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Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Deutschland und Chile

Rechtsvergleichende und rechtspolitische Erwägungen

von Maren Fleck (Autor:in)
©2018 Dissertation 296 Seiten

Zusammenfassung

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie der Kündigungsschutz des Arbeitnehmers in Deutschland und Chile stehen im Mittelpunkt dieses Buches. Aufgrund des Rechtsvergleichs ergeben sich unter Berücksichtigung der in Deutschland bereits diskutierten Reformmodelle interessante Änderungsvorschläge für das deutsche Arbeitsrecht. Unter Beibehaltung des Bestandsschutzsystems stellt die Autorin dem chilenischen Recht entnommene Reformvorschläge dar.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Gliederung
  • A. Einleitung
  • I. Einführung in die Problematik
  • II. Gang der Untersuchung
  • B. Historische Entwicklung von Arbeitsrecht und Kündigungsrecht
  • I. Deutschland
  • 1. Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg
  • 2. Erster Weltkrieg und Weimarer Republik
  • 3. Nationalsozialismus
  • 4. Nachkriegsdeutschland
  • 5. Bundesrepublik Deutschland
  • 6. Zusammenfassung
  • II. Chile
  • 1. Entwicklung bis zur Gründung des chilenischen Staates
  • 2. Unabhängige Republik Chile
  • 3. Arbeitsvertragsgesetz von 1931
  • 4. Relativer Bestandsschutz durch das Gesetz Nr. 16.455
  • 5. Militärregierung und der Arbeitsplan von 1979
  • 6. Demokratie und die Reform des Arbeitsrechts
  • 7. Zusammenfassung
  • C. Kündigung und Kündigungsschutz
  • I. Rechtsgeschäftliche Grundlagen
  • 1. Deutschland
  • 2. Chile
  • II. Arten der Kündigung
  • 1. Deutschland
  • a) Ordentliche Kündigung
  • b) Außerordentliche Kündigung
  • c) Änderungskündigung
  • 2. Chile
  • III. Gestaltungsprinzipien des Kündigungsschutzes
  • 1. Deutschland
  • a) Präventiver und repressiver Kündigungsschutz
  • b) Öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Kündigungsschutz
  • c) Kollektiv- und individualrechtlicher Kündigungsschutz
  • 2. Chile
  • a) Präventiver und repressiver Kündigungsschutz
  • b) Öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Kündigungsschutz
  • c) Kollektiv- und individualrechtlicher Kündigungsschutz
  • IV. Gesetzlicher und außergesetzlicher Kündigungsschutz
  • 1. Deutschland
  • a) Kündigungsschutz des KSchG
  • aa) Anwendungsbereich
  • bb) Sozialwidrigkeit der Kündigung
  • (1) Objektives Bestehen eines Kündigungsgrundes bei Zugang der Kündigung
  • (a) Personenbedingte Kündigung
  • (b) Verhaltensbedingte Kündigung
  • (c) Betriebsbedingte Kündigung
  • (aa) Unternehmerische Entscheidung
  • (bb) Unmittelbarer Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit
  • (cc) Sozialauswahl
  • (d) Sonderfall: Druck- und Verdachtskündigung
  • (2) Prognoseprinzip
  • (3) Verhältnismäßigkeit der Kündigung/Ultima-Ratio-Prinzip
  • (4) Interessenabwägung
  • cc) § 1a KSchG
  • b) Besonderer Kündigungsschutz
  • aa) Statusbezogener Kündigungsschutz
  • (1) § 15 KSchG
  • (2) § 17 MuSchG
  • (3) § 18 BEEG
  • (4) §§ 85–92 SGB IX
  • (5) Sonstige Fälle
  • bb) Diskriminierungs- und Benachteiligungsverbote
  • cc) Umstandsbezogener Kündigungsschutz
  • (1) § 613a Abs. 4 BGB
  • (2) §§ 17–22 KSchG
  • (3) § 2 ArbPlSchG
  • (4) §§ 111 ff. BetrVG
  • c) Allgemeine Unwirksamkeitsgründe
  • aa) § 612a BGB
  • bb) §§ 138, 242 BGB
  • d) Kollektivrechtlicher Kündigungsschutz
  • e) Abdingbarkeit des gesetzlichen Kündigungsschutzes
  • aa) Tarifvertrag
  • bb) Betriebsvereinbarung
  • cc) Individualvertrag
  • 2. Chile
  • a) Allgemeiner Kündigungsschutz des CT
  • aa) Anwendungsbereich
  • bb) Kündigungstatbestände
  • (1) Unvorhersehbare Umstände und höhere Gewalt
  • (2) Personen- bzw. verhaltensbedingte Kündigung
  • (a) Mangelnde Gewissenhaftigkeit
  • (b) Sexuelle Belästigung
  • (c) Ausübung von Tätlichkeiten
  • (d) Schwere Beleidigungen
  • (e) Unsittliches Verhalten
  • (f) Mobbing am Arbeitsplatz
  • (g) Ausübung untersagter Handlungen
  • (h) Unbegründetes Nichterscheinen zur Arbeit
  • (i) Unerlaubtes Entfernen vom Arbeitsplatz
  • (j) Unbegründete Arbeitsverweigerung
  • (k) Störung des Betriebsablaufs
  • (l) Verursachung eines Materialschadens
  • (m) Grober Verstoß gegen vertragliche Pflichten
  • (3) Betriebsbedingte Kündigung
  • (4) Kündigung ohne Kündigungsgrund
  • (5) Sonderkündigungsrecht bei Haushaltshilfen
  • b) Besonderer Kündigungsschutz
  • aa) Statusbezogener Kündigungsschutz
  • (1) Richterlicher Erlaubnisvorbehalt
  • (a) Schwangere und Wöchnerinnen
  • (b) Elternzeit
  • (c) Initiatoren einer Arbeitnehmervertretung
  • (d) Gewerkschaftsvorsitzende und -vertreter
  • (e) Sonstige Fälle
  • (2) Statusbezogene Kündigungsverbote
  • (3) Statusbezogene Abfindungen
  • bb) Statusbezogene Diskriminierungs- und Benachteiligungsverbote
  • cc) Allgemeines Diskriminierungs- und Benachteiligungsverbot
  • dd) Umstandsbezogener Kündigungsschutz
  • (1) Richterlicher Erlaubnisvorbehalt
  • (2) Umstandsbezogenes Kündigungsverbot
  • (3) Umstandsbezogene Abfindungen
  • (a) Nichtbeachtung der Kündigungsfrist
  • (b) Beschäftigungsjahre
  • ee) Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge
  • c) Abdingbarkeit des gesetzlichen Kündigungsschutzes
  • aa) Kollektivvertrag
  • bb) Individualvertrag
  • V. Weitere Beendigungstatbestände
  • 1. Deutschland
  • a) Beendigungsmöglichkeiten ohne Kündigung
  • aa) Nichtigkeit
  • bb) Anfechtung
  • cc) Befristung und Bedingung
  • dd) Aufhebungsvertrag
  • ee) Kollektivvertragliche Beendigung
  • ff) Tod des Arbeitnehmers
  • gg) Wegfall der Geschäftsgrundlage
  • b) Arbeitnehmerkündigung
  • aa) Ordentliche Kündigung
  • bb) Außerordentliche Kündigung
  • cc) Änderungskündigung
  • dd) Sonderkündigungsrechte
  • (1) § 12 KSchG
  • (2) § 22 BBiG
  • 2. Chile
  • a) Beendigungsmöglichkeiten ohne Kündigung
  • aa) Befristung
  • bb) Aufhebungsvertrag
  • cc) Kollektivvertragliche Beendigung
  • dd) Einberufung des Besatzungsmitglieds zum Militär
  • ee) Tod des Arbeitnehmers
  • b) Arbeitnehmerkündigung
  • aa) Fristgerechte Kündigung
  • bb) Fristlose Kündigung
  • cc) Sonderkündigungsrechte
  • dd) Indirekte Kündigung
  • D. Der Kündigungsschutzprozess
  • I. Deutschland
  • 1. Rechtsweg zum Arbeitsgericht
  • 2. Die Kündigungsschutzklage
  • a) Klagefrist
  • b) Klageantrag
  • c) Überprüfung der Kündigungsgründe
  • 3. Beendigung des Kündigungsschutzprozesses
  • a) Klageabweisung
  • b) Klagestattgabe
  • c) Gestaltungsurteil
  • aa) Auflösungsantrag des Arbeitnehmers, Arbeitgebers oder beider Parteien
  • bb) Auflösungsantrag bei leitenden Angestellten
  • d) Gerichtlicher Vergleich
  • 4. Weiterbeschäftigungsanspruch
  • II. Chile
  • 1. Verfahrensarten
  • a) Verfahren zur Geltendmachung von Grundrechtsverletzungen und schwerwiegenden Verstößen gegen Diskriminierungsverbote
  • b) Konventionelles Kündigungsschutzverfahren
  • c) Mahnverfahren
  • d) Widerspruchsverfahren gegen Verwaltungsentscheidungen
  • 2. Vorgeschaltetes Verwaltungsverfahren
  • 3. Rechtsweg zum Arbeitsgericht
  • 4. Die Kündigungsschutzklage
  • a) Form und Frist der Kündigungsschutzklage
  • b) Überprüfung der Kündigungstatbestände
  • 5. Beendigung des Kündigungsschutzprozesses
  • a) Klageabweisung
  • b) Klagestattgabe
  • aa) Grundrechtsverletzung bzw. schwerwiegender Verstoß gegen ein Diskriminierungsverbot
  • bb) Besondere Unwirksamkeitsgründe
  • (1) Mangelnde richterliche Erlaubnis
  • (2) Verstoß gegen ein Kündigungsverbot
  • (3) Keine (vollständige) Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge
  • cc) Allgemeine Unwirksamkeitsgründe
  • (1) Betriebsbedingte Kündigung
  • (2) Kündigung ohne Kündigungsgrund
  • (3) Unvorhergesehene Umstände oder höhere Gewalt bzw. Nichtangabe des Kündigungsgrundes
  • (4) Personen- bzw. verhaltensbedingte Kündigung
  • (5) Indirekte Kündigung
  • c) Gerichtlicher Vergleich
  • 6. Weiterbeschäftigungsanspruch
  • E. Vergleichende Betrachtung und rechtspolitische Erwägungen
  • I. Vergleichende Betrachtung
  • 1. Normierung des Kündigungsrechts
  • 2. Kündigung und Kündigungsschutz
  • a) Rechtsgeschäftliche Grundlagen
  • b) Arten der Kündigung
  • c) Gestaltungsprinzipien des Kündigungsrechts
  • d) Gesetzlicher und außergesetzlicher Kündigungsschutz
  • aa) Allgemeiner Kündigungsschutz
  • (1) Anwendungsbereich
  • (2) Kündigungstatbestände
  • (a) Personenbedingte Kündigung
  • (b) Verhaltensbedingte Kündigung
  • (c) Betriebsbedingte Kündigung
  • (d) Kündigung aufgrund unvorhergesehener Umstände oder höherer Gewalt
  • (e) Kündigung ohne Kündigungsgrund
  • (3) Prinzipien zur Ausfüllung der Kündigungsgründe
  • bb) Besonderer Kündigungsschutz
  • (1) Statusbezogener Kündigungsschutz
  • (2) Diskriminierungs- und Benachteiligungsverbote
  • (3) Umstandsbezogener Kündigungsschutz
  • (4) Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge
  • cc) Allgemeine Unwirksamkeitsgründe
  • dd) Kollektivrechtlicher Kündigungsschutz
  • ee) Abdingbarkeit des Kündigungsschutzes
  • e) Weitere Beendigungstatbestände
  • aa) Beendigungsmöglichkeiten ohne Kündigung
  • bb) Arbeitnehmerkündigung
  • 3. Der Kündigungsschutzprozess
  • a) Vorgeschaltetes Verwaltungsverfahren und Rechtsweg zum Arbeitsgericht
  • b) Form und Frist der Kündigungsschutzklage
  • c) Beendigung des Kündigungsschutzprozesses
  • aa) Bestandsschutz
  • bb) Abfindungserhalt
  • cc) Gerichtlicher Vergleich
  • 4. Kritische Würdigung
  • II. Reformdebatte um den Kündigungsschutz in Deutschland
  • 1. Rechts- und wirtschaftspolitische Aspekte des Bestandsschutzes
  • 2. Vorschläge zur Neuregelung des Kündigungsschutzrechts
  • a) Grundabfindung mit Anpassungsmöglichkeit
  • b) Vereinbarung einer Abfindung gegen Klageverzicht
  • c) Arbeitnehmerwahlrecht zwischen Bestandsschutz und Abfindung
  • d) Abfindungslösung bei betriebsbedingter Kündigung und Bestandsschutz bei personen- und verhaltensbedingter Kündigung
  • e) Erweiterte Möglichkeit der gerichtlichen Auflösung
  • f) Bestandsschutz unter Ausschluss des Annahmeverzugslohns
  • 3. Eigene Änderungsvorschläge innerhalb des Bestandsschutzsystems
  • a) Kodifikation eines Arbeitsvertragsgesetzes unter Präzisierung von Rechtsgrundsätzen, Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen
  • b) Angabe des Kündigungsgrundes im Kündigungsschreiben
  • c) Vereinheitlichung der Kündigungsfristen
  • d) Modifizierung des Anwendungsbereichs des KSchG
  • e) Schutz vor übereiltem Abschluss von Aufhebungsverträgen
  • f) Normierung der Arbeitnehmerrechte im Falle einer Eigenkündigung aufgrund eines arbeitgeberseitigen Fehlverhaltens
  • g) Mediation im Kündigungsschutzprozess
  • F. Schlussbetrachtung
  • Literaturverzeichnis

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A.  Einleitung

Diese Arbeit untersucht vor dem Hintergrund des deutschen Kündigungsrechts die Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Chile.

I.  Einführung in die Problematik

Arbeit verleiht dem menschlichen Dasein Bedeutung1. Durch die Arbeit werden nicht nur die wirtschaftlichen, sondern vielmehr die sozialen Bedürfnisse des Menschen befriedigt, zugleich wird seine Stellung innerhalb der Gesellschaft festgelegt2. Arbeit sollte nicht als „notwendiges Übel“, das es zu umgehen gilt, verstanden werden, sondern als Vermittler von Erfüllung, Erfolgserlebnissen sowie wichtiger sozialer Kontakte3. Für den Einzelnen bedeutet Arbeit daher mehr als nur die Erlangung existenzsichernder Ressourcen – und im Gegensatz zu der Funktion des Rechts in anderen zivilrechtlich ausgestalteten Bereichen handelt es sich bei einem Arbeitsvertrag nicht lediglich um den Austausch von Leistung und Gegenleistung4. Vom Bestand des Arbeitsverhältnisses hängt für den Arbeitnehmer seine finanzielle, soziale und seine persönliche Existenz ab, weshalb es für ihn – und oftmals für seine von ihm abhängigen Angehörigen – beträchtliche Bedeutung hat5. Zudem sind in ← 19 | 20 → Deutschland mehr als 70 % der Erwerbstätigen abhängig Beschäftigte6. Demzufolge ist auch die dem Bestand des Arbeitsverhältnisses innewohnende gesellschaftspolitische Komponente nicht zu unterschätzen, da die Allgemeinheit ein Interesse an stabilen Beschäftigungsverhältnissen hat7.

Der Austausch von Leistung und Gegenleistung findet im gesellschaftlichen Miteinander statt. Um gewährleisten zu können, dass dieser interindividuelle Leistungsaustausch so konfliktfrei wie möglich verläuft, benötigt eine Gesellschaft feste Regeln und Normen. Da eine Gesellschaft jedoch kein statisches Gebilde ist, sondern ständigem Wandel unterliegt, kann es zuweilen erforderlich sein, dass auch die Normen, die diese Gesellschaft regeln, geändert werden müssen. Zu diesen sich ändernden Normen gehört das Arbeitsrecht, das sich stets fortentwickelt hat und auch zukünftig vor dem Hintergrund sozialpolitischer Herausforderungen weiterentwickelt werden wird8. Daher spiegelt das Arbeitsrecht wie kein anderes Rechtsgebiet die vorhandenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse wider und wird in besonderem Maße durch die bestehenden politischen Verhältnisse beeinflusst9.

Das Arbeitsrecht muss unter Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips und der Grundrechte der abhängig Beschäftigten den Arbeitnehmer vor dem ungerechtfertigten Verlust des Arbeitsplatzes schützen10. Vordringlichste Aufgabe ist dabei, für soziale Gerechtigkeit bei freiheitsrechtlicher Gestaltung der Arbeitsbedingungen zu sorgen11. Der Spagat eines gerechten Interessenausgleichs zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist zu bewältigen: Der Arbeitgeber hat ein Dispositionsinteresse ← 20 | 21 → bzgl. der Auflösung und der Arbeitnehmer in der Regel ein Bestandsinteresse hinsichtlich der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses12. Auf der einen Seite steht demnach das Bedürfnis der Unternehmer nach Planungs- und Bestandssicherheiten, welche nach betriebswirtschaftlichen Kriterien disponieren und das Personal möglichst flexibel einsetzen möchten, auf der anderen Seite der Anspruch des Arbeitnehmers auf Bestandsschutz hinsichtlich seines Arbeitsverhältnisses13. Das Kündigungsschutzrecht gestaltet sich mithin als das „Nervenzentrum des Arbeitsvertragsrechts“, da Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis in der Regel anlässlich einer Kündigung Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen werden14. Insofern bedeutet Kündigungsschutz eine Gratwanderung zwischen der Unternehmerfreiheit auf der einen und des Arbeitsplatzschutzes des Arbeitnehmers auf der anderen Seite15. Dabei hat der Kündigungsschutz die Aufgabe, das Kündigungsrecht zu beschränken und willkürliche Kündigungen seitens des Arbeitgebers auszuschließen16.

Demzufolge muss das Arbeitsrecht immer wieder kritisch betrachtet werden. Es gilt, den Ansprüchen und Anforderungen einer Gesellschaft zu entsprechen. Im 21. Jahrhundert sind die Herausforderungen der Globalisierung zu bewältigen. Der Wandel von Arbeit und Arbeitsabläufen durch den technischen Fortschritt und die damit verbundene Digitalisierung, Modernisierung, Rationalisierung und Automatisierung sind nicht zu unterschätzen17. Im Zuge dieser Entwicklung werden an den einzelnen Arbeitnehmer verstärkt Anforderungen wie Flexibilität, Mobilität, ständige Erreichbarkeit in Kombination mit der Bereitschaft, allzeit dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stehen, gestellt. Arbeitsverhältnisse werden, ungeachtet ← 21 | 22 → der Motive hierfür, nicht mehr auf Lebenszeit eingegangen, sondern nur für bestimmte Zeiträume. Auch der Arbeitgeber muss mit neuen Herausforderungen umgehen, da seine wirtschaftliche Situation in der Regel nicht mehr nur von der nationalen Wirtschaft abhängt, sondern – zumindest mittelbar – von der weltweiten ökonomischen Lage.

Ausgehend hiervon stellt sich die Frage, ob das deutsche Kündigungsschutzrecht zeitgemäß oder die Umsetzung lange geforderter Reformen des Kündigungsschutzrechts angebracht ist18. Dabei ist die Einbindung von Lösungsansätzen anderer Rechtssysteme zielführend19. Denn unumstritten ist, dass die Rechtsvergleichung als Methode ein breiteres Spektrum an Lösungsvorschlägen zur Verfügung stellt als eine national introvertierte Rechtswissenschaft20. Eine Auseinandersetzung mit dem Recht anderer Staaten erleichtert es, das eigene nationale Recht kritisch zu hinterfragen und anstehende Entwicklungstendenzen zu beurteilen.

Die Globalisierung lässt geographisch entfernt gelegene Länder wie Chile näher an Deutschland heranrücken, sodass ein Vergleich der rechtlichen Ausgestaltung des Kündigungsrechts dieser beiden Länder angezeigt ist21. Darüber hinaus besteht eine Vergleichbarkeit aufgrund der in beiden Ländern vorherrschenden positiven Beschäftigungsdynamik, da nach Angaben der OECD allein Deutschland und Chile ← 22 | 23 → niedrigere Arbeitslosenquoten aufweisen als vor der Wirtschafts- und Finanzkrise 200922. Chile gilt nicht erst seit dem Abschluss des Assoziierungsabkommens mit der EU vom 01.02.200323 als „Musterland Südamerikas“24, sondern führte bereits in den vergangenen Jahren das Wirtschaftswachstum Lateinamerikas an und stellt aufgrund seiner politischen Stabilität und liberalen Wirtschaftspolitik einen interessanten Investitionsmarkt für ausländische Investoren dar25. Die „Mustergültigkeit“ Chiles zeigt sich auch dadurch, dass es am 11.01.2010 als erstes Land Südamerikas Mitglied der OECD wurde26. Die liberale Wirtschaftspolitik Chiles ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass die dortigen Arbeitnehmer einem für deutsche Verhältnisse restriktiv geregeltem Arbeitsrecht gegenüberstehen27. So ist der gesetzliche Kündigungsschutz nicht annähernd so weitgehend wie der in Deutschland, da der Arbeitnehmer in Chile bei einer Kündigung grundsätzlich einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung, nicht aber auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses hat. ← 23 | 24 →

II.  Gang der Untersuchung

Zunächst wird in Grundzügen die historische Entwicklung des Arbeits- und Kündigungsrechts in Deutschland und Chile beschrieben (Kapitel B). Anschließend wird das Kündigungsrecht in Deutschland und Chile erörtert. Es werden die rechtsgeschäftlichen Grundlagen, die Arten der Kündigung, die Gestaltungsprinzipien des Kündigungsschutzrechts und der Kündigungsschutz, abschließend sonstige Beendigungsmöglichkeiten des Arbeitsverhältnisses aufgezeigt (Kapitel C). Das folgende Kapitel setzt sich mit dem Kündigungsschutzprozess in Deutschland und Chile auseinander (Kapitel D). Auf Grundlage einer vergleichenden Betrachtung des deutschen und des chilenischen Kündigungsrechts wird die Reformdiskussion über den Kündigungsschutz in Deutschland dargestellt (Kapitel E). Die in Deutschland geführte Debatte bezüglich einer Änderung des Kündigungsschutzes wird durch eine Pro/Contra-Betrachtung der rechts- und wirtschaftspolitischen Argumente im Hinblick auf den Bestandsschutz beschrieben. Anschließend werden einzelne Reformvorschläge aufgezeigt, wobei einer dieser Vorschläge dem Kündigungsschutzmodell Chiles entspricht. Allerdings lassen sich keine überzeugenden Argumente für eine Abkehr vom Bestandsschutzsystem finden, sodass auch der dem chilenischen Kündigungsschutzmodell entsprechende Reformvorschlag nicht überzeugt. In der Folge werden eigene, an das chilenische Kündigungsrecht angelehnte, einzelne Vorschläge aufgezeigt, die in Deutschland implementiert werden könnten, ohne jedoch das geltende Bestandsschutzsystem als solches infrage zu stellen. Im Rahmen der Schlussbetrachtung (Kapitel F) werden die Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst.


1 Koslowski, Ende der Arbeitsgesellschaft, S. 223.

2 Boecken/Topf, Zurück zum Bestandsschutz, RdA 2004, S. 21; Rüthers, Sinn und Unsinn des geltenden Kündigungsschutzrechts, NJW 2002, S. 1601; Hromadka in Blank, Muss der Kündigungsschutz reformiert werden?, S. 14; Römermann, Kündigungen, S. 29 f.; Koslowski, Ende der Arbeitsgesellschaft, S. 223; Walker, Relaciones Laborales, S. 51 f. Werden Personenbezeichnungen in der männlichen oder weiblichen Form verwendet, schließt dies das jeweils andere Geschlecht mit ein.

3 Fetchenhauer/Haferkamp, Psychologie des Wohlfahrtsstaats, Wirtschaftspsychologie 2007, S. 8; Koslowski, Ende der Arbeitsgesellschaft, S. 223; v. Klitzing, Ordnungsökonomische Analyse, S. 25 und BMAS, Grünbuch Arbeiten 4.0, S. 12.

4 Sesselmeier/Funk/Waas, Arbeitsmarkttheorien, S. 140; Toews, Entwicklung des Kündigungsschutzes, S. 2; Krause, § 1, Rn. 2 f.; Wank, Reform des Kündigungsrechts, RdA 1992, S. 227.

5 V. Hoyningen-Huene/Linck, Einl., Rn. 4, § 1, Rn. 5; APS-Preis, Grundl. B, Rn. 14; Schaub, § 1, Rn. 4; Boecken/Topf, Zurück zum Bestandsschutz, RdA 2004, S. 21; Hohnerlein, Verlust des Arbeitsplatzes in Lateinamerika, ZiAS 1988, S. 139; Wank, Reform des Kündigungsrechts, RdA 1992, S. 227; Benavides, Despido, S. 5 f.; Gamonal, Fundamentos de Derecho Laboral, S. 3; BAG, Urt. v. 10.11.1955, NJW 1956, S. 359 f.; BVerfG, Urt. v. 11.06.1958, BVerfGE 7, S. 377, S. 397, Beschl. v. 16.03.1971, BVerfGE 30, S. 292, S. 334, Urt. v. 01.03.1979, BVerfGE 50, S. 290, S. 362, Beschl. v. 27.01.1998, BVerfGE 97, S. 169, S. 177.

6 Für 2014 siehe IAQ, Erwerbstätige und sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 1992–2014, S. 1 ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert, Einl., Rn. 1; Preis, Arbeitsrecht, § 3, S. 21; Zöllner/Loritz/Hergenröder, § 2, Rn. 1 f. und Krause, § 1, Rn. 4.

7 APS-Preis, Grundl. B, Rn. 8 und MüArbR-Berkowsky, § 108, Rn. 35, welche wie Donges, Deregulierung, S. 19 von „sozialem Frieden“ sprechen. Siehe Sesselmeier/Funk/Waas, Arbeitsmarkttheorien, S. 33 f.; Waltermann, Rn. 43; Berkowsky, Betriebsbedingte Kündigung, § 1, Rn. 61; Sandmaier, Kündigungsschutzmodelle, S. 21; Darsow-Faller, Kündigungsschutz, S. 202 und Rühle, Sinn und Unsinn, DB 1991, S. 1378.

8 Waltermann, Rn. 42; Zöllner/Loritz/Hergenröder, § 7, Rn. 54; Dütz/Thüsing, Rn. 11; Donges, Deregulierung, S. 7 f.; Wirmer in Hromadka, Arbeitsrecht und Beschäftigungskrise, S. 141; Linnenkohl, Selbständigen-Kultur, BB 1999, S. 48 ff.; Gamonal, Fundamentos de Derecho Laboral, S. 15 f.; Bronstein, Comparative Labour Law, S. 1. Nach Löwisch/Caspers/Klumpp, Rn. 92 befindet sich das Arbeitsrecht wie kaum ein anderes Rechtsgebiet „im Fluss“.

9 Römermann, Kündigungen, S. 28 f. und S. 30; Brox/Rüthers/Henssler, Rn. 15.

10 APS-Preis, Grundl. G, Rn. 1; Urban, Kündigungsschutz, S. 28; Duvigneau, Auflösung des Arbeitsverhältnisses, S. 12; Vivanco, El despido laboral, S. 18 und Davies, Perspectives on Labour Law, S. 163 f.

11 Rebhahn, Kündigungsschutz des Arbeitnehmers, ZfA 2003, S. 189; Richardi, Arbeitsrecht als Teil freiheitlicher Ordnung, S. 262 und Duvigneau, Auflösung des Arbeitsverhältnisses, S. 3.

12 APS-Preis, Grundl. A, Rn. 22; MüArbR-Berkowsky, § 108, Rn. 34; ders., Betriebsbedingte Kündigung, § 1, Rn. 60; MüKo-Hergenröder, Einl. KSchG, Rn. 15; Brox/Rüthers/Henssler, Rn. 464; Krause, § 18, Rn. 19; Hergenröder, Kündigung und Kündigungsschutz, ZfA 2002, S. 372; Dorndorf, Abfindung statt Kündigungsschutz?, BB 2000, S. 1940; BAG, Urt. v. 06.09.2007, NZA 2008, S. 633.

13 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis und Kündigungsschutz, S. 25; Urban, Kündigungsschutz, S. 33; Darsow-Faller, Kündigungsschutz, S. 202.

14 Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 1; ders., Arbeitsrecht, § 55, S. 678; ders., Reform des Bestandsschutzrechts, RdA 2003, S. 65; ders., Aktuelle Tendenzen im Kündigungsschutzrecht, NZA 1997, S. 1073; Berkowsky, Betriebsbedingte Kündigung, § 1, Rn. 1; vgl. Oetker, Arbeitsrechtlicher Bestandsschutz, RdA 1997, S. 9.

15 Hromadka in Blank, Muss der Kündigungsschutz reformiert werden?, S. 12; ders., Unternehmerische Freiheit, ZfA 2002, S. 388.

16 APS-Preis, Grundl. A, Rn. 29; Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert, Einl., Rn. 1; siehe Dorndorf, Abfindung statt Kündigungsschutz?, BB 2000, S. 1941 f.; Buchner, Deregulierung, NZA 2002, S. 534.

17 Waas, Fortentwicklung des deutschen Arbeitsrechts, RdA 2007, S. 77; zu Industrie 4.0 ders. in 100 Jahre Rechtswissenschaft in Frankfurt, S. 547 ff. Zudem Fischer, Das Arbeitsvertragsgesetz, NZA 2006, S. 1395; Linnenkohl, Selbständigen-Kultur, BB 1999, S. 48 ff.; Rieble-Klumpp, Transparenz und Reform, S. 20 und BMAS, Grünbuch Arbeiten 4.0, S. 14 ff.

18 V. Hoyningen-Huene/Linck, Einl., Rn. 82; APS-Preis, Grundl. B, Rn. 29 ff.; v. Bülow, Bestandsschutz, S. 48; Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2002/2003, Punkt 349.

19 Waas, Fortentwicklung des deutschen Arbeitsrechts, RdA 2007, S. 81; vgl. ders. in 100 Jahre Rechtswissenschaft in Frankfurt, S. 562; Schiefer, Kündigungsschutz, NZA 2002, S. 777; v. Bülow, Bestandsschutz, S. 184 f.

20 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 14; Zöllner/Loritz/Hergenröder, § 11, Rn. 43; Höland in Blank, Muss der Kündigungsschutz reformiert werden?, S. 29; Rebhahn, Weniger oder mehr Kündigungsschutz?, EuZA 2012, S. 440; ders., Arbeitsrechtsvergleichung in Europa, ZEuP 2002, S. 457 f.; Jahn, Wie wirkt der Kündigungsschutz?, ZAF 2005, S. 285; Bucher, Zu Europa gehört auch Lateinamerika!, ZEuP 2004, S. 547; vgl. Gamonal, Fundamentos de Derecho Laboral, S. 95.

21 Nelle, Entstehung und Ausstrahlungswirkung des chilenischen Zivilgesetzbuchs, S. 276 mahnte bereits 1988 an, das lateinamerikanische Recht häufiger zum Gegenstand rechtswissenschaftlicher Arbeiten zu machen. Gamonal, Fundamentos de De­recho Laboral, S. 89 weist daraufhin, dass das chilenische Rechtssystem weitgehend dem kontinentaleuropäischen entspricht. Bucher, Zu Europa gehört auch Lateinamerika!, ZEuP 2004, S. 547 führt aus: „Alle Weltgegenden, welche in kontinentaleuropäischer Tradition wurzeln, sollten in die Betrachtung einfließen. Die Regionen, in denen man Spanisch oder Portugiesisch spricht, würden den wichtigsten Beitrag liefern. Und deren in der Geschichte wurzelndes und von echtem Interesse für Lösungen des Auslands bestimmtes Vorgehen beim Aufbau ihrer eigenen Gesetze müsste dem alten Kontinent, wenn er je zu ernsthaften Gehversuchen in Vertragsrechtsvereinheitlichung ansetzen sollte, Vorbild sein.“. Dagegen spricht sich Rebhahn, Arbeitsrechtsvergleichung in Europa, ZEuP 2002, S. 464 für Vergleiche innerhalb der EG-Staaten aus und betont, ein Ausgreifen erscheine in der Regel nur auf die USA sinnvoll.

22 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2011/2012, Punkt 448.

23 Beschluss 2002/979/EG, ABl. EG Nr. L 352 v. 30.12.2002, geändert durch Beschluss 2005/106/EG, ABl. EG Nr. L 38 v. 10.02.2005.

24 bfai, Wirtschaftsführer Chile, S. 7; Imbusch/Messner/Nolte-dies., Chile heute, S. 11 ff.; Rinke, Geschichte Chiles, S. 196; Morgado, Chile: Labour Relations, S. 27.

25 OECD, Reviews of Labour Market: Chile, S. 15 und S. 34 f.; gtai, Recht kompakt: Chile, S. 5; bfai, Wirtschaftsführer Chile, S. 5; Country Report March 2011, S. 5; Morgado, Chile: Labour Relations, S. 27 und Rinke, Geschichte Chiles, S. 176. Zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit und Risikoklassifizierung Chiles Imbusch/Messner/Nolte-Frohmann, Chile heute, S. 594; AGReport 1996, S. R 179 und GmbHR 1999, S. R 117 ff.

26 OECD, Reviews of Labour Market: Chile, S. 3; dies., Chile signs up as first OECD member in South America; Morgado, Labour Law in Chile, S. 20.

Details

Seiten
296
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631760215
ISBN (ePUB)
9783631760222
ISBN (MOBI)
9783631760239
ISBN (Paperback)
9783631749159
DOI
10.3726/b14312
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (September)
Schlagworte
Arbeitsrecht Beendigung Kündigungsschutz Bestandsschutz Abfindungsschutz Reform
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018., 296 S.

Biographische Angaben

Maren Fleck (Autor:in)

Maren Fleck studierte Rechtswissenschaften in Frankfurt am Main, wo sie auch ihr Rechtsreferendariat absolvierte. Anschließend schloss sie ein verwaltungswissenschaftliches Aufbaustudium an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer ab. Derzeit ist sie als Syndikusanwältin tätig.

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Titel: Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Deutschland und Chile
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