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Die Neuabgrenzung von Urheber- und Designrecht

Kritische Würdigung der Aufgabe der Stufentheorie durch den BGH

von Cornelia Bettina Gersch (Autor:in)
©2019 Dissertation XIV, 180 Seiten

Zusammenfassung

Nach der «Stufentheorie» erhielt Design als «angewandte Kunst» nur bei «deutlichem Überragen der Durchschnittsgestaltung» Urheberrechtsschutz. Mit dem «Geburtstagszugs-Urteil» gab der Bundesgerichtshof diese Theorie auf und setzte das Schutzniveau für angewandte Kunst mit dem der rein bildenden Kunst gleich. Die Autorin untersucht, ob dies gerechtfertigt ist – insbesondere mit Blick auf die Vorgaben der Europäischen Union für Urheber- und Designrecht. Sie analysiert das aktuelle Schutzniveau von Design nach den neuen Schutzkriterien des Bundesgerichtshofs. Dabei beleuchtet sie die praktischen Folgen für den Schutz und die Nutzung von Design. Zuletzt erörtert sie Alternativen für den urheberrechtlichen Schutz von Design, auch mit Blick auf die Rechtslage in Frankreich und Großbritannien.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title Page
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort und Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Das Geburtstagszug-Urteil als Forschungsanlass
  • B. Forschungsfragen
  • I. War die Aufgabe der Stufentheorie dogmatisch gerechtfertigt?
  • II. Welches Schutzniveau besteht derzeit für angewandte Kunst?
  • III. Welche Folgen hat die Aufgabe der Stufentheorie?
  • IV. Besteht weiterer Handlungsbedarf für den Designschutz?
  • V. Eingrenzung des Themas
  • C. Gang der Darstellung
  • D. Begriffsbestimmungen
  • I. Design
  • II. Geschmacksmuster, Muster und Modell
  • III. Bildende, Freie, Schöne Kunst
  • IV. Ästhetik
  • V. Angewandte Kunst
  • VI. Kunstgewerbe und Kunsthandwerk
  • VII. Handwerk
  • 1. Kapitel: Abgrenzung nach der Stufentheorie
  • A. Entwicklung der Stufentheorie
  • B. Praktische Anknüpfung der Stufentheorie
  • I. Urheberrechtlicher Designschutz
  • 1. Formeller Werkbegriff
  • 2. Materieller Werkbegriff
  • a. Menschliche Urheberschaft
  • b. Immaterielle Leistung
  • c. Wahrnehmbarkeit und Wirkung
  • d. Gestaltungshöhe
  • e. Subjektive Neuheit
  • f. Negative Merkmale
  • g. Prüfungsmaßstab
  • II. Gewerblicher Designschutz
  • 1. Die Schutzvoraussetzungen vor der Geschmacksmusterreform
  • a. Ästhetischer Gesamteindruck
  • b. Neuheit
  • c. Eigentümlichkeit
  • 2. Die Schutzvoraussetzungen nach der Geschmacksmusterreform
  • a. Das europäische Geschmacksmusterrecht
  • aa. Ermittlung des Gesamteindrucks
  • bb. Neuheit
  • cc. Eigenart
  • b. Das reformierte deutsche Designrecht
  • C. Designkategorien
  • I. Einführung in die Designkategorisierung
  • II. Vorgenommene Designkategorisierung
  • 1. Dreidimensionales Design
  • 2. Zweidimensionales Design
  • III. Kategorisierung durch die Rechtsprechung
  • D. Ergebnis des 1. Kapitels
  • 2. Kapitel: Die Berechtigung der Aufgabe der Stufentheorie
  • A. Kritik an der Stufentheorie
  • B. Begründung des BGH zur Aufgabe der Stufentheorie
  • I. Verhältnis zwischen Urheber- und Designrecht
  • 1. Wortlaut
  • 2. Wille des Gesetzgebers
  • 3. Systematik
  • 4. Zweckmäßigkeit
  • II. Europarechtlicher Einflusses auf das Urheberrecht
  • C. Überprüfung des Geburtstagszug-Urteils
  • I. Überprüfung der internationalen Vorgaben
  • 1. Revidierte Berner Übereinkunft
  • 2. Pariser Verbandsübereinkunft
  • 3. TRIPS-Abkommen
  • 4. Zwischenergebnis
  • II. Überprüfung der verfassungsrechtlichen Vorgaben
  • 1. Überprüfung am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG
  • 2. Überprüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG
  • 3. Stellungnahme
  • 4. Zwischenergebnis
  • III. Überprüfung der europarechtlichen Vorgaben
  • 1. Die Vorgaben durch die Teilharmonisierung des Urheberrechts
  • a. Vorgaben für den Werkbegriff durch EU-Rechtsetzung
  • b. EuGH-Rechtsprechung zum „europäischen Werkbegriff“
  • aa. Infopaq-Urteil
  • bb. BSA-Urteil
  • cc. FAPL-Urteil
  • dd. Painer-Urteil
  • ee. Football-Dataco-Urteil
  • ff. SAS-Urteil
  • gg. Nintendo-Urteil
  • hh. Zwischenergebnis
  • ii. Stellungnahme
  • (1) Harmonisierungskompetenz des EuGH für den Werkbegriff
  • (2) Erstreckung des „europäischen Werkbegriffs“ auf angewandte Kunst
  • 2. Die Vorgaben durch die Harmonisierung des Designrechts
  • a. Einführung eigenständiger Schutzkriterien
  • b. Verhältnis zum Urheberrecht
  • c. Zwischenergebnis
  • IV. Überprüfung des deutschen Urheberrechts
  • 1. Wortlaut
  • 2. Wille des Gesetzgebers
  • 3. Systematik
  • 4. Zweckmäßigkeit
  • D. Ergebnis des 2. Kapitels
  • 3. Kapitel: Die neuen Abgrenzungskriterien
  • A. Gestaltungsspielraum
  • I. Gestaltungsbegrenzende Merkmale
  • 1. Bedingtheit durch Gebrauchszweck, Funktion und Technik
  • a. Auslegung
  • b. Anwendung in der Rechtsprechung
  • c. Stellungnahme
  • 2. Widmung
  • 3. Vorbilder und Naturnachbildungen
  • a. Auslegung
  • b. Anwendung in der Rechtsprechung
  • c. Stellungnahme
  • 4. Vorgaben durch Auftraggeber
  • 5. Naheliegende Gestaltungen
  • II. Bewertung des Merkmals des Gestaltungsspielraums
  • 1. Befürwortung des Merkmals
  • 2. Ablehnung des Merkmals
  • 3. Stellungnahme
  • B. Gestaltungshöhe
  • I. Auslegung
  • 1. Grad der Gestaltungshöhe
  • 2. Künstlerische Leistung
  • 3. Auswirkungen auf das Schutzniveau
  • a. Argumente für eine erhebliche Absenkung der Schutzschwelle
  • b. Argumente für eine mögliche Anhebung der Schutzschwelle
  • c. Argumente für eine faktische Beibehaltung der Schutzschwelle
  • II. Kritik
  • 1. Ablehnung einer Anknüpfung am Merkmal „künstlerisch“
  • 2. Befürwortung des Kriteriums der Gestaltungshöhe
  • 3. Stellungnahme
  • C. Begrenzung des Schutzumfangs
  • I. Auslegung
  • II. Auswirkungen auf das Schutzniveau
  • III. Kritik
  • D. Ergebnis des 3. Kapitels
  • 4. Kapitel: Auswirkung des Geburtstagszug-Urteils
  • A. Rechtsprechungsübersicht nach Fallgruppen
  • B. Folgen für Designer und Design-Nutzer
  • I. Urheberrechte
  • 1. Urheberpersönlichkeitsrechte
  • 2. Vergütungsregeln nach Urhebervertragsrecht
  • 3. Durchsetzbarkeit der urheberrechtlichen Ansprüche
  • 4. Schranken
  • a. Zitat, § 51 UrhG
  • b. Quellenangabe, § 63 UrhG
  • c. Vervielfältigungen zum eigenen Gebrauch, § 53 UrhG
  • d. Unwesentliches Beiwerk, § 57 UrhG
  • e. Panoramafreiheit, § 59 UrhG
  • f. Erweiterung der urheberrechtlichen Schranken
  • aa. Analoge Gewährung
  • bb. Berufung auf andere Grundrechte
  • cc. Dreistufentest
  • 5. Änderungsverbot, § 62 UrhG
  • 6. Schutzfristen
  • II. Schutzrechtsverletzungen
  • III. Designanmeldungen
  • C. Ergebnis des 4. Kapitels
  • 5. Kapitel: Alternative Abgrenzung
  • A. Anregungen aus der Rechtsvergleichung
  • I. Großbritannien
  • 1. Historischer Überblick über den Designschutz
  • 2. Urheberrechtlicher Schutz
  • a. Formeller Werkbegriff (abgeschlossener Werkkatalog)
  • aa. Schutz als Grafik
  • bb. Schutz als Skulptur bei “visual appeal”
  • cc. Schutz als Kunsthandwerk bei “artistic quality”
  • dd. Weitere formelle Schutzkriterien
  • b. Materieller Werkbegriff (“originality”)
  • c. Die Rezeption der EuGH-Rechtsprechung
  • 3. Gewerblicher Schutz
  • 4. Zwischenergebnis
  • II. Frankreich
  • 1. Historischer Überblick über den Designschutz
  • 2. Urheberrechtlicher Schutz
  • 3. Gewerblicher Schutz
  • a. Gewerblicher Schutz vor der europäischen Harmonisierung
  • b. Gewerblicher Designschutz nach der europäischen Harmonisierung
  • 4. Zwischenergebnis
  • B. Änderungsvorschläge aus der Literatur
  • I. Vorschläge für eine Anhebung der Schutzschwelle
  • 1. Rückkehr zum Schutzniveau der Stufentheorie
  • a. Darstellung
  • b. Stellungnahme
  • 2. Vorschläge für eine neue, hohe Schutzschwelle für angewandte Kunst
  • a. Abgrenzung nach persönlichen und gewerblichen Interessen
  • aa. Darstellung
  • bb. Stellungnahme
  • b. Unterscheidung zwischen zwei- und dreidimensionalem Design
  • aa. Darstellung
  • bb. Stellungnahme
  • c. Verkürzung der Schutzfrist für angewandte Kunst
  • II. Vorschläge für einen abgesenkten Schutz für alle Werkarten
  • 1. Übernahme des europäischen Werkbegriffs
  • 2. Einheitlicher, niedrigschwelliger deutscher Werkbegriff
  • a. Ökonomische Analyse anhand des Herstellungsaufwands
  • b. Abschaffung der „Schöpfungs- bzw. Gestaltungshöhe“
  • III. Vorschläge zur Anpassung der geltenden Abgrenzung
  • 1. Abgrenzung nach dem Gestaltungsspielraum
  • 2. Aufgabe des künstlerischen Aspekts
  • 3. Abgrenzung nach dem Schutzumfang
  • IV. Eigener Vorschlag
  • C. Mögliche weitere Harmonisierung auf EU-Ebene
  • I. Vorteile einer weiteren Harmonisierung
  • II. EU-Kompetenz
  • III. Die besten Mittel zur Harmonisierung
  • IV. Möglicher Umfang der Harmonisierung
  • 1. „Europäischer Werkbegriff“ als Ausgangspunkt
  • 2. Stellungnahme
  • V. Zwischenergebnis
  • D. Ergebnis des 5. Kapitels
  • Schlussteil: Forschungsergebnisse in Thesen
  • A. Bestimmung des Schutzgegenstandes
  • B. Befürwortung der Aufgabe der Stufentheorie
  • C. Europäischer Werkbegriff
  • D. Auslegung der neuen Schutzkriterien
  • I. Gestaltungsspielraum
  • II. Gestaltungshöhe
  • III. Schutzbereichsbegrenzung
  • E. Praktischer Umgang mit dem status quo
  • F. Reformvorschläge
  • Literaturverzeichnis
  • Quellensammlung zu Designabbildungen
  • Urteilsverzeichnis: „Geburtstagszug“ und Nachfolgeurteile

←XIV | 1→

Einleitung

A. Das Geburtstagszug-Urteil als Forschungsanlass

1 Besteht ein juristisch definierbarer Unterschied zwischen Kunst und Design? Die Antwort auf diese Frage entscheidet zum Beispiel darüber, ob Designer von Bestseller-Produkten eine Gewinnbeteiligung am Verkaufspreis verlangen können oder inwieweit sich ein Designer gegen Nachahmungen zur Wehr setzen kann, der nicht in die kostenpflichtige Registrierung eines Designs investiert hat.1

2 Über hundert Jahre – von 1911 bis 2013 – galt im deutschen Recht für diese Abgrenzungsfrage die sogenannte „Stufentheorie“. Nach dieser Theorie besteht zwischen „Design“, im Sinne des gewerblichen Designschutzes,2 und „angewandter Kunst“, im Sinne des Urheberrechts,3 ein „gradueller Unterschied“.4 Diese Abstufung wurde später präzisiert: Gewerblicher Designschutz wurde Gestaltungen gewährt, die sich von handwerklichen Leistungen durch überdurchschnittliche „Gestaltungshöhe“ abhoben. Urheberrechtsschutz wurde Gestaltungen demnach nur zugebilligt, wenn sie die Stufe zu einem „deutlichen Überragen der Durchschnittsgestaltung“ überschritten.5

3 Mit Grundsatzurteil vom 13. November 20136 („Geburtstagszug-Urteil“) gab der BGH diese erhöhte Schutzschwelle für angewandte Kunst auf. Dies begründete der Erste Senat mit der Geschmacksmusterrechts-Reform7 im Jahr 2004, die das Stufenverhältnis zwischen Design- und Urheberrecht aufgehoben habe.8 ←1 | 2→Einen nicht mit der Stufentheorie vereinbaren, verbindlichen „europäischen Werkbegriff“ lehnten die Richter hingegen ab.9 Trotzdem verwiesen sie zur Bestimmung des neuen Verhältnisses zwischen Urheberrecht und gewerblichem Designschutz auf Fallrecht des EuGH, wonach ein urheberrechtlich geschütztes Werk nur entstehen kann, wenn der Urheber einen „Gestaltungsspielraum“ hat, um „seinen schöpferischen Geist in origineller Weise zum Ausdruck zu bringen“.10

4 Ein Großteil des Schrifttums wertet die Neubewertung des Verhältnisses zwischen Design- und Urheberrecht als dogmatisch richtig.11 Teile der Autoren kritisieren jedoch die Ablehnung eines europäischen Werkbegriffs und hätten sich die Aufgabe der Stufentheorie unter dessen Übernahme gewünscht.12 Die Gleichstellung der angewandten Kunst mit anderen Werkarten sei auch eine überfällige Schutzverbesserung für Designer. Diesen komme zugute, dass der Urheberrechtsschutz ohne kostspielige Registrierung greife und das Urhebervertragsrecht eine faire Entlohnung fördere.13 Ein Unterwandern des Designschutzes drohe nicht, da eine Registrierung als Design mehr Rechtssicherheit biete, als der ipso iure eingreifende, aber erst vor Gericht feststellbare Urheberrechtsschutz.14

5 Im Gegensatz dazu wird in der Literatur aber auch vor der „Gefahr eines Kollapses des Urheberrechts“ durch das Urteil gewarnt.15 Befürchtet wird, dass das Urheberrecht als Schöpferschutzrecht mit persönlichkeitsrechtlichem Einschlag seine Legitimation verliert, wenn es nicht weit überdurchschnittlichen Gestaltungen vorbehalten bleibt. Zudem blockiere der sehr weitreichende urheberrechtliche Schutz den Markt, sodass andere Designer nur noch aus einem ←2 | 3→geringen freien Formenschatz schöpfen könnten.16 Vertreter dieser Ansicht argumentieren, die erhöhte urheberrechtliche Schutzschwelle für Design hätte mit einer anderen Begründung aufrechterhalten werden können. Das Europarecht fordere sie gerade nicht, sondern habe das Designrecht als spezielles gewerbliches Schutzrecht stärken wollen.17

6 Die Richter, die das Urteil „Geburtstagszug“ fällten, relativieren die Neuerung in den Urteilsgründen. Sie weisen darauf hin, dass bei Gestaltungen von geringer Gestaltungshöhe ein sehr begrenzter urheberrechtlicher Schutzumfang zu erwarten sei – also etwa nur ein Schutz gegen nahezu identische Nachahmungen.18 Ein Autor erwartet deshalb „alten Wein in neuen Schläuchen“,19 andere kritisieren die neuen Abgrenzungskriterien als unkonkret.20

7 Damit hat das Geburtstagszug-Urteil viele dogmatische und praktische Fragen in einem wirtschaftlich relevanten Bereich offengelassen. Die vorliegende Arbeit soll dazu beitragen, das Urteil „Geburtstagszug“ und seine Folgen besser einordnen zu können.

B. Forschungsfragen

I. War die Aufgabe der Stufentheorie dogmatisch gerechtfertigt?

8 Nach einer kurzen Einführung in Begrifflichkeiten, historische Entwicklung und Dogmatik soll zunächst untersucht werden, ob der Verzicht auf das Kriterium der „besonderen Gestaltungshöhe“ für angewandte Kunst dogmatisch zwingend war.

II. Welches Schutzniveau besteht derzeit für angewandte Kunst?

9 In einer vertieften Analyse soll das derzeitige urheberrechtliche Schutzniveau für angewandte Kunst bestimmt werden. Dabei wird untersucht, ob die bisherigen Tendenzen der Rechtsprechung für den urheberrechtlichen Schutz verschiedener Designkategorien trotz neuer Abgrenzungskriterien Bestand haben.

←3 | 4→

III. Welche Folgen hat die Aufgabe der Stufentheorie?

10 Zudem sollen die wichtigsten praktischen Folgen der neuen Abgrenzungsformel für gewerblichen Designschutz und urheberrechtlichen Schutz angewandter Kunst beleuchtet werden.

IV. Besteht weiterer Handlungsbedarf für den Designschutz?

11 Daran anknüpfend soll die Frage beantwortet werden, ob eine andere Abgrenzung des Urheberrechts vom Designrecht geboten ist und – falls dies zu bejahen sein sollte – wie diese ausgestaltet werden sollte. Dazu werden auch rechtsvergleichende Aspekte fruchtbar gemacht.

V. Eingrenzung des Themas

12 Nicht vertieft untersucht werden soll der Designschutz außerhalb des Urheber- und Designrechts, etwa durch Marken- und Wettbewerbsrecht. Zudem finden nur die urheberrechtlichen Werkkategorien „(rein) bildende Kunst“ und „angewandte Kunst“ vertiefte Betrachtung im Hinblick auf den Designschutz.

C. Gang der Darstellung

13 Im ersten Kapitel wird erläutert, wie Design nach der „Stufentheorie“ geschützt wurde. Im zweiten Kapitel wird untersucht, ob es zwingend war, diese Theorie aufzugeben. Das dritte und vierte Kapitel behandeln den status quo. Zunächst werden im dritten Kapitel die vom BGH entwickelten neuen Abgrenzungskriterien analysiert. Das vierte Kapitel untersucht deren praktischen Auswirkungen. Im fünften Kapitel werden, unter Berücksichtigung rechtsvergleichender Aspekte, alternative Abgrenzungen zwischen gewerblichem und urheberrechtlichem Designschutz vorgestellt. Daran anknüpfend wird erörtert, inwieweit in Deutschland sowie auf europäischer Ebene weiterer Reformbedarf für diese Abgrenzung besteht. Zuletzt werden die Ergebnisse der Arbeit in einem Schlussteil thesenartig zusammengefasst.

D. Begriffsbestimmungen

14 Um eine einheitliche Diskussionsbasis zu schaffen, werden im Folgenden zunächst die wichtigsten der für den Schutzgegenstand des gewerblichen Designrechts und des Urheberrechts verwendeten Begriffe eingeordnet.

15 Das Schutzgut des gewerblichen Designschutzes wird in Deutschland seit 2014 als „Design“ bezeichnet. In der deutschen Übersetzung des einschlägigen ←4 | 5→EU-Rechts finden stattdessen noch die vorher gebräuchlichen Begriffe „Geschmacksmuster“ sowie „Muster und Modell“ Verwendung.

16 Relevante Kategorien des Urheberrechtsschutzes sind vor allem21 die „angewandte Kunst“ und – als Überbegriff – die „bildende Kunst“. Umgangssprachlich und in älteren Gesetzestexten werden andere Begriffe wie „Kunsthandwerk“ und „Kunstgewerbe“ verwendet.

I. Design

17 Der Begriff „Design“ geht auf das lateinische Wort „designare“ zurück. Dies bedeutet unter anderem „entwerfen“ und „im Umriss darstellen“.22 Im Englischen hat sich dieser Wortstamm im Begriff „Design“ erhalten.23 Als englisches Lehnwort fand dieser in den 1970er Jahren auch Eingang in die deutsche Sprache.24 Begriffe wie „Gestaltung“ und „Formgebung“ wurden und werden im deutschsprachigen Raum synonym verwendet.25

18 Aufgrund der langen sprachgeschichtlichen Entwicklung des Begriffs und des sich dynamisch entwickelnden Anwendungsbereichs von Design (Grafik, Industrieprodukte, Computerprogramme etc.) ist eine allgemeingültige Definition des Begriffs „Design“ unmöglich.26 Auch in der Kunstwissenschaft und im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff „Design“ mit verschiedenen Bedeutungsgehalten benutzt. Ein Designtheoretiker umreißt diese beispielsweise wie folgt:

„,Design‘ […] kann auf einen Vorgang verweisen (den Akt oder die Tätigkeit des Entwerfens) oder auf das Ergebnis eines Vorgangs (ein Design, eine Skizze, ein Plan oder ein Modell) oder auf Produkte, die mit Hilfe eines Designs hergestellt werden (Designobjekte) oder auf das Aussehen oder den Gesamtentwurf eines Produkts (,Mir gefällt der Schnitt, also das Design von diesem Kleid‘).“27

←5 | 6→

Auch diese Aufzählung kann nicht als abschließend gelten. In späterer Literatur wird ihr etwa die Verwendung des Begriffs für Abläufe hinzugefügt28 und festgestellt, das Wort Design sei „zu einem Passepartout mit einem scheinbar beliebig erweiterbaren Bedeutungsvokabular“ geworden.29

19 Folgende Legaldefinition gilt gem. § 1 Nr. 1 DesignG für gewerbliches Design:

„die zweidimensionale oder dreidimensionale Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst oder seiner Verzierung ergibt.“30

Der deutsche Rechtsbegriff „Design“ umfasst aus dem oben genannten Begriffsspektrum also nur das Ergebnis eines Entwurfsvorgangs bzw. den Gesamtentwurf als „Erscheinungsform“. Ein Erzeugnis ist gem. § 1 Nr. 2 DesignG:

„jeder industrielle oder handwerkliche Gegenstand, einschließlich Verpackung, Ausstattung, grafischer Symbole und typografischer Schriftzeichen.31

Durch die Definition des Begriffs „Erzeugnis“ wird insbesondere klargestellt, dass der Rechtsbegriff „Design“ auch zweidimensionales Design erfasst, das im 20. Jahrhundert an Bedeutung gewonnen hat.32 Die Verwendung des Begriffes „handwerklich“ hat nicht etwa zur Folge, dass alle Handwerksprodukte gewerblichen Designschutz genießen können. Der Begriff soll vielmehr klarstellen, dass sowohl Erzeugnisse der Massenproduktion als auch Unikate oder in Kleinserie hergestellte Erzeugnisse designschutzfähig sind.33

20 Die Legaldefinition des juristischen Designbegriffs enthält jedoch keine Unterscheidungskriterien von – im Grenzbereich verwandten – Gestaltungsformen wie Handwerk, Maschinenbau und Kunst. Daraus erklärt sich, dass es die Rechtsprechung – etwa durch die „Stufentheorie“ – übernommen hat, diese ←6 | 7→Abgrenzungen vorzunehmen. Zur ersten Einordnung von Abgrenzungsversuchen sei folgender Vorschlag aus der Designtheorie zitiert:

Der Designbegriff ist an der Schnittstelle der folgenden drei Aspekte festzumachen: […] Erstens ist der prozessuale Gesichtspunkt anzuführen, die Trennung von Entwurf und Fertigung, die das Design charakterisiert und vom universalistisch ausgelegten Handwerk abgrenzt […]. Zweitens gilt im Design eine ästhetische Zielsetzung, die verlangt, den Produkten eine ihnen wesenhafte, eigene Form zu verleihen und diese kontinuierlich weiterzuentwickeln. Hierin liegt die Grenzziehung zwischen dem Design und der Konstruktion im Maschinenbau […]. Der dritte Punkt liegt in der Pragmatik und legt den Fokus auf den vernünftigen Gebrauch von Produkten. Anders als Kunstwerke oder Zierobjekte und Nippsachen […] zielt Design auf die Unterstützung der sinnvollen, aufgabenadäquaten, zum Teil (über-) lebensnotwendigen Verwendungsweisen von Produkten.34

Auch diese Definition von Design wird nicht allen Aspekten des Designbegriffs gerecht. Hinzu tritt beispielsweise die symbolische Funktion von Design: Man kann von Design auch als „Produktsprache“ reden, die über verschiedene Lebensstile und Lebensauffassungen Auskunft gibt.35 Zudem sind die Auslegung des in dieser Definition verwendeten Begriffs „ästhetisch“ sowie die Einordnung von Zierobjekten und Nippsachen streitig. Diese Punkte werden im Folgenden näher erörtert.

21 In dieser Arbeit wird der Begriff „Gestaltung“ als Überbegriff für Schutzobjekte des gewerblichen Designschutzes und des Urheberrechtsschutzes für angewandte Kunst gebraucht. Als Oberbegriff für die Schutzregime Urheber- und Designrecht wird im Folgenden das Wort „Designschutz“ verwendet, die Terminologie „Designrecht“ als Überbegriff für den gewerblichen Designschutz.

Details

Seiten
XIV, 180
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631799109
ISBN (ePUB)
9783631799116
ISBN (MOBI)
9783631799123
ISBN (Hardcover)
9783631797815
DOI
10.3726/b16025
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (September)
Schlagworte
Angewandte Kunst Design Werkbegriff Geburtstagszugsurteil Kleine Münze
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. XIV, 180 S.

Biographische Angaben

Cornelia Bettina Gersch (Autor:in)

Cornelia Bettina Gersch ist als Rechtsanwältin in Berlin tätig und berät insbesondere zu Fragen des Öffentlichen Wirtschaftsrechts sowie des Kunst-, Urheber- und Medienrechts.

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