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Klientelismus in Südosteuropa

54. Internationale Hochschulwoche der Südosteuropa-Gesellschaft in Tutzing, 5.- 9. Oktober 2015

von Klaus Roth (Band-Herausgeber:in) Ioannis Zelepos (Band-Herausgeber:in)
©2018 Sammelband 246 Seiten
Reihe: Südosteuropa-Jahrbuch, Band 43

Zusammenfassung

Der Sammelband enthält Beiträge von Experten aus verschiedenen Fachdisziplinen und Ländern zum Phänomen des Klientelismus in Südosteuropa. Die Autoren analysieren historische, gesellschaftliche wie kulturelle Entstehungsbedingungen, betrachten aktuelle Entwicklungen und diskutieren Zukunftsperspektiven. Mit ihrer differenzierten und zugleich pragmatischen Betrachtungsweise liefern sie vielfältige Ansätze zu einer vertieften Beschäftigung mit diesem wichtigen Thema jenseits von Stereotypen und publizistischen Gemeinplätzen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Klientelismus in Südosteuropa. Zur Einleitung (Klaus Roth, Ioannis Zelepos, München)
  • Klientelismus und Patronage als Sozial- und Kulturphänomen. Theoretische Reflexionen zu informellen Koalitionen und Beziehungsstrukturen (Christian Giordano, Fribourg)
  • Klientelismus als Alltagspraxis
  • Small Places, Large Networks: Transformations of Clientelism in Bulgaria (Milena Benovska-Săbkova, Sofia)
  • Die „Unseren“ und die „Anderen“. Klientelismus in Südosteuropa, unter besonderer Berücksichtigung Rumäniens (Anton Sterbling, Görlitz)
  • Finanzkrise und politische Kultur in Griechenland oder: Versinkt die politische Patronage im Schuldenloch? (Jutta Lauth Bacas, Köln/Athen)
  • Historische Dimensionen
  • Osmanische Eliten in Südosteuropa. Konkurrenzen, Kooperationen, Konflikte am Beispiel der Peloponnes (Anna Vlachopoulou, München)
  • Historicizing Corruption. An Outline on Serbia (19th–21st Century) (Klaus Buchenau, Regensburg)
  • Wirtschaftliche Dimensionen
  • Korruption in Serbien – die Perspektive der Wirtschaftsakteure (Thomas Steger, Stiven Tripunovski, Regensburg)
  • Korrupte Netzwerke: praktische Erfahrungen in der Transformation Südosteuropas (Gudrun Steinacker, Wien/Podgorica)
  • „Medialer Komfort“? Zu den „sündhaften“ Beziehungen der Medien zur Macht im heutigen Bulgarien (Katerina Gehl, München)
  • Musik und Politik – eine Form des Klientelismus? (Eckehard Pistrick, Halle)
  • Politische Dimensionen
  • Klientelismus in Griechenland: ein veränderungsresistentes Phänomen? (Heinz-Jürgen Axt , Duisburg/Essen)
  • Countering Corruption in Southeast Europe 2001–2014: Monitoring, Results, and Policy Options (Ruslan Stefanov, Boyko Todorov, Stefan Karaboev, Sofia)
  • Three Facets of Political Clientelism: The Case of the Western Balkans (Dimitrios A. Sotiropoulos , Athen)
  • „Öffentliches Interesse“? Formen und Funktionen gesellschaftlicher Interessenorganisation in Bulgarien (Sonja Schüler, Fribourg)
  • Verzeichnis der Autoren und Herausgeber

Klientelismus in Südosteuropa. Zur Einleitung

Klientelismus ist ein in Südosteuropa zweifellos weit verbreitetes Phänomen, das für die meisten seiner Bewohner eine gesellschaftliche Alltagserfahrung bildet. Jeder, der sich mit dieser Region näher beschäftigt, dürfte dies oft schon aus ganz persönlicher Erfahrung bestätigen können. Die Tatsache, dass es sich um ein Phänomen mit tiefen historischen Wurzeln zu handeln scheint, verleiht dem Klientelismus zudem eine geradezu überzeitliche Aktualität und führt dazu, dass er sogar als ein Strukturmerkmal politischer Kultur in diesem Teil der Welt angesehen wird. Entsprechend groß ist daher auch die Bedeutung, die ihm in der kritischen Publizistik zu Südosteuropa, sei sie inner- oder außer-regional, nahezu einhellig zuerkannt wird: Klientelismus erscheint hier nicht nur als eine wesentliche Ursache für die Dysfunktion staatlicher Institutionen und des hohen Ausmaßes von Korruption in Politik, Wirtschaft, staatlichen Institutionen und Medien, sondern auch als Hemmschuh für zivilgesellschaftliche Formierung und somit als ein zentrales Entwicklungshindernis im Sinne der Modernisierung nach westeuropäischem Muster, die seit rund einem Vierteljahrhundert auf der politischen Agenda aller Staaten dieser Region steht.

Die in der Fachliteratur wie auch im weiteren politischen Diskurs allgemein vorherrschende Gewissheit bezüglich der Relevanz des Phänomens verwandelt sich allerdings erstaunlich schnell in Ungewissheit, wenn es heißt, den südosteuropäischen Klientelismus in seinen mannigfaltigen Erscheinungsformen exakt zu definieren, seine spezifischen kulturanthropologischen, historischen, ökonomischen wie sozialen Ursachenzusammenhänge zu erfassen – kurzum: den Begriff als Kategorie für die kritische wissenschaftliche Analyse operabel zu machen. Dieses Defizit erklärt sich zum Teil aus dem Umstand, dass einerseits die Interessenschwerpunkte der historischen Südosteuropaforschung meist anders gelagert sind und das Phänomen des Klientelismus oft eher am Rande gestreift wird. Andererseits beschäftigt sich die internationale theoriebildende Klientelismusforschung aufgrund ihrer globalen Perspektive zwar mit vielen Regionen und Ländern der Welt, darunter etwa Lateinamerika, Japan, Großbritannien, Italien, jedoch nicht prominent mit Südosteuropa, das dabei üblicherweise auch gar nicht als Gesamtregion betrachtet wird, sondern nur selektiv und im Rahmen anderer Raumkonzepte wie etwa dem des europäischen „Südens“ oder der „Mittelmeerregion“.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass es zum Thema Klientelismus in Südosteuropa trotz bereits vorhandener einschlägiger Untersuchungen nach wie vor weit mehr Fragen als Antworten gibt. Dabei spielen nicht zuletzt die verschiedenen methodologischen Zugänge zu diesem Phänomen eine Rolle.

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So stellt sich Klientelismus aus kulturanthropologischer Perspektive als eine Konstante menschlicher Sozialisierung dar, die ganz wesentlich auf dem unhinterfragten alltäglichen Handeln und Denken in sozialen Netzwerken, auf lebensweltlichen Strukturen zwischenmenschlicher Beziehungen und Abhängigkeiten basiert. Grundlage ist der Wunsch oder die Notwendigkeit, mit vertrauten Menschen zusammen zu sein, gemeinsam etwas zu tun, einander zu helfen, zu kommunizieren, am besten um den gemeinsamen Tisch herum. Für die Menschen in Südosteuropa hat dieses Zusammensein von Verwandten, Freunden, Nachbarn, Kollegen um den gemeinsamen Tisch ganz besondere Bedeutung, eine Tatsache, die der bulgarische Journalist Petăr Volgin so zusammenfasste, dass er die „Kultur der trapeza“ ein zentrales Element der balkanischen Kultur nannte, in Griechenland wäre es die „Kultur der parea“. Kennzeichnend für diese Kultur sind nicht nur Informalität, Intimität, und Enge der sozialen Beziehungen, sondern auch eine hohe Dichte der Kommunikation, eine Dichte, die in kulturanthropologischer Terminologie mit dem Begriff „high context“ gefasst wird. Ihre Grundlage ist persönliches Vertrauen, Vertrauen also in jene Menschen, die man gut kennt, vor allem Verwandte und Freunde. Es ist dieses Denken und Handeln in Netzwerkbeziehungen unter im Prinzip gleichstehenden Menschen, das den „alltäglichen Klientelismus“ ermöglicht und begünstigt. Er ist – mit gewissen Unterschieden in seiner sozialen Relevanz – in den Gesellschaften Südosteuropas sehr stark ausgeprägt. Nach dem Prinzip des „do ut des“ werden alltäglich Gefälligkeiten, Gegenstände und Leistungen ausgetauscht, hat man „Beziehungen“ (vrăzki, veze i poznanstvo), die ständig unterhalten und balanciert werden müssen. Dieser Alltags-Klientelismus wäre damit im lebensweltlichen Bereich von weitgehend symmetrischen Sozialbeziehungen angesiedelt.

Treten in dieses auf sozialen Ausgleich zielende System allerdings starke Unterschiede in der sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Macht, mutiert dieses zu einer ausgebauten instrumentellen Struktur, einer Struktur, die auf asymmetrischen Beziehungen zwischen einem mächtigen Patron und seinen abhängigen Klienten basiert, sei es in Wirtschaft oder Politik, in Institutionen oder Medien. Vor allem mit der Etablierung moderner Nationalstaaten überschreitet dieses auf starkem Machtgefälle beruhende System etablierter Abhängigkeiten den Raum der alltäglichen Lebenswelt und erreicht zunehmend den formellen Bereich, den Bereich der „Systeme“ im Sinne von Jürgen Habermas. Mehrere Beiträge des Bandes machen dabei deutlich, dass dieses System asymmetrischer Beziehungen in Südosteuropa durchaus auch auf Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen basieren kann. Da die Nutzung dieser Art von klientelistischen Beziehungen fast immer nur dem persönlichen Vorteil dient, geht sie stets zu Lasten von Leistung, Wettbewerb und vor allem von Gemeinwohl; der Austausch von persönlichen Gefälligkeiten gegen Wählerstimmen gilt dabei als das folgenreichste Beispiel, wie einige Beiträge dieses Bandes deutlich machen. ← 8 | 9

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Die hier skizzierten Befunde bilden die Lebenswirklichkeit südosteuropäischer Gesellschaften recht treffend ab, allerdings stellt sich aus kulturhistorischer Perspektive die Frage, worin und warum sie sich von gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten in anderen Regionen unterscheiden oder, anders formuliert, ob es tatsächlich einen spezifisch südosteuropäischen Klientelismus als Alltagspraxis sowie als politische Strukturbedingung gibt. Sollte dies der Fall sein, wäre weiter zu fragen, worin konkret diese Spezifik besteht. Sollte es diese Spezifik aber nicht geben, müsste man zumindest zu beantworten versuchen, warum der Klientelismus sich hier offenkundig stärker manifestiert als anderswo.

Aus soziologischer Perspektive läßt sich dazu erneut mit Habermas darauf hinweisen, dass im westlichen Europa „Lebenswelt“ und „System“ sich bereits vor Jahrhunderten voneinander trennten, eine Entwicklung, die im globalen Vergleich eher die Ausnahme als die Regel darstellte und mit der stets die Gefahr der „Kolonisierung der Lebenswelt durch die Systeme“ einherging. In Südosteuropa hingegen sind beide Bereiche in weit geringerem Maße voneinander getrennt und trennbar: Lebensweltliche Strukturen reichen hier sehr weit und massiv hinein in die Systeme, besonders auch in die Institutionen des oftmals als feindlich wahrgenommenen Staates. Eine durchaus reale Gefahr für Südosteuropa ist es daher, dass es eher zu einer „Kolonisierung der Systeme durch die Lebenswelt“ kommt bzw. bei dieser bleibt, wobei dem allgegenwärtigen Klientelismus eine zentrale Rolle zukommt.

Aus kulturwissenschaftlicher Sicht wird der Klientelismus auch als ein Mentalitätsphänomen betrachtet und auf die historische Kollektiverfahrung jahrhundertelanger imperialer Fremdherrschaft zurückgeführt, die in den Gesellschaften Südosteuropas eine Kultur der „Staatsferne“ und „Widerständigkeit“ hervorbrachte. Dieser Deutungsansatz ist trotz seiner tendenziell unscharfen Verwendung des Begriffs „Fremdherrschaft“ zweifellos ernst zu nehmen, kann jedoch nur bedingt zur Erklärung der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart beitragen. Folgt man diesem Paradigma, so stellt sich nämlich unmittelbar die Frage, ob sich die auf die Fremdherrschaft zurückzuführenden klientelistischen Praktiken bzw. Mentalitäten in der Epoche der postimperialen Nationalstaatsbildungen, später im Realsozialismus und schließlich in der postsozialistischen Gegenwart wandelten oder ob sie im Kern veränderungsresistent blieben. In letzterem Fall wäre der Klientelismus zu einer gleichsam schicksalhaften, unentrinnbaren Größe erhoben, was allerdings nicht nur analytisch kaum befriedigt, sondern auch recht entmutigend wäre für die Aussichten konstruktiver Zukunftsgestaltung in der Region. In ersterem Fall stellt sich dagegen die Frage nach den konkreten Mechanismen von Prozessen der Transformation des Klientelismus vom 19. Jahrhundert bis heute, aus denen sodann ein regionales Entwicklungsmuster zu erstellen wäre, das etwa ← 9 | 10 → Länder sowohl mit als auch ohne realsozialistische Erfahrung berücksichtigen müsste. Davon scheint der Forschungsstand heute allerdings noch weit entfernt.

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Der vorliegende Band ist hervorgegangen aus Beiträgen zur Hochschulwoche der Südosteuropa-Gesellschaft in Tutzing im Oktober 2015. Sie bieten Gelegenheit zu einer vertieften wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Phänomen des Klientelismus in Südosteuropa jenseits von publizistischen Gemeinplätzen und Stereotypen. Ein Leitgedanke war dabei, außer dem Klientelismus als Praxis alltäglichen Handelns vor allem jene Bereiche – in ihren historischen und aktuellen Dimensionen – in den Blick zu nehmen, in denen Klientelismus in Südosteuropa besonders virulent und wirkmächtig war und ist, nämlich die Wirtschaft, die Politik und die Institutionen, darunter auch zivilgesellschaftliche Institutionen, letzteres verbunden mit der Frage, ob und wie sich der zivilgesellschaftliche Wandel auf den Klientelismus auswirkt.

Entsprechend diesem Leitgedanken hatte die Hochschulwoche notwendigerweise einen stark interdisziplinären Zugang. Sie schloss Experten ein aus so unterschiedlichen Disziplinen wie Kulturanthropologie, Soziolinguistik, Geschichte, Soziologie, Politologie, Wirtschaftswissenschaften und Medienwissenschaften. Zugleich sollten inner- wie außerregionale Forschungen möglichst miteinander verbunden und in den länderspezifischen Fallbeispielen ein möglichst großer Teil der Gesamtregion mitberücksichtigt werden, wiewohl es ausdrücklich nicht um die Erstellung von Panoramen der einzelnen Länder ging. Die hier publizierten Beiträge sind daher inhaltlich wie methodologisch heterogen und der aufmerksame Leser wird in ihnen durchaus auch einander widersprechende Aussagen entdecken. Dies erklärt sich zum Teil aus den unterschiedlichen Fachdisziplinen und wurde von den Herausgebern insofern gern in Kauf genommen, als der Band weniger einen normativen Anspruch erheben als vielmehr ein Abbild der Vielfalt von möglichen Forschungszugängen zu dem schwierigen Thema liefern soll. Einen gemeinsamen Nenner haben die Beiträge allerdings darin, dass sie im Hinblick auf den südosteuropäischen Klientelismus gegen simplifizierenden Essentialismus eintreten und für eine möglichst differenzierte und dennoch pragmatische Betrachtungsweise plädieren. Damit soll eine gute Voraussetzung für weiterführende Diskussionen geschaffen werden.

Die Herausgeber ← 10 | 11

Klientelismus und Patronage als Sozial- und Kulturphänomen. Theoretische Reflexionen zu informellen Koalitionen und Beziehungsstrukturen

Christian Giordano, Fribourg

Einführung: Die methodologischen Tücken des Klientelismusbegriffes

Klientelismus und Patronage als zwei Facetten des gleichen Phänomens sind universelle Sozialphänomene, die also ausnahmslos in jeder Gesellschaft vorkommen. Im alten Rom war Valerius Martialis ein offizieller cliens der gens flavia. In indirekter Weise war er ein Klient des Kaisers Vespasian. Seine weltberühmten Epigramme gelten heute unter Spezialisten als herausragende dichterische Leistungen der lateinischen Literatur.

Dabei darf zugleich nicht vergessen werden, dass im römischen Reich solche ironischen, sarkastischen und oftmals genial bösartigen Schriften meistens, wie im Falle Valerius Martialis, Auftragsarbeiten waren, die dazu dienten, die Feinde und Rivalen des Kaisers beziehungsweise die prominenten Senatsmitglieder und Mitglieder mächtiger gentes zu diskreditieren. Die Schreibenden als institutionalisierte und offiziell anerkannte Klienten wurden also von mächtigen Patronen offenkundig finanziert und aus heutiger Sicht schamlos protegiert.

Fast zwei Jahrtausende später haben Edward Laumann und Franz Urban Pappi in ihren Untersuchungen zu sozialen Netzwerken in einer biederen deutschen Kleinstadt mit dem Pseudonym Altneustadt (manche Spezialisten vermuten, es handele sich um Kusel im Südwesten von Rheinland-Pfalz, andere sprechen dagegen vorsichtig von einer kleinen Gemeinde in Nordrhein-Westfalen in der Nähe der holländischen Grenze) Patronage und Klientelstrukturen mit raffinierten empirischen Methoden im Rahmen einer soziologischen Netzwerkanalyse rekonstruieren können.1

Die gegenseitigen Tauschleistungen zwischen Patronen und Klienten waren im alten Rom und in Altneustadt sehr unterschiedlich. Die zugrundeliegende soziale Logik der Sozialbeziehungen war allerdings mehr oder minder dieselbe. In diesem Beitrag geht es also nicht darum, sozio-kulturelle Konstanten, sondern Familienähnlichkeiten im Sinne der family resemblances zu thematisieren. Dieser Begriff hat erst durch Ludwig Wittgenstein Bedeutung erlangt, obwohl er bereits ← 11 | 12 von Philosophen wie John Stuart Mill, William Whewell, Friedrich Nietzsche und William James vorgeschlagen wurde.2

In Anbetracht der historischen und geografischen Ausbreitung von Klientelismus und Patronage müssen wir aufpassen, dass wir solche Erscheinungen nicht als eine genuin südosteuropäische beziehungsweise mediterrane Spezifität betrachten. Die Gefahr einer solchen Betrachtungsweise ist ziemlich naheliegend. Hiermit wird nicht nur eine berühmt-berüchtigte Essentialisierung sozia- lbeziehungsweise kulturwissenschaftlicher Natur konstruiert, die realitätsfremd ist. Es wird zugleich auch ein moralisches Urteil formuliert, das als ethisches Ornament im Sinne des deutsch-italienischen Eliteforschers Robert Michels3 dazu dient, die positiven Qualitäten der Anderen, die, so scheint es, klientelismus- und patronagefrei sind, zu betonen. Solche dichotomischen Unterscheidungen zwischen Tugendhaften und Sündern werden nicht selten in politischen Arenen für hegemoniale Ziele benutzt. Solche diskursiven Strategien zielen darauf ab, Herrschaftsansprüche hinter angeblich ethischen Motiven zu verbergen mit dem Ziel, die sogenannten Sünder zu diskreditieren und die Herrschaftslegitimität der sogenannten Tugendhaften zu stärken.

Details

Seiten
246
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631740552
ISBN (ePUB)
9783631740569
ISBN (MOBI)
9783631740576
ISBN (Paperback)
9783631740545
DOI
10.3726/b13124
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (November)
Schlagworte
Balkan Alltagspraxis Historische Dimensionen Wirtschaftliche Dimensionen Politische Dimesnionen
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018., 246 pp., 5 fig. b/w

Biographische Angaben

Klaus Roth (Band-Herausgeber:in) Ioannis Zelepos (Band-Herausgeber:in)

Klaus Roth ist Professor am Institut für Volkskunde/ europäische Ethnologie der Universität München. Seine Forschung beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten der Kulturen Südosteuropas. Ioannis Zelepos leitet derzeit ein DFG-finanziertes Forschungsprojekt am Institut für Byzantinistik, Byzantinische Kunstgeschichte und Neogräzistik der Universität München. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen südosteuropäische Geschichte und neugriechische Studien.

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