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Der Abzug von Kapital aus einer Aktiengesellschaft im faktischen und im Vertragskonzern

Entzug von Vermögenswerten vor Beendigung eines Konzerns und beim refinanzierten Erwerb

von Erik Stegner (Autor:in)
©2019 Dissertation 222 Seiten

Zusammenfassung

Die vorliegende Publikation behandelt den Abzug von Vermögenswerten aus einer Aktiengesellschaft vor dem Hintergrund von zwei praktischen Fallkonstellationen: Zum einen liegt der Untersuchung der Fall zu Grunde, in dem Vermögenswerte in einem Vertragskonzern der beherrschten Gesellschaft entzogen werden, und der Vertragskonzern anschließend beendet wird. Zum zweiten geht es um Fälle des sogenannten »Leveraged Buyout«, des refinanzierten Unternehmenskaufs, bei dem die Vermögenswerte der Zielgesellschaft durch den Finanzinvestor herangezogen werden, um den Kaufpreis zu refinanzieren.
Die Publikation geht der Frage nach, ob hierfür ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag rechtlich notwendige Voraussetzung ist, und welche rechtlichen Grenzen dem Entzug von Vermögenswerten gesetzt sind.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Ãœber das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Der refinanzierte Erwerb einer Aktiengesellschaft
  • 1.1.1 Der Begriff der Refinanzierung
  • 1.1.2 Der Ablauf einer Refinanzierung
  • 1.2 Die Ausgliederung einer abhängigen Aktiengesellschaft aus einem Konzernverbund
  • 1.3 Die Legitimation des Zugriffs auf Vermögenswerte als gemeinsame Fragestellung
  • 1.4 Der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag
  • 1.5 Thesen und Gang der Untersuchung
  • § 1 Möglichkeiten der Einflussnahme
  • 2 Auszahlung aus der Zielgesellschaft
  • 2.1 Dividenden als Mittel der Gewinnbeteiligung
  • 2.2 Auszahlung des Gewinns aufgrund eines Gewinnabführungsvertrages
  • 2.2.1 Verzichtbarkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses und der gleichmäßigen Verteilung auf sämtliche Aktionäre
  • 2.2.2 Einschränkung des abführbaren Gewinns nach §§ 300 und 301 AktG
  • 2.2.3 Auszahlung von Beträgen aus der Auflösung von Rücklagen
  • 2.2.4 § 58 Abs. 2 AktG im Konzern
  • 2.3 Auszahlung des Gewinns aufgrund eines Beherrschungsvertrages
  • 2.3.1 Meinungsstand
  • 2.3.2 Stellungnahme
  • 2.4 Auszahlung auf Grundlage eines kombinierten Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages
  • 2.4.1 Meinungsstand
  • 2.4.2 Stellungnahme
  • 2.5 § 292 KAGB
  • 2.6 Ergebnis
  • 3 Freisetzung von Kapital in der Zielgesellschaft
  • 3.1 Nachteilige und schädigende Maßnahmen
  • 3.1.1 § 311 AktG
  • 3.1.2 § 308 Abs. 1 Satz 2 AktG
  • 3.1.3 § 117 AktG
  • 3.1.4 Ergebnis
  • 3.2 Außergewöhnliche Maßnahmen
  • 3.2.1 Die Beeinflussung zu außergewöhnlichen Maßnahmen im faktischen Konzern
  • 3.2.2 Die Weisung zu außergewöhnlichen Maßnahmen kraft Beherrschungsvertrages
  • 3.2.3 Ergebnis
  • 3.3 Existenzgefährdende Maßnahmen
  • 3.3.1 Die Beeinflussung zu existenzgefährdenden Maßnahmen im faktischen Konzern
  • 3.3.2 Die Weisung zu existenzgefährdenden Maßnahmen kraft Beherrschungsvertrages
  • 3.3.3 Ergebnis
  • 3.4 Existenzvernichtende Maßnahmen
  • 3.4.1 Die Beeinflussung zu existenzvernichtenden Maßnahmen im faktischen Konzern
  • 3.4.2 Die Weisung zu existenzvernichtenden Maßnahmen kraft Beherrschungsvertrages
  • 3.5 Sonderfall: Die Aufdeckung stiller Reserven bei Bestehen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages
  • 3.5.1 Die Kritik an der geltenden Gesetzeslage
  • 3.5.2 Lösungsansätze
  • 3.5.3 Die herrschende Meinung
  • 3.5.4 Stellungnahme
  • 3.6 § 71a AktG
  • 3.7 Sonderfall: Die Kapitalherabsetzung
  • 3.8 Ergebnis
  • § 2 Ausgleichsmechanismen für Vermögenszugriffe
  • 4 Rückgewähranspruch nach § 62 AktG
  • 4.1 Die herrschende Meinung zum Verhältnis von § 311 AktG zu § 57 AktG
  • 4.2 Das „Konzernprivileg“ des gestreckten Nachteilsausgleichs
  • 4.3 Die Ausnahme von § 311 Abs. 2 AktG bei der Einflussnahme durch Hauptversammlungsbeschlüsse
  • 4.4 Stellungnahme
  • 5 Schadenersatz im faktischen Konzern
  • 5.1 § 317 AktG
  • 5.1.1 Schaden
  • 5.1.2 § 317 Abs. 2 AktG
  • 5.1.3 Ergebnis
  • 5.2 § 826 BGB und der qualifiziert faktische Konzern
  • 5.2.1 Meinungsstand
  • 5.2.2 Stellungnahme
  • 5.2.3 § 826 BGB und § 317 AktG
  • 5.3 § 117 AktG
  • 5.4 Die Haftung wegen Verletzung gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten
  • 5.4.1 Meinungsstand
  • 5.4.2 Stellungnahme
  • 5.5 § 93 AktG
  • 5.5.1 Der Geschäftsleiter der Obergesellschaft als Haftungsadressat
  • 5.5.2 Die Vorstandshaftung in der Ziel-Aktiengesellschaft
  • 6 Die Verlustausgleichspflicht nach § 302 AktG
  • 6.1 Der sonst entstehende Jahresfehlbetrag
  • 6.2 Der Jahresfehlbetrag und Maßnahmen zum Abzug von Kapital
  • 6.3 Die Solvenz des herrschenden Unternehmens als Voraussetzung des Weisungsrechts
  • 6.3.1 Meinungsstand
  • 6.3.2 Stellungnahme
  • 6.4 Verlustausgleich für spätere Vermögenseinbußen
  • 6.4.1 Ausschluss der Beendigungsmöglichkeit des Unternehmensvertrages
  • 6.4.2 Verlustausgleichspflichten nach dem Ende des Vertragskonzerns
  • 6.4.3 Die Bildung von Rückstellungen
  • 6.4.4 Einschränkung des Weisungsrechts
  • 6.4.5 Die Art der Wertermittlung für den Verlustausgleichsanspruch
  • 7 Schadenersatz im Vertragskonzern
  • 7.1 § 309 AktG
  • 7.1.1 Pflichtverletzung
  • 7.1.2 Bestimmung des Schadens
  • 7.1.3 Schuldner des Anspruchs nach § 309 AktG
  • 7.2 § 93 AktG und § 310 AktG
  • 7.2.1 Der Geschäftsleiter der Obergesellschaft als Haftungsadressat
  • 7.2.2 Die Vorstandshaftung in der Ziel-Aktiengesellschaft
  • 7.3 § 280 BGB
  • 7.3.1 Anwendbarkeit
  • 7.3.2 Pflichtverletzung
  • 7.3.3 Verschulden
  • 7.4 § 117 AktG
  • 7.5 § 826 BGB
  • 7.6 Die Haftung aus Treuepflichtverletzungen im Vertragskonzern
  • 8 Zusammenfassende Betrachtung der Verantwortlichkeiten
  • 8.1 Zusammenfassende Betrachtung der Lage im faktischen Konzern
  • 8.2 Zusammenfassende Betrachtung der Lage im Vertragskonzern
  • § 3 Der ausgleichslose Abzug von Kapital
  • 9 Ausgleichslose Schädigung im faktischen Konzern
  • 9.1 Ein Verbot des Buyout als Lösungsansatz
  • 9.1.1 Faktischer Einfluss als Mittel der Schädigung
  • 9.1.2 Die rechtspolitische Würdigung der Gefährdung einer Aktiengesellschaft
  • 9.2 Die Einschränkung des Finanzinvestors als Schädiger
  • 9.2.1 Ansätze zur Einschränkung von Finanzinvestoren
  • 9.2.2 Stellungnahme
  • 9.3 Stärkung des Vorstands als Abhilfe
  • 9.3.1 Vorstandsdoppelmandate
  • 9.3.2 Vergütung nach dem Erfolg der Obergesellschaft
  • 9.3.3 Aufklärung über Haftungsrisiken
  • 10 Ausgleichslose Schädigung im Vertragskonzern
  • 10.1 Abschaffung des Vertragskonzerns
  • 10.2 Transaktionstransparenz
  • 10.3 Haftung für die Nachwirkung von Weisungen
  • 10.3.1 Verändertes Ausgleichssystem im Vertragskonzern
  • 10.3.2 Verändertes Ausgleichssystem vor Ende des Unternehmensvertrages
  • 10.3.3 Beendigung des Vertragskonzerns als Maßnahme i.S.d. § 311 AktG
  • 10.3.4 Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB analog
  • 10.3.5 Einbeziehung des Konzernvorteils in den Pflichtenmaßstab
  • 11 Zusammenfassung
  • Tabellenverzeichnis
  • Literaturverzeichnis

←14 | 15→

1 Einleitung

1.1 Der refinanzierte Erwerb einer Aktiengesellschaft

Vor Ausbruch der europäischen Finanzkrise waren erhebliche Teile der durchgeführten Unternehmenskäufe als fremdfinanzierter Erwerb gestaltet worden.1 Insbesondere Finanzinvestoren, also beispielsweise Investmentfonds, Banken oder Versicherungsunternehmen, die eine Übernahme durchführen, um von Wertsteigerungen der erworbenen Anteile zu profitieren,2 wählten diese Art der Kaufpreisfinanzierung. Bei derartigen Finanzierungen erfolgt die Aufbringung des Kaufpreises zu einem hohen Anteil durch die Aufnahme von Krediten. Zur Bedienung dieser Kredite und der mit ihnen verbundenen Zinszahlungen wurden vielfach das Vermögen und die Erträge der Zielgesellschaft herangezogen. Aus der Kombination der Fremdfinanzierung einerseits und der Heranziehung der Zielgesellschaft zur Bedienung der Kredite andererseits ergibt sich die gebräuchliche Begrifflichkeit des „Leveraged Buyout“. Denn die Finanzierung durch Kredite ermöglicht eine höhere Eigenkapitalrendite, wenn die Gesamtkapitalrendite den Zinssatz für die Kreditaufnahme übersteigt.3 Der Begriff des Buyout bezieht sich auf die Aufbringung der Finanzierungskosten aus dem Vermögen oder den Erträgen der Zielgesellschaft.4

Im Zuge der Finanzkrise veränderte sich der Übernahmemarkt merklich. Die Möglichkeiten der Beschaffung von Fremdkapital wurden geringer. Finanzinvestoren konzentrieren sich daher seit der Krise auf kleinere Kaufpreisvolumina und die Investition in mittelständische Unternehmen,5 ←15 | 16→wie beispielsweise der Einstieg des Investors KKR bei WMF in jüngster Zeit zeigt.6

Neben der Beschaffung von Fremdkapital wurde auch das Desinvestment, also der Weiterverkauf der Beteiligungen, für Investoren schwerer. Während vor der Finanzkrise kurzfristige Erträge erzielt werden konnten, ist nun oftmals vor dem Wiederverkauf der Beteiligungen eine umfangreiche Restrukturierung oder ein Ausbau des operativen Geschäfts im Zielunternehmen durchzuführen.7 Teilweise werden auch Sanierungen von Krisenunternehmen durch Finanzinvestoren unterstützt oder durchgeführt.8

Vielfach erschöpft sich die Gewinnerzielung des Investors aber nicht im Verkauf der Beteiligung nach erfolgter Wertsteigerung. Auch der Verkauf eines Unternehmens in Einzelteilen, oder zumindest gewichtiger Teile9 bietet dem Investor teilweise eine Möglichkeit der Renditeerzielung. Möglich ist auch eine Kombination beider Maßnahmen, also die Weiterveräußerung der Aktien nachdem Unternehmensteile oder Wirtschaftsgüter verkauft wurden.

1.1.1 Der Begriff der Refinanzierung

Sollen also im Rahmen eines Leveraged Buyout Kredite aus Erträgen oder aus dem Vermögen der Zielgesellschaft bedient werden, oder soll sonst Kapital aus der Gesellschaft an den Investor abgeführt werden, so erfolgt eine ←16 | 17→„Refinanzierung“ des Erwerbs. Neben die später erzielten Gewinne aus der Weiterveräußerung der Beteiligung sollen also auch Erträge aus dem Zielunternehmen treten. Der Kaufpreis soll nach dem Erwerb wieder an den Erwerber zurückfließen.

Nun ist dieser Rückfluss bei näherer Betrachtung jedoch überhaupt keiner. Der Kaufpreis fließt nämlich nicht von den vorherigen Anteilseignern als den Verkäufern an den Käufer als neuen Mehrheitsaktionär zurück, sondern aus der Zielgesellschaft, aus dem Kaufgegenstand.10 Diese wird die hierfür notwendigen Mittel teilweise aus ihren Gewinnen aufbringen können. In vielen Fällen jedoch wird sie zusätzliches Kapital freisetzen müssen, um es an den Investor abführen zu können. Eine solche Freisetzung von Kapital kann durch unterschiedliche Maßnahmen, auf die noch im Einzelnen einzugehen sein wird, geschehen. Insbesondere der Verkauf von Wirtschaftsgütern der Zielgesellschaft steht hierbei im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, kann er doch zuweilen Ausmaße annehmen, die in einer Zerschlagung der Zielgesellschaft münden.11

Selbstverständlich muss dieses Ausmaß bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern oder anderen Maßnahmen der Freisetzung von Kapital nicht erreicht werden. Eine Veräußerung von Wirtschaftsgütern kann auch im Rahmen einer zur Erhaltung des Unternehmens notwendigen Restrukturierung durch den Investor stattfinden.

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1.1.2 Der Ablauf einer Refinanzierung

Der refinanzierte Erwerb einer Aktiengesellschaft erfolgt meist durch eine vom Investor zu diesem Zweck gegründete Zweckgesellschaft („NewCo“).12 Diese wird mit dem für die Begleichung des Kaufpreises notwendigen Kapital ausgestattet. Nachdem die Zweckgesellschaft mehrheitliche Anteilseignerin der Zielgesellschaft geworden ist, erfolgt die Refinanzierung des Erwerbs, also die „Rückführung“ von Kapital aus der Zielgesellschaft in die Zweckgesellschaft.

Hierbei lassen sich grundsätzlich zwei Modelle unterscheiden: Die Ziel-Aktiengesellschaft kann auf die Zweckgesellschaft verschmolzen werden, oder sie kann in ihrer Eigenständigkeit als juristische Person erhalten bleiben.13

Wird eine Verschmelzung, § 2 Nr. 1 UmwG, durchgeführt, so geht das Vermögen der Zielgesellschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den übernehmenden Rechtsträger, also im Fall des refinanzierten Erwerbs die Akquisitionsgesellschaft, über.14

Daher können für die Beibehaltung der Eigenständigkeit der Zielgesellschaft verschiedene Erwägungen sprechen.15 So bleibt die gesondert belassene Zielgesellschaft für den Geschäftsverkehr als rechtlich selbstständiger Partner erhalten, was im Hinblick auf Kunden-, Partner- oder sonstige Geschäftsbeziehungen bei Fortführung einer Geschäftstätigkeit wünschenswert sein kann. Auch kann es sinnvoll sein, Vorstand und Aufsichtsrat der erworbenen Gesellschaft zu erhalten, beispielsweise um Nachwuchskräften eine Bewährung vor dem Einsatz in der Geschäftsleitung des Konzerns ermöglichen zu können. Darüber hinaus ist die Verbindung der Zielgesellschaft mit einer herrschenden Gesellschaft durch Unternehmensvertrag oder faktische Konzernierung im Gegensatz zur Verschmelzung ohne rechtliche Schwierigkeiten wieder lösbar. Dies erleichtert die für Finanzinvestoren oftmals bedeutsame Möglichkeit des „exits“, des Desinvestments.16 Ferner kann es oftmals sinnvoll sein, der Gesamtrechtsnachfolge als rechtlicher Konsequenz einer Verschmelzung zu entgehen. Vergleichbar mit ←18 | 19→der Interessenslage bei der Entscheidung beim Unternehmenskauf zwischen der Gestaltung als share deal oder als asset deal,17 ist es oft gewünscht, die Übernahme von Verbindlichkeiten der Zielgesellschaft zu vermeiden.

Soll schließlich der Erwerb durchgeführt werden, ohne hierfür eine Zweckgesellschaft zu errichten, so kommt eine Verschmelzung mit der Investoren-Muttergesellschaft oftmals aus Gründen der Sicherung derselben vor einer Haftung für Verbindlichkeiten der Zielgesellschaft nicht infrage.

Die Darstellung des Reglements für die Refinanzierung ist für den Fall der Erhaltung der Eigenständigkeit der erworbenen Aktiengesellschaft ungleich komplizierter als im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge. So scheinen einer Abführung von Kapital verschiedene Hindernisse entgegen zu stehen, die sich teilweise durch den Abschluss eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrages ausschalten lassen. Zu nennen ist hier die Vermögensbindung des § 57 AktG oder das grundsätzliche Schädigungsverbot der § 826 BGB, §§ 117 oder 311 AktG. Entweder ein Unternehmensvertrag, oder die Verschmelzung der Zielgesellschaft auf die Käuferin scheint mithin sinnvoll18 oder sogar notwendig19, um Kapital aus der Ziel-Aktiengesellschaft entnehmen zu können.

1.2 Die Ausgliederung einer abhängigen Aktiengesellschaft aus einem Konzernverbund

Der dieser Arbeit zugrunde liegende Fall aus der anwaltlichen Beratungspraxis stellte sich dar wie folgt. Die Mandantin war eine Aktiengesellschaft, die zum damaligen Zeitpunkt durch einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag in einen Konzern eingebunden war. Die herrschende Gesellschaft, die zugleich einzige Aktionärin der abhängigen Gesellschaft war, hatte geplant, die ←19 | 20→abhängige Aktiengesellschaft zu veräußern. Zuvor sollte der Unternehmensvertrag beendet werden.

Die herrschende Gesellschaft richtete verschiedene Weisungen an den Vorstand der beherrschten Aktiengesellschaft, deren Intention beispielsweise dahin ging, verschiedene Wirtschaftsgüter zeitnah vor dem Ende des Unternehmensvertrages zu veräußern. Die Frage, die sich dem Vorstand der abhängigen Gesellschaft und seinen Beratern stellte, war, ob und inwieweit derartige Weisungen zu befolgen waren, oder nicht.

Denn obgleich Folgen von Weisungen bei Bestehen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages durch die unternehmensvertragliche Verlustdeckungspflicht zumindest teilweise zum Ausgleich gebracht werden, endet diese Ausgleichspflicht mit dem Ende des Unternehmensvertrages. Sind Weisungen, die auf einen Abzug von Kapital vor dem Ende des Konzernverhältnisses, auf einen unter Umständen ausgleichslosen Zugriff auf Wirtschaftsgüter, hinauslaufen, überhaupt zulässig? Legitimiert ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag derartige Einflussnahmen, sind sie auch bei Bestehen eines Unternehmensvertrages untersagt, oder sind sie sogar im lediglich faktischen Konzern gestattet?

1.3 Die Legitimation des Zugriffs auf Vermögenswerte als gemeinsame Fragestellung

Den beiden beschriebenen Szenarien der Ausgliederung einer Aktiengesellschaft aus einem Konzernverbund und der Refinanzierung des Erwerbs einer Aktiengesellschaft liegt somit eine gemeinsame Thematik zugrunde: Der Abzug von Kapital aus der Aktiengesellschaft durch einen Aktionär. Dieser Abzug von Kapital erfolgt bei beiden Szenarien unter der gleichen besonderen Rahmenbedingung: Die abhängige Ziel-Aktiengesellschaft verlässt den Konzern nach dem Zugriff durch den Aktionär.

Beide Fälle stellen die Geschäftsleiter der herrschenden und der abhängigen Gesellschaft und ihre Berater vor die gleichen Fragestellungen: In wieweit kann die faktische Konzernierung oder ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag Einflussnahmen auf eine abhängige Gesellschaft zum Abzug von Kapital, zum Zugriff auf Wirtschaftsgüter legitimieren. Diese Frage bekommt durch die Tatsache des künftigen Ausscheidens aus dem Konzernverbund eine zusätzliche Dimension. Denn der Gedanke, dass das Konzernrecht die Einflussnahme der herrschenden Gesellschaft nur mit Blick auf die Verlustdeckungspflicht zulassen könnte, ist zumindest naheliegend. Ein derartiger „Kreislaufgedanke“ allerdings lässt sich dann nicht mehr zur Anwendung bringen, wenn selbiger „Kreislauf“ ←20 | 21→von nachteiliger Einflussnahme und Verlustausgleich durch das Ausscheiden aus dem Konzern vor dem Nachteilsausgleich gestört wird.

1.4 Der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag

Der Beherrschungs-, der Gewinnabführungsvertrag, oder – in vielen Fällen20 – eine Kombination aus beiden Unternehmensverträgen, hat nicht nur aus steuerlichen Gründen große praktische Bedeutung.21 Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge dienen neben der Optimierung steuerlicher Strukturen auch der effizienteren Kontrolle beherrschter Unternehmen.22

Es können im Vertragskonzern nach § 308 Abs. 1 Satz 1 AktG Weisungen unmittelbar von der Geschäftsleitung des herrschenden Unternehmens an die Geschäftsleitung der beherrschten Gesellschaft gerichtet werden. Die Bedeutsamkeit dieser Möglichkeit ergibt sich am augenscheinlichsten für die Fälle, in welchen die abhängige Gesellschaft eine Aktiengesellschaft ist. Aufgrund der gesetzlich festgeschriebenen strukturellen Unabhängigkeit des Vorstandes von der Hauptversammlung besteht auch dann, wenn eine Mehrheit in der Hauptversammlung vorliegt, für den Mehrheitsaktionär allenfalls eine indirekte, gesetzlich nicht vorgesehene Möglichkeit der Einflussnahme auf die Geschäftsleitung.23

←21 | 22→

Diese Probleme werden mit dem Abschluss eines Beherrschungsvertrages, der der herrschenden Vertragspartei ein Weisungsrecht betreffend Fragen der Geschäftsleitung an die Hand gibt, obsolet. Im Vertragskonzern kann mittels Weisungen eine direkte Einflussnahme von Geschäftsleitung zu Geschäftsleitung stattfinden.

Zudem suspendiert § 291 Abs. 3 AktG die Kapitalerhaltungsregeln im Vertragskonzern. Dies bringt wesentliche Erleichterungen in der Konzernfinanzierung, wie beispielsweise beim cash pooling oder bei der Begebung von upstream Sicherheiten, mit sich.24 Der Gewinnabführungsvertrag ermöglicht es über die Aufhebung der Kapitalbindung hinaus, dass selbst Gewinne, die nach einer Schädigung der abhängigen Gesellschaft durch die herrschende Gesellschaft noch verbleiben, ausgezahlt werden können.25

Als gewichtiger Nachteil einer Aufteilung des Konzerngeschäfts auf verschiedene Gesellschaften ist die Tatsache zu nennen, dass in einer Gesellschaft erzielte Verluste im Grundsatz nicht den zu versteuernden Gewinn einer anderen Gesellschaft mindern können.

Steuerrechtlich ergibt sich daher die Bedeutung des Vertragskonzerns aus der Tatsache, dass Gewinne und Verluste der einzelnen Konzerngesellschaften nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG steuerlich miteinander verrechnet werden können.26 Hierdurch kann ein maßgeblicher Nachteil der Aufspaltung des Geschäfts in mehrere Konzerngesellschaften ausgeglichen werden, da die juristisch selbstständigen Gesellschaften nun wirtschaftlich einheitlich besteuert werden.27

←22 | 23→

1.5 Thesen und Gang der Untersuchung

Diese hier angedeuteten Vorteile und Veränderungen in der Möglichkeit der Einflussnahme auf eine abhängige Aktiengesellschaft legen die Vermutung zumindest nahe, dass ein Abzug von Kapital, sei es vor einer Ausgliederung einer Gesellschaft aus einem Konzernverbund, oder im Rahmen einer Erwerbsfinanzierung, durch einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag legitimiert werden kann, während er im faktischen Konzern rechtlich nicht möglich sein könnte. Die zu untersuchende These lautet daher:

Details

Seiten
222
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631787502
ISBN (ePUB)
9783631787519
ISBN (MOBI)
9783631787526
ISBN (Hardcover)
9783631780077
DOI
10.3726/b15526
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Beherrschungsvertrag Asset stripping Finanzinvestor leveraged Buyout Existenzvernichtung Existenzgefährdung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 219 S.

Biographische Angaben

Erik Stegner (Autor:in)

Erik Stegner studierte Rechtswissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und arbeitet im bayerischen Innenministerium. Während seiner Promotion an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg war er als Rechtsanwalt in einer internationalen Wirtschaftskanzlei, sowie in einem Unternehmen tätig.

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