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Oratorik und Literatur

Politische Rede in fiktionalen und historiographischen Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit

von Malena Ratzke (Band-Herausgeber:in) Christian Schmidt (Band-Herausgeber:in) Britta Wittchow (Band-Herausgeber:in)
©2019 Konferenzband 392 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Buch untersucht fiktionale und historiographische Texte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit als Reflexionsmedien politischer Redekultur. Es versammelt Beiträge aus Geschichts- und Literaturwissenschaft und erprobt eine Verknüpfung literaturwissenschaftlicher Analysen mit Ansätzen der historischen Oratorikforschung. Das Spektrum der untersuchten Textsorten umfasst Notariatsinstrumente, Chroniken, höfische Literatur, lateinische und volkssprachliche Alexanderromane, historisch-politische Ereignisdichtungen des Spätmittelalters und Geschichtsdramen des 16. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Ãœber das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung. Praktizierte und dargestellte Oratorik
  • Politische Rede in der Geschichtsschreibung italienischer Kommunen
  • Oratorik und öffentliche Interaktion in italienischen Stadtkommunen des 12. und 13. Jahrhunderts
  • Oratorik in Übersetzung. Dialoge, Briefe und Orationen in den italienischen Versionen der Historia de preliis
  • Eloquenz – Körper – Herrschaft. Redeagon und Interferenzen politischer Felder in Rudolfs von Ems Alexander und seinen Quellen
  • Konsensfiktion und Risikonarrativ. Politisches Sprechhandeln in Ulrichs von Etzenbach Alexander
  • Herrschaft durch Überzeugung. Politische Rede im Alexander und Alexander-Anhang Ulrichs von Etzenbach
  • „lustsam und redebære“. Politische Rhetorik in der Steirischen Reimchronik und der Kreuzfahrt Landgraf Ludwigs des Frommen
  • Politische Rede in der Kaiserchronik
  • Schlachtrufe auf freiem Feld? Die Kreuzzugspredigt Urbans II. nach der Historia Iherosolimitana und ihren frühneuhochdeutschen Bearbeitungen
  • Politische Beratung und Erzählen im achten Buch von Wolframs Parzival. Zum Streitdialog zwischen Kingrimursel und Liddamus
  • Rhetorik der Zurückhaltung. Der Guote Gêrhart des Rudolf von Ems
  • Die Institutionalisierung der Rede in Ramon Lulls politischer Philosophie: Arbor imperialis, Liber de consilio, Llibre de les bèsties
  • „Min Leuer Her Hans, wo haget juw tho?“ Formen und Funktionen politischer Figurenreden im ereignisbezogenen Lied
  • Politische Reden allegorischer Gestalten in der deutschsprachigen Publizistik des Spätmittelalters
  • Dramatische Rede und politische Redekultur. Ein jesuitisches Konstantindrama des 16. Jahrhunderts
  • Unheilige Oratorik auf dem Konstanzer Konzil. Johann Agricolas Tragedia Johannis Huss (1537)
  • Über die Autorinnen und Autoren

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Malena Ratzke, Christian Schmidt, Britta Wittchow

Einleitung. Praktizierte und dargestellte Oratorik

Das Thema der Tagung, die vom 3. bis 5. November 2016 im Hamburger Warburg-Haus stattfand und deren Ergebnisse in diesem Band versammelt sind, hat sich aus der Auseinandersetzung mit einem jüngeren Ansatz in den Geschichtswissenschaften entwickelt: Die historische Oratorikforschung bemüht sich um eine Rekonstruktion der politischen Redekultur in der Vormoderne.1 Als ‚Oratorik‘ im Fokus stehen dabei – in Anlehnung an die englischsprachige Differenzierung von oratory und rhetoric – die Praxis der Rede und ihre Funktion im Kontext politischer Kommunikation. Neben den inhaltlichen oder sprachlich-stilistischen Aspekten einzelner Reden, die aus traditionell rhetorischer Perspektive im Zentrum standen, untersucht die Oratorikforschung die Position der Reden innerhalb zeremonieller Abläufe und ihre Relation zu nonverbalen Formen symbolischer Kommunikation.2

Mit der dabei aufgeworfenen Frage nach der Bedeutung rhetorischer Formate im Kontext politischer Versammlungen und Zeremonielle berührt die ←7 | 8→Oratorikforschung einen Bereich, der auch für die Literaturwissenschaften attraktiv ist.3 Anknüpfungspunkte ergeben sich etwa zur Historischen Dialogforschung, die vom Interesse an vormoderner Rede in Gestalt von literarischer Figurenrede zeugt. In einer Verbindung von literaturwissenschaftlicher und linguistischer Analyse werden hier seit etwa zehn Jahren Redeszenen in der mittelalterlichen Großepik, Bibeldichtung, Legende und in weiteren Traditionen untersucht. Ein in diesem Rahmen publizierter Beitrag von Gert Hübner zu Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur hat inspirierend auf die Konzeption der Hamburger Tagung eingewirkt.4

Wir freuen uns besonders, dass unsere Idee, eine interdisziplinäre Tagung auszurichten, gut aufgenommen wurde und wir Historiker, die das gegenwärtige Feld der Oratorikforschung prägen, dafür gewinnen konnten, mit uns ins Gespräch zu kommen. Genauso freuen wir uns, dass wir Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler davon überzeugen konnten, sich auf den Ansatz der Oratorik einzulassen. So sind Beiträge zu hoch- und niederdeutschen, lateinischen, italienischen und katalanischen Texten sowie deren Beziehungen zusammengekommen, an denen nicht zuletzt die transkulturelle Bedeutung politischer Rede sichtbar wird. Zeitraum und Themenspektrum des Bandes reichen von der Chronistik des 12. Jahrhunderts bis zum Drama des späteren 16. Jahrhunderts.

Im Rahmen dieser Einleitung möchten wir einige Überlegungen dazu skizzieren, wie sich das Feld der Oratorikforschung mit besonderem Blick auf ein Miteinander von historischer und literaturwissenschaftlicher Forschung ←8 | 9→interdisziplinär perspektivieren ließe. Wir knüpfen dabei an Beobachtungen an, die u.a. der Historiker Georg Strack, der in diesem Band vertreten ist, formuliert hat. Georg Strack hat auf die Relevanz der unterschiedlichen Überlieferungsmodi oratorischer Akte hingewiesen. Er betont, dass die in hagiographischen und historiographischen Texten überlieferten Reden gegenüber protokollarischen oder berichtenden Quellen oftmals einen fingierten bzw. imaginären Charakter besitzen. Diese fingierte Oratorik sei zum einen als Ausdruck eines politisch Imaginären ernst zu nehmen und zum anderen in Bezug zu Quellengattungen zu setzen, die in einem höheren Maße an die Perzeption tatsächlich gehaltener Reden rückgebunden sind.5

Diese Überlegungen sind auch für die Fragestellung unseres Bandes zentral, dessen Aufsätze sich mit Texten befassen, die nicht im heutigen Sinne dokumentarisch genannt werden können. Wir möchten im Anschluss daran vorschlagen, eine systematische Unterscheidung zu treffen zwischen praktizierter Oratorik auf der einen und dargestellter Oratorik auf der anderen Seite. Damit möchten wir versuchsweise zwei unterschiedlich akzentuierte, aber sich gegenseitig ergänzende Untersuchungsperspektiven beschreiben.

Das Interesse an praktizierter Oratorik entspricht dem von Johannes Helmrath und Jörg Feuchter formulierten Forschungsprogrammen. Hier geht es um eine Rekonstruktion der Redepraxis auf vormodernen Repräsentativversammlungen, um die historischen Akteure, die als Oratoren hervorgetreten sind, um die Einbettung von Reden in soziale und politische Kontexte sowie um ihre Funktionen im Rahmen zeremonieller oder symbolischer Kommunikationscodes. So formulieren die Verfasser in der Einleitung zu dem Band Politische Redekultur in der Vormoderne:

Zum einen zielt der oratorische Ansatz auf die Pragmatik der Parlamentsreden als performative Sprechakte in einem bestimmten sozialen und politischen Kontext. Es geht also primär um die historische „Funktion sprachlicher Mittel für ein Machtspiel“, und erst in zweiter Linie um die Beurteilung von Reden in einem philologischen Bezugsrahmen. ←9 | 10→Zum anderen beachtet die Oratorik die Einbettung der Parlamentsreden in ebenfalls versammlungstypische nonverbale Formen des symbolischen Vermittelns von politischem Willen. Diese besaßen das Potenzial, dem verbalen Sprechakt Nachdruck zu verleihen, ihn aber auch zu modifizieren oder ihn gar völlig zu konterkarieren. Aber auch die Sprechakte selbst waren offen zur Überschreitung von Sagbarkeitsregimina, zur Provokation, zum Bruch mit dem Gewohnten und kollektiv Erlernten.6

Dabei ist stets der potenzielle, wenn nicht grundsätzlich anzunehmende subjektive Charakter der Überlieferung im Blick zu behalten und etwa von strategisch motivierten Präsentationen historischer Redepraxis auszugehen. Doch wie Jörg Feuchter festhält, lassen sich auch unter diesen Bedingungen „allgemeine Normen und Praktiken“ der politischen Kultur erschließen, denn „noch die subjektivste und vielleicht sogar absichtlich verzerrte Beschreibung birgt Informationen über zeitgenössische Vorstellungen von gelungener oder mißlungener Performanz“7 und weiterer Aspekte vormoderner Oratorik.

Das Interesse an dargestellter Oratorik ist auf diesen Hintergrund angewiesen, es richtet sich jedoch nicht primär auf die Praxis, sondern auf die literarische Inszenierung politischer Redekultur im Kontext von Quellen, die einen im weitesten Sinne diegetischen Rahmen aufweisen: Das können Texte wie Chroniken oder Romane sein, aber auch Lieder oder Dramen. Quellen mit diegetischem Rahmen können dabei durchaus für die Rekonstruktion praktizierter Oratorik von Bedeutung sein. Mit dem Ausdruck der literarischen Inszenierung ist noch nichts über den Wahrheitsanspruch oder den Fiktionalitätsgrad der Quellen ausgesagt. Die Kategorie der dargestellten Oratorik lässt zudem offen, ob die jeweilige Darstellung historisch als faktuale oder fiktionale wahrgenommen wurde. Sie akzentuiert ein Interesse für die jeweilige Art und Weise der Darstellung als solcher. Hier liegt aus unserer Sicht ein Zugriff, der Erkenntnisgewinn sowohl für die Geschichts- als auch für die Literaturwissenschaften verspricht. Der Modus, in dem Oratorik jeweils zur Darstellung kommt, strukturiert die Rezeption und damit auch die historische Wahrnehmung, Bewertung und Imagination von oratorischen Akten, eloquenten Figuren oder rhetorischer Kunst.

Die Beiträge dieses Bandes machen anschaulich, dass politische Rede der skizzierten Art in einer großen Bandbreite von Texten eine Rolle spielt. Dies zeigt sich u.a. darin, dass sich der Untersuchungsbereich gegenüber dem ←10 | 11→ursprünglichen Tagungskonzept8 von der Epik und Chronistik auf fiktionale und historiographische Prosa, erzählende Lieder, publizistische Texte und Dramen erweitert hat. Bei den klassischerweise von der historischen Oratorikforschung untersuchten Textsorten ist ebenfalls Diversität zu beobachten: Neben präskriptiven Lehrschriften und der historiographischen Überlieferung werden auch Notariatsinstrumente – und damit Texte aus dem Feld der Urkunden – in die Untersuchung einbezogen.9 Auch Querverbindungen werden sichtbar, wenn etwa Brunetto Latini in seinem Rhetoriklehrbuch für vorbildliche Rhetorik auf den Alexanderroman verweist10 oder Reden aus Konzilsberichten in Dramentexte inseriert werden.11

Textsorten wie das genannte Lied oder das Drama können besonders dafür sensibilisieren, dass auch dargestellte Oratorik aufführbar ist. Es handelt sich beim Singen eines Liedes, bei der Aufführung eines Dramas oder beim Vortrag eines Romans jedoch weniger um eine oratorische ‚actio‘ als vielmehr um die ‚actio‘ einer ‚actio‘, also um die Aufführung der Darstellung eines oratorischen Aktes. Dargestellte Oratorik ist also eine Oratorik zweiter Ordnung: Sie ist selbstreflexiv, weil sie immer auch von der Oratorik handelt, die sie darstellt. Sie kann die Bedingungen politischen Redens als solche beobachtbar machen und nach bestimmten Wirkungsabsichten perspektivieren und kommentieren. Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass auch praktizierte Oratorik selbstreflexiv sein kann – man kann sich leicht einen Redner vorstellen, der das Reden selbst zum Gegenstand einer Rede macht, etwa durch Bescheidenheitstopoi im Rahmen der Captatio benevolentiae oder die Beteuerung, ‚brevitas‘ anzustreben, um das Publikum nicht zu langweilen.

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Worin sich praktizierte und dargestellte Oratorik jedoch grundlegend unterscheiden, ist ihre Kommunikationssituation: Praktizierte Oratorik adressiert in erster Linie die im Hier und Jetzt einer politischen Versammlung anwesenden Akteure. Dagegen wendet sich dargestellte Oratorik in erster Linie an das Publikum eines Textes, einer Aufführung oder eines anderen Darstellungsmediums. Das heißt auch, dass praktizierte und dargestellte Oratorik nicht die gleichen sozialen und politischen Funktionen erfüllen. Neben sozialen und politischen Funktionen ist auf der Darstellungsebene zudem nach poetischen Funktionen zu fragen, d.h. nach denjenigen Funktionen, die den oratorischen Szenen mit Bezug auf die literarischen Gefüge zugeschrieben werden können, in die sie eingebettet sind. Die Beiträge des vorliegenden Bandes loten das Spektrum solcher Funktionen aus.

Die innerhalb eines literarischen Kontextes präsentierten oratorischen Formate wie Reden, Predigten oder Briefe erhalten gegenüber der Praxis jedoch nicht nur andere Funktionen, sondern auch andere Sprachen und andere Formen. Es ist davon auszugehen, dass dargestellte Oratorik stark von den medialen und textsortenspezifischen Bedingungen ihres Rahmens geprägt ist. Besonders sichtbar (bzw. hörbar) wird dies, wenn politische Reden im Medium eines rhythmisierten Reimpaartextes erscheinen und so von einer genuin literarischen Rhetorizität überlagert werden.

Es gibt eine bekannte Stelle in Heinrich Wittenwilers parodistischem Versroman Der Ring, entstanden um 1410, die diesen Vorgang der Überlagerung sichtbar macht. Der Protagonist des Rings, Bertschi Triefnas, beginnt, wie es explizit heißt, mit einem „parlament“ (Ring, V. 2655),12 um über Fragen des Heiratens zu beraten. Hartmut Bleumer und Caroline Emmelius haben gezeigt, dass dieser Beratung eigentlich der ‚casus‘ fehlt, denn die Frage, ob Bertschi heiraten soll, war nicht nur bereits vor dem „parlament“ entschieden, sie gerät auch im Verlauf der Szene immer wieder aus dem Blick.13 Die Beratung verwandelt sich zwischenzeitlich in eine gelehrte Disputation über die Institution der Ehe und nimmt schließlich die Formen eines Schiedsgerichtsprozesses an.14 Ein großer ←12 | 13→Teil der Lappenhauser Dorfgemeinschaft nimmt dennoch an der eigenwilligen Versammlung teil und diskutiert dabei auch über die Verfahrensweisen einer guten Beratung selbst. Nach knapp 1000 Versen allerdings gibt es noch immer kein Ergebnis und die Anwesenden sind frustriert.15 Den Grund dafür erfährt man erst durch den letzten Redner, den in vielen Büchern belesenen Dorfschreiber:

Jch ſich wol war vmb es geuaͤlt

Habt vn̅ ganczleich nichcz dertaıͤlt

Es ſeyt geſtanden ze den wiczen

So man mit ruwen ſcholte ſiczen

Jͤr habt gereimet vnd geticht

Chlugeu ſach wil reymens nicht

Wer mag ein diſputyeren

Mit gmeſſner red florieren (Ring, V. 3515–3522)16

Das Dorfparlament hat genau zwei Dinge falsch gemacht: Erstens, es hat im Stehen statt im Sitzen beraten. Um ein Urteil zu fällen, muss man jedoch sitzen – das entspricht den Ritualen der zeitgenössischen Rechtspraxis.17 Zweitens: Es hat die ganze Zeit über in Reimen gesprochen – und gereimte Rede gehört sich nicht ←13 | 14→für eine ernsthafte Auseinandersetzung. Die Lösung des Problems ist einfach – der Dorfschreiber setzt sich hin und fährt in Prosa fort:

Dar vmb ſo ſecz ich mich da hin

Vn̅ ſag euch ſchlechleich mine̅ ſin

Jn gottes namen amen

Hie mag man ein fràg ſchephen

Ob ein man ein weib ſchùl nemen

Dar zuͦ wil ich alſo ſprechen

Jſt daz ein man wil vn̅ mag ſtät be

leiben chinder machen weib vn̅ chinder

Fuͦren mit rechtuertigem guͦt

Noch got wil dienen ſam ein engel keu

ſchechleich der nem ein hauſfrawen

Ze einer chan die ym geuallen vn̅ frucht

per ſey weis vn̅ from vn̅ ſein geleich

Der vrteil ward do Bertſchi fro

Er ſprach mein dinch daz ſtet alſo

Ze geleicher weis nach deine̅ ſage̅

Dar vmb ſo wil ich Maͤczen haben (Ring, V. 3523–3528)18

Was Wittenwiler hier generiert, ist ein klassischer V-Effekt: Er verstößt gegen eine literarische Konvention, indem er eine Figur der Handlung das thematisieren lässt, was für sie eigentlich unsichtbar sein sollte, nämlich das literarische Medium, in dem sie sich bewegt. Er lenkt die Aufmerksamkeit von der Handlung auf die Form und zwar insbesondere auf die Form der Rede – auf die Art und Weise, wie die Oratorik des skurrilen Dorfparlaments dargestellt ist. Wittenwilers V-Effekt beruht auch darauf, dass er die Regeln durcheinanderbringt, die für praktizierte und dargestellte Oratorik jeweils gelten: Was das Dekorum einer realen Beratung verletzen würde, nämlich in Reimpaarversen zu sprechen, ←14 | 15→verletzt plötzlich auch das Dekorum einer literarisch dargestellten Beratung. Damit macht Wittenwiler eine spezifische Differenz von praktizierter und dargestellter Oratorik selbst sichtbar. Das Beispiel zeigt zugleich, dass praktizierte und dargestellte Oratorik aufeinander verwiesen sind – das eine wird ohne das andere nicht verständlich.

*

Bei der Vorbereitung und Umsetzung der Tagung und des Tagungsbandes haben wir vielfache Unterstützung erfahren. Allen Beteiligten möchten wir unseren innigsten Dank aussprechen: den Beiträgerinnen und Beiträgern der Tagung und des Bandes, den Moderatorinnen und Moderatoren Hartmut Bleumer, Franz-Josef Holznagel und Anabel Recker sowie unseren studentischen Hilfskräften Claudia Stern und Ronja Foitzik, die für den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung sorgten. Wir danken auch Jörg Feuchter, der trotz vielfältiger anderweitiger Verpflichtungen dazu bereit war, auf der Tagung seine Überlegungen zur Chanson de la Croisade mit uns zu teilen.

Schließlich danken wir den Institutionen, die eine Tagungsförderung gewährten: dem Fachbereich Sprache, Literatur und Medien I der Universität Hamburg, der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung sowie der Universität Hamburg, aus deren Körperschaftsvermögen wir einen Zuschuss zur Tagung erhielten. Daneben sind wir den Herausgeberinnen und Herausgebern der Hamburger Beiträge zur Germanistik für die Aufnahme des Bandes in die Reihe sowie Michael Rücker, Magdalena Kalita und Sandra Bennua für die verlagsseitige Betreuung verbunden. Ganz besonders herzlich möchten wir Martin Baisch und Bernhard Jahn danken, die unserem Unternehmen von Anfang an mit Rat, Tat und nicht zuletzt finanziell zur Seite standen und das Projekt überhaupt erst ermöglicht haben.

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1 Begriff und Konzept dieses Ansatzes wurden geprägt durch das von 2004 bis 2008 unter Leitung von Johannes Helmrath bestehende Projekt Oratorik auf europäischen Reichs- und Ständeversammlungen des späten Mittelalters und der beginnenden Neuzeit als Repräsentationen politisch-sozialer Ordnungen im Vergleich am Berliner SFB 640: Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel. Vgl. die jüngste Darstellung des Ansatzes bei Feuchter, Jörg: Rednerische ‚Performanz des Mächtigen‘ auf politischen Versammlungen (England und Frankreich, vom 14. bis ins 16. Jahrhundert). In: Oschema, Klaus [u.a.] (Hrsg.): Die Performanz der Mächtigen. Rangordnung und Idoneität in höfischen Gesellschaften des späten Mittelalters (Rank. Politisch-soziale Ordnungen im mittelalterlichen Europa 5). Ostfildern 2015, S. 103–120, hier S. 107f. sowie die programmatischen Einleitungen zu den Sammelbänden Feuchter, Jörg/Helmrath, Johannes: Einführung. In: Dies. (Hrsg.): Parlamentarische Kulturen vom Mittelalter bis in die Moderne. Reden – Räume – Bilder (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien: Reihe Parlamente in Europa 164,2), Düsseldorf 2013, S. 9–31; dies.: Einleitung – Vormoderne Parlamentsoratorik. In: Dies. (Hrsg.): Politische Redekultur in der Vormoderne. Die Oratorik europäischer Parlamente in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Eigene und fremde Welten. Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel 86). Frankfurt/Main [u.a.] 2008, S. 9–22.

2 Vgl. Feuchter: Rednerische Performanz (Anm. 1), S. 108.

3 Zudem rezipiert sie in ihren methodischen Ansätzen bereits literaturwissenschaftlich ausgerichtete Arbeiten. Zu nennen wäre hier z.B. Georg Braungarts Monographie zur Hofberedsamkeit; vgl. Braungart, Georg: Hofberedsamkeit. Studien zur Praxis höfisch-politischer Rede im deutschen Territorialabsolutismus (Studien zur deutschen Literatur 96). Tübingen 1988.

4 Vgl. Hübner, Gert: ‚wol gespraechiu zunge‘. Meisterredner in Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur. In: Miedema, Nine/Unzeitig, Monika/Hundsnurscher, Franz (Hrsg.): Redeszenen in der mittelalterlichen Großepik. Komparatistische Perspektiven (Historische Dialogforschung 1). Berlin 2011, S. 215–234. Zum Ansatz der Historischen Dialogforschung vgl. die Tagungsbände Miedema, Nine/Hundsnurscher, Franz: Formen und Funktionen von Redeszenen in der mittelhochdeutschen Großepik (Beiträge zur Dialogforschung 36). Tübingen 2007; Miedema, Nine/Unzeitig, Monika/Hundsnurscher, Franz (Hrsg.): Redeszenen in der mittelalterlichen Großepik. Komparatistische Perspektiven (Historische Dialogforschung 1). Berlin 2011; Miedema, Nine/Unzeitig, Monika/Schrott, Angela (Hrsg.): Stimme und Performanz in der mittelalterlichen Literatur (Historische Dialogforschung 3). Berlin/Boston 2017.

5 Vgl. Strack, Georg: Oratorik im Zeitalter der Kirchenreform. Reden und Predigten Papst Gregors VII. In: Strack, Georg/Knödler, Julia (Hrsg.): Rhetorik in Mittelalter und Renaissance. Konzepte – Praxis – Diversität (Münchner Beiträge zur Geschichtswissenschaft 6). München 2011, S. 121–144, hier etwa S. 123; ders.: Antagonistische Positionen zur politischen Redekultur im 11. Jahrhundert. Benzo von Alba und Rangerius von Lucca. In: Hartmann, Florian, unter Mitarb. von Anja-Lisa Schroll und Eugenio Riversi (Hrsg.): Brief und Kommunikation im Wandel. Medien, Autoren und Kontexte in den Debatten des Investiturstreits (Papsttum im mittelalterlichen Europa 5). Köln/Weimar/Wien 2016, S. 243–260, hier S. 243f.

6 Feuchter/Helmrath: Einleitung (Anm. 1), S. 12. Zitiert wird Schild, Hans-Jochen: Art. Parlamentsrede im englischen Sprachraum. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 6 (2003), Sp. 597–617, hier Sp. 601.

7 Feuchter: Rednerische Performanz (Anm. 1), S. 106.

8 Vgl. den Call for Papers zur Tagung mit enger gefasstem Titel: Oratorik und Literatur. Politische Rede in Epik und Chronistik des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, 03.11.2016–05.11.2016, Hamburg. In: H-Soz-Kult (07.02.2016). www.hsozkult.de/event/id/termine-30150 (19.07.18).

9 Über Textmedien hinaus haben Benjamin Wiese und Jörg Feuchter in diesem Sinne bereits eine Bild und Verstext kombinierende Inszenierung der französischen Etats généraux in Blois 1576/77 untersucht. Vgl. Feuchter, Jörg/Wiese, Benjamin: Oratorik in Text und Bild. Die Etats généraux von Blois (1576/77) in ‚De tristibus Galliae carmen‘. In: Feuchter, Jörg/Helmrath, Johannes (Hrsg.): Parlamentarische Kulturen vom Mittelalter bis in die Moderne. Reden – Räume – Bilder (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien: Reihe Parlamente in Europa 164,2), Düsseldorf 2013, S. 417–424.

10 Vgl. den Beitrag von Michele Campopiano, Abschnitt II.

11 Vgl. den Beitrag von Christian Schmidt.

12 Zitiert wird nach der Edition von Werner Röcke: Wittenwiler, Heinrich: Der Ring. Text, Übersetzung, Kommentar. Nach der Münchener Handschrift herausgegeben und erläutert von Werner Röcke, unter Mitarbeit von Annika Goldenbaum. Mit einem Abdruck des Textes nach Edmund Wießner. Berlin/Boston 2012.

13 Bleumer, Hartmut/Emmelius, Caroline: Vergebliche Rationalität. Erzählen zwischen Kasus und Exempel in Wittenwilers Ring. In: Wolfram-Studien 20 (2008), S. 177–204, hier S. 193.

Details

Seiten
392
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631775509
ISBN (ePUB)
9783631775516
ISBN (MOBI)
9783631775523
ISBN (Hardcover)
9783631770351
DOI
10.3726/b14967
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (März)
Schlagworte
Rhetorik Ars Dictaminis Persuasion Beratung Kommunikationskultur Eloquenz
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 388 S.

Biographische Angaben

Malena Ratzke (Band-Herausgeber:in) Christian Schmidt (Band-Herausgeber:in) Britta Wittchow (Band-Herausgeber:in)

Malena Ratzke arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Hamburg. Christian Schmidt wurde in Hamburg promoviert und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Deutsche Philologie der Universität Göttingen. Dort arbeitet er an einem externen Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs 1015 Muße (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg). Britta Wittchow war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Hamburg und ist zurzeit Projektkoordinatorin an der Freien Universität Berlin.

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Titel: Oratorik und Literatur
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