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Das Reichsjustizministerium unter Otto Thierack (1942–1945)

Teil 1: Amt für Neuordnung der Deutschen Gerichtsverfassung (Berichte von 1943/44 über den Besuch von 13 Oberlandesgerichten) – Amt für Nachwuchsfragen (Juni/Juli 1944)

von Werner Schubert (Band-Herausgeber:in)
©2017 Andere XX, 329 Seiten
Reihe: Rechtshistorische Reihe, Band 472

Zusammenfassung

Die Edition bringt bisher nicht veröffentlichte Quellen zu der unter dem Nationalsozialismus 1942/44 geplanten umfassenden Justizreform. Die Berichte von Mitarbeitern des Amts für die Neuordnung der deutschen Gerichtsverfassung über den Besuch von 13 Oberlandesgerichten geben einen detaillierten Einblick in die Ansichten der Richterschaft zu den Reformfragen (Richtergesetz, dreistufige Gerichtsbarkeit). Die Materialien des Amtes für Nachwuchsfragen vom Juni/Juli 1944 befassen sich mit allen Fragen des Nachwuchses für den höheren Justizdienst.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • I. Die Quellen und der Umfang der Edition
  • II. Die Berichte über die Reisen in 13 OLG-Bezirke
  • III. Das „Amt für Nachwuchsfragen“
  • IV. Lebensdaten der OLG-Präsidenten und der an den Besuchsreisen sowie an den Beratungen des Amtes für Nachwuchsfragen beteiligten Juristen des Reichsjustizministeriums
  • 1. Lebensdaten der Präsidenten der 13 besuchten Oberlandesgerichte
  • 2. Mitglieder des Amtes „Neuordnung der Deutschen Gerichtsverfassung“
  • 3. Referenten und Mitglieder des Amtes für Nachwuchsfragen
  • Erster Teil: Berichte über die Bereisung von OLG-Bezirken durch das Amt des Reichsjustizministeriums für die „Neuordnung der Deutschen Gerichtsverfassung“ (1943/44)
  • A. Vorbereitung der Bereisungen
  • I. Zweck und Durchführung der Bereisungen
  • 1. Fragen zur künftigen Gerichtsorganisation
  • 2. Fragen zur künftigen Stellung des Richters
  • III. Längerer Fragebogen
  • 1. Fragen zur künftigen Gerichtsorganisation
  • 2. Fragen zur künftigen Stellung des Richters
  • B. Berichte über die Bereisungen
  • I. Bericht über den Besuch des OLG-Bezirks Bamberg (14.-20.10.1943)
  • II. Bericht über den Besuch des OLG-Bezirks Breslau (18.-23.11.1943)
  • III. Bericht über den Besuch des OLG-Bezirks Dresden (21.-27.9.1943)
  • Besprechungen im einzelnen
  • 1. Besprechung in Dresden am 21.9.1943
  • 2. Besprechung in Zwickau am 22.9.1943
  • 3. Besprechung in Chemnitz am 23.9.1943
  • 4. Besprechung in Leipzig am 24.9.1943
  • 5. Besprechung in Bautzen am 27.9.1943
  • IV. Bericht über den Besuch des OLG-Bezirks Graz, Oberkrains und der Operationszone „Adriatische Küstenlandschaft“ (14.-20.5.1944)
  • V. Bericht über den Besuch des OLG-Bezirks Hamm (12.-19.2.1944)
  • VI. Bericht über den Besuch des Oberlandesgerichtsbezirks Innsbruck und der Operationszone Alpenvorland (17.–24.4.1944)
  • VII. Bericht über den Besuch des Oberlandesgerichtsbezirks Jena (31.1.-6.2.1944)
  • VIII. Bericht über den Besuch des Oberlandesgerichtsbezirks Karlsruhe und des Elsaß (20.-28.6.1943)
  • IX. Bericht über den Besuch des Oberlandesgerichtsbezirks Königsberg (18.-25.11.1943)
  • X. Bericht über den Besuch des OLG-Bezirks Leitmeritz (1.-3.9., 1.10. sowie 3.-6.11.1943)
  • XI. Bericht über den Besuch des Oberlandesgerichtsbezirks Naumburg a.d.S. (9.-16.1.1944)
  • XII. Bericht über den Besuch des OLG-Bezirks Stuttgart (9.-15.7.1943)
  • XIII. Bericht über den Besuch des Oberlandesgerichtsbezirks Zweibrücken und der LG-Bezirke in Lothringen: Saargemünd, Metz und Diedenhofen (27.3.-1.4.1944)
  • Anlagen zum Reisebericht Zweibrücken: Einzelberichte zur künftigen Stellung des Richters
  • 1. Stellungnahme des Präsidenten des LG Frankenthal
  • 2. Stellungnahme des Präsidenten des LG Kaiserslautern
  • 3. Stellungnahme des Präsidenten des LG Landau
  • 4. Stellungnahme des Präsidenten des LG Saarbrücken
  • 5. Stellungnahme des Präsidenten des LG Zweibrücken
  • 6. Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts Metz
  • 7. Stellungnahme des Präsidenten des OLG Zweibrücken
  • C. Vortrag Thieracks am 23.5.1944 (?) über die Arbeiten des Amtes für Neuordnung der Deutschen Gerichtsverfassung (wohl Manuskriptentwurf) 255
  • Zweiter Teil: Arbeitstagungen des Amtes des Reichsjustizministeriums für Nachwuchsfragen
  • I. Arbeitstagung vom 8.-10.6.1944 in Leitmeritz
  • OLGR Dr. Scheffler: Das Ziel der Ausbildung im höheren Justizdienst (Auszüge)
  • Aussprache über: Das Ziel der Ausbildung für den höheren Justizdienst
  • MinRat Dr.Grussendorf: Nachwuchsbestand des höheren Justizdienstes in Vergangenheit und Gegenwart (Zusammenfassung)
  • SenatsPräs. Hornig: Der künftige Bedarf an Rechtswahrern (Zusammenfassung)
  • MinRat Dr. Haag: Die Ursachen des Nachwuchsmangels im höheren Justizdienst
  • Mündliche Ergänzungen zu dem Referat: MinR Dr. Haag: Die Ursachen des Nachwuchsmangels im höheren Justizdienst
  • Aussprache zu: Die Ursachen des Nachwuchsmangels im höheren Justizdienst (Haag).
  • II. Arbeitstagung des Amtes für Nachwuchsfragen vom 6.-8.7.1944 in Leitmeritz
  • GStA Jung: Zusammenfassung: Kriminologische Schulung der Studenten, Referendare und Assessoren (Zusammenfassung)
  • Aussprache zu: Kriminologische Schulung der Studenten, Referendare und Assessoren
  • OLGRat Meinhof: Rassen-, erb- und kriminalbiologische Schulung (Einleitung und Vorschläge für Studenten, Referendare und Assessoren)
  • Aussprache zu: Rassen-, erb- und kriminalbiologische Schulung der Studenten, Referendare und Assessoren.
  • SenPräs. Bergmann: Beschäftigung des Assessors im Justizdienst (Zusammenfassung)
  • MinRat Dr. Grussendorf: Beschäftigung des Assessors im Justizdienst (Zusammenfassung)
  • SenPräs. Hornig: Beschäftigung des Assessors außerhalb des Justizdienstes, insbesondere bei Rechtsanwalt und Notar
  • MinRat Dr. Haag: Beschäftigung des Assessors außerhalb des Justizdienstes – Zusammenfassung
  • Aussprache zu: Beschäftigung des Assessors im Justizdienst, Beschäftigung des Assessors außerhalb des Justizdienstes.
  • Sachregister
  • Quellennachweis
  • Reihenübersicht

← VIII | IX →

Einleitung

I.  Die Quellen und der Umfang der Edition

Der vorliegende Band bringt im ersten Teil die Berichte über die Bereisung von OLG-Bezirken durch das Amt des Reichsjustizministeriums zur „Neuordnung der Deutschen Gerichtsverfassung“ zwischen Juni 1943 und Mai 19441. Die Reiseberichte enthalten eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Aussprache zwischen meist zwei Mitgliedern des „Amtes“, die auch die Berichte abfassten, mit den OLG-Präsidenten, den LG-Präsidenten und weiteren Richtern des OLG-Bezirks. Über die Besuche der OLG-Bezirke wurden jeweils Einzelakten angelegt2, die weitere Materialien über die OLG-Bezirke und Stellungnahmen einzelner Gerichte oder Richter des Bezirks enthalten. Diese Akten konnten schon wegen ihres Umfanges nicht in die Edition einbezogen werden. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass in ihnen wichtige Materialien zur Geschichte der jeweiligen OLG-Bezirke und ihrer Richterschaft insbesondere zur NS-Zeit enthalten sind. Als Beispiel für die in einigen Akten enthaltenen Meinungsäußerungen werden die Gutachten der Stellungnahmen des OLG-Präsidenten von Zweibrücken und der Präsidenten der sechs Landgerichte dieses Bezirks zu der Stellung des Richters wiedergegeben. Ferner wird wiedergegeben das Teilmanuskript – vielleicht auch nur dessen Entwurf – der Ansprache Thieracks auf der Chefpräsidententagung auf der „Reichsburg Kochem“ am 23.5.1944 (vgl. W. Schubert, Das Reichsjustizministerium und die höheren Justizbehörden in der NS-Zeit (1935–1944), Frankfurt a.M. 2015, 542 ff.).3 Insgesamt sind die Reiseberichte durchaus eine Veröffentlichung wert. Sie zeigen einerseits die Intensität auf, mit welcher der Justizminister Thierack die Justizreform im nationalsozialistischen Sinne ← IX | X → betrieben hat, insbesondere was die Stellung der Richter angeht, und andererseits die Vielfalt der Meinungen, die – im Rahmen des Nationalsozialismus – über die Justizreform bestanden.

Der zweite Teil des Bandes dokumentiert die beiden Arbeitstagungen des zum 1.1.1944 eingerichteten „Amtes für Nachwuchsfragen“ im Juni und Juli 1944 in Leitmeritz.4 Aus Platzgründen konnten nur die wesentlichen Teile des Eingangsvortrags des von Dresden kommenden OLG-Rats Scheffler, die Zusammenfassungen der umfangreichen Referate und die aufschlussreichen Aussprachen zu den Referaten wiedergegeben werden.

Die Edition versteht sich als Ergänzung des Bandes der Reihe „Akademie für Deutsches Recht 1933–1945“, Bd. VI, Frankfurt a.M. 1997, der bereits wichtige Materialien des Amtes „Neuordnung der Deutschen Gerichtsverfassung“ enthält (u.a. Niederschriften über die Sitzungen des Amtes und Leitsätze zur Gerichtsverfassung und zu einem Richtergesetz).

II.  Die Berichte über die Reisen in 13 OLG-Bezirke

Am 20.8.1942 lösten Thierack als neuer Justizminister Franz Schlegelberger, der das Ministerium bis dahin nach dem Tod Gürtners kommissarisch geleitet hatte, und Curt Rothenberger als Staatssekretär den damaligen Amtsinhaber Freisler ab, der zum Präsidenten des Volksgerichtshofs ernannt wurde. Gleichzeitig erging ein „Erlass des Führers“5: „Zur Erfüllung der Aufgaben des Großdeutschen Reiches ist eine starke Rechtspflege erforderlich. Ich beauftrage und ermächtige daher den Reichsminister der Justiz, nach meinen Richtlinien ← X | XI → und Weisungen im Einvernehmen mit dem Reichsminister und Chef der Reichskanzlei und dem Leiter der Partei-Kanzlei eine nationalsozialistische Rechtspflege aufzubauen und alle dafür erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Er kann hierbei vom bestehenden Recht abweichen.“ Auf der Arbeitstagung des Reichsjustizministeriums mit den OLG-Präsidenten und den Generalstaatsanwälten am 29.9.1942 erläuterten Thierack und Rothenberger6 ihr Programm zum Aufbau einer nationalsozialistischen Rechtspflege.

Zum 1.1.1943 wurden im Justizministerium drei „Ämter“ gebildet, das Amt „Rechtsprechung durch das Volk“, „Richter und Rechtspfleger“ und „Neuordnung der Deutschen Gerichtsverfassung“. Parallel wurden zu einer Zeit, als die meisten Akademie-Ausschüsse ihre Arbeiten hatten einstellen müssen, drei neue Ausschüsse gegründet: „Rechtsprechung durch das Volk“, „Richter und Rechtspfleger“ und „Wahrheitsforschung im Streitverfahren“ (Vorsitzender: Ministerialdirektor Altstötter). Letzterer legte im Oktober 1943 eine Denkschrift zur Reform des Zivilprozesses vor, die für das Reichsjustizministerium Grundlage war für den „Entwurf einer Verordnung zur Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten“7. Vom Amt des RJM „Richter und Rechtspfleger“ liegen zwar keine Beratungsprotokolle vor, wohl aber Entwürfe zu einem Gesetz und einer entsprechenden Verordnung über das Amt des Rechtspflegers.

Am umfangreichsten waren die Arbeiten des Amtes „Neuordnung der Deutschen Gerichtsverfassung“, das die parteipolitisch und weltanschaulich wichtigsten Fragen behandelte8. Die letzten Sitzungen des Amtes dürften im Juni 1944 stattgefunden haben; Anfang August 1944 wurde die Weiterarbeit weitgehend stillgelegt. Das Amt beriet und verabschiedete Leitsätze zur „Neuordnung der Deutschen Gerichtsverfassung“, zur Organisation der Staatsanwaltschaft und ← XI | XII → zu einem „Deutschen Richtergesetz“. Die Gerichtsverfassung sollte dahin reformiert werden, dass unter Wegfall der Amts- und Landgerichte erstinstanzliche Eingangsgerichte mit umfassender Zuständigkeit etabliert werden sollten. Ohne Rücksicht auf den Streitwert sollte in Zivilsachen in der Regel ein Einzelrichter entscheiden. Die „wesentlichste“ Aufgabe der Obergerichte sollte bestehen in der „Nachprüfung wegen der rechtlichen oder tatsächlichen Bedeutung der Sache für die Volksgemeinschaft oder die unmittelbar Beteiligten“. „Vornehmste Aufgabe des Reichsgerichts“ sollte sein, „im Interesse der Volksgemeinschaft Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu wahren und die Rechtsentwicklung zu fördern“. Zur Unabhängigkeit des Richters heißt es in Ziff. 9 der Richtlinien zu einem Richtergesetz:9 „Niemand darf den Richter in der Ausübung seines Amtes behindern oder beeinflussen, niemand in sein Amt eingreifen. Sein Spruch fordert Achtung und Gehorsam. Für ihn ist er nur dem Führer verantwortlich“. Das Erfordernis einer nationalsozialistischen Haltung des Richter wurde wie folgt umschrieben: „Der Richter ist Nationalsozialist. – Stellt das oberste Richterdienstgericht fest, dass der Richter in seiner Entscheidung gegen die Grundsätze der nationalsozialistischen Weltanschauung verstoßen hat und danach oder auf Grund anderer Tatsachen nicht mehr die Gewähr dafür bietet, dass er das Recht als Nationalsozialist anwenden wird, so ist er in den Ruhestand zu versetzen. Die Entscheidung trifft der Führer. – Dabei kann der Richter seines Amtes vorläufig enthoben werden.“

Zur Vorbereitung seiner Vorschläge bereiste das Amt zwischen Juni 1943 und Mai 1944 mehrere OLG-Bezirke. Die Reisen in die OLG-Bezirke hatten den Zweck10, „die Auswirkung der vorläufigen Arbeitsergebnisse des Amtes in den einzelnen OLG-Bezirken an Ort und Stelle nachzuprüfen, neue Gesichtspunkte für die Referate zu gewinnen, durch Besprechungen mit den örtlichen Richtern zur Kritik an der Arbeit des Amtes und zu Gegen- und Ergänzungsvorschlägen ← XII | XIII → auf dem Gebiet der Neuordnung der Gerichtsverfassung und des Richterstandes anzuregen und so die Fühlung des Amtes mit der Praxis sicher zu stellen“. Zur Vorbereitung der Gespräche arbeitete das Amt detaillierte Fragebögen aus11, und zwar nicht nur zur künftigen Gerichtsorganisation, sondern auch zur Stellung des Richters. Die „Bereisungen“ wurden durchgeführt von Spitzenbeamten des RJM, die auch die Reiseberichte abfassten. Diese lehnen sich zwar an die Stichpunkte der Fragebögen an, gehen aber im Übrigen detailliert auf die jeweiligen Beratungen und Vorschläge ein. In der vorliegenden Edition werden die Berichte über die „Bereisungen“ von 13 OLG-Bezirken wiedergegeben. Weitere Bereisungen waren geplant, sind aber wohl wegen anderer dringender Arbeiten und der Verschärfung der Kriegslage unterblieben.

Die Berichte lassen erkennen, dass in den Besprechungen – wenn auch im Rahmen der nationalsozialistischen Rechtspolitik und der aus den Fragebögen ersichtlichen Pläne des RJM – eine offene Aussprache über eine Justizreform stattfand. Gebilligt wurde weitgehend eine dreigliedrige Gerichtsbarkeit, die grundsätzlich alle Zuständigkeiten umfassen sollte; mitunter plädierte eine Minderheit für die Beibehaltung der Amtsgerichte (Breslau, Jena und Zweibrücken). Grundsätzlich sollte beim einheitlichen Eingangsgericht nicht der Einzelrichter entscheiden. Jedoch wünschten fast alle Oberlandesgerichte, in Zivilsachen die Möglichkeit vorzusehen, dass in Ausnahmefällen ein Richterkollegium aus drei Richtern einen Rechtsstreit sollte entscheiden können. In Strafsachen sollte bei schwereren Delikten ebenfalls ein Richterkollegium entscheiden, unter Umständen mit Beteiligung von Laienrichtern. Im Übrigen wurde die vom RJM betriebene Einführung von Schöffenrichtern in Bagatellsachen12 sehr zurückhaltend beurteilt. ← XIII | XIV →

Einhellige Meinung war es, die nach Meinung der Richter in der Bevölkerung wenig geschätzten Sondergerichte nach dem Krieg aufzugeben. Allgemein wurde gewünscht, den Abstimmungsgrundsatz beizubehalten und nicht das Führerprinzip zu übernehmen. Mit dem allgemeinen Eingangsgericht war die Abschaffung des Anwaltszwangs zu verbinden. Jedoch sollte der Richter die Möglichkeit haben, eine Vertretung durch Anwälte anzuordnen. Auch wurde die Meinung vertreten, dass ein Anwaltszwang bestehen sollte bei umfangreichen Sachen und vor allem in Ehescheidungsprozessen. Das Verfahren vor dem erstinstanzlichen Zivilgericht sollte sich grundsätzlich nach dem amtsgerichtlichen Verfahren richten, wobei teilweise eine Lockerung der richterlichen Befugnisse zur Sachverhaltsermittlung erwünscht wurde. Auf die Bindung des Richters an das Gesetz wurde großen Wert gelegt; Generalklauseln und § 2 StGB würden genügen (Bamberg). Von einer „allgemeinen Auflockerung der Bindung an das Gesetz“ war nach dem OLG Bamberg „entschieden“ abzuraten. Von der Lenkung der Rechtspflege sollte nur „mit großer Zurückhaltung Gebrauch gemacht werden“ (Dresden); sie sollte keine „Dauereinrichtung“ sein (Breslau). Vielfach wurde gewünscht, dass von speziellen Anweisungen kein Gebrauch gemacht werden sollte. Die auf den Einzelfall bezogenen Weisungen hätten – so das OLG Jena – großen Schaden verursacht. Weisungen im Einzelfall – so das OLG Innsbruck „würden das Ende der Rechtsprechung bedeuten“. Eine Lenkung sollte sich nur auf die allgemeine Ausrichtung beziehen, nicht aber zu Eingriffen in den Einzelfall führen (Hamm). Im Bericht für das OLG Karlsruhe wurde auf die Tatsache hingewiesen, dass „auch in Einzelfällen gelenkt werde“. Auch die Richterschaft des OLG-Bezirks Zweibrücken legt großen Wert auf die Unabhängigkeit/Weisungsfreiheit des Richters.

Als Rechtsmittel sollten die Berufung und die Revision bestehen bleiben, nach Meinung einiger Gerichte jedoch von einer Zulassung abhängig sein (bei Urteilen des Eingangsgerichts durch den iudex ad quem). ← XIV | XV →

Fast alle Berichte berührten die Stellung des Richters in der Öffentlichkeit im Verhältnis zur Verwaltung und zum Militär. Einig war man sich darüber, dass der Ratstitel der Richter entfallen und der Richter aus der allgemeinen Beamtenschaft herausgehoben werden sollte mit einer eigenen Besoldungsordnung. Dagegen wurde die Zusammenfassung der Richterschaft in förmlichen Richterkorps entschieden abgelehnt oder mit großer Skepsis beurteilt. Das OLG Breslau sprach insoweit von einem „Wunschbild“. Von einigen Oberlandesgerichten wurde das Problem der Doppelspitze (OLG-Präsident/Generalstaatsanwalt) angesprochen. Behandelt wurden Fragen der Schaffung von „Richtergehilfen“, der „Weltfremdheit“ und „Rekrutierung der Richter (Lebensschule)“ sowie des Mindestalters von Richtern.

Ein Teil der Reformthemen und der Reformvorschläge waren epocheübergreifend und gehen bis auf die Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Zeit zurück. Auch nach 1949 spielten sie eine erhebliche Rolle, wie insbesondere in den Beratungen und Vorschlägen der Kommission des Bundesministeriums der Justiz zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit (1955–1961)13 und die Arbeiten am Richtergesetz von 1961, die bereits Ende 1949 aufgenommen wurden14.

III.  Das „Amt für Nachwuchsfragen“

Dem erst Anfang 1944 begründeten Amt für Nachwuchsfragen oblagen die „zentrale Behandlung aller Fragen des Nachwuchses für den höheren Justizdienst, namentlich Nachschulung, Auswahl und Rückführung der Kriegsteilnehmer und Kriegsversehrten in den Justizdienst“15. Die Arbeiten sollten umfassen: allgemeine Nachwuchsfragen (Ausbildungsziel, Nachwuchsbestand und -bedarf, ← XV | XVI → Nachwuchsgewinnung, Fühlungnahme mit Partei, Staat, Wehrmacht, Wirtschaft) und die Planung der Maßnahmen für den Nachwuchs (für Studenten, Gerichtsreferendare sowie für Assessoren und ferner die Planung der Sondermaßnahmen für die Kriegsteilnehmer). Sachbearbeiter (Referenten) waren der OLG-Rat Scheffler und der Landgerichtsrat Zeller. Hinzu kamen Mitarbeiter aus den Abteilungen I–VIII des Reichsjustizministeriums.

Die Referate auf den Tagungen des Amtes im Juni und Juli 1944 in Leitmeritz befassten sich u.a. mit den Zielen der Ausbildung für den höheren Justizdienst (Haag, Scheffler), mit den Ursachen des Nachwuchsmangels, der kriminologischen Schulung, der rassen-, erb- und kriminalbiologischen Schulung und der Beschäftigung des Assessors innerhalb und außerhalb des Justizdienstes. Entsprechend dem Grundsatzreferat von Haag sollte „das Ziel der Ausbildung im höheren Justizdienst“ die „weltanschaulich geschlossene, fachlich wissenschaftlich gebildete, politisch praktisch gerichtete Persönlichkeit“ sein. Erziehung und Ausbildung sollten „auf der übereinstimmenden nationalsozialistischen Weltanschauung“ ruhen und grundlegender Maßstab die „völkische Erziehung“ sein. Der „in der nationalsozialistischen Weltanschauung geschlossene völkische Erziehungsmaßstab forderte“ – so Haag – „eine soldatische Haltung sowie den Glauben, den Willen und die Tatbereitschaft des nat.soz. politischen Kämpfers“. Die Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie sollten „noch mehr als bisher in den Vordergrund treten“. Scheffler, der ein Internat für Studenten ablehnte, befasste sich in seinem Referat mit den drei Bereichen, die für die Ausbildung maßgebend sein sollten: Verstand, Urteilskraft und Verhältnis von Persönlichkeit und Gemeinschaft.

Nicht näher eingegangen wird im vorliegenden Band auf die von Thierack und Rothenberger betriebene Einrichtung von studentischen Arbeitsgemeinschaften, die in den Beratungen des Amtes keine größere Rolle spielten. Über diese Arbeitsgemeinschaften wird im Folgeband über die Arbeitstagungen des Reichsjustizministeriums in der „Reichsburg Kochem“ zu berichten sein, wo vom 21.-24.4.1944 eine Tagung mit 70 Arbeitsgemeinschaftsleitern stattgefunden hat. ← XVI | XVII →

IV.  Lebensdaten der OLG-Präsidenten und der an den Besuchsreisen sowie an den Beratungen des Amtes für Nachwuchsfragen beteiligten Juristen des Reichsjustizministeriums

1.  Lebensdaten der Präsidenten der 13 besuchten Oberlandesgerichte

Becker, Ernst-Bruno (1877–1955). Präsident des OLG Jena von 1925–1945.

Beyer, Rudolf Theodor (1891; Todesdatum unbekannt). Präsident des OLG Dresden von 1939–1945.

David, Herbert (1900–1970). Präsident des OLG Leitmeritz von 1939–1945.

Draeger, Friedrich Ernst Max (1885–1945). Präsident des OLG Königsberg von 1937–1945. Am 29.3.1945 wegen „Desertion“ vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt; Hinrichtung am 20.4.1945.

Dürig, Ernst Rudolf Hermann (1888–1951). Präsident des OLG Bamberg von 1939–1945. Vertretung des OLG-Präsidenten von Leitmeritz 1944–1945.

Jung, Friedrich Walter (1890–1978). Präsident des OLG Breslau von 1943–1945; vorher Generalstaatsanwalt am Kammergericht Berlin.

Küstner, Hermann Otto (1886–1970). Präsident des OLG Stuttgart von 1935–1945.

Meldt, Friedrich Josef (1885–1953). Präsident des OLG Graz von 1938–1945.

Reinle, Heinrich (1892–1945, Selbstmord). Präsident des OLG Karlsruhe von 1937–1945.

Sattelmacher, Paul Heinrich Theodor (geb. 1879 – verstorben 1947 im Speziallager Nr.2 in Buchenwald). Präsident des OLG Naumburg von 1933–1945. ← XVII | XVIII →

Semmler, Hans Friedrich August (1902–1977). Präsident des OLG Hamm von 1943–1945.

Siegel, Karl (1884–1969). Präsident des OLG Zweibrücken von 1933–1945.

Stritzl, Oskar (1885–1974). Präsident des OLG Innsbruck von 1939–1945.

Biographien der Oberlandesgerichtspräsidenten finden sich in: Moritz von Köckritz, Die deutschen Oberlandesgerichtspräsidenten im Nationalsozialismus (1933–1945), Frankfurt a.M. 2011.

2.  Mitglieder des Amtes „Neuordnung der Deutschen Gerichtsverfassung“

Altstötter, Josef (1892–1979). 1943–1945 MinR im RJM. Verurteilung im Nürnberger Juristenprozess zu fünf Jahren Zuchthaus.

Bälz, Rudolf (geb. August 1891; Todesdatum nicht bekannt). 1924 Regierungsrat im Württ. Justizministerium (1899 Oberregierungsrat). 1935 Ministerialrat im Reichsjustizministerium, später Ministerialdirigent.

Fechner, Fritz (1900–1994). 1943 MinR im Reichsjustizministerium; zuletzt Ministerialdirektor im Bundesministerium für Finanzen.

Stagel, Friedrich (1889 in Wien; gestorben nach 1945). Im Reichsjustizministerium Ministerialdirigent. Personalakte bis 1945 im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde.

Staud, Eberhard (1892–1964). 1943 Ministerialdirigent im Reichsjustizministerium. Über Staud W. Schubert, Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, III 1, Berlin 1991, S. XXVIII f.

Vogel, Heinrich (1904–1968), Oberregierungsrat im Reichsjustizministerium; 1948 Rat am OLG Hamm.

Über die meisten Juristen Kurzbiographien bei W. Schubert, Akademie für Deutsches Recht 1933–1945, Bd. VI, Frankfurt a.M. 1997, S. 92 ff. ← XVIII | XIX →

3.  Referenten und Mitglieder des Amtes für Nachwuchsfragen

Anders, Georg (1895–1972). 1932 MinR im preuss. Justizministerium, 1935–1945 im Reichsjustizministerium. 1949–1962 im Bundesministerium des Innern (ab 1957 Staatssekretär).

Bergmann, Ernst (geb. 1894). Senatspräsident am OLG Hamm.

Creifelds, Carl (1907–1994). 1941 Kammergerichtsrat. Von 1949–1963 bei der Berliner Senatsverwaltung. Begründer des „Rechtslexikons“, (21. Auflage 2014). Über ihn Hans Dieter Beck, Juristen im Portrait, München 1988, Festschrift zum 225jährigen Jubiläum des Verlages C. H. Beck, S. 93 ff.

Deynet, August (1899–1979). 1934 Kammergerichtsrat. 1950–1958 Präsident des OLG Koblenz.

Grussendorf, Werner (geb. Sept. 1895; Todesdatum nicht bekannt). 1936 Ministerialrat im Reichsjustizministerium.

Haag, Ferdinand (1898; verstorben nach 1945). 1934 Staatsanwalt in Bonn. 1938 Erster Staatsanwalt in Köln, 1939 am OLG Köln, 1941 am OLG Kattowitz. 1943 Senatspräsident am OLG Darmstadt; Februar 1944 Ministerialrat im Reichsjustizministerium.

Hoffmann (nicht näher identifizierbar). Oberregierungsrat.

Hornig, Erich (geb. Dez. 1901; gest. 1995). 1934 Amtsgerichtsrat in Leipzig. 1940 Kammergerichtsrat, später Senatspräsident. 1946 Rat am OLG Celle. 1948 Ministerialrat, 1952 Ministerialdirigent im niedersächsischen Justizministerium.

Jung, Heinz (Heinrich)(1892–1959). 1936–1945 Generalstaatsanwalt beim OLG Dresden. Über ihn Gerald Hacke, in: Christine Pieper/M. Schmaltzner/Gerhard Naser (Hg.) Braune Karrieren. Dresdner Täter und Akteure im Nationalsozialismus, Dresden 2012, S. 120 ff.

Kuhbier, Kurt Heinz (geb. 1904, Todesdatum nicht bekannt). 1941 OLG-Rat in Danzig. Personalakte im BA Berlin-Lichterfelde R 3001/65118. ← XIX | XX →

Meinhof, Carl Gerhard (1896-April 1945). OLG-Rat in Hamburg.

Mielke, Eberhard [?](geb. 1903; Todesdatum nicht bekannt). Ministerialrat im Reichsjustizministerium.

Scheffler, Friedrich Hugo (geb. 1904 in Chemnitz, Sohn eines Oberlehrers; Todesdatum nicht bekannt). 1937 Promotion in Leipzig. 2. Staatsprüfung 1930 in Dresden mit „sehr gut“. 1934 LG-Rat in Chemnitz, 1938 in Dresden; hier 1939 OLG-Rat (zum 1.6.1944 Senatspräsident am OLG Dresden). Ab 10.1.1944 zu Dienstleistungen in das RJM abgeordnet. Seit 1.3.1938 Leiter von Referendararbeitsgemeinschaften. Beste Beurteilungen durch den OLG-Präsidenten: Außergewöhnlich befähigter Jurist; vorzügliches Urteilsvermögen; besondere pädagogische Fähigkeit. – Quellen: Personalakte im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, R 3001/73820.

Thees, Hans (1901–1949). 1938–1944 Referent für das Privatversicherungsrecht im Reichsjustizministerium, zuletzt Ministerialrat. 1947 Leiter der Rechtsabteilung des Zonenamtes des Reichsaufsichtsamts für das Versicherungswesen.

Wogatzky, Hans August Ferdinand (geb. 1905, Todesdatum nicht bekannt). Landgerichtsdirektor in Hamburg.

Details

Seiten
XX, 329
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631735473
ISBN (ePUB)
9783631735480
ISBN (MOBI)
9783631735497
ISBN (Hardcover)
9783631735305
DOI
10.3726/b11851
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (Oktober)
Schlagworte
Reichsjustizministerium Nationalsozialismus Dreistufige Gerichtsbarkeit Oberlandesgerichte Richtergesetz Justizreform
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. XX, 329 S.

Biographische Angaben

Werner Schubert (Band-Herausgeber:in)

Werner Schubert war Professor für Römisches Recht, Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Rechtsgeschichte der Neuzeit an der Universität zu Kiel. Er ist Herausgeber diverser rechtshistorischer Quellen- und Nachschlagewerke.

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Titel: Das Reichsjustizministerium unter Otto Thierack (1942–1945)
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