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Psychologie im Nationalsozialismus

von Martin Wieser (Band-Herausgeber:in)
©2020 Sammelband 280 Seiten

Zusammenfassung

Dieser Band vereint jüngere Forschungsarbeiten zur Geschichte der Psychologie im Nationalsozialismus. Begriffliche und theoretische Wurzeln, die fachliche Entwicklung und die praktische Anwendung psychologischen Wissens zwischen „Machtergreifung", „Anschluss" und „totalem Krieg", aber auch Biographien von Psychologinnen und Psychologen zwischen Komplizenschaft und Verfolgung werden beleuchtet. Auch die bisher wenig beachtete Rezeption der NS-Psychologie im Ausland sowie die Nachwirkungen der NS-Zeit in der BRD kommen zur Sprache. Über alle Beiträge hinweg wird deutlich, dass der Prozess der Aufarbeitung auch im siebten Jahrzehnt nach Ende des Zweiten Weltkriegs keineswegs abgeschlossen ist, sondern ein höchst lebendiges Forschungsfeld der Psychologiegeschichte repräsentiert, dessen Erkenntnisse auch heutige Fragen und Probleme der Psychologie berühren.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title Page
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Martin Wieser: Einleitung
  • Susanne Guski-Leinwand: Psychologie als Psychopolitik im Dienste des „Ganzheitsstaates“ im Nationalsozialismus
  • Helmut E. Lück: Die Diplomprüfungsordnung für Studierende der Psychologie – eine nationalsozialistische Prüfungsordnung?
  • Wolfgang Schönpflug: Professionalisierung der Psychologie im Dritten Reich: Aufschwung oder Sackgasse?
  • Uwe Wolfradt: Emil Utitz (1883–1956) – Ein Psychologe berichtet aus dem Lager Theresienstadt
  • Armin Stock: Die verbotene Schrift. Karl Marbes „Zeitgemäße populäre Betrachtungen für die kultivierte Welt“
  • Horst Gundlach: Alexander Mitscherlich und sein Einstieg in die Psychoanalyse
  • Thomas Mayer: Konrad Lorenz und die vergleichende Psychologie. Der Versuch der Etablierung einer neuen Disziplin als Revolution der Psychologie in Deutschland vor 1945
  • Martin Wieser: Zur Geschichte der angewandten Psychologie in der „Ostmark“.
  • Annette Mülberger: Die Psychologie im Nationalsozialismus aus spanischer Sicht: Rassenideologie, Typologie und Psychotechnik1
  • Miriam Bettenhausen: Psychologie im Nachkriegsdeutschland: Kontinuität oder Neuanfang?
  • Horst-Peter Brauns: Zur Frühgeschichte des Psychologischen Instituts der Freien Universität Berlin. Personelle Kontinuität und fachliche Diskontinuität nach der NS-Zeit
  • Autorinnen- und Autoreninformationen

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Martin Wieser

Einleitung

Verpasste Chancen und kollektives Schweigen: Psychologie in Deutschland und Österreich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs

Im Jahr 1949 wurde in Zürich eine Schrift veröffentlicht, die bis heute als schärfste öffentliche Anklage gegen die Gemeinschaft deutscher Psychologinnen und Psychologen gelten kann. Die Autorin, Franziska Baumgarten, 1889 in Polen geboren, hatte viele Jahre in Berlin gelebt und sich dort während der Zwischenkriegszeit einen Namen auf dem Gebiet der angewandten Psychologie (oder „Psychotechnik“, wie sie damals genannt wurde) gemacht. Mitte der 1920er Jahre wanderte sie in die Schweiz aus, wo es ihr gelang, trotz der zahlreichen Hürden, die ihr als Frau und Praktikerin in den Weg gelegt wurden, ihre akademische Karriere fortzusetzen. Mit Entsetzen musste sie jedoch beobachten, wie sich ihre einstigen Kolleginnen und Kollegen in Deutschland und Österreich nach der „Machtergreifung“ 1933 und dem „Anschluss“ 1938 den neuen Machthabern anbiederten. Im Juni 1933 wurde in der Zeitschrift „Industrielle Psychotechnik“ ein „Aufruf“ der Herausgeber veröffentlicht, der sich an alle „Praktiker und Wissenschaftler“ richtete, „die den neuen Staat bejahen“, sich unter dem Dach der Gesellschaft für Psychotechnik neu zu formieren (Moede, Couvé & Tramm, 1933, S. 11). Vier Monate später fand der berüchtigte 13. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Leipzig statt, dessen Eröffnungsvorträge sich reihenweise in Beifallsbekundungen über den „Geist“ der neuen „Bewegung“ ergossen (Geuter, 1979). Mitgliederlisten wurden über Nacht „gereinigt“, Vereinigungen nach dem „Führerprinzip“ neu aufgestellt und politisch oder „rassisch“ unliebsame Kolleginnen und Kollegen gegängelt und vertrieben. So arrangierte sich die deutsche Psychologie sowohl auf angewandter als auch auf akademischer Ebene schnell und weitgehend widerstandslos mit den neuen „Verhältnissen“.

All dies blieb Franziska Baumgarten nicht verborgen, und nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft konnte und wollte sie sich dem rasch ausbreitenden Gestus des beredten Schweigens nicht anschließen. Wie kein anderer Text geht die Broschüre „Die deutschen Psychologen und die Zeitereignisse“, die bis heute nur in wenigen öffentlichen Bibliotheken Deutschlands und in keiner einzigen in Österreich zu finden ist, mit der ←7 | 8→psychologischen Gemeinschaft ins Gericht. Ihre „Schuld“ müsse nach Baumgarten „als kaum minder groß wie die der Techniker angesehen werden“ (Baumgarten, 1949, S. 2). Dem kriegsverherrlichenden Geist des „Militarismus“, der sich schon während des Ersten Weltkriegs bei vielen deutschen Psychologen fand, schlossen sich Lobpreisungen auf die „weitschauende, kühne und gemütstiefe“ Person Hitlers durch so namhafte Fachvertreter wie Walther Poppelreuter oder Felix Krueger an. Dem offen zur Schau gestellten Antisemitismus und Rassismus in der psychologischen Gemeinschaft standen nur einzelne leise Stimmen des Widerspruchs, wie beispielsweise des Gestaltpsychologen Wolfgang Köhler, gegenüber. Aus Baumgartens Sicht hatten sich die deutschen Psychologen als kollektive „Wegbereiter des Krieges“ betätigt und daher eines „Verrat[es] gegen den Geist, gegen die Wissenschaft von der Seele“ (ebd., S. 30) schuldig gemacht. Auch nach der Befreiung habe die psychologische Gemeinschaft keine Reue, sondern nichts als „Schweigen über die Greuel“ der vorangegangenen Jahre an den Tag gelegt. In „schweren Zeiten der Menschheit“ habe sie daher, so Baumgarten, „leider versagt“ (ebd., S. 31).

Einzig Johannes von Allesch, der erste Präsident der wieder gegründeten Deutschen Gesellschaft für Psychologie, reagierte öffentlich auf Baumgartens Anklage. Anstelle eines Schuldeingeständnisses folgten jedoch nur Beschwichtigungen: Baumgartens Anschuldigungen wies Allesch als ungerechtfertigte Verallgemeinerung zurück, als eine unwillkommene Störung auf dem Weg zurück zu „peace and order“. Zu verurteilen seien nach Allesch ausschließlich jene Einzelpersonen, die vom rechten Weg abgekommen seien: „no general condemnation of German psychology is possible. Those individuals who did go astray, we too condemn“ (Allesch, 1950, S. 402). In einer Replik auf Alleschs Verteidigung insistierte Baumgarten darauf, dass man „nicht eine Wunde [heilt], indem man sie zudeckt. Sie muss sachgemäß behandelt werden“ (zit. n. Geuter, 1980a, S. 13). Doch schien sie mit ihrem Anliegen allein auf weiter Flur zu bleiben. Ihr Appell an die Fachkolleginnen und -kollegen, die Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten, verhallte ungehört.

So ließ man die erste Gelegenheit zur Aufarbeitung still vorüberziehen, und die Wahrheit über die Verstrickung der deutschen Psychologie mit dem Nationalsozialismus blieb für lange Zeit im Dunkeln. Währenddessen wurden an so mancher Institutsbibliothek unliebsam gewordene Passagen aus den Publikationen und Konferenzberichten still und heimlich geschwärzt oder überklebt. Andere Arbeiten, wie Philipp Lerschs „Der Aufbau des Charakters“ (1938) oder Otto Tumlirz‘ „Anthropologische Psychologie“ (1939) wurden nach Kriegsende neu aufgelegt, nachdem jene Abschnitte, die politisch offensichtlich nicht mehr opportun waren, von den Autoren entfernt oder umformuliert worden waren. Anstelle ←8 | 9→moralischer Reflexionen führte man in der BRD lieber andere Debatten, über diagnostische Verfahren beispielsweise: So traten im „Methodenstreit“ der 1950er Jahre zwei gebürtige Österreicher federführend in Erscheinung. Der in Wien geborene Peter Hofstätter, der von 1938 bis 1942 als Wehrmachtpsychologe in Wien und Berlin tätig war, arbeitete von 1949 bis 1956 in Washington. Von dort aus propagierte er eine Mathematisierung der deutschen Psychologie nach dem Vorbild der US-Amerikanischen Persönlichkeitspsychologie (Hofstätter, 1953, 1956). Albert Wellek, der Ende der 1920er Jahre in Wien promoviert und ebenfalls während der Kriegszeit in der Wehrmachtpsychologie seinen Dienst versehen hatte, setzte dagegen und plädierte für den in der deutschen Ausdruckspsychologie und Ganzheitspsychologie hochgehaltenen Primat des intuitiven „Urverstehens“ (Wellek, 1956, 1959). Während nach außen hin erkenntnistheoretische und methodologische Differenzen ausgefochten wurden, wurde insgeheim eine andere Frage verhandelt: Die Frage der Legitimation jener psychologischen Methoden, die der Psychologie während der NS-Zeit zum Aufstieg verholfen hatten; Methoden, die im Zuge der Aufrüstung der Wehrmacht und nach Kriegsbeginn den entscheidenden Faktor für das institutionelle Wachstum des Faches gebildet hatten (vgl. Geuter, 1980a). Im Zuge der „Amerikanisierung“ der deutschen Psychologie trugen die aus den USA importierten experimentellen und statistischen Methoden in der BRD schließlich den Sieg davon. Die methodische Neuorientierung beruhte jedoch nicht auf moralischen, sondern auf ökonomischen Überlegungen, erhoffte man sich von den quantitativen Methoden doch einen höheren Grad der ökonomischen Verwertbarkeit psychologischen Wissens (Métraux, 1985).

Kurz darauf folgte ein Schlagabtausch zwischen Ferdinand Merz (1960, 1961) und Albert Wellek (1960) über die Verstrickung der Ganzheitspsychologie mit der NS-Ideologie. Doch auch im zweiten Jahrzehnt nach Kriegsende gelang es nicht, einen offenen und (selbst-)kritischen Diskurs über die Vergangenheit des Faches in Gang zu setzen. Sofern die Zeit zwischen 1933 und 1945 innerhalb psychologischer Kreise in den Jahren des Wiederaufbaus überhaupt zur Sprache kam, dann nur, um die „braune“ Vergangenheit konkurrierender Schulen und Lehrstuhlinhaber anzukreiden. Diese mag in vielen Fällen auch vorhanden gewesen sein – doch so lange man nicht bereit war, auch die eigene Schuld mit in Betracht zu ziehen, konnte von echter Aufarbeitung keine Rede sein. Auch innerhalb der österreichischen Psychologie zeigte sich ein ähnliches Bild: Im Windschatten des offiziellen Narrativs vom „ersten Opfers des Nationalsozialismus“ sah man auch hier über Jahrzehnte hinweg keine Veranlassung, sich systematisch mit der Entwicklung des Faches nach dem „Anschluss“ kritisch auseinanderzusetzen.

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Späte Aufarbeitung und Kritik an der Psychologie im Nationalsozialismus

Anfang der 1980er Jahre begann eine junge Generation von Studierenden und Lehrenden – viele davon aus dem Umfeld des politisch linksgerichteten Psychologischen Institutes der Freien Universität Berlin – sich systematisch mit der Geschichte der deutschen Psychologie im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen (vgl. Geuter, 1979, 1980a, 1980b; Mattes, 1980; sowie Heft 12 und 13/14 der Zeitschrift „Psychologie & Gesellschaftskritik“ aus den Jahren 1979 und 1980). Auch das Schicksal von emigrierten Psychologinnen und Psychologen erfuhr verstärkte Aufmerksamkeit (Henle, 1979; Ash, 1979, 1984). Bis zur Mitte der 1980er Jahre kam es zu einer ersten Welle an Fallstudien, biographischen Portraits und breit angelegten Untersuchungen zur Geschichte der akademischen und angewandten Psychologie und Psychotherapie in der NS-Zeit, die hier nicht vollständig aufgelistet werden können. An dieser Stelle sei nur auf die Arbeiten von Geuter (1984, 1985), die umfangreichen Herausgeberwerke von Graumann (1985) sowie Ash und Geuter (1985) und die Arbeiten von Cocks (1985) und Lockot (1985) verwiesen. Fast vierzig Jahre hatte es gedauert, bis ein Prozess der kritischen und an wissenschaftshistorischen Standards orientierten Aufarbeitung in Gang gesetzt werden konnte. Kurz darauf wurden diese Impulse durch die Arbeiten von Gerhard Benetka und Werner Kienreich auch in Österreich aufgenommen und weitergeführt (Benetka & Kienreich, 1989a, 1989b; Benetka, 1992, 1997).

Die für die deutsche Psychologiegeschichte (bis heute) maßgebliche Arbeit aus dieser Zeit bildet zweifellos die umfangreiche Studie „Die Professionalisierung der deutschen Psychologie im Nationalsozialismus“ von Ulfried Geuter (1984), deren zentrale These bereits im Titel enthalten ist: Auf universitärer als auch auf angewandter Ebene habe die deutsche Psychologie vom Aufstieg des Nationalsozialismus profitiert, da ihre Vertreterinnen und Vertreter die politischen Entscheidungsträger erfolgreich (und ohne jeden äußeren Zwang) davon überzeugen konnten, dass psychologische Wissens- und Praxisbestände für den Eroberungs- und Vernichtungskrieg und die nationalsozialistische Bevölkerungs- und Rassenpolitik nützlich seien. Den entscheidenden Motor für den Prozess der Professionalisierung bildete nach Geuter die Wehrmacht, welche seit der Wiedereinführung der Wehrpflicht und der Enttarnung der Luftwaffe Mitte der 1930er Jahre eine stetig steigende Nachfrage für eignungsdiagnostische Expertisen zeigte. Als die Wehrmachtpsychologie 1942 ←10 | 11→schlagartig aufgelöst wurde1, mussten schnell neue Praxisfelder gefunden werden, so man der Versetzung an die Front entgehen wollten. Gefunden wurden diese beispielsweise in der Rüstungsindustrie, wo psychotechnische Verfahren zur Selektion von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern eingesetzt wurden, oder in der Sozialverwaltung, wo psychologisches Wissen in die Begutachtung des „Erbwertes“ von Kindern und Jugendlichen einfließen sollte. „Belohnt“ wurde die Dienstbarkeit der Psychologie durch die Einführung der Diplomprüfungsordnung im Jahr 1941, der berufsrechtlichen Anerkennung einer genuin psychologischen Expertise (in erster Linie auf dem Gebiet der Persönlichkeitsbegutachtung und Leistungsdiagnostik) sowie der Qualifizierung für die Verbeamtung innerhalb der Wehrmacht. Um „das eigene Interesse voranzubringen“, so Geuter, versuchte die psychologische Gemeinschaft sich „in einem mörderischen Angriffskrieg mit den Spitzen von Wehrmacht, Staat, Partei und Wirtschaft zu verbünden“ (1984, S. 472). Streckenweise sei dies auch gelungen, doch der Preis für den an Tag gelegten Opportunismus bestand in der Preisgabe jeder wissenschaftlichen und beruflichen Moral. Geuter zu Folge wies die Rechtfertigungsstrategie der psychologischen Gemeinschaft – man habe nur seine Pflicht erfüllt und habe niemals jemandem etwas zu Leide tun wollen – eine bestechende Ähnlichkeit mit der Argumentation Eichmanns auf der Anklagebank in Jerusalem auf.

Spät, aber doch, sahen sich die ehemaligen Wehrmachtpsychologen durch die Kritik Geuters veranlasst, ihre Perspektive auf die Entwicklung der Wehrmachtpsychologie öffentlich zu machen. Durch die Stellungnahmen und Dokumentsammlungen von Hofstätter (1985), Renthe-Fink (1985), Flik (1988) und Fritscher (1990) wurde eine beachtliche Fülle an historischem Material zusammengetragen. Seit dieser Zeit bildet die Geschichte der Psychologie in der Wehrmacht das am umfangreichsten dokumentierte Anwendungsfeld der Psychologie zur Zeit des Nationalsozialismus. Doch trotz des umfangreichen Materials gingen die moralischen Urteile über den Einsatz von psychologischem Wissen im Krieg nach wie vor weit auseinander: Als „tragisch“ beurteilte Hofstätter die Tatsache, dass die Wehrmachtpsychologische „schon drei Jahre vor dem Kriegsende aufhören mußte“, habe sie doch „den Charakter der deutschen Psychologie“ in einem Ausmaß verändert, der „kaum hoch genug einzuschätzen sei“ (Hofstätter, 1985, S. XII). Flik bezeichnete die Eignungsprüfstellen als einen Zufluchtsort für Psychologen, die sich dem ←11 | 12→Regime gegenüber „äußerlich reserviert, innerlich weitgehend ablehnend“ verhalten hätten. Nur weil die Partei auf „eine mächtige, gut ausgelesene und ausgebildete Wehrmacht“ (Flik, 1988, S. 98) angewiesen war, habe sie sich mit der Wehrmachtpsychologie „abgefunden“, bis diese im Juli 1942 dann doch aufgelöst wurde. Noch weiter war Simoneit gegangen (1954, S. 141), der eine Nähe der Wehrmachtpsychologie zur Widerstandsbewegung vom Juli 1944 suggerierte (ohne jedoch irgendwelche Belege dafür vorzulegen). Einhellig lautete der Tenor der ehemaligen Kameraden, dass man (zumindest bis 1942) gegen die NSDAP die Stellung innerhalb der Wehrmacht behauptet hatte. So versuchten die noch lebenden Wehrmachtpsychologen, sich gegen ihre Kritiker –„Autoren, die diese Zeit nicht miterlebt haben und deshalb oft völlig falsche Meinungen darüber verbreiten“ (Flik, 1988, S. 83) – zu verteidigen, indem sie sich darauf beriefen, innerhalb der Wehrmacht nicht mehr als ihren Dienst als wissenschaftliche Experten der Eignungsdiagnostik im Militär geleistet zu haben, während man sich im Stillen von der Politik abgewandt oder sich dieser gar widersetzt habe.

Rhetorisch setzten die ehemaligen Wehrmachtpsychologen damit auf ein Narrativ des Gegensatzes von totalitärer Politik auf der einen und „pflichtbewusst-tapferer“ Wehrmacht auf der anderen Seite. Aus heutiger Sicht gilt es zu bedenken, dass zum Zeitpunkt dieser Auseinandersetzung die Kriegsverbrechen von Wehrmachtssoldaten innerhalb der deutschen und österreichischen Öffentlichkeit noch kaum diskutiert wurden. Dies änderte sich erst im Zuge der öffentlichen Kontroversen rund um die „Wehrmachtausstellungen“ zur Mitte der 1990er Jahre. Zu diesem Zeitpunkt waren die Diskussionen zwischen der aussterbenden Generation der Wehrmachtpsychologen und ihren jüngeren Kritikern jedoch schon verebbt und wurden auch anderswo nicht mehr aufgegriffen.

Auf die erste Welle breit angelegter historischer Untersuchungen folgte eine Phase der verstärkten Zuwendung zu Detailfragen, zu Fallstudien, Biographien und Analysen einzelner psychologischer Schulen und Strömungen. Für die archivarische Forschungsarbeit brachte der Fall des Eisernen Vorhangs eine erhebliche Erleichterung in Hinblick auf den Zugang zu Quellenbeständen in der ehemaligen DDR und anderen Ländern Osteuropas mit sich. So konnten beispielsweise im Fall der Psychologin Hildegard Hetzer, die im Zuge der „Germanisierung“ von Kindern im „Warthegau“ in Polen eingesetzt wurde, neue Dokumente ans Licht gebracht werden (Herrmann, 2012). Neben den kompakten Übersichtsarbeiten von Ash (2002, 2008) wurden vermehrt Studien zur Entwicklung unterschiedlicher Schulen oder Strömungen publiziert, wie der Leipziger Schule der Ganzheitspsychologie (Wolfradt, 2011), der Gestaltpsychologie (Ash, 1995, Harrington, 1996), der Rassenpsychologie (Klautke, 2007) oder der Völkerpsychologie (Klautke, 2013). Auch die Karrieren von Personen, deren Tätigkeit während der NS-Zeit ←12 | 13→lange im Dunkeln geblieben waren, konnten beleuchtet werden, wie beispielsweise Philipp Lersch (Weber, 1993), Oswald Kroh (Retter, 2001), Walther Moede (Spur, 2008) oder auch Erich Rothacker (Stower, 2012). Sowohl der Sammelband über den Werdegang von „Psychologen in autoritären Systemen“ (Herrmann & Zeidler, 2012) als auch das Personenlexikon „Deutschsprachige Psychologinnen und Psychologen 1933–1945“ (Wolfradt, Billmann-Mahecha & Stock, 2015) haben sich als besonders fruchtbare Ressourcen für die psychologiehistorische Forschung herausgestellt.

In Österreich erfuhren die Arbeiten von Gerhard Benetka, Clarissa Rudolph und Eveline List, welche die Beteiligung eines Psychologen und einer Psychologin bei der Ermordung von Kindern und Jugendlichen in der Fürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund“ aufzeigten (Rudolph & Benetka, 2007; Benetka & Rudolph, 2008; List, 2008) besondere Aufmerksamkeit. Um die Beteiligung von Igor Caruso am NS-Euthanasieprogramm am „Spiegelgrund“ entspann sich in weiterer Folge eine emotional geführte Debatte ehemaliger Studierender Carusos, die sich während seiner späteren Tätigkeit als Professor an der Universität Salzburg – ohne nähere Kenntnis seiner Vergangenheit – um den charismatischen Psychoanalytiker geschart hatten (Fallend, 2010; Shaked, 2010). An dieser Debatte zeigte sich deutlich, dass die Spätfolgen der Verstrickung der Psychologie mit dem Nationalsozialismus auch heute noch spürbar sind. Wo die Wunden besonders lange zugedeckt blieben, ist die historische Aufarbeitung – die „sachgemäße Behandlung“ sensu Baumgarten – schmerzhaft und emotional. Gerade deshalb ist sie heute um nichts weniger bedeutsam als zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Baumgartens Anklageschrift.

Neue Perspektiven und Probleme der Psychologiegeschichte

Die Fülle des seit Anfang der 1980er Jahre zusammengetragenen fachgeschichtlichen und biographischen Materials ermöglicht uns heute, ein weit differenzierteres Bild von der Gesamtentwicklung der Psychologie zwischen 1933 und 1945 zu zeichnen. Auch hat sich die Motivationslage für die Aufarbeitung teilweise verschoben: In früherer Zeit wären Texte wie das zu Lebzeiten des Autors unveröffentlichte Manuskript Karl Marbes über die psychologischen Mechanismen der Verführung der Massen durch Suggestion und Propaganda (Marbe, 2016) möglicherweise als Beleg für einen kollektiven „inneren Widerstand“ innerhalb der psychologischen Gemeinschaft interpretiert worden. Dies ist heute nicht mehr der Fall: So hoch der Mut Marbes einzuschätzen ist, Gedanken zu Papier zu bringen, die ihm das Leben oder zumindest die Freiheit hätten kosten können, wissen wir doch zur Genüge, dass er eine der ganz wenigen Ausnahmen ←13 | 14→dieser Art bildete. Es erscheint heute nicht mehr notwendig, die psychologische Gemeinschaft durch das Hervorheben Einzelner in einem besseren Licht darzustellen, denn das Gesamtausmaß ihrer Anbiederung an Staat und Partei ist heute hinlänglich bekannt. Am Beispiel Marbes zeigt sich aber auch, dass innerhalb des totalitären NS-Staates Möglichkeiten existierten hätten, psychologisches Wissen als Werkzeug der Kritik und Subversion einzusetzen.

Es war vor allem die persönliche Betroffenheit der Psychologinnen und Psychologen, die in den Jahrzehnten nach Kriegsende eine systematische Aufklärung über die Vergangenheit verhindert hatte. Zwei Generationen später stehen wir vor einer anderen, aber nicht weniger bedeutenden Herausforderung: Heute gilt es weniger, gegen die aktive und passive Verdrängung und Verleugnung anzukämpfen, als die fachliche Betroffenheit wach zu halten und die „zerstörerische Macht des Schweigens“ (Schwan, 1997) zu durchbrechen. Betroffenheit heißt nicht, Schuld für die Taten anderer zu übernehmen, sondern die Verantwortung dafür wahrzunehmen, dass aus den Fehlern der Vergangenheit berufsethische Konsequenzen für die Gegenwart gezogen und verteidigt werden. Leicht gerät die Erinnerung daran, wie die deutsche und österreichische Psychologie sich unversehens als Erfüllungsgehilfin der nationalsozialistischen Eroberungs- und Vernichtungspolitik erwiesen hatte, im Alltag des Forschungsbetriebes oder der beruflichen Praxis in Vergessenheit. In ferner Vergangenheit erscheint den jungen Studierenden heute oft jene Zeit, die sie nur aus dem Schulunterricht oder den Erzählungen ihrer Großeltern kennen lernten. Der Psychologiegeschichte obliegt es, die Erinnerung an diese Zeit lebendig zu halten, die Verbrechen, die von der psychologischen Gemeinschaft ausgegangen sind oder mitgetragen wurden, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und das ihnen Mögliche zu tun, um deren Wiederholung in Zukunft zu verhindern. So sie diesen Auftrag wahrnehmen und ihre Relevanz innerhalb des Faches behaupten will, muss die Psychologiegeschichte über die Verwaltung ihrer Archive hinausgehen und ihre Forschungsergebnisse in die universitäre Lehre integrieren. Dass ihr dies an den Psychologischen Fakultäten in Deutschland und Österreich heute kaum mehr ermöglicht wird (vgl. Allesch et al., 2015), muss auf Grundlage dieser Überlegungen sehr bedenklich stimmen. In diesem Sinne sind die in diesem Band versammelten Beiträge nicht nur als Fortführung und Vertiefung einer etablierten fachgeschichtlichen Tradition zu verstehen, sondern sollen gerade auch den Studierenden des Faches einen Einblick in die Fortschritte der psychologiegeschichtlichen Forschung der letzten Jahre vermitteln.

Im ersten Beitrag dieses Bandes geht Susanne Guski-Leinwand der Spur zweier Konzepte, der „Psychopolitik“ und des „Ganzheitsstaates“, nach, die der Autorin zu Folge während der NS-Zeit eine erstaunliche und bis dato unzureichend ←14 | 15→rekonstruierte Konjunktur erfuhren. Mit der Frage nach der Herkunft psychologischer Begriffe, die nach 1933 explizit als „Kampfbegriffe“ in einem politischen Kontext eingesetzt wurden, um eine Nähe psychologischen Denkens zur NS-Ideologie zu suggerieren, betritt die Autorin ein wichtiges und noch wenig beforschtes Feld. Besonders deutlich wird an diesem Beitrag, dass die zukünftige psychologiehistorische Forschung den Blick verstärkt über die Fachgrenzen hinaus wird werfen müssen, um sichtbar zu machen, wie und warum sich die Politisierung der Psychologie nach der „Machtergreifung“ so schnell und unverhüllt vollziehen konnte.

Die beiden folgenden Beiträge widmen sich einem Kernstück der Transformationsphase der deutschen Psychologie während der NS-Zeit: Der 1941 erstmals erlassenen Diplomprüfungsordnung (DPO). Helmut Lück zeigt einerseits die Vorgeschichte und verdeckten Machtkämpfe auf, die sich zwischen den zentralen Akteuren Oswald Kroh, Walther Moede und Heinrich Harmjanz auf dem Weg zur Verabschiedung der ersten DPO abspielten. Andererseits macht er auch auf die Kontinuitäten in den Prüfungsordnungen der folgenden Jahrzehnte aufmerksam – ein unangenehmes Faktum, dem bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Kritisch setzt sich Wolfgang Schönpflug mit dem gängigen Narrativ der „Professionalisierung“ im Anschluss an den Erlass der DPO auseinander. Laut Schönpflug habe die akademische Psychologie insgesamt betrachtet weit mehr Schaden als Nutzen von Gleichschaltung und Kriegsbeginn davon getragen, während die Prüfungsordnung aus Personal- und Ressourcenmangel an vielen Universitäten bis 1945 de facto nicht mehr umgesetzt werden konnte.

Es folgt eine Reihe biographischer Darstellungen von Psychologen, deren Lebensläufe und Karrieren während und nach der NS-Zeit bisher kaum oder nur lückenhaft und beschönigt erzählt wurden. Uwe Wolfradt schildert in seinem Porträt des Prager Psychologen Emil Utitz, der 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert wurde, nicht nur die Biographie eines Opfers rassistischer Verfolgung, sondern auch die beeindruckende Fähigkeit von Utitz, seine Erfahrungen und Beobachtungen im Konzentrationslager psychologisch zu analysieren, zu reflektieren und auf diesem Weg wohl auch teilweise eine schützende innere Distanz zu dem umfassbaren Leid zu gewinnen, das ihn dort umgab. Obwohl weniger bekannt als die Arbeiten von Viktor Frankl und Bruno Bettelheim, bezeugen die Arbeiten von Utitz und sein Konzept des „provisorischen Daseins“ einen eigenständigen psychologischen Zugang zu den Erfahrungen im Konzentrationslager, dessen Furchtbarkeit und Tragweite bis heute noch keineswegs völlig ausgeschöpft ist.

Auch Karl Marbe, Mitbegründer der „Würzburger Schule“ der Denkpsychologie und Vorreiter auf dem Gebiet der Angewandten Psychologie, war ←15 | 16→aufgrund seiner Ehe mit der „Halbjüdin“ Emilie von der „Gleichschaltung“ der Universitäten nach 1933 betroffen. Wie Armin Stock in seinem Beitrag über das vor kurzem wieder entdeckte Manuskript „Zeitgemäße populäre Betrachtungen für die kultivierte Welt“ zeigt, war Marbe ein stiller, aber kritischer Beobachter der von der NS-Führungsriege zur Kriegspropaganda und allgemeinen „Mobilisierung“ inszenierten und gelenkten „Massenerscheinungen“. Mit der Niederschrift seiner systemkritischen Gedanken bewies Marbe nicht nur seinen Mut, sondern auch das subversive Potential psychologischen Denkens, die Mechanismen der totalitaristischen Gewaltherrschaft durchschaubar zu machen.

Im Gegensatz zu den Biographien von Emil Utitz und Karl Marbe, die von Verfolgung und Repression durch die NS-Herrschaft gezeichnet waren, stehen die Lebensläufe von Alexander Mitscherlich und Konrad Lorenz. Die Studie „Die Unfähigkeit zu trauern“, 1967 von Alexander und Margarete Mitscherlich publiziert, galt als eines der wichtigsten Werke in der BRD, die das kollektive Schweigen über die Identifikation der Massen mit einem als omnipotent imaginierten Führer brachen (Mitscherlich & Mitscherlich, 1967). Wie Horst Gundlach argumentiert, bezog sich Alexander Mitscherlichs Appell nach schonungsloser Aufklärung scheinbar nicht auf seine eigene Biographie. Seine Nähe zu nationalistischen Kreisen während seiner Studienzeit wurde von ihm später verschwiegen, so Gundlach, und die wahren Hintergründe für seine Inhaftierung durch die Gestapo verschleiert.

Auch die Affinität von Konrad Lorenz, dem später weltbekannten Verhaltensforscher und Nobelpreisträger aus Österreich, zu nationalsozialistischem und antisemitischem Gedankengut bildete alles andere als ein rühmliches Kapitel seiner Biographie. Thomas Mayer zeigt, dass Lorenz‘ Anbiederung an die Rassenlehre nach 1938 nicht nur karrieristischen Motiven folgte, sondern auch gezielt als wissenschaftspolitische Strategie eingesetzt wurde, um sich im Rahmen einer von ihm avisierten „Vergleichenden Psychologie“ als Gründungsfigur einer reformierten Psychologie auf biologischer Grundlage zu positionieren.

Daran anschließend argumentiert Martin Wieser, dass die These zur Professionalisierung der deutschen Psychologie einer Revision bedarf, da auf dem Gebiet der „Ostmark“ anderen Praxisfeldern eine vergleichsweise größere Bedeutung zukam. Rüstungsindustrie, Sozialverwaltung, Gefängnisse und Arbeitslager boten psychologischen Praktikerinnen und Praktikern aus Österreich eine Reihe von Möglichkeiten, sich als dienstbar und „kriegswichtig“ zu erweisen. An welchen Orten und institutionellen Kontexten dies außerhalb des Militärs auch im „Altreich“ der Fall war, werden zukünftige Forschungsarbeiten noch zu zeigen haben.

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Eine bislang weitgehend vernachlässigte Perspektive eröffnet Annette Mülberger mit ihrem Blick auf die Rezeption der deutschen angewandten Psychologie nach 1933 in Spanien. Ihre Analyse ergibt ein komplexes und teilweise widersprüchliches Bild: Diente Spanien nach der „Machtergreifung“ noch als Zufluchtsort für viele aus politischen oder rassistischen Gründen Vertriebene, so war mit dem Aufstieg Francos im Oktober 1936 eine Phase der Annäherung der spanischen an die deutsche Psychologie eingeläutet. Einerseits zeigten die spanischen Psychologen ein großes Interesse an psychotechnischen Methoden zur Selektion und Verwaltung der „Ware“ Arbeitskraft, andererseits dominierte die Skepsis gegenüber einer Rassenideologie, die den „nordischen“ Menschentypus als den hochwertigsten aller „Rassen“ propagierte.

Die beiden letzten Beiträge des Bandes widmen sich den Nachwirkungen der NS-Zeit an den Psychologischen Instituten in Westdeutschland. Miriam Bettenhausens Beitrag sticht durch methodische Innovation hervor: Die Verbindung von archivierten Interviewmaterialien ehemaliger Studierender der Nachkriegszeit mit Fragebögen zur Einschätzung von Kontinuitäten und Brüchen in der Diplomprüfungsordnung regt dazu an, klassische wissenschaftshistorische Methoden der Archiv- und Literaturrecherche mit psychologischen Forschungsinstrumenten zu ergänzen. In wie weit der von der Autorin vorgeschlagene „mixed-methods“ Ansatz auch für andere historische Fragestellungen geeignet ist, wird noch zu zeigen sein. Deutlich macht der Beitrag aber ohne Zweifel, dass der Frage nach Kontinuitäten und Brüchen innerhalb der Psychologie in Zukunft noch differenzierter nachgegangen werden muss, als dies bisher der Fall war. Auch Horst-Peter Brauns fragt nach den Kontinuitäten innerhalb der akademischen Psychologie nach 1945, konkretisiert am Beispiel der Freien Universität Berlin. Wie Brauns zeigt, reichen die personellen und fachlichen Wurzeln und Verbindungen der Gründergeneration rund um Oswald Kroh und Eduard May bis weit nach 1945 zurück, lassen sich aber nicht simplifizierend auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 reduzieren.

So sehr sich die Perspektiven und thematischen Schwerpunkte der Beiträge auch unterscheiden, so bezeugen sie doch alle auf ihre eigene Art und Weise, dass die Aufarbeitung der theoretischen, fachlichen, praktischen und personellen Entwicklung der deutschen und österreichischen Psychologie zwischen „Machtergreifung“, „Anschluss“ und Zusammenbruch kein abgeschlossenes, sondern ein lebendiges und hochaktuelles Arbeitsfeld der Psychologiegeschichte darstellt. Nach wie vor wird unerschlossenes Archivmaterial ausgehoben, immer wieder tauchen unbekannte oder vergessene Korrespondenzen und Manuskripte aus Privatnachlässen auf, welche die historischen Akteure oft in neuem Licht erscheinen lassen. Es ist aber nicht nur das Aufspüren neuer Materialien, sondern vor allem auch ←17 | 18→die Einnahme neuer Perspektiven und die Entwicklung innovativer Fragen an das Material, die die Psychologiegeschichte voranbringen. Auch wenn hie und da zweifellos noch weiße Flecken auf der historischen Landkarte aufscheinen, ermöglicht uns die Fülle des in den letzten 40 Jahren erarbeiteten Materials zweifellos, heute ein Gesamtbild der fachgeschichtlichen Entwicklung zu zeichnen, das der Komplexität und Ambivalenz des historischen Geschehens näher kommt. Hieraus ergeben sich wiederum neue Perspektiven des biographischen und länderübergreifenden Vergleichs, die heute in umfassenderem Ausmaß möglich sind. Kurzum: Auch für die kommende Generation an Forschenden wird noch genügend zu tun sein. Ob ihnen dies innerhalb der Psychologischen Fakultäten in Zukunft noch möglich sein wird, liegt nicht zuletzt am Willen dieser Institutionen, sich zum Wert und der Notwendigkeit der historischen Aufarbeitung zu bekennen.

Abschließend soll all jenen Personen, die die Publikation dieses Bandes ermöglicht und unterstützt haben, aufrichtiger Dank ausgesprochen werden: Zum Ersten allen Vortragenden der Konferenz „Psychologie im Nationalsozialismus“, die am 27. und 28. Juli 2018 an der Sigmund Freud Privat Universität Berlin stattfand, aus deren Beiträgen dieser Band hervorging. David Becker, Gerhard Benetka und Thomas Mayer sei für die Teilnahme und Unterstützung vor Ort herzlichst gedankt. Max Rausch und Ida Sticksel erwiesen sich sowohl vor und während der Konferenz als auch bei der Vorbereitung dieses Bandes als unentbehrliche Stützen. Auch den Herausgebern der Reihe „Beiträge zur Geschichte der Psychologie“, Helmut Lück und Armin Stock, sei herzlich für die Einladung in der Buchreihe zu publizieren gedankt.

Die Publikation dieses Bandes geht auf das Forschungsprojekt „Psychologie in der ‚Ostmark‘. Zwischen Ideologie und Dienstbarkeit“ zurück, welches durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF, Projektnummer P 28119) sowie dem Zukunftsfonds der Republik Österreich (Projektcode P13-1578) gefördert wurde. Auch diesen Institutionen sei für ihre Unterstützung aufrichtiger Dank ausgesprochen.

Literatur

Allesch, J. (1950). German Psychologists and National Socialism. Journal of Abnormal and Social Psychology, 45(2), 402.

Allesch, C., Allolio-Näcke, L., Billmann-Mahecha, E., Eid, M., Fitzek, H. & Guski-Leinwand, S. et al. (2015). Memorandum zur Lage und zur Zukunft des Faches Geschichte der Psychologie. Psychologische Rundschau, 66, 176–177.

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280
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631804049
ISBN (ePUB)
9783631804056
ISBN (MOBI)
9783631804063
ISBN (Hardcover)
9783631803929
DOI
10.3726/b16224
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (November)
Schlagworte
Psychologiegeschichte Wissenschaftsgeschichte Politik Machtergreifung Ideologie Psychotechnik
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 280 S., 17 s/w Abb., 2 Tab.

Biographische Angaben

Martin Wieser (Band-Herausgeber:in)

Martin Wieser ist Assistenzprofessor für Theorie und Geschichte der Psychologie an der Sigmund Freud Privatuniversität Berlin sowie Mitarbeiter in dem Forschungsprojekt „Psychologie in der ‚Ostmark‘. Zwischen Ideologie und Dienstbarkeit" (2016-2020). Er studierte Psychologie und Philosophie in Wien, Berlin und Toronto und forscht in den Bereichen Wissenschafts- und Psychologiegeschichte, Kulturpsychologie und Theoretische Psychologie.

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Titel: Psychologie im Nationalsozialismus
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282 Seiten