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Soziale Vergünstigung für nichterwerbstätige Unionsbürger als Grundsatz der Europäischen Union

von Nico Benedict Herbst (Autor:in)
©2019 Dissertation 300 Seiten

Zusammenfassung

Nicht erst seit der Brexit-Debatte wird die Europäische Union dafür kritisiert, den Zugang von nichterwerbstätigen Unionsbürgern zu Sozialleistungen zu fördern. Der Autor nimmt diese Kritik zum Anlass um einen Grundsatz der sozialen Vergünstigung für nichterwerbstätige Unionsbürger im Unionsrecht nachzuweisen. Zur Bestimmung der Ausgestaltung eines solchen Grundsatzes nutzt der Autor das in Deutschland durch Robert Alexy eingeführte Regel-/Prinzipienmodell. Er zeigt auf, dass sich ein Grundsatz der sozialen Vergünstigung bei der Menschenwürde und dem Solidaritätsprinzip im Unionsrecht verorten lässt, gleichzeitig aber auch mit Letzterem und dem Subsidiaritätsprinzip kollidiert.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren-/Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Abkürzungsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Einführung
  • II. Ablauf der Untersuchung
  • B. „Soziale Vergünstigung“ im Unionsrecht
  • I. Notwendigkeit einer unionsrechtlichen Begriffsbestimmung
  • II. Definition „Soziale Vergünstigung“
  • III. Einzelne Leistungen der sozialen Vergünstigung
  • C. Vom Nationalstaatsbezug sozialer Rechte zu internationalen sozialen Rechten in der EU
  • I. Nationalstaatsabhängigkeit sozialer Rechte
  • II. Bestimmung des Leistungsadressaten: Vom Personalitätsprinzip zum Territorialitätsprinzip
  • III. Internationalisierung des Sozialrechts im Rahmen der Europäischen Union
  • 1. Erste Phase: Sozialversicherungskoordinierung als Voraussetzung für Arbeitnehmermobilität in der EWG
  • 2. Zweite Phase: Koordinierung unterschiedlicher Systeme der sozialen Sicherheit im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit der EG
  • 3. Dritte Phase: Einbeziehung aller Unionsbürger
  • 4. Ausweitung des Diskriminierungsverbotes
  • a) Ausgangspunkt Marktbürger
  • b) Loslösung vom Marktbezug der Unionsbürgerschaft
  • c) Rückkehr zum Marktbürger
  • aa) Rs. Dano
  • bb) Rs. Alimanovic
  • cc) Fazit
  • 5. Fazit
  • IV. Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs erwerbstätiger Unionsbürger
  • 1. Ausgangspunkt: Der Arbeitnehmer
  • 2. Selbstständige
  • 3. Arbeitsuchende Unionsbürger
  • 4. Fazit: Weiter Anwendungsbereich erwerbstätiger Unionsbürger
  • V. Weiter Anwendungsbereich der Freizügigkeitsrechte nichterwerbstätiger Unionsbürger
  • 1. Umfang der ökonomischen Voraussetzungen
  • 2. Ausreichende Existenzmittel
  • a) Systemische Betrachtung
  • b) Individuelle Betrachtung
  • c) Kombinierte Betrachtung
  • d) Kriterien zur Feststellung der ausreichenden Existenzmittel
  • e) Fazit: Weites Spektrum von Kriterien zur Feststellung ausreichender Existenzmittel
  • 3. Umfassender Krankenversichertenschutz
  • VI. Fazit: Internationalisierung sozialer Rechte durch unionsrechtliche Einflüsse
  • D. Prinzipientheoretischer Ansatz
  • I. Regeln und Prinzipien
  • II. Prinzipien als Optimierungsgebote
  • III. Kollisionsverhalten
  • 1. Regelkollision
  • 2. Prinzipienkollision
  • 3. Regel-/Prinzipienkollision
  • IV. Absolute Prinzipien
  • V. Der unterschiedliche prima facie-Charakter von Regeln und Prinzipien
  • VI. Formelle Prinzipien
  • VII. Prinzipien als Freiheits-, Gleichheits- und Leistungsnormen
  • 1. Unterschiedliche Handlungsanweisungen von Leistungs- und Freiheitsrechten
  • 2. Ziel von Leistungsrechten: Herstellung faktischer Freiheit
  • 3. Gleichheitsrechte als Prinzipien
  • 4. Fazit: Anwendbarkeit der Regel-/Prinzipiendiskussion auf Leistungs- und Gleichheitsrechte
  • VIII. Richterliche Entscheidungen im Rahmen von Prinzipiendisputen
  • IX. Prinzipien und Verhältnismäßigkeit
  • X. Anwendbarkeit auf europäischer Ebene
  • XI. Grundsatz als Prinzip
  • XII. Verhältnis von Grundsätzen zu allgemeinen Rechtsgrundsätzen und Zielen
  • XIII. Völkerrechtliche Verträge und gemeinsame Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als Indikator für ein Prinzip
  • XIV. EUGRCh und Europäische Verträge als rechtliche Anknüpfungspunkte für ein Prinzip
  • XV. Verknüpfung mit Rechtsnormen
  • XVI. Fazit
  • E. Soziale Vergünstigung in internationalen Abkommen und als allgemeiner Rechtsgrundsatz
  • I. Internationale Abkommen
  • 1. Ausgangspunkt: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948
  • 2. Europäisches Fürsorgeabkommen
  • 3. Europäische Menschenrechtskonvention
  • a) Sozialrechtlicher Gehalt der EMRK
  • b) Menschenwürde in der EMRK
  • 4. Europäische Sozialcharta
  • 5. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
  • 6. Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer
  • 7. Fazit: Unterschiedliche Ausprägungen sozialer Vergünstigung in internationalen Abkommen
  • II. Soziale Vergünstigung als allgemeiner Rechtsgrundsatz in der Europäischen Union
  • 1. Direkt verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf Existenzminimum
  • a) Deutschland
  • b) Frankreich
  • c) Portugal
  • d) Spanien
  • 2. Indirekt verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf Existenzminimum
  • a) Belgien
  • b) Dänemark
  • c) Vereinigtes Königreich
  • d) Niederlande
  • e) Schweden
  • 3. Fazit: Soziale Vergünstigung in einzelnen Mitgliedstaaten
  • F. EU als Staatenverbund mit normativen sozialen Grundzügen
  • I. Koordinierungsregelungen
  • II. Grundfreiheiten und Unionsbürgerschaft als mögliche Anknüpfungspunkte sozialer Vergünstigung
  • III. Begrenzte Legitimation durch EUGRCh
  • 1. Art. 34 II EUGRCh
  • a) Art. 34 II EUGRCh als subjektives Recht
  • b) Persönlicher Schutzbereich
  • c) Rechtmäßiger Wohnsitz und Aufenthalt als Voraussetzung der Inländergleichbehandlung
  • d) Leistungsspektrum
  • e) Nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten
  • f) Beeinträchtigungsmöglichkeit
  • g) Fazit
  • 2. Art. 34 III EUGRCh
  • a) Berechtigte
  • b) Leistungsspektrum
  • c) Verknüpfung der Menschenwürde mit Leistungen sozialer Unterstützung durch Art. 34 III EUGRCh
  • aa) Grammatikalische Auslegung
  • bb) Menschenwürdebezug des Art. 34 III EUGRCh im Lichte der teleologischen und historischen Auslegung
  • cc) Fazit: Bezug zur Menschenwürde aus Art. 1 EUGRCh
  • d) Beeinträchtigungsmöglichkeit
  • e) Fazit
  • 3. Begrenzter Anwendungsbereich der EUGRCh
  • IV. Fazit
  • G. Untergrenze: Die Menschenwürde
  • I. Menschenwürde in der Europäischen Union
  • 1. Menschenwürde in der Rechtsprechung des EuGH
  • 2. Gewährleistung der Menschenwürde in den Verfassungen der Mitgliedstaaten
  • 3. Menschenwürde in der EUGRCh
  • 4. Fazit
  • II. Menschenwürde als absolutes Prinzip
  • 1. Anwendbarkeit des Art. 52 I EUGRCh auf die Menschenwürde
  • 2. Unantastbarkeit der Menschenwürde
  • 3. Fazit
  • III. Sozialrechtlicher Gehalt der Menschenwürde
  • 1. Existenzminimum
  • a) Historischer Begriff
  • b) Physiologisches und soziokulturelles Existenzminimum
  • 2. Berücksichtigung der vorherrschenden Lebensgewohnheiten
  • 3. Erbringungsmodus
  • IV. Fazit: Menschenwürde mit Gehalt sozialer Vergünstigung in der Europäischen Union
  • H. Kollision mit dem Solidaritätsprinzip
  • I. Positive Gewährleistung der Solidarität
  • II. Gegenläufiges Interesse der Solidarität
  • III. Notwendiger Solidaritätsrahmen
  • 1. Solidargemeinschaft
  • 2. Solidargesellschaft
  • IV. Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union
  • 1. Solidarität als Fundament der Europäischen Union
  • 2. Solidarität als unbestimmtes Prinzip
  • 3. Solidarität zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten
  • 4. Unionsbürgerschaft als Ausfluss einer europäischen personellen Solidarität
  • a) Unionsbürgerschaft als entscheidendes Kriterium für Solidarrechte
  • b) Marktwirtschaftliche Solidarität
  • c) Marktlosgelöste Solidarität
  • 5. EUGRCh als Ausdruck eines personellen Solidaritätsprinzips
  • 6. Fazit: Personelle Solidarität mit Gehalt sozialer Vergünstigung in der Europäischen Union
  • V. Pflicht zur Begründung von Einzelfallentscheidungen
  • VI. Interessenausgleich durch Verhältnismäßigkeitsprüfung
  • 1. Ausschluss ohne Verhältnismäßigkeitsprüfung
  • 2. Notwendige Verhältnismäßigkeitsprüfung
  • 3. Verknüpfung mit dem Aufenthaltsrecht
  • 4. Einfluss der Menschenwürde auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung
  • VII. Fazit
  • I. Kollision mit dem Subsidiaritätsprinzip
  • I. Gegenläufiges Interesse der Subsidiarität
  • II. Subsidiaritätsprinzip in der EU
  • 1. Maßnahmen unter dem Subsidiaritätsprinzip
  • 2. Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips auf dem Gebiet der Sozialpolitik
  • 3. Transnationale Aspekte des Grundsatzes der sozialen Vergünstigung
  • 4. Bessere Verwirklichung des Grundsatzes der sozialen Vergünstigung auf Unionsebene
  • III. Spannungsverhältnis zwischen Subsidiarität und Solidarität in der EU
  • IV. Subsidiarität als formelles Prinzip
  • V. Abwägung zwischen Subsidiarität und sozialer Vergünstigung
  • VI. Fazit
  • J. Gesamtergebnis
  • I. Zum Begriff der „sozialen Vergünstigung“ im Unionsrecht
  • II. Zur Internationalisierung sozialer Rechte in der EU
  • III. Zum prinzipientheoretischen Ansatz
  • IV. Zur sozialen Vergünstigung in internationalen Abkommen und als allgemeiner Rechtsgrundsatz
  • V. Zur EU als Staatenverbund mit normativen sozialen Grundzügen
  • VI. Zur Menschenwürde als Untergrenze
  • VII. Zur Kollision mit dem Solidaritätsprinzip
  • VIII. Zur Kollision mit dem Subsidiaritätsprinzip
  • K. Schlussbemerkung
  • Literaturverzeichnis

| 17 →

Abkürzungsverzeichnis

A

a.A andere Ansicht

Abl. Amtsblatt

Abs. Absatz

AdR Ausschuss der Regionen

AEMR Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

ALG II Arbeitslosengeld 2

ALR Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten

Anm. Anmerkung

AöR Archiv des öffentlichen Rechts

Art. Artikel

Aufl. Auflage

AVR Archiv des Völkerrechts

AWL Akademie der Wissenschaften und der Literatur

Az. Aktenzeichen

B

BayVBl. Bayrische Verwaltungsblätter

Bd. Band

Beschw. Beschwerde

BGB Bürgerliches Gesetzbuch

BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales

BSG Bundessozialgericht

BSGE Entscheidungen des Bundessozialgerichts

bsplw. beispielsweise

BT Bundestag

BT-Drucks. Drucksachen des Deutschen Bundestages

BVerfG Bundesverfassungsgericht

BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht

BVerwG Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgericht

BW Baden-Württemberg ← 17 | 18 →

C

CalLRev. California Law Review

CJEL Columbia Journal of European Law

CMLR Common Market Law Review

CYELS Cambridge Yearbook of European Legal Studies

D

ders. derselbe

dies. dieselbe

DÖV Die öffentliche Verwaltung

DRdA Das Recht der Arbeit

DVBl Deutsche Verwaltungsblätter

E

EFA Europäisches Führsorgeabkommen

EG Europäische Gemeinschaft

EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

ELJ European Law Journal

EJML European Journal of Migration and Law

EL Ergänzungslieferung

ELRev European Law Review

EMRK Europäische Menschenrechtskonvention

Empf. Empfehlung

EP Europäisches Parlament

ERA-Forum Journal of the Academy of European Law

ESC Europäische Sozialcharta

EU Europäische Union

EuG Gericht der Europäischen Union

EuGH Europäischer Gerichtshof

EUGRCh Charta der Grundrechte der Europäischen Union

EuGRZ Europäische Grundrechtszeitschrift

EuR Zeitschrift für Europarecht

EUV Vertrag über die Europäische Union

EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWGV Vertrag zür Grundung der Europäischen Gemeinschaft ← 18 | 19 →

EWS Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht

EWSA Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

F

f. folgende

ff. fortfolgende

Fn Fußnote

Fordham Int’l J Fordham International Law Journal

FreizügG/EU Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern

FS Festschrift

G

GA Generalanwalt

GB Großbritannien

GCSGA Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer

GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

GLJ German Law Journal

GS Gedächtnisschrift

H

HdStR Handbuch des Staatsrechts

HL House of Lords

Hrsg. Herausgeber

I

ICLQ International and Comparative Law Quarterly

ILO Internationale Arbeitsorganisation

InfAuslR Informationsbrief Ausländerrecht

info-also Informationen zum Arbeitslosenrecht und Sozialrecht

insb. insbesondere

IPwskR Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

i.S.d. im Sinne des

i.S.v. im Sinne von

i.V.m. in Verbindung mit ← 19 | 20 →

J

JA Juristische Arbeitsblätter

JBl Juristische Blätter

JIANL Journal of Immigration, Asylum and Nationality Law

JöR N.F. Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart

JSSL Journal of Social Security Law

JURA Juristische Ausbildung

JuS Juristische Schulung

JZ Juristenzeitung

K

Kap. Kapitel

KJ Kritische Justiz

L

LIEI Legal Issues of Economic Integration

lit. littera

LSG Landesozialgericht

LVerf Landesverfassung

M

MJECL Maastricht Journal of European and Comparative Law

Mrd. Milliarden

MS Mitgliedstaaten

m.w.N. mit weiteren Nachweisen

N

NdsVBl Niedersächsische Verwaltungsblätter

NJ Neue Justiz

NJW Neue Juristische Wochenschrift

Nr. Nummer

NRW Nordrhein-Westfalen

NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht ← 20 | 21 →

O

OBG Ordnungsbehördengesetz

OJLS Oxford Journal of Legal Studies

P

para Paragraph

paras Paragraphen

R

RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

Rat Europäischer Rat

RL Richtlinie

Rn. Randnummer

Rs. Rechtssache

S

S. Seite

Sec. Section

SEV Sammlung der Europäischen Verträge

SG Sozialgericht

SGb Die Sozialgerichtsbarkeit

SGB Sozialgesetzbuch

Slg. Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs

s.o. siehe oben

sog. sogenannte

SRa Sozialrecht aktuell

T

TzBfG Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse

U

u. und

u.a. und andere ← 21 | 22 →

UKHL United Kingdom House of Lords

UN-Doc. UN Dokument

V

v. von

verb. verbundene

VfGH Österreichischer Verfassungsgerichtshof

Vgl. vergleiche

VO Verordnung

VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

W

WD Wissenschaftliche Dienste

Z

ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Rechtsvergleichung

ZAR Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik

ZeS Zentrum für Sozialpolitik

ZESAR Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht

ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht

ZEuS Zeitschrift für Europarechtliche Studien

ZfRV Zeitschrift für Rechtsvergleichung

ZFSH/SGB Zeitschrift für die sozialrechtliche Praxis

ZfSR Zeitschrift für schweizerisches Recht

ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

ZP EMRK Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention

ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik

| 23 →

A. Einleitung

I. Einführung

Regelmäßig werden die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bezichtigt, dass diese lediglich die wirtschaftliche Integration vorantreiben, die soziale Integration jedoch vernachlässigen würden.1 Seinen Höhepunkt fand dieses Anprangern der fehlenden sozialen Integration im Jahre 2005, als das französische Verfassungsreferendum sich gegen den damals ausgehandelten Verfassungsvertrag stellte. Einer der Hauptgründe dafür war, dass, nach Meinung der abstimmungsberechtigten Franzosen, die EU lediglich die wirtschaftliche Integration mit dem gemeinsamen Binnenmarkt ausbaue und eine damit einhergehende notwendige soziale Integration vergesse. Die freie Marktwirtschaft sei nicht ausreichend sozial flankiert worden.2 Inzwischen wird behauptet, die soziale Integration gehe zu weit. Auch wenn die politische Agenda aktuell vom Brexit und der Flüchtlingskrise dominiert wird und die Grundsatzfragen eines sozialen Charakters der Europäischen Union in der letzten Zeit in den Hintergrund gedrängt wurden,3 so ist das Thema der sozialen Teilhabe nichterwerbstätiger Unionsbürger, wegen der damit verbundenen finanziellen Verpflichtungen, immer noch aktuell.4 Insbesondere in der Diskussion um den Brexit ging es auch immer um die Frage, wie weit eine finanzielle Solidarität für Unionsbürger, welche keine eigenen Staatsangehörigen sind, gehen kann und ob nicht der nationale Sozialstaat vor einer übermäßigen Beanspruchung geschützt werden müsse.5 Dabei stand auch ein möglicher ← 23 | 24 → Sozialleistungstourismus im Fokus; dieser wurde schon seit Einführung der Personenfreizügigkeit für alle Unionsbürger befürchtet.6 Der Schutz des Wohlfahrtstaates, als historisches Charakteristikum in Europa angesehen,7 ist dabei für die Freizügigkeitsskeptiker in allen Mitgliedstaaten stets das Argument, weshalb die Freizügigkeit eingeschränkt werden müsse.8 Diese Befürchtung scheint nicht unbegründet. Im Jahr 2013 waren 5 Prozent der registrierten Arbeitslosen in Deutschland Staatsangehörige aus anderen Mitgliedstaaten der Union.9

Auch wird schon heute über die zukünftige Ausgestaltung der EU debattiert, um auf die sich in naher Zukunft anbahnenden Herausforderungen angemessen reagieren zu können. Die dafür relevante Umgestaltung der EU und die damit einhergehenden rechtlichen Entwicklungen und Neuanpassungen werden jedoch auch zu sozialen „Herausforderungen und Verwerfungen“ führen.10 Diese sozialen Herausforderungen werden sich auch mit der Frage beschäftigen müssen, welcher Personenkreis Zugang zu Sozialleistungssystemen in Mitgliedstaaten erhält, deren Staatsangehörigkeit er nicht besitzt.

Zusätzlich befeuert wurde die Diskussion um die Reichweite der Freizügigkeit durch die Vielzahl an Entscheidungen des EuGH, welche zu alledem nicht stringent waren.11 Das verwundert, da das Thema der sozialen Dimension der Europäischen Union in den Verfahren regelmäßig von entscheidungserheblicher Relevanz ist. Allein im Jahr 2015 waren 39 Verfahren beim EuGH anhängig, welche sich mit der Sozialpolitik und der sozialen Sicherheit von ← 24 | 25 → Wanderarbeitnehmern befassten.12 Das untermauert noch einmal die Bedeutung des Themas. Hier rücken dann auch wieder die nichterwerbstätigen Unionsbürger in den Fokus. Diese leisten im Vergleich zu erwerbstätigen Unionsbürgern gerade keinen Beitrag zur Sicherung ihres Existenzminimums und sind somit auf Unterstützung angewiesen.

Bei der Frage um Leistungen der sozialen Vergünstigung für nichterwerbstätige Unionsbürger geht es jedoch nicht nur um die Freizügigkeit innerhalb der EU. Im Kern geht es auch darum, welcher Wert der Unionsbürgerschaft und damit einhergehend der Europäischen Union zugesprochen wird. Die Einführung der Unionsbürgerschaft war bedeutender als die Einführung des Euros.13 Seitdem hat die Unionsbürgerschaft eine eigene Dynamik entwickelt, welche sich auch auf soziale Bereiche ausgedehnt hat. Sollte die Unionsbürgerschaft ursprünglich nur Ausdruck von mehr „Bürgernähe“ sein, hat sie sich inzwischen zu einem fundamentalen Prinzip der Europäischen Union entfaltet.14 Die sozialen Aspekte, welche mit der Unionsbürgerschaft einhergehen, ergeben sich aber nicht unmittelbar. Ausschlaggebend sind vielmehr die hinter der Unionsbürgerschaft stehenden Prinzipien bzw. Grundsätze im Unionsrecht, welche Wirkung auf alle Bereiche des Rechts der EU ausüben und so die gesamte EU prägen.15 Gerade hierin liegt aber auch das Problem der mangelnden Akzeptanz der Gewährung von Leistungen der sozialen Vergünstigung. Prinzipien kodifizieren oft nicht wortwörtlich ihre Inhalte und wortwörtlich gewährt die Unionsbürgerschaft eben keine Sozialleistungen.

Der Streit, ob nichterwerbstätige Unionsbürger einen Anspruch auf Leistungen der sozialen Vergünstigung haben, wird zudem durch die doch sehr begrenzte Übertragung der mitgliedstaatlichen Kompetenzen im sozialen Bereich auf die Europäische Union befeuert. Es entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen den mitgliedstaatlichen Sozialsystemen einerseits und den, teilweise indirekten, Einflüssen des Unionsrechts auf die Sozialsysteme andererseits. Denn in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehen immer noch die jeweils eigenen ← 25 | 26 → Sozialsysteme. Ein einheitliches europäisches Sozialsystem existiert nicht, vielmehr gibt es viele unterschiedliche dezentrale Sozialsysteme. Gerade darum ist der Nachweis eines Grundsatzes der sozialen Vergünstigung für nichterwerbstätige Unionsbürger von derart entscheidender Bedeutung. Ein solcher Nachweis würde Sicherheit in der Form schaffen, dass für alle Beteiligten, seien es die einzelnen Mitgliedstaaten, die EU oder der nichterwerbstätige Unionsbürger selbst, klar erkennbar ist, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen der nichterwerbstätige Unionsbürger Leistungen der sozialen Vergünstigung beziehen kann. Die Herleitung eines Grundsatzes der sozialen Vergünstigung selbst ist im Recht der EU allerdings nicht immer einfach.16 Es überrascht daher nicht, dass sich der EuGH bisher noch nicht zu der Unterscheidung von Grundsätzen und Rechten geäußert hat.17 Die Herleitung eines Grundsatzes der sozialen Vergünstigung muss in Folge dessen genau beleuchtet werden. Fraglich scheint, ob die unionsrechtlichen Bestimmungen ausreichen, um einen Grundsatz der sozialen Vergünstigung herzuleiten, oder ob die unionsrechtlichen Verträge im Wege einer Vertragsrevision angepasst werden müssten. Im Zusammenhang mit dem von der Kommission am 01.03.2017 vorgelegten Weißbuch zur Zukunft Europas betonte Kommissionspräsident Junker, dass das derzeitige Primärrecht ausreiche, um die aktuellen Herausforderungen der Zukunft meistern zu können, soweit die primärrechtlichen Vertragspotentiale ausgeschöpft werden würden.18 Ob das auch für einen Grundsatz der sozialen Vergünstigung gilt, wird in der vorliegenden Arbeit thematisiert. Exemplarisch soll dazu die soziale Vergünstigung für nichterwerbstätige Unionsbürger genutzt werden, um einen Grundsatz herzuleiten.

II. Ablauf der Untersuchung

In der folgenden Abhandlung wird zunächst der Begriff „soziale Vergünstigung“19 erläutert. So wird das behandelte Leistungsspektrum deutlich. Die inhaltliche Festlegung des Begriffs „soziale Vergünstigung“ stellt sich bedingt durch die Unbestimmtheit dieses Begriffs als schwierig heraus. Zudem besteht im Bereich der sozialen Teilhabe eine Fülle von unterschiedlichen Leistungsarten und Begriffen, welche von der vorliegenden Arbeit umfasst werden sollen. ← 26 | 27 →

Anschließend wird herausgearbeitet, wie sich das Sozialrecht in der EU entwickelt hat. Das Sozialrecht liegt im Kern zwar noch immer im Kompetenzbereich der einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Das mitgliedstaatliche Sozialrecht wird jedoch immer stärkeren unionsrechtlichen Einflüssen ausgesetzt und hat sich somit in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher internationalisiert.20

Im nächsten Schritt wird der Begriff „Grundsatz“ erläutert und die Voraussetzungen eines solchen Grundsatzes beleuchtet.21 Einen Anknüpfungspunkt kann hier ein prinzipientheoretischer Ansatz bieten. Der Begriff „Grundsatz“ wird daher in diesen Ansatz eingeordnet und es werden die sich aus dieser Einordnung ergebenden Auswirkungen generell und speziell auf das Unionsrecht beschrieben. Ferner werden die Voraussetzungen für einen Grundsatz hergeleitet.

Details

Seiten
300
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631785300
ISBN (ePUB)
9783631790076
ISBN (MOBI)
9783631790083
ISBN (Hardcover)
9783631790069
DOI
10.3726/b15619
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Mai)
Schlagworte
Sozialhilfe Menschenwürdiges Existenzminimum Regelmodell Prinzipienmodell Robert Alexy Prinzipienkollision Subsidiaritätsprinzip Solidaritätsprinzip Menschenwürde
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 300 S.

Biographische Angaben

Nico Benedict Herbst (Autor:in)

Nico Benedict Herbst studierte Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln und der National Law School of India University, Bangalore. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Völkerrecht, Europarecht, europäisches und internationales Wirtschaftsrecht.

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