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Delegitimierung im tschechischen parlamentarischen Diskurs

von Martina Berrocal (Autor:in)
©2017 Monographie 244 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin ermittelt und legt diskursive Strategien offen, die in der tschechischen «Poslanecká sněmovna» zur Delegitimierung der politischen Gegner eingesetzt werden. Sie dienen dazu, eigene Stellung und Machtressourcen zu sichern und das Ansehen des politischen Rivalen zu schädigen, indem seine professionelle, politische und moralisch Legitimation in Frage gestellt und seine politischen Positionen systematisch untergraben werden. Der theoretische Rahmen der Analyse geht von Erkenntnissen der interaktionellen Pragmatik aus, insbesondere der Ansätze zu (Un)Höflichkeit. Diese sind in diesem Kontext besonders relevant, weil die parlamentarische Interaktion in erster Linie durch Dissens und durch Darstellungen des Selbst- und Fremdbildes erfolgt. Durch die Kombination qualitativer und quantitativer Herangehensweisen bietet die Analyse spannende Einblicke in das politische Reden und Handeln.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhalt
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Ziel der Arbeit
  • 1.2 Arbeitsaufbau
  • 2 Politik und Sprache: Politolinguistik
  • 2.1 Politolinguistische Forschungsebenen
  • 2.2 Politolinguistik – Definition, kurze Geschichte
  • 2.3 Politolinguistik – Methodenübersicht
  • 2.4 Politolinguistik in den westslawischen Ländern
  • 2.5 Parlamentarischer Diskurs
  • 3 Theoretischer Teil
  • 3.1 Ansätze zu Sprachinteraktion: (Un-)Höflichkeit
  • 3.2 Ansätze zu Sprachinteraktion: Unhöflichkeit
  • 3.3 Betrachtung der diskursiven Identität
  • 4 Empirischer Teil
  • 4.1 Legitimation und Delegitimierung
  • 4.2 Material
  • 4.3 Verbindung der Theorie und des Materials
  • 4.4 Methode
  • 4.5 Bearbeitung des Sprachmaterials
  • 4.6 Delegitimierungsstrategien: Quantitative Auswertung
  • 4.7 Delegitimierungsstrategien: Qualitative Auswertung
  • 4.7.1 Erste Strategie: Vorwurf
  • 4.7.2 Zweite Strategie: Kritik
  • 4.7.3 Dritte Strategie: Aufforderung/Appell
  • 4.7.4 Vierte Strategie: Zitieren des Gegners
  • 4.7.5 Fünfte Strategie: amüsantes/witziges Kommentieren
  • 4.7.6 Fallstudie: Delegitimierung als einziges Handlungsziel
  • 5 Zusammenfassung und Ausblick
  • 6 Literaturverzeichnis
  • 7 Anhang

1 Einleitung

1.1 Ziel der Arbeit

Das zentrale Anliegen dieser Arbeit ist die Ermittlung und Offenlegung diskursiver Strategien, die in der tschechischen Poslanecká sněmovna zur Delegitimierung der politischen Gegner eingesetzt werden, und die dazu dienen, eigene Stellung, eigenes Ansehen, eigene Positionen und Machtressourcen zu sichern und das Ansehen des politischen Rivalen zu schädigen, indem seine professionelle, politische und moralische Legitimation in Frage gestellt und seine politischen Positionen systematisch untergraben werden. Das Ziel der Arbeit ist die Beschreibung der Strategien sowie der stilistischen und rhetorischen Mittel, die mit der Absicht eingesetzt werden, das eigene Bild in der parlamentarischen Öffentlichkeit zu stärken und das Bild der politischen Konkurrenten zu unterminieren.

Entscheidend für die Themenwahl waren mehrere Umstände und deren Verknüpfung. Zum einem war es der Umstand, dass der politische Diskurs in Tschechien bislang nur punktuell erforscht wurde und sich die Arbeiten zur Sprache des tschechischen Parlaments auf einige wenige (und wenig umfangreiche) Aufsätze beschränken. Zum anderen steht im Gegensatz dazu die Tatsache, dass die linguistische Erforschung des parlamentarischen Diskurses in den letzten zwei Dekaden in vielen Ländern eine sehr produktive Phase verzeichnet hat. Sie bietet mit ihren Themen und analytisch produktiven Methoden zahlreiche Forschungsimpulse. Letztlich prägten die aktuelle Forschung im Bereich der interaktionellen Pragmatik, vor allem die Ansätze zu (Un-)Höflichkeit, den Arbeitsfokus. Sie sind relevant, weil die parlamentarische Interaktion in erster Linie durch Dissens und durch Darstellungen des Selbst- und Fremdbildes erfolgt.

Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit wurden die thematischen und analytischen Anregungen der letzten Jahre aufgegriffen und es wurde eine Methode erarbeitet, die eine Analyse auf mehreren Sprachebenen erlaubt, wobei sich das Hauptforschungsinteresse auf das komplexe Zusammenspiel der Sprachebenen (Makroebene, Mesoebene, Mikroebene) richtet. Neben den Delegitimierungsstrategien, die auch in anderen europäischen Parlamenten zu beobachten sind, richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Strategien, die für den parlamentarischen Diskurs in Tschechien kennzeichnend sind und die möglicherweise zum diskursiven Arsenal der postsozialistischen Länder gehören. ← 9 | 10 →

1.2 Arbeitsaufbau

Die vorliegende Analyse besteht aus fünf Kapiteln.

Das einleitende Kapitel stellt die Ziele der Arbeit vor. Da es sich um sich eine politolinguistische Analyse handelt, ist das zweite Kapitel der Definition von Politolinguistik als einer linguistischen Teildisziplin, ihren Forschungsschwerpunkten und den häufig angewandten Forschungsmethoden gewidmet. Ferner stellt sie den Forschungsstand des parlamentarischen Diskurses in Tschechien und anderen Ländern vor. Damit sollte die vorliegende Analyse linguistisch und methodisch kontextualisiert werden und ein Überblick über die westslawische politolinguistische Forschung, Tschechien, Polen und die Slowakei betreffend, gegeben werden.

Das dritte Kapitel befasst sich mit der interaktionellen Pragmatik, insbesondere mit den Ansätzen zur (Un-)Höflichkeit, die die theoretische Grundlage der Arbeit und das theoretische Instrumentarium bilden.

Im vierten, analytischen Kapitel werden die Methode erläutert und das analysierte Sprachmaterial vorgestellt, wobei einige Anmerkungen zum politischen Kontext und dem Genre, zu dem es gehört, geliefert werden. Dieses Kapitel stellt den Hauptteil der Arbeit dar, in dem die Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Analyse, strukturiert nach den einzelnen Strategien, präsentiert werden.

Im fünften abschließenden Kapitel werden die Ergebnisse zusammengefasst und ein Ausblick auf weitere Forschungsfragen entwickelt. ← 10 | 11 →

2 Politik und Sprache: Politolinguistik

Die Beziehung zwischen Sprache und Politik erweckt das Interesse von Sprachwissenschaftlern seit Jahrzehnten. In der germanistischen Sprachwissenschaft findet die Erforschung der Sprache als Vehikel und Spiegel politischen Handels einen Anfangspunkt in den Studien zur Sprache des Nationalsozialismus (Klemperer 1947, Sternberger, Storz und Süskind 1957). Die Bezeichnung Politolinguistik geht allerdings erst auf einen Aufsatz von Burkhardt (1996, 75ff.) zurück, in dem sich der Autor um die Definition und Abgrenzung eines neuen Teilgebietes der Linguistik bemüht. Er fragt sich unter anderem, was im Mittelpunkt des linguistischen Forschungsinteresses steht und wie der Forschungsschwerpunkt zu bezeichnen und zu definieren ist.

Als Gegenstand der Politolinguistik werden hauptsächlich drei Themenbezeichnungen festgemacht:

• Sprache und Politik, wenn auch „die Vorstellung der Trennbarkeit beider Bereiche evoziert wird“;

• Sprache in der Politik, wenn auch die Trennung des politischen und des nichtpolitischen Handelns nicht einfach ist;

• politische Sprache, was aber den Eindruck vermittelt, dass es eine besondere Sprache für den Bereich der Politik gibt (vgl. Schröter und Carius 2009, 13).

Burkhardt entscheidet sich trotzdem für die Bezeichnung ‚politische Sprache’ als Oberbegriff des Forschungsfokus der Politolinguistik und grenzt den Umgang mit dem Oberbegriff gleichzeitig ein. Politische Sprache umfasst in seiner Betrachtung:

    „[...] alle Arten öffentlichen, institutionellen und privaten Sprechens über politische Fragen, alle politiktypischen Textsorten sowie jede für das Sprechen über politische Zusammenhänge charakteristische Weise der Verwendung lexikalischer und stilistischer Sprachmittel.“ (Burkhardt 1996, 79)

Aus dieser Definition ergeben sich zwei zusammenhängende Betrachtungsweisen des Attributs ‚politisch’. Einerseits bezieht er sich auf die Texte (mündliche und/oder schriftliche), welche mit der Politik im Sinne von polity, politics und policy thematisch verbunden sind, und andererseits auf Texte, welche als Textprodukte der jeweiligen politischen Settings zustande kommen. Die Begriffe polity, politics und policy werden wie folgt aufgefasst (vgl. Klein 2014, 8, Dobek-Ostrowska 2007, 129): ← 11 | 12 →

Polity ist der konkrete Handlungsrahmen in Form von Verfassung, Gesetzen, legislativen Vorschriften und geregelter institutioneller, organisatorischer Umrahmung der politischen Prozesse.

Policy bezeichnet den Inhalt, die Themen, Sachprobleme und die Art und Weise ihrer Lösung.

Politics ist der politische Prozess, der durch „Techniken und Strategien des Durchsetzens, des Machterwebs, des Machterhalts, aber auch des Umgangs mit Machtverlust oder Machtlosigkeit“ (Klein 2014, 8) gekennzeichnet ist.

Graber (1981) behauptet, dass es nicht die konkreten lexikalischen und stilistischen Ausprägungen sind, die für die politische Sprache kennzeichnend sind, sondern eher der außersprachliche Kontext und die Funktion, die die konkreten Äußerungen erfüllen:

In diesem Sinne weisen die Sprach-, Politik- und Sozialwissenschaftler weitgehende Übereinstimmung darin auf, dass sie die politische Sprache funktional als das Kommunikationsmittel des politischen Agierens definieren, dessen sich die politischen Akteure bedienen, um ihre eigenen politischen Ziele zu erreichen. Bei der Umsetzung der Handlungsziele spielen auch die Medien vielfach eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, die gewünschte Wirkung hervorzurufen: „[...] political actors must use the media in order to have their messages communicated to the desired audience“ (McNair 1995, 11). Die Rolle der Medien im politischen Kommunikationsprozess ist insofern unabdingbar, als nicht mehr mit zwei beteiligten Seiten, sondern mit einem dritten (medialen) Teilnehmer zu rechnen ist (vgl. Dieckmann 1981, 218ff., 265ff.).

Girth/Spieß fügen hinzu, dass

Im gegebenen politischen Kontext ist besonders wichtig, dass die politische Kommunikation nicht „hinter der geschlossenen Tür“, d. h. ohne Publikum, sondern öffentlich verläuft.

2.1 Politolinguistische Forschungsebenen1

Bei der Recherche der politolinguistischen Fachliteratur (z. B. Klein 2014, Schröter und Carius 2009, Niehr 2014) fällt auf, dass die Ausrichtung der Studien auf drei Grundebenen angesiedelt wird.

Wortebene

In den Studien, die sich auf der Wortebene befinden, wird oft die Frage gestellt, ob es einen politspezifischen Wortschatz gibt und wenn ja, nach welchen Kriterien sich dieser Wortschatz ergründen lässt. Der Fokus der Untersuchungen liegt auf den semantischen Kämpfen, die im Rahmen der politischen Auseinandersetzungen entstehen.

Textebene

Zum Forschungsschwerpunkt auf dieser sprachlichen Ebene werden die Abgrenzung des Begriffs Textsorte und die Festlegung ihrer Klassifikations- und Beschreibungskategorien. Nicht zuletzt wird die Intertextualität in drei Modalitäten von Beziehungen erforscht: Text-Textwelt, Text-Textmuster und Text-Text (Schröter und Carius 2009, 60–61).

Diskursebene

Zahlreiche jüngere Untersuchungen zum Thema der politischen Sprache tragen die Worte ‚Diskurs‘ oder ‚diskursiv‘ im Titel. Begriffliche Schwierigkeiten ergeben sich dabei beinahe zwangsläufig, weil der Begriff Diskurs mehrdeutig ist und in der Wissenschaft während der letzten zwei Jahrzehnte unterschiedlich definiert und angewandt wurde.

Nicht nur in den Sozial-, Sprach- und Politikwissenschaften sowie in der Philosophie und Geschichte, sondern auch in den verschiedenen Forschungstraditionen bzw. ← 13 | 14 → -kulturen wurde er in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet. Nach Ehlich (2007, 3f.) wird in der englischsprachigen Tradition die Bezeichnung Diskurs als Synonym zu der satzübergreifenden Sprachform verwendet (Halliday und Hassan 1976, 10, Levinson 2000a, 311) und weiterhin im Sinne spontaner, alltäglicher, mündlicher Kommunikation erfasst.

Details

Seiten
244
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631737477
ISBN (ePUB)
9783631737484
ISBN (MOBI)
9783631737491
ISBN (Paperback)
9783631737460
DOI
10.3726/b12284
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
politischer Diskurs Delegitimierung Höflichkeit Pragmatik Diskursanalyse Tschechische Republik
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 244 S., 9 s/w Abb., 12 s/w Tab.

Biographische Angaben

Martina Berrocal (Autor:in)

Martina Berrocal studierte Westslawistik, Anglistik/Amerikanistik und Romanistik (Spanisch) an der Masaryk Universität Brno (Tschechien) und Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sie promovierte am Institut für Slawistik FSU Jena im Fach Slavische Sprachwissenschaft. Die Autorin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Slawistik und Kaukasusstudien der FSU Jena.

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