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Rechtfertigender Notstand zur Erhaltung von Arbeitsplätzen?

Zur Notstandsfähigkeit des Interesses an der Arbeit

von Florian Richter (Autor:in)
©2019 Dissertation 434 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch untersucht die Frage, inwieweit die Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gerechtfertigt sein kann, wenn diese Begehung dem Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes oder fremder Arbeitsplätze dient. Dazu geht es zunächst dem geschichtlichen Bedeutungswandel von Arbeit nach. Es folgt eine kurze Bestandsaufnahme von Rechtsprechung und Literatur, bevor die Regelung des rechtfertigenden Notstandes in § 34 StGB vorgestellt wird. Einen Schwerpunkt bildet in der Folge die Untersuchung, an welchen Stellen der nationalen und internationalen Rechtsordnung das Interesse Arbeit Anerkennung gefunden hat. Mit diesen Ergebnissen widmet sich die Untersuchung schließlich der Subsumtion konkreter Fallgestaltungen und Beispielsfälle unter § 34 StGB.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Ãœber das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Fragestellung und Untersuchungsgegenstand
  • II. Veranschaulichende Fälle
  • III. Gang der Untersuchung
  • B. Zur Bedeutung der Arbeit für den Menschen
  • I. Das Verständnis von Arbeit im Wandel vergangener Zeiten
  • 1. Antike
  • 2. Mittelalter
  • 3. Aufklärung und die klassischen Ökonomen
  • 4. Industrialisierung ab dem 19. Jahrhundert und Neuzeit
  • 5. Zusammenfassung
  • II. Das Verständnis und der Wert von Arbeit heutzutage
  • III. Die Bedeutung der Arbeitslosigkeit
  • IV. Arbeit als reines Vermögensinteresse?
  • 1. Der Bezug zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht
  • 2. Bezug zur Gesundheit
  • V. Eine vorläufige Definition für das Arbeitsinteresse
  • C. Rechtfertigung des Arbeitnehmers
  • I. Allgemeines
  • II. Rechtfertigung wegen Handelns auf Weisung
  • 1. Die Situation im öffentlichen Recht
  • 2. Das Weisungsrecht des privaten Arbeitgebers
  • 3. Zwischenergebnis
  • III. Rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB)
  • 1. Bestandsaufnahme
  • 2. Die Regelung des § 34 StGB
  • 3. Behandlung des Problems als Fall des Nötigungsnotstandes
  • D. Die Kodifizierung des Interesses Arbeit im nationalen und internationalen Kontext als Indikator für dessen rechtlichen Stellenwert
  • I. Recht auf Arbeit
  • 1. Der mögliche Inhalt eines Rechts auf Arbeit
  • 2. Exkurs: Die sog. sozialen Grundrechte
  • 3. Geschichtliche Entwicklung
  • 4. Der „aktuelle“ Stand der juristischen Diskussion unter dem Grundgesetz
  • 5. Ein erstes Fazit
  • II. Europäisches und Internationales Recht
  • 1. Völkerrechtliche Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation
  • 2. Recht auf Arbeit als Menschenrechtsmaterie
  • 3. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
  • 4. Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung des EGMR
  • 5. Europäische Sozialcharta (ESC)
  • 6. Zwischenergebnis
  • III. Recht der Europäischen Union
  • 1. Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer vom 9.12.1989
  • 2. Die Europäischen Verträge (EUV und AEUV)
  • 3. Die EU-Grundrechtecharta
  • 4. Zwischenergebnis
  • IV. Nationales Verfassungsrecht
  • 1. Die Berufsfreiheit in Art. 12 GG
  • 2. Das Sozialstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG und 28 Abs. 1 GG
  • 3. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht in Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG
  • 4. Art. 109 Abs. 2 GG
  • 5. Zwischenergebnis
  • V. Einfaches Gesetzesrecht
  • 1. Sozialgesetzbuch
  • 2. Das Arbeitsrecht als Ausprägung des Rechts der Arbeit
  • 3. Kündigungsschutz
  • 4. Der Beschäftigungsanspruch
  • VI. Exkurs: Das Recht am Arbeitsplatz im Zivilrecht
  • 1. Ablehnende Meinungen
  • 2. Zustimmende Meinungen
  • 3. Die Rechtsprechung
  • 4. Analyse und Übertragbarkeit auf die hiesige Fragestellung
  • VII. Zwischenergebnis
  • E. Anwendung der Notstandsregel auf den drohenden Arbeitsplatzverlust
  • I. Das Erhaltungsinteresse
  • 1. Der Arbeitsplatz als Erhaltungsrechtsgut
  • 2. Der Grundfall: Das reguläre, unbefristete Arbeitsverhältnis
  • 3. Das befristete Arbeitsverhältnis
  • 4. Die unterlassene Beförderung
  • 5. Das Schwarzarbeitsverhältnis
  • 6. Die Erhaltung fremder Arbeitsplätze
  • 7. Implizit betroffene Rechtsgüter
  • II. Die gegenwärtige Gefahr
  • 1. Zum Maßstab der Gefährlichkeit
  • 2. Zur Gegenwärtigkeit der Gefahr
  • 3. Die gegenwärtige Gefahr in den Nötigungskonstellationen
  • 4. Die gegenwärtige Gefahr in den sonstigen Fällen
  • III. Keine anderweitige Abwendbarkeit
  • 1. Die Nötigungskonstellationen
  • 2. Sonstige Fälle
  • IV. Die Interessenabwägung
  • 1. Rangverhältnis der kollidierenden Rechtsgüter
  • 2. Ausmaß der konkret drohenden Rechtsgutsverletzungen
  • 3. Grad der drohenden Gefahr
  • 4. Größe der Rettungschance
  • 5. Gefahrtragungspflichten und Vorverschulden
  • 6. Individualisierung der Interessen
  • 7. Abschließende Verfahrensregelungen
  • V. Subjektives Rechtfertigungselement
  • VI. Exkurs: Irrtümer
  • VII. Zwischenergebnis
  • F. Exkurs: Unzumutbarkeit sorgfaltsgemäßen Verhaltens
  • I. Einordnung der Figur
  • II. Voraussetzungen
  • III. Anwendung
  • IV. Ausblick
  • G. Ergebnis
  • I. Zusammenfassende Thesen
  • II. Lösung der Ausgangsfälle
  • Literaturverzeichnis

←14 | 15→

A. Einleitung

I. Fragestellung und Untersuchungsgegenstand

Die vorliegende Arbeit soll die Frage untersuchen, inwieweit die Begehung von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten gerechtfertigt sein kann, wenn sie dem Ziel des Erhalts von Arbeitsplätzen dient. Dabei kann es einmal um den Fall des Erhalts des eigenen Arbeitsplatzes gehen; dies wird in der Regel Fallgestaltungen betreffen, in denen der Arbeitnehmer zu einem rechtswidrigen Verhalten unter Kündigungsdrohung angewiesen wird; zum anderen kann es Fallgestaltungen geben, in denen auch oder nur fremde Arbeitsplätze erhalten werden sollen, die etwa wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Arbeitgebers bedroht sind.

Dagegen wird nicht umfassend untersucht, inwieweit eine Entschuldigung etwa unter dem Aspekt der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens in Betracht kommt. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist also allein die Frage einer möglichen Rechtfertigung. Diese Schwerpunktsetzung rechtfertigt sich selbst wiederum dadurch, dass auf Rechtfertigungsebene eine umfassende Lösung für alle Deliktsformen gefunden werden kann; dagegen wird die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens überwiegend auf Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikte beschränkt.

Im Hinblick auf die oben genannte Fragestellung wird die Problematik, inwieweit Weisungen im privatwirtschaftlichen Bereich rechtfertigend (oder entschuldigend) wirken können, ebenfalls nicht in aller Breite erörtert. Diese Thematik ist zwar bisher dogmatisch noch wenig erforscht, böte diesbezüglich also ein reiches Betätigungsfeld; allein: Das Ergebnis wäre mehr als absehbar. Kann die Befolgung einer Weisung, die zu einer Straftat führt, schon im hierarchischen Beamtenverhältnis nicht strafbefreiend wirken, kann sie es im privatwirtschaftlichen Bereich noch weniger.1 Allerdings lassen sich aus den diesbezüglichen ausdrücklichen Regelungen des öffentlichen Rechts durchaus inhaltliche und systematische Schlüsse ziehen, die in die hiesige Untersuchung einfließen werden.

Reizvoller ist dagegen eine Untersuchung der Frage anhand des rechtfertigenden Notstandes, da das Institut selbst bereits in gewisser Weise ein Kuriosum ←15 | 16→ist – bietet die Vorschrift rein ihrem Wortlaut nach doch eine Rechtfertigungsmöglichkeit für jegliche Straftat zugunsten jeglichen Erhaltungsinteresses und stellt damit scheinbar die gesamte Rechtsordnung unter „Notrechtsvorbehalt“.2 Warum sollte sich nun nicht auch der Arbeitsplatz im Rahmen dieser Vorschrift als Erhaltungsinteresse durchsetzen können?

Soweit diese Frage bisher in der Literatur erwähnt wird, wird eine Rechtfertigung meist ohne nähere Begründung abgelehnt; allenfalls erfolgen Verweise darauf, dass es nur um ein materielles Interesse gehe; verhungern müsse infolge unserer Sozialsysteme jedenfalls niemand. Zudem könne der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erheben.3 Diese Einwände erscheinen zunächst zu bequem, erhoben von Professoren oder Richtern, die eben gerade das haben, worum es zu diskutieren gilt: Arbeit. Und zwar relativ sichere Arbeit. Schon ein kurzes Gedankenspiel ergibt zumindest für den Autor dieser Untersuchung, dass er sich ein Leben ohne Beruf und Arbeit nicht vorstellen möchte – mögen Freizeit und Urlaub gerade in arbeitsreichen Zeiten kurzfristig auch noch so verlockend sein, so erschiene ein Leben, das nur mehr daraus bestehen würde, ein wenig sinnleer. Was darüber hinaus die Beurteilung der hiesigen Fragestellung angeht: Welcher Jurist hat denn in eigener Person schon einmal die Erfahrung gemacht, unter Kündigungsdrohung zu einem rechtswidrigen Verhalten gezwungen zu werden? Dagegen werden ganze Bevölkerungsschichten tatsächlich von der Angst vor Arbeitslosigkeit umgetrieben – auch und gerade im Wohlstandsland Deutschland. Ein Strafrecht, das dem Bürger nicht willkürlich erscheinen und verhaltenssteuernde Kraft entfalten soll, muss auf solche sozialen Realitäten, auf die Bedürfnisse und Wertvorstellungen in einer Gemeinschaft Rücksicht nehmen,4 es ist „an den Plausibilitätshintergrund seiner Zeit gebunden“.5

Und trotzdem darf die Gegenseite nicht ausgeblendet werden, schließlich gibt es meist einen individualisierbaren Belasteten, auf dessen Kosten der Arbeitsplatz gerettet würde. Und selbst, wo es scheinbar keinen konkret Betroffenen gibt (wie etwa bei abstrakten Gefährdungsdelikten oder Eingriffen in Rechtsgüter der Allgemeinheit), bleibt doch die Erkenntnis, dass ein Strafrecht bei aller Rücksicht auf die Notlage des Täters nicht seine eigenen Prinzipien preisgeben kann. Es muss sich einer völligen gesellschaftlichen Funktionalisierung verweigern und seine eigenen Wertprinzipien entgegensetzen,6 sodass sich die oben ←16 | 17→genannten und als bequem bezeichneten Einwände als sachlich vollkommen zutreffend erweisen könnten. Schließlich darf sich das Recht auch nicht jedem gesellschaftlichen Bedürfnis beugen, sondern soll gerade umgekehrt steuernd auf die gesellschaftlichen Realitäten Einfluss nehmen.7

Es ist dies der spannende Spagat zwischen der Solidarität mit dem um seinen Arbeitsplatz Kämpfenden und dem Rechtsgüterschutz außenstehender, für die Notlage des Täters völlig unverantwortlicher Personen. Noch schwieriger wird dieser Spagat, wo das individuelle Opfer verschwindet, also scheinbar „nur“ das Recht verletzt ist. Wieviel kann das Recht tolerieren, wo muss es sich verweigern? Wie ist der Konflikt zwischen der sozial-faktischen und der normativen Dimension der Frage zu lösen?

Die vorliegende Arbeit versucht nicht, eine umfassende „Rechtfertigungslehre“ für das Wirtschaftsstrafrecht zu entwickeln (hierzu sei auf die jüngst von Späth8 veröffentlichte Arbeit verwiesen, die in einigen Teilen dieselben Fragen wie die vorliegende Arbeit untersucht, hier aber freilich aufgrund des umfassenderen Themas weniger in die Tiefe geht); in der vorliegenden Untersuchung soll der Fokus stärker auf der (rechtlichen) Entwicklung des Interesses Arbeit liegen, um dann zu zeigen, wie sich dies in die Anwendung des § 34 StGB einfügen lässt.

II. Veranschaulichende Fälle

Genug der theoretischen Vorrede – mögen folgende Fälle der plastischeren Illustration der Problematik dienen:

Fall 1: Der rumänische Arbeitnehmer A, der kaum Deutsch spricht und über keinerlei Kenntnisse des hiesigen Rechtssystems verfügt, ist gerade erst zur Arbeitssuche nach Deutschland gezogen und hat eine Anstellung als Fahrer bei dem Spediteur S gefunden. Bei S sind neben A noch 15 weitere Kraftfahrer beschäftigt, die allesamt aus (süd-) osteuropäischen Staaten kommen. Ein Betriebsrat wurde bisher nicht gebildet. Bereits zwei Wochen nach Arbeitsbeginn wird A eines Abends von S angewiesen, noch eine letzte Fuhre mit Ware zu einem ca. 50km entfernten Betrieb zu machen. A entgegnet S, dass er seine Lenkzeiten gerade erschöpft habe. Daraufhin erklärt ihm S, wenn er es „verweigere“, den Anweisungen seines Vorgesetzten Folge zu leisten, könne er sich nicht vorstellen, wie er ein solches Arbeitsverhältnis weiter fortsetzen solle; er brauche schließlich Arbeitnehmer, auf die er sich verlassen könne. ←17 | 18→Wenn A also nicht fahren wolle, könne er sich morgen seine Papiere und die schriftliche Kündigung holen.

Da A dringend auf die Arbeit angewiesen ist, fügt er sich seinem Schicksal und macht die ca. 45-minütige Fahrt, ohne dass es zu Problemen kommt. Dabei wählt er eine wenig befahrene Nebenstrecke statt der vollen Autobahn. Die Chancen von A, auf dem Arbeitsmarkt eine Anstellung zu finden, sind sehr schlecht, da er über keine abgeschlossene Ausbildung verfügt. Zudem drängen im Moment sehr viele Fahrer auf den Arbeitsmarkt. A weiß, dass S in letzter Zeit mehrere Fahrer „gefeuert“ hat, weil sie seinen Anweisungen nicht nachgekommen sind. Er hat eine Frau und drei Kinder zu versorgen, wobei sein Lohn die einzige Einkommensquelle für die Familie ist.

Fall 2: G ist Geschäftsführer und Anteilseigner einer mittelständischen GmbH mit 50 Arbeitnehmern. Infolge einer Wirtschaftsflaute setzt sein Unternehmen im Moment sehr wenige Produkte ab. Wegen des daraus resultierenden Umsatzrückgangs kommt die GmbH in Zahlungsnot; dies liegt aber auch an der schlechten Zahlungsmoral ihrer Kunden, gegen die noch viele offene Forderungen bestehen. Um den Geschäftsbetrieb aufrechterhalten zu können, unterlässt es G kurzerhand für drei Monate, die fälligen Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Tatsächlich steigen die Umsatzzahlen wieder und das Unternehmen kann nach den drei Monaten wieder normal weitergeführt werden. G handelte zumindest auch, um die 50 Arbeitsplätze in der GmbH zu erhalten.

Fall 3: S, die erst kürzlich ihre Ausbildung abgeschlossen hat, ist bei einer Niederlassung der G-GmbH, die nur fünf Mitarbeiter hat, als Sekretärin angestellt. Eines Tages kommt ihr direkter Vorgesetzter, der alleinige Geschäftsführer G, auf sie zu mit einem Bußgeldbescheid in der Hand. G war wegen zu schnellen Fahrens mit einem Firmenwagen „geblitzt“ worden, auf dem Foto ist allerdings wegen der heruntergeklappten Sonnenblende der Fahrer nicht klar zu erkennen. G erklärt der S, er werde Einspruch gegen den Bescheid einlegen, weil er sonst wegen seines „prall gefüllten Kontos in Flensburg“ seinen Führerschein verliere; sollte es zu einer Verhandlung vor dem Amtsgericht kommen, müsse S aussagen, dass sie gefahren sei. Die Geldbuße werde er ihr selbstverständlich erstatten. S hat diesbezüglich kein gutes Gefühl. Als G dann tatsächlich die Ladung zur Verhandlung vor dem AG bekommt (weil sich ein Polizist sicher ist, einen männlichen Fahrer erkannt zu haben) und S auf ihre Aussage vorbereiten will, erklärt diese ihm, dass sie nicht falsch aussagen möchte. G erklärt ihr, dass ihr dies selbstverständlich frei stehe, aber dass sie dann sofort ihre Sachen packen und ihre Kündigung gleich mitnehmen könne. Er brauche schließlich eine loyale Unterstützung in seinem Vorzimmer. Dann solle ←18 | 19→sie schauen, wo sie eine neue Stelle finde – zumal er, G, ihr ein Arbeitszeugnis (ihr erstes und einziges) schreiben werde, dass sie so schnell niemand nehme. Da S auf die Einkünfte aus ihrer Arbeit angewiesen ist und sonst keinerlei Vermögen oder Unterstützung hat, fügt sie sich ihrem Schicksal und sagt vor dem AG aus, dass sie den Wagen gesteuert habe; gleichwohl verurteilt das Gericht den G, weil es die Aussage des ebenfalls als Zeugen geladenen Polizisten, der in der Verhandlung den G als damaligen Fahrer identifiziert, für glaubhafter hält und zu der Überzeugung gelangt, dass G damals gefahren ist.

Fall 4: L ist Leiter der Entwicklungsabteilung eines Unternehmens, das u.a. Duftsprays herstellt. Gerade wird dort ein neuer Spray entwickelt, der kurz vor der Markteinführung steht. L ist sich nicht sicher, ob ein bestimmter Inhaltsstoff des Sprays zu Schleimhautreizungen führen kann. Er schildert seine Bedenken dem Vorstand, verbunden mit dem Hinweis, dass weitere Tests sinnvoll wären. Der Vorstand erwidert, dass der Spray unbedingt so schnell wie möglich in den Verkauf gehen müsse (was ohne die Freigabe und entsprechende Unterlagen durch die Entwicklungsabteilung nicht erfolgen kann); das Unternehmen brauche schließlich dringend einen wirtschaftlichen Erfolg, sonst müsste sofort ein Teil der 50 im Betrieb bestehenden Arbeitsplätze abgebaut werden, um Kosten zu sparen. Weiter gibt man L zu verstehen, dass sein Arbeitsplatz als einer der ersten betroffen wäre. Daraufhin gibt L den Spray zum Verkauf frei, ohne weitere Tests bezüglich der möglichen Gesundheitsschädlichkeit anzuordnen oder durchzuführen. Er hofft, dass es schon gut gehen werde, schließlich sei es ja auch nur eine Vermutung, die er habe, die genauso gut falsch sein könne. Zudem möchte er nicht, dass es durch seine „übertriebene Vorsicht“ zu einem Arbeitsplatzabbau im Unternehmen kommt. Außerdem befürchtet er, dass man ihm kündigen wird, sofern er die Freigabe nicht erteilt. Tatsächlich wäre es für das Unternehmen äußerst schwierig, L zu ersetzen, weil es am Arbeitsmarkt wenig Personal mit seiner Qualifikation gibt und diese Personengruppe stark umworben ist. L ist alleinstehend und hat dank seines gehobenen Verdienstes erhebliche Ersparnisse. Nachdem der Spray in den Verkauf gelangt ist, kommt es tatsächlich zu teilweise erheblichen Reizungen der Atemwege bei vielen Kunden, die ärztlich behandelt werden müssen.

In den Beispielsfällen wurden jeweils Ordnungswidrigkeiten- oder Straftatbestände erfüllt, allerdings nur aus der Motivation heraus, den Arbeitsplatz zu behalten bzw. Arbeitsplätze zu erhalten.

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III. Gang der Untersuchung

Gegenstand der Untersuchung ist also die Frage, ob ein Arbeitnehmer, der Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten begeht, um seinen Arbeitsplatz zu erhalten, ebenso wie ein Unternehmer, der seinen Betrieb und damit auch die fremden Arbeitsplätze erhalten möchte, gerechtfertigt sein kann. Dafür ist es zentral, das Interesse am Arbeitsplatz und dessen Wert zu bestimmen. Dies muss selbstverständlich vorrangig anhand der gesetzlichen Regelungen erfolgen. Trotzdem kann das Recht die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht völlig unberücksichtigt lassen. Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, soll in einem ersten Abschnitt (B.) die Bedeutung der Arbeit für den Menschen dargestellt werden. Hierzu wird gezeigt, wie sich der Stellenwert von Arbeit, aber auch unsere Einstellung zu ihr im Laufe der Geschichte verändert haben, um schließlich auf ihren heutigen Wert einzugehen. Aber auch die Bedeutung und Folgen ihres Gegenteils, der Arbeitslosigkeit, sollen erläutert werden, ist dies schließlich das Übel, das dem Entlassenen droht. Zuletzt wird dieser einführende Teil, der einen atmosphärischen Hintergrund für den weiteren Gang der Untersuchung bieten soll, auch noch Bezüge der Arbeit zu Allgemeinem Persönlichkeitsrecht und (psychischer) Gesundheit aufzeigen, um klarzustellen, dass Arbeit mehr als ein Vermögensinteresse ist.

Im darauf folgenden Abschnitt (C.) soll das rechtliche Instrumentarium, in das die zu untersuchende Rechtfertigungsfrage eingebettet werden kann, erläutert werden. Hierzu wird zunächst dargestellt, dass und warum allein der Tatsache, dass ein Arbeitnehmer auf eine Weisung seines Arbeitgebers hin handelt, keine rechtfertigende Wirkung zukommen kann. Daher bleibt im Folgenden als einzige Rechtfertigungsmöglichkeit die Regelung des § 34 StGB genauer zu beleuchten. Begonnen wird hier mit einer Bestandsaufnahme bisher entschiedener Fälle. Danach wird die Notstandsregel in ihrem Grundgedanken und ihren Voraussetzungen erläutert, um darauf später für den konkreten Anwendungsfall zurückgreifen zu können. Zuletzt wird in diesem Kapitel das Sonderproblem des Nötigungsnotstandes erörtert, da die Drohung mit dem Arbeitsplatzverlust eben eine solche Notstandssituation darstellt und umstritten ist, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Konstellation § 34 StGB unterfällt.

Um klären zu können, welcher Wert und welche Bedeutung Arbeit als Erhaltungsinteresse im Rahmen des § 34 StGB zukommt, wird im dritten größeren Abschnitt (D.) untersucht, welche rechtliche Anerkennung das Interesse „Arbeit“ im nationalen und internationalen Recht gefunden hat. Dazu wird insbesondere auch das Völkerrecht herangezogen, in dessen Rahmen die Bedeutung des Themas Arbeit seit Langem anerkannt ist.

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Nach diesem Schritt kann schließlich im letzten großen Abschnitt (E.) die konkrete Anwendung der Notstandsregel auf den Fall des drohenden Arbeitsplatzverlustes erfolgen, wo schließlich auch die bisher gegen eine Rechtfertigung vorgebrachten Argumente auf ihre Tragfähigkeit geprüft werden.

Auch wenn die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens an sich nicht Gegenstand der Untersuchung ist, soll sie der Vollständigkeit halber wenigstens in einem kurzen Exkurs (F.) angesprochen werden.

Am Ende werden die wichtigsten Ergebnisse und Thesen der Arbeit noch einmal zusammengefasst sowie die einführenden Beispielsfälle abschließend gelöst (G.).

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1 Man möge mir zu Beginn die vereinfachte, pauschalisierte Behandlung der Problematik nachsehen; natürlich gibt es auch Fallgruppen der rechtswidrigen, aber verbindlichen Weisung, insbesondere den rechtswidrigen, aber verbindlichen Befehl im Soldatenrecht.

2 Küper, JZ 2005, S. 105.

3 Stellvertretend Mitsch, JR 2013, S. 351 (356).

4 Zippelius, Rechtsphilosophie, 2011, S. 59.

5 Pawlik, in: Zöller/Hilger/Küper u. a. (Hrsg.): FS Wolter, 2013, S. 627 (639).

6 NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rdnr. 330.

7 Zippelius, Rechtsphilosophie, 2011, S. 57 f.

8 Späth, Rechtfertigungsgründe im Wirtschaftsstrafrecht, 2016, passim.

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B. Zur Bedeutung der Arbeit für den Menschen

Da sich die vorliegende Arbeit mit der Erhaltung des Rechtsguts „Arbeitsplatz“ beschäftigt, scheint es unverzichtbar, zu untersuchen, welche Bedeutung und welchen sozialen Sinngehalt die Arbeit für den Menschen hat. Nur so ist später eine Gewichtung und Abwägung dieses Rechtsguts möglich. Zu diesem Zweck sollen der geschichtliche Bedeutungswandel der Arbeit – freilich nur kursorisch – dargestellt und anschließend die wichtigsten Aspekte der Bedeutung von Arbeit in der Moderne aufgezeigt werden. Dabei liegt das Augenmerk nicht auf einem umfassenden Arbeitsbegriff,9 sondern vornehmlich auf einem Begriff, der sich kurzgefasst als Erwerbsarbeit ausdrücken lässt.

I. Das Verständnis von Arbeit im Wandel vergangener Zeiten

1. Antike

In der Antike herrschte gegenüber der (Erwerbs-) Arbeit eine skeptische Einstellung vor.10 Arbeit verdarb den Charakter und war das Gegenteil von der Muße, was sich schon am griechischen und lateinischen Begriff für die Erwerbsarbeit zeigt: „α-σχολία“ und „neg-otium“, was jeweils Nicht-Muße bedeutet.11 Erstrebenswerter Lebensinhalt war die Muße, also Zeit, um die eigenen Tugenden zu schulen oder sich der polis oder res publica zu widmen.12 Die Erwerbsarbeit war nur Mittel zum Zweck, ein notwendiges Übel zur Sicherung des Lebensunterhalts und damit eben zur Ermöglichung der Muße.13 Sie war primär Sache der ←23 | 24→Sklaven (was sich auch in dem griechischen Wort „δουλεία“ für Arbeit zeigt, das bis auf die Betonung gleich ist mit dem griechischen „δουλειά“ für Sklaverei) bzw. der Einheimischen ohne oder mit eingeschränktem Bürgerstatus.14 Dass deren Arbeit das Gemeinwesen trug und die Muße ermöglichte, die Aristoteles als den einzigen einem freien Bürger angemessenen Zustand ansah, wurde nicht hinterfragt, sondern als naturgegeben angesehen.15 Die Arbeit war dem Bereich der Notwendigkeit zuzuordnen, man versuchte ihr aber zu entgehen, indem sie auf die Sklaven abgewälzt wurde.16 Für einen freien Bürger dagegen war Sklavenarbeit, aber auch Lohnarbeit unvorstellbar, weil der Verkauf von Arbeitskraft gegen Lohn mit Zwang und Ehrlosigkeit verbunden wurde.17 Freiheit bedeutete nämlich zweierlei: Von den Zwängen der Erwerbsarbeit befreit zu sein, also frei von materiellen Sorgen zu sein, aber auch, sich niemand anderem unterordnen zu müssen, wie nicht nur ein Sklave, sondern auch ein Handwerker oder Tagelöhner.18 Auch letztere waren nur „Knechte der Notwendigkeit“.19 Auch Aristoteles spricht sich gegen die Zuerkennung des Bürgerstatus an Handwerker aus.20 Immerhin genoss aber die landwirtschaftliche Betätigung ein gewisses Ansehen, weil sie Selbstversorgung und damit Unabhängigkeit ermöglichte.21

Dementsprechend hing auch die soziale Anerkennung eines Menschen nicht von seiner Arbeit oder beruflichen Stellung ab, vielmehr war es umgekehrt: Die ←24 | 25→soziale Stellung des Einzelnen entschied darüber, welche Erwerbstätigkeiten für ihn angemessen waren. Das Sozialprestige erwarb man mit Verdiensten an der polis, indem man verantwortungsvoll in Rechtsprechung und Politik mitwirkte,22 also durch Tätigkeiten im Dienste der Allgemeinheit ohne eigenes Erwerbsstreben. Die Bürgerpflichten waren wichtiger als die (Erwerbs-) Arbeit, der Mensch vorzugsweise homo politicus.23 Man kann sogar sagen, dass Arbeit der Gegenbegriff zu Bürgertugend, aber auch zu Bildung war.24 Erwerbsarbeit war Mühe und Last, aber keinesfalls etwas, womit man sich in der Antike Ansehen verdienen konnte, denn man brachte sich so in eine sklaven-ähnliche Situation.25 Vielmehr widersprach ein sozialer Aufstieg aufgrund beruflicher Tätigkeit den antiken Vorstellungen von Ehrbarkeit und Moral, denn Erwerbsarbeit und Tugend galten als unvereinbar.26 Verpönt war vor allem das Erwerbsstreben durch Handel und die aufkommende Geldwirtschaft, denn ein Gewinn konnte nur erwirtschaftet werden, wenn man Güter über ihrem tatsächlichen Wert (dem gerechten Preis) verkaufte; und dies war schließlich nach damaliger Ansicht Betrug am anderen.27

Im antiken Rom setzte sich diese Grundeinstellung fort. Auch Cicero zählte die Arbeit der Händler, Handwerker und Tagelöhner zu den unwürdigen Berufen, weil eine Werkstatt nichts Freies haben könne und ein Tagelöhner nicht seine Fertigkeit, sondern nur seine Arbeitskraft verkaufe.28 Ein gewisses Ansehen genoss aber wiederum die Landwirtschaft.29

Zwar war in der Antike auch das Nichtstun verpönt, aber eine angemessene Beschäftigung fand der ehrbare Bürger nur in ehrenamtlichen Tätigkeiten für Staat und Gemeinschaft; die Arbeit zum Lebenserhalt, insbesondere die körperliche Arbeit war dagegen sehr negativ besetzt.30

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2. Mittelalter

Im Mittelalter dagegen wird Arbeit ein für alle Menschen gleiches Schicksal als göttliche Strafe für den Sündenfall des Menschen und Folge der Vertreibung aus dem Paradies,31 aber auch ein Werkzeug zur Erlösung und zum Heil32 bzw. eine Fortführung der Schöpfung Gottes, der den Menschen die Erde zum Bearbeiten gegeben hat.33 Das mittelalterliche Verständnis wird geprägt von den Schriften des Alten und des Neuen Testaments, die die Arbeit positiv darstellen. Das Christentum wertet damit neu und beseitigt die Diffamierung, die körperliche Arbeit in der Antike erfahren hat.34 Wenn Gott allen die Arbeit auferlegt hat, kann damit nicht mehr die moralische Minderwertigkeit einzelner begründet werden.35 Die christliche Arbeitsmoral legt Wert auf Fleiß und Strebsamkeit, der Müßiggang und das Leben auf Kosten anderer wird abgelehnt. Der Müßiggang wird zu einer der schlimmsten Sünden überhaupt,36 schließlich hat Gott selbst das Arbeitsgebot gesprochen: „Sechs Tage sollst du arbeiten und all dein Werk tun“ (Ex. 20, 9). Bereits bei Paulus heißt es: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ (2. Thess 3, 10).

Maßgeblichen Einfluss erlangen auch die klösterlichen Gemeinschaften mit ihrem Gebot des „ora et labora“ als Form der Askese, was dazu beiträgt, dass Arbeitsfleiß und Disziplin zum Vorbild werden. 37 Thomas von Aquin konstatierte folgende Zwecke der Arbeit: Erstens helfe sie dem Menschen, das Lebensnotwendige zu beschaffen; zweitens diene sie dazu, den Müßiggang als Ursache zahlreicher Laster zu vertreiben; drittens helfe sie, durch Kasteiung des Leibes die Fleischeslust zu zügeln; und viertens ermögliche sie es, Almosen zu spenden.38 Nach wie vor soll die Arbeit aber nicht dem wirtschaftlichen Aufschwung des Einzelnen, sondern vielmehr der Gemeinschaft nutzen (weswegen die Arbeit der ←26 | 27→Bauern durchaus angesehen war, weil sie die Ernährung des Volkes sicherte).39 Das Anhäufen von Reichtümern wurde als Ziel der Arbeit verurteilt, vielmehr sollte sie dazu dienen, die irdische Existenz des Menschen zu sichern, sowie als Mittel zur Erziehung und Selbstbezähmung gegenüber dem Müßiggang.40 Arbeit wird also immer noch nicht als Selbstzweck angesehen.41 Zudem wurde lange Zeit immer noch eine vita contemplativa einer vita activa übergeordnet, sodass insbesondere der Religiöse höher eingestuft wurde als der, der körperlich für sein weltliches Auskommen arbeiten musste.42 Erst mit der Reformation erfolgte eine zunehmende Gleichstellung von geistlicher und körperlicher Tätigkeit bzw. sogar eine Brandmarkung der rein geistigen Tätigkeit als Müßiggang.43 Arbeiten sollte ein jeder, gleich ob er bedürftig war oder nicht, denn die Arbeit war Gottes Gebot für alle ohne Ansehen des Standes.44

Der soziale Status eines Menschen, seine Rolle, seine Tätigkeiten und Chancen werden aber noch immer durch die ständische Ordnung bestimmt: Die irdische Gesellschaft teilt sich entsprechend der himmlischen Ordnung in drei Stände: die Betenden (oratores), die Ritter (bellatores) und die Bauern (laboratores oder aratores).45 Dabei hat jeder Mensch innerhalb seines Standes seine Rolle zu erfüllen, denn nur so kann die soziale Ordnung zum Wohle aller aufrechterhalten werden; die Dreiteilung ist also funktional.46 Dies bedingt natürlich auch, dass ein Wechsel zwischen den Ständen nicht möglich ist, denn jeder Dienst verpflichtet den Menschen, die Vorsehung Gottes zu erfüllen, also die ←27 | 28→Gottgegebene Aufgabe.47 Damit war auch ein sozialer Aufstieg durch berufliche Tüchtigkeit zunächst nicht möglich und konnte aus dem christlichen Arbeitsbegriff nicht abgeleitet werden.48

Auch wenn der Handel zunehmend als eine Notwendigkeit zur Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse angesehen wird, bleibt ein übermäßiger Reichtum suspekt, weil er stets unter dem Verdacht steht, nicht redlich erworben worden zu sein.49 Zudem wird das Streben nach übermäßigem Reichtum nach wie vor als verwerflich angesehen, denn Arbeiten und Wirtschaften sollen nur dazu dienen, dass der Einzelne seinen Beitrag zum Gemeinwohl, zum bonum commune beitragen kann.50 Sich durch Arbeit ein auskömmliches Leben zu schaffen, akzeptiert auch der christliche Arbeitsbegriff der lutherischen Zeit, nicht aber den Inhalt des Lebens in einer Anhäufung von Reichtümern und Wirtschaftsmacht zu sehen.51

Im Zuge der zunehmenden Urbanisierung und mit der kommerziellen Revolution ändert sich allerdings die Einstellung zum Gelderwerb. In der Stadt ist es nicht mehr möglich, als Bauer zu leben, viele Leute müssen einen Lohn oder Verkaufserlös als wirtschaftliche Lebensgrundlage erwirtschaften.52 So bilden sich spezialisierte Handwerksprofessionen heraus, die in den Städten gute Absatzmöglichkeiten finden und sich später auch in Manufakturen als Vorläufer der Fabriken zusammenschließen. Ebenso entwickelt sich der Berufsstand des Kaufmanns, dessen Ziel nicht die Produktion, sondern der Gelderwerb ist. Auch wenn dessen Gewinnstreben zunächst noch skeptisch gesehen wird,53 werden der materielle Gewinn und das Vermögen längerfristig doch zum Garant für soziales Prestige und ermöglichen die Überwindung sozialer Schranken. Indem sie dem verarmten Adel Geld leihen, umfangreichen Grundbesitz erwerben oder in Ritterfamilien einheiraten, vermischt sich ihr Stand immer mehr mit dem Adelsstand.54 Gleichzeitig werden als Tugenden eines guten Kaufmanns die ←28 | 29→Begriffe „arbeitsam“, „eifrig“ und „beharrlich“ geprägt.55 Zugleich erscheint dieser Reichtum aber immer noch nicht mit der christlichen Moral vereinbar;56 es bleibt der Makel des unrechtmäßigen oder zumindest unmoralischen Erwerbs.57 Mit zunehmender Wandlung der gesellschaftlichen Realitäten – und diese fand gerade in den zunehmend autonomen Städten statt – geht dieser Makel aber immer mehr verloren und die Stimmung schlägt sogar in Bewunderung um.58 Und mit Gott kommt man schließlich ins Reine, indem man für die Kirche und die Armen spendet und nach seinem Tod etliche Messen lesen lässt.59 Umgekehrt beginnt auch das bisher eher positiv besetzte Armutsbild sich zu wandeln.60

Interessanterweise bildet sich in dieser Zeit bereits eine Unterscheidung zwischen arbeitswilligen (mochten sie arbeitsfähig sein oder nicht) und damit „würdigen“ Menschen und vermeintlich arbeitsscheuen und deshalb „unwürdigen“ armen Menschen heraus.61 So wird mit zunehmender Zahl der Bettler in den Städten der angeblich arbeitsunwillige Bettler zum negativen Antityp.62 Zugleich gilt Armut nicht mehr als gottgewolltes Schicksal, sondern als Ergebnis eigener Fehlleistung und Faulheit; an die Stelle einer bemitleidenswerten Kreatur tritt der sündhafte Schmarotzer, der durch seine Faulheit die Gemeinschaft schädigt.63 Diese Wahrnehmung läutet die Entwicklung hin zu einer positiveren Wahrnehmung des sozialen Aufstieges durch Arbeit ein.64 Denn: Deutet Armut ←29 | 30→auf Faulheit hin, können beruflicher Erfolg und berufliche Tüchtigkeit nur das Gegenteil bedeuten.

Insgesamt ist es damit gegen Ende des Mittelalters zumindest in den Städten soweit, dass Arbeit und beruflicher Erfolg das feudale Ständesystem durchlässig machen und ein Aufstieg möglich ist. Zudem gerät das feudale Ständesystem aus dem Gleichgewicht, weil die oberen Stände ihren Pflichten (etwa zur Versorgung der Untergebenen) nicht mehr nachkommen, sondern allein ihre Privilegien ausnutzen. Damit sehen sich aber auch die unteren Stände nicht mehr zum Gehorsam gezwungen, was etwa zu den Bauernaufständen in ganz Europa führt.65

Die Großunternehmen, die mittlerweile von reichen Kaufleuten gegründet worden sind und in denen Lohnarbeiter beschäftigt werden, sind bereits Vorboten einer neuen sozio-ökonomischen Ordnung, des Kapitalismus.66

3. Aufklärung und die klassischen Ökonomen

Eine wichtige Bedingung für ein gewandeltes Arbeitsverständnis in der Neuzeit ist der Wegfall der Feudalordnung in Folge des Bedeutungsverlusts der Vorherrschaft vor allem des kirchlichen Ordnungsdenkens, der insbesondere durch die Bauernaufstände und Glaubenskriege des 15., 16. und 17. Jahrhunderts befeuert wurde.67 Der Status des Einzelnen in der bürgerlichen Ordnung und sein gesellschaftliches Fortkommen bestimmen sich nicht mehr durch Geburtsrechte oder traditionelle Privilegien, sondern vielmehr durch sein individuelles Können und ökonomisches Geschick.68 Erfolg ist also nicht mehr schicksalsbestimmt, sondern das Ergebnis persönlicher Tüchtigkeit.

Prägenden Einfluss haben daneben v.a. die Schriften der Aufklärer und der frühen Nationalökonomen mit ihrer geradezu empathischen Aufwertung der Arbeit als Quelle von Reichtum und Zivilität bzw. als Kern menschlicher Existenz und Selbstverwirklichung.69

Der aufgeklärte Mensch versteht die Gesellschaft nun als Versammlung von Natur aus freier und gleicher Menschen, die sich selbst eine Ordnung des Zusammenlebens geben.70 Der Mensch spielt keine passive Rolle mehr in der ←30 | 31→Welt; vielmehr ist seine Vernunft das Mittel, um selbst seine Welt aktiv zu gestalten.71 Individualismus und Liberalismus finden Eingang in das politische und gesellschaftliche Denken der Aufklärung.72

Auch wenn die Erde zunächst allen Menschen gemeinsam gehört, ist für John Locke die Arbeit das Mittel und die Legitimation für den einzelnen Menschen, sich Eigentum zu schaffen, wird also zu einem gesellschaftlichen Grundbegriff.73 Denn die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände, seien sein eigen. Wenn er also mit seiner Arbeit einem Gegenstand etwas hinzufüge, werde dieser Gegenstand zu seinem Eigentum.74 Der Bürger ist nunmehr nicht nur in der Lage, durch Arbeit Eigentum zu erwerben und Reichtum zu schaffen, sondern es ist sogar sein gutes Recht. Armut oder Reichtum sind nicht mehr allein ein von Gott gegebenes Schicksal.

Die Arbeit ist im 18. Jahrhundert nicht mehr nur Mittel zur Bekämpfung der Armut und des Müßiggangs, sondern Garant für Glück und Reichtum bzw. sogar Kern menschlicher Selbstverwirklichung.75 Der Gegensatz zur Arbeit ist nicht mehr die Armut, sondern die Arbeitslosigkeit, denn ein solcher Zustand verwehrt es dem Menschen, ganz Mensch zu sein und am Gemeinwohl mitzuwirken.76

Maßgeblichen Einfluss hat aber insbesondere der deutsche Idealismus,77 der unsere Vorstellung von Arbeit und Beruf bis heute entscheidend prägt. Immanuel Kant etwa dreht das Denken der Antike um.78 Muße ist vergeudete Zeit, Arbeit wird zum Lebenssinn: „Je mehr wir beschäftigt sind, je mehr fühlen wir, dass wir leben, und desto mehr sind wir uns unseres Lebens bewusst. In der Muße fühlen wir nicht allein, dass uns das Leben so vorbeistreicht, sondern wir fühlen auch sogar eine Leblosigkeit.“79 Allerdings verkennt Kant nicht die Mühsal der (Erwerbs-) Arbeit. Sie gehöre zu den Beschwerlichkeiten, die sich ←31 | 32→der Mensch zu ertragen und zu erdulden angewöhnen müsse.80 Trotz dieser Geringschätzung für die Erwerbsarbeit erblickt Kant in ihr den Endzweck des Menschen.81 Sie sei immerhin eine zweckmäßige Beschäftigung, die eine Absicht verfolge – im Gegensatz zu Spiel und Vergnügen.82 Das Spiel sei auch Beschäftigung, aber eine ohne Zweck; und ohne Zweck beschäftigt zu sein, sei noch ärger, als gar nicht beschäftigt zu sein.83 Oder zugespitzt: Der Mensch könne ohne Arbeit niemals glücklich sein.84 Allerdings ist der Arbeitsbegriff bei Kant nicht auf Erwerbsarbeit beschränkt. So bedeutet etwa auch die Aufklärung Arbeit für den Menschen: „Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. […] Daher gibt es nur wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit herauszuwickeln und dennoch einen sicheren Gang zu tun.“85 Arbeit ist also eine zweckgebundene Tätigkeit, die einen höheren Sinn verfolgt. Und das Musterbeispiel für solch eine sinnvolle Tätigkeit ist in der Regel Erwerbsarbeit.

Auch bei Johann Gottlieb Fichte wird die Bedeutung der Arbeit gestärkt, indem er sie zur sittlichen Pflicht erhebt.86 Noch größeren Einfluss auf das heutige Verständnis von Arbeit und Beruf hat aber die Philosophie Hegels.87 Er erkennt zutreffend, dass die soziale Situation im frühen 19. Jahrhundert durch zwei Gruppen von Menschen geprägt wird: Die „Herren“, die die Macht haben, andere für sich arbeiten zu lassen, und sich daher dem Müßiggang, dem bloßen Konsumieren hingeben können, und die „Knechte“, die eben diese Arbeit für die Herren verrichten müssen. Die „Herren“ sind destruktiv, sie verzerren die Dinge dieser Welt, bringen aber keine neuen hervor. Ihr Selbstbewusstsein ziehen sie aus der Anerkennung der Knechte.88 Die „Knechte“ dagegen bearbeiten die Welt. Diese steht ihnen als Objekt gegenüber und bietet ihnen in der Arbeit ←32 | 33→Widerstand. An ihr können sich die Arbeiter selbst als Subjekt wahrnehmen und ein Bewusstsein für ihre Selbstständigkeit, also Selbstbewusstsein entwickeln:89 „Die Wahrheit des selbstständigen Bewusstseins ist demnach das knechtische Bewusstsein“.90 Arbeit wird zum „vornehmsten Ausdruck menschlicher Selbstverwirklichung“ (auch wenn sich dies maßgeblich auf die Arbeit der Bildung bezieht).91

Neben der Aufklärung ist die zweite wichtige geistesgeschichtliche Determinante für das sich ändernde Arbeitsverständnis das Denken der frühen Wirtschaftsökonomen: Der Mensch wird immer mehr zum ökonomischen Subjekt, das zur Arbeit gezwungen ist, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. So beschreibt John Stuart Mill den Menschen als Wesen, das nach größtmöglichem Reichtum bei geringstem Arbeitsaufwand trachtet.92 Umgekehrt gilt auch nur noch der arbeitende Mensch als wertvolles Mitglied der Gemeinschaft. Arbeit wird zur ersten Bürgerpflicht, Armut ist ein Zeichen mangelnden Arbeitswillens und ein Verbrechen an der Gemeinschaft.93

Insbesondere Adam Smith betont den Wert produktiver menschlicher Arbeit als Quelle des nationalen Wohlstandes, weil die Arbeit der wichtigste Produktionsfaktor sei. Handwerker etwa führten produktive Arbeit aus, weil sie einem Gegenstand einen Wert hinzufügten, so also einen eigenen Wert mit ihrer Arbeit produzierten; dagegen sei die Arbeit etwa von Geistlichen, Juristen, Ärzten oder Gelehrten keine produktive, da sie keinen eigenen, neuen Wert schaffe, nichts hervorbringe.94 Damit wird die Einstellung gegenüber den verschiedenen Tätigkeiten, die noch in der Antike vorherrschte, völlig umgekehrt. Aus diesem wirtschaftswissenschaftlichen Verständnis von Arbeit waren Mühsal, Pein und Verachtung geschwunden, Arbeit wurde zur grenzenlos dynamischen Kraft, die Reichtum und Luxus schafft.95 Damit einher geht ein Verständnis, das Arbeit ←33 | 34→nicht lediglich als Pflicht, sondern vielmehr als natürliches Recht des Menschen begreift.96

Dabei gehen die Ökonomen aber immer noch davon aus, dass durch den ökonomischen Fortschritt (bei Smith vor allem durch die Arbeitsteilung) der Wohlstand für alle Bevölkerungsteile erhöht werde, es geht also um einen „sozialen Wohlstand“.97 Zudem ist eine gewisse Ambivalenz der Arbeit noch nicht gänzlich geschwunden, denn die frühen Ökonomen sind sich der Tatsache bewusst, dass es verschiedene Arten von Arbeit gibt, u.a. gelernte und ungelernte, hochwertige und gemeine Tätigkeiten, die geeignet sind, die sie Ausübenden auf-, aber auch abzuwerten und damit soziale Ungleichheit zu fördern.98 Trotzdem dominiert etwa bei Smith noch der Glaube, dass sich der Gegensatz von Arbeit und Kapital harmonisch auflösen lasse, weil der „Kapitalist“ auch dem Arbeiter einen gewissen Wohlstand zukommen lassen werde, damit dieser motivierter und produktiver arbeite.99

Arbeit wird in der neuen Ordnung des Ökonomismus ein handelbares Gut, eine Ware. Anbieter und Nachfrager treffen sich auf dem „Arbeitsmarkt“ – ein Name, der bis heute geblieben ist. Diese Entwicklung zeigt sich eindrucksvoll in der Arbeitswerttheorie des britischen Wirtschaftswissenschaftlers David Ricardo: Der (Tausch-) Wert eines Gutes hängt ab von der Arbeit, die zu seiner Produktion notwendig ist.100 Der „natürliche“ Preis einer Ware ergibt sich also allein aus der Arbeit zu ihrer Herstellung. Obwohl sich gewisse Risiken der „entfesselten Arbeit“ bereits abzeichnen, überwiegt bei den liberalen Ökonomen immer noch der Optimismus, dass durch die aufstrebende Ökonomie Wohlstand für alle geschaffen werden könne.101 Zwar soll die Arbeit durch Maschineneinsatz effizienter werden, trotzdem ist sie der einzig wertschöpfende Faktor, der den Wohlstand für den Einzelnen wie auch für die ganze Nation ermöglichen soll.

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4. Industrialisierung ab dem 19. Jahrhundert und Neuzeit

Es dauert aber bis ins 19. Jahrhundert hinein, bis sich das marktwirtschaftliche Denken auf breiter Front durchsetzt. Die Industrialisierung wird heute als prägend für unser modernes Verständnis und die tatsächliche Ausgestaltung von Erwerbsarbeit angesehen.102 Bisher war Arbeit immer in einen anderweitigen Sinnzusammenhang eingebettet, nun wird die Arbeit als Sphäre für sich konstituiert.103 Zunehmend findet (Erwerbs-) Arbeit in Manufakturen, Fabriken oder Büros statt. Der Ort der Arbeit und die Haus- bzw. Familiensphäre fallen auseinander. Damit entsteht schließlich der „Arbeitsplatz“ als eigenständiger Raum der Verrichtung der Erwerbsarbeit.104 Es geht ideologisch nicht mehr allein darum, zur Arbeit genötigt zu sein, um bestimmte Bedürfnisse erfüllen zu können und dadurch Genuss zu erfahren, sondern die Arbeit soll selbst zum Genuss werden; dies steht freilich nach wie vor im Widerspruch zu den tatsächlichen Erfahrungen der Lohnarbeiter und zum traditionellen Arbeitsverständnis der Mühsal.105 Es klafft also auch hier noch eine Lücke zwischen der euphorisch-philosophischen Überhöhung der Arbeit als Selbstverwirklichung des Menschen und ihrer tatsächlichen Ausgestaltung durch harte mühsame Arbeit etwa in Fabriken und Manufakturen.106

Der Diskurs über Arbeit als konstitutives Element menschlichen Daseins wird trotzdem im 19. Jahrhundert durch Hegel und Marx noch einmal intensiviert und läuft in nüchternerer Weise noch mindestens bis Max Weber weiter.107 Aus der harten Realität der Arbeit resultiert die v.a. von Marx entschieden vorgebrachte Kritik der Arbeit im Kapitalismus als entfremdet und menschenunwürdig. Bereits bei den Nationalökonomen war Arbeit verbunden mit der „sozialen Frage“, meinte man doch durch zunehmende Produktivität Wohlstand für alle schaffen zu können. Im aufkommenden Sozialismus und Kommunismus werden dagegen gerade im Hinblick auf diese soziale Frage das Eigentum und dessen ungleiche Verteilung abgelehnt. Das Mittel und der Maßstab sozialer Gerechtigkeit soll vielmehr die Arbeit sein, sie soll einen Anspruch auf einen ←35 | 36→Anteil am Eigentum schaffen.108 Auch wenn zwischen der Ideologie des ökonomischen Liberalismus und der des Sozialismus an anderen Stellen Welten liegen mögen, haben sie doch eines gemeinsam: Arbeit ist – einmal losgelöst von ihrer tatsächlichen Ausgestaltung – etwas durch und durch Positives. Sie ist – in ihrer idealistischsten Sichtweise – Selbstzweck und damit in sich schon Glück oder zumindest ein wesentlicher Schlüssel für den Wohlstand für die ganze Gesellschaft; oder eben – ganz substantiell – überhaupt die Legitimation und Bedingung, an den Gütern eines Volkes teilzuhaben. Hieß es früher bei Paulus, wer nicht arbeitet, soll nicht essen, heißt es nun in der deutschen Fassung der „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ von 1834, dass Arbeit die Schuld des arbeitskräftigen Bürgers gegenüber der Gesellschaft sei und Müßiggang dagegen als Diebstahl gebrandmarkt werden soll.109

Marx knüpft an das Arbeitsverständnis von Hegel an (kritisiert aber auch dessen einseitig positives Verständnis von Arbeit), indem er davon ausgeht, dass sich der Mensch durch Arbeit als Selbsttätigkeit vergegenständlicht, sich selbst verwirklicht und entäußert;110 vielmehr noch: Die ganze Weltgeschichte sei nichts anderes als die Erzeugung des Menschen durch die menschliche Arbeit.111 Der Mensch soll sich nach der Befreiung von der „entfremdeten“, fremdbestimmten Arbeit im Kapitalismus als emanzipierter Arbeiter selbstverwirklichen.112 Dementsprechend kritisiert Marx auch, dass die tatsächlich von Menschen verrichtete Arbeit vom automatischen System der Maschinerie übernommen werde, der Mensch zum Handlanger degradiert werde, ein bloßes Zubehör dieser Maschinerie sei.113 Nach dem revolutionären Umsturz aber sollen die Produktionsmittel sozialisiert, die ausbeutende Klasse beseitigt und die Herrschaft des Proletariats etabliert werden. In einer derartigen Gesellschaft soll Arbeit nicht mehr Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis sein.114 Kurz gefasst ←36 | 37→kann man mit Conze115 sagen, dass die Wesensbestimmung des Menschen durch Arbeit noch nie vorher so umfassend und konsequent durchgeführt worden ist wie bei Marx: Durch die Arbeit überwindet der Mensch seine bloße Möglichkeitsform und vollzieht die Einheit von menschlicher Existenz und menschlichem Wesen.

Vor dem Hintergrund der ideologisch überhöhten, tatsächlich aber mühsamen, mitunter entwürdigenden Arbeit entwickelt sich auf breiter Basis die sozialistische Arbeitsbewegung mit ihrer Forderung nach Aufwertung und Humanisierung der Arbeit sowie auf Einbeziehung und Teilhabe der Arbeiter als Bürger.116

Details

Seiten
434
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631780879
ISBN (ePUB)
9783631780886
ISBN (MOBI)
9783631780893
ISBN (Hardcover)
9783631774892
DOI
10.3726/b15239
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (März)
Schlagworte
Recht auf Arbeit Nötigungsnotstand Bedeutung von Arbeit Drohung mit Kündigung Unzumutbarkeit sorgfaltsgemäßen Verhaltens
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 425 S.

Biographische Angaben

Florian Richter (Autor:in)

Florian Richter studierte Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, wo er später an der Professur für Strafrecht und Rechtsphilosophie von Prof. Dr. Petra Wittig als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war und promovierte. Seitdem ist er in der bayerischen Justiz tätig.

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Titel: Rechtfertigender Notstand zur Erhaltung von Arbeitsplätzen?
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