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MAC-Klauseln in Unternehmenskaufverträgen nach US-amerikanischem und deutschem Recht

von Christina Bohländer (Autor:in)
©2018 Dissertation XII, 268 Seiten

Zusammenfassung

Der Band analysiert die Bedeutung von Material Adverse Change-Klauseln (kurz: MAC-Klauseln) in Unternehmenskaufverträgen im Kontext des US-amerikanischen und deutschen Rechts. Im Lichte gewonnener rechtsvergleichender Einsichten aus US-amerikanischer Rechtsprechung, Rechtsliteratur und Praxis erfolgt eine Einordnung dieses «Legal Transplant» in das System des deutschen bürgerlichen Rechts. Die Autorin entwickelt insbesondere Kriterien zur Auslegung und Anwendung von MAC-Klauseln durch deutsche Gerichte und behandelt auch kautelarjuristische Fragestellungen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren-/Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Einführung in die Thematik
  • II. Analyse eines “Legal Transplant”
  • B. Die MAC-Klausel und ihr Ursprung im US-Recht
  • I. Erscheinungsformen und inhaltliche Gestaltung von MAC-Klauseln
  • 1. Erscheinungsformen
  • a) Unternehmenskauf
  • b) Finanzierungsverträge
  • 2. Inhaltliche Gestaltung
  • a) Die MAC-Klausel (Representations/Warranties und Closing Conditions)
  • i. Representations and Warranties
  • ii. Modifizierung von Representations and Warranties
  • iii. Closing Condition
  • iv. Bringdown Condition
  • v. Weitere Möglichkeiten
  • b) Definition des “Material Adverse Change”
  • i. Allgemein gefasste Klausel
  • (1) Feld der Veränderung
  • (2) Zukunftsbezogene Formulierungen
  • (3) “material”
  • (4) “Taken as a whole”
  • ii. Spezielle MAC-Klausel
  • (1) Inclusions
  • (2) Quantitative Kriterien
  • iii. MAC-Ausnahmen (Exceptions/Carve-outs)
  • iv. Beschränkung der “exclusions” (“disproportionate affect”)
  • 3. Entwicklung der MAC-Klausel und Einflussfaktoren
  • a) Entwicklung der MAC-Klausel
  • b) Einflussfaktoren
  • 4. Begriffliche Abgrenzungen
  • a) Material Adverse Change (MAC) und Material Adverse Effect (MAE)
  • b) Unternehmensbezogener, branchenbezogener und gesamtwirtschaftlicher MAC
  • c) MAC-Klauseln und „Force Majeure-Klauseln“
  • d) Hardship-Klauseln
  • II. Zwecke und Ziele der MAC-Klausel
  • 1. “Symmetry Theory”
  • 2. Informationsasymmetrie (“information asymmetry”)
  • 3. “Investment Theory”
  • 4. “Renegotiation Leverage Theory”
  • 5. “Catchall Representation”
  • III. Rechtsprechung
  • 1. IBP v. Tyson
  • a) Sachverhalt
  • b) Die Entscheidung des Gerichts
  • c) Wesentliche Punkte
  • 2. Frontier Oil v. Holly
  • 3. Hexion v. Huntsman
  • a) Sachverhalt/Hintergrund
  • b) Entscheidung des Gerichts
  • c) Zusammenfassung
  • 4. Weitere Entscheidungen (Fallgruppen)
  • a) Veränderungen der rechtlichen Lage
  • b) Anhängige Gerichtsverfahren als MAC
  • c) Marktveränderungen
  • d) Weitere Entscheidungen: Auftragsrückgang, Anstieg der Verbindlichkeiten, Gewinnrückgang
  • 5. Kritik an der Rechtsprechung des Delaware Chancery Court und alternative Auslegungsstandards
  • a) Kritische Stimmen in der Literatur (Überblick)
  • b) Alternative Ansätze
  • i. Exogene und endogene Risiken
  • ii. Kriterium der Verursachung
  • iii. Material im Sinne von “de minimis”?
  • iv. Auslegung in Anlehnung an Impracticability/Frustration of purpose (“Basic Assumption Test”)
  • v. Genesco v. Finish Line
  • c) Abweichende Vertragsgestaltung
  • IV. Vertragsauslegung und MAC-Klausel
  • 1. Auslegung der MAC-Klausel nach Grundsätzen des allgemeinen Vertragsrechts
  • 2. Einfluss allgemeiner Wertungen
  • V. MAC-Klausel als Abweichung von den “Default Rules”
  • 1. Lehre von der absoluten Vertragsgeltung und Entwicklung der “Doctrine of Frustration” in England
  • 2. Frustration of purpose und Impracticability im amerikanischen Recht
  • a) Impracticability
  • i. Allgemeines/Voraussetzungen
  • ii. Impracticability bei Wertverlust des Kaufgegenstands?
  • b) Frustration of purpose
  • i. Allgemeines/Vorausssetzungen
  • ii. Frustration of purpose bei Verschlechterungen des Unternehmens?
  • 3. MAC-Klausel und Frustration
  • a) MAC-Klausel als Abweichung von den Default Rules
  • b) Default Rules und Auslegung der MAC-Klausel
  • i. Lückenfüllender Rückgriff auf Default Rules bei Auslegung der MAC-Klausel
  • ii. Stellungnahme
  • iii. Allgemeine Wertungen und Risikoverteilung
  • VI. Exkurs: Der englische Fall WPP v. Tempus und die Besonderheiten bei öffentlichen Übernahmen
  • 1. Rechtlicher Rahmen bei öffentlichen Übernahmeangeboten in England
  • 2. Der Fall WPP/Tempus
  • a) Sachverhalt und Entscheidung
  • b) Practice Statement No. 5
  • c) Zusammenfassende Abgrenzung der Entscheidung des Takeover Panel
  • C. MAC-Klausel als Legal Transplant in Deutschland
  • I. „MAC-Praxis“ in Deutschland
  • II. Sonderfall: MAC-Klauseln in Öffentlichen Übernahmeangeboten nach dem WpÜG
  • 1. Besondere Interessenlage
  • 2. Besondere Anforderungen an MAC-Klauseln nach dem WpÜG
  • a) MAC-Klauseln und Voraussetzungen gemäß § 18 Abs. 1 WpÜG
  • i. Kein Ermessensspielraum
  • ii. Bestimmtheitsgrundsatz
  • b) Rücktrittsvorbehalt bei Eintritt eines MAC, § 18 Abs. 2 WpÜG
  • c) Spätester Zeitpunkt
  • III. Grundsatz der Vertragsfreiheit in privaten Verträgen
  • IV. Umgang des deutschen Vertragsrechts mit nachteiligen Veränderungen nach Vertragsschluss
  • 1. Problemaufriss
  • 2. Gegenüber § 313 BGB vorrangige gesetzliche Regelungen
  • a) Unverhältnismäßigkeit der Leistung gemäß § 275 Abs. 2 BGB
  • b) Abgrenzung zu Fällen der Culpa in Contrahendo
  • c) Gesetzliche Mängelhaftung
  • i. Die Bedeutung des Mängelgewährleistungsrechts vor Gefahrübergang
  • ii. Mängel beim Unternehmenskauf (allgemein)
  • iii. Ausschluss und Rechtsfolgen
  • iv. Einzelne MAC-Fälle nach Gewährleistungsrecht
  • (1) Insolvenz (Fall 1)
  • (2) Anstieg der Verbindlichkeiten (und fehlende Rückstellungen) (Fall 2)
  • (3) Prognosen stellen sich als unzutreffend heraus (Fall 3)
  • (4) Erheblicher Auftragsrückgang (Fall 4)
  • (5) Umweltbelastungen (Fall 5)
  • (6) Beschädigung von Produktionsanlagen (Fall 6)
  • (7) Durch Urteil wird Nutzung eines Patents untersagt (Fall 7)
  • (8) Allgemeine wirtschaftliche Verschlechterung („Wirtschaftskrise“) (Fall 8)
  • (9) Zusammenfassung
  • v. Ertragspotential (“earnings potential”) eines Unternehmens
  • 3. Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB
  • a) Zwischen Vertragsbindung und Vertragsgerechtigkeit: Von der clausula rebus sic stantibus zur Geschäftsgrundlagenlehre
  • b) Tatbestand und Anwendung des § 313 BGB (Grundlagen)
  • i. Allgemeine Kriterien
  • (1) Schwerwiegende (wesentliche) Veränderung
  • (2) Risikoverteilung
  • (3) Zumutbarkeit
  • ii. Fallgruppen
  • iii. Rechtsfolgen
  • c) Anwendung des § 313 BGB auf Verschlechterungen zwischen Signing und Closing
  • i. Abgrenzung zum Mängelrecht
  • ii. Berücksichtigung der gesetzlichen Risikozuweisung durch § 446 BGB
  • iii. Abweichung von der gesetzlichen Risikozuweisung bei Verschlechterung des Unternehmens (Wertverlust der Leistung)
  • 4. Doppelnatur der MAC-Klausel
  • a) Nachteilige Veränderungen der Beschaffenheit des Unternehmens
  • b) MAC-Klausel in Fällen sonstigen Fällen (extremer Wertverlust)
  • 5. Wesentliche nachteilige Veränderung (MAC) versus Störung der Geschäftsgrundlage
  • a) Regelungsgehalt
  • i. Parallelen zwischen Auslegung der MAC-Klausel und Geschäftsgrundlagenlehre
  • ii. Kriterium der Unzumutbarkeit und Vergleich der generellen Anforderungen
  • iii. Engerer Anwendungsbereich durch carve-outs
  • b) Vorrang der MAC-Klausel
  • 6. Ergebnis
  • V. Auslegung der MAC-Klausel nach deutschem Recht
  • 1. Bedeutung des US-Rechts im Rahmen der Auslegung
  • a) Deutsches Vertragsstatut und Klauseln nach amerikanischem Muster
  • b) Berücksichtigung des US-Rechts bei Auslegung der MAC-Klausel
  • 2. Auslegungsgrundsätze in Deutschland im Vergleich zum US-Recht
  • a) Allgemeine Unterschiede
  • b) Auslegung der MAC-Klausel nach deutschen Auslegungsgrundsätzen im Vergleich zum US-Recht
  • 3. Wertungsunterschiede der Rechtssysteme und Einfluss auf die Auslegung der MAC-Klausel
  • a) Vergleich des verkäuferfreundlichen Ansatzes im US-Recht mit Wertungen des deutschen Rechts
  • i. Caveat emptor versus Gewährleistungsrecht
  • ii. Die Bedeutung der Due Diligence bei der Auslegung der MAC-Klausel
  • iii. Aufklärungspflichten des Verkäufers
  • b) Die Bereitschaft, vom Grundsatz pacta sunt servanda abzuweichen: Default rules und Geschäftsgrundlagenlehre im Vergleich
  • i. Historische Ursprünge und rechtspolitische Wertungen
  • ii. Begründungswechsel von der Unmöglichkeit zur Unzumutbarkeit
  • iii. Gemeinsamkeiten zwischen § 313 BGB und Default Rules
  • iv. Unterschiede (insbesondere bei Wertverlust der Leistung)
  • c) Zwischenergebnis
  • 4. Prozessuale Unterschiede
  • a) Beweislastregeln
  • b) “Jury-Trial”?
  • 5. Mögliche Kriterien zur Auslegung von “materiality” unter Berücksichtigung der Wertungen des deutschen Rechts
  • a) Allgemein: Auslegung nach §§ 133, 157 BGB
  • b) Der Begriff der Wesentlichkeit im BGB
  • c) Auslegung analog § 313 BGB?
  • d) Vertragliche Risikozuweisung (Vorhersehbarkeit, Kenntnis, Verursachung und Einflussbereich)
  • e) Unternehmensbezug und Inhalt des Vertrages
  • f) Objektiver Ansatz
  • g) Berücksichtigung von Ausmaß (Höhe und Dauer der Veränderung) und Bedeutung (Zweck)
  • i. Höhe des Wertverlusts (quantitatives Ausmaß)
  • ii. Dauer der Veränderung, Zweck der Transaktion, Ziele der Parteien
  • h) Zusammenfassung
  • VI. Die Zwecke der MAC-Klausel im deutschen Recht
  • 1. Zweck der Konkretisierung und Erhöhung der Rechtssicherheit
  • a) Ziel erhöhter Rechtssicherheit durch Konkretisierung
  • b) Kritische Betrachtung: Vorteile unbestimmter Klauseln nach US-Vorbild
  • 2. Zweck der MAC-Klausel als “Renegotiation Leverage”?
  • a) Als Druckmittel zur Neuverhandlung ungeeignete Klauseln
  • b) Vertragsanpassung als wirtschafltlich sinnvolle Rechtsfolge
  • c) Zweistufige Neuverhandlungsklausel als mögliche Alternative
  • 3. Betrachtung weiterer Funktionen
  • 4. Erfassung allgemeiner wirtschaftlicher Verschlechterungen
  • 5. Alternative vertragliche Gestaltungen zur Erreichung der mit der MAC-Klausel verfolgten Zwecke
  • a) Alternativen zu konkretisierten MAC-Klauseln
  • i. Garantien (§ 443 BGB, § 311 Abs. 1 BGB)
  • ii. Closing Conditions
  • iii. Freistellungsklauseln
  • iv. Kaufpreisanpassungs-, insbesondere Earn-Out-Klauseln
  • b) Sonstige Alternativen
  • i. Covenants/Conduct of Business-Klausel
  • ii. Reverse Termination Fees
  • D. Schluss
  • I. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • II. Schlussbemerkung
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

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A. Einleitung

I. Einführung in die Thematik

“Material adverse change”-Klauseln („MAC-Klauseln“) sind aus dem US-amerikanischen Rechtsraum stammende Vertragsklauseln, mit denen die Vertragsparteien versuchen, sich vor wesentlichen nachteiligen Veränderungen der Grundlagen eines Vertrages zu schützen. Beispielsweise kann die MAC-Klausel dem Käufer eines Unternehmens erlauben, vom Vertrag zurückzutreten, wenn zwischen Abschluss des Vertrages (Signing) und seinem dinglichen Vollzug (Closing) wesentliche nachteilige Veränderungen beim Zielunternehmen eintreten.

Besonders vor dem Hintergrund großer wirtschaftlicher Veränderungen haben MAC-Klauseln hohe Aktualität erlangt. MAC-Klauseln gehören bei Vertragsverhandlungen von Unternehmenskauf- und Finanzierungsverträgen zu den am heftigsten umstrittenen Verhandlungspunkten.1 Kaum ein Unternehmenskaufvertrag in den USA enthält diese Klausel nicht.2 Vor allem in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs stehen viele Käufer vor der Frage, ob sie von Verträgen Abstand nehmen können, wenn die Wirtschaftsdaten des Zielunternehmens einbrechen. Besondere Bedeutung erhielt die Klausel daher insbesondere ← 1 | 2 → nach den Terroranschlägen vom 11. September3 und während der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 20074. Aktuell werden MAC-Klauseln beispielsweise im Zusammenhang mit dem Brexit disktuiert.5

Die MAC-Klausel kann zum Scheitern einer Transaktion führen, was wiederum enorme wirtschaftliche Folgen haben kann. Milliardenschwere Deals stehen oder fallen mit der Interpretation der MAC-Klausel. Die große wirtschaftliche Bedeutung der MAC-Klausel zeigte sich beispielsweise bei dem 50 Mrd. Dollar-Erwerb von Merrill Lynch durch Bank of America im September 20086, im Rahmen dessen Bank of America aufgrund der hohen Verluste von Merrill Lynch7 die Geltendmachung eines MAC erwog.8 Die US-Regierung befürchtete, dass die Berufung auf die MAC-Klausel und das damit verbundene Scheitern der Transaktion die USA in eine systemische Krise stürzen (“a broader systemic crisis” with “significant risks […] for the financial system as a whole” 9) und ein finanzielles ← 2 | 3 → Chaos10 auslösen könnte und unterstütze die Transaktion deshalb durch die Bereitstellung von 20 Mrd. Dollar.11

Wegen der enormen wirtschaftlichen Bedeutung bezeichnet Andrew A. Schwartz die MAC-Klausel als die wichtigste Vertragsklausel unserer Zeit:

[…] the MAC clause is the most important contract term of our time. And yet, due to an almost total lack of case law – no one knows what it means.”12

Auch in deutschen Unternehmenskaufverträgen finden MAC-Klauseln zunehmend Anwendung.13 Trotz der überragenden praktischen Bedeutung sind MAC-Klauseln in privaten Unternehmenskaufverträgen aber noch nicht Gegenstand vertiefter wissenschaftlicher Auseinandersetzung in der deutschen juristischen Literatur gewesen. Bisherige Beiträge behandelten hauptsächlich Fragen der rechtlichen Zulässigkeit von MAC-Klauseln in öffentlichen Übernahmeangeboten nach den Vorschriften des WpÜG (Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz).14 Schwerpunkt dieser Arbeit sollen hingegen MAC-Klauseln ← 3 | 4 → in privaten Unternehmenskaufverträgen sein,15 wobei in privaten Verträgen - anders als im Rahmen des WpÜG - der Grundsatz der Vertragsfreiheit gilt und es somit weniger um Fragen der rechtlichen Zulässigkeit von MAC-Klauseln, sondern vielmehr um Fragen der Gestaltung, der dogmatischen Einordnung in das vorhandene Rechtssystem und der Auslegung nach den Grundsätzen des allgemeinen Vertragsrechts geht:

Ziel der Arbeit ist es daher vor allem, im Lichte des US-Rechts, die Bedeutung der MAC-Klausel im Kontext des deutschen Rechts zu analysieren: Wie fügt sich die Klausel in das deutsche Rechtssystem und dessen Dogmatik ein? In welche Regelungsbereiche greift sie ein? Welches Verhältnis besteht zum gesetzlichen Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage? Wo bestehen Unterschiede zwischen deutschem und US-amerikanischem Rechtssystem, die im Zusammenhang mit der MAC-Klausel relevant sein können? Wie ist die MAC-Klausel nach deutschem Recht auszulegen (Auslegungskriterien)? Werden die Funktionen der MAC-Klausel auch im deutschen Recht erfüllt? Wo bestehen Unterschiede in der Praxis? Ist die Rezeption der MAC-Klausel sinnvoll und gibt es Alternativen?

II. Analyse eines “Legal Transplant

Die Übernahme der MAC-Klausel in die deutsche Vertragspraxis ist ein bedeutsames Beispiel für die immer häufiger vorkommende “Transplantation” bzw. Rezeption US-amerikanischer Vertragsklauseln im deutschen Recht. Die anglo-amerikanische Vertragspraxis hat in den letzten Jahren insgesamt großen Einfluss ← 4 | 5 → auf die deutsche Transaktionspraxis ausgeübt. Das Recht des Unternehmenskaufs in Deutschland ist heute in allen Bereichen, vom Ablauf der Verhandlungen über die Vertragsgestaltung bis hin zur Terminologie, sehr stark amerikanisiert.16 Ausdrücke wie “Due diligence”, “Signing” und “Closing” sind in der deutschen Transaktionspraxis feste Begriffe. Neben allgemeinen Gründen für das Amerikanisierungsphänomen im Recht (wirtschaftliche Weltmachtstellung der USA, Dominanz der englischen Sprache und Attraktivität der amerikanischen Universitäten) kommt im Recht des Unternehmenskaufs noch hinzu, dass die amerikanischen Einflüsse es hier besonders leicht hatten sich durchzusetzen, da es in Deutschland, im Gegensatz zur hochentwickelten M&A-Kultur in den USA, traditionell keine bzw. allenfalls eine rudimentäre Kultur des Unternehmenskaufs gibt.17

Der Begriff “legal transplant” wurde von Alan Watson geprägt18, der darunter die Übertragung einer Regel oder eines Systems von einem Land in ein anderes versteht19, wobei Watson von der Möglichkeit einer bedeutungsgleichen Übernahme ausgeht. Dieser Begriff ist nicht ohne Kritik geblieben. Stattdessen ist unter anderem der Begriff “legal formants” vorgeschlagen worden, um die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und dogmatischen Elemente eines Rechtssystems zu erfassen.20 Teubner spricht von “legal irritants” und zweifelt die Möglichkeit einer bedeutungsgleichen Übernahme einer Regel in einem anderen Rechtssystem an, vielmehr werde sich die Regel in dem neuen System grundlegend verändern.21 Legrand streitet sogar völlig ab, dass Regeln von einem Land in ein anderes wandern können.22 Eine Rezeption sei nicht möglich, da jede Rechtsordnung durch ein unterschiedliches Vorverständnis rechtlicher Konzepte geprägt ← 5 | 6 → sei. Von der ursprünglichen Bedeutung der Regel bleibe nichts mehr übrig, sodass “legal transplants” grundsätzlich unmöglich seien.23

Trotz der allgemein kritischen Haltung gegenüber der (ursprünglichen24) Auffassung Watsons hat sich der von Watson entwickelte Begriff “legal transplant” in der Literatur als Ausdruck für die Rezeption fremder Rechtsinstitute durchgesetzt.25 Der Rezeptionsbegriff ist nicht auf die Übernahme fremder Rechtsnormen beschränkt, sondern umfasst auch die Übernahme privater Regelwerke und Institute der Vertragspraxis26 (sogenannte “private legal transplants27). Die Übernahme erfolgt in diesem Zusammenhang nicht (nur) durch Gesetzgeber oder Rechtswissenschaftler, sondern insbesondere auch durch Rechtsanwälte und Unternehmen.28

Entgegen dem Verständnis von Watson ist eine bedeutungsgleiche Übernahme von Rechtsinstituten aber kaum möglich. Vielmehr entwickeln sich die „transplantierten“ bzw. rezipierten ausländischen Rechtsideen in dem neuen Rechtssystem fort und werden „an die Besonderheiten der inländischen Dogmatik angepasst und zu einem Element des eigenen Lebens und Denkens…“.29 Trotz gleicher Bezeichnung eines Rechtsinstituts haben diese nicht notwendigerweise die gleiche Bedeutung und Funktion in unterschiedlichen Rechtssystemen. Funktion und Bedeutung verändern sich, insbesondere wenn große systematische Unterschiede zwischen den Rechtssystemen bestehen.30 Nach Hans Dölle ist die fremde Rechtslösung „nur dann zur Rezeption geeignet, wenn sie Geist von unserem Geiste ist und sich systematisch, dogmatisch und rechtspolitisch ohne Bruch in unseren eigenen Lebensstrom einschmelzen lässt.“31 Der Erfolg einer Rezeption hängt daher davon ab, wie reibungslos eine Einpassung in ein vorhandenes System möglich ist.32 Die Übertragbarkeit von Rechtsinstituten sollte nicht absolut, sondern vielmehr graduell beurteilt werden.33 Je größer die Gemeinsamkeiten ← 6 | 7 → der beiden Rechtssysteme sind, desto eher wird die ursprüngliche Bedeutung und Funktion des Rechtsinstituts im neuen Rechtssystem beibehalten.

Im Rahmen der Analyse eines “legal transplant” müssen zunächst das Rechtssystem, in dem ein Rechtsinstitut entwickelt wurde, untersucht und die spezifischen Funktionen des Rechtsinstituts im Ursprungsland verstanden werden. Sodann ist ein systematischer Vergleich zwischen dem Rechtssystem des Ursprungslands und dem Rechtssystem des Landes, welches das Rechtsinstitut übernimmt, vorzunehmen, um eventuelle Unterschiede in der Bedeutung, Funktion und Anwendung zu erkennen.34

Somit hängt der Erfolg der “Transplantation” der MAC-Klausel ins deutsche Recht maßgeblich davon ab, wie groß die Unterschiede des amerikanischen und deutschen Rechtssystems in den für die MAC-Klausel relevanten Bereichen sind und inwiefern sich diese auf die Auslegung, Bedeutung und Funktion der MAC-Klausel in Deutschland auswirken. Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen dieser Arbeit eine Untersuchung der Entwicklung, Funktion, Anwendung und Auslegung der MAC-Klausel im amerikanischen Recht und eine Gegenüberstellung und Einordnung der Klausel in das deutsche Rechtssystem erfolgen. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit den systematischen, dogmatischen und rechtspolitischen Grundlagen des deutschen und amerikanischen Rechts, insbesondere im Umgang mit Veränderungen nach Vertragsschluss und bei der Auslegung von Vertragsklauseln. Neben der gesetzlichen Risikoverteilung im Zeitraum vor Gefahrübergang müssen allgemeine Prinzipien der Risikozuordnung, Grundsätze des Vertragsrecht und des Unternehmenskaufs untersucht werden. Auf dieser Grundlage sollen die Besonderheiten der MAC-Klausel im deutschen Recht und die Unterschiede bei der Auslegung im Vergleich zum US-Recht herausgearbeitet, allgemeine Kriterien für die Auslegung deutscher MAC-Klauseln entwickelt und außerdem die besonderen Funktionen der MAC-Klausel in Deutschland analysiert und mögliche Alternativen zur MAC-Klausel aufgezeigt werden.


1 Hall, 71 U. Cin. L. Rev. 1061, 1063 (2003); Alexander, 51 No. 5 Prac. Law. 11 (2005).

2 Siehe Nixon Peabody’s MAC Survey 2017, S. 5: Danach enthielten im untersuchten Zeitraum (Juni 2016 bis Mai 2017) nur 7 % aller untersuchten Verträge keine MAC-Klausel, im Vorjahr sogar nur 3 %. 89 % aller untersuchten Verträge und 100 % der Verträge mit einem Transaktionswert von mindestens 1 Milliarde Dollar enthielten einen MAC on business, operations, financial condition. Im Rahmen des Nixon Peabody’s MAC Survey 2017 wurden 203 Verträge, welche bei der U.S. Securities and Exchange Commission eingereicht worden waren und im Zeitraum vom. 1. Juni 2016 bis zum 31. Mai 2017 durchgeführt worden sind, untersucht. Die Untersuchung betrifft Transaktionen im Wert von 100 Millionen bis 85 Milliarden Dollar. Die Transaktionen ab einem Transaktionwert von 1Milliarde Dollar wurden noch einmal separat erfasst. Die Untersuchung betrifft zwar öffentliche Transaktionen, es wird im Rahmen dieser Studie aber davon ausgegangen, dass die Studie für das Gesamtklima aller M&A-Transaktionen repräsentativ ist. (“While we note that our review and analysis are not technically scientific and do not include private transactions for which no agreement is publicly available, we believe that the results genereally reflect the climate of M&A transactions during the period.”, siehe Nixon Peabody’s MAC Survey 2017, S. 5). Siehe auch Elken, 82 S. Cal. L. Rev. 291 (2009); Galil, 2002 Colum Bus. L. Rev. 846 (2002); Klockenbrink, M&A Review 2009, 233.

3 Barton, 12 No. 6 ANMALR 16 (2002); Ingerman/Hord, 5/2002 The Metropolitan Corporate Counsel 8 (col.1) (2002); Christenfeld/Melzer, N.Y.L.J., Oct. 3, 2002, 5 (col.1); Birkett, Untying the knot: material adverse change clauses, PLC March 2002.

4 Statt vieler: Cheng, 2009 Colum. Bus. L. Rev. 564 (2009); Browder, 63 U. Miami L. Rev. 1151 (2008–2009).

5 Siehe unter anderem Grupp, NJW 2017, 2065, 2068; Fidel, 2016 Bus. L. Today 1, 2 (2016); Zhou, 91 N.Y.U.L. REV. 171, 172, 185 (2016); Mayer/Manz, BB 2016, 1731, 1736; Schuhmacher, ZIP 2016, 2050, 2051; Gaskell, Brexit and Material Adverse Change clauses, online unter: https://blogs.lexisnexis.co.uk/loanranger/5640-2/ (Abruf vom 25.05.2018); Hogan Lovells (ohne Nennung des Autors), Brexit Clauses, online unter: http://www.hoganlovellsbrexit.com/_uploads/downloads/Brexit_Clauses.pdf, Abruf vom 25.05.2018).

6 Vgl. näher zu den Umständen der Akquisition: Subramanian/Sharma, case study: Bank of America- Merrill Lynch, Harvard Business School, 7. Juni 2010; siehe auch Davidoff, New York Times Deal Book (June 11, 2009, 3:28 PM).

7 Merrill Lynch hatte im vierten Quartal 2008 einen Bilanzverlust in Höhe von 15,31 Mrd. Dollar erlitten, vgl. hierzu Schwartz, 57 UCLA L. Rev. (2009–2010) 789, 835 Fn. 267.

8 Die vollständige MAC-Klausel ist beispielsweise abgedruckt bei Subramanian/Sharma, Bank of America - Merrill Lynch, Harvard Business School, 7. Juni 2010.

9 Kommentar von Ben S. Bernanke (Chairman, Board of Govenors, United States Federal Reserve): “[…]it might have triggered a broader systemic crisis”, vgl. Nachweise bei Schwartz, 57 UCLA L. Rev. (2009–2010) 789, 791.

10 Kommentar von Henry Paulson (former Secretary of the United States Treasury), wonach die Berufung auf die MAC-Klausel ein finanzielles Chaos (“financial chaos”) ausgelöst hätte, vgl. Nachweise bei Schwartz, 57 UCLA L. Rev. (2009–2010) 789, 791.

11 Diese Bereitstellung von 20 Mrd. Dollar an Steuergeldern wurde erst Wochen nach dem Closing in der Öffentlich bekannt gemacht. Nachweise bei Schwartz, 57 UCLA L. Rev. (2009–2010) 789, 791.

12 Schwartz, 57 UCLA L. Rev. (2009–2010) 789; siehe auch auf S. 791: “[…] the MAC clause is the most important term in the most important contracts of our time”.

13 Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, § 4 Rn. 458f.; Klockenbrink, M&A Review 2009, 233; Picot/Duggal, DB 2003, 2635; Normann, GmbH-StB 2013, 372; Schmittner, M&A Review 2005, 322; Schlößer, RIW 2006, 889. Vor allem bei größeren Unternehmenskaufverträgen werden MAC- Klauseln verwendet oder sind jedenfalls Gegenstand von Verhandlungen. Nach Schätzung von Rechtsanwalt Dr. Maximilian Schiessl (Hengeler Müller) versuchten Käufer schon 2002 in einer von zwei grenzüberschreitenden privaten Transaktionen ab 100 Mio. Dollar Transaktioneswert eine MAC-Klausel in den Vertrag aufzunehmen (Birkett, Untying the knot: material adverse change clauses, PLC March 2002, 17, 27). Gemäß der CMS European M&A Study 2018, im Rahmen derer die Kanzlei europaweit 423 CMS Deals aus dem Jahr 2017 und 2488 CMS Deals aus den Jahren 2010 bis 2016 untersucht hat, enthielten im Jahr 2016 22 % aller untersuchten (europäischen) Verträge ab einem Transaktionswert von mindestens 100 Millionen Euro eine MAC- Klausel, im Jahr 2017 waren es 15 % (CMS European M&A Study 2018, S. 45).

14 So beispielsweise Berger/Filgut, WM 2005, 253; Hasselbach/Wirtz, BB 2005, 842; Hopt, FS K. Schmidt, S. 681; Buermeyer, Bedingungen in öffentlichen Übernahmeangeboten, insbesondere Material-Adverse-Change-Klauseln; Badura, MAC-Klauseln in Angeboten nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz. Die Problematik von MAC-Klauseln in privaten Verträgen wurde in deutschen Aufsätzen nur sehr vereinzelt behandelt (Kuntz, DStR 2009, 377, Henssler, FS Huber, S. 739 und ansatzweise auch Picot/Duggal, DB 2003, 2635). An einer vertieften wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der MAC-Klausel in privaten Verträgen fehlt es bisher in der deutschen Literatur.

15 Dies gilt jedenfalls, soweit das deutsche Recht betroffen ist. In Bezug auf das US-Recht ist die Unterscheidung zwischen öffentlichen und nicht öffentlichen Transaktionen (private transactions) in dem hier interessierenden Zusammenhang nicht von so wesentlicher Bedeutung, da es in den USA kein den Regelungen des WpÜG vergleichbares Sonderrecht gibt. Vgl. zu den öffentlichen Verträgen im US-Recht unter B. VI und zu den Besonderheiten bei Angeboten nach dem WpÜG in Deutschland unter C. II. Im Rahmen des 2017 Nixon Peabody MAC Survey, der öffentliche Transaktionen untersucht hat, heißt es daher auch: “While we note that our review and analysis are not technically scientific and do not include private transactions for which no agreement is publicly available, we believe that the results genereally reflect the climate of M&A transactions during the period.”, Nixon Peabody’s MAC Survey 2017, S. 5.

16 Merkt, FS Sandrock, S. 657, 658.

17 Merkt, FS Sandrock, S. 657, 658. Von einer ausführlichen Darstellung des anglo-amerikanischen Einflusses auf Unternehmenskaufverträge wird im Rahmen dieser Arbeit abgesehen. Neben der Darstellung von Merkt siehe beispielsweise auch die Erörterung von Triebel (RIW 1998, 29 ff.).

18 Watson, Legal Transplants.

19 Watson, Legal Transplants, S. 21 ff.

20 Sacco, 39 Am. J. Comp. Law 1 (1991), Watson, 43 Am. J. Comp. L. 469 (1995).

21 Teubner, 61 Mod. L. Rev. 11, 12 (1998): “Legal Irritants’ cannot be domesticated; they are not transformed from something alien into something familiar, not adapted to a new cultural context, rather they will unleash an evolutionary dynamic in which the external rule’s meaning will be reconstructed and the internal context will undergo fundamental change.”

Details

Seiten
XII, 268
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631771778
ISBN (ePUB)
9783631771785
ISBN (MOBI)
9783631771792
ISBN (Hardcover)
9783631770757
DOI
10.3726/b14827
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Dezember)
Schlagworte
MAC-Klausel Legal Transplant Geschäftsgrundlage Risikozuweisung Auslegung Vertragsklausel
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. XII, 256

Biographische Angaben

Christina Bohländer (Autor:in)

Christina Bohländer studierte Rechtswissenschaften in Heidelberg, Cambridge und Montpellier. Im Anschluss an das Rechtsreferendariat war sie als Rechtsanwältin in einer Rechtsanwaltskanzlei in Frankfurt am Main im Bereich Gesellschaftsrecht/M&A tätig. Sie promovierte in Heidelberg und absolvierte einen Forschungsaufenthalt in den USA (Harvard Law School Library). Derzeit arbeitet sie als Richterin in Frankfurt.

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Titel: MAC-Klauseln in Unternehmenskaufverträgen nach US-amerikanischem und deutschem Recht
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