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Schnittstellen der Germanistik

Festschrift für Hans Bickes

von Janina Behr (Band-Herausgeber:in) François Conrad (Band-Herausgeber:in) Stephan Kornmesser (Band-Herausgeber:in) Kristin Tschernig (Band-Herausgeber:in)
©2020 Andere 374 Seiten

Zusammenfassung

Die Festschrift zu Ehren von Hans Bickes vereint aktuelle Forschungen, die thematisch an die Schwerpunkte seines breiten akademischen Schaffens angelehnt sind. Die 15 Beiträge früherer KollegInnen und MitarbeiterInnen stammen aus den Bereichen »Bildungssprache und Sprache im Fach«, »Semiotik und Identität« sowie »Migration und Mehrsprachigkeit« und würdigen die bunte Themenpalette des Jubilars in Forschung und Lehre.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Título
  • Copyright
  • Sobre el autor
  • Sobre el libro
  • Esta edición en formato eBook puede ser citada
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Bildungssprache und Sprache im Fach
  • „Die Zeitform verwechselt den Wort“ – Bildungssprache, Sprachbewusstsein und Sprechen über Sprache bei SchülerInnen mit DaZ
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Bildungs- und Fachsprache und die Sprache im Unterricht
  • 1.2 SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache – Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen und Sprachbewusstsein
  • 1.3 Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen – implizit oder explizit?
  • 2 Untersuchungsdesign und Datengrundlage
  • 3 Ergebnisse aus den mündlichen Erhebungen
  • 4 Schlussbemerkungen
  • 5   Literatur
  • Bildungssprache und Konstruktionsgrammatik
  • 1 Einleitung
  • 2 Problemfelder im aktuellen Bildungssprachendiskurs
  • Problemfeld 1: Bildungssprachliche Merkmale unterschiedlicher Größe erfassen
  • Problemfeld 2: Beschreibung von Form und Bedeutung/Funktion als Einheit
  • Problemfeld 3: Bildungssprache als Register
  • 3 Bildungssprache und Konstruktionsgrammatik
  • 3.1 Konstruktionsgrammatik: Theoretische Grundlagen
  • (i) Konstruktionen als grundlegende Einheiten der Sprache
  • (ii) Konstruktionen als einheitliches Repräsentationsformat
  • (iii) ‚Konstruktikon‘ und Genre-/ Registerkonzeption
  • 3.2 Eine konstruktionsgrammatische Perspektive auf Problemfelder im aktuellen Bildungssprachendiskurs
  • 3.2.1 Bildungssprachliche Einheiten ganzheitlich erfassen
  • (i) Substantivkomposita-Konstruktion
  • (ii) sich lassen-Passivkonstruktion
  • 3.2.2 Register ‚Bildungssprache‘ als Konstruktion
  • 4 Fazit und Ausblick
  • 5   Literatur
  • Sprache im Chemie-Unterricht
  • 1 Einleitung
  • 2 Alltagssprache vs. Fach- und Bildungssprache als unterschiedliche Register
  • 3 Funktionen von Fach- und Bildungssprache
  • 4 Sprachliche Merkmale6
  • 4.1 Fachwörter
  • 4.2 Fachwörter in Form von Nominalisierungen
  • 4.3 Fachwörter in Form von Komposita
  • 4.4 Symbolsprache
  • 4.5 Komplexe Attribute
  • 4.6 Präpositionen
  • 4.7 Trennbare Verben
  • 4.8 Unpersönliche Ausdrucksweise
  • 4.9 Nebensatzkonstruktionen
  • 4.10 Explizite Markierung des Textzusammenhangs (Kohärenz)
  • 5 Aufgaben und Operatoren im Chemie-Unterricht
  • 6 Sprachsensibler Chemieunterricht15
  • 7   Literatur
  • Umgang mit Sprachwandel und Grammatikalisierung im Kontext eines sprachsensiblen Fachunterrichts
  • 1 Problemstellung
  • 2 Grammatische Strukturen im Wandel
  • 3 Sprachsensibler Fachunterricht im Kontext aktueller Sprachwandelprozesse
  • 4   Literatur
  • Sprachlernen im authentischen Arbeitszusammenhang – theoretische Grundlagen für eine integrative Sprachförderung in der Berufsvorbereitung
  • 1 Einleitung
  • 2 Zur Bedeutung von Sprachförderung im Übergang Schule-Beruf
  • 3 Sprachliche Variation in situativen Kontexten
  • 3.1 Kommunikative Bedingungen
  • 3.2 Sprachregister
  • 4 Sprachbezogene Anforderungen im (vor-)beruflichen Kontext: ein Beispiel aus der Holzwerkstatt einer Produktionsschule
  • 4.1 Auftragsannahme
  • 4.2 Planung
  • 4.3 Produktion der Holzbank und Führen des Berichtsheftes
  • 4.4 Abnahme durch den Pädagogen
  • 4.5 Lieferung, Verkauf
  • 4.6 Dokumentation
  • 4.7 Bewertung
  • 5 Zusammenfassung und Ausblick
  • 6   Literatur
  • Implizite sprachliche Hürden im Mathematikunterricht
  • 1 Einleitung
  • 2 Sprachliche Anforderungen im Mathematikunterricht
  • 2.1 Sprachformen im Fachunterricht
  • 2.2 Sprachliche Anforderungen bei textbasierten Aufgaben
  • 3 Sprachliche Hürden im Mathematikunterricht
  • 3.1 Bildungssprachliche Hürden bei textbasierten Aufgaben
  • 3.2 Implizite Hürden bei textbasierten Sachaufgaben
  • 4 Zum Umgang mit sprachlichen Hürden im Mathematikunterricht
  • 4.1 Defensive und Offensive Herangehensweisen
  • 4.2 Grundzüge des sprachsensiblen Fachunterrichts
  • 4.3 Bernsteins Theorie pädagogischer Codes
  • 5 Fazit und Ausblick
  • 6   Literatur
  • Semiotik und Identität
  • Zwischen Wissenschaftstheorie und kognitiver Semantik. Strukturalistische Theorieelemente und Frames als Modelle der Theorien- und Begriffsrekonstruktion
  • 1 Einleitung
  • 2 Der Strukturalismus: Von der Theorien- zur Begriffsrekonstruktion
  • 2.1 Die Strukturalistische Theorienauffassung
  • 2.2 Die strukturalistische Begriffsauffassung
  • 3 Frames: Von der Begriffs- zur Theorienrekonstruktion
  • 3.1 Das Frame-Modell für Begriffe
  • 3.2 Das Frame-Modell für Theorien
  • 4 Strukturalismus und Frames als Modelle der Theorien- und Begriffsrekonstruktion – eine Gegenüberstellung
  • 4.1 Strukturalismus und Frames als Methoden der Theorienrekonstruktion
  • 4.1.1 Explikationstiefe
  • 4.1.2 Zugänglichkeit
  • 4.1.3 Anwendungsbreite
  • 4.2 Strukturalismus und Frames als Methoden der Begriffsrekonstruktion
  • 4.2.1 Explikationstiefe
  • 4.2.2 Zugänglichkeit
  • 4.2.3 Anwendungsbreite
  • 5   Literatur
  • „Hast du eine Ahnung, …?“ Eine lexikografische und korpusbasierte Untersuchung am Beispiel des Lexems Ahnung
  • 1 Einleitung
  • 2 Methodisches Vorgehen
  • 3 Analyse des Lexems Ahnung
  • 3.1 Ahnung in Wörterbüchern
  • 4 Ahnung … und darüber hinaus
  • 5   Literatur
  • Identität in Sprache und Raum
  • 1 Einleitung
  • 2 Raum- und sprachbezogene Identitätskonzepte
  • 2.1 Das Konzept der Identität in der Geografie
  • 2.2 Identität aus der Perspektive sprachbezogener Forschung
  • 3 Grundlagen der Identität in Raum und Sprache
  • 3.1 Grundlagen räumlicher Identität
  • 3.1.1 Ortsbewusstsein als Identitätsgenerator
  • 3.1.2 Die Bestandteile räumlicher Identitäten
  • 3.2 Grundlagen sprachlicher Identität
  • 4 Möglichkeiten der empirischen Erforschung von Identität in Raum und Sprache
  • 5 Fazit
  • 6   Literatur
  • Migration und Mehrsprachigkeit
  • Mehrsprachigkeit in der luxemburgischen Fußballberichterstattung
  • 1 Einleitung
  • 2 Mehrsprachigkeit in Luxemburg
  • 2.1 Lexikalische Dubletten im Luxemburgischen
  • 2.2 Die Erforschung der Fußballsprache
  • 3 Das Untersuchungsmaterial: Das ‚Champions-League-Korpus‘
  • 4 Ergebnisse der Analyse
  • 4.1 Deutsche Elemente
  • 4.2 Französische Elemente
  • 4.3 Lexikalische Dubletten
  • 4.4 Englische und luxemburgische Elemente
  • 5 Zusammenfassung und Ausblick
  • 6   Literatur
  • Anhang
  • Durch die Sprachbrille – Etische und emische Forschungsperspektiven nach der Migration
  • 1 Multivalenz als Auffächerung oder Verschleierung?
  • 1.1 Theorieinduzierte Vorüberlegungen
  • 1.2 Daten als Reflexionsfolie
  • 1.3 ‚Flüchtlingsfrau‘: Mehr als das Auge fassen kann
  • 2 Das Kontinuum ‚etisch‘ und ‚emisch‘
  • 3 Die Unzulänglichkeit vorhandener Bezeichnungen
  • 4 Geteilte Sprache, verteilte Macht
  • 4.1 Kontext der Studie
  • 4.2 Tamil als mehrstaatliche, diglossische Sprache in der Diaspora
  • 4.3 Was teilen wir, was teilt uns?
  • 5 Familiensprache – Schulsprache – Institutionssprache – Amtssprache
  • 6 Fazit: geteilte Sprache, verteilte Macht, vereiteltes Machtproblem
  • 7   Literatur
  • Von der Schwierigkeit der Anerkennung individueller Bildungsbiografien in der Migrationsgesellschaft
  • 1 Einleitung
  • 2 Forschungen zu Geflüchteten in Deutschland
  • 3 Bildungsbiografien Neuzugewanderter – Einblicke in empirische Studien
  • 4 Konsequenzen für die Anerkennung individueller Bildungsbiografien
  • 5 Ausblick
  • 6   Literatur
  • Anforderungen an studienvorbereitende Programme für Geflüchtete und deren Umsetzung in die Praxis am Beispiel des intoSTUDY-Projekts der Hochschule Hannover
  • 1 Einleitung
  • 2 Anforderungen an effektive studienvorbereitende Programme für Geflüchtete
  • 2.1 Bestehen einer anerkannten High-Stakes Sprachprüfung zur Studienzulassung
  • 2.2 Akademische Integration
  • 2.3 Beratung/ Empowerment/ Inklusion
  • 3 Umgang mit Anforderungen im intoSTUDY-Projekt der Hochschule Hannover
  • 3.1 Ursprünge und Konzeption des intoSTUDY-Projekts der Hochschule Hannover
  • 3.2 Daten über die Teilnahme und den Werdegang der ProjektteilnehmerInnen
  • 3.3 Umgang mit Problemen im Sinne einer Best-Practice Liste
  • 4 Schlussbemerkung
  • 5 Literatur
  • Zurück nach Hannover. Ehemalige MigrantInnen jüdischer Herkunft erzählen
  • 1 Einleitung
  • 2 Reisen zurück von EmigrantInnen nach Israel
  • 2.1 Erna Nira und Yair Cohn
  • 2.2 Rina und Usi Biran
  • 3 Zwischenbilanz
  • 4 Reisen zurück von MigrantInnen nach Großbritannien
  • 4.1 Ursula Beyrodt
  • 4.2 Vernon Reynolds
  • 4.3 Michael Brown
  • 5 Ergebnisse und Vergleiche
  • 6   Literatur
  • Die Rolle der Schreibkompetenz im Kontext der aktuellen Zuwanderung
  • 1 Einleitung
  • 2 Gegenwärtige Fluchtzuwanderung
  • 3 Sprachlernangebote für Zugewanderte
  • 3.1 Integrationskurse
  • 3.2 Berufsbezogene Deutschsprachförderung
  • 4 Die Rolle der Schriftsprache
  • 4.1 Schreibkompetenz
  • 4.2 Einflussfaktoren des Zweitspracherwerbs und des Schreibens in der Zweitsprache
  • 4.3 Schreiben in Integrationskursen
  • 5 Fazit
  • 6   Literatur
  • Hinweise zu den AutorInnen

Einleitung

Im April 2019 ging Prof. Dr. Hans Bickes in seinen wohlverdienten Ruhestand. Ein kleines Team früherer MitarbeiterInnen und KollegInnen ließ es sich trotz des charmanten Sträubens von Hans Bickes nicht nehmen, ihm zu Ehren und pünktlich zu seinem 66. Geburtstag die vorliegende Festschrift herauszugeben. Einen Überblick über den Inhalt dieses Sammelbands erhielt der Jubilar bei seiner feierlichen Verabschiedung von der Leibniz Universität Hannover am 28. März 2019, als das HerausgeberInnenteam ihm ein goldgerahmtes, provisorisches Inhaltsverzeichnis überreichte. Wir freuen uns sehr, dass die Festschrift mithilfe aller Beteiligten nur ein Jahr später realisiert werden konnte – und das Inhaltsverzeichnis mit wenigen Änderungen erhalten blieb.

Zunächst zum Protagonisten selbst: Hans Bickes studierte Philosophie, Germanistik, Sport und Psychologie an der Universität Heidelberg, wo er – gefördert durch die Studienstiftung des Deutschen Volkes – in Germanistischer Linguistik auch promoviert wurde. Im Anschluss war er Mitarbeiter in sprachpsychologischen Forschungsprojekten in Heidelberg. Als Lektor des DAAD lehrte und forschte er von 1985 bis 1988 an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki, Griechenland. Zurück in Deutschland übernahm Hans Bickes die geschäftsführende Leitung der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden. 1993 folgte er dem Ruf auf die Professur für Sprach- und Kommunikationswissenschaften an die FH Darmstadt. Schließlich nahm er 1996 den Ruf auf die Professur für Linguistik/Deutsch als Fremdsprache an der Leibniz Universität Hannover an. In seiner Zeit an der Leibniz Universität Hannover engagierte sich Hans Bickes in vielfältiger Weise: Er übernahm verschiedene Funktionsämter, zum Beispiel als Dekan (2001–2003) und Prodekan (2003–2004) des Fachbereichs Sprach- und Literaturwissenschaften sowie als Mitglied des Fakultätsrates der Philosophischen Fakultät. Insbesondere mit der Übernahme des Amtes der Ombudsperson für Studium und Lehre der Leibniz Universität Hannover in 2014 engagierte sich Hans Bickes bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand in außerordentlicher Art und Weise und mit unermüdlichem Einsatz für die Belange von Studierenden.

Inhaltlich sind seine Hauptarbeitsgebiete Sprache und Kognition, Semantik, Mehrsprachigkeitsforschung, Spracherwerbsforschung, Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, Deutsch als Bildungssprache und Kritische Diskursanalyse. Das berufliche Schaffen von Hans Bickes war dabei stets geprägt von wertschätzender Zusammenarbeit. Viele Projekte und Kooperationen könnten an dieser Stelle erwähnt werden – exemplarisch sei ein deutsch-griechisches Kooperationsprojekt genannt, das mit Methoden der Kritischen Diskursanalyse die deutsche und griechische Medienberichterstattung zur Finanzkrise in Griechenland analysiert hat. In den letzten Jahren standen Arbeiten rund um das Thema Bildungssprache und sprachsensibler Fachunterricht im Vordergrund seiner Forschungstätigkeit. Durch sein unentwegtes Engagement spielen diese Themen für die Reformierung der LehrerInnenbildung an der Leibniz Universität Hannover mittlerweile eine wichtige Rolle.

Mit dieser Festschrift möchten wir, die HerausgeberInnen, uns bei Hans Bickes bedanken – für die jahrelange durch und durch angenehme Zusammenarbeit, den inspirierenden Austausch und die Unterstützung in jeglicher Hinsicht. Insgesamt 19 AutorInnen haben Beiträge für Hans Bickes verfasst, die einige der genannten Forschungsschwerpunkte widerspiegeln. Die Beiträge, die nachfolgend in einem kurzen Abriss vorgestellt werden, sind in dem vorliegenden Sammelband in drei Themenblöcke unterteilt: Bildungssprache und Sprache im Fach, Semiotik und Identität und Migration und Mehrsprachigkeit. Der persönliche Bezug der VerfasserInnen zum Jubilar findet sich am Ende des Buches in den Hinweisen zu den AutorInnen.

Die Beiträge des ersten Themenblocks Bildungssprache und Sprache im Fach widmen sich den besonderen sprachlichen Anforderungen in Bildungseinrichtungen, der theoretischen Modellierung dieses sprachlichen Registers sowie Fragen nach der Förderung von spezifischen sprachlichen Kompetenzen.

Der erste Beitrag dieses Themenblocks stammt von Tabea Becker, Celina Diroll und Tina Otten. In „Die Zeitform verwechselt den Wort“ – Bildungssprache, Sprachbewusstsein und Sprechen über Sprache bei SchülerInnen mit DaZ analysieren die Autorinnen, wie sich SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache über grammatische Phänomene äußern (können). Hierfür wurden schriftliche und mündliche Daten von über 350 SchülerInnen aus verschiedenen Schulformen und -stufen untersucht. Die analysierten Daten liefern Hinweise darauf, dass der Schule bei der Entwicklung von Bildungssprache im Hinblick auf das „Sprechen über Sprache“ eine entscheidende Rolle zukommt.

In dem Beitrag Bildungssprache und Konstruktionsgrammatik arbeiten Janina Behr und Kristin Tschernig drei zentrale Probleme im aktuellen Forschungsdiskurs um Bildungssprache heraus und unterbreiten einen Vorschlag, wie sich diese durch die Adaption eines gebrauchsbasierten konstruktionsgrammatischen Rahmens lösen lassen.

Christine Bickes geht in ihrem Beitrag Sprache im Chemie-Unterricht auf sprachliche Hürden für SchülerInnen im Chemie-Unterricht ein und illustriert die Komplexität von sprachlichen Anforderungen. Hierfür führt sie einige typische sprachliche Merkmale auf, die SchülerInnen den Erwerb der fachlichen Kompetenzen erschweren können. Sie plädiert schließlich für einen sprachsensiblen Fachunterricht und zeigt Strategien hierfür auf.

Einer Reihe von aktuellen grammatischen Wandlungsprozessen widmet sich Anne Jäger in ihrem Beitrag Umgang mit Sprachwandel und Grammatikalisierung im Kontext eines sprachsensiblen Fachunterrichts. Die Autorin beschreibt eingehend exemplarische Prozesse und spricht sich dafür aus, grammatische Themen und Phänomene des Sprachwandels im Fachunterricht weniger zu scheuen, als vielmehr als „Anlass zum Austausch und zum gemeinsamen Lernen“ zu verstehen.

Welchen sprachlichen Anforderungen Jugendliche und junge Erwachsene in vollständigen Arbeitsprozessen in der Berufsvorbereitung begegnen, analysiert Ariane Steuber. In ihrem Beitrag Sprachlernen im authentischen Arbeitszusammenhang – theoretische Grundlagen für eine integrative Sprachförderung in der Berufsvorbereitung leitet sie aus dieser Analyse Perspektiven für eine ressourcenorientierte integrierte Sprachförderung ab.

Einblicke in den Forschungsdiskurs der Mathematikdidaktik gibt My Hanh Vo Thi. In dem Beitrag Implizite sprachliche Hürden im Mathematikunterricht plädiert sie für eine stärkere Integration von fachspezifischen Forschungsergebnissen in bestehende allgemeine Sprachförderkonzepte und stellt zwei Konzepte vor, die in Bezug auf Mathematikaufgaben in Textform unterschiedliche sprachliche Hürden und Ansätze zu deren Bewältigung problematisieren.

Der zweite Themenblock der Festschrift Semiotik und Identität beschäftigt sich mit Themen der lexikalischen Zeichenanalyse, der Begriffs- und Theorienrekonstruktion sowie mit dem Zusammenhang von Zeichentheorie mit sprachlicher und räumlicher Identität.

In dem Beitrag Zwischen Wissenschaftstheorie und kognitiver Semantik. Strukturalistische Theorieelemente und Frames als Modelle der Theorien- und Begriffsrekonstruktion untersucht Stephan Kornmesser das Verhältnis des aus der Wissenschaftstheorie stammenden Modells des Strukturalismus und des aus der Kognitionswissenschaft stammenden Frame-Modells. Beide Modelle werden zur Rekonstruktion und Analyse sowohl von Begriffen (verstanden als Bedeutungen von Lexemen) und wissenschaftlichen Theorien verwendet. In dem Beitrag gilt es, den Strukturalismus und das Frame-Modell einander gegenüberzustellen und bezüglich ihrer jeweiligen Vor- und Nachteile zu vergleichen.

Christine Möhrs widmet sich in ihrem Beitrag Hast du eine Ahnung, …?“ Eine lexikografische und korpusbasierte Untersuchung am Beispiel des Lexems Ahnung einer Analyse der Bedeutung bzw. Funktion des Lexems Ahnung. Dabei wird sowohl eine lexikografische Perspektive eingenommen, indem Wörterbucheinträge zu dem Lexem Ahnung untersucht werden, als auch eine korpuslinguistische Perspektive, aus welcher authentische Verwendungen dieses Lexems in gesprochenem sowie in geschriebenem Deutsch betrachtet werden.

Der Beitrag Identität in Sprache und Raum von Marijana Kresić Vukosav und Branimir Vukosav beschäftigt sich aus linguistischer und geografischer Perspektive mit der identitätskonstituierenden Funktion von Sprache und Raum. In Abgrenzung zu postmodernen Konzeptualisierungen von Identität wird auf der Grundlage empirischer Untersuchungen und theoretischer Analysen die These vertreten, dass Identität nicht völlig frei und flexibel konstruierbar ist, sondern sich durch räumliche, soziale und sprachliche Zugehörigkeiten konstituiert.

Im dritten Themenblock Migration und Mehrsprachigkeit werden vielfältige Aspekte von Mehrsprachigkeit thematisiert – mit einem Schwerpunkt auf unterschiedlichen Dimensionen von Zuwanderung und Migration.

Der erste Beitrag dieses Themenblocks, Mehrsprachigkeit in der luxemburgischen Fußballberichterstattung, widmet sich einer beliebten Fachsprache – der des Fußballs. Anhand einer empirischen Untersuchung kommentierter Champions-League-Spiele im luxemburgischen Fernsehen verdeutlicht François Conrad die sprachkontaktbedingte Mehrsprachigkeit in der luxemburgischen Fußballsprache.

In ihrem Beitrag Durch die Sprachbrille – Etische und emische Forschungsperspektiven nach der Migration stellt Radhika Natarajan Überlegungen dazu an, welche Perspektiven verschiedene methodologische Ansätze aus der Zweitsprachenerwerbsforschung in Bezug auf die sprachliche Welt und Vielfalt eröffnen, aber auch versperren können. Dabei nimmt sie spezifische Bezeichnungen und Begriffe in den Blick und prüft kritisch, welche Rolle diese hinsichtlich eines erkenntnistheoretischen Anliegens einnehmen.

Von der Schwierigkeit der Anerkennung individueller Bildungsbiografien in der Migrationsgesellschaft berichtet Isabel Sievers, indem sie an exemplarischen Biografien die Herausforderungen aufzeigt, die der Weg von Geflüchteten in das Bildungssystem, den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft beinhaltet. Dabei thematisiert sie insbesondere die Frage, welche Erkenntnisse aus bisher durchgeführten Studien zur Anerkennung individueller Bildungsbiografien gewonnen werden können und setzt sich kritisch mit bestehenden Vorstellungen von Bildungsverläufen auseinander.

Alexander Steinhof beschreibt die Anforderungen an studienvorbereitende Programme für Geflüchtete und deren Umsetzung in die Praxis am Beispiel des intoSTUDY-Projekts der Hochschule Hannover. Dabei wird keine theoretische Perspektive eingenommen, sondern es werden anhand eines Beispielprogramms praktische Anregungen aus mehreren Jahren Erfahrungen gegeben, wie Geflüchtete perspektiven-, ziel- und motivationsorientiert gefördert werden können.

In Zurück nach Hannover. Ehemalige MigrantInnen jüdischer Herkunft erzählen analysiert Eva-Maria Thüne auf der Basis von narrativen Interviews, wie ehemalige MigrantInnen jüdischer Herkunft Hannover wahrnehmen, wenn sie nach der Shoah zurückkehren. Sie stellt Gemeinsamkeiten und durch individuelle Variablen bedingte Unterschiede zwischen den Erfahrungen und Eindrücken der ehemaligen MigrantInnen heraus.

Ketevan Zhorzholiani erörtert in ihrem Beitrag Die Rolle der Schreibkompetenz im Kontext der aktuellen Zuwanderung, wie Schreibfertigkeiten in der aktuellen Konzeption von staatlich organisierten Sprachlernangeboten für erwachsene Geflüchtete gefördert werden. Aus ihrer Analyse des Ist-Stands leitet sie Empfehlungen für eine Neuausrichtung der Kurskonzeption ab.

Zum Abschluss wollen wir uns erneut bedanken: Bei allen AutorInnen, die an der Entstehung dieser Festschrift mitgewirkt haben, dem Deutschen Seminar der Leibniz Universität Hannover für die Übernahme der Druckkosten und dem Peter Lang Verlag für die unkomplizierte und freundliche Zusammenarbeit.

Und schließlich: Lieber Hans, im Namen aller Beteiligten wünschen wir Dir für die neue Lebensphase Zeit und Freiheit für die Dir jetzt wichtigen Themen, inspirierende Erlebnisse und Begegnungen, Gesundheit, Muße und nicht zuletzt eine bequeme Sitzgelegenheit zur entspannten Lektüre dieses Dir gewidmeten Buchs.

Das HerausgeberInnenteam,

Hannover im April 2020

Janina Behr, François Conrad, Stephan Kornmesser und Kristin Tschernig

Tabea Becker, Celina Diroll und Tina Otten

„Die Zeitform verwechselt den Wort“ – Bildungssprache, Sprachbewusstsein und Sprechen über Sprache bei SchülerInnen mit DaZ

Abstract Language plays a crucial role in learning – this is not only true for language teaching, but for all other subjects as well; school can simply not be thought of without communication. In current discussions on language didactics as well as within school curricula, academic language and language awareness, i. e. the ability to think about language and to discuss its components, are considered to be significant factors in the academic success of students. This article sets out to evaluate the ways in which students of different schools and class levels talk about language, especially about grammar. We focus on the following questions: What do students relate to when talking about grammatical phenomena, how do they explain them, and how do they verbalize their linguistic knowledge? In order to answer these questions, we define three levels of grammatical knowledge. Oral and written data of over 350 students from different grades (7th, 10th, 12th) and various school types is analysed. On the basis of this data several hypotheses are generated regarding the acquisition of academic language in students with German as a second language.

1 Einleitung

„Die Zeitform verwechselt den Wort“ – dies drückt den Versuch eines Schülers der 7. Klasse aus, den Zusammenhang von Tempus und Wortbildungsprozessen zu beschreiben. Komplexe fachliche Zusammenhänge zu erläutern gehört zum Standartrepertoire der im Unterricht gestellten Arbeitsaufträge. Aussagen werden zueinander in Bezug gesetzt, Verbindungen zwischen Aspekten werden expliziert, Phänomene werden benannt – dies alles gelingt SchülerInnen nur, wenn nicht nur das inhaltliche Verständnis gegeben ist, sondern auch die sprachlichen Mittel zur Verfügung stehen. Ohne Sprache lassen sich Inhalte weder schülerInnenseitig erfassen, noch lehrerInnenseitig vermitteln. Komplexe Inhalte fordern eine komplexe Sprache. Unterricht stellt die SchülerInnen daher vor sprachliche Herausforderungen: Ob im mündlichen Unterrichtsgespräch oder im schriftlichen Bereich, wie z. B. in Arbeitsblättern oder dem Schulbuch, die Inhalte begegnen den Kindern stets in sprachlich verdichteter und komplexer Form.

Viele sprachliche Anforderungen des Unterrichts können mit den Begriffen von Bildungs- und Fachsprache belegt werden. Damit wird ein Ausschnitt der deutschen Sprache bezeichnet, der maßgeblich durch die situativen Gegebenheiten eines wissensvermittelnden Kontextes wie der Schule geprägt ist. In wissensvermittelnden Kontexten, primär zu finden in Bildungsinstitutionen, ist der Sprachgebrauch stark beeinflusst von der Orientierung an der Schriftlichkeit und literaten Sprachpraxen wie den Text- und Diskursformen Erklären oder Begründen (vgl. Michalak et al. 2015: 51).

Die grundlegenden Charakteristika der Register von Bildungs- und Fachsprache werden im Folgenden mit Fokus auf spezifische Herausforderungen für SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache umrissen. Im Anschluss daran werden zentrale Erkenntnisse über die Vermittlung bildungssprachlicher Kompetenzen speziell für diese SchülerInnen vorgestellt, um potenzielle Lernwege des Erwerbs in der Praxis theoretisch fundieren zu können. Anschließend werden ausgewählte Ergebnisse aus zwei didaktischen Forschungsprojekten präsentiert, die sich mit der Verbalisierbarkeit grammatischen Wissens durch SchülerInnen verschiedener Schulformen und Sprachbiographien beschäftigen. Diese Ergebnisse werden konsekutiv zur Hypothesenbildung genutzt, um didaktische Denkanstöße für den Unterricht in sprachlich heterogenen Klassen zu generieren.

1.1 Bildungs- und Fachsprache und die Sprache im Unterricht

Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen der Sprache des Unterrichts und dem Lernerfolg von SchülerInnen (vgl. Riebling 2013: 106, Reich 2013: 68) liegt es nahe, diesen Zusammenhang genauer zu definieren. Auffällig geworden ist diese Relation vor dem Hintergrund von Studien, die zu dem Ergebnis kamen, dass bestimmte SchülerInnengruppen in der Sekundarstufe I zwar über gute, alltagssprachliche Fähigkeiten in der mündlichen Kommunikation verfügen, jedoch mit der Sprache im Unterricht und textbasierten Arbeitsmaterialien überfordert sind und in Folge dessen in Schulleistungsstudien schlechtere Ergebnisse erzielen (vgl. Berendes et al. 2013: 25). Diese Befunde beziehen sich sowohl auf SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache als auch auf SchülerInnen, deren sozioökonomischer Hintergrund auf wenig Kontakt mit bildungssprachlichem Sprachgebrauch schließen lässt (vgl. Riebling 2013: 107). Dazu soll zunächst umrissen werden, welche Funktionen und Merkmale die Sprache im Unterricht und in Lernmedien prägen und wie sie sich von den Sprachfähigkeiten in Alltagskontexten unterscheiden.

Die grundsätzliche Unterscheidbarkeit von Sprache in wissensvermittelnden Bildungskontexten und in informellen Alltagssituationen wurde bereits mehrfach belegt (vgl. Gogolin/Lange 2011: 111f., Koch/Oesterreicher 1986: 19f., Berendes et al. 2013: 21ff.). Zu Grunde liegt die Annahme, dass Sprache im Unterricht bildungs- und fachsprachlich und an Schriftlichkeit orientiert ist (vgl. Berendes et al. 2013: 25). Kompetenzen in der Bildungssprache wird hierbei eine Art Doppelfunktion zugewiesen, indem sie als Werkzeug des Denkens sowohl auf der Output- als auch auf der Inputebene im Unterricht bedeutsam werden. Bildungssprache fungiert als Medium der Wissensverarbeitung, da die SchülerInnen mithilfe bildungssprachlicher Kompetenzen in der Lage sind, kognitiv anspruchsvolle Inhalte aufzunehmen, zu durchdringen und selbst zu formulieren (vgl. Berendes et al. 2013: 25, Leisen 2019). Diese epistemische Funktion der Bildungssprache prägt das basale Verständnis dieses Registers im deutschsprachigen Raum. Beeinflusst wurde diese Ansicht bereits 1977 durch Habermas’ Charakterisierung der Funktion von Bildungssprache, Fachwissen in Alltagswissen zu integrieren (vgl. Riebling 2013: 109). Nachfolgende Arbeiten von Gogolin oder Ortner nehmen Bezug auf das Habermas’sche Verständnis und definieren Bildungssprache als Sprache, durch die ein Orientierungswissen angeeignet und verwendet werden kann. Daher ist Bildungssprache durch ihre epistemische Funktion für den Erwerb von Wissen auch als Sprache der Bildungsinstitutionen definiert (vgl. ebd.). Anders formuliert fungiert Bildungssprache als Medium und Instrument zur Wissensvermittlung und -aneignung, indem sie es ermöglicht, kognitiv anspruchsvolle Inhalte in Form von Fachwissen sprachlich zu durchdringen und mit bereits vorhandenen alltäglichen Wissensstrukturen zu verknüpfen (vgl. Leisen 2019).

Grundlegend für die funktionale Nutzung sprachlicher Strukturen in Bildungskontexten ist die Definition des sprachlichen Registers nach Halliday, welches den Sprachgebrauch als funktional abhängig vom Kommunikationskontext sieht (vgl. Morek/Heller 2012: 71). In Bezug auf alltägliche Kommunikationssituationen bedeutet dies, dass diese von Parametern wie etwa der Vertrautheit der Kommunikationspartner, dem dialogisch geprägten Austausch sowie subjektiven und emotionalen Einflüssen konstituiert wird. So finden sprachliche Phänomene Anwendung in Form von direkten Verweisen auf den Umgebungskontext und einer Verringerung des Fokus’ auf sprachliche Korrektheit und Vollständigkeit zu Gunsten der Aufrechterhaltung des unmittelbaren Sprecherwechsels und der Spontaneität (vgl. Michalak et al. 2015: 48f.). Darüber hinaus lässt sich Bildungssprache als ein Register umreißen, welches eine monologische und formelle Erscheinungsform sowie emotionale und kontextuelle Distanz der Kommunikationspartner aufweist. Thematisch ist sie gebunden an die Themen und Ziele von Bildungsinstitutionen und stark auf den Wissensaustausch ausgelegt (vgl. Riebling 2013: 124). Dabei stehen sich Alltags- und Bildungssprache jedoch nicht diametral gegenüber, sondern beziehen sich im Sinne eines graduellen Überganges auf unterschiedliche Bezugsbereiche, Wissensformen und Kommunikationsbedingungen. Da konzeptionelle Schriftlichkeit die Kommunikation in Bildungsinstitutionen prägt, sind Fähigkeiten im Bereich der konzeptionellen Schriftlichkeit zur Teilnahme am Austausch in solchen Institutionen in jeder medialen Repräsentationsform unumgänglich (vgl. Koch/Oesterreicher 1986: 19ff.). Für die Schule bedeutet dies eine grundsätzliche Orientierung an distanzsprachlichem, konzeptionell schriftlichem und somit bildungssprachlichem Sprachgebrauch (vgl. Otten et al. 2017: 23).

Der Gebrauch mündlicher und nähesprachlicher Versprachlichungsstrategien ist den SchülerInnen bereits vertraut – Unterhaltungen in der Familie oder der Austausch mit Freunden werden durch die Parameter und Anforderungen dieses Registers geprägt. Mit Fortschreiten der Bildungsbiographie verschieben sich die Charakteristika des Sprachgebrauchs kontinuierlich hin zur konzeptionellen Schriftlichkeit und die Verwendung der Bildungssprache wird von den SchülerInnen in immer größerem Umfang verlangt. Die Notwendigkeit des Beherrschens dieses Registers erklärt sich einerseits durch einen grundsätzlich textbasierten Unterricht und andererseits durch die steigende Komplexität der vermittelten Inhalte in Wort und Schrift (vgl. Gogolin/Lange 2011: 118f.). Diese Weiterentwicklung des Sprachgebrauchs von der Mündlichkeit der Alltagssprache zur Schriftlichkeit der Bildungssprache ist jedoch keine natürliche Erwerbsprogression. Bekannt ist den SchülerInnen die Alltagssprache aus ihren bisherigen kommunikativen Erfahrungen. Die Sprache der Institution Schule ist ein neues Register, welches aufgrund der genannten Funktionen und Versprachlichungsstrategien bestimmte sprachliche Merkmale aufweist, die von denen der Alltagssprache abweichen (vgl. Gantefort 2013: 73f.).

Primär bestimmt werden die sprachlichen Merkmale der Bildungssprache durch die Funktionen, die sie als Kommunikationsmittel der Bildungsinstitutionen erfüllt (vgl. Riebling 2013: 124). Informationsverdichtung und Dekontextualisierung wurden bereits als wichtige Funktionen des schriftnahen Sprachgebrauchs festgehalten. Des Weiteren fungieren Objektivität und Entpersonalisierung als Mittel eines unpersönlichen und allgemeingültigen Ausdrucks. Darüber hinaus sind noch Differenzierung und Präzisierung sowie die Klarheit der Argumentationsführung als Funktionen zu nennen (vgl. Bickes 2016: 9). Daraus lassen sich auf lexikalischer, morpho-syntaktischer und textueller Ebene einige sprachliche Merkmale ableiten. Bislang kann keine vollständige Liste solcher bildungssprachlicher Merkmale der deutschen Sprache festgehalten werden (vgl. Heppt et al. 2012: 351), jedoch gibt es bestimmte Ressourcen, welche in der Bildungssprache frequenter und komplexer zum Einsatz kommen als in der Alltagssprache (vgl. Gantefort 2013: 76). Unter diese sprachlichen Mittel fallen Nominalisierungen, Passiv-Konstruktionen, komplexe Nominalphrasen mit Attributen, Komposita, unpersönliche Ausdrücke, komplexe Satzgefüge sowie die Fachtermini jedes Unterrichtsfachs (vgl. Bickes 2012: 11ff., Heppt et al. 2012: 351, Riebling 2013: 134, Gogolin/Lange 2011: 113f.). Somit bedient sich die Bildungssprache zwar der gleichen sprachlichen Ressourcen des Deutschen wie die Alltagssprache, jedoch werden diese in höherer Anzahl, Qualität und Komplexität verwendet (vgl. Gantefort 2013: 76). Die Sprache in der Schule stellt daher für die meisten SchülerInnen eine Herausforderung dar. Für einige SchülerInnengruppen kann das bildungs- und fachsprachliche Register sogar ein gänzlich unbekannter Ausschnitt des Sprachgebrauchs sein. Dies betrifft primär SchülerInnen, die in ihrem sozialen und familiären Umfeld keinen Kontakt zu diesem Register haben – sei es aufgrund eines ungesteuerten Erwerbs des Deutschen als Zweitsprache nach einer Migration oder bedingt durch fehlende literate Praktiken in der Familie (Jeuk 2018: 54).

1.2 SchülerInnen mit Deutsch als Zweitsprache – Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen und Sprachbewusstsein

Zum Erwerb der Bildungssprache im Rahmen eines Zweitspracherwerbs gibt es vielfältige Forschungsergebnisse, bei denen sich jedoch eine Abhängigkeitsannahme herauskristallisiert, nach der die Beherrschung schriftsprachlicher und bildungssprachlicher Kompetenzen in der Erstsprache eine positive Auswirkung auf den Erwerb eben jener Fähigkeiten in der Zweitsprache haben. Dies bedeutet, dass die Entwicklung literater Fähigkeiten in der Erstsprache eine gute Basis für die Entwicklung bildungssprachlicher Kompetenzen in der zweiten Sprache darstellt. Der Umkehrschluss, wie ihn Jim Cummins im Rahmen seiner Interdependenz- und Schwellenniveauhypothese zieht, bedeutet, dass wenn die Erstsprache nicht auf einem bildungssprachlichen, schriftsprachlichen Niveau ausgebildet ist, dies die Beherrschung der Anforderungen schulischer Sprache in der Zweitsprache beeinträchtigen kann (vgl. Cummins 1979: 233f., vgl. Jeuk 2018: 50f.). Dies kann sowohl die Fähigkeiten auf den Ebenen der Lexik in Form des ausdifferenzierten Wortschatzes betreffen als auch morpho-syntaktische und metasprachliche Aspekte. Schwierigkeiten bei der Aneignung bildungssprachlicher Kompetenzen in der Zweitsprache sind jedoch nicht auf mangelnde Fähigkeiten in der Erstsprache allein zurückzuführen – weitere Faktoren wie die emotionale Besetzung der Sprachen, ausreichende Lerngelegenheiten und -zeit oder die Lernmotivation spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle (vgl. Jeuk 2018: 38f.).

Aus diesem Wirkungsgefüge ergibt sich zusammenfassend die Erkenntnis, dass bei mehrsprachigen Kindern ein multifaktorielles Konglomerat an beeinflussenden Aspekten besteht, welche in ihrer Summe eine Herausforderung für den Erwerb der Bildungssprache darstellen. Dadurch entsteht eine Vielzahl an individuellen Ausprägungen, die im derzeitig stattfindenden Unterrichtsgeschehen kaum Berücksichtigung finden. Die meisten Kinder werden nach einer kurzen Vorbereitungszeit in Sprachlernklassen in den Regelunterricht entlassen (vgl. Jeuk 2018: 117). Während dieser kurzen Zeit ist der Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen, die, wie bereits herausgestellt wurde, für die erfolgreiche Teilnahme am Unterricht und das fachliche Verständnis wichtig sind, nicht möglich. Diesen Aspekt stützen Erkenntnisse aus der Forschung von Cummins, der bei seiner Differenzierung in alltägliche mündliche Fähigkeiten einerseits (Basic Interpersonal Communication Skills, BICS) und sprachliche Fertigkeiten in dekontextualisierten und an konzeptioneller Schriftlichkeit orientierten Kontexten andererseits (Cognitive Academic Language Proficiency, CALP) die Erwerbszeiträume für beide Fähigkeitsbereiche festhält (vgl. Cummins 2000: 76). Grundlegende Fähigkeiten in der mündlichen Kommunikation sind bei MigrantInnenkindern recht schnell vorhanden, sodass er von einem Erwerbszeitraum von ca. zwei Jahren ausgeht. Jedoch erfordert der Erwerb von Kenntnissen der kontextentbundenen akademischen Sprache mehr Lernzeit. Um einen altersangemessenen Stand an bildungssprachlichen Fähigkeiten zu erlangen, ist laut Cummins eine Lernzeit von fünf bis sieben Jahren zu berücksichtigen (vgl. Harr et al. 2018: 226, vgl. Cummins 2000: 76). Diesen weit differierenden Lernzeiten wird durch die in der Praxis sehr rasch vorgenommene Integration von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache in den Regelunterricht nicht genügend Rechnung getragen. Die Fähigkeiten im Bereich der CALP werden dabei als zentral angesehen, um am mündlichen und schriftlichen Unterrichtsgeschehen erfolgreich partizipieren zu können. Ziel sollte es daher sein, die Kinder von Fähigkeiten im Bereich der BICS zu bildungssprachlichen Fähigkeiten zu führen. Dabei wird oft aufgrund guter Äußerungen in mündlichen und alltäglichen Interaktionen auf ebenfalls gut ausgebaute bildungssprachliche Kompetenzen geschlossen: Ein Problem, was unter den Begriff der „verdeckten Sprachschwierigkeiten“ (Jeuk 2018: 53) gefasst wird. Die Entwicklung von der BICS- zur CALP-Ebene vollzieht sich jedoch nicht von selbst, sondern bedarf einer expliziten und kontinuierlichen Vermittlung bildungssprachlicher Kenntnisse im Unterricht (vgl. Jeuk 2018: 53, vgl. Otten et al. 2017: 16). Wie bereits eingangs erläutert, erschweren nur geringe Erfahrungen mit literaten Praktiken den Erwerb der Bildungssprache ebenfalls. Besonders bei Kindern mit Deutsch als Zweitsprache tritt dies als zusätzlicher Faktor in das Wirkungsgefüge mit ein. Daher ist die erste Kontaktmöglichkeit und oft auch einzige Erwerbsmöglichkeit der schulische Kontext, in dem erstmals abstraktere und komplexere Sprachformen gefordert werden als im gewohnten Alltagsumfeld. Entscheidend ist daher eine schulische Vermittlung der Register Bildungs- und Fachsprache, welche sowohl die sprachlichen Herausforderungen dieser Register in den Blick nimmt als auch die individuellen Lernanforderungen verschiedener SchülerInnengruppen fokussiert.

1.3 Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen – implizit oder explizit?

Aufgrund des Verständnisses der Bildungssprache als stark funktional orientiertem Register und als kognitivem Werkzeug ergibt sich der vermehrte und qualitativ anspruchsvollere Gebrauch einiger Ressourcen wie der Lexik und der Syntax. Neben der Bezeichnung des konkreten grammatischen Phänomens stehen hinter sprachlichen Regeln und Formen auch bestimmte Repräsentationsformen für Inhalte. Um sich schulsprachlich korrekt – und somit auch bildungssprachlich kompetent – ausdrücken zu können, muss daher auch das prozedurale Verständnis des sprachlichen Phänomens erfasst werden.

Auch die Zweitspracherwerbsforschung thematisiert den Erwerb grammatischer Strukturen als einen wichtigen Bereich der Sprachbeherrschung. Demnach nimmt die Vermittlung grammatischer Strukturen einen hohen Stellenwert im DaZ-Unterricht oder anderen zweitsprachlichen Fördersettings ein – und sollte vor dem Hintergrund steigender sprachlicher Heterogenität in deutschen Schulklassen auch im Regelunterricht mitgedacht werden. Dabei stellt sich die Frage nach der geeignetsten Vermittlungsmethode, mit der sich die LernerInnen sowohl den Fachterminus als auch das Konzept des grammatischen Phänomens erschließen können und somit den Grammatikerwerb und indirekt auch den Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen vorantreiben können. Die Art der Grammatikvermittlung entsteht dabei zum einen aus der grundsätzlichen Ausrichtung des Unterrichts, welche sich zumeist an Prinzipien der Fremdsprachendidaktik orientiert, und den Zweitspracherwerbshypothesen. Vor allem die Kontroverse zwischen kognitivem und kommunikativem Unterricht als Vermittlungsformen und der Frage nach der Übertragbarkeit von erstsprachlichen Grammatikerwerbsphasen in die Zweitsprache ist als Schnittstelle zwischen Didaktik und Fachwissenschaft relevant. Während der kommunikative Unterricht implizit und primär an Inhalten ausgerichtet ist, lenken kognitive Ansätze die Aufmerksamkeit der LernerInnen bewusst auf die Strukturen der Sprache und ihre metasprachliche Betrachtung (vgl. Jeuk 2018: 122ff.).

In der Zweitsprachdidaktik wird dies durch bedeutungs- oder formbezogenen Sprachunterricht umgesetzt (vgl. Rösch et al. 2012: 175). Im formbezogenen Unterricht werden Sprachstrukturen auch außerhalb einer inhaltlichen Einbettung thematisiert und der Fokus somit bewusst von der Inhaltsebene verstärkt zur Formebene gelenkt (Focus on Form). Dieser Ansatz geht der Noticing-Hypothese folgend davon aus, dass Sprachformen auf einem bestimmten Level der Bewusstheit verarbeitet werden müssen, um von den LernerInnen auch aufgenommen werden zu können (vgl. Rösch et al. 2012: 176). Sprachstrukturen und Regeln werden daher systematisch expliziert, indem sie ausdrücklich vermittelt werden und auch auf metasprachlicher Ebene zur Förderung der Sprachbewusstheit über sie gesprochen wird (vgl. Rösch/Rotter 2010: 218).

In Abgrenzung dazu werden in den inhaltsbezogenen Ansätzen Sprachstrukturen implizit thematisiert, indem sprachliche Formen im Input gehäuft aufgegriffen und bei der Bearbeitung der Fachinhalte verwendet werden (Focus on Meaning). Somit stützt sich diese Art des Unterrichts auf die Monitor-Hypothese, nach der das Sprachlernen durch unbewusste Aneignung mittels Zuhören und Interaktionen die Grundlage für jede sprachliche Entwicklung darstellt und die Kinder die Regeln der Zweitsprache ähnlich wie im Erstspracherwerb unbewusst aus dem Input ableiten (vgl. Rösch/Rotter 2010: 218). Nach diesem Ansatz beeinflusst das kommunikative Handeln das Sprachenlernen somit stärker als die Vermittlung expliziten Regelwissens, welches aus diesem Grund nur zu Korrekturzwecken in den Fokus rückt (vgl. Rösch et al. 2012: 180).

Bezogen auf das Erlernen bildungssprachlicher Kompetenzen spielt die Erkenntnis, dass viele SchülerInnen trotz guter Fähigkeiten in der mündlichen Alltagskommunikation oft sprachliche Probleme im Unterricht, vor allem im konzeptionell schriftlichen Bereich haben, eine wichtige Rolle. Die alltagssprachlichen Kompetenzen reichen nicht aus, um die Anforderungen schulischer Sprache zu meistern (vgl. Rösch/Rotter 2010: 226). Dies liegt daran, dass erst auf diesem erhöhten Level der Sprachkompetenz Informationen ausschließlich aus Sprache entnommen werden müssen und können – und nicht, wie in der Alltagskommunikation, auch durch den situativen Kontext oder Mimik und Gestik. Die Kompetenzen in der Alltagssprache auf Ebene der BICS helfen den LernerInnen daher nur eingeschränkt, sich Inhalte aus dem Unterrichtsgespräch oder Schulbuchtexten zu erschließen (vgl. Jeuk 2018: 53). Für dieses Niveau der Sprachkompetenz sind jedoch formalsprachliche Kenntnisse unerlässlich, die für die LernerInnen durch eine explizite Fokussierung auf die Sprachstruktur relevant und somit bewusster erlernt werden, was wiederum zu einer erhöhten Sprachlernbewusstheit und metasprachlichem Wissen über die Zweitsprache führt (vgl. Rösch/Rotter 2010: 225f.). Für den Unterricht relevant ist dabei die Prämisse, dass das Regellernen nicht losgelöst von der Bedeutungsebene und somit nah an Fachinhalten vollzogen wird. Dadurch soll das Abspeichern leerer Worthülsen zur Bezeichnung sprachlicher Strukturen oder sinnleerer Formen vermieden werden. Die Form sollte idealerweise zusammen mit ihrer Funktion und Bedeutung den LernerInnen zur Verfügung stehen (vgl. Rösch/Rotter 2010: 221f.). Sprachliches Struktur- und Regelwissen, metasprachliche Kompetenzen im Sinne einer erhöhten Bewusstheit für die Regelhaftigkeit von Sprache und bildungssprachliche Kompetenzen sind somit eng verzahnt und ein für jeden Unterricht relevantes Wirkungsgefüge.

Details

Seiten
374
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631815502
ISBN (ePUB)
9783631815519
ISBN (MOBI)
9783631815526
ISBN (Hardcover)
9783631797594
DOI
10.3726/b16845
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (April)
Schlagworte
Bildungssprache Fachsprache DaF/DaZ Identität Semiotik Mehrsprachigkeit Migration
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 374 S., 35 s/w Abb., 23 Tab.

Biographische Angaben

Janina Behr (Band-Herausgeber:in) François Conrad (Band-Herausgeber:in) Stephan Kornmesser (Band-Herausgeber:in) Kristin Tschernig (Band-Herausgeber:in)

Janina Behr ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leibniz School of Education der Leibniz Universität Hannover. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Konstruktionsgrammatik, Sprachwandel, Grammatikalisierung, Deutsch als Zweit- und Bildungssprache. François Conrad ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Seminar der Leibniz Universität Hannover. Seine Forschungsschwerpunkte sind Phonetik/Phonologie, Sprachvariation, Sprachkontakt und Soziolinguistik. Stephan Kornmesser ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Oldenburg und am Deutschen Seminar (Abt. Sprachwissenschaft) der Universität Hannover. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Wissenschaftstheorie, Sprachphilosophie und Philosophie der Linguistik. Kristin Tschernig ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leibniz School of Education im Projekt Leibniz-Prinzip (Qualitätsoffensive Lehrerbildung) tätig und Doktorandin und Lehrbeauftragte am Deutschen Seminar. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Sprachbildung, Sprachsensibler Unterricht und Deutsch als Zweit-, Fremd- und Bildungssprache.

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Titel: Schnittstellen der Germanistik
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