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Der Entschädigungsanspruch gemäß § 198 GVG bei überlangen Gerichtsverfahren

von Olga-Christina Eleftheriadis (Autor:in)
©2018 Dissertation 246 Seiten

Zusammenfassung

Das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren soll eine im deutschen Recht bestehende Rechtsschutzlücke schließen. Die bisherigen Rechtsschutz-möglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer haben den Anforderungen der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR nicht entsprochen. Diese Arbeit untersucht die Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen sowie die prozessualen Gesichtspunkte der Entschädigungsregelung, die als einheitlicher Rechtsbehelf in allen Gerichtsbarkeiten ausgestaltet ist. Zentrale Frage ist dabei, anhand welcher Kriterien die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu bestimmen ist. Von besonderer Bedeutung ist ferner die Verzögerungsrüge, deren Erhebung im Ausgangsverfahren Voraussetzung für einen Anspruch aus § 198 GVG ist.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Anlass und Thema der Untersuchung
  • B. Gang der Untersuchung
  • Erstes Kapitel: Vorgeschichte: Der Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist
  • A. Ansprüche aus dem Grundgesetz
  • I. Allgemeiner Justizgewährungsanspruch
  • 1. Abgrenzung zu Art. 19 Abs. 4 GG
  • 2. Reichweite und Begrenzungen
  • II. Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG)
  • 1. Tatbestandsvoraussetzungen
  • a) Grundrechtsträger
  • b) Verletzung eines subjektiven Rechts
  • c) Akt der öffentlichen Gewalt
  • 2. Gewährleistungsinhalt
  • a) Zugang zu den Gerichten
  • b) Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes
  • 3. Ausgestaltung und Beschränkungen
  • B. Ansprüche aus der Europäischen Menschenrechtskonvention
  • I. Rang und Geltung der EMRK im deutschen Recht
  • II. Art. 6 Abs. 1 EMRK: Recht auf ein faires Verfahren, insbesondere Verhandlung innerhalb angemessener Frist
  • 1. Persönlicher Anwendungsbereich
  • 2. Sachlicher Anwendungsbereich
  • 3. Der in Betracht zu ziehende Zeitraum
  • 4. Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit der Verfahrensdauer
  • a) Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer
  • b) Komplexität des Falles
  • c) Verhalten des Beschwerdeführers
  • d) Verhalten der Behörden und der Gerichte
  • III. Art. 13 EMRK: Recht auf wirksame Beschwerde
  • 1. Anwendungsbereich
  • 2. Beschwerde bei einer innerstaatlichen Instanz
  • 3. Wirksame Beschwerde bei unangemessener Verfahrensdauer
  • 4. Verhältnis zu Art. 6 EMRK
  • C. Ansprüche aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
  • I. Verhältnis der Grundrechtecharta zur EMRK
  • II. Art. 47 GRCh: Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht
  • 1. Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf (Abs. 1)
  • 2. Effektiver Rechtsschutz und faires Verfahren, insbesondere Verhandlung innerhalb angemessener Frist (Abs. 2)
  • 3. Anspruch auf Prozesskostenhilfe (Abs. 3)
  • D. Zwischenergebnis
  • Zweites Kapitel: Rechtsschutzmöglichkeiten nach der bisherigen Rechtslage
  • A. Dienstaufsichtsbeschwerde (§ 26 DRiG)
  • B. Revision
  • C. Untätigkeitsbeschwerde
  • D. Amtshaftungsklage
  • I. Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht
  • II. Richterspruchprivileg des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB
  • III. Inhalt und Umfang des Amtshaftungsanspruchs
  • E. Verfassungsbeschwerde
  • I. Annahmevoraussetzungen
  • II. Rechtswegerschöpfung bzw. Grundsatz der Subsidiarität
  • III. Entscheidung bei Stattgabe der Verfassungsbeschwerde
  • F. Individualbeschwerde gemäß Art. 34, 35 EMRK
  • I. Zulässigkeitsvoraussetzungen
  • II. Gerechte Entschädigung gemäß Art. 41 EMRK
  • 1. Voraussetzungen
  • 2. Art und Höhe der Entschädigung
  • 3. Erstattungsfähigkeit von Kosten und Auslagen
  • 4. Konventionsstaat als Anspruchsverpflichteter
  • G. Zwischenergebnis
  • Drittes Kapitel: Der Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG – Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen
  • A. Die Neuregelung im Überblick
  • I. Allgemeines
  • II. § 198 GVG als „staathaftungsrechtlicher Anspruch sui generis“
  • III. Rechtsschutzelemente des § 198 GVG
  • IV. Anwendungsbereich – alle Gerichtsbarkeiten
  • V. Sonderregelung für das Bundesverfassungsgericht
  • B. Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs
  • I. Anspruchsberechtigte
  • 1. Verfahrensbeteiligte
  • 2. Ausnahmeregelung des § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG
  • II. Begriff des Gerichtsverfahrens
  • 1. Verfahrensarten
  • 2. Sonderstellung des Insolvenzverfahrens
  • 3. Widerspruchsverfahren kein gerichtliches Verfahren im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG
  • III. Unangemessenheit der Verfahrensdauer
  • 1. Maßgeblichkeit der Umstände des Einzelfalls
  • a) Schwierigkeit des Verfahrens
  • b) Bedeutung des Verfahrens
  • c) Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter
  • aa) Verhalten der Verfahrensbeteiligten
  • bb) Verhalten Dritter
  • 2. Weitere Gesichtspunkte
  • a) Gesamtdauer des Verfahrens
  • b) Gewisse Schwere der Belastung
  • c) Überlastung des Gerichts
  • d) Richterliche Unabhängigkeit
  • e) Berücksichtigung statistischer Durchschnittswerte
  • IV. Nachteil
  • 1. Materielle Nachteile
  • 2. Immaterielle Nachteile
  • 3. Kausalität
  • V. Verzögerungsrüge
  • 1. Rechtsnatur
  • 2. Inhalt
  • 3. Form
  • 4. Zeitpunkt der Rüge
  • a) Maßgeblicher Zeitpunkt
  • b) Folgen verspäteter oder verfrühter Rügen
  • c) Wiederholung der Rüge
  • 5. Widerruf der Verzögerungsrüge
  • 6. Entbehrlichkeit in Ausnahmefällen
  • VI. Zwischenergebnis zu B.
  • C. Rechtsfolge: Angemessene Entschädigung
  • I. Entschädigung materieller Nachteile
  • II. Entschädigung immaterieller Nachteile
  • 1. Personenrechtlicher Anspruch
  • 2. Jährliche Entschädigungspauschale in Höhe von 1.200 EUR
  • 3. Festsetzung eines höheren oder niedrigeren Betrages
  • 4. Keine Entschädigung bei anderweitiger Wiedergutmachung
  • a) Anderweitige Wiedergutmachung
  • b) Insbesondere: Gerichtliche Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer
  • c) Feststellung nebst Entschädigung
  • d) Verzögerungsrüge keine Voraussetzung für die Feststellung
  • D. Anspruchsverpflichtete
  • I. Haftungsverteilung
  • II. Haftung mehrerer Rechtsträger
  • E. Übergangsrecht
  • I. Bei Inkrafttreten des § 198 GVG bereits abgeschlossene Verfahren
  • II. Bei Inkrafttreten des § 198 GVG anhängige Verfahren
  • 1. Unverzüglichkeit der Verzögerungsrüge
  • 2. Präklusion des Entschädigungsanspruchs
  • F. Zwischenergebnis
  • Viertes Kapitel: Prozessuale Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs
  • A. Allgemeines
  • B. Zuständiges Gericht
  • C. Zeitpunkt der Klageerhebung
  • I. Frühester Zeitpunkt
  • II. Spätester Zeitpunkt
  • D. Weitere prozessuale Gesichtspunkte
  • I. Teilklage
  • II. Bezifferung des Klageantrags
  • III. Darlegungs- und Beweislast
  • IV. Aussetzung des Verfahrens
  • V. Vertretungszwang
  • VI. Rechtsmittel
  • VII. Gerichtskosten
  • VIII. Sonstiges
  • E. Zwischenergebnis
  • Fünftes Kapitel: Verhältnis des § 198 GVG zu den bisherigen Rechtsschutzmöglichkeiten
  • A. Dienstaufsichtsbeschwerde
  • B. Untätigkeitsbeschwerde
  • C. Revision
  • D. Amtshaftungsanspruch
  • I. Anspruchskonkurrenz zu § 198 GVG
  • II. Verzögerungsrüge als Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB
  • E. Verfassungsbeschwerde
  • F. Individualbeschwerde
  • G. Zwischenergebnis
  • Sechstes Kapitel: Diskussionspunkte der Entschädigungsregelung
  • A. Berücksichtigung statistischer Durchschnittswerte bei der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer
  • I. Überblick über den Meinungsstand in der Rechtsprechung
  • 1. Ansicht des BFH
  • 2. Ansicht des BSG
  • 3. Ansicht des BGH
  • 4. Ansicht des BVerwG
  • II. Eigene Stellungnahme
  • B. Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer
  • I. Überblick über den Meinungsstand in der Rechtsprechung
  • 1. Ansicht des BVerwG
  • 2. Ansicht des BGH
  • 3. Ansicht des BSG
  • II. Eigene Stellungnahme
  • C. „Bewegliche Systeme“ zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Unangemessenheit der Verfahrensdauer“
  • I. Wilburgs sog. „bewegliche Systeme“
  • II. Vorschlag für ein „bewegliches System“ in Fällen überlanger Verfahrensdauer
  • D. Bearbeitungsreihenfolge der anhängigen Verfahren
  • I. Vorgaben im Hinblick auf die Reihenfolge der Bearbeitung
  • II. Eigene Stellungnahme
  • E. Entschädigungsgericht als „Richter in eigener Sache“
  • I. Unparteilichkeit des Entschädigungsgerichts
  • II. Vergleich mit dem Amtshaftungsanspruch wegen judikativen Unrechts
  • III. Eigene Stellungnahme
  • F. Verhältnis des § 198 GVG zur Untätigkeitsbeschwerde
  • I. Statthaftigkeit der Untätigkeitsbeschwerde in Familiensachen
  • II. Eigene Stellungnahme
  • G. §§ 198 ff. GVG als Teil eines allgemeinen Prozessrechts
  • I. Die Idee einer Vereinheitlichung der Prozessordnungen und der Zusammenlegung von Gerichtzweigen
  • II. Einheitliche Entschädigungsregelung
  • 1. Verweisungsregelung in den einzelnen Verfahrensordnungen
  • 2. Anwendungsbereich des § 198 GVG
  • 3. Entscheidung durch den gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe
  • III. Eigene Stellungnahme
  • Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
  • Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

a.A.anderer Ansicht
Abs. Absatz
AEUVVertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
a.F.alte Fassung
Anm.Anmerkung
ArbGArbeitsgericht
ArbGGArbeitsgerichtsgesetz
ArbRBArbeits-Rechts-Berater
Art. Artikel
Az.Aktenzeichen
BAGBundesarbeitsgericht
BayObLGBayerisches Oberstes Landesgericht
Bd.Band
BeckRSBeck-Rechtsprechung
Beschl.Beschluss
BetrVGBetriebsverfassungsgesetz
BFHBundesfinanzhof
BGBBürgerliches Gesetzbuch
BGBl.Bundesgesetzblatt
BGHBundesgerichtshof
BMJVBundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
BPersVGBundespersonalvertretungsgesetz
BR-Beschlussdrucks.Bundesrat-Beschlussdrucksache
BSGBundessozialgericht
BT-Drucks.Bundestag-Drucksache
BVerfGBundesverfassungsgericht
BVerfGGBundesverfassungsgerichtsgesetz
BVerwGBundesverwaltungsgericht
bzw.beziehungsweise
ders.derselbe
d.h.das heißt
DÖVDie Öffentliche Verwaltung ← 15 | 16 →
DRBDeutscher Richterbund
DRiGDeutsches Richtergesetz
DRiZDeutsche Richterzeitung
DStRDeutsches Steuerrecht
DStRE Entscheidungsdienst, Deutsches Steuerrecht
DVBl.Deutsches Verwaltungsblatt
EGMREuropäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EGZPO Einführungsgesetz ZPO
Einl.Einleitung
EMRKEuropäische Menschenrechtskonvention
et al.et alii (und andere)
EUEuropäische Union
EuGEuropäisches Gericht erster Instanz
EuGHGerichtshof der Europäischen Union
EuGRZEuropäische Grundrechte-Zeitschrift
EuRZeitschrift Europarecht
EUVVertrag über die Europäische Union
EuZWEuropäische Zeitschrift für Europarecht
f.folgende
FamFGGesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
FamRZZeitschrift für das gesamte Familienrecht
ff. fortfolgende
FGG-ReformgesetzGesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
FGOFinanzgerichtsordnung
Fn.Fußnote
FPRFamilie Partnerschaft Recht
FSFestschrift
GGGrundgesetz
ggf.gegebenenfalls
GKGGerichtskostengesetz
GRChCharta der Grundrechte der Europäischen Union
GVGGerichtsverfassungsgesetz
Hrsg.Herausgeber
i.V.m. in Verbindung mit ← 16 | 17 →
jMjuris – Die Monatszeitschrift
jurisPR-SozRjuris PraxisReport Sozialrecht
JZJuristenzeitung
Kap.Kapitel
KSchGKündigungsschutzgesetz
LAGLandesarbeitsgericht
LastGGesetz zur Lastentragung im Bund-Länder-Verhältnis bei Verletzung von supranationalen oder völkerrechtlichen Verpflichtungen
LGLandgericht
LKVLandes- und Kommunalverwaltung
LSGLandessozialgericht
MDRMonatsschrift für deutsches Recht
MüKoMünchener Kommentar
NdsVBlNiedersächsische Verwaltungsblätter
NJWNeue Juristische Wochenschrift
NJW-RRNeue Juristische Wochenschrift, Rechtsprechungsreport
Nr.Nummer
NVwZNeue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NVwZ-RRNeue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Rechtsprechungsreport
NZANeue Zeitschrift für Arbeitsrecht
NZFam Neue Zeitschrift für Familienrecht
NZSNeue Zeitschrift für Sozialrecht
OLGOberlandesgericht
OVGOberverwaltungsgericht
PKHProzesskostenhilfe
Rn.Randnummer
RsprEinhGGesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes
S. Seite
SchlHASchleswig-Holsteinische Anzeigen
SGbSozialgerichtsbarkeit
SGGSozialgerichtsgesetz
Slg.Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz
sog.so genannt ← 17 | 18 →
StbgSteuerberatung
SteuK Steuerrecht kurzgefasst
StrEGGesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
st. Rspr.ständige Rechtsprechung
u.a.unter anderem/und andere
UAbs. Unterabsatz
ÜGRGGesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
Urt.Urteil
VerfOVerfahrensordnung
VerfO-EuGHVerfahrensordnung des EuGH
VGHVerwaltungsgerichtshof
vgl.vergleiche
VRVerwaltungsrundschau
VwGOVerwaltungsgerichtsordnung
Z.Ziffer
z.B. zum Beispiel
zit.zitiert
ZPOZivilprozessordnung
ZRPZeitschrift für Rechtspolitik
ZZPZeitschrift für Zivilprozess

Anm.: Rechtsprechung und Literatur sind bis September 2015 berücksichtigt.

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Einleitung

Gerichtlicher Rechtsschutz, der zu spät kommt, hilft dem Rechtsschutzsuchenden wenig. Die Dauer gerichtlicher Verfahren ist ein viel diskutiertes Problem, das schon seit geraumer Zeit von Rechtsprechung, Literatur und Praxis intensiv diskutiert wird. Der Anspruch auf ein Verfahren innerhalb angemessener Zeit wird durch Art. 19 Abs. 4 GG, den allgemeinen Justizgewährungsanspruch und Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert und verlangt eine zügige und effiziente Durchführung des Verfahrens.

Wie ist es jedoch mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes zu vereinbaren, wenn selbst für die Entscheidung einfach gelagerter Fälle oftmals Jahre benötigt werden? Vor allem Verfahren, die durch Urteil beendet werden und eine zweite Instanz durchlaufen, dauern oftmals unangemessen lange. Überlange Gerichtsverfahren können den Anspruch des Betroffenen auf effektiven Rechtsschutz verkürzen. Deshalb ist die Verfahrensdauer bereits frühzeitig als „Fundamentalproblem des ganzen Rechtsschutzes“ bezeichnet worden.1

Die unangemessene Verfahrensdauer kann sowohl nachteilige materielle und immaterielle Folgen für die Verfahrensbeteiligten haben als auch Frustration und Resignation hervorrufen.2 Einerseits besteht die Gefahr, dass die Verfahrensdauer Auswirkungen auf die materielle Richtigkeit eines Urteils hat, da sich die Beweissituation mit zunehmender Verfahrensdauer verändert.3 Tatsachen werden schwerer beweisbar, schriftliche Beweismittel sind nicht mehr auffindbar und Zeugen können sich nicht mehr erinnern.4 Andererseits kann eine lange Verfahrensdauer den Prozesserfolg entwerten, wenn etwa der Beklagte zwischenzeitlich insolvent geworden ist. Im Falle von Geldforderungen kann die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit der Verfahrensbeteiligten eingeschränkt werden. Schließlich führt die überlange Dauer eines Verfahrens oft auch zu einer psychischen und finanziellen Belastung der Parteien. Dadurch wird das Ansehen der Justiz nachhaltig beschädigt und das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat erheblich beeinträchtigt. ← 19 | 20 →

Wesentlichen Einfluss auf die Verfahrensdauer haben die Personalausstattung und die Geschäftsverteilung der Gerichte.5 Ursache für Verfahrensverzögerungen ist neben der individuellen Arbeitsbelastung der einzelnen Richter der allgemeine Personalmangel. Deshalb beruht die Verfahrensdauer oftmals auf einer unzureichenden Verfahrensförderung durch das Gericht. Befragungen der Richter haben darüber hinaus ergeben, dass umfangreiche Verfahren, die einer zeitaufwendigen Bearbeitung bedürfen, zu Gunsten höherer Erledigungszahlen nachrangig behandelt werden.6 Sofern Richterwechsel stattfinden, führen sie regelmäßig zu einer Verlängerung des Verfahrens.7

Des Weiteren ist der Verfahrensgegenstand von erheblicher Bedeutung, da bestimmte Verfahrensgegenstände zu komplexeren Prozessen führen als andere, z.B. Bau- und Arzthaftungssachen und gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten.8 Entscheidend für die Dauer eines Verfahrens ist, ob schwierige Rechtsfragen zu beurteilen sind und umfangreiche Beweisaufnahmen durchgeführt werden müssen.9 Darüber hinaus hat die Höhe des Streitwerts Einfluss auf die Verfahrensdauer.10 In einigen Fällen trägt auch das prozessuale Verhalten der Parteien selbst zur Verfahrensverzögerung bei.

Gesellschaft und Wirtschaft stellen komplexe und vielfältige Anforderungen an die Rechtsprechung. Auch in der Justiz wird der Faktor Zeit mittlerweile als Prüfstein einer qualitativ hochwertigen Rechtsprechung betrachtet.11 Sie erwarten eine verbindliche Regelung strittiger Rechtsverhältnisse innerhalb einer angemessenen Zeitspanne. ← 20 | 21 →

A.  Anlass und Thema der Untersuchung

Am 3. Dezember 2011 ist das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) in Kraft getreten.12 Das Gesetz soll eine im deutschen Recht bestehende Rechtsschutzlücke schließen. Die bisherigen Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer haben nicht den Anforderungen der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR entsprochen. Es bestand daher konkreter gesetzlicher Handlungsbedarf.

Seit dem Sürmeli-Urteil des EGMR aus dem Jahre 2006 ist Deutschland verpflichtet, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen überlange Verfahrensdauer einzuführen.13 In der Rechtssache Herbst/Deutschland hat der EGMR schließlich festgestellt, dass in Deutschland entgegen Art. 13 EMRK kein Rechtsbehelf vorhanden ist, der geeignet ist, Verletzungen des Anspruchs auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist zu verhindern, oder der bei einer bereits eingetretenen Rechtsverletzung angemessene Wiedergutmachung gewährt.14

In der „Pilotentscheidung“ Rumpf/Deutschland führte der EGMR aus, dass mehr als die Hälfte der festgestellten Konventionsverletzungen in Deutschland die überlange Dauer gerichtlicher Verfahren betreffen.15 55 Beschwerden, die dieses Problem betrafen, waren neben der Sache Rumpf noch gegen Deutschland anhängig. Deshalb war der EGMR der Auffassung, dass die Konventionsverletzungen die Folge von strukturellen Mängeln im deutschen Rechtssystem sind und verpflichtete Deutschland dazu, innerhalb eines Jahres einen Rechtsbehelf gegen überlange Verfahrensdauer einzuführen.16 Um diese Verpflichtung zu erfüllen und die Lücke im bisherigen Rechtsschutzsystem zu schließen, hat der Gesetzgeber einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch gegen den Staat wegen der unangemessenen Dauer eines gerichtlichen Verfahrens eingeführt. ← 21 | 22 →

Dazu wurde in das Gerichtsverfassungsgesetz ein neuer Siebzehnter Titel eingefügt (§§ 198 bis 201 GVG). Nach der Gesetzesbegründung handelt es sich dabei um einen „staatshaftungsrechtlichen Anspruch sui generis“, der Nachteile infolge rechtswidrigen hoheitlichen Verhaltens ausgleicht.17

Über den Gesetzesentwurf wurde im Vorfeld bereits viel diskutiert und die Einwände gegen das ÜGRG waren nicht gering. So wurden etwa unzumutbare Belastungen der Justiz, hohe Schadensersatzforderungen und missbräuchliche Entschädigungsklagen befürchtet.18

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der systematischen Darstellung der Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen der §§ 198 ff. GVG sowie der prozessualen Gesichtspunkte der Entschädigungsregelung. Alle Probleme und Fragestellungen der Neuregelung werden umfassend diskutiert, vor allem anhand welcher Kriterien die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu bestimmen ist und wann ein Gerichtsverfahren unangemessen lange dauert. Von besonderer Bedeutung ist die in § 198 Abs. 3 GVG geregelte Verzögerungsrüge, deren Erhebung bei dem mit der Sache befassten Gericht Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch ist. Ferner ist ein wesentlicher Aspekt der Arbeit, unter welchen Voraussetzungen materielle und immaterielle Nachteile, die infolge der überlangen Verfahrensdauer entstanden sind, entschädigt werden und welche Wiedergutmachungsformen hierfür in Betracht kommen.

Der Gesetzgeber hat die Entschädigungsregelung als einheitlichen Rechtsbehelf in allen Gerichtsbarkeiten ausgestaltet hat. Die Vorschriften des GVG über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren sind – infolge der Verweisungsregelungen in den einzelnen Verfahrensordnungen – in der Arbeitsgerichtsbarkeit und den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten entsprechend anwendbar. Daher werden auch die jeweiligen Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens sowie des verwaltungs-, sozial- und finanzgerichtlichen Verfahrens in die Betrachtung miteinbezogen.

Die Rechtsprechung hat sich bereits in einigen Entscheidungen mit der Entschädigungsregelung befasst. Daher soll auch untersucht werden, wie die obersten Gerichtshöfe die Entschädigungsregelung und die unbestimmten ← 22 | 23 → Rechtsbegriffe der §§ 198 ff. GVG konkretisiert haben.19 Dabei werden sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede bei Auslegung und Anwendung der Entschädigungsregelung aufgezeigt.

Details

Seiten
246
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631763476
ISBN (ePUB)
9783631763483
ISBN (MOBI)
9783631763490
ISBN (Paperback)
9783631741436
DOI
10.3726/b14479
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Oktober)
Schlagworte
Verzögerungsrüge staatshaftungsrechtlicher Anspruch «sui generis» Unangemessene Verfahrensdauer Europäische Menschenrechtskonvention Grundrechtecharta
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien. 2018. 246 S.

Biographische Angaben

Olga-Christina Eleftheriadis (Autor:in)

Olga-Christina Eleftheriadis absolvierte das Studium der Rechtswissenschaften sowie das Begleitstudium zur Europajuristin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und an der Aristoteles-Universität Thessaloniki. Nach dem Referendariat im Oberlandesbezirk München nahm sie ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin in München auf.

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