum eine Aufgliederung nach Themen vorgenommen, um zu untersuchen, in welchen Fällen in Deutschland derzeit eine Kindeswohlgefährdung durch religiös motiviertes Verhalten der Eltern diskutiert wird und wie diese Sachverhalte in Australien bewertet werden beziehungsweise welche Fallgruppen in der australischen Literatur zu dieser Fragestellung diskutiert werden.

Der sich anschließende Vergleich der Länderberichte zielt darauf ab, Gemeinsamkeiten und Unterschiede, deren Ursachen und Vor- und Nachteile in Bezug auf die derzeitige Rechtslage zum einen der allgemeinen familienrechtlichen Vorschriften, zum anderen der konkreten Fallgruppen auszumachen. Darauf aufbauend ist zu untersuchen, ob in Deutschland an der rechtlichen Behandlung von Sachverhalten, in denen sich religiös motiviertes Verhalten der Eltern nachteilig auf das Kindeswohl auswirken kann, festzuhalten ist oder ob der Vergleich mit dem australischen Recht Reformbedarf im deutschen Recht sichtbar werden lässt und Anregungen für neue Lösungsansätze bietet. Abschließend werden die gefundenen Ergebnisse zusammengefasst und Anregungen für mögliche künftige Entwicklungen in Deutschland festgehalten. ← 31 | 32 →


1 Fischer, Homeschooling in der Bundesrepublik Deutschland, S. 13; Handschell, Die Schulpflicht vor dem Grundgesetz, S. 16.

2 Redaktion beck-aktuell, AG Ansbach entzieht Mitgliedern der Religionsgemeinschaft „Zwölf Stämme“ Sorgerecht für ihre Kinder (becklink 1035254).

3 OLG Frankfurt, Beschl. v. 15.08.2014 – 6 UF 30/14 (bei juris). Dazu Becker, Später Sieg für Schulverweigerer-Familie; faz.net, Sorgerechtsentzug unverhältnismäßig; Frankfurter Rundschau, Schulverweigerer haben Sorgerecht zurück; hr online, Wieder Sorgerecht für Schulverweigerer; Spiegel Online, Sorgerechtsurteil: Religiöse Schulverweigerer bekommen Kinder zurück.

4 Vgl. zu diesem Thema beispielsweise die Werke Handschell, Die Schulpflicht vor dem Grundgesetz; Krampen-Lietzke, Der Dispens vom Schulunterricht aus religiösen Gründen; Reimer, Homeschooling.

5 LG Köln, Urt. v. 07.05.2012 – 151 Ns 169/11, NJW 2012, 2128 (2128 ff.). Siehe dazu zum Beispiel Peschel-Gutzeit, NJW 2013, S. 3617.

6 BT-Dr 17/11295, S. 6.

7 BGBl. I 2012, 2749; Peschel-Gutzeit, NJW 2013, S. 3617.

8 BGBl. I 2013, 3671; Hörnle, NJW-Beilage 2014, S. 35; Kühl/Heger/Heger, StGB, § 226a Rn. 1.

9 So zum Beispiel in Hörnle, NJW-Beilage 2014, S. 35; Walter, Genitalverstümmelung, S. 1.

10 Spiegler, Home Education in Deutschland, S. 13 f.

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B.  Familiengerichtliche Maßnahmen nach deutschem Recht bei Gefährdung des Kindeswohls aufgrund religiös motivierten Verhaltens der Eltern

Zunächst ist zu klären, ob, in welchen Fällen und auf welche Art und Weise deutsche Familiengerichte in die in § 1626 Abs. 1 BGB verankerte elterliche Sorge eingreifen können, um religiös motiviertes Verhalten der Eltern, das sich nachteilig auf die Kindesinteressen auswirken kann, zu korrigieren oder zu verhindern.

I.  Einschlägige Rechtsnormen des deutschen Rechts

Zur Beantwortung dieser Frage sind die diesbezüglich relevanten Vorschriften des Familien-, aber auch des Verfassungsrechts zu untersuchen.

1.  Einschlägige familienrechtliche Vorschriften zugunsten des Kindesschutzes bei religiös motiviertem Verhalten der Eltern

Das Zivilrecht sieht eine Vielzahl von Vorschriften vor, die dem Familiengericht die Möglichkeit bieten, zugunsten des Kindeswohls in die elterliche Sorge einzugreifen.

a)  § 1666 BGB als zentrale Kindesschutzbestimmung

§ 1666 BGB gilt als Zentralnorm des zivilrechtlichen Kindesschutzes11.

aa)  Normzweck und Normstruktur des § 1666 BGB

§ 1666 BGB bezweckt den Schutz vor Kindeswohlgefährdung durch Eltern oder Dritte in Bezug auf persönliche Belange des Kindes und dessen Vermögensinteressen12. Nicht unter den Normzweck fallen Bestrafung oder Besserung der Eltern13. Ergänzt durch § 1666a BGB stellt § 1666 BGB eine gesetzliche Grundlage ← 33 | 34 → im Sinne von Art. 6 Abs. 3 GG dar14. Die Vorschrift dient der Umsetzung des in Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG normierten Wächteramtes der staatlichen Gemeinschaft und gewährleistet den Schutz des Kindes als Träger eigener Grundrechte15. Findet § 1666 BGB den Eltern gegenüber Anwendung, erfolgt zugleich ein Eingriff in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG16.

§ 1666 BGB ermöglicht gerichtliches Einschreiten auf beiden Gebieten der in § 1626 Abs. 1 S. 2 BGB näher beschriebenen elterlichen Sorge, namentlich der Personen- und der Vermögenssorge17. § 1666 Abs. 1 BGB sieht familiengerichtliche Maßnahmen bei Kindeswohlgefährdung und Gefährdung des Kindesvermögens vor. Die Personensorge ist gem. § 1666 Abs. 1 BGB betroffen, soweit das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet ist und seine Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, diese Gefahr zu beseitigen. Den Bereich der Vermögenssorge betreffend erfordert § 1666 Abs. 1 BGB keine Kindeswohlgefährdung, sondern die Gefährdung des Kindesvermögens18. Auch in diesem Fall dürfen die Eltern gem. § 1666 Abs. 1 BGB nicht gewillt oder in der Lage sein, die Gefahr abzuwenden. In § 1666 Abs. 2 BGB finden sich drei Regelbeispiele zur Gefährdung des Kindesvermögens. Auf Rechtsfolgenseite enthält die Norm in § 1666 Abs. 3 BGB einen nicht abschließenden Katalog von Maßnahmen19, auf die das Familiengericht zurückgreifen kann, sofern die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm vorliegen. § 1666 Abs. 4 BGB stellt klar, dass die Maßnahmen bei Angelegenheiten der Personensorge auch Dritten gegenüber Anwendung finden können.

§§ 1666a, 1667 BGB ergänzen die Rechtsfolgen des § 1666 BGB20.

bb)  Konkurrenzen

Neben § 1666 BGB dienen weitere familienrechtliche Vorschriften dem Schutz des Kindeswohls.

(1)  § 1671 BGB

Der Anwendungsbereich von § 1671 BGB ist spezieller als derjenige des § 1666 BGB. Dort sind diejenigen Fälle geregelt, in denen Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben und ein Elternteil die Übertragung der elterlichen Sorge auf sich allein beantragt. Sofern die Gefährdung des Kindeswohls nicht schon durch Regelung des ← 34 | 35 → Sorgerechts nach § 1671 Abs. 1 und 2 BGB abgewendet werden kann, ist der sonst grundsätzlich subsidiäre § 1666 BGB über § 1671 Abs. 4 BGB vorrangig anzuwenden21.

(2)  Sonstige Vorschriften

Können Eltern entsprechend § 1627 BGB Meinungsverschiedenheiten bei Ausübung der elterlichen Sorge nicht eigenständig beseitigen, kann das Familiengericht auf Antrag gem. § 1628 BGB einem Elternteil die Befugnis zur Entscheidung in der betreffenden Sache erteilen, wenn die Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind ist. Gem. § 1697a BGB hat das Familiengericht bei seiner Entscheidung vorrangig das Wohl des Kindes zu berücksichtigen22. Entspricht die Auffassung zumindest eines Elternteils dem Kindeswohl, ist § 1628 BGB als speziellere Norm anzuwenden23. Bestände jedoch trotz Regelung der Entscheidungsbefugnis in der streitigen Angelegenheit eine Kindeswohlgefährdung, greift der ansonsten subsidiäre § 1666 BGB24.

Die Anwendung von § 1666 BGB ist grundsätzlich nicht erforderlich, wenn die betreffenden Vorschriften, beispielsweise § 1631b BGB25 und § 1643 BGB26, eine gerichtliche Genehmigung vorsehen. Ebenfalls grundsätzlich vorrangig anzuwenden sind spezielle Schutzvorschriften mit niedrigerer Eingriffsschwelle wie zum Beispiel § 1629 BGB i.V.m. §§ 1795, 1796 BGB27. Dasselbe gilt für Einigungen bei Konflikten zwischen Eltern und Pfleger des Kindes über § 1630 Abs. 2 BGB28.

Verbleibensanordnungen nach § 1632 Abs. 4 BGB und § 1682 BGB verdrängen § 1666 BGB als speziellere und mildere Mittel29, es sei denn, die Anwendung der Vorschriften reicht nicht zur Beendigung der Kindeswohlgefährdung aus30. Ein Vorrang von § 1666 BGB vor § 1696 BGB ist in den Fällen gegeben, in denen statt einer Sorgerechtsregelung die Abwendung einer Kindeswohlgefährdung erforderlich ist31. Dem Rückgriff auf § 1666 BGB gehen jedoch Entscheidungen von ← 35 | 36 → Umgangsproblemen nach § 1684 BGB32 sowie die Ersetzung der Einwilligung der Eltern durch das Familiengericht gem. § 1303 Abs. 3 BGB und § 1748 BGB vor33.

Die Frage der Konkurrenz von §§ 1673, 1674 BGB zu § 1666 BGB wird zum Teil durch entsprechende Anwendung des § 1666a BGB34, zum Teil über einen Vorrang von § 1666 BGB in Kollisionsfällen gelöst35.

§§ 1678 Abs.2, 1680 Abs. 2 und 3 sowie 1681 Abs. 2 BGB nehmen zwar ebenfalls Bezug auf das Wohl des Kindes, unterscheiden sich von § 1666 BGB aber in der Gefährdungsschwelle36. Diese Vorschriften setzen keine Gefährdung des Kindeswohls voraus, weshalb sie nicht mit § 1666 BGB kollidieren37.

(3)  Zusammenfassung

§ 1666 BGB kommt grundsätzlich dann zur Anwendung, wenn keine spezielleren Vorschriften existieren, mithilfe derer sich die Gefährdung für das Wohl oder das Vermögen des Kindes beseitigen ließe38.

cc)  Eingriffsvoraussetzungen des § 1666 BGB

Die Voraussetzungen des § 1666 BGB sind abhängig davon, ob die Personen- oder die Vermögenssorge betroffen ist39.

(1)  Personaler Anwendungsbereich

Die Norm richtet sich gegen jeden, der hinsichtlich des betroffenen Bereichs sorgeberechtigt ist, sowie gegen Dritte, die die Möglichkeit einer der Norm entsprechenden Einwirkung auf das Kind haben40. Eltern im Sinne dieser Vorschrift sind sowohl die leiblichen als auch über § 1754 Abs. 3 BGB die Adoptiveltern, aufgrund § 1630 Abs. 2 und 3 BGB jedoch nicht die Pflegeeltern41. Vormündern und Pflegern gegenüber entfaltet § 1666 BGB über die Verweisungen in § 1837 Abs. 4 BGB und §§ 1909, 1915 Abs. 1 S. 1 BGB Wirkung42. ← 36 | 37 →

§ 1666 BGB schützt das Kind, für das das Sorgerecht besteht43. Unter Rückgriff auf §§ 1 und 2 BGB gilt dieser Schutz grundsätzlich für den Zeitraum zwischen Vollendung der Geburt und Volljährigkeit44.

(2)  Gefährdung des Kindeswohls

Details

Seiten
290
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631739365
ISBN (ePUB)
9783631739372
ISBN (MOBI)
9783631739389
ISBN (Hardcover)
9783631739273
DOI
10.3726/b12704
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Oktober)
Schlagworte
Elterliche Sorge Homeschooling Beschneidung Genitalverstümmelung Bluttransfusion Zeugen Jehovas
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 290 S.

Biographische Angaben

Sarah Jasmin Rüegg (Autor:in)

Sarah Jasmin Rüegg studierte Rechtswissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Im Anschluss verfasste sie ihre Dissertation in Kiel und Melbourne. Ihr Rechtsreferendariat absolvierte sie in Schleswig-Holstein. Gleichzeitig ließ sie sich an der FernUniversität in Hagen zur Mediatorin ausbilden.

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