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Aktuelle Aspekte der Dysphagiediagnostik und Behandlung

Forschungsbeiträge zu Störungen des Schluckens und der Nahrungsaufnahme bei Erwachsenen und Kindern

von Kerstin Richter (Band-Herausgeber:in) Florian Heimann (Band-Herausgeber:in) Astrid Schmidkort (Band-Herausgeber:in) Martina Hielscher-Fastabend (Band-Herausgeber:in)
©2020 Konferenzband 176 Seiten
Open Access

Zusammenfassung

Die Forschung zu Diagnostik und Behandlung von Dysphagien verschiedenster Störungsbilder bei Erwachsenen und Kindern hat in Deutschland in den letzten zwanzig Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. Der Arbeitskreis Dysphagie Ostwestfalen-Lippe in Kooperation mit dem Studiengang der Klinischen Linguistik an der Universität Bielefeld befasst sich im Rahmen einer zweijährig stattfindenden Tagung speziell mit aktuellen Fragen dieser Thematik. Der vorliegende Band diskutiert aktuelle Forschungsfragen und Ergebnisse aus Diagnostik und Therapie.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung (Kerstin Richter, Martina Hielscher-Fastabend)
  • Atmen und Schlucken interaktiv Atemtherapeutische Ansätze in der Dysphagietherapie (Katrin Frank, Ulrike Frank)
  • Dysphagiemanagement auf einer Stroke Unit (Michaela Trapl-Grundschober)
  • Die Aussagekraft des White Outs bei der FEES über die Physiologie des Schluckaktes (Florian Heimann, Ulrich Birkmann, Kerstin Richter)
  • Dysphagie im ambulanten sprachtherapeutischen Setting Eine Bestandsaufnahme (Irene Schirmacher, Frank Ostermann)
  • Künstliche Ernährung – rechtliche und ethische Aspekte (Christoph Kley)
  • Störungen der Schluckfunktionen nach Langzeitintubation Eine retrospektive Studie für die internistische Intensivmedizin (Vaia Bitos, Holger Schulte, Kerstin Richter, Martina Hielscher-Fastabend)
  • Schluckstörungen nach einer Operation an der Halswirbelsäule Bagatelle oder ernstzunehmende Komplikation? (Stefanie Duchac)
  • Diagnostik von kindlichen Schluck- und Fütterstörungen (Chetana Aswathanarayana)
  • Klinische Aspirationsprädiktoren bei Pädiatrischer Dysphagie Eine Pilotstudie (Agnes Schablowsky, Chetana Aswathanarayana, Kerstin Richter)
  • Besondere Aspekte in der Behandlung von Fütter- und Schluckstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern (Carmen Göbel-Bettermann)
  • Die Beiträgerinnen und Beiträger
  • Reihenübersicht

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Kerstin Richter, Martina Hielscher-Fastabend

Einleitung

Probleme des Schluckprozesses und der Nahrungsaufnahme treten in vielfältiger Form bei verschiedensten Störungsbildern im Kindes- und Erwachsenenalter auf. Die Beiträge des vorliegenden Buches tragen der Vielfältigkeit dieser Störungsbilder Rechnung und liefern aktuelle Ergebnisse aus Forschung und Praxis zu Erkrankungen bei Erwachsenen mit neurogenen Erkrankungen, nach Operationen im Bereich der HWS-Struktur, nach intensivmedizinischen Behandlungen und bei demenziellen Abbauprozessen. In einem zweiten Teil des Bandes werden in drei Artikeln speziell die pädiatrischen Dysphagien und sogenannten Fütterstörungen bei Kindern hinsichtlich der Anpassung von Diagnostik und speziellen Behandlungsansätzen thematisiert.

Bis heute ist die Frage der angemessenen Diagnostik für Dysphagiepatient*innen1 nicht abschließend geklärt. Aktuell diskutiert werden insbesondere die instrumentellen diagnostischen Verfahren, die bildgebende Daten zum Schluckprozess liefern. Anhand der transnasalen fiberendoskopischen Untersuchung (meist nach FEES Protokoll durchgeführt) lassen sich Informationen über die Bereiche pharyngealer und laryngealer Strukturen ermitteln. Anhand der Videofluoroskopie (VFS) sind darüber hinaus auch Informationen aus der Phase oraler Verarbeitung und des ösophagealen Transports abzubilden. Es ist wichtig, Informationen des Bolustransportes vor, während und nach einem Schluck zu erfassen, was in dieser kompletten Form eher die VFS ermöglicht. Selbst diese beiden sehr weit entwickelten Verfahren liefern zwar inzwischen mit aktueller Technik hervorragende Bilder der kritischen Schluckprozesse, aber eine Auswertung mit hoher Objektivität, Reliabilität und Validität der Ergebnisse hinsichtlich der Schluck- und Essproblematik, sowie des Aspirationsrisikos ist bis heute, z.B. über ein standardisiertes FEES Protokoll, trotzdem erst in Ansätzen zu erreichen. Fragen der Quantifizierung von Auffälligkeiten und der Ableitung von Therapiezielen sind weiterhin Thema der Forschung, auch in einigen Beiträgen dieses Buches.

Zusätzlich zur instrumentellen Schluckdiagnostik oder häufig auch ersetzend finden Screening-Verfahren und eine umfassende klinische ←11 | 12→Schluckuntersuchung (KSU) Verwendung. Insbesondere die Screeningverfahren sind so konzipiert, dass sie schnell Hinweise auf eine Schluckproblematik erfassen. Sie sollten eine hohe Sensitivität aufweisen, d.h. es sollten möglichst keine Patient*innen mit einer Dysphagie durch das Screening übersehen werden. Gewöhnlich leidet bei der Konzeption eines hoch sensitiven Verfahrens aber dessen Spezifität, d.h. seine Eigenschaft selektiv nur Patient*innen zu identifizieren, die Schluckprobleme aufweisen und keine ungestörten Personen fälschlich als dysphagisch zu klassifizieren. Hier ist immer im System zu entscheiden, wie wichtig es ist, den jeweiligen Fehler zu minimieren. Um keine Dysphagie mit lebensbedrohlichen Folgen zu übersehen, ist es immer wichtiger, eine Sensitivität von 95% zu erreichen. Eine zusätzliche methodische Herausforderung bedeutet die gewünschte Kürze dieser Verfahren. Je weniger Items eine Skala enthält, desto geringer ist gewöhnlich die Reliabilität. Auch hier muss ein trade-off Verfahren gewählt werden, um möglichst kurz aber noch immer verlässlich zu sein. Und schließlich sind einige Screenings so konzipiert, dass ganz unterschiedliche professionelle Gruppen damit arbeiten können. Häufig machen nicht die Sprachtherapeut*innen die erste Einschätzung, sondern z.B. Pflegekräfte. Das Verfahren muss also kurz, spezifisch, aussagekräftig und objektiv durchführbar sein, eine bislang noch eher visionäre Anforderung.

Die Vor- und Nachteile verschiedener klinischer Tests und Screenings für die Ermittlung von Aspirationsprädiktoren für verschiedene Patientengruppen beschäftigt auch einen Teil der hier aufgenommenen Beiträge. Die damit verbundenen Probleme einer adäquaten Ableitung therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen, einer Kostanpassung und eines Diätmanagements im klinischen Setting wie auch in der ambulanten Versorgung werden diskutiert.

Einige diagnostische Verfahren für den Bereich der Dysphagie sind im aktuellen Band von Beushausen & Grötzbach (2019) aufgenommen und teststatistisch kommentiert worden. Nicht alle Verfahren sind teststatistisch jedoch wirklich gut abgesichert und insgesamt sind derzeit noch diverse weitere Screenings in der Erprobungsphase und Evaluation. Viele Kliniken verwenden daher ihre eigenen Beobachtungsbögen, die nicht unbedingt vergleichbare und gesicherte Befunde liefern. Die Dysphagiediagnostik ist somit nach wie vor ein großes Thema, für das die Kompetenz von Sprachtherapeut*innen in der Einschätzung der orofacialen Strukturen und Prozesse eine wesentliche Rolle spielt.

Um nicht nur die Schluckstörung zu identifizieren, sondern auch deren Auswirkungen, Ursachen und Konsequenzen für die Therapie und Kostanpassung zu erfassen, sind ausführliche Testungen und Untersuchungen nötig, die dann gewöhnlich von Sprachtherapeut*innen durchgeführt werden. Viele Aspekte der klinischen Symptomatik und Lebensqualität werden somit in erster Linie von den Sprachtherapeutinnen und Sprachtherapeuten ←12 | 13→durchgeführt. Unabhängig davon ist die Diagnostik und Behandlung von Dysphagie aber stets als eine Arbeit im Team mit Physio- und Ergotherapeut*innen, mit Pflegekräften, mit Ernährungsberater*innen und Ärzt*innen zu betrachten.

Themen im Bereich der Behandlung von Dysphagie umfassen aktuell verschiedene direkte und indirekte Therapieverfahren, die die Koordination von Prozessen der Atmung und des Schluckens bei der Nahrungsaufnahme fördern, sowie kompensatorische Strategien und Elektrostimulation bis hin zu Beratungskonzepten für Angehörige. Für die Therapie liegt inzwischen ein breites Spektrum an therapeutischen Maßnahmen vor und der/die Therapeut*in hat die Aufgabe individuell auf den Betroffenen zugeschnitten das geeignete Vorgehen auszuwählen. Dabei ist die Planung der Therapieziele von hoher Relevanz, vor allem auch unter dem Aspekt der Lebensqualität mit dem Ziel der Unabhängigkeit von Sondenkost und künstlicher Ernährung.

Aber auch das ganzheitliche Vorgehen insbesondere bei schwerbetroffenen und mehrfachbehinderten Patient*innen wird aktuell in vielen Studien thematisiert. Interdisziplinarität kommt vor allem im Schnittbereich zwischen Ernährung, Pflege und Therapie zum Tragen. So bilden das Handling von Trachealkanülen und Methoden für eine möglichst schnelle Entwöhnung aktuell einen großen Forschungsbereich und eine interdisziplinäre Herausforderung. Zudem arbeitet seit 2012 ein interdisziplinäres Komitee um Peter Lam (CAN) und Julie Cichero (AUS) weltweit an der Standardisierung und Objektivierung von Koststufen und Nahrungsmitteln. Im Projekt IDSSI (Grundstruktur 2012 – 2015) wurden eine globale, standardisierte Terminologie und Definitionen von Konsistenzen, Texturen und dem Übergang zwischen Flüssigkeiten sowie fester Nahrung entwickelt. Der internationale Dysphagie Diät Standardisierungs-Ausschuss hatte nach drei Jahren kontinuierlicher Arbeit eine Dysphagiekoststruktur mit einem Kontinuum über 8 Stufen (0–7) definiert. Die Ebenen werden durch Zahlen, Textbeschriftungen und Farbcodes gekennzeichnet. Dieses standardisierte Diät Programm ist derzeit in der Erprobung und Implementierung (vgl. http://iddsi.org/framework/) und wird in den kommenden Jahren sicher hilfreiche Ergebnisse liefern.

Im Einzelnen befassen sich die Beiträge dieses Bandes mit folgenden Themen im Bereich der Dysphagie bei erwachsenen Patient*innen mit verschiedenen Grunderkrankungen.

Ulrike Frank & Katrin Frank betonen in ihrem Beitrag aus physiotherapeutischer und sprachtherapeutischer Sicht, dass die Atmung die Grundlage für viele Funktionskreise unseres Organismus bildet, so auch für die Schluckfunktion. In dem Artikel wird die komplexe Interaktion beschrieben, die der Koordination der Schlucksequenz mit dem Respirationszyklus ←13 | 14→zugrunde liegt. Außerdem werden Aspekte der Anatomie und Physiologie der Atmung, des Hustens und der bronchialen Sekret-Clearance erläutert, die für das Verständnis und die pathologiespezifische Auswahl atemtherapeutischer Interventionen im Dysphagiemanagement wesentlich sind. Abschließend beschreiben die Autorinnen beispielhaft einige atemtherapeutische Interventionsmöglichkeiten, die zur Verbesserung der Atem-Schluck-Koordination und Husteneffektivität angewendet werden können

Michaela Trapl-Grundschober beschreibt in ihrem Beitrag, wie die zeitnahe und zuverlässige Abklärung einer Dysphagie durchgeführt werden sollte, um im Rahmen der akuten Schlaganfallversorgung Komplikationen, wie die schlaganfallassoziierte Pneumonie oder eine Mangelernährung, zu verhindern. Dysphagiescreeningverfahren, wie die GUSS, sowie die klinische Schluckuntersuchung (KSU) und die fiberendoskopische Schluckevaluation (FEES) werden derzeit empfohlen und entsprechend in ihrem Beitrag detailliert erläutert.

Die von Florian Heimann, Ulrich Birkmann und Kerstin Richter vorgestellte Studie geht näher auf das Phänomen des White Out bei der FEES ein. Die empirische Untersuchung ermittelt die Aussagekraft des White Out (komplett oder lückenhaft weißer Monitor) bei der FEES über die Physiologie des Schluckaktes. Hierbei handelt es sich um eine retrospektive Studie, in der Aufnahmen von 82 Patient*innen ausgewertet wurden. Besonders betrachtet wurden die Schlucksequenzen bei flüssigen und breiigen Boli.

Details

Seiten
176
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631829684
ISBN (ePUB)
9783631829691
ISBN (MOBI)
9783631829707
ISBN (Hardcover)
9783631825105
DOI
10.3726/b17390
Open Access
CC-BY-NC-ND
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (August)
Schlagworte
Neurogene Dysphagie Diagnostik Therapiemanagement Beratung Aspirationsprädiktoren Pädiatrische Dysphagie
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 176 S., 7 farb. Abb., 12 s/w Abb., 13 Tab.

Biographische Angaben

Kerstin Richter (Band-Herausgeber:in) Florian Heimann (Band-Herausgeber:in) Astrid Schmidkort (Band-Herausgeber:in) Martina Hielscher-Fastabend (Band-Herausgeber:in)

Kerstin Richter promovierte 1998 und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bielefeld. Sie ist im Bereich der Neurogenen Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen tätig und verknüpft ihre langjährige klinisch-therapeutische Erfahrung mit empirischer Forschung. Sie ist Herausgeberin und Verfasserin diverser sprachdiagnostischer und -therapeutischer Verfahren in den Bereichen Aphasie und Dysphagie. Florian Heimann und Astrid Schmidkort sind Vorstandsmitglieder des Arbeitskreises Dysphagie Ostwestfalen-Lippe und arbeiten im klinischen Kontext mit dem Schwerpunkt neurogener Dysphagien. Martina Hielscher-Fastabend ist Professorin an der Universität Bielefeld. Sie leitet dort den Studiengang Klinische Linguistik und war 2004 Mitbegründerin des Arbeitskreises Dysphagie Ostwestfalen-Lippe.

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