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Das Verfahren vor Streitbeilegungsstellen

Eine Untersuchung im Lichte der ADR-Richtlinie

von Markus Augenschein (Autor:in)
©2019 Dissertation 224 Seiten

Zusammenfassung

Die Vorschrift des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB, wonach die Verjährung eines Anspruchs mittels Güteantrag unkompliziert und risikolos gehemmt werden kann, war in jüngster Zeit Gegenstand etlicher Kontroversen in Literatur und Rechtsprechung. Im Mittelpunkt der Diskussion stand dabei die Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen ein Güteantrag erfüllen muss, damit diesem verjährungshemmende Wirkung zukommen kann. Ebenso umstritten ist die Frage, unter welchen Umständen ein Güteantrag wegen Rechtsmissbrauchs nicht verjährungshemmend wirken soll. Diesen Rechtsfragen an der Schnittstelle zwischen materiellem Recht und Prozessrecht widmet sich der Autor unter besonderer Berücksichtigung der EU-Richtlinie 2013/11/EU über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (ADR-Richtlinie).

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title Page
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • § 1 Einleitung
  • A. Hintergrund der Arbeit
  • B. Ziel der Arbeit
  • C. Aufbau der Arbeit
  • § 2 Einführung
  • A. Historische und gesetzliche Grundlagen
  • I. Einführung und einstweilige Abschaffung des obligatorischen Güteverfahrens; Unterbrechung der Verjährung
  • II. Wiedereinführung des obligatorischen Güteverfahrens
  • III. Einführung in Baden-Württemberg
  • IV. Schuldrechtsreform
  • V. Erneute Abschaffung des obligatorischen Güteverfahrens durch sämtliche Bundesländer
  • VI. Keine Auswirkung auf fakultatives Güteverfahren
  • VII. Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen (VSBG)
  • 1. EU-Richtlinie 2013/11/EU über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (ADR-Richtlinie)39
  • 2. EU-Verordnung Nr. 524/2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (ODR-Verordnung)41
  • 3. Umsetzungsgesetz
  • B. Abgrenzung
  • I. Obligatorisches und fakultatives Güteverfahren
  • II. Verbraucherschlichtungsstellen
  • III. Private Schlichtungsstellen
  • IV. Gesetzliche Schlichtungsstellen
  • 1. Schlichtungsverfahren nach § 14 UKlaG
  • 2. Einigungsstellen nach § 15 UWG
  • 3. Schiedsstellen nach §§ 92 ff. VGG
  • 4. Schiedsstellen nach §§ 28 ff. ArbNErfG
  • 5. Schlichtungsstellen nach § 214 VVG
  • 6. Weitere gesetzliche Schlichtungsstellen
  • 7. Mediation nach dem MediationsG
  • V. Schiedsgerichte
  • VI. Schiedsgutachten
  • VII. Fazit
  • § 3 Verfahren der Streitbeilegungsstellen nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB
  • A. Arten von Streitbeilegungsstellen
  • I. Staatliche oder staatlich anerkannte Streitbeilegungsstellen (§ 204 Abs. 1 Nr. 4 a) BGB)
  • 1. Gütestellen
  • a) Von der Landesjustizverwaltung eingerichtete Gütestellen (§ 15a Abs. 1 S. 1 Alt. 1 EGZPO)
  • b) Von der Landesjustizverwaltung anerkannte Gütestellen (§ 15a Abs. 1 S. 1 Alt. 2 EGZPO)
  • c) Durch Landesrecht anerkannte Gütestellen (§ 15a Abs. 6 S. 1 EGZPO)
  • d) Bundesländer ohne eingerichtete oder anerkannte Gütestellen
  • 2. Verbraucherschlichtungsstellen
  • a) Private Verbraucherschlichtungsstellen (§§ 3 ff. VSBG)
  • b) Behördliche Verbraucherschlichtungsstellen (§ 28 VSBG)
  • c) Universalschlichtungsstellen der Länder (§§ 29 ff. VSBG)
  • 3. Weitere staatliche oder staatlich anerkannte Streitbeilegungsstellen
  • II. Andere Streitbeilegungsstellen (§ 204 Abs. 1 Nr. 4 Hs. 1 b) BGB)
  • III. Mediator als andere Streitbeilegungsstelle?
  • B. Verfahren
  • I. Von der Landesjustizverwaltung eingerichtete oder anerkannte Gütestellen
  • 1. Verfahrensordnung
  • a) Grundsatz
  • b) Rechtscharakter
  • 2. Verfahrensablauf
  • 3. Verfahrensende
  • a) Verfahrenserfolg
  • aa) Vergleich als Vollstreckungstitel gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
  • bb) Erteilung der Vollstreckungsklausel nach § 797a Abs. 1 ZPO
  • (1) Zuständigkeit
  • (2) Rechtsbehelfe
  • cc) Keine Präklusion nach § 767 Abs. 2 ZPO
  • dd) Vergleichsschluss vor einer unzuständigen Gütestelle
  • ee) Unwirksamkeit des geschlossenen Vergleichs
  • ff) Leistungsstörungen
  • b) Scheitern des Verfahrens
  • 4. Verfahrenskosten
  • II. Verbraucherschlichtungsstellen
  • 1. Verfahrensordnung
  • 2. Verfahrensablauf
  • a) Antragsteller
  • b) Form des Schlichtungsantrags
  • c) Gesetzliche Ablehnungsgründe
  • d) Gang des Verfahrens
  • 3. Verfahrensende
  • a) Verfahrenserfolg
  • aa) Privatrechtlicher Vertrag
  • bb) Vollstreckbarkeit des Vergleichs – analoge Anwendung des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO?
  • b) Scheitern des Verfahrens
  • 4. Verfahrenskosten der privaten Verbraucherschlichtungsstellen
  • 5. Besonderheiten der behördlichen Verbraucherschlichtungsstellen
  • 6. Verfahrensstatistik
  • a) Verfahren vor Verbraucherschlichtungsstellen
  • b) Nutzung der Online-Streitbeilegungs-Plattform
  • III. Exkurs: Umsetzung der ADR-Richtlinie in anderen EU-Ländern am Beispiel von Österreich und Frankreich
  • 1. Österreich
  • 2. Frankreich
  • § 4 Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB
  • A. Zweck der Vorschrift
  • I. Zweck der Verjährung von Ansprüchen
  • II. Zweck der Verjährungshemmung von Rechtsverfolgungsmaßnahmen nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 bis 14 BGB
  • III. Zweck des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB
  • IV. Kritik in der Literatur
  • B. Person des Antragstellers
  • I. Güteantrag des Schuldners
  • II. Einvernehmliche Antragstellung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 4 Hs. 1 b) BGB
  • C. Unzuständigkeit der Streitbeilegungsstelle
  • I. Abgrenzung zwischen unzulässigem und unwirksamem Güteantrag
  • II. Von der Landesjustizverwaltung eingerichtete oder anerkannte Gütestellen
  • 1. Grundsatz
  • 2. Haftung der Streitbeilegungsstelle bei Bekanntgabe des Güteantrags trotz Un-zuständigkeit
  • III. Verbraucherschlichtungsstellen
  • 1. Grundsatz
  • 2. Exkurs: Verjährungshemmung bei Vorliegen eines sonstigen im VSBG genannten Ablehnungsgrundes
  • D. Zeitpunkt des Hemmungseintritts
  • I. Veranlassung der Bekanntgabe
  • II. Bekanntgabe „demnächst“
  • 1. Vergleich mit § 204 Abs. 1 Nr. 4 Hs. 2 BGB a.F.
  • 2. Anwendung der zu § 167 ZPO geltenden Grundsätze
  • 3. Überhäufung einer Streitbeilegungsstelle mit Güteanträgen
  • a) Instanzgerichtliche Rechtsprechung
  • b) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
  • c) Stellungnahme
  • E. Reichweite der Verjährungshemmung
  • F. Ende der Verjährungshemmung
  • I. Grundsatz
  • II. Kenntnis des Antragstellers über das Scheitern notwendig?
  • III. Inkenntnissetzung des Antragstellers unmittelbar durch den Antragsgegner
  • G. Verjährungshemmung durch Güteantrag
  • I. Abgrenzung zu Klagschrift und Mahnbescheidsantrag
  • 1. Klagschrift (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB)
  • 2. Mahnbescheidsantrag (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB)
  • II. Formerfordernisse von Güteanträgen
  • 1. Grundsatz
  • 2. Vergleich mit Mahnbescheidsantrag
  • 3. Vergleich mit Klagschrift
  • III. Bestimmtheit von Güteanträgen
  • 1. Grundsatz
  • 2. Meinungsstreit in Literatur und Rechtsprechung
  • 3. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
  • 4. Zusammenfassung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
  • 5. Bewertung in der Literatur
  • 6. Stellungnahme
  • 7. Problem: Vereinbarkeit mit der ADR-Richtlinie
  • a) Anwendbarkeit der ADR-Richtlinie
  • aa) Anwendung auch auf von der Landesjustizverwaltung eingerichtete oder aner-kannte Gütestellen?
  • (1) Gebot der richtlinienkonformen Auslegung
  • (2) Keine Vorgaben der ADR-Richtlinie für Gütestellen
  • bb) Pflicht zur einheitlichen Anwendung der ADR-Richtlinie aufgrund Unionsrechts?
  • cc) Pflicht zur einheitlichen Anwendung der ADR-Richtlinie aufgrund nationalen Rechts?
  • (1) Meinungsstreit zur einheitlichen Anwendung bei richtlinienüberschießender Umsetzung
  • (2) Anwendung auf § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB
  • b) Vereinbarkeit mit Art. 8 b) der ADR-Richtlinie
  • c) Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 der ADR-Richtlinie
  • aa) Auffassung des Bundesgerichtshofes
  • bb) Meinungen in der Literatur
  • cc) Stellungnahme
  • d) Fazit zur Vereinbarkeit der BGH-Rechtsprechung mit der ADR-Richtlinie
  • 8. Anwendbarkeit auf andere Rechtsgebiete
  • 9. Fazit zur Bestimmtheit von Güteanträgen
  • IV. Missbräuchliche Stellung eines Güteantrags
  • 1. Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes
  • a) Motivlage des Antragstellers unbeachtlich
  • b) Rechtsprechung der Instanzgerichte
  • c) Meinungen in der Literatur
  • 2. Rechtsmissbrauch in Bezug auf andere Hemmungstatbestände des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB
  • 3. Erste Fallgruppe: Kenntnis des Antragstellers über die Ablehnung des Antragsgeg-ners
  • a) Änderung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
  • b) Rechtsprechung der Instanzgerichte
  • c) Meinungen in der Literatur
  • d) Stellungnahme
  • aa) Vorbemerkung
  • bb) Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchseinwandes
  • (1) Kein schutzwürdiges Eigeninteresse des Rechtsinhabers
  • (2) Unredlicher Erwerb der eigenen Rechtsposition
  • cc) Anwendung auf den Fall
  • (1) Kein schutzwürdiges Eigeninteresse des Rechtsinhabers
  • (2) Unredlicher Erwerb der eigenen Rechtsposition
  • dd) Fazit zum Rechtsmissbrauch wegen Kenntnis des Antragstellers über die Ableh-nung des Antragsgegners
  • 4. Zweite Fallgruppe: Überlastung der Streitbeilegungsstelle
  • a) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
  • b) Rechtsprechung der Instanzgerichte
  • c) Meinungen in der Literatur
  • d) Stellungnahme
  • e) Fazit zum Rechtsmissbrauch wegen Überlastung der Streitbeilegungsstelle
  • 5. Problem: Vereinbarkeit mit der ADR-Richtlinie
  • 6. Fazit zur missbräuchlichen Stellung eines Güteantrags
  • § 5 Zusammenfassung
  • A. Neufassung des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB
  • B. Abgrenzung
  • C. Von § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB erfasste Streitbeilegungsstellen
  • D. Verfahren vor von der Landesjustizverwaltung anerkannten Gütestellen und Ver-braucherschlichtungsstellen
  • E. Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB
  • I. Person des Antragstellers
  • II. Unzuständigkeit der Streitbeilegungsstelle
  • 1. Grundsatz
  • 2. Haftung der Streitbeilegungsstelle bei Bekanntgabe des Güteantrags trotz Unzu-ständigkeit
  • III. Zeitpunkt des Hemmungseintritts
  • 1. Veranlassung der Bekanntgabe
  • 2. Bekanntgabe „demnächst“
  • 3. Überhäufung einer Streitbeilegungsstelle mit Güteanträgen
  • IV. Reichweite der Verjährungshemmung
  • V. Ende der Verjährungshemmung
  • VI. Verjährungshemmung durch Güteantrag
  • 1. Formerfordernisse von Güteanträgen
  • 2. Bestimmtheit von Güteanträgen
  • a) Grundsatz
  • b) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
  • c) Vereinbarkeit mit der ADR-Richtlinie
  • 3. Missbräuchliche Stellung eines Güteantrags
  • a) Grundsatz
  • b) Kenntnis des Antragstellers über die Ablehnung des Antragsgegners
  • c) Überlastung der Streitbeilegungsstelle
  • d) Vereinbarkeit mit der ADR-Richtlinie
  • Literaturverzeichnis

←18 | 19→

§ 1 Einleitung

A. Hintergrund der Arbeit

Der außergerichtlichen Streitschlichtung kommt in der Praxis eine immer größere Bedeutung zu, auch wenn in Baden-Württemberg das obligatorische Güteverfahren zum 01.05.2013 abgeschafft wurde.1 So ist einerseits der Justiz aufgrund permanenter Arbeitsüberlastung nachvollziehbarerweise generell an einer Stärkung außergerichtlicher Streitbeilegung gelegen, was z.B. die offensive Werbung des Justizministeriums Baden-Württemberg für entsprechende Schlichtungsverfahren verdeutlicht.2 Des Weiteren veranschaulicht die Einführung des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes (im Folgenden: VSBG), welches auf der EU-Richtlinie 2013/11/EU (im Folgenden ADR-Richtlinie) basiert und zum 01.04.2016 in Kraft trat,3 dass eine Ausweitung dieser Verfahren politisch gewollt ist.4

Im Zuge der Schaffung des VSBG wurde auch die Verjährungshemmungsvorschrift des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB neu gefasst und deren Anwendungsbereich – u.a. hinsichtlich bei den neuen Verbraucherschlichtungsstellen gestellter Güteanträge – erweitert, insbesondere um Art. 12 Abs. 1 der ADR-Richtlinie umzusetzen, wonach verhindert werden soll, dass bei einer Verbraucherschlichtungsstelle geltend gemachte Ansprüche zwischenzeitlich verjähren.

§ 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB war in jüngster Zeit Gegenstand etlicher Kontroversen in Literatur und Rechtsprechung, nachdem Verbraucheranwälte die Stellung eines Güteantrags bei einer von der Landesjustizverwaltung anerkannten Gütestelle vor allem in Kapitalanlagefällen als einfache Verjährungshemmungsmöglichkeit für sich entdeckt hatten. Im Mittelpunkt der Diskussion stand dabei die Frage, welche Individualisierungsanforderungen an einen Güteantrag zu stellen sind, damit dieser verjährungshemmende Wirkung haben kann.5 Eine Antwort hierauf lieferte der Bundesgerichtshof erstmals in einigen Urteilen aus dem Jahr ←19 | 20→2015, in denen er klarstellte, dass die vielfach von Verbraucheranwälten genutzten standardisierten Musteranträge eine Verjährungshemmung nicht bewirken können.6

Ein weiteres aktuelles Problemfeld des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB ergibt sich ebenfalls aus der Attraktivität von Güteanträgen, mit denen eine Verjährungshemmung praktisch risikofrei und kostengünstig erreicht werden kann: Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes und weiter Teile der Literatur soll der Antragsteller sich wegen Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB nicht auf die verjährungshemmende Wirkung seines Güteantrags berufen dürfen, wenn er vor dessen Stellung positiv wusste, dass der Antragsgegner sich in keinem Fall dem Streitbeilegungsverfahren anschließen werde.7 Die h.M. in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung sieht einen weiteren Fall des Rechtsmissbrauchs in Fällen, in denen tausende gleichgelagerte Güteanträge von den Bevollmächtigten der Antragsteller bei ein und derselben Gütestelle angebracht werden und diese wegen Überlastung zur ordnungsgemäßen Verfahrensdurchführung nicht imstande ist,8 während der Bundesgerichtshof 904 gleichzeitig eingereichte Güteanträge als unschädlich betrachtet.9

B. Ziel der Arbeit

Diese Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, das Verfahren vor von der Landesjustizverwaltung anerkannten Gütestellen sowie Verbraucherschlichtungsstellen umfassend zu durchleuchten und insbesondere die genannten Rechtsfragen an ←20 | 21→der Schnittstelle zwischen materiellem Recht und Prozessrecht einer ausführlichen Prüfung zu unterziehen.

Eine vertiefte Untersuchung erscheint insbesondere vor dem Hintergrund erforderlich, dass den Regelungen der ADR-Richtlinie in der Literatur im Zusammenhang mit den Entscheidungen des Bundesgerichtshofes allenfalls oberflächlich Beachtung geschenkt wird, während für den Bundesgerichtshof die Vereinbarkeit seiner Rechtsprechung mit der ADR-Richtlinie „derart offenkundig“ ist, „dass für vernünftige Zweifel kein Raum mehr bleibt“.10

Ebenso oberflächlich nimmt der Bundesgerichtshof einen Rechtsmissbrauch bei Kenntnis des Antragstellers über die ablehnende Haltung des Antragsgegners an, ohne sich in diesem Zusammenhang mit den in Literatur und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen und Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchstatbestandes auseinanderzusetzen.11 Auch ist die in der Literatur hinsichtlich dieses Problems geführte Diskussion geprägt von Billigkeitserwägungen, die für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs nicht ausreichen.12 Eine fundierte rechtliche Prüfung ist insofern auch hier notwendig. Gleiches gilt im Hinblick auf die massenhafte Einreichung gleichgelagerter Güteanträge bei ein und derselben Streitbeilegungsstelle.

C. Aufbau der Arbeit

Zu Beginn der Arbeit erfolgt eine einführende Darstellung der historischen und gesetzlichen Grundlagen des § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB (§ 2 A.) sowie eine Abgrenzung der verschiedenen Möglichkeiten außergerichtlicher Streitbeilegung voneinander (§ 2 B.). Anschließend wird der Anwendungsbereich der Vorschrift untersucht (§ 3 A.), wobei geprüft wird, ob ein Mediator als „andere Streitbeilegungsstelle“ i.S.d. § 204 Abs. 1 Nr. 4 Hs. 1 b) BGB begriffen werden kann, was zur Folge haben würde, dass eine Verjährungshemmung im Rahmen einer Mediation nicht nur durch Verhandlungen nach § 203 BGB in Betracht käme (§ 3 A. III.). Daraufhin wird der Verfahrensablauf bei von der Landesjustizverwaltung anerkannten Gütestellen und Verbraucherschlichtungsstellen erläutert (§ 3 B.). In diesem Zusammenhang wird auch der Frage nachgegangen, ←21 | 22→ob ein vor einer Verbraucherschlichtungsstelle geschlossener Vergleich in analoger Anwendung des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO einen Vollstreckungstitel darstellen kann (§ 3 B. II. 3. a) bb)).

Im Anschluss widmet sich die Arbeit der Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB (§ 4). Hierbei wird zunächst der gesetzliche Zweck der Verjährungshemmung im Allgemeinen sowie der Verjährungshemmung durch Stellung eines Güteantrags im Speziellen analysiert (§ 4 A.) und geprüft, welche Folgen es für die Hemmungswirkung hat, wenn der Güteantrag vom Schuldner (§ 4 B.) bzw. bei einer unzuständigen Streitbeilegungsstelle (§ 4 C.) gestellt wird. Sodann wird der Zeitpunkt des Hemmungseintritts untersucht (§ 4 D.). Diesbezüglich ist auffallend, dass § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB seit seiner Neufassung eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Antragseingangs bei der Streitbeilegungsstelle dann zulässt, wenn der Güteantrag „demnächst“ von der Streitbeilegungsstelle bekanntgegeben wird, während seine Vorgängerfassung auf die „demnächst“ erfolgende Veranlassung der Bekanntgabe abstellte (§ 4 D. II. 1.). Ferner wird sowohl die Reichweite der Verjährungshemmung (§ 4 E.) als auch deren Ende (§ 4 F.) erörtert. Im Hinblick auf den Beginn der Nachlauffrist nach § 204 Abs. 2 S. 1 BGB wird das Erfordernis der Kenntniserlangung des Antragstellers vom Verfahrensende geprüft und herausgearbeitet, ob eine Inkenntnissetzung hiervon auch seitens des Antragsgegners erfolgen kann (§ 4 F. III.).

Nach einem Vergleich mit Klagschrift (§ 4 G. I. 1.) und Mahnbescheidsantrag (§ 4 G. I. 2.) erfolgt schwerpunktmäßig eine Analyse der Form- (§ 4 G. II.) und Bestimmtheitserfordernisse (§ 4 G. III.) von Güteanträgen, damit diesen verjährungshemmende Wirkung zukommen kann. Im Hinblick auf die notwendige Bestimmtheit von Güteanträgen wird anschließend der in der Literatur und Rechtsprechung bis zu den o.g. Urteilen des Bundesgerichtshof geführte Meinungsstreit (§ 4 G. III. 2.) sowie die vom Bundesgerichtshof in diesen Urteilen aufgestellten Grundsätze (§ 4 G. III. 3.) dargelegt.

Vor allem wird die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aber im Lichte der ADR-Richtlinie bewertet, deren Regelungsinhalt vom Bundesgerichtshof nur sehr oberflächlich gewürdigt wurde (§ 4 G. III. 7.). In diesem Zusammenhang wird zunächst untersucht, ob die Vorschriften der ADR-Richtlinie auch im Hinblick auf bei von der Landesjustizverwaltung anerkannten Gütestellen zu beachten sind, nachdem der Gesetzgeber mit § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB n.F. eine einheitliche Verjährungsnorm geschaffen hat (§ 4 G. III. 7. a)). Dem folgt eine Untersuchung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anhand Art. 8 b) der ADR-Richtlinie, wonach Verbraucher ein Verfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle auch ohne rechtsanwaltliche Begleitung durchführen können sollen (§ 4 G. III. 7. b)). Schließlich sind die vom Bundesgerichtshof aufgestellten ←22 | 23→Individualisierungsvoraussetzungen von rechtsunkundigen Verbrauchern kaum zu erfüllen. Darüber hinaus wird die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes an Art. 12 Abs. 1 der ADR-Richtlinie gemessen, der den Mitgliedstaaten aufgibt, zu gewährleisten, dass die Einleitung eines Streitbeilegungsverfahrens nicht zur Verjährung des streitgegenständlichen Anspruchs führt (§ 4 G. III. 7. c)). Diese Gewährleistung ist jedoch an keine Voraussetzungen, insbesondere keine Individualisierungsvoraussetzungen hinsichtlich eines Güteantrags geknüpft, so dass fraglich ist, ob sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes mit dieser Vorschrift in Einklang bringen lässt.

Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit stellt die Analyse der beiden o.g. Missbrauchsfallgruppen dar, die im Rahmen der in Literatur und Rechtsprechung zum Rechtsmissbrauch anerkannten Grundsätze einer Prüfung unterzogen werden (§ 4 G. IV.). Dies ist umso mehr erforderlich, als dass die diesbezügliche Diskussion – wie eingangs erwähnt – weitgehend auf Billigkeitserwägungen aufbaut und der Bundesgerichtshof es bei einer oberflächlichen, nicht überzeugenden Argumentation bewenden lässt. Die in Literatur und Rechtsprechung diskutierten Missbrauchsfälle sind außerdem kritisch zu betrachten unter Berücksichtigung der ADR-Richtlinie, die einen unbedingten Verjährungsschutz vorsieht (§ 4 G. IV. 5.).

Den Schluss der Arbeit bildet eine Zusammenfassung der gewonnenen Ergebnisse (§ 5).

←23 | 24→

1 Gesetz zur Aufhebung des Schlichtungsgesetzes vom 16.04.2013, Drs. 15/3357.

2 http://www.justizportal-bw.de/pb/,Lde/Startseite/THEMEN+UND+AKTUELLES/Schlichten+statt+Richten, letzter Abruf: 06.01.2019.

3 BGBl. 2016 Teil I Nr. 9 S. 254, 274; §§ 40 Abs. 2 – 5, § 42 VSBG gelten bereits seit dem 26.02.2016.

4 Vgl. auch Gesetzentwurf vom 09.06.2015, BT-Drs. 18/5089, S. 42.

5 Vgl. etwa OLG Stuttgart, Urt. v. 04.02.2015 – 3 U 126/13, juris, Rn. 27 f.; OLG Bamberg, Urt. v. 27.10.2014 – 4 U 191/13, BeckRS 2015, 17176; May/Moeser, NJW 2015, 1637, 1638 f.

6 BGH, Urt. v. 18.06.2015 – III ZR 189/14, BeckRS 2015, 11749 Rn. 24 ff.; – III ZR 191/14, BeckRS 2015, 11750 Rn. 25 ff.; – III ZR 198/14, NJW 2015, 2407, 2409 f.; – III ZR 227/14, BeckRS 2015, 11752 Rn. 25 ff.

7 BGH, Beschl. v. 17.02.2016 – IV ZR 374/14, NJOZ 2016, 1648, 1649; Urt. v. 28.10.2015 – IV ZR 526/14, BKR 2016, 112, 114; Schulze/Dörner, § 204 Rn. 4; Palandt/Ellenberger, § 204 Rn. 19; BeckOK BGB/Henrich, Stand: 01.11.2018, § 204 Rn. 30; Erman/Schmidt-Räntsch, § 204 Rn. 16; Borowski/Röthemeyer/Steike/Borowski/Steike, Teil III, Art. 6, § 204 BGB Rn. 12; Nobbe, WM 2016, 337, 343.

8 Vgl. etwa OLG Hamm, Urt. v. 11.02.2016 – I-34 U 122/15, BeckRS 2016, 18270 Rn. 8 f.; OLG Koblenz, Beschl. v. 12.01.2016 – 8 U 196/15, BeckRS 2016, 18463 Rn. 13 f.; OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 18.11.2015 – 25 U 57/15, BeckRS 2016, 14653 Rn. 25; OLG Celle, Urt. v. 24.09.2015 – 11 U 88/14, BeckRS 2016, 16684 Rn. 53; OLG Naumburg, Urt. v. 15.10.2014 – 5 U 114/14, WM 2015, 613, 615; OLG Brandenburg, Urt. v. 03.03.2010 – 4 U 40/09, juris, Rn. 108.

9 BGH, Beschl. v. 17.02.2016 – IV ZR 374/14, juris, Rn. 12; Urt. v. 28.10.2015 – IV ZR 405/14, NJW 2016, 236 f.; Urt. v. 28.10.2015 – IV ZR 526/14, BKR 2016, 112, 113 f.

Details

Seiten
224
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631796108
ISBN (ePUB)
9783631796115
ISBN (MOBI)
9783631796122
ISBN (Hardcover)
9783631796054
DOI
10.3726/b15895
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (August)
Schlagworte
Güteantrag Verjährung Verjährungshemmung Bestimmtheit Rechtsmissbrauch
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 224 S.

Biographische Angaben

Markus Augenschein (Autor:in)

Markus Augenschein studierte Rechtswissenschaften an der Universität Tübingen und promovierte an der Universität Konstanz. Er ist als Rechtsanwalt in Stuttgart tätig.

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