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Metaphern im Zuwanderungsdiskurs

Linguistische Analysen zur Metaphorik in der politischen Kommunikation

von Martin Wichmann (Autor:in)
©2018 Dissertation 424 Seiten
Reihe: Arbeiten zur Sprachanalyse, Band 62

Zusammenfassung

Die linguistische Studie untersucht die Metaphorik im Zuwanderungsdiskurs auf einer breiten Datengrundlage bestehend aus Parteiprogrammen, Plenardebatten und politischen Talkshows. Der Untersuchungszeitraum umfasst auch die kontroverse «Sarrazin-Debatte». Der Fokus liegt auf dem Aspekt der Arbeitsmigration. Metaphern wie Parallelgesellschaft, Willkommenskultur oder Zuwanderungssteuerung spielen eine zentrale Rolle im politischen Diskurs und prägen diesen auch. Innovativ sind der Einbezug der Verwendungskontexte und die Analyse mündlicher Sprachdaten. Die Untersuchung liefert die zentralen Konzepte und Metaphern in Bezug auf Zuwanderung. Dabei zeigt sich, dass die Metaphorik im Zuwanderungsdiskurs einem zeitlichen Wandel unterliegt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren-/Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 0. Einleitung
  • 1. Theoretischer Hintergrund und Forschungsüberblick
  • 1.1 Theoretische Fundierung und Einordnung in die linguistische Metaphernforschung
  • 1.1.1 Metaphern unter kognitiver Perspektive
  • 1.1.2 Kognitive Metapherntheorie (George Lakoff und Mark Johnson) als theoretische Grundlage
  • 1.1.3 Theorien im Anschluss an die kognitive Metapherntheorie: Die Blending Theory (Gilles Fauconnier und Mark Turner)
  • 1.1.4 Die aktuelle Metapherndiskussion im Überblick
  • 1.1.5 Linguistische Metaphernforschung als theoretisch-methodischer Rahmen
  • 1.2 Politische Kommunikation
  • 1.2.1 Allgemeine Merkmale politischer Kommunikation
  • 1.2.2 Ausgewählte Textsorten und Interaktionstypen
  • 1.3 Zuwanderungsdiskurs
  • 1.3.1 Gesellschaftliche Phasen der Zuwanderung seit 1945
  • 1.3.2 Analysen zur Bildlichkeit im Zuwanderungsdiskurs im Überblick
  • 2. Korpus, Datenerhebung und Datenaufbereitung
  • 3. Empirische Analysen: Teilkorpus 1 – Parteiprogramme (Grundsatz- und Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2009)
  • 3.1 Metaphorische Konzepte und sprachliche Metaphern
  • 3.2 Verbindungen zwischen den übergeordneten Konzepten
  • 3.3 Herkunftsbereiche
  • 3.4 Konventionalisierungsgrad
  • 3.5 Parteienspezifischer Metapherngebrauch
  • 3.6 Metaphernverwendung: Ausgewählte Beispielanalysen
  • 3.6.1 Positive und negative Bewertungen
  • 3.6.2 Inkohärenz der Metaphorik
  • 3.7 Zusammenfassung
  • 4. Empirische Analysen: Teilkorpus 2 – Plenardebatten
  • 4.1 Metaphorische Konzepte und sprachliche Metaphern
  • 4.2 Verbindungen zwischen den übergeordneten Konzepten
  • 4.3 Herkunftsbereiche
  • 4.4 Konventionalisierungsgrad
  • 4.5 Parteienspezifischer Metapherngebrauch
  • 4.6 Kohärente Metaphorik
  • 4.6.1 Rekurrenz
  • 4.6.2 Isotopien
  • 4.6.3 Fortgesetzte Metaphern
  • 4.6.4 Subkategorisierungen
  • 4.7 Spezifische kommunikative Formen der Plenardebatte: Zwischenrufe, Zwischenfragen und Kurzinterventionen
  • 4.7.1 Zwischenrufe
  • 4.7.2 Zwischenfragen
  • 4.7.3 Kurzinterventionen
  • 4.8 Zusammenfassung
  • 5. Empirische Analysen: Teilkorpus 3 – Politische Talkshows
  • 5.1 Metaphorische Konzepte und sprachliche Metaphern
  • 5.2 Verbindungen zwischen den übergeordneten Konzepten
  • 5.3 Herkunftsbereiche
  • 5.4 Konventionalisierungsgrad
  • 5.5 Gruppenspezifischer Metapherngebrauch: Migranten und Politiker im Vergleich
  • 5.6 Einfluss medialer Inszenierung auf die Metaphernverwendung
  • 5.7 Metaphernverwendung in der Interaktion
  • 5.8 Zusammenfassung
  • 6. Textsorten- und interaktionstypenübergreifende Analyse der Metaphorik
  • 6.1 Exemplarische Analyse der Metaphernverwendung einer Partei im Vergleich aller drei Teilkorpora am Beispiel von CDU/CSU
  • 6.2 Gruppen- und parteiübergreifende Metaphernverwendung im Vergleich aller drei Teilkorpora
  • 7. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
  • Literaturverzeichnis
  • Anhang
  • Verwendete Transkriptionszeichen – Konventionen nach HIAT
  • Reihenübersicht

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0. Einleitung

Abstract: Immigration is a much debated topic and one of the key issues in modern society. The analysis discusses the central metaphors describing immigration and will also delineate how metaphors influence the political discourse. A critical analysis of the use of metaphors will also be provided.

Keywords: immigration; metaphors; metaphor use; political discourse

Untersuchungsgegenstand

Zuwanderung ist ein hoch aktuelles und gesellschaftlich relevantes Thema. Seine Aktualität zeigt sich darin, dass die Flüchtlingskrise zur Zeit im Zentrum des öffentlichen Interesses steht. Zuwanderung ist immer wieder Gegenstand aktueller gesellschaftlicher Debatten, wie die Reform des Staatsbürgerschaftrechts, die „Sarazzin-Debatte“, die Diskussion um ein neues Zuwanderungsgesetz und die Flüchtlingskrise deutlich machen. Die gesellschaftliche Relevanz ergibt sich daraus, dass ein gesellschafliches Phänomen analysiert wird, das umstritten und auf Grund seiner Komplexität auch schwierig ist. Die Analyse der Metaphorik ermöglicht es, verschiedene Einstellungen und Sichtweisen auf Zuwanderung herauszuarbeiten, die miteinander konkurrieren und partiell auch Rückschlüsse auf den gesellschaftlichen Umgang mit Zuwanderung zulassen. Dieser gesellschaftliche Umgang lässt sich auch problematisieren, indem z.B. einzelne Metaphern als unangemessen kritisiert werden. Die Ergebnisse könnten auf Grund ihres gesellschaftlichen Mehrwerts auch für benachbarte Disziplinen wie die Soziologie interessant sein.

Gegenstand dieser Arbeit ist die Analyse der Metaphorik im Zuwanderungsdiskurs. Ob Willkommenskultur, Zwangsgermanisierung, Gastarbeiter, ankommen, steuern oder begrenzen, Metaphern kommt im Zuwanderungsdiskurs eine prominente Stellung zu. Zur Kennzeichnung von Metaphern werden i.d.R. typographische Unterscheidungen vorgenommen. Ich folge den Darstellungskonventionen von Lakoff/Johnson (2004/1980): Metaphorische Konzepte werden durch KAPITÄLCHEN, sprachliche Metaphern durch Kursivierung sowie Herkunfts- und Zielbereiche nach Lakoff (1987: 276) durch ‚einfache Anführungszeichen‘ hervorgehoben. Handelt es sich um einzelne Belege, so werden die Metaphern jeweils wie alle anderen Zitate auch durch „doppelte Anführungszeichen“ gekennzeichnet. Werden mehrere Metaphern unter einem Oberbegriff wie Raum- oder Bewegungs-Metaphern zusammengefasst, so wird dieser grundsätzlich nicht graphisch hervorgehoben. ← 11 | 12 →

Das zentrale Ziel dieser Arbeit besteht darin, die metaphorische Beschreibung von Zuwanderung in der öffentlich-politischen Kommunikation anhand empirischer Sprachdaten herauszuarbeiten. Das Korpus umfasst Parteiprogramme (Grundsatz- und Wahlprogramme), Plenardebatten und politischen Talkshows (vgl. Kapitel 2). In Anlehnung an Klein (2000) bezeichne ich die schriftlichen Formen als Textsorten und die mündlichen als Interaktionstypen. Beide fasse ich unter dem Oberbegriff Kommunikationsformen zusammen. Die Analyse der Metaphorik gibt zumindest partiell Aufschluss über den kommunikativen Umgang mit Zuwanderung. Dabei steht der Aspekt der Arbeitsmigration im Fokus. Im politischen Diskurs wird kontrovers über die Notwendigkeit von Zuwanderung und das Gelingen von Integration diskutiert. In Bezug auf die bereits hier lebenden Migranten1 steht die Frage im Zentrum, wie bestehende Integrationsprobleme beseitigt werden können, so dass Integration gelingt.

Das zentrale Ziel der vorliegenden Arbeit lässt sich in die folgenden drei Teilziele untergliedern:

1. Welche Metaphorik wird herangezogen, um auf Zuwanderung Bezug zu nehmen?

2. Wie wird der politische Diskurs durch die Metaphorik geprägt?

3. Welche sprachkritischen Aussagen lassen sich in Bezug auf den Metapherngebrauch im Zuwanderungsdiskurs formulieren?

Ich erläutere die drei Teilziele einleitend kurz:

1. Die Analyse der auftretenden Metaphorik liefert die zentralen Ausdrücke, die zur metaphorischen Beschreibung von Zuwanderung herangezogen werden. Zunächst gilt es, die (übergeordneten) metaphorischen Konzepte, sprachlichen Metaphern und Herkunftsbereiche deskriptiv zu beschreiben. Eine Grundannahme der kognitiven Metapherntheorie von Lakoff/Johnson (vgl. Kapitel 1.1.2) besteht darin, dass Metaphern Sprache, Denken und (Alltags-)Handeln umfassen und unsere Vorstellungen und Handlungsweisen steuern. Daher liefert die Analyse der Metaphorik auch die zu Grunde liegenden kognitiven Vorstellungsinhalte, die ich mit Böke (1997: 164) als „Denkmuster“ bezeichne. Dadurch, dass demokratische Gesellschaften durch Meinungsvielfalt gekennzeichnet sind (vgl. Kapitel 1.2.2), können unterschiedliche (z.T. miteinander konkurrierende) Denkmuster auftreten. Die Analyse liefert ← 12 | 13 → Einblicke in die Denkmuster einzelner Sprecher und Sprechergruppen, deren Denkmuster sich miteinander vergleichen lassen. Die Analyse geht jedoch über die Deskription der Metaphorik hinaus, indem einzelne Metaphernvorkommen in ihrer kontextuellen Verwendung systematisch untersucht werden (vgl. Liebert 2008: 753). Die Berücksichtigung der sprachlichen Handlungen und Verwendungsweisen ermöglicht es auch, die interaktiven Zwecke herauszuarbeiten, die der Verwendung der Metaphern zu Grunde liegen.

2. In komplementärer Untersuchungsrichtung wird gefragt, wie die Metaphorik den politischen Diskurs prägt. Die kognitive Metapherntheorie geht nach der oben erwähnten Grundannahme von einer denk- und handlungsleitenden Wirkung von Metaphern aus. Gesellschaftliche Wirklichkeit wird u.a. erst durch Metaphern hergestellt (vgl. Böke 1996: 439). Methodisch wäre es heikel, einen direkten Zusammenhang zwischen der metaphorischen Beschreibung und politischen Entscheidungen herstellen zu wollen. Lakoff (2004/1980) stellen diesen Bezug zwar her, doch lassen sich stattdessen lediglich Hypothesen in Bezug auf die denk- und handlungsleitende Wirkung von Metaphern (vgl. Kapitel 1.1.2) formulieren.
Die Analyse zielt auch auf die Beschreibung eines gruppenspezifischen Metapherngebrauchs ab (vgl. Wengeler 2009: 1637). Im politischen Diskurs unterscheide ich zwischen den drei Personengruppen Politiker, Migranten und Vertreter der Mehrheitsgesellschaft (vgl. Kapitel 1.3). Grundsätzlich ist bei gesellschaftlichen Prozessen wie Zuwanderung zwischen der Ebene der Politik und der der Zivilgesellschaft zu unterscheiden. Während die Politiker qua ihrer institutionellen Rolle auf der Grundlage von politischen Beschlüssen agieren, handelt es sich bei Vertretern der Mehrheitsgesellschaft um autochthone Deutsche, die als Betroffene, Experten oder Prominente auftreten. Da die Daten in Teikorpus 1 und 2 durchgängig von Parteien und Politikern stammen, wird die analytische Entscheidung für eine Differenzierung zwischen diesen drei Personengruppen einzig in Bezug auf Teilkorpus 3 relevant. Bei der Zuordnung orientiere ich mich an der durch die Sendungsmacher zugeschriebenen Rolle. Untersucht werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich der Metaphernverwendung. Die unterschiedlichen politischen Standpunkte deuten darauf hin, dass sich die Metaphorik zwischen den Personengruppen unterscheidet. Teilkorpus 3 ermöglicht zudem einen Vergleich der Metaphernverwendung von Migranten und Politikern. In dem Maße, wie sich die Metaphorik zwischen den Parteien und Personengruppen unterscheidet, lässt sich die spezifische „Mentalität sozialer Gruppen in einer Sprachgemeinschaft“ (Böke 1996: 439) herausarbeiten (vgl. Wengeler 2009: ← 13 | 14 →
1637, Böke 1996: 439, Pielenz 1993: 57f.; Liebert 1992: 32f., 79ff.). Mentalität meint hier nach Pielenz (1993: 170) die spezifischen Einstellungen und Denkmuster, die in einer sozialen Gruppe kollektiv auftreten.
Die denk- und handlungsleitende Wirkung von Metaphern zeigt sich besonders bei solchen Metaphern, die derart häufig und parteiübergreifend auftreten, dass sie den politischen Diskurs prägen. Diskurs verstehe ich in Anlehnung an Foucault als kollektiven Prozess der Wissensentstehung, der auf der gesellschaftlichen Ebene zu verorten ist (vgl. Kapitel 1.3). Treten sprachliche Elemente wie Metaphern häufiger auf, spricht Foucault von einer Serie. Dadurch, dass diese Serien ebenfalls wiederholt auftreten, konstituieren sie gesellschaftlich dominantes Wissen.
Metaphern, die auf Grund ihrer häufigen und parteiübergreifenden Verwendung den Diskurs prägen, beschreiben dominante Diskurspositionen. Darunter verstehe ich politische Positionen, die zugleich alternative Sichtweisen ausschließen oder zumindest marginalisieren. Foucaults Erkenntnisinteresse zielt genau darauf ab, diese Grenzen des Sagbaren herauszuarbeiten (vgl. Foucault 1997: 42, Kapitel 1.3). Ihm geht es darum aufzuzeigen, weshalb bestimmte Aussagen auftreten und andere nicht (vgl. ebd.). Ein guter Kandidat für eine dominante Diskursposition ist die Notwendigkeit einer Kontrolle von Zuwanderung, wie sie die Begrenzungs- und Steuerungs-Metaphern ausdrücken. Quantitative Beschränkung und Auswahl werden somit als wesentliche Voraussetzungen für das Gelingen von Integration angesehen.

3. Die empirische Analyse der Metaphorik bleibt nicht bei der Deskription stehen, sondern umfasst auch sprachkritische Fragen. So werden Metaphern z.B. auf Grund ihrer semantischen Implikationen und Vorstellungsinhalte oder ihrer Verwendungsgeschichte kritisiert. Die Notwendigkeit der Kritik ergibt sich schon daraus, dass Metaphern in der politischen Kommunikation persuasiv eingesetzt und die durch sie ausgedrückten Sichtweisen als alternativlos dargestellt werden. Es existieren jedoch immer auch alternative Sichtweisen. Diese werden in der vorliegenden Arbeit jedoch lediglich benannt, so dass es dem Leser überlassen bleibt, eine Bewertung des Metapherngebrauchs vorzunehmen. Diese Fragestellung betrifft das Verhältnis von linguistischer Beschreibung und politischer Positionierung (vgl. Wengeler 2011: 36): Wie politisch darf die Linguistik sein und darf sie ihren Gegenstand überhaupt bewerten? Ich vertrete die Position, dass die empirische Analyse der Metaphorik nicht auf die Deskription beschränkt bleibt. Schon das Problematisieren semantischer Implikationen und Vorstellungsinhalte von Metaphern stellt eine Form der Sprachkritik dar. Diese setzt jedoch somit auf ← 14 | 15 → analytischer Ebene an (vgl. Wengeler 2009: 1637). Eine kritische Reflexion der Metaphorik ist schon allein deshalb notwendig, weil Sprache immer – und das gilt für politische Kommunikation in ganz besonderem Maße – interessengeleitet ist (vgl. Wengeler 2011: 42). Eine parteiliche Positionierung in Bezug auf den politischen Diskurs soll dabei jedoch explizit vermieden werden. Eine gesellschaftskritische Intention, die zumindest den Verdacht nahelegt, auf die gesellschaftlichen Verhältnisse im Sinne der eigenen politischen Position Einfluss nehmen zu wollen, findet sich z.B. bei der Kritischen Diskursanalyse (vgl. Wengeler 2011: 38f.), aber auch in den Analysen politischer Diskurse, die die kognitive Metapherntheorie selbst vorgelegt hat (so z.B. bei Lakoff/Wehling 2009).

Einordnung in die Forschung

Die Analyse basiert auf dem Metaphernbegriff der kognitiven Metapherntheorie von Lakoff/Johnson (2004/1980) in modifizierter Form. Metaphern durchdringen der Theorie zufolge unsere Sprache und umfassen auch unser Denken und (Alltags-) Handeln. Die Analyse der Metaphorik liefert somit auch einen Zugang zu den kognitiven Vorstellungen, die der metaphorischen Beschreibung von Zuwanderung zu Grunde liegen. Den theoretisch-methodischen Rahmen der Arbeit bildet die linguistische Metaphernforschung, die sich im Anschluss an Lakoff/Johnson (2004/1980) herausgebildet und einschlägige Begriffe und Kategorien zur Beschreibung der Metaphorik entwickelt hat. Dabei beziehe ich mich primär auf die Arbeiten aus der germanistischen Linguistik (Spieß/Köpcke 2015, Jäkel 2003a, Böke 1997, Baldauf 1997, Liebert 1992), berücksichtige jedoch ergänzend auch Arbeiten aus dem angelsächsichen Raum, die wie Steen (2011), Steen et al. (2010), Gibbs (2008) und Semino (2008) aus theoretisch-methodischer Sicht als grundlegend einzustufen sind.

Die Analyse ist auf ein Korpus gestützt, das drei verschiedene Teilkorpora umfasst: Teilkorpus 1 enthält Parteiprogramme, d.h., Grundsatz- und Wahlprogramme. Teilkorpus 2 besteht aus Plenardebatten des Deutschen Bundestages und Teilkorpus 3 umfasst politische Talkshows. Insgesamt besteht das Korpus aus vierzehn Parteiprogrammen, sechs Bundestagsdebatten und zwölf Sendungsfolgen politischer Talkshows. Die methodische Entscheidung für drei Teilkorpora ermöglicht einen Vergleich der Metaphorik in verschiedenen Kommunikationsformen im Zeitraum von 2008 bis 2011.

Neben dem Aktualitäts- und Gesellschaftsbezug stützt sich das Forschungsinteresse auch auf die aus linguistischer Sicht schwache Ergebnislage: Zwar ist Niehr (2014a: 135) der Auffassung, dass „[d]er Migrationsdiskurs […] inzwischen ← 15 | 16 → als vergleichsweise gut erforscht gelten [kann]“, doch bearbeitet die vorliegende Arbeit gleich in mehrfacher Weise einen neuen Untersuchungsgegenstand. So wurden die folgenden Aspekte bislang defizitär behandelt und werden durch die vorliegende Arbeit in den Blick genommen:

1. Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf einen neueren Untersuchungszeitraum (2008–2011) und im Fokus steht der Aspekt der Arbeitsmigration. Bisherige Untersuchungen enden bis auf Krieger (2005) und Thiele (2005) mit dem Asyldiskurs der 1990er Jahre. Für den spezifischen Untersuchungszeitraum liegen zu den betrachteten Kommunikationsformen m.W. bislang keine Arbeiten vor.

2. Untersucht werden auch solche kommunikativen Konstellationen, in denen die Migranten selbst zu Wort kommen, so dass deren Äußerungen wiederum selbst zum Gegenstand der Analyse werden. Gleichwohl handelt es sich um eine bestimmte Auswahl von Migranten, die über eine ausreichende Sprachkompetenz im Deutschen verfügen müssen und in Bezug auf ihre mediale Rolle hin ausgewählt werden (vgl. Kapitel 5). Die Analyse von Parteiprogrammen und Plenardebatten ermöglicht zudem einen direkten Zugriff auf den Metapherngebrauch von Parteien und Politikern, ohne dass eine mediale Vermittlung stattfindet. Auf dieser Grundlage lassen sich zentrale Sichtweisen von Politikern ermitteln. Diese sind deshalb aufschlussreich, weil Politiker als Entscheidungsträger politische Beschlüsse in Bezug auf Zuwanderung herbeiführen. Während in bisherigen Arbeiten die Analyse von Pressesprache dominiert, betrachte ich auch Politikersprache. Der Vergleich zwischen Parteien und Personengruppen ermöglicht es, Aussagen über einen partei- bzw. gruppenspezifischen Metapherngebrauch zu treffen. Dieser Analyseaspekt ist bislang noch nicht systematisch, d.h. flächendeckend in Bezug auf ein umfangreiches Korpus, untersucht worden.

3. Die vorliegende Arbeit hat auch die Analyse mündlicher Sprachdaten im Zuwanderungsdiskurs zum Gegenstand und betritt auch in dieser Hinsicht Neuland.

4. Durch den Einbezug der kontextuellen Verwendung der Metaphern wird der Untersuchungsgegenstand in Bezug auf die Analyse der Metaphorik im Zuwanderungsdiskurs wesentlich erweitert. Bisherige Arbeiten – und das gilt für die Arbeiten der Düsseldorfer Diskursanalyse (vgl. Kapitel 1.3.2) in besonderem Maße – sind auf die Analyse einzelner lexikalischer Ausdrücke beschränkt (vgl. Böke 1997, 1996). Durch die Berücksichtigung der Text- und Gesprächszusammenhänge können die jeweiligen kommunikativen Ziele und Funktionen der Metaphern erfasst werden. Aus theoretischer Sicht trägt dies zu einer ← 16 | 17 → stärkeren Annäherung pragmatischer und kognitiver Metapherntheorien bei (vgl. Kapitel 1.3.4).

Aus diesen Gründen wird durch die vorliegende Arbeit ein neuer Untersuchungsgegenstand bearbeitet. Nicht untersucht werden kann, wie die verwendeten Metaphern von den Rezipienten verstanden werden. Aussagen zum Metaphernverstehen lassen sich nur anhand von Fragebogenstudien und psycholinguistischen Untersuchungen etwa in Form von Lesezeit- oder Priming-Experimenten treffen. Dies gilt auch für Aussagen darüber, ob Metaphern vom Sprachverwender bewusst oder unbewusst verwendet werden. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die Analyse der verbalen Kommunikation. Eine multimodale Analyse, die das spezifische Zusammenspiel verbaler und nonverbaler Kommunikationsformen bei der Metaphernverwendung untersucht, wird nicht vorgenommen. Derartige Analysen sind i.d.R. auf Fallbeispiele begrenzt. Zudem ist der vorliegende Untersuchungsgegenstand mit der empirischen Analyse dreier Teilkorpora bereits hinreichend umfangreich.

Aufbau der Arbeit

Die Arbeit gliedert sich in einen theoretischen (Kapitel 1–2) und einen empirischen Teil (Kapitel 3–6). In Kapitel 1 wird der theoretische Hintergrund beschrieben und ein Überblick über die Forschungsliteratur gegeben. Es umfasst drei Unterkapitel, die die linguistische Metaphernforschung als theoretischen Hintergrund (Kapitel 1.1), die politische Kommunikation (Kapitel 1.2) und den Zuwanderungsdiskurs (Kapitel 1.3) behandeln.

Kapitel 1.1 gibt einen Überblick über die linguistische Metaphernforschung und ordnet die vorliegende Arbeit in dieses Paradigma ein. Zunächst werden einige prominente Metapherntheorien vorgestellt, die die Metapher unter kognitiver Perspektive betrachten. Die kognitive Metapherntheorie, auf deren Metaphernbegriff die vorliegende Analyse basiert, wird anschließend in ihren Grundzügen beschrieben. Die neuere Entwicklung wird ebenfalls thematisiert, indem zentrale Metapherntheorien im Anschluss an Lakoff/Johnson (2004/1980) behandelt werden und die aktuelle Metapherndiskussion in ihren Grundzügen skizziert wird. Darauf folgt die Beschreibung methodischer Aspekte. Die linguistische Metaphernforschung als theoretisch-methodischer Rahmen wird vorgestellt, die Wahl des Untersuchungsgegenstandes und die Fragestellungen erläutert sowie Begriffe und Kategorien (zur Beschreibung der Metaphorik) definiert. Im Anschluss daran werden die beiden aus methodischer Sicht zentralen Aspekte der Identifikation ← 17 | 18 → und Kategorisierung von Metaphern ausführlich diskutiert. Darüber hinaus werden ausgewählte Kategorien und Aspekte beschrieben und methodisch reflektiert.

Da die Analyse der Metaphorik Kommunikationsformen im Bereich der Politik zum Gegenstand hat, gilt es, die Eigenschaften politischer Kommunikation mitzureflektieren. In Kapitel 1.2 werden daher allgemeine Konzepte und Merkmale der politischen Kommunikation behandelt und die im Korpus auftretenden Textsorten und Interaktionstypen in Bezug auf ihre Eigenschaften und Funktionen näher beschrieben. Kapitel 1.3 bezieht sich auf den Zuwanderungsdiskurs. Einleitend wird das Verständnis zentraler Begriffe geklärt. So wird der Diskursbegriff theoretisch verortet. Um ein besseres Verständnis der gesellschaftlichen Hintergründe zu ermöglichen, wird die gesellschaftliche Entwicklung der Zuwanderung seit 1945 in einem kurzen Abriss beschrieben (vgl. Kapitel 1.3.1). Darüber hinaus werden die bisher enstandenen Arbeiten zur Bildlichkeit im Zuwanderungsdiskurs in einem Literaturüberblick dargestellt (vgl. Kapitel 1.3.2).

In Kapitel 2 wird das Korpus beschrieben. Das Datenmaterial wird ausführlich präsentiert und die Erhebung bzw. Aufbereitung der Daten wird nachvollziehbar erläutert.

Hierauf folgt der empirische Teil der Arbeit. Zu Beginn wird die Metaphorik in der Gesamtschau aller drei Teilkorpora im Überblick dargestellt. Die Kapitel zur empirischen Analyse der Teilkorpora sind jeweils wie folgt aufgebaut: Einleitend wird ein orientierender Überblick über die Metaphorik im Teilkorpus gegeben, indem wichtige Beobachtungen festgehalten werden. Darauf folgt die Analyse zentraler Kategorien zur Beschreibung der Metaphorik. Im Anschluss werden spezifische Fragestellungen behandelt, die sich aus der Analyse der Metaphorik im jeweiligen Teilkorpus ergeben.

Kapitel 3 umfasst die empirischen Analysen von Teilkorpus 1 (Parteiprogramme). Als spezifische Aspekte werden hier positive und negative Bewertungen sowie die Inkohärenz der Metaphorik thematisiert. Die empirischen Analysen von Teilkorpus 2 (Plenardebatten) sind Gegenstand von Kapitel 4. Hier wird die Kohärenz der Metaphorik als spezifischer Aspekt genauer untersucht. Zudem weisen Plenardebatten mit Zwischenrufen, Zwischenfragen und Kurzinterventionen spezifische kommunikative Formen auf, die es gerade in Bezug auf die interaktive Verwendung von Metaphern zu analysieren gilt. Kapitel 5 beinhaltet die empirischen Analysen von Teilkorpus 3 (Politische Talkshows). Auch in Teilkorpus 3 ergeben sich mit dem Einfluss der medialen Inszenierung auf den Metapherngebrauch und der Verwendung von Metaphern in der Interaktion spezifische Analyseaspekte. ← 18 | 19 →

Kapitel 6 hat teilkorpusübergreifende Fragestellungen zum Gegenstand und führt die Ergebnisse der einzelnen Analysekapitel zusammen. Es gliedert sich in zwei Teile. In Kapitel 6.1 wird am Beispiel von CDU/CSU untersucht, ob sich die Metaphernverwendung einer Partei zwischen allen drei Teilkorpora unterscheidet oder mehr oder minder invariant ist. In Kapitel 6.2 wird dann die gruppen- und parteiübergreifende Metaphernverwendung im Vergleich aller drei Teilkorpora allgemein untersucht. Kapitel 7 beinhaltet die Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse. Hier werden auch weiterführende Fragestellungen angedeutet.


1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwende ich im Rahmen dieser Arbeit u.a. für die Bezeichnung der verschiedenen Personengruppen die maskulinen Formen. Die weiblichen Personengruppen sind jeweils ausdrücklich mitgemeint.

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1. Theoretischer Hintergrund und Forschungsüberblick

Abstract: The theoretical framework is provided by Lakoff and Johnson’s cognitive metaphor theory. Metaphors are seen as a phenomenon of language, thought and action. The analyses fulfill the theoretical aim of combining cognitive and discourse-analytic analyses of metaphors. Central terminology and the methodological approach (especially analyzing metaphors in spoken data) will be explained.

Keywords: metaphor theory; discourse analysis; methodological approach; spoken data

1.1 Theoretische Fundierung und Einordnung in die linguistische Metaphernforschung

Details

Seiten
424
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631768952
ISBN (ePUB)
9783631768969
ISBN (MOBI)
9783631768976
ISBN (Hardcover)
9783631768433
DOI
10.3726/b14715
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (November)
Schlagworte
Metaphernanalyse Kognitive Metapherntheorie Migration Parteiprogramme Plenardebatten Politische Talkshows
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, Dublin, Istanbul, New York, Oxford, Warszawa, Wien. 2018. 424 S., 7 s/w Abb., 49 s/w Tab.

Biographische Angaben

Martin Wichmann (Autor:in)

Martin Wichmann studierte Germanistik, Philosophie, Pädagogik und Deutsch als Fremdsprache an der Technischen Universität Dortmund. Er hat an diversen Hochschulen im In- und Ausland unterrichtet und ist als Lehrkraft für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Bielefeld tätig.

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