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Der Limes Saxoniae

Fiktion oder Realität? Beiträge des interdisziplinären Symposiums in Oldenburg/Holstein am 21. Oktober 2017

von Oliver Auge (Band-Herausgeber:in) Jens Boye Volquartz (Band-Herausgeber:in)
©2019 Sammelband 238 Seiten
Reihe: Kieler Werkstücke, Band 53

Zusammenfassung

In seiner um 1075 verfassten «Hamburger Kirchengeschichte» berichtet Adam von Bremen vom «Limes Saxoniae», der durch Karl den Großen und andere Kaiser eingerichtet worden sei. Eine im Jahr 2017 von der Kieler Abteilung für Regionalgeschichte durchgeführte Tagung «Der ‹Limes Saxoniae› – Fiktion oder Realität?» hinterfragte diesen Quellenbericht und damit die Grenzziehung überhaupt ausgehend von interdisziplinären Standpunkten der Archäologie, Sprach- und Geschichtswissenschaft. Der vorliegende Tagungsband bündelt die Beiträge und Diskussionen dieser Konferenz zu Aspekten wie der historischen Nachweisbarkeit der Existenz dieser sächsisch-slawischen Grenze, ihres möglichen Erscheinungsbildes oder den zeitgenössischen Grenzvorstellungen. Auch Fragen nach einer Fälschungsabsicht Adams, dem Slawenbild im Frühmittelalter und der späteren Rezeption des «Limes» finden sich darin wieder.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Der Limes Saxoniae als Fakt oder Fiktion – Eine Einführung
  • Archäologische Grenzgeschichten. Sachsen, Slawen und der Limes Saxoniae
  • Mark, Linie, Interaktionsraum – Archäologische Beobachtungen zum Limes Saxoniae und zur karolingisch-ottonischen Elbgrenze
  • Mannhagen – Spuren des Limes Saxoniae?
  • Die Slawen bei Helmold von Bosau: Vorwissen, Vorurteil und eigene Erfahrung
  • Limes, confinia, marca – Zur Wahrnehmung und Bedeutung von Grenzen in der Karolingerzeit
  • Allenthalben verhaget: Über das Aussehen slawischer Außengrenzen
  • Eine Grenze Karls des Großen, um 1075 von Adam konzipiert?
  • Lauter Bömische Dörffer – Der Limes Saxoniae auf historischen Karten
  • Verzeichnis der Autoren
  • Abbildungsverzeichnis

Oliver Auge

Der Limes Saxoniae als Fakt oder Fiktion – Eine Einführung

Abstract: There is a whole range of weighty arguments which may give rise to doubts regarding the credibility of the report about a Carolingian Limes Saxoniae written by Adam of Bremen. The regional historical research – allied with the Medieval archaeology and the historical linguistics – has to cite counterarguments that it can be possible to speak of the Limes Saxoniae as a Carolingian frontier or even as a border, which formerly existed in East Holstein between Saxons and Slaves, with a clear conscience further more. The aim of the present conference transcript is to fuel the necessary and meaningful discussion on the topic with sound information and evidence.

I Der Anlass und das Programm

Am 21. Oktober 2017 veranstaltete die Kieler Abteilung für Regionalgeschichte in Kooperation mit dem Leipziger Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) sowie der Stiftung Oldenburger Wallmuseum e.V. und gefördert von der Burgenstiftung Schleswig-Holstein, der Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein, der Sparkassen-Kulturstiftung Ostholstein sowie der Marius-Böger-Stiftung in Plön in Oldenburg die sehr gut besuchte interdisziplinäre Tagung zum Thema „Der Limes Saxoniae – Fiktion oder Realität?“.1 Anlass für die selbige bildete die Frage, ob der von Adam von Bremen in seiner „Hamburger Kirchengeschichte“ bezeugte Limes Saxoniae als Grenze zwischen Slawen und Sachsen tatsächlich schon in karolingischer Zeit eingerichtet worden sein kann oder nicht. Darüber hinaus ging es grundsätzlich um die Problematik von Grenzen und Grenzräumen in jener Epoche.2

Mit dieser Tagung setzte die Abteilung für Regionalgeschichte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) ihr nun schon mehrjähriges Bestreben fort, regelmäßig publikumsoffene, wissenschaftliche Konferenzen mit landes- und regionalhistorisch relevanten Themenfeldern aus allen Zeitabschnitten der schleswig-holsteinischen Geschichte an wechselnden Orten im Land zu organisieren und durchzuführen.3 Bei der Oldenburger ←7 | 8→Zusammenkunft handelte es sich sogar um die vierte Tagung solchen Zuschnitts allein im Jahr 2017: Im März ging es in Husum um fürstliche Witwen, im Mai dann in Eutin um Eutin als vermeintliches Weimar des Nordens; im September folgte in Mölln ein Symposium zu den Burgen im heutigen Kreis Herzogtum Lauenburg. Ihr folgte im selben Jahr schließlich noch eine fünfte Tagung in Friedrichsruh zur Inkorporation Schleswig-Holsteins ins Königreich Preußen vor 150 Jahren (1867). Mit fünf solcher Regionalkonferenzen ist das Jahr 2017 bisheriger Rekordhalter; und es wird diesen Rekord gewiss einige Zeit lang erfolgreich verteidigen. Denn fünf Tagungen sind für die Logistik der vergleichsweise bescheiden ausgestatteten regionalhistorischen Abteilung der CAU dann doch eine sehr große Herausforderung, wenn nicht gar ab einem gewissen Punkt eine gewisse Strapaze. Die in jedem Fall beachtliche Anstrengung auf dem Feld der Forschungsvermittlung im Land ist überhaupt nur auf dem Wege von Kooperationen mit starken und verlässlichen Partnern denk- und realisierbar. Im Oldenburger Fall handelte es sich unter anderem, wie schon gesagt, um das Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa, kurz GWZO, in Leipzig. Das GWZO griff dabei nicht nur finanziell unter die Arme, sondern stellte mit Prof. Dr. Matthias Hardt auch ganz konkret „Man-Power“ für die Tagung zur Verfügung. Die Hilfe aus Leipzig erklärt sich durch persönliche Netzwerke – ich war für fünf Jahre Mitglied des GWZO-Beirats –, genauso aber durch die thematische Nähe der Tagung zur alltäglichen Arbeit des GWZO. Ganz ähnlich steht es um die Wahl des Tagungsortes in Oldenburg: Durch Oldenburg verlief zwar nicht der im Folgenden näher interessierende Limes Saxoniae als Grenzziehung zwischen Slawen und Sachsen. Doch stellte Oldenburg-Starigrad bekanntlich einstmals einen Zentralort slawischer Herrschaft und Kultur in Ostholstein dar, um die es im Verlauf der Tagung immer wieder auch gehen musste.4 Seit März 2010 fungiere ich als Beiratsmitglied der Stiftung Oldenburger Wallmuseum e.V., sodass die Entscheidung zugunsten Oldenburgs als Tagungsort auch von daher nahelag.5 Zahlreiche Tagungsteilnehmer standen in der Tat mit der Stiftung und dem Wallmuseum in Verbindung. Zur finanziellen Unterstützung seitens des genannten GWZO trat die Finanzspritze weiterer generöser Unterstützer, der es zur Durchführung der Tagung und zur Drucklegung des daraus hervorgehenden Tagungsbandes im geplanten Umfang bedurfte und die bereits zu Beginn namentlich aufgeführt worden sind. Allen Förderern ist die Kieler Regionalgeschichte aufrichtig dankbar!

←8 | 9→

Matthias Hardt aus Leipzig fand als Referent der Tagung schon Erwähnung. Seiner auf der älteren Mannhagentheorie basierenden und die archäologische Vergänglichkeit betreffender Verteidigungsanlagen betonenden Behandlung des Erscheinungsbildes slawischer Außengrenzen ging ein Vortrag zur grundsätzlichen Wahrnehmung und Bedeutung von Grenzen in der Karolingerzeit voran, für den erfreulicherweise der bekannte Hamburger Karolinger-Experte Prof. Dr. Hans-Werner Goetz gewonnen werden konnte. Der äußerst umtriebige Kollege Goetz befindet sich seit einiger Zeit im sprichwörtlichen „Un-Ruhestand“ und hatte sich trotz seiner zahlreichen Termine und Verpflichtungen dazu bereit erklärt, zur Tagung ins von Hamburg aus doch eher abgelegene Oldenburg zu kommen. Es mag dabei vielleicht von Vorteil gewesen sein, dass Hans-Werner Goetz und ich uns bei den zwei Reichenau-Tagungen pro Jahr im Regelfall schräg gegenüber zu sitzen pflegen, was es ihm kaum ermöglichte, meinem beharrlichen Drängeln in dieser Sache während der einstündigen Vorträge und dann folgenden einstündigen Vortragsdiskussionen auszuweichen. So oder so waren alle über seine Anwesenheit in Oldenburg hoch erfreut. Denn quellengesättigt konnte er begründen, dass die gängige Vorstellung, die Idee linearer Grenzen habe sich erst im Hochmittelalter entwickelt und vorher habe es nur dynamische Grenzsäume gegeben, so nicht zutreffend ist, was nicht ohne Folgen für die Diskussion um die Existenz eines Limes Saxoniae schon in karolingischer Zeit bleiben dürfte. Dieselbe Freude galt dem hochgeschätzten Kollegen Prof. Dr. Ludwig Steindorff, der bis zu seiner Pensionierung im Juli 2017 Inhaber der Kieler Professur für Osteuropäische Geschichte gewesen ist. Ludwig Steindorff war spontan bereit, kurzfristig für den bedauerlicherweise verhinderten PD Dr. Volker Scior, einen ausgewiesenen Kenner der Materie,6 als Ersatzredner einzuspringen und ein Referat zu den Slawen bei Helmold von Bosau zu präsentieren. Diese Flexibilität verdient große Hochachtung und allen Respekt! Freilich war Kollege Steindorff das unverhoffte Einspringen auch gerade deswegen möglich, weil er sich seit Längerem selbst intensiv mit der Geschichte der Slawen in Ostholstein befasst. Summa summarum schwankt Helmold ihm zufolge zwischen einer anfänglich negativen Darstellung der „anderen“ bzw. andersartigen Slawen und einer später differenzierteren und emphatischeren Sichtweise. Die von Helmold geschilderte Erfolgsgeschichte der Christianisierung ist laut Steindorff gleichzeitig eine Verlustgeschichte auf slawischer Seite gewesen.

Bis vor Kurzem ebenfalls von der Kieler Universität kam der nunmehr nach Süddeutschland gewechselte Mittelalterarchäologe PD Dr. Donat Wehner, der den Reigen der Vorträge eröffnete und sich der Geschichte des Limes ←9 | 10→Saxoniae von archäologischer Seite näherte. Donat Wehner und ich kennen uns über seinen langjährigen Chef und meinen geschätzten Kollegen Prof. Dr. Ulrich Müller schon seit geraumer Zeit. Seine aktive Mitarbeit bei der Oldenburger Tagung setzte eine lange Reihe fruchtbarer gemeinsamer wissenschaftlicher Aktivitäten der Kieler Regionalgeschichte und Mittelalterarchäologie geradezu nahtlos fort.7 Donat Wehners konkreten Blick auf die Limes-Archäologie mit dem Plädoyer, den Limes im Sinne einer Grenzmark oder eines mehr oder minder offen gestalteten Grenzraums bzw. als kulturell dynamischen Interaktionsraum zu verstehen, nicht aber als klar fixierte Linie, wie es Adam von Bremen suggeriert, wurde sodann vom Greifswalder Mittelalterarchäologen PD Dr. Felix Biermann mit räumlich weiter gefassten Beobachtungen zur Westgrenze des slawischen Siedlungsraums im Mittelalter sinnvoll ergänzt. Seit unseren gemeinsamen Greifswalder Tagen verbinden Felix Biermann und mich immer wieder unsere vielfältigen Arbeitsgebiete und Untersuchungsfelder. Erst jüngst erwies er sich auf unserer Tagung zu den Burgen im Kreis Herzogtum Lauenburg (2017) bzw. zur bischöflichen Burg in Schwabstedt (2018) als gern gehörte und äußerst wertgeschätzte archäologische „Allzweckwaffe“. Auch Felix Biermann unterstrich die dynamische Qualität des Limes als Misch- und Übergangszone. Der Limes Saxoniae sei seiner Meinung nach in jedem Fall keine lineare Grenzlinie gewesen. Die Erwähnung der Archäologie erlaubt es gerade an dieser Stelle, eigens den ehemaligen Leiter des Archäologischen Landesamts Schleswig-Holstein namens Prof. Dr. Joachim Reichstein zu erwähnen, der sich bereit erklärt hatte, einen Teil der Vorträge zu moderieren. Zu Joachim Reichstein, der in Oldenburg natürlich kein Unbekannter ist, pflege ich schon seit meinen ersten Tagen in Kiel eine aufrichtige kollegiale Verbundenheit, die z. B. in der gemeinsamen Durchführung der Möllner Tagung zu den lauenburgischen Burgen ihre wissenschaftlichen Früchte trug. Alle Teilnehmer jener Tagung denken gern an die nachmittägliche, anekdotenreiche Exkursion zurück! Auf Kollege Reichsteins besondere Empfehlung wurde auch der weithin bekannte Leipziger Namensforscher Prof. Dr. Jürgen Udolph zur Tagung eingeladen, der es sich – überaus ehrenvoll für die Veranstalter – trotz seiner zahlreichen Verpflichtungen auf dem Tagungsparkett und bei Funk und Fernsehen nicht nehmen ließ, nach Oldenburg zu kommen. Jürgen Udolph wollte sich ursprünglich zu slawischen Gewässer-, Flur- und Ortsnamen in Schleswig-Holstein äußern, trug dann aber allgemein zu interessanten wie aufschlussreichen Befunden der modernen Namenskunde zur Geschichte Schleswig-Holsteins bis hin zur Besiedlung Englands durch die Angelsachsen vor. Der Verweis auf slawisch-deutsche Mischtoponyme ←10 | 11→diente ihm als Argument für die Annahme enger Kontakte zwischen den verschiedenen Kulturen und zugleich für die Ablehnung der Vorstellung des Limes als starrer Grenze. Für den Tagungsband arbeitete er nun geradezu nimmermüde eine namenkundliche Erwiderung zu Matthias Hardts Beitrag aus, um die Diskussion über die spannende Mannhagen-Frage weiter anzuheizen. Zu guter Letzt trat seinerzeit Günther Bock aus Großhansdorf als Referent ans Rednerpult. Er ist ein unermüdlicher Geschichtsforscher, der durch seine autodidaktische Akribie und Kritikfreudigkeit schon manches fest fundiert geglaubtes landeshistorisches Gedankengebäude wieder in Bewegung gebracht hat. Er war es auch, der zuletzt gut begründet Zweifel an der karolingischen Authentizität des Limes Saxoniae erhob. Sein betreffender Aufsatz, im Jahrbuch für den Kreis Stormarn 2013 publiziert, regte überhaupt erst einmal dazu an, auf einer Tagung näher über das Problemfeld zu diskutieren.8 Sein Oldenburger Vortrag wiederholte im Wesentlichen nochmals die Kernthese einer Geschichtsfälschung Adams von Bremen im Auftrag Erzbischof Adalberts, um die Bistumsgrenzen weiter nach Osten zu verlegen und damit die eigenen Einnahmen auf Kosten etwa der Billunger zu vergrößern.

Die hier kurz skizzierten Oldenburger Vorträge wurden nunmehr inhaltlich, abgesehen von der genannten Ausnahme des Beitrags von Jürgen Udolph, weitgehend unverändert für diese Veröffentlichung zu Aufsätzen mit zugehörigem Anmerkungs- sowie Quellen- und Literaturapparat ausgebaut. Ergänzt werden sie durch den im Nachgang verfassten Beitrag meines bewährten Mitarbeiters Jens Boye Volquartz, worin er der bisher in diesem Umfang noch nie gestellten, gleichwohl stets im Raum stehenden Frage nachgeht, seit wann überhaupt der – vermeintliche – Verlauf des Limes Saxoniae einen Niederschlag in publizierten Kartenwerken fand. Im Raum steht diese Frage aber gerade deshalb, weil eine breite Rezeption des Limes Saxoniae ganz wesentlich auf dem über Karten zur Geschichte Nordalbingiens vermittelten Weg erfolgte.

Bevor einführend auf den Ausgangspunkt der Tagung, nämlich die Frage von Fiktion oder Realität des Limes, näher einzugehen sein wird, sei an dieser Stelle noch den Frauen Frederieke Maria Schnack, Hilke Niemann, Nele Dittrich und Lisa Bittner sowie den Herren Claudius Loose, Henning Andresen, Stefan Brenner und Jan Ocker vielmals gedankt, die als Hilfskräfte der Kieler Regionalgeschichte die Durchführung der Tagung tatkräftig unterstützten oder ebenso engagiert bei der Redaktion der Texte mithalfen. Zu guter Letzt danke ich an dieser Stelle meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter und seinerzeitigem „Tagungsmarschall“ Jens Boye Volquartz. Durch seine eigene ←11 | 12→Vortrags- und Publikationstätigkeit längst kein Unbekannter in Oldenburg und Umgebung mehr,9 hat er die ihm obliegende Aufgabe der Tagungsvorbereitung und -organisation zu aller Zufriedenheit gemeistert und war mir bei der Drucklegung der Tagungsbeiträge eine große Hilfe. Nicht zuletzt deswegen fungiert er mehr als berechtigt als Mitherausgeber dieses Bandes.

II Der Forschungsstand zum Limes Saxoniae

Um was aber geht es im Folgenden überhaupt? Was ist das Ausgangsproblem? Der karolingische Limes Saxoniae gehört bekanntlich bis heute zum festen Bestandteil jeder Gesamtdarstellung zur mittelalterlichen Geschichte Schleswig-Holsteins.10 Zahlreiche Kartenbilder bringen seinen wahrscheinlichen oder vermeintlichen Verlauf näher;11 teilweise verweisen sogar in der Gegenwart aufgestellte Schilder oder gesetzte Grenzsteine auf selbigen.12 Die betreffenden Urheber beziehen sich dabei auf eine lange und von den beteiligten Namen her überaus ehrwürdige Reihe von Geschichtsschreibern und Landeshistorikern, die sich zur Geschichte des Limes geäußert haben. Erstmalig beschrieb der schon erwähnte Kleriker und Chronist Adam von Bremen um 1075 seinen Verlauf und stellte seiner Beschreibung desselben folgende, aus dem Lateinischen ins Hochdeutsche, wie folgt, übersetzte Bemerkung voran: Auch habe ich eine Festlegung der sächsischen Grenze jenseits der Elbe durch Karl und andere Kaiser gefunden […].13 Darauf nahm als einer der ersten hierzulande Caspar Danckwerth in seiner berühmt gewordenen „Newen Landesbeschreibung“ von 1652 Bezug, wenn er schreibt: Hie erfordert es der Ort, die alte Grentze des NordElbischen Sachsenlandes nach dem Osten zubeschreiben […], welche zwar Adamus setzet […], aber mit dermassen dunckeln Namen, daß sie scheinen lauter Bömische Dörffer seyn, wie man im Sprichwort redet.14 1821 erschien die erste ←12 | 13→eigenständige Publikation zum Limes Saxoniae aus der Hand eines Altonaer Justizrats namens Georg Philipp Schmidt.15 Ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert folgten zahlreiche Publikationen in monographischer oder Aufsatzform zur Geschichte des Limes Saxoniae. Erwin Assmann,16 Franz Engel,17 Hermann Hofmeister,18 Herbert Jankuhn,19 Walther Lammers20 oder Lauritz Weibull21 und viele andere mehr gehören zu deren Verfassern. Ging es dabei anfangs verstärkt um die Klärung der Frage, ob dieser Limes ein von Burgen geschützter, befestigter Grenzwall nach dem Muster des römischen Limes in Süddeutschland gewesen sei – von dieser älteren Vorstellung hat sich die Forschung aufgrund der archäologischen Fehlanzeigen allseits verabschiedet, und man stellt sich den Limes Saxoniae nunmehr als eine Art Ödlandgrenzstreifen vor –, spielte in den Arbeiten immer wieder auch die Diskussion seines genauen Verlaufs und, damit verbunden, die Auseinandersetzung um die von Danckwerth angeführten böhmischen Dörfer eine wichtige Rolle.22 Gemeinhin hat man sich auf einen Verlauf von der Elbe bei Lauenburg nach Oldesloe, dann weiter entlang der Trave nach Norden bis zum Bereich westlich des Plöner Sees und zuletzt bis zur Schwentine und ihrem Mündungsbereich in die Ostsee bzw. die Kieler Förde geeinigt.23 Diskussionswürdig war lange Zeit auch die Frage, wann bzw. wie lange dieser Limes denn überhaupt Bestand hatte, wobei die Maximaldatierung von der Zeit der Karolinger bis zur Christianisierung und Kolonisierung Wagriens im 12. Jahrhundert,24 die Minimaldatierung von 818/22 bis etwa 840 reichte.25 ←13 | 14→Für ihre jeweilige Argumentation zogen die Autoren parallel die Erwähnung von praefectos Saxonici limitis in den fränkischen Reichsannalen zum Jahr 81926 sowie eine Urkunde des Salierkönigs Heinrich IV. von 1062 heran, worin die Bestimmung […] salvo per omnia et intacto Saxoniae limite […] (dabei bleibt in jeder Beziehung ausgenommen und unangetastet der Limes Saxoniae) Aufnahme fand.27

Schon öfter ist freilich überhaupt die Faktizität des karolingischen Limes Saxoniae angezweifelt worden, ohne dass die zum Zweifel veranlassenden Argumente jemals einhellig anerkannt oder auch nur allgemein zur Kenntnis genommen worden sind. Das führte zum Beispiel zu dem merkwürdigen Sachverhalt, dass im „Lexikon des Mittelalters“ Wolfgang Metz zwar unter dem Lemma „Grenze“ von Adams Limes Saxonicus als einer Fälschung aus dem 11. Jahrhundert spricht,28 Lothar Dralle aber in seinem im gleichen Lexikon speziell zum „Limes Saxoniae“ abgedruckten Artikel einen solchen Verdacht mit keiner Silbe erwähnt.29 Auch kein Querverweis verbindet beide Lexikonbeiträge, sodass man erstere zur Vorsicht mahnende Erwähnung des Limes eher zufällig findet. Ausgehend von allenfalls vorsichtig geäußerten bzw. nicht näher erläuterten Zweifeln bei Arthur Gloy, dies schon 1892,30 und aufbauend auf tief schürfender Kritik von Weibull von 1931/3331 sowie Wolfgang Fritze aus dem Jahr 1958/61,32 ging als Erster der Archäologe Manfred Gläser in seiner Hamburger Dissertation von 1983 ausführlicher, aber immer noch sehr vorsichtig und sensibel auf die Frage nach der Zuverlässigkeit von Adams Limes-Bericht ein.33 Als Argumente, die an dessen Glaubwürdigkeit zweifeln lassen, führt Gläser erstens an, dass es sich, nach Weibull, bei Adams Limes-Bericht anscheinend um eine Interpolation des Bremer Chronisten selbst handelt, was auf die Verfolgung anderer Ziele hindeute als das bloße Bedürfnis einer sachlichen Informationsmitteilung.34 ←14 | 15→Zweitens habe der vermeintliche Limesverlauf bereits in mittelslawischer Zeit nachweislich keine Volksgrenze markiert; eine nur kurzzeitige Existenz des Limes, die diesen Sachverhalt noch miterklären könnte, hätte Adam eigentlich bekannt sein müssen. Mit Fritze verweist Gläser sodann drittens darauf, dass Adams Bericht auffällig anderen Diözesangrenzbeschreibungen des 11. Jahrhunderts ähnlich sei und dass auch die Lautgestalt der benutzten topographischen Namen auf seine Entstehung zur selben Zeit hinweise. Viertens hinterfragt Gläser die Wahrscheinlichkeit einer Ortskenntnis der karolingischen Seite zu einer derartig detaillierten Grenzziehung. Auch sei fünftens Adam der einzige Chronist, der die Nachricht vom Limes Saxoniae überliefere. Helmold schweige auffallend dazu, und die schon angeführte Erwähnung der Präfekten des Limes Saxonicus in den fränkischen Reichsannalen könne sich auf einen anderen Grenzverlauf an der Elbe beziehen.35 Als sechstes Argument führt Gläser schließlich die Existenz von vier Burgen, der Ertheneburg, des Sirksfelder Wallbergs, der Nütschauer Schanze sowie der Belauer Burg, ins Feld, die mit dem Limes in gewisser Weise korrespondieren, aber keine Erwähnung bei Adam finden würden. Einen möglicherweise fiktiven Limes-Bericht Adams möchte Gläser in dem, „[…] wenn auch vergeblichen Versuch […]“ motiviert sehen, die Hamburger Bistumsgrenze „[…] zuungunsten der Oldenburger Bischöfe nach Osten zu verlegen“.36

Ausdrücklich betont Gläser in seiner Dissertation, dass er keineswegs den Versuch unternehmen möchte, „den Chronisten Adam als Fälscher zu entlarven“.37 Faktisch macht er dies allerdings durchaus, freilich ohne dass seine aufmerksamen Beobachtungen seinerzeit einen irgendwie erkennbaren Nachhall fanden. Abgesehen vom genannten Metz sprach erst wieder Günther Bock, noch 1996 von der Existenz der Limes-Grenze überzeugt und um Klärung seines konkreten Verlaufs und seiner Bedeutung zwischen Bille und Trave bemüht,38 2013, spürbar beeinflusst von Gläsers Gedankenführung, ganz offen von einer Fälschung, „[…] die aus höchst materiellen Interessen im dritten Viertel des 11. Jahrhunderts von Erzbischof Adalbert und seinem Scholasten (!) Adam in die Welt gesetzt wurde“.39 Bock meint damit konkret die angebliche Absicht Adams, „[…] die Zuständigkeit seines Erzbischofs auf Kosten der Suffraganbistümer Ratzeburg und Oldenburg […]“ auszudehnen.40 Auf den weiteren Diskussionsbedarf bezüglich dieser also durchaus ←15 | 16→schon älteren Fälschungsthese wies dann Oliver Auge 2014 – gewissermaßen im Vorgriff auf die Oldenburger Tagung aus dem Jahr 2017 – in einer Publikation zur Migrationsgeschichte im Ostseeraum hin.41

Es existieren eine ganze Reihe gewichtiger Argumente, die zu Zweifeln an der Glaubwürdigkeit von Adams von Bremen Bericht über einen karolingischen Limes Saxoniae veranlassen können. Um weiterhin guten Gewissens vom Limes Saxoniae als einer karolingischen oder überhaupt einer ehemals zwischen Sachsen und Slawen in Ostholstein existierenden Grenze sprechen zu können, ist die regionalhistorische Forschung im Verein mit der Mittelalterarchäologie und historischen Sprachforschung gehalten, ebenso gewichtige Gegenargumente ins Feld zu führen. Die notwendige und sinnvolle Diskussion hierüber mit fundierten Hinweisen und Beweisen zu befeuern, ist Ziel des vorliegenden Tagungsbandes.

Oliver Auge, Kiel 2018

Quellen- und Literaturverzeichnis

Gedruckte Quellen

Adam von Bremen, Hamburgische Kirchengeschichte, hg. von Bernhard Schmeidler. 3. Aufl., Hannover/Leipzig 1917 (MGH SS rer. Germ. 2).

Casper Danckwerth/Johannes Mejer, Newe Landesbeschreibung der zwey Hertzogthümer Schleswich und Holstein […]. Husum 1652.

Die Urkunden der Deutschen Könige und Kaiser. Die Urkunden Heinrichs IV., hgg. von Alfred Gawlik und Dietrich von Gladiss. O.O. 1941–1978 (MGH DD H IV).

Magister Adam Bremensis, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, hg. von Werner Trillmich. In: Rudolf Buchner/Werner Trillmich (Hgg.): Quellen des 9. und 11. Jahrhunderts zur Geschichte der Hamburgischen Kirche und des Reiches. 5. Aufl., Darmstadt 1978 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 11), S. 137–499.

Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte. Bd. 1: Die Reichsannalen; Einhard Leben Karls des Großen; Zwei „Leben“ Ludwigs; Nithard Geschichten, hg. von Reinhold Rau. Darmstadt 1955 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters; Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 5).

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Darstellungen

Andresen, Henning/Brenner, Stefan: Der Limes Saxoniae – Fiktion oder Realität? Tagungsbericht vom 21. Oktober 2017. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 94 (2018), S. 27–31.

Assmann, Erwin: Salvo Saxoniae limite. Ein Beitrag zum Problem des Limes Saxoniae. In: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 77 (1953), S. 195–203.

Auge, Oliver: Ostseeraum. In: Borgolte, Michael (Hg.): Migrationen im Mittelalter. Ein Handbuch. Berlin 2014, S. 193–207.

Auge, Oliver: Fruchtbarer Austausch – Wissenschaften im Dialog. In: Stiftung Oldenburger Wall e. V. [Hg.]: 40 Jahre Stiftung Oldenburger Wall e. V., 30 Jahre Oldenburger Wallmuseum. Oldenburg in Holstein 2018, S. 30–36.

Bock, Günther: Studien zur Geschichte Stormarns im Mittelalter. Neumünster 1996 (Stormarner Hefte 19).

Bock, Günther: Der ‚Limes Saxoniae‘ – keine karolingische Grenze! In: Jahrbuch für den Kreis Stormarn 31 (2013), S. 13–30.

Budesheim, Werner: Überlegungen zum Limes Saxoniae im Gebiet des Kreises Herzogtum Lauenburg nach der Quelle Adams von Bremen. In: Lauenburgische Heimat. Zeitschrift des Heimatbund und Geschichtsvereins Herzogtum Lauenburg N.F. 96 (1979), S. 1–76.

Budesheim, Werner: Der „Limes Saxoniae“ in Stormarn – die Grenze des fränkischen Reichs nördlich der Elbe gegen die Slawen. In: Denkmalpflege im Kreis Stormarn, Bd. 2. Neumünster 1989 (Stormarner Hefte 14), S. 222–242.

Degn, Christian: Schleswig-Holstein. Eine Landesgeschichte. Historischer Atlas. 2. Aufl., Neumünster 1995.

Dralle, Lothar: Art. „Limes Saxoniae“. In: Lexikon des Mittelalters 5. Stuttgart 1999, Sp. 1992.

Engel, Franz: Die mittelalterlichen ‚Mannhagen‘ und das Problem des Limes Saxoniae. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 88 (1951), S. 73–109.

Ernst, Raimund: Die Nordwestslaven und das fränkische Reich. Beobachtungen zur Geschichte ihrer Nachbarschaft und zur Elbe als nordöstlicher Reichsgrenze bis in die Zeit Karls des Großen. Gießen/Berlin 1976 (Osteuropastudien der Hochschulen des Landes Hessen, Reihe 1; Giessener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens 74).

Fritze, Wolfgang Hermann: Zur Frage des Limes Saxoniae. In: Bersu, Gerhard (Hg.): Bericht über den V. Internationalen Kongress für Vor- und Frühgeschichte Hamburg vom 24. bis 30. August 1958. Berlin 1961, S. 292.

Details

Seiten
238
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631786147
ISBN (ePUB)
9783631786154
ISBN (MOBI)
9783631786161
ISBN (Hardcover)
9783631760826
DOI
10.3726/b15459
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (August)
Schlagworte
Adam von Bremen Karl der Große Frühmittelalterliche Grenzen Grenzwahrnehmungen Nordalbingien
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 238 S., 6 farb. Abb., 13 s/w Abb., 1 Tab.

Biographische Angaben

Oliver Auge (Band-Herausgeber:in) Jens Boye Volquartz (Band-Herausgeber:in)

Oliver Auge studierte Geschichte und Lateinische Philologie in Tübingen. Die Promotion erfolgte ebenfalls in Tübingen, die Habilitation in Greifswald. Er ist Professor für Regionalgeschichte mit Schwerpunkt zur Geschichte Schleswig-Holsteins in Mittelalter und Früher Neuzeit an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Jens Boye Volquartz studierte Geschichte und Politikwissenschaft an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald sowie Mittelalterstudien an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt „Kleinburgen in Schleswig-Holstein" an der Abteilung für Regionalgeschichte mit Schwerpunkt zur Geschichte Schleswig-Holsteins in Mittelalter und Früher Neuzeit an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

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Titel: Der Limes Saxoniae
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