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Legal Judgement Rule

Konzeption zur Reformierung der Vorstandshaftung nach dem Aktiengesetz

von Karoline Henrike Köhler (Autor:in)
©2018 Dissertation XII, 136 Seiten

Zusammenfassung

Ausgehend von der im Aktienrecht implementierten Business Judgement Rule wird das Reformerfordernis der Organhaftung im Falle unsicherer Rechtslage unter Berücksichtigung umfassender ökonomischer Erwägungen und der Erkenntnisse aus einer rechtsvergleichenden Analyse zum US-amerikanischen Gesellschaftsrecht untersucht. Gerade die ökonomische Theorie ist daran interessiert, die in Sachen Effizienz optimale Ausgestaltung der Haftungsandrohung zu finden. Das US-amerikanische Gesellschaftsrecht bietet insoweit im Rahmen einer rechtsvergleichenden Analyse eine erste Orientierung für eine Reform der Organhaftung. Die Untersuchung möglicher Reformansätze zeigt, dass de lege lata wie auch de lege ferenda zahlreiche Konzepte für eine Begrenzung der Haftung in Betracht kommen, deren jeweilige Geeignetheit jedoch kritisch zu würdigen ist.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • 1. Einführung
  • 1.1 Explikation der Frage- und Problemstellung
  • 1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
  • 2. Aktienrechtliche Organhaftung und deren Grenzen im deutschen Gesellschaftsrechtssystem
  • 2.1 Ausgangspunkt: Organhaftung gegenüber der Gesellschaft nach § 93 AktG
  • 2.2 Enthaftung durch die aktienrechtliche Business Judgement Rule
  • 2.2.1 Dogmatische Grundlagen der Business Judgement Rule: Die Entwicklung vom amerikanischen Vorbild zur Implementierung im deutschen Aktienrecht
  • 2.2.2 Ratio legis der Business Judgement Rule
  • 2.2.3 Anwendbarkeit und Tatbestandsmäßigkeit der Business Judgement Rule
  • 2.2.4 Beweislastregelungen
  • 2.3 Organhaftung de lege lata im Falle unsicherer Rechtslage
  • 2.3.1 Legalitätspflicht als Strukturelement der Vorstandshaftung
  • 2.3.2 Enthaftungsregelung durch die ISION-Rechtsprechung des BGH
  • 3. Begründung eines Reformerfordernisses für Haftungsfragen im Falle rechtlicher Unsicherheit aus ökonomischer Perspektive
  • 3.1 Allgemeine Erwägungen
  • 3.2 Ökonomische Aspekte
  • 3.2.1 Ausgangssituation
  • 3.2.2 Rechtsökonomische Aspekte: Unternehmensinteresse und Shareholder Value
  • 3.2.3 Informationsökonomische Aspekte: Prinzipal-Agenten-Theorie
  • 3.2.4 Verhaltensökonomische Aspekte: Rationalitätsversagen
  • 3.3 Schutzzwecke und Abwägungsfragen
  • 3.3.1 Berater- versus Managementschutz
  • 3.3.2 Unternehmens- versus Anlegerschutz
  • 3.4 Zwischenfazit und Ergebnisdiskussion
  • 4. US-amerikanische Organhaftungsregeln als Reformorientierung
  • 4.1 Überblick über die Struktur des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts
  • 4.2 Grundlagen der Organhaftung nach US-amerikanischen Recht
  • 4.2.1 Tatbestandliche Haftungsvoraussetzungen
  • 4.2.2 Pflichtenstruktur im US-amerikanischen Recht (duties)
  • 4.3 Enthaftung durch Gesellschaftsvertrag
  • 4.4 Enthaftung durch Business Judgement Rule
  • 4.4.1 Traditionelles Konzept der Business Judgement Rule
  • 4.4.1.1 Intention der amerikanischen Business Judgement Rule
  • 4.4.1.2 Voraussetzungen der Business Judgement Rule
  • 4.4.2 Moderner Ansatz einer Business Judgement Rule
  • 4.4.2.1 Die Business Judgement Rule zur Stärkung der Unabhängigkeit der Directors und Officers
  • 4.4.2.2 Die Business Judgement Rule als Immunitätsregel
  • 4.4.3 Überblick: Elementare Fallentscheidungen im US-amerikanischen Recht zur Enthaftung durch Business Judgement Rule
  • 4.4.3.1 Duty of Care: Smith v. Van Gorkum und Disney
  • 4.4.3.2 Duty of Loyalty: Globe Woolen v. Utica und Unocal v. Mesa Petroleum
  • 4.4.3.3 Duty of Obedience: Miller v. AT&T
  • 4.4.3.4 Ergebnisdiskussion
  • 4.4.4 Grenzen der Business Judgement Rule nach der US-Rechtsprechung
  • 5. Analytischer Rechtsvergleich zur Organhaftung zwischen US-amerikanischen und deutschem Recht
  • 5.1 Dogmatische Unterschiede
  • 5.2 Inhaltliche Divergenzen der Organhaftung
  • 5.3 Inhaltliche Divergenzen der Enthaftung
  • 5.4 Zwischenergebnis
  • 6. Haftungsbeschränkungen als Reformansatz
  • 6.1 Darstellung und Würdigung möglicher Reformansätze
  • 6.1.1 Haftungsausschluss durch Gesellschaftsvertrag oder Anstellungsvertrag
  • 6.1.2 Abgestufte Haftung: Gesetzgeberische Modifizierung des Verschuldensmaßstabes
  • 6.1.3 Haftungsbeschränkung unter Billigkeitsaspekten
  • 6.1.4 Gesetzliche Beschränkung des Haftungsumfangs
  • 6.1.5 Haftungsbeschränkung nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen
  • 6.2 Ergebnis
  • 7. Erweiterung der Enthaftungsregelungen als Reformansatz de lege lata
  • 7.1 Reformierung de lege lata
  • 7.2 Erweiterung des Anwendungsbereiches der Business Judgement Rule
  • 7.3 Analoge Anwendung der Business Judgement Rule
  • 7.4 Ergebnis
  • 8. Dogmatische Entwicklung einer Legal Judgement Rule als Reformansatz de lege ferenda
  • 8.1 Übertragung des Enthaftungskonzeptes der Business Judgement Rule: Analyse der Vergleichbarkeit der Ausgangssituationen
  • 8.2 Praktischer Anwendungsbereich einer Legal Judgement Rule
  • 8.3 Bewertung einer konzeptionellen Übertragung
  • 8.3.1 Konzepttransfer unter Einbindung der Regelungsziele
  • 8.3.2 Konzepttransfer unter Berücksichtigung ökonomischer Aspekte
  • 8.3.3 Zwischenergebnis
  • 8.4 Anforderungen an eine Legal Judgement Rule
  • 8.5 Gesetzliche Ausgestaltung: Mangelnde Pflichtverletzung versus fehlendes Verschulden
  • 9. Fazit und Ausblick
  • Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

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1.  Einführung

1.1  Explikation der Frage- und Problemstellung

Noch vor geraumer Zeit wurde die Organhaftung nach §§ 93, 116 AktG als eine „tote Rechtsmaterie“ beurteilt, der es weitgehend an praktischer Relevanz fehlt.1

Doch der Ruf nach einer verschärften Haftung für Manager und Aufsichtsräte ist seit Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise populär geworden. Immer wieder gerät er in den Fokus rechtlicher, ordnungspolitischer und gesellschaftlicher Diskussionen, wobei insbesondere im Finanzsektor unzureichende Haftungsregelungen als Auslöser einer übersteigerten Risikobereitschaft angeführt werden.2 Auch im Zusammenhang mit dem in den letzten Jahren vermehrt zu beobachtenden Fehlverhalten großer Konzerne jenseits der Finanzmarktkrise, wie beispielsweise in den Fällen Siemens, Volkswagen oder jüngst auch Deutsche Bank, ebbt die Forderung nach einer Verschärfung des Haftungsrechts nicht ab.3

Dabei müssen Vorstände mittlerweile nicht zuletzt aufgrund zunehmender Eingriffe des Staates mittels direkter und indirekter Regulierungen und der wachsenden Interessenpluralität insbesondere von Gesellschaft und Aktionären mehr denn je fürchten, für unternehmensbezogene Pflichtverletzungen im Wege des Binnenregresses in Anspruch genommen zu werden.4 Auch wird bei der Forderung nach strengeren Haftungsregeln für Vorstände allzu oft übersehen, dass deren Entscheidungen im Wesentlichen darauf basieren, bestimmte Risiken einzugehen.

Aufgrund dieser anhaltenden Präsenz der Thematik verwundert es nicht, dass sich schließlich auch die Judikative vermehrt mit den Fragen der Organhaftung konfrontiert sah: Erste wesentliche Entwicklungen zur Neugestaltung ← 1 | 2 → im Bereich der Haftung einer Geschäftsleitung traten in diesem Zusammenhang im Jahre 1997 mit der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des BGH auf,5 bei der eine Business Judgement Rule erstmals eine judikative Anerkennung fand.6

In der Folge verlieh auch der Gesetzgeber mit der Einführung des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und zur Modernisierung der Anfechtungsklage (UMAG) im Jahre 2005 diesem mittlerweile brisanten Themenkomplex einen neuen Anstrich. Er implementierte den § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG als Business Judgement Rule und kodifizierte auf diese Weise eine im deutschen Gesellschaftsrecht einmalige Enthaftungsregelung für Entscheidungen im Rahmen des unternehmerischen Ermessens.7

Obwohl seit der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung mit Ausnahme durch das UMAG keine wesentlichen Reformen der aktienrechtlichen Vorstandsinnenhaftung erfolgt sind und in der Zwischenzeit auch keine einschlägige gerichtliche Entscheidung von vergleichbarer Tragweite erging, hat die Diskussion im aktienrechtlichen Schrifttum, vielfach angefacht durch unternehmerische Skandalfälle, weder an Intensität noch an Gewicht verloren. Dabei ist nicht nur die in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG verankerte Business Judgement Rule ein „Dauerbrenner der wissenschaftlichen Diskussion.“8

So wird seit geraumer Zeit insbesondere auch die Haftung für Entscheidungen unter unsicherer Rechtslage fokussiert.9 Dieses ist dem Umstand geschuldet, dass eine zuverlässige rechtliche Einschätzung in der konkreten Entscheidungssituation für einen Geschäftsleiter in vielen Fällen ex ante objektiv nicht möglich ist, da nicht sicher prognostiziert werden kann, wie die (höchstrichterliche) Judikatur über die entsprechende Rechtsfrage entscheiden wird.10 Für diesen Aspekt der Organinnenhaftung war es letztlich die ISION-Entscheidung des BGH, die kontroverse Diskussionen zu der Haftungsfrage bei unklarer Rechtslage entflammte und ein großes Echo in der Literatur erfuhr. ← 2 | 3 → 11

Mit der Idee der Implementierung einer Legal Judgement Rule geriet in diesem Zusammenhang schließlich ein Institutsgedanke als eine weitere Dimension der aktienrechtlichen Organhaftung in den Blickpunkt der deutschen Rechtsprechung12 und Forschung.13 Dieses verwundert zum einen, da die Anforderungen an die Einholung fachkundigen Rates durch den Vorstand einer Aktiengesellschaft keineswegs neu sind;14 zum anderen unterstreicht es jedoch noch einmal die Bedeutsamkeit und Interessenkollisionen im Rahmen dieses gesellschaftsrechtlichen Themenkomplexes.

Die Fälle aus der Praxis zeigen dazu parallel, dass es sich bei der Ausgestaltung der Organhaftung weder um theoretische noch um nebensächliche Überlegungen handelt: Bereits eine Pflichtverletzung aus leichter Fahrlässigkeit kann unter Umständen zu exorbitanten Schadenshöhen führen, die die wirtschaftliche Existenz eines Organmitglieds gefährden können.15

Ob eine strikte Haftung eines Vorstandsmitgliedes mit dem Privatvermögen allerdings tatsächlich die gewünschten Anreizeffekte, Manager zu einem risikobereiten und zugleich verantwortungsbewussten Handeln zu veranlassen, zur Folge hat, erscheint zweifelhaft,16 und zwar insbesondere dann, wenn in Fällen unsicherer Rechtslage zuvor sachkundiger Rat eingeholt wurde. Hinzu kommt, dass das Fehlverhalten eines Geschäftsleiters häufig nur in einem reinen Auslegungsfehler liegt, dessen Unrechtsgehalt nicht besonders schwerwiegend erscheint.17

Dies gibt umso mehr Anlass zu Überlegungen, ob und wie bei der Entscheidungsfindung unter unsicherer Rechtslage auf der Grundlage vorangegangener (juristischer) Beratungen eine Reform anzustreben ist, um eine etwaige Ersatzpflicht des Vorstands zu begrenzen, und wo etwaige Grenzen einer solchen liegen. ← 3 | 4 →

1.2  Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

Weder der Rechtsprechung noch dem Schrifttum ist es bisher gelungen, eine Lösung im Umgang mit der Vorstandshaftung für Entscheidungen bei unklarer Rechtslage zu finden, die rechtlichen wie ökonomischen Aspekten Raum gewährt und den Anforderungen in der unternehmerischen Praxis entspricht.

Details

Seiten
XII, 136
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631744574
ISBN (ePUB)
9783631744581
ISBN (MOBI)
9783631744598
ISBN (Paperback)
9783631744130
DOI
10.3726/b13216
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Juni)
Schlagworte
Organhaftung Vorstandshaftung Haftungsvergleich ISION-Rechtsprechung Haftungsreform
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien. 2018. XII S., 136 S.

Biographische Angaben

Karoline Henrike Köhler (Autor:in)

Karoline Henrike Köhler ist Absolventin der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften sowie Unternehmerin. Ihr beruflicher Werdegang ist auf eine interdisziplinäre Tätigkeit zwischen Wirtschaft und Recht ausgerichtet.

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Titel: Legal Judgement Rule
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