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Reformbedarf im Krankenhaus- und Arzneimittelbereich nach der Wahl

22. Bad Orber Gespräche über kontroverse Themen im Gesundheitswesen

von Eberhard Wille (Band-Herausgeber:in)
©2018 Sammelband 180 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Buch enthält die erweiterten Referate eines interdisziplinären Workshops zum Thema "Reformbedarf im Krankenhaus- und Arzneimittelbereich nach der Wahl" im Rahmen der Bad Orber Gespräche 2017. Vertreter des Deutschen Bundestages, des Gemeinsamen Bundesausschusses, des GKV-Spitzenverbandes, der Krankenhäuser, der pharmazeutischen Industrie und der Wissenschaft behandeln Aspekte der Krankenhaus- und der ambulanten Notfallversorgung sowie von Reformen im Arzneimittelbereich.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Begrüßungsansprache „Bad Orber Gespräche 2017“
  • Krankenhauspolitik in der neuen Legislaturperiode – Die Sicht des GKV-Spitzenverbandes
  • Weiterentwicklung der Krankenhausversorgung
  • Ambulante Notfallversorgung im bzw. am Krankenhaus
  • Krankenhausmanagement 2017 in Deutschland – Quadratur des Kreises?
  • Die einheitliche Gebührenordnung unter gesundheitsökonomischen Aspekten
  • Nach der Wahl ist vor den Gesetzen: Was uns in der Gesundheitspolitik erwartet
  • Arzneimittelversorgung im Wandel Neuerungen durch das GKV-AMVSG
  • Der zukünftige Reformbedarf im Rahmen des AMNOG
  • Rechtliche Herausforderungen der regionalen Arzneimittel-Verordnungssteuerung
  • Ausgabensteuerung: Vom Preis-Mengen-Fokus zur Indikationsqualität
  • Vier Thesen für die neue Legislaturperiode aus Sicht der forschenden pharmazeutischen Industrie?
  • Verzeichnis der Autoren
  • Reihenübersicht

 7→

Marco Annas

Begrüßungsansprache „Bad Orber Gespräche 2017“

Sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste,

im Namen von Bayer begrüße ich Sie zu den 22. Bad Orber Gesprächen. Vorab möchte ich mich ganz herzlich bei den Vortragenden für Ihre Impulse und Anregungen bedanken. Die Bad Orber Gespräche leben von spannenden Vorträgen und einer offenen und kritischen Diskussion. Das über die vielen Jahre bewahrt zu haben, spricht für den Wert und die Qualität unserer Veranstaltungsreihe und ist sicher auch ein Grund für die steigende Teilnehmerzahl in den letzten Jahren.

Besonderer Dank gilt wie immer Herrn Professor Wille, der als langjähriger Chairman die Geschicke unserer Veranstaltung lenkt. Es zeichnet die Marke „Bad Orb“ unter seiner Leitung aus, dass er jedes Jahr im November erfahrene und streitbare Entscheider des deutschen Gesundheitssystems zusammenbringt. Dafür gebührt Ihnen, lieber Herr Professor Wille, mein ganz besonderer Dank!

In diesem Jahr fällt unsere Veranstaltung in eine Phase der politischen Unsicherheit. Acht Wochen nach der Bundestagswahl gibt es absehbar keine neue Regierungskoalition. Es gibt Anzeichen, dass es noch einige Zeit – möglicherweise bis Mitte 2018 – dauern wird, bis die jetzige geschäftsführende Regierung abgelöst wird. Es zeigt sich aber auch, dass die Mechanismen des Grundgesetzes funktionieren: Von einer Staatskrise, wie einige Medien getitelt haben, sind wir weit entfernt.

Aufgefallen ist, dass gesundheitspolitische Themen in den Sondierungen zu „Jamaika“ nur Randnotizen waren. Gerade einmal 1,5 Seiten umfasst das Kapitel zur Gesundheit. Auch im Wahlkampf spielte Gesundheitspolitik so gut wie keine Rolle. Allen Akteuren im System dürfte dennoch klar sein: Es gibt nach wie vor großen Handlungsbedarf. Darüber kann auch die sehr gute Finanzlage in der GKV nicht hinwegtäuschen.

Was sind die wichtigen Themenfelder im Gesundheitssystem, die es in der 19. Legislaturperiode zu bearbeiten gilt? Neben den großen Struktur-Themen Digitalisierung, Finanzierung und Qualität der Versorgung gibt es Reformbedarf beim Gemeinsamen Bundesausschuss, in der Pflege, beim Morbi-RSA, bei der Krankenhausstruktur, bei Apotheken und Arzneimitteln und noch vielem mehr. Einige der Themen stehen damit völlig zu Recht im Mittelpunkt unserer ←7 | 8→diesjährigen Tagung. Besonders interessiert uns natürlich der Arzneimittelsektor, speziell das AMNOG, auch wenn dieses System mit früher Nutzenbewertung und Preisverhandlung mittlerweile als etabliert gilt und über alle Parteien hinweg mehr oder weniger große (Selbst-) Zufriedenheit herrscht.

Von Zufriedenheit kann aus unserer Sicht allerdings noch nicht die Rede sein, denn es gilt festzuhalten: Von 190 neu eingeführten Wirkstoffen seit 2011 fehlen mittlerweile mehr als 30 Medikamente am Markt – Tendenz steigend. Das sind Arzneimittel, deren Wirksamkeit und Nutzen von den Zulassungsbehörden offiziell bestätigt wurden und die laut Leitlinien in der Versorgung gebraucht werden. Ein Missstand, der mittlerweile auch bei den Patienten ankommt. Zum Beispiel, wenn für ein Arzneimittel eine zweifelsfrei erwiesene Verlängerung der Überlebenszeit letztlich doch nicht als zusätzlicher Nutzen für die betroffenen Krebspatienten anerkannt wird unter dem Verweis auf mögliche Nebenwirkungen. Nehmen Sie hierzu eine öffentliche Diskussion war? Leider ist das nicht so, denn das Thema ist zugegebenermaßen sehr kompliziert. Kaum einer versteht die komplexen methodischen Details und – ja auch das – Wertentscheidungen der frühen Nutzenbewertung, die sich hinter einem vermeintlich technischen und objektiven Verfahren verbergen.

Woran es daher grundsätzlich mangelt, ist die fehlende Transparenz der Entscheidungsfindung und, dabei ganz entscheidend, die systematische Berücksichtigung der Patientenpräferenzen und der Prioritäten der klinischen Experten, also der Ärzte. Auch die Tatsache, dass in sehr vielen Fällen die Entscheidung „Zusatznutzen nicht belegt“ überwiegend aus formalen Gründen getroffen wird, muss Anlass sein, darüber zu diskutieren, ob Formalien oder die Perspektive der Patienten und klinischen Experten handlungsleitend sein sollten.

Die Methodik der frühen Nutzenbewertung muss aus unserer Sicht erweitert werden, um die verfügbare Evidenz umfassend in die Bewertungs- und Entscheidungsprozesse zu integrieren. Mit der Begrenzung auf die „bestmögliche“ Evidenz, also randomisierte kontrollierte Studien (RCT), bleibt die bestverfügbare Evidenz unberücksichtigt. Ein Lösungsansatz könnte zum Beispiel sein, dass der Gemeinsame Bundesausschuss gesetzlich verpflichtet wird, die Studienlage zum Zeitpunkt der Zulassung zu akzeptieren. Auch eine systematisch stärkere Einbeziehung des klinischen Sachverstands der ärztlichen Fachgesellschaften wäre wünschenswert. Dort sitzen nämlich diejenigen, die täglich Erfahrungen im Umgang mit den Patientinnen und Patienten sammeln.

Ein weiteres, wichtiges Thema ist das Arztinformationssystem, dass derzeit im Bundesgesundheitsministerium in eine Rechtsverordnung gegossen wird. Es kann wohl niemand etwas dagegen haben, Ärzte besser als bisher über die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses zur frühen Nutzenbewertung ←8 | 9→zu informieren, solange damit wirklich eine gezieltere Information statt einer Steuerung der Ärzte erreicht wird. Das hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung in ihrem aktuellen Positionspapier zum Arztinformationssystem auch deutlich gemacht: „Es ist jedoch unbedingt darauf zu achten, dass aus ‚Information‘ nicht faktische Verordnungsausschlüsse aufgrund von Hinweisen zur Wirtschaftlichkeit oder gar ‚kassengesteuerte Verordnungskontrolle‘ mit einer nochmals erheblichen Verschärfung der Regressbedrohung der Ärzte und einer Einschränkung der Therapiefreiheit wird.“1

Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen. Der Arzt muss mit dem neuen Informationssystem seine Therapiefreiheit behalten, um eine optimale Versorgung für den einzelnen Patienten nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse und mit Offenheit für Innovationen verantwortlich gewährleisten zu können. Versorgungslücken dürfen mit dem Arztinformationssystem nicht entstehen. Das muss auch der Anspruch der Selbstverwaltung sein. Wir werden daher sehr sorgfältig auf die Ausgestaltung der Rechtsverordnung des BMG achten. Arzneimittel ohne belegten Zusatznutzen sind eben gerade nicht ohne Nutzen. Sie dürfen in der Praxissoftware nicht diskriminiert werden. Denn diese „gleich guten“ Medikamente können wertvolle Therapiealternativen sein, etwa im Fall von Medikamentenunverträglichkeiten oder wenn andere Medikamente bei Patienten nicht wirken.

Abschließend noch ein Wort zum Mischpreis. Mischpreise werden im Rahmen des AMNOG immer dann vereinbart, wenn bei einem Arzneimittel verschiedenen Patientensubgruppen unterschiedlich hohe Zusatznutzenkategorien zugeordnet werden. Der Mischpreis ist in den Preisverhandlungen zwischen dem pharmazeutischen Unternehmer und dem GKV-Spitzenverband mittlerweile die Regel und nicht die Ausnahme. Verhandelt wird stets ein Erstattungsbetrag. Dieser im AMNOG verankerte Grundsatz steht übrigens auch im Einklang mit Paragraph 78 des Arzneimittelgesetzes, wonach ein einheitlicher Abgabepreis für ein Arzneimittel gilt. Aber: Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat die Mischpreisbildung für rechtswidrig erklärt und damit die Axt an einen Grundpfeiler des AMNOG-Systems gelegt. Eine finale Entscheidung durch das Bundessozialgericht dürfte erst in ein bis zwei Jahren zu erwarten sein. Daher mein Appell: Da die Normauslegung des LSG das gesamte in den vergangenen sechs Jahren praktizierte AMNOG-Verfahren der Preisfindung infrage stellt, ist der Gesetzgeber dringend gefordert, die Praxis der Mischpreisbildung gesetzlich ←9 | 10→abzusichern, damit keine Regressdrohungen oder Manipulationsanreize im Raum stehen und zu Verunsicherung bei allen Beteiligten führen.

Egal ob Jamaika, Minderheitsregierung, „GroKo“, oder doch Neuwahlen, in der Gesundheitspolitik bleibt viel zu tun.

Ich wünsche uns allen viele neue Erkenntnisse und gute Gespräche in den nächsten beiden Tagen.

Details

Seiten
180
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631771372
ISBN (ePUB)
9783631771389
ISBN (MOBI)
9783631771396
ISBN (Hardcover)
9783631767498
DOI
10.3726/b14822
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
Krankenhauspolitik in der neuen Legislaturperiode Krankenhausmanagement Ambulante Notfallversorgung Arzneimittelversorgung im Wandel Neuerungen durch das GKV-AMVSG Reformbedarf im Rahmen des AMNOG Rechtliche Herausforderungen der regionalen Arzneimittelsteuerung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. 175 S., 26 farb. Abb., 19 s/w Abb., 1 Tab.

Biographische Angaben

Eberhard Wille (Band-Herausgeber:in)

Eberhard Wille war nach dem Studium an der Universität Bonn, der Promotion und der Habilitation an der Universität Mainz Professor für Volkswirtschaftslehre, insbes. Finanzwissenschaft an der Universität Mannheim. Er ist derzeit als Emeritus u.a. Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sowie stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.

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