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Neuerungen im Krankenhaus- und Arzneimittelbereich zwischen Bedarf und Finanzierung

21. Bad Orber Gespräche über kontroverse Themen im Gesundheitswesen

von Eberhard Wille (Band-Herausgeber:in)
©2017 Dissertation 202 Seiten
Open Access

Zusammenfassung

Dieser Band der Bad Orber Gespräche 2016 enthält die erweiterten Referate eines interdisziplinären Workshops zum Thema «Neuerungen im Krankenhaus- und Arzneimittelbereich zwischen Bedarf und Finanzierung». Vertreter des Deutschen Bundestages, des Gemeinsamen Bundesausschusses, des GKV-Spitzenverbandes, der Krankenhäuser, der pharmazeutischen Industrie und der Wissenschaft erörtern Probleme der Grundlagen des Wettbewerbs der Krankenkassen, der Finanzierung und Qualitätsorientierung von Krankenhäusern sowie der Versorgung und Vergütung von innovativen Arzneimitteln.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Begrüßungsansprache „Bad Orber Gespräche 2016“ (Marco Annas)
  • Morbi-RSA – Weiterentwicklungsbedarf nach 2017 (Volker Ulrich)
  • Fairer Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung. Wege zur Steigerung von Wettbewerbsneutralität und Effizienz in der Kassenaufsicht (Eberhard Wille / Gregor Thüsing)
  • Die ewige Baustelle Krankenhaus – Erfahrungen aus über 20 Jahren (Michael Philippi)
  • Qualitätsorientierung und Strukturbereinigung – Das KHSG in der Umsetzungsphase (Wulf-Dietrich Leber)
  • AMVSG: Gesetzgebung auf der Zielgeraden (Michael Hennrich)
  • AMNOG – eine Zwischenbilanz (Josef Hecken)
  • Zukunftssicherung der Versorgung mit innovativen Arzneimitteln (Johann-Magnus v. Stackelberg / Anja Tebinka-Olbrich)
  • Nach dem Pharmadialog. Was ist erreicht? Was steht noch aus? (Han Steutel)
  • Erfahrungen mit der Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V (Jürgen Wasem / Vivien Engelberth)
  • Verzeichnis der Autoren
  • Reihenübersicht

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Marco Annas

Begrüßungsansprache „Bad Orber Gespräche 2016“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste,

es ist mir eine große Freude, Sie heute im Namen von Bayer zu den mittlerweile 21. Bad Orber Gesprächen begrüßen zu dürfen. Ich möchte mich bereits vorab ganz herzlich bei den hochkarätigen Referenten und ebenso bei den zahlreichen Gästen für ihr Kommen und ihre Wortbeiträge bedanken – denn davon leben die Bad Orber Gespräche: Von interessanten Vorträgen und spannenden, mitunter kontroversen Diskussionen in einer traditionell offenen Atmosphäre.

Ein ganz besonderer Dank gilt wieder einmal Herrn Prof. Wille, der erneut Schirmherr unserer Veranstaltung ist und die Gesamtmoderation übernehmen wird. Er hat es erneut erfolgreich verstanden, Kenner, Gestalter und Entscheider unseres Gesundheitssystems für diese Veranstaltung als Referenten zu gewinnen, die uns „aus erster Hand“ berichten können und die ihre Positionen zu wichtigen gesundheitspolitischen Themen der Gegenwart und der Zukunft mit uns teilen werden. Dafür meinen ganz besonders herzlichen Dank, lieber Herr Professor Wille!

Das Schöne ist: Uns gehen die Themen für die Bad Orber Gespräche nie aus. Denn nichts ist im Gesundheitswesen so beständig wie der Wandel – das stellen wir jedes Jahr aufs Neue fest. Und so lautet der diesjährige Titel unserer Veranstaltung: „Neuerungen im Krankenhaus- und Arzneimittelbereich zwischen Bedarf und Finanzierung“. Das ist das ewige Spannungsfeld, in dem wir uns seit Jahren befinden.

Auf die Arzneimittel bezogen heißt das: Einerseits stehen den Patienten immer neue, innovative Therapien zur Verfügung, die Krankheiten heilen oder zumindest lindern und die Leben verlängern und verbessern können. Andererseits wird, insbesondere von Krankenkassen, vor steigenden Kosten, die das System ins Wanken bringen, gewarnt. Sogar dann, wenn – wie vor kurzem geschehen – eine durch und durch unspektakuläre Zahl veröffentlicht wird: nämlich ein Arzneimittelausgabenwachstum von 4,3 Prozent im letzten Jahr. Das wird dann dramatisiert und dazu genutzt, selbst in einem ← 7 | 8 → Jahr mit moderater Kostenentwicklung eine Spardebatte anzuzetteln. Man sollte doch meinen, dass es sich bei den Ausgaben um eindeutig quantifizierbare, statistische Größen handelt. Doch es ist immer wieder interessant und manchmal eben auch durchaus besorgniserregend, wie unterschiedlich diese Zahlen dargestellt und interpretiert werden können. Natürlich stimmt die so dramatisch daherkommende Aussage: „Die GKV-Ausgaben für Arzneimittel waren im Jahr 2015 so hoch wie nie zuvor.“ Aber das allein ist doch wenig aussagekräftig. Denn richtig ist auch: Die Anzahl der GKV-Versicherten ist ebenfalls so hoch wie nie zuvor. Die Bevölkerung ist so alt und damit so krank wie nie zuvor. Die Aufregung über zu viel Geld für neue Arzneimittel ist derzeit eine politisch motivierte Scheindebatte. Fakt ist: Die Kosten bleiben unter Kontrolle, die Arzneimittelausgaben der Krankenkassen steigen nur moderat und ihr Anteil an den Gesamtausgaben der GKV ist stabil. Neue Arzneimittel sind in Deutschland im Übrigen günstiger als in anderen europäischen Ländern und es mehren sich die Anzeichen, dass Deutschland nach und nach zu einem Exportmarkt für „preisgünstige“ Arzneimittelinnovationen wird. Es darf vermutet werden: Diese Dramaturgie zielt auf den politischen Prozess, der spätestens letzten Monat mit der Verabschiedung des GKV-Arzneimittelversorgungsgesetz – kurz AMVSG – im Bundeskabinett begann. Heute findet die erste Lesung im Bundestag statt, wir sind also genau in der heißen Phase. Der Gesetzentwurf enthält mehrere „Pakete“, die es durchaus „in sich haben“ und über die wir heute und morgen auch sprechen werden. Als forschendes pharmazeutisches Unternehmen schauen wir natürlich besonderes auf das sich in diesem Gesetzentwurf befindliche „AMNOG-Paket“ einerseits und das „Preis-Paket“ andererseits. Hier sehen wir durchaus noch Anpassungsbedarf. Aber auch das „Apothekenpaket“ wird durch die Regelungen im Bereich der Zytostatika und nun vor allem durch das EUGH-Urteil noch einmal äußerst spannend.

Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, fand von 2014 bis 2016 der sogenannte Pharmadialog zwischen der Bundesregierung, den Pharmaverbänden, Vertretern der Gewerkschaften und der Wissenschaft statt. Ein Dialog, den es in dieser Form zuvor so noch nie gegeben hat und den ich für einen wichtigen Meilenstein halte. Im Ergebnisbericht zum Pharmadialog heißt es: Die pharmazeutische Industrie ist – ich zitiere – „wichtiger Motor der deutschen Wirtschaft“, „wirtschaftlicher Stabilitätsanker auch in ← 8 | 9 → Krisenzeiten“ und „Schlüsselindustrie für den medizinischen Fortschritt“. Und das Bekenntnis der beteiligten Ministerien geht noch weiter: „Die Bundesregierung will, dass der Pharmastandort Deutschland im internationalen Wettbewerb auch weiterhin stark bleibt“ und: „Die Bundesregierung will mit Anreizen für Innovationen die Voraussetzungen für eine gute Patientenversorgung schaffen“. Das klingt alles sehr gut, denn zentrale Voraussetzung für eine gute Gesundheitsversorgung, den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen und den Erhalt von Beschäftigung sind in der Tat auch verlässliche Rahmenbedingungen und ein innovationsfreundliches Klima – auch im Bereich des gesetzlichen Krankenversicherungssystems. Sie können sich vorstellen, dass wir im April, als der gemeinsame Ergebnisbericht zum Pharmadialog veröffentlicht wurde, mit Zuversicht einem geplanten „Pharmagesetz“ entgegengesehen haben. Wir hatten Grund zur Hoffnung, dass die Politik auf dieser Basis Maßnahmen ableiten würde, die tatsächlich zu besseren und planungssicheren Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung im Arzneimittelbereich beitragen und damit langfristig zu einer hochwertigen Versorgung von Patienten mit innovativen Arzneimitteln beitragen würden. Diese Zuversicht ist mittlerweile Ernüchterung gewichen. Das AMVSG stellt leider insgesamt kein ausgewogenes und zukunftsfähiges Maßnahmenpaket dar – die Balance stimmt schlicht nicht. Der Gesetzentwurf ist in seiner derzeitigen Fassung eben kein „Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz“. Lassen Sie mich nur ein paar wenige Punkte ansprechen, ohne der Diskussion morgen vorgreifen zu wollen:

Erstens: Entgegen den Absprachen im Pharmadialog sollen auch neue dirigistische Markteingriffe vorgenommen werden. Das Preismoratorium soll nun bis Ende 2022 verlängert werden. Die faktische Institutionalisierung dieser Zwangsmaßnahme über 13 Jahre hinweg ist nicht nur ordnungspolitisch höchst fragwürdig, sondern auch verfassungsrechtlich bedenklich. Bedenklich ist auch, dass das alle wissen und es trotzdem Eingang in den Gesetzentwurf gefunden hat und die Begründung immer abenteuerlicher ausfällt. Die Maßnahme kann eben nicht mit der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Lage begründet werden, die in Deutschland so robust ist wie selten zuvor. Die GKV verfügt bekanntlich trotz steigender Ausgaben über ein Finanzpolster von über 20 Milliarden Euro. ← 9 | 10 →

Zweitens: Gerade bei den für die Interessen unserer Industrie so wesentlichen Regelungen fehlt dem Gesetzentwurf in der konkreten Ausgestaltung die notwendige Klarheit. Dies betrifft insbesondere die nicht-öffentliche Listung der Erstattungsbeträge oder auch das geplante Arztinformationssystem mit seinen offensichtlichen Auswirkungen und Gefahren für die ärztliche Therapiefreiheit. Das Gesetz ist an vielen, für uns so wichtigen Stellen, einfach zu unkonkret. Es ist z.B. nicht absehbar, wie die geplanten Regelungen im Rahmen des Arztinformationssystems tatsächlich umgesetzt werden soll. Die Ärzte sollen zukünftig besser über die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung informiert werden – ein durchaus nachvollziehbares Anliegen, das wir grundsätzlich unterstützen. Doch wie soll eine solche Arztsoftware aussehen? Wir dürfen jedenfalls auf keinen Fall zulassen, dass hier ein System etabliert wird, das letztlich nur der Verordnungssteuerung im Interesse der Kostendämpfung dient, bei denen die ärztliche Therapiefreiheit endgültig auf der Strecke bleibt. Wir benötigen ein System für Ärzte, das Ärzte über Arzneimittel informiert und kein System für Kassen, mit dem diese die Verschreibungen von Ärzten kontrollieren!

Drittens: Geradezu kontraproduktive Signale gehen von anderen Regelungen aus. Diese stellen im Rahmen des AMNOG-Prozesses für die forschende Industrie sogar neue und zusätzliche Hürden dar. Dazu gehören beispielsweise die Beschränkung der freien Preisbildung im ersten Jahr durch eine Umsatzschwelle oder auch der Vorschlag zur Ausweitung der Nutzenbewertung auf den Bestandsmarkt, der in seiner aktuellen Fassung immer noch viel zu große Planungsunsicherheiten provoziert. Wirklich relevante Verbesserungen beim AMNOG-Prozess sind kaum vorgesehen. Alle reden beim AMNOG gern von einem „lernenden System“. Doch die Verbesserungen, die nun geplant sind – beispielsweise die Möglichkeit, bereits vor Ablauf eines Jahres eine neue Bewertung zu beantragen oder die Flexibilisierung bezüglich der wirtschaftlichsten Vergleichstherapie als Preisanker – würde ich allenfalls als „homöopathisch“ bezeichnen.

Details

Seiten
202
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631738337
ISBN (ePUB)
9783631738344
ISBN (MOBI)
9783631738351
ISBN (Hardcover)
9783631738276
DOI
10.3726/b12534
Open Access
CC-BY
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (April)
Schlagworte
Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich Geteilte Aufsicht der Krankenkassen Qualitätsorientierung von Krankenhäusern Innovative Arzneimittel AMNOG
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 202 S.

Biographische Angaben

Eberhard Wille (Band-Herausgeber:in)

Eberhard Wille war nach dem Studium an der Universität Bonn, der Promotion und der Habilitation an der Universität Mainz Professor für Volkswirtschaftslehre, insbes. Finanzwissenschaft an der Universität Mannheim. Er ist derzeit als Emeritus u.a. Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sowie stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.

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