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Bauwissen und Bauwesen im Korea des langen 18. Jahrhunderts

Strukturen, Kompetenzen und Stellenwerte in der Zentralen Administration

von Florian Pölking (Autor:in)
©2018 Dissertation XIV, 308 Seiten
Reihe: Research on Korea, Band 9

Zusammenfassung

Das Buch untersucht anhand unterschiedlicher Quellen den Stellenwert bauhandwerklichen Fachwissens in der zentralen Administration der «Chosŏn-Zeit» mit Fokus auf das 17. und 18. Jahrhundert. Hierzu analysiert der Autor zunächst die Beamtenprüfungen und ihre Inhalte sowie die Strukturen des staatlichen Bauwesens. Er untersucht auf Basis des Genres der «ŭigwe» die Projektorganisation bei Bauvorhaben im Rahmen staatlicher Legitimation. Der Autor zeigt die Manifestation des kanonisierten Wissens in den staatlichen Strukturen auf und stellt diesen anschließend die Kritiken und Vorschläge progressiver Gelehrter, der sogenannten «sirhak», gegenüber. Diese zeugen von privater Wertschätzung von bauhandwerklichem Wissen, aber vergeblichen Veränderungsbemühungen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Danksagung
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Technische Anmerkungen
  • 1. Einführung
  • 1.1 Stellenwert und Krux des staatlichen Bauwesens
  • 1.2 Ausgangslage und Argumentation des vorliegenden Bandes
  • 2. Die zentrale administrative Struktur der späten Chosŏn-Zeit
  • 2.1 Überblick über das Schulsystem
  • 2.2 Beamtenprüfungen als Eingang zur Bürokratie
  • 2.2.1 Die Literatenprüfungen: mun’gwa
  • 2.2.2 Die Gemischten Prüfungen: chapkwa
  • 2.2.3 Die Auswahlprüfung von Fähigen: ch’wijae
  • 2.3 Das bürokratische System der späten Chosŏn-Zeit
  • 2.3.1 Das System der Ämter und Ränge
  • 2.3.2 Allgemeine Struktur und Entwicklung
  • 2.4 Das Ministerium für Öffentliche Arbeiten: Kongjo
  • 2.4.1 Die Abteilungen des Kongjo: Das Sŏn’gonggam im Fokus
  • 2.4.2 Soziale Stratifikation und ihre Auswirkungen auf die Bürokratie
  • 3. Ŭigwe: eine Primärquelle der Wissenslokalisierung
  • 3.1 Zur Herausbildung eines Genres
  • 3.1.1 Die Übernahme von Koryŏ nach Chosŏn
  • 3.1.2 Zur Eigenständigkeit des Genres
  • 3.1.3 Allgemeine Charakteristika des Genres
  • 3.2 Bauŭigwe
  • 3.2.1 Organisation von Text und Projekt
  • 3.2.2 Handwerk, eine marginalisierte Basis
  • 3.2.3 Beurteilung der Rolle der Handwerker und des handwerklichen Wissens
  • 4. Der Umgang mit Handwerk: Praktische Ansichten und Einsichten
  • 4.1 Die Ilsŏngnok: Reflektion Königlicher Anerkennung
  • 4.1.1 Materielle Aspekte von Bezahlung und Belohnung
  • 4.1.2 Immaterielle Aspekte der Anerkennung handwerklicher Leistung
  • 4.2 Das mühevolle Lernen vom Norden: die neue Perspektive der sirhak
  • 4.2.1 Einige kurze Vorbemerkungen zur Praktischen Lehre
  • 4.2.2 Die aufmerksamen Beobachtungen von Hong Taeyong
  • 4.2.3 Pak Chega zum Stand des Handwerks in Korea
  • 4.2.4 Die „konstruktive“ Kritik von Chŏng Yagyong
  • 4.2.5 Schlussfolgerungen aus den Bestrebungen der sirhak
  • 5. Schlussbetrachtungen der Erkenntnisse
  • Literaturverzeichnis
  • Primärquellen
  • Sekundärliteratur
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Glossar
  • Anhang

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Danksagung

Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden um all denjenigen, die an der Erstellung einer derartigen Arbeit in jedweder Weise mitgewirkt haben, in angemessener Form zu danken. Ohne ihre Hilfe hätte ich diese in gleicher Weise anstrengende wie befriedigende Arbeit in den langen Jahren nicht fertigstellen können. Mein Dank gilt in erster Linie Marion Eggert und Christine Moll-Murata, die mir als Gutachterinnen stets mit Rat und Hinweis zur Seite gestanden und regelmäßig den Weg in Richtung auf das Ziel gewiesen haben. Ich danke darüber hinaus Eun-jeung Lee, Andreas Müller-Lee, Jörg Plassen, Felix Siegmund, Thorsten Traulsen, Barbara Wall, Dennis Würthner und Myoungin Yu und vielen weiteren lieben Kollegen, die bei vielen kurzen und längeren Gesprächen in Kolloquien, im Büro zwischen Tür und Angel, beim Mittagessen oder in gemütlicher Runde am Abend diskutiert und beraten und immer wieder hilfreich kritisiert haben. Meiner Freundin, Kollegin und langjährigen Mitbewohnerin Gwendolin Kleine Stegemann gilt darüber hinaus mein besonderer Dank für die stetige Motivation und Ablenkung, wenn es erforderlich war oder ihr erforderlich schien, häufig auch gänzlich gegen meine eigene Überzeugung.

Meine Familie hat mich stets darin bestärkt, diesen Weg weiterzugehen und zum Ende zu führen. Dank ihnen konnte ich mein Studium überhaupt erst aufnehmen und erfolgreich abschließen. Mit ihren vielen kleinen und großen Gesten haben sie mir die Freiheit gegeben, eine neue Richtung einzuschlagen und die Widmung dieser Arbeit kann dies in keinem Maße widerspiegeln. Dieser Dank gilt in besonderer Weise Sarah, deren Geduld ich sicher häufiger strapaziert habe als mir bewusst ist, und für die ich diese Anstrengungen gerne in Kauf genommen habe. ← IX | X →

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Abkürzungsverzeichnis

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Technische Anmerkungen

Ein großer Teil der koreanischen Fachtermini, insbesondere im Bereich der bürokratischen Struktur, ist bisher nicht ins Deutsche übersetzt worden, für viele Begriffe findet sich auch keine einheitlich englische oder französische Übersetzung. Nicht wenige Begriffe unterscheiden sich dazu in ihrem Bedeutungsgehalt in wechselnden historischen Kontexten. Grundsätzlich übersetze ich in den Fällen, in denen es mir aus Gründen der Zentralität, Argumentation, Kommunikabilität und dem besseren allgemeinen Verständnis notwendig erscheint, Fachtermini ins Deutsche. Dabei orientiere ich mich an den englischen Übersetzungen des sogenannten Korean History Glossary der Universität Harvard, sowie an den französischen Übersetzungen von Maurice Courant und Pierre Emmanuel Roux.1 Zum Vergleich mit dem chinesischen Kontext werden in besonderen Fällen die Einträge aus Charles Huckers A dictionary of official titles in Imperial China verwendet2.

An einer Vielzahl von Stellen werden im Text die bürokratischen Ränge (p’umgye 品階) der Chosŏn-Zeit thematisiert. Sie reichten absteigend von Stufe eins bis neun und waren jeweils in zwei weitere Stufen (chŏng 正 und chong 從) unterteilt.3 Gemäß der sinologischen Ordnung habe ich sie alphanumerisch von 1A bis 9B geordnet, um den Text flüssiger zu gestalten. Eine vereinfachte Darstellung der diesem Band verwendeten Begriffe findet sich in Tabelle 26 im Anhang.

Die Umschrift koreanischer Begriffe richtet sich nach McCune-Reischauer inklusive einiger Anpassungen. So wird aus ästhetischen Gründen auf den Bindestrich im Vornamen verzichtet, eingebürgerte und persönliche Schreibweisen werden übernommen. Gemäß der ostasiatischen Schreibweise wird bei koreanischen, chinesischen und japanischen Namen der Familienname vor dem ← XIII | XIV → Vornamen genannt, sofern keine eingebürgerte andere Schreibweise existiert. Die Lebensdaten der in der Arbeit erwähnten Personen der koreanischen Geschichte sowie Namen und Schreibweise sind wenn möglich dem Han’guk minjok munhwa tae paekkwa sajŏn (HMMTS) sowie der Personendatenbank der Academy of Korean Studies entnommen. Die Daten von Personen der chinesischen Geschichte entstammen nach Möglichkeit den Angaben in Jacques Gernets Die chinesische Welt.4 Koreanische Begriffe werden bei ihrer ersten Nennung in Umschrift gemeinsam mit ihren chinesischen Zeichen im Fließtext genannt, danach nur in Umschrift. Ausnahme bilden hier bestimmte Auflistungen und Tabellen, in denen zum Zwecke der Veranschaulichung von der Regel abgewichen wird. Chinesische Begriffe werden in Pinyin umgeschrieben. Alle Begriffe werden schließlich im Glossar aufgeführt.


1 KHG und RHAC sind erreichbar unter: https://projects.iq.harvard.edu/gpks/resources-0; [05.03.20108].

2 Hucker, Charles O., A dictionary of official titles in Imperial China (Stanford: Stanford University Press, 1985).

3 Die darüberhinausgehende noch feinere Unterteilung der einzelnen Unterstufen führt für den Zweck der Arbeit zuweit und wird, falls notwendig, an den betreffenden Textstellen selbst erläutert.In englischsprachigen Arbeiten überwiegt die Differenzierung in upper und lower. Das Rangsystem wurde üblicherweise folgendermaßen begrifflich zusammengefasst: tangsang 堂上 von 1A bis 3A, tangha 堂下 bzw. ch’amsang 參上 von 3B bis 6B, ch’amha 參下 bzw. ch’amwoe 參外 von 7A bis 9B, wobei auch hier unterschiedliche weitere historische Begriffe existieren.

4 Gernet, Jacques und Kappeler, Regine, Die chinesische Welt: Die Geschichte Chinas von den Anfängen bis zur Jetztzeit (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2011).

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1.  Einführung

Traditionellem Handwerk im Allgemeinen sowie Bauhandwerk im Besonderen wird in der Erinnerungskultur des heutigen Korea ein hoher Stellenwert zugeschrieben. Davon zeugt nicht zuletzt die große Zahl entsprechender Einträge auf der Homepage der koreanischen Cultural Heritage Administration Einen Großteil der in Südkorea als Nationalschätze ausgezeichneten Kulturgüter sind Paläste, Festungen, Tempel oder traditionelle Privat- und Aristokratenhäuser, sogenannte hanok 韓屋. Sieben der zwölf UNESCO Welterbestätten Südkoreas sind Bauwerke im engeren Sinne, dazu kommen Palast- und Tempelanlagen als Gesamtkomplexe. Einige der immateriellen Kulturschätze wiederum entstammen dem gleichen bauhandwerklichen Kontext, so die Ornamentmalerei an Gebäudedächern, Tischlerei, allgemeiner Holzrahmenbau, diverse Metallarbeiten, Webarbeiten, Seilerei, Rosshaarhutmacherei und andere.5 Nicht nur die Orte und Gebäude, sondern auch die im Kontext ihrer Herstellung erforderlichen Tätigkeiten sind in Form von Vorführungen in Museumsdörfern, Mitmachkursen bereits im Flughafen von Incheon und und im Rahmen weltweiter Werbung zu Touristenmagneten geformt geworden, die repräsentativ für Korea und zur Anerkennung seiner historischen Leistungen sowie der hinter diesen verborgenen Menschen stehen. Die vielfach erwähnte jahrhundertelange Tradition des hohen gesellschaftlichen und politischen Ansehens, das diesen unterschiedlichen Formen von Handwerk und insbesondere dem Bauhandwerk zugeschrieben wird, steht allerdings in nicht unerheblichem Gegensatz zu einer historischen konfuzianischen Prägung, durch die in besonderer Weise die Chosŏn-Zeit charakterisiert wird und die nicht zuletzt in Form des Ahnenritus selbst zum immateriellen Kulturerbe Koreas zählt. Eine große Zahl von Studien zur Gesellschaftsstruktur der Chosŏn-Zeit hat bei aller Uneinigkeit im Detail gezeigt, dass Handwerker in der sozialen Hierarchie keinen hohen Stellenwert besaßen und gemeinsam mit Bauern und Händlern höchstens in der Schicht der Gemeinen verortet werden ← 1 | 2 → können.6 Zahlreiche Untersuchungen zu den sozial höheren Schichten Aristokratie und der Mittelschicht der sogenannten Technische Spezialisten sowie zur allgemeinen Stratifikation der chosŏnzeitlichen Gesellschaft konnten bestätigen, dass Handwerker weder eine Gruppe in diesen Schichten waren, noch aufgrund unterschiedlicher Faktoren sein konnten.7 Ist somit die derzeitige Darstellung des traditionellen Handwerks und der Handwerker in Korea lediglich ein Instrument des „nation branding“, oder vielleicht nach Hobsbawm eine „invention of tradition?“8 Wie fügt sie sich ein in die von Codruta Cuc untersuchten Zusammenhänge der Bedeutung von „cultural heritage“ und seiner politischen und gesellschaftlichen Formung in der Erinnerungskultur des heutigen Südkorea?9

1.1  Stellenwert und Krux des staatlichen Bauwesens

Die in den letzten Jahre in den deutschen Medien geführte Berichterstattung zu Planungs- und Managementfehlern bei Großbauprojekten, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden, hat eine Diskussion um die Qualifikation der Beteiligten insbesondere in den höchsten Aufsichts- und Leitungsebenen ausgelöst. In besonderer Weise stellen diese Artikel die Frage nach der Eignung von Politikern für die Durchführung derartiger Vorhaben. Diese besäßen in den wenigstens Fällen einen technisch-spezialisierten Hintergrund, sondern seien in vielen Fällen ausgebildete Anwälte oder Berufspolitiker. Die Diskussion um das Management von Großbauprojekten ist jedoch nicht nur Teil öffentlicher Debatten, sondern auch wissenschaftlicher Beschäftigung innerhalb der Wirtschafts-, Politik- und Sozialwissenschaften. So veröffentlichte allein das ProjektMagazin, eines der führenden Fachportale für Projektmanagement im deutschsprachigen ← 2 | 3 → Raum, unter dem Schlagwort „Großprojekt Management“ zwischen 2002 und 2015 über 70 Artikel. Und das Institut für den öffentlichen Sektor e.V. nahm in der Frühjahrsausgabe seines Journals Public Governance das Management von Großprojekten zum Schwerpunktthema. Demzufolge stehen in gleicher Weise politisch-ökonomische wie technische Ursachen einer erfolgreichen Projektplanung und Durchführung im Weg. Letztere gründen vor allem in fehlender Erfahrung, fehlendem Fachwissen und falschen Daten.10 Nichtsdestoweniger spricht Bent Flyvbjerg vom Megaproject Paradox, womit er die Tatsache charakterisiert, dass derartig risikobehaftete Großprojekte trotz des Wissens um die hohe Fehlschlagquote stets wieder in gleicher Weise mit den gleichen Managern in Angriff genommen werden.11 Die grundsätzliche Spezialqualifikation im bautechnischen Bereich scheint für eine Managementposition bei der Durchführung von Großbauprojekten heutzutage kein Qualifikationskriterium darzustellen. Ferdinand Schuster fordert in seinem Artikel Management von Großprojekten, dass neben der Anpassung der Organisation derartiger Projekte bereits in der Planung Detailverbesserungen vorgenommen werden müssen.12 Solcherlei Probleme bei Großbauprojekten seien laut Schuster kein Merkmal der jüngsten Zeit, sondern liessen sich bis weit in die Vergangenheit zurückverfolgen, wobei er den Bau des Suezkanals Mitte des 19. Jahrhunderts als Beispiel anführt. Der vorliegende Band soll dazu beitragen, diese Diskrepanz zwischen soziopolitischem Status und staatlicher Relevanz von Bauwissen zu erklären und und mit der heutigen Darstellung einer „historischen Wirklichkeit“ in Relation zu bringen.

Derartige Großbauprojekte lassen sich bis in die frühesten Phasen der Zivilisationsgeschichte für alle Kulturen der Welt identifizieren. In Chosŏn zeugen die Palast- und Festungsanlagen, Tempel und Schreine, aber auch die Vielzahl erhaltener oder wiedererrichteter Privathäuser von der Zentralität, die Bauprojekte im staatlichen Kontext einnahmen. Darüber hinaus ist durch archäologische Untersuchungen eine Vielzahl an Großbauten und Komplexen bekannt, die aus unterschiedlichen Gründen zerstört und nicht wiederhergestellt wurden, zu deren ursprünglichem Bau jedoch umfangreiche Kenntnisse nicht nur technischer, sondern auch planerisch-organisatorischer Art existiert haben müssen. Tatsächlich war ein gesamtes Ministerium, das Ministerium für Öffentliche Arbeiten ← 3 | 4 → (Kongjo 工曹), eigens damit beauftragt, Bauarbeiten zu planen und durchzuführen sowie eine große Zahl an mit ihnen in Verbindung stehenden Aufgaben abzudecken. Diesem Minsterium waren bestimmte Gruppen von Handwerkern zugewiesen, durch deren Einsatz die Arbeiten zunächst durchgeführt wurden, und deren Anzahl in besonderen Fällen erweitert werden konnte. Diese Spezialisten bildeten die größte, die Hauptlast des Tagesgeschäfts tragende Gruppe im Personal des Kongjo, gleichzeitig waren sie im sozialen Gefüge Chosŏns und damit auch in der bürokratischen Hierarchie am unteren Ende verortet. Die Spitzenpositionen besetzten ausschließlich Mitglieder der Aristokratie, die dadurch nominell auch die Leitung von Bauprojekten innehatten. Ausgebildet in den konfuzianischen Schriften, stellt sich hier eine offensichtliche Diskrepanz zwischen benötigtem und vorhandenem Wissen dar.

1.2  Ausgangslage und Argumentation des vorliegenden Bandes

Nicht zuletzt James Palais und Martina Deuchler haben eindrucksvoll nachgewiesen, in welcher Weise sich die unterschiedlichen Statusgruppen in der frühen Chosǒn-Zeit etablierten, wie im Zeitverlauf die Stratifizierung der Gesellschaft stattfand, und auf welche Weise sie derart langlebig sein und mit der staatlichen Bürokratie verwoben existieren konnte.13 Ihre Untersuchungen und Ergebnisse sind im Laufe der Jahre durch eine Vielzahl von Arbeiten bestätigt und kritisch weiterentwickelt worden. Zentral ist die Herausbildung der sogenannten sadaebu 士大夫 (Literatengelehrten-Aristokratie), denen es in Korea, im Gegensatz zu früheren Entwicklungen in China, gelungen war, durch ihre politische wie intellektuelle Führungsposition einen Staat zu schaffen, der sowohl in seiner bürokratischen Organisation als auch in der unterliegenden Ideologie des Neokonfuzianismus darauf ausgelegt war, ihre eigene Machtposition zu sichern.14 Die Stabilität dieses Gerüsts konnte offenbar selbst durch die Zerstörungen der japanischen Invasionen von 1592–97 und der Einfälle der Mandschu 1627 und 1636 nicht nachhaltig erschüttert werden, sodass sich die bis dahin etablierte ← 4 | 5 → Elite in ihren Ämtern halten und ihre soziopolitische Stellung15 bewahren und sogar festigen konnte. Das System der sozialen Stratifikation habe sich als derart unzerrüttbar erwiesen, dass bis auf Ausnahmen die grundsätzliche soziale Schichtung der frühen Chosǒn-Zeit bis zu den sogenannten kabo-Reformen 1894–96 erhalten blieb.16 Die Ausbildung der aristokratischen Literaten-Beamten beschränkte sich auf die in den Beamtenprüfungen notwendigen Kenntnisse zum konfuzianischen Kanon und damit auf die Inhalte des Neokonfuzianismus bzw. seiner koreanischen Interpretation. Durch die gesetzlichen wie sozialen Regeln zur Beamtenprüfung sowie die schleichende Monopolisierung und Korrumpierung der Personalpolitik des Beamtenapparats drängten ab dem 17. Jahrhundert die Literatenbeamten in immer tiefere Ebenen der Bürokratie vor und besetzten dadurch Ämter in der Zentrale wie auch in den Provinzen, die ursprünglich an Spezialisten aus niedrigeren sozialen Klassen hätten vergeben werden können.17

Dieser Bollwerkcharakter zeigt sich ebenfalls aus der Perspektive der nach Anerkennung und Aufstieg strebenden mittleren sozialen Schichten. Hwang Kyung Moon konzentriert sich in seiner Monographie Beyond Birth auf die Rolle der sogenannten secondary status groups. Gemeinsam sei ihnen, dass sie eine soziale Schicht zwischen der Aristokratie der yangban und den Gemeinen, zum Beispiel Bauern und Handwerkern, bildeten, wobei sie wiederum selbst in verschiedene Gruppen unterschieden werden konnten. Sie setzten sich nach Hwang zusammen aus den chungin, den sŏŏl 庶孼 (Konkubinensöhne der yangban), rangniedrige Militärs, hyangni 鄕吏 (Provinzbeamten) und den marginalisierten Bewohnern der nördlichen Provinzen. Ihr bestimmendes Merkmal war, im Einklang mit der von Deuchler nachgewiesenen soziopolitischen Konstruktion Chosǒns, die nicht-yangban-Zugehörigkeit und ihre Restriktionen im bürokratischen System. Dabei verfügten sie jedoch über Spezialwissen, welches sie zu den ihnen zugewiesenen Aufgaben in der mittleren und unteren Beamtenebene ← 5 | 6 → fachlich befähigte und, gemäß des von Hwang geprägten Begriffs, lediglich zweitrangigen Status besaß. In diesen Positionen waren sie allerdings von derartiger Wichtigkeit, dass Hwang ihnen die zentrale Rolle bei der Abwicklung des Tagesgeschäfts der Administration in Chosǒn zuweist und ihnen ein entsprechendes Selbstbewusstsein zuschreibt.18

Was er allerdings darüber hinaus in aller Deutlichkeit feststellt ist die Tatsache, dass dieses Statusbewusstsein nicht in einem positiven Selbstbild mündete. Vielmehr beobachtet Hwang innerhalb dieser secondary status groups den Trend, selbst offiziell als Mitglieder der yangban anerkannt zu werden. Dies geschah demnach sowohl durch die Argumentation einer gemeinsamen Herkunftstradition, zurückverfolgbar bis in die Koryǒzeit, als auch in der stets wiederkehrenden Forderung nach der Möglichkeit bürokratischen, und damit verbunden sozialen Aufstiegs auf Basis von erbrachter Leistung.19 Ihre Leistungen hatten somit weder auf ihre Position innerhalb der Administration, noch auf ihr Gruppenbewusstsein im Sinne einer Emanzipation vom neokonfuzianischen Gesellschaftssystem positiven Auswirkungen. Die Anerkennung durch die Aristokratie in Form einer Anerkennung des eigenen yangban-Status (yangban chihyang ǔisik 兩班 志向 意識) scheint das Ziel in den Lebensleistungen der von ihm untersuchten Gruppen gewesen zu sein.20 Gleichzeitig zeugt die Erfolglosigkeit dieser Bestrebungen davon, dass gewisse Ausschlussmechanismen verhinderten, dass weder finanzieller Wohlstand noch Spezialistenwissen auf Gebieten, die nicht in direkter Weise mit dem als wahr definierten Wissenskanon in Verbindung standen, ein Substitut für Herkunft bzw. Blutlinie darstellten.

Details

Seiten
XIV, 308
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631778135
ISBN (ePUB)
9783631778142
ISBN (MOBI)
9783631778159
ISBN (Hardcover)
9783631772164
DOI
10.3726/b15087
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
Bauhandwerkliches Fachwissen Ŭigwe Beamtenprüfung Sirhak Chosŏn Administration Kongjo
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. XIV S., 308 S., 4 farb. Abb., 25 s/w Abb., 38 s/w Tab.

Biographische Angaben

Florian Pölking (Autor:in)

Florian Pölking studierte Koreanistik und Sinologie an der Fakultät für Ostasienwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum. Er schloss im Jahr 2016 seine Promotion in der Bochumer Koreanistik ab. Seit 2011 ist er dort als Wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt. Er lehrt Koreanische Geschichte sowie vormoderne und moderne Politik, Gesellschaft und Kultur.

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