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Die Entwicklung der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand

Von § 2 Abs. 3 UStG a.F. zu § 2b UStG

von Svenja Wessolowski (Autor:in)
©2019 Dissertation 378 Seiten

Zusammenfassung

Die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand ist seit vielen Jahren von Rechtssicherheit und -klarheit weit entfernt. Die Autorin zeichnet die Rechtsentwicklung von § 2 Abs. 3 UStG a.F. zu § 2b UStG kritisch nach. Sie untersucht insbesondere, ob die Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie zutreffend umgesetzt wurden und inwieweit eine richtlinienkonforme Auslegung möglich ist. Das Fazit der Untersuchung ist, dass eine Gesetzesänderung überfällig und unumgänglich war. Die Richtlinienkonformität des nationalen Rechts ist der ersten Analyse zufolge jedoch auch nach der Einführung des § 2b UStG zweifelhaft. Abschließend stellt die Autorin die Rechtfertigung der bisherigen Sonderstellung der öffentlichen Hand im Umsatzsteuerrecht generell in Frage und skizziert aktuelle Reformvorschläge.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title Page
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung
  • A. Ausgangssituation
  • B. Zielsetzung und Aufbau
  • Erstes Kapitel: Historie
  • A. Einleitung
  • B. Die Umsatzbesteuerung jPöR18 auf nationaler Ebene im Zeitraffer
  • I. Reichsstempelgesetz vom 26.6.1916
  • II. Umsatzsteuergesetz vom 26.7.1918
  • III. Umsatzsteuergesetz vom 24.12.1919
  • IV. Umsatzsteuergesetz vom 31.3.1926
  • V. Umsatzsteuergesetz vom 16.10.1934
  • VI. Umsatzsteuergesetz vom 1.9.1951
  • VII. Umsatzsteuergesetz vom 29.5.1967
  • VIII. Umsatzsteuergesetz vom 26.11.1979
  • IX. Steueränderungsgesetz 2015
  • X. Zwischenergebnis
  • C. Der Einfluss durch die Europäische Union
  • D. Zusammenfassung
  • Zweites Kapitel: Rechtslage bis zum Steueränderungsgesetz 2015
  • A. Allgemeine Grundlagen der Umsatzbesteuerung
  • I. Die Umsatzsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer
  • II. Erhebungsform – von der Bruttoallphasenbesteuerung zur Nettoallphasenbesteuerung mit Vorsteuerabzug
  • 1. Bruttoallphasenbesteuerung
  • 2. Entscheidung des BVerfG vom 20.12.1966
  • 3. Nettoallphasenbesteuerung mit Vorsteuerabzug
  • B. Die Umsatzbesteuerung der jPöR auf nationaler Ebene
  • I. Die jPöR als Unternehmer – § 2 Abs. 3 UStG a.F.
  • 1. Systematische Einordnung
  • a) Erste Ansicht: § 2 Abs. 1 UStG begründet die Steuerpflicht
  • b) Zweite Ansicht: § 2 Abs. 3 UStG a.F. begründet die Steuerpflicht
  • c) Abwägung
  • 2. Die juristische Person des öffentlichen Rechts
  • a) Körperschaften
  • b) Anstalten
  • c) Stiftungen
  • d) Beliehene und Erfüllungsgehilfen
  • 3. Anknüpfung an das KStG – generelle Problematik
  • a) Unterschiede
  • b) Gemeinsamkeiten – Grundsatz der Wettbewerbsneutralität
  • II. Der steuerpflichtige Betrieb gewerblicher Art – § 2 Abs. 3 S. 1 1. HS UStG a.F. (i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG)
  • 1. Auslegungsmaßstab
  • 2. Einrichtung
  • 3. Nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen
  • a) Wirtschaftliche Tätigkeit
  • b) Nachhaltigkeit und Einnahmeerzielungsabsicht
  • 4. Wirtschaftliches Herausheben – Problem fester Umsatzgrenzen
  • a) Uneinigkeit zwischen Finanzverwaltung und Rechtsprechung
  • b) Abwägung
  • c) Grundsätzliche Überprüfung des Merkmals
  • III. Der nicht steuerbare Hoheitsbetrieb
  • 1. Allgemein
  • 2. Ausübung öffentlicher Gewalt
  • a) Keine (potentielle) Wettbewerbsbeeinträchtigung
  • b) Unmaßgeblichkeit der Handlungsform
  • c) Relevante Mitbewerber, Monopolstellung § 4 Abs. 5 S. 2 KStG
  • aa) Monopolstellung der öffentlichen Hand
  • bb) Tatsächlicher Einsatz von Hilfspersonen
  • cc) Lediglich Möglichkeit zum Einsatz von Hilfspersonen
  • dd) Zusammenfassung
  • d) Benutzungs-/Annahmezwang, Wirkungsbereich
  • 3. Überwiegen – § 4 Abs. 5 S. 1 KStG
  • a) Quantitative vs. qualitative Bestimmung
  • b) Ansicht des BFH
  • IV. Abgrenzung steuerpflichtiger und steuerfreier Bereich
  • V. Sonstige steuerpflichtige Bereiche
  • 1. Land- oder forstwirtschaftliche Betriebe – § 2 Abs. 3 S.1 2. HS UStG a.F.
  • 2. Unternehmereigenschaft kraft Gesetz – § 2 Abs. 3 S. 2 UStG a.F.
  • C. Die Umsatzbesteuerung der jPöR auf europäischer Ebene
  • I. Bedeutung von Richtlinien als europarechtliche Vorgaben für das nationale Recht
  • 1. Begriffsbestimmung Richtlinien
  • 2. Richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts
  • a) Grundlagen
  • b) Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung
  • 3. Unmittelbare Wirkung von Richtlinien auf nationaler Ebene
  • 4. Zusammenfassung
  • II. Systematik der Besteuerung der jPöR im EU-Recht
  • III. Art. 13 MwStSystRL
  • 1. Beschränkung der Steuerpflicht der jPöR in Form einer Steuerbefreiung
  • 2. Grundvoraussetzungen für die Steuerbefreiung – Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL
  • a) Einrichtung des öffentlichen Rechts,
  • b) Obliegen im Rahmen öffentlicher Gewalt
  • 3. Einschränkung im Falle von größeren Wettbewerbsverzerrungen – Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL
  • a) Potentielle oder konkrete Wettbewerbsverzerrung
  • aa) Rechtsprechung des EuGH
  • bb) Abwägung
  • b) Wirkungsbereich
  • aa) Rechtsprechung des EuGH
  • bb) Abwägung
  • c) „Größe“ der Wettbewerbsverzerrung
  • 4. Geschützter Personenkreis
  • a) Juristische Personen des öffentlichen Rechts
  • aa) Recht zur Berufung auf Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL allgemein
  • bb) Berufung auf Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL
  • cc) Berufung auf Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL
  • b) „Dritte“
  • 5. Nicht unbedeutender Umfang – Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 3 MwStSystRL
  • 6. Umqualifizierung steuerbefreiter Tätigkeiten – Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL
  • a) Zusammenhänge
  • b) Formelle Vorgaben
  • 7. Zwischenergebnis
  • D. Vergleich der nationalen mit der europäischen Ebene
  • I. Systematischer Vergleich
  • II. Vergleich der Ergebnisse bei getrennter Anwendung der Vorschriften
  • 1. Rechtliche Ausgestaltung des Leistungsverhältnisses vs. tätigkeitsbezogene Betrachtungsweise
  • 2. Wettbewerbsrelevanz als entscheidendes Kriterium
  • 3. Erfordernis des wirtschaftlichen Heraushebens
  • 4. Beistandsleistungen
  • a) Entwicklung der nationalen Rechtsprechung
  • b) Konsequenzen
  • 5. Vermögensverwaltung
  • a) Einordnung nach den nationalen Normen
  • aa) § 4 Abs. 4 KStG – Verpachtung eines Betriebes gewerblicher Art
  • bb) „Reine“ Vermögensverwaltung
  • b) Vorgaben der MwStSystRL
  • c) Anwendung Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL
  • aa) Der Fall „Marktgemeinde Welden“ 1994 –1998
  • bb) Der Fall „Salix“ 2005 –2009
  • cc) Stellungnahme
  • d) Zusammenfassung
  • E. Richtlinienkonforme Auslegung
  • I. Entscheidung zwischen richtlinienkonformer Auslegung und unmittelbarer Wirkung zwingend
  • II. Richtlinienkonforme Auslegung des § 2 Abs. 3 S. 1 UStG a.F. – insbes. Einordnung der Vermögensverwaltung
  • 1. Jüngere Rechtsprechung des BFH
  • 2. Analyse der Möglichkeit der richtlinienkonformen Auslegung
  • a) Teleologische Reduktion: § 2 Abs. 3 S. 1 UStG a.F. bei Leistungserbringung auf privatrechtlicher Grundlage nicht einschlägig?
  • b) Wortlautgrenze: Zwingender Gleichlauf von UStG a.F. und KStG?
  • c) Zentrales Abstellen auf die rechtliche Ausgestaltung des Leistungsverhältnisses
  • 3. Reaktionen der Finanzverwaltung auf die Rechtsprechung des BFH
  • 4. Zusammenfassung
  • III. Zwischenergebnis
  • F. Unmittelbare Berufung der jPöR auf Art. 13 MwStSystRL
  • I. Keine hinreichende Umsetzung der Richtlinienvorgaben in nationales Recht
  • II. Weitere Voraussetzungen und Folgen
  • G. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse
  • Drittes Kapitel: Einführung des § 2b UStG durch das Steueränderungsgesetz 2015
  • A. Entstehungsgeschichte
  • B. Analyse des § 2b UStG
  • I. Systematik
  • II. Grundsätzlich keine Unternehmereigenschaft der jPöR bei Ausübung von ihr im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegenden Tätigkeiten – § 2b Abs. 1 UStG
  • 1. Allgemeines
  • 2. Im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegende Tätigkeiten
  • III. Präzisierung der größeren Wettbewerbsverzerrungen allgemein – § 2b Abs. 2 UStG
  • 1. Allgemeines
  • 2. Umsatzgrenze von 17.500 € für gleichartige Tätigkeiten
  • a) Problem der quantitativen Umsatzgrenze
  • b) Merkmal der gleichartigen Tätigkeiten
  • 3. Steuerbefreiung vergleichbarer, auf privatrechtlicher Grundlage erbrachter Leistungen
  • IV. Präzisierung der größeren Wettbewerbsverzerrungen bei Leistungserbringung an eine andere jPöR – § 2b Abs. 3 UStG
  • 1. Allgemeines
  • 2. Der öffentlichen Hand vorbehaltene Leistungen
  • 3. Bestimmung der Zusammenarbeit durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen
  • a) Anknüpfung an das Vergaberecht
  • aa) Ableitung der Merkmale aus dem Vergaberecht
  • bb) Untersuchung der Übertragbarkeit vergaberechtlicher Wertungen auf die Vorgaben der MwStSystRL
  • b) Leistungen beruhen auf langfristigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen
  • c) Leistungen dienen dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe
  • d) Leistungen werden ausschließlich gegen Kostenerstattung erbracht
  • e) Leistender erbringt gleichartige Leistungen im Wesentlichen an andere jPöR
  • V. Unternehmereigenschaft kraft Gesetzes – § 2b Abs. 4 UStG
  • C. Übergangsregelung nach § 27 Abs. 22 UStG
  • I. Allgemeines
  • II. Offene Fragen
  • 1. In welcher Auslegungsvariante ist § 2 Abs. 3 UStG a.F. anzuwenden?
  • 2. Widerruf der Optionserklärung
  • 3. Zuständiges Finanzamt
  • D. Zusammenfassung
  • Viertes Kapitel: Grundsätzliche Überprüfung der Sonderstellung der öffentlichen Hand
  • A. Sonderstellung der öffentlichen Hand
  • I. Ungleichbehandlung gleicher Tätigkeiten
  • II. Folgen der Ungleichbehandlung
  • 1. Privileg oder Nachteil für öffentliche Einrichtungen?
  • 2. Beeinträchtigung der Entscheidungsneutralität
  • 3. Indirekte Folgen durch die Versagung des Vorsteuerabzugs
  • a) Öffentliche Hand als Verbraucher
  • b) In-Sich-Besteuerung
  • c) Indirekte Inanspruchnahme des Bürgers
  • d) Steuerkumulation
  • 4. Wettbewerbsverzerrungen
  • 5. Verbrauchsteuerfreier Konsum
  • III. Zwischenergebnis
  • B. Kritische Überprüfung der Sonderstellung
  • I. Mögliche Rechtfertigungsgründe
  • 1. Soziale Aufgabenerfüllung
  • 2. Gegenseitigkeitsbesteuerung, Fiskalzweck
  • 3. Fehlende Wettbewerbsrelevanz
  • II. Gegenargumente
  • 1. Allgemeiner Verbrauchsteuercharakter
  • 2. Wettbewerbsneutralität
  • 3. Entscheidungsneutralität, Abstellen auf die rechtliche Ausgestaltung des Leistungsverhältnisses
  • 4. Zusammenfassung
  • III. Zwischenergebnis
  • C. Diskutierte Reformen
  • I. Konsultationspapier der Europäischen Kommission
  • 1. Vollbesteuerung
  • 2. Erstattungssystem
  • 3. Grundsätzliche Steuerpflicht und Steuerbefreiungen für Tätigkeiten im öffentlichen Interesse
  • 4. Reaktionen auf das Konsultationspapier
  • 5. Zusammenfassung
  • II. Generelle Neugestaltung der USt – Entwurf eines UStG von Paul Kirchhof
  • III. Vorschläge der Europäischen Kommission zur Änderung der MwStSystRL
  • 1. Aktionsplan der Europäischen Kommission
  • 2. Vorschlag der Europäischen Kommission vom 4.10.2017
  • 3. Vorschlag der Europäischen Kommission vom 18.1.2018
  • 4. Abwägung
  • IV. Zwischenergebnis
  • D. Zusammenfassung
  • Fünftes Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse
  • Literaturverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis

←16 | 17→

Einführung

A. Ausgangssituation

Der öffentlichen Hand wird als Steuersubjekt der Umsatzsteuer sowohl auf nationaler als auch auf unionsrechtlicher Ebene eine Sonderstellung zuteil. Offensichtlich wird dies durch die Existenz von Sondervorschriften. Auf nationaler Ebene finden sich diese in § 2 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz a.F.1 und seit dem 1.1.2016 in § 2b Umsatzsteuergesetz2, auf unionsrechtlicher Ebene in Art. 13 Mehrwertsteuersystemrichtlinie3. Durch diese Vorschriften wird juristischen Personen des öffentlichen Rechts ein Sonderstatus im Vergleich zu privaten Unternehmern zugestanden, welcher im nationalen Recht und im Unionsrecht bis zum 31.12.2015 grundsätzlich unterschiedlich ausgestaltet war. Die abweichende Konzeption und Systematik auf nationaler Ebene im Vergleich zur Unionsebene führte zu der Frage nach der Vereinbarkeit der nationalen Vorschrift mit den Vorgaben der MwStSystRL und schließlich zur Änderung des UStG. Der Grund hierfür war, dass die Umsatzsteuer eines der wenigen Rechtsgebiete ist, welches nahezu vollständig harmonisiert ist, so dass sich die nationalen Normen an den europarechtlichen Vorgaben messen lassen müssen. Führt die Anwendung des nationalen Rechts auf tatsächlicher Ebene zu anderen Ergebnissen als von der MwStSystRL vorgegeben, ist deshalb zunächst die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung der nationalen Vorschriften zu prüfen. Ist eine solche nicht möglich, kann sich der Steuerpflichtige unter weiteren Voraussetzungen unmittelbar auf die Vorschriften der MwStSystRL berufen. Eine direkte Anwendung zu seinen Ungunsten ist hingegen nicht möglich.

Insbesondere die Thematik der richtlinienkonformen Auslegung hatte im Bereich der Besteuerung der öffentlichen Hand in den letzten Jahren, basierend auf dem abweichenden Wortlaut und der ungleichen Systematik der maßgeblichen Vorschriften, immer mehr an Bedeutung gewonnen. Besonders konfliktbehaftet war hierbei der direkte Verweis des § 2 Abs. 3 UStG a.F. auf Vorschriften ←17 | 18→des Körperschaftsteuerrechts, was insbesondere bei der steuerlichen Beurteilung der Vermögensverwaltung durch juristische Personen des öffentlichen Rechts zum Tragen kam. Der Bundesfinanzhof (nachfolgend BFH) gestand hierbei der richtlinienkonformen Auslegung eine immer größer werdende Bedeutung zu. Bei der Lektüre der Entscheidungen der letzten Jahre entsteht der Eindruck, dass die Formulierung „in richtlinienkonformer Auslegung“ nahezu einer „Zauberformel“ gleichkam, durch die der Wortlaut der nationalen Normen durch die Vorgaben des Unionsrechts ersetzt werden konnte. Die Auslegungsergebnisse standen hierdurch beinahe losgelöst vom Wortlaut der nationalen Normen. Eine zutreffende umsatzsteuerliche Einordnung von Tätigkeiten der öffentlichen Hand nach rein nationalen Vorgaben wurde aufgrund dessen immer schwieriger und war schließlich kaum noch möglich. Gleichzeitig setzte die Finanzverwaltung die Rechtsprechung des BFH nicht allumfassend um, sondern wollte die richtlinienkonforme Auslegung teilweise nur auf Berufung des Steuerpflichtigen auf die entsprechenden Urteile anwenden. All das zusammen führte zu Zweifeln an einer hinreichenden Umsetzung der MwStSystRL. Die Folge war der Verlust von Rechtssicherheit und -klarheit für den Steuerpflichtigen.

Nach anhaltender Kritik wurde der umstrittene § 2 Abs. 3 UStG a.F. schließlich durch Art. 12 Steueränderungsgesetz 20154 aufgehoben und § 2b UStG eingefügt, um so eine Angleichung der nationalen Vorschriften an das Unionsrecht zu erreichen und bestehende Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. Auf Umsätze, die bis zum 31.12.2016 ausgeführt wurden, war gemäß § 27 Abs. 22 UStG jedoch weiterhin § 2 Abs. 3 UStG a.F. maßgeblich. Darüber hinaus besteht für die öffentliche Hand unter bestimmten Voraussetzungen auch für Umsätze ab dem 01.01.2017 die Möglichkeit, § 2 Abs. 3 UStG a.F. weiterhin anzuwenden. Unabhängig von der weiteren Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG a.F., hat die Einführung des § 2b UStG zwar viele Fragen hinfällig werden lassen, seine Ausgestaltung und insbesondere seine Konkretisierungen bilden jedoch die Basis für neue Diskussionen und Zweifel an seiner Richtlinienkonformität.

Allgemein resultiert sowohl auf nationaler als auch auf unionsrechtlicher Ebene die Sonderstellung der öffentlichen Hand insbesondere daraus, dass die Nichtbesteuerung einer Leistung im Wesentlichen von der Erbringung derselben durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts abhängig gemacht wird. Es findet somit eine subjektbezogene Differenzierung auf der Ebene des Leistenden statt. Dies wirft nicht nur die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer auf, sondern auch nach der Vereinbarkeit mit ←18 | 19→dem Grundgedanken einer (wettbewerbs-)neutralen Besteuerung. Übergeordnet stellt sich die Frage der Rechtfertigung einer Sonderstellung der Einrichtungen des öffentlichen Rechts. Hierbei ist zu beachten, dass die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand keine unbedeutende Ausnahme mehr im Vergleich zu ihrer Gesamttätigkeit darstellt. In Zeiten angespannter Haushaltslagen sind öffentliche Einrichtungen gezwungen zu wirtschaften. Sie suchen nach Einnahmequellen außerhalb des ihnen zustehenden Anteils am Steueraufkommen, die oftmals in einer wirtschaftlichen Tätigkeit gesehen werden. Es ist fraglich, inwieweit für eben diese Tätigkeiten eine differenzierte steuerliche Behandlung im Vergleich zu privaten Unternehmern gerechtfertigt ist. Dies führt weiter zu der Frage, wie zukünftig eine systemgerechtere und (wettbewerbs-)neutralere Besteuerung der öffentlichen Hand erreicht werden könnte.

B. Zielsetzung und Aufbau

Im Schwerpunkt soll in dieser Arbeit die Rechtslage5 vor der Einführung von § 2b UStG untersucht werden: Wie stellt sich die Besteuerung der öffentlichen Hand unter Geltung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. dar? Damit zusammenhängend soll die Frage beantwortet werden, ob die Vorgaben der MwStSystRL hinsichtlich der Besteuerung der öffentlichen Hand durch das UStG a.F. hinreichend umgesetzt wurden und ob die diesbezügliche Rechtsprechung des BFH im Sinne einer richtlinienkonformen Auslegung durch die nationalen Normen gedeckt ist. Es wird aufgezeigt werden, weshalb eine Änderung des UStG a.F. unumgänglich war und welche neuen Probleme sich aus der Einführung des § 2b UStG ergeben. Zudem wird untersucht, welche Unstimmigkeiten allgemein – sowohl für die öffentliche Hand selbst als auch für private Mitbewerber – aus dem Sonderstatus der juristischen Personen des öffentlichen Rechts resultieren. Auf dieser Grundlage soll schließlich die derzeitige Besteuerungssituation hinterfragt und nach alternativen Möglichkeiten für eine zutreffende Besteuerung der öffentlichen Hand gesucht werden.

Die vorliegende Arbeit ist in fünf Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel wird zunächst ein Überblick über die historische Entwicklung der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand gegeben. Den Schwerpunkt der Untersuchung bildet sodann das zweite Kapitel, in welchem die Rechtslage vor Einführung von § 2b UStG analysiert wird. Vorangestellt ist die Erläuterung einiger Grundlagen ←19 | 20→der Umsatzbesteuerung in ihren Grundzügen, welche für die spätere Analyse von Bedeutung sind. Daran schließt die Darstellung der Besteuerung der öffentlichen Hand auf nationaler Ebene unter Geltung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. sowie auf Unionsebene nach den Vorgaben der MwStSystRL an. Hierbei findet, soweit möglich, zunächst eine getrennte Betrachtung der nationalen von der Unionsebene statt. Denn erst, wenn man bei getrennter Anwendung des UStG und der MwStSystRL auf tatsächlicher Ebene zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt, stellt sich die Frage nach einer richtlinienkonformen Auslegung. Zu oft findet eine eigenständige Auslegung der nationalen Normen nicht mehr statt, sondern es wird direkt auf eine richtlinienkonforme Auslegung verwiesen. Gleichzeitig sind Auslegungsergebnisse häufig zu sehr von dem Ziel geprägt, eine systemkonforme und neutrale Besteuerung zu erreichen, ohne hierbei jedoch die Grenzen des Rechtstandes de lege lata hinreichend zu berücksichtigen. Das Resultat sind Auslegungsergebnisse, die zwar mit der Grundsystematik und den Grundzielen der Umsatzbesteuerung augenscheinlich ideal korrespondieren, jedoch teilweise entgegen dem Wortlaut der nationalen Normen und dem nachweislichen Willen des Gesetzgebers ergehen. In diesem Teil der Arbeit soll sich deshalb grundsätzlich vorerst streng auf den Zustand de lege lata konzentriert werden. Widersprüche in der Systematik etc. werden hierbei zunächst hingenommen und erst im letzten Teil isoliert diskutiert.

Nach der getrennten Darstellung der umsatzsteuerlichen Behandlung der öffentlichen Hand auf nationaler und unionsrechtlicher Ebene wird die Frage nach der zutreffenden Umsetzung der Richtlinienvorgaben untersucht, wofür sich beide Ebenen hinsichtlich der Systematik und der Anwendungsresultate gegenübergestellt werden. Daran schließt die Analyse der Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung an. Hier wird aufgezeigt werden, dass die vom BFH vorgenommene richtlinienkonforme Auslegung insbesondere hinsichtlich der Einordnung der Vermögensverwaltung nicht mit geltendem nationalen Recht vereinbar ist. Die Folge ist die teilweise Zulässigkeit der direkten Anwendung der Richtlinienbestimmungen.

Im dritten Kapitel wird die Einführung des § 2b UStG zum 01.01.2016 thematisiert. Es wird zunächst die Entstehungsgeschichte dargestellt, bevor eine Analyse der Vorschrift erfolgt. Zusätzlich wird auf die Übergangsregelung in § 27 Abs. 22 UStG eingegangen. Hierbei werden Fragen aufgeworfen, die sich aus der Struktur und den Formulierungen der neuen Vorschriften ergeben. Weiter werden die Punkte aufgezeigt, die auch hinsichtlich § 2b und § 27 Abs. 22 UStG Zweifel an deren Richtlinienkonformität aufkommen lassen.

Im vierten Kapitel soll schließlich der Blick in die Zukunft gerichtet werden. Es wird zunächst zusammengefasst, worin genau die Sonderstellung der ←20 | 21→öffentlichen Hand im System der Umsatzsteuer besteht. Anschließend folgt eine kritische Überprüfung, die mit dem Ergebnis abschließt, dass ein Sonderstatus in der derzeitigen Form nicht zu rechtfertigen ist. Auf Grundlage dessen werden Möglichkeiten für eine systemgerechtere Besteuerung der öffentlichen Hand und Reformvorschläge untersucht.

Den Abschluss der Arbeit bildet die Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung im fünften Kapitel.

←21 |
 22→

1 Umsatzsteuergesetz in der Fassung vom 21.2.2005, BGBl I 2005, 386, zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes vom 22.12.2014 (nachfolgend UStG a.F.).

2 Umsatzsteuergesetz in der Fassung vom 21.2.2005, BGBl I 2005, 386, zuletzt geändert durch Art. 11 Abs. 35 des Gesetzes vom 18.7.2017, BGBl I 2017, 2745 (nachfolgend UStG).

3 Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. L 347 v. 11.12.2006, 1 (nachfolgend MwStSystRL).

4 Steueränderungsgesetz 2015 vom 2.11.2015.

5 Der Begriff „Rechtslage“ wird hier sowohl als Oberbegriff für die Rechtsvorschriften an sich als auch deren Anwendung durch Gerichte und die Finanzverwaltung verwendet.

←22 | 23→

Erstes Kapitel: Historie

A. Einleitung

Eine Besteuerung des Verbrauchs, in welcher Form auch immer, ist seit jeher ein probates Mittel zur Finanzierung des Staates. Änderungen erfolgen und erfolgten deshalb nicht selten aus fiskalpolitischen Gründen. Die Anfänge von Verbrauchs- und Verkehrssteuern lassen sich bereits in der Antike – mit Zöllen, Marktabgaben und Abgaben im Zusammenhang mit dem Verkauf und der Freilassung von Sklaven6 – und im Mittelalter – mit dem sogenannten teloneum7 und den Akzisen8 – finden.9 Der Grundstein für ein einheitliches Gerüst in Deutschland wurde 1916 mit dem Gesetz über einen Warenumsatzstempel10, verbunden mit dem Reichsstempelgesetz11, gelegt. Anlass war der immens erhöhte Finanzbedarf aufgrund des Ersten Weltkrieges.12 Es wurde beschlossen, dass zukünftig inländische gewerbliche Warenumsätze, die die Grenze von 3.000 Reichsmark jährlich überschreiten, mit einem Umsatzstempel und private Warenlieferungen, die einzeln die Grenze von 100 Reichsmark überschreiten, mit einem Quittungsstempel besteuert werden sollten. Steuerpflichtiger war jeweils der Zahlungsempfänger.13

←23 | 24→

Mit der Einführung eines eigenen Umsatzsteuergesetzes wechselte man 1918 zum System einer Allphasen-Bruttoumsatzsteuer, an welchem grundsätzlich auch über die sonstigen Änderungen des Gesetzes hinaus in den nachfolgenden Jahrzenten festgehalten wurde. Erst rund 50 Jahre später endete diese Ära. Anlass hierfür war zum einen die fehlende Wettbewerbsneutralität14, die auch vom Bundesverfassungsgericht (nachfolgend BVerfG) bemängelt wurde15. Zum anderen war durch die Europäische Gemeinschaft16 (nachfolgend EG) die Harmonisierung der Umsatzsteuersysteme der Mitgliedstaaten beschlossen worden. Den Mitgliedstaaten war aufgegeben worden, das bestehende Umsatzsteuersystem durch das gemeinsame Mehrwertsteuersystem so bald wie möglich, spätestens jedoch mit Wirkung zum 1.1.1970 zu ersetzen.17 Aufgrund dessen führte man 1967 (mit Wirkung zum 1.1.1968) das System der Nettoallphasenumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug ein, welches bis heute gilt.

B. Die Umsatzbesteuerung jPöR18 auf nationaler Ebene im Zeitraffer

Welchen wesentlichen Wandlungen speziell die Besteuerung der öffentlichen Hand im vergangenen Jahrhundert unterlag, soll nachfolgend im Zeitraffer dargestellt werden.

I. Reichsstempelgesetz vom 26.6.1916

Ausdrücklich geregelt wurde die Besteuerung der öffentlichen Hand 1916. Nach § 76 Abs. 1 Reichsstempelgesetz war Steuersubjekt, wer im Inland ein stehendes Gewerbe betrieb.19 In § 76 Abs. 2 S. 3 Reichsstempelgesetz wurde klargestellt, dass dies grundsätzlich auch galt, wenn das Gewerbe von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts betrieben wurde.20 Befreit waren u.a. nach Nr. 4 der ←24 | 25→Befreiungen zur Tarifnummer 10 die Versorgungsbetriebe (Lieferung von Gas, Strom und Wasser).21

II. Umsatzsteuergesetz vom 26.7.1918

Das Reichsumsatzsteuergesetz vom 26.7.191822 (nachfolgend UStG 1918) enthielt keine explizite Aussage mehr über die Steuerpflicht der öffentlichen Hand. In § 3 Nr. 1 UStG 1918 wurde lediglich festgelegt, dass Reich und Bundesstaaten bezüglich des Post-, Telegraphen- und Fernsprechverkehrs sowie gesetzliche Beförderungsunternehmungen von der Umsatzsteuerpflicht ausgenommen sein sollten. In der Beratung zum Gesetz wurde diskutiert, ob nicht auch die Versorgungsbetriebe befreit bleiben sollten. In der ersten Lesung hielt man dem jedoch die Wettbewerbsneutralität der Besteuerung als schlagendes Argument entgegen. Eine Steuerbefreiung könne einen Vorsprung im Konkurrenzkampf mit anderen Unternehmen bedeuten, weshalb – um Gleichmäßigkeit herzustellen – darauf verzichtet werden sollte.23 In der zweiten Lesung verabschiedete man das Gesetz schließlich ohne den Befreiungstatbestand. Es wurde argumentiert, dass die Gemeinden ansonsten das Steueraufkommen des Reiches mindern könnten, indem sie Unternehmen in eigener Regie führten. Eine allmähliche Aushöhlung der Reichssteuern sei die drohende Folge.24

III. Umsatzsteuergesetz vom 24.12.1919

Bereits im Jahr 1919 sah man Nachbesserungsbedarf, woraufhin am 24.12.1919 ein neues Reichsumsatzsteuergesetz25 (nachfolgend UStG 1919) beschlossen wurde. In der Beratung zu diesem wurde klargestellt, dass Körperschaften des öffentlichen Rechts grundsätzlich nicht anders behandelt werden dürften als andere Rechtssubjekte. Ziel der Umsatzsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer sei es schließlich, grundsätzlich alle Lieferungen und sonstigen Leistungen zu erfassen. Eine Befreiung sei lediglich bei Gemeinnützigkeit geboten.26 Gleichzeitig stimmte man dahingehend überein, dass Leistungen des Staates im hoheitlichen Bereich keine gewerblichen Tätigkeiten und somit nicht der Umsatzsteuer zu ←25 | 26→unterwerfen seien.27 Das Ergebnis dieser Überlegungen war, dass die Befreiungen aus dem UStG 1918 beibehalten wurden. Hinzugefügt wurde die Befreiung für Reich, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände hinsichtlich der Schlachthöfe, Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke, § 3 Nr. 2 UStG 1919. Somit wurden die wesentlichen Steuerbefreiungen aus dem Reichsstempelgesetz aus 1916 wieder eingeführt.

Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass als Hauptargument für die Besteuerung der öffentlichen Hand zwar die Wettbewerbsneutralität angeführt wurde, dass zeitgleich jedoch zunächst das Vorhaben des Reiches bestand, nur Landes– und Gemeindeunternehmen der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Die Unternehmen des Reiches sollten hingegen nicht der Umsatzsteuer unterliegen.28 Dies verdeutlicht, welches Gewicht die finanziellen Interessen des Staates gegenüber dem Interesse an einer wettbewerbsneutralen Besteuerung hatten.29 Letztendlich scheiterte dieses Vorhaben dann an den Einwendungen der Länder.30

IV. Umsatzsteuergesetz vom 31.3.1926

Infolge der verbesserten Wirtschaftslage wurde am 8.5.1926 das Umsatzsteuergesetz31 (nachfolgend UStG 1926) erneut geändert. Bahnbrechend war, dass erstmals der Begriff „Ausübung der öffentlichen Gewalt“ in das Gesetz übernommen wurde, und zwar in den Durchführungsbestimmungen zum UStG 192632 (nachfolgend UStDB 1926). In § 24 UStDB 1926 wurde die Ausübung öffentlicher Gewalt ausdrücklich von der Umsatzsteuer ausgenommen. Explizite Steuerbefreiungen für die öffentliche Hand waren weiterhin in § 3 Nr. 1 und 2 festgelegt und entsprachen denen des UStG 1919. Erläuterungen zu den Befreiungstatbeständen fanden sich in den §§ 2527 UStDB 1926.

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V. Umsatzsteuergesetz vom 16.10.1934

Die nächsten bemerkenswerten Änderungen in der Besteuerung der öffentlichen Hand gab es durch das Umsatzsteuergesetz vom 16.10.193433 (nachfolgend UStG 1934). Es wurde erstmals der Unternehmerbegriff eingeführt: War bereits im Entwurf zum UStG 1919 vorgeschlagen worden, dass der Steuerpflichtige als Unternehmer bezeichnet werden sollte, so hatte dies damals zunächst keine Umsetzung gefunden – wobei allerdings in der endgültigen Gesetzesfassung der Begriff in den §§ 4, 5 und 7 UStG 1919 versehentlich beibehalten wurde.34 Dass danach auch die Rechtsprechung anfing, den Unternehmerbegriff ausdrücklich zu verwenden35, dürfte dazu beigetragen haben, dass dieser schließlich 1934 in das Umsatzsteuergesetz aufgenommen und dort in § 2 UStG 1934 speziell definiert wurde. Hier hieß es in § 2 Abs. 1 S. 1: „Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt.“ Diese Definition ist bis heute unverändert. In § 2 Abs. 3 UStG 1934 wurde nun ausgeführt: „Die Ausübung der öffentlichen Gewalt ist keine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit.“ Somit fand gemeinsam mit der Definition des Unternehmerbegriffes der Begriff „Ausübung öffentlicher Gewalt“ erstmals Eingang in das Umsatzsteuergesetz, war er bis dahin nur in den Durchführungsbestimmungen verwendet worden.

Die ursprüngliche Zielsetzung und somit die systematische Einordnung des § 2 Abs. 3 UStG ist nicht eindeutig geklärt. Es stellt sich die Frage, ob die Einführung des § 2 Abs. 3 UStG 1934 den bisherigen Zustand ändern, oder ob er lediglich deklaratorische Wirkung haben sollte.36 Hiermit ist die Frage verbunden, ob die Ausübung öffentlicher Gewalt einen Teil der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit darstellt – und § 2 Abs. 3 UStG 1934 somit eine Ausnahmeregelung ist – oder ob § 2 Abs. 3 UStG 1934 im Gegenteil klarstellt, dass die Ausübung öffentlicher Gewalt niemals eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit sein kann. Die Gesetzesmaterialien weisen auf ein deklaratorisches Verständnis hin: Der Gesetzgeber erklärt die Einfügung des § 2 Abs. 3 UStG 1934 mit der besonderen Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Tätigkeiten. Er betont, dass die Ausübung öffentlicher Gewalt schon immer nicht als gewerbliche oder berufliche Tätigkeit angesehen worden sei und die öffentlich-rechtliche Tätigkeit somit nicht dem Regelungsbereich des Umsatzsteuergesetzes unterliege. An dem ←27 | 28→bisherigen Rechtszustand ändere sich nichts.37 Nach dem Willen des Gesetzgebers sind die Bereiche „Ausübung öffentlicher Gewalt“ und „gewerbliche oder berufliche Tätigkeiten“ folglich konträr angelegt und schließen sich gegenseitig aus.38 Für dieses Verständnis spricht auch die Formulierung „Die Ausübung der öffentlichen Gewalt ist keine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit.“, da ansonsten beispielsweise eine Formulierung wie „gilt nicht als“ zu wählen gewesen wäre.

Die Befreiungen für die öffentliche Hand blieben weitestgehend unverändert. So wurde in § 4 UStG 1934 festgelegt, dass die Versorgungsbetriebe der öffentlichen Hand (§ 4 Nr. 5 Buchst. a UStG 1934) sowie die Umsätze der Reichspost etc. (§ 4 Nr. 7 UStG 1934) steuerbefreit sein sollten. Die Schlachthöfe der öffentlichen Hand fanden bei den steuerfreien Umsätzen hingegen keine Erwähnung mehr. Die Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 17.10.193439 (nachfolgend UStDB 1934) stellten in § 3 Abs. 2 jedoch klar, dass auch der öffentliche Betrieb von Schlachthöfen etc. der „Ausübung der öffentlichen Gewalt“ zuzuordnen sei. Somit waren sie unter § 2 Abs. 3 UStG 1934 einzuordnen und folglich nicht steuerbar.

VI. Umsatzsteuergesetz vom 1.9.1951

Das Umsatzsteuergesetz vom 1.9.195140 (nachfolgend UStG 1951) sowie die Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 1.9.195141 (nachfolgend UStDB 1951) brachten keine wesentlichen materiellen Änderungen hinsichtlich der Besteuerung der öffentlichen Hand mit sich. Insbesondere blieben § 2 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 UStG 1951 im Vergleich zum UStG 1934 gleich gefasst. Die näheren Ausführungen zur Ausübung öffentlicher Gewalt fanden sich in § 19 UStDB 1951.

VII. Umsatzsteuergesetz vom 29.5.1967

Mit Wirkung zum 1.1.1968 wandelte sich die Umsatzbesteuerung grundlegend: Das Prinzip der Nettoallphasenumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug wurde eingeführt. Dies beruhte vor allem auf der fehlendenden Wettbewerbsneutralität ←28 | 29→des bestehenden Steuersystems, welche u.a. durch das BVerfG42 bemängelt worden war. Aber auch der Einfluss der EG zeigte sich hier in seinen Anfängen. So diente der Übergang zum neuen System gleichzeitig der Umsetzung der Vorgaben der Ersten Richtlinie 67/227/EWG43zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaten über die Umsatzsteuer“ (nachfolgend 1. EG-RL) und der Zweiten Richtlinie 67/228/EWG44zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems“ (nachfolgend 2. EG-RL), jeweils vom 11.4.1967. Hinsichtlich der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand schuf man die noch heute geltende Struktur. Der Begriff der „Ausübung öffentlicher Gewalt“ fand im Umsatzsteuergesetz vom 29.5.196745 (nachfolgend UStG 1967) keine Verwendung mehr. Stattdessen war § 2 Abs. 3 UStG 1967 nun wie folgt gefasst:

„(3) Die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Ziff. 6 des Körperschaftsteuergesetzes) und ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. Die Tätigkeit der Rundfunkanstalten gilt als gewerbliche oder berufliche Tätigkeit im Sinne dieses Gesetzes.“

Die Steuerpflicht der öffentlichen Hand war somit von nun an positiv formuliert. Der Begriff „Betriebe gewerblicher Art“ wurde aus dem Körperschaftsteuergesetz entlehnt, auf das ausdrücklich verwiesen wurde. Eingeführt wurde der Verweis auf das Körperschaftsteuergesetz erst im Finanzausschuss und somit relativ spät im Gesetzgebungsverfahren.46 Im Regierungsentwurf47 war ursprünglich eine Übernahme des § 19 UStDB 1951 vorgesehen, in welchem nähere Ausführungen zur Ausübung öffentlicher Gewalt und deren Steuerfreiheit gemacht worden waren. Im Finanzausschuss kam man jedoch zu dem Schluss, dass die Anknüpfung an das Körperschaftsteuergesetz mit seinen Begriffen zum einen eine bessere „Trennung des Hoheitsbereichs vom unternehmerischen Bereich der Körperschaften des öffentlichen Rechts“ gewährleiste und zum anderen die „Erfassung der abzugsfähigen Vorsteuern erleichtern“ würde.48 So gesehen kann man die Absicht, welche ursprünglich hinter der Verknüpfung des Umsatzsteuer- mit ←29 | 30→dem Körperschaftsteuergesetz steckte, durchaus als positiv bewerten. Die beste Absicht nützt jedoch nichts, wenn bei der Umsetzung zu kurz gedacht wird und das Ziel mit den gewählten Mitteln nicht zu erreichen ist, geschweige denn die weiteren indirekten Auswirkungen nicht genügend Beachtung finden. So ist insbesondere der Verweis auf das Körperschaftsteuergesetz bis heute äußerst umstritten und die damit bezweckte Vereinfachung wird aufgrund der durch die Verweisung entstehenden Probleme überwiegend als gescheitert bzw. nicht erfolgt betrachtet.49

Durch die neue Formulierung des § 2 Abs. 3 UStG 1967 wurde jedoch ein anderes bis dahin bestehendes Problem gelöst. Da früher auf eine Tätigkeit abgestellt wurde – die „Ausübung öffentlicher Gewalt“ – stellte sich das Problem, wie sogenannte „Beliehene“ steuerlich behandelt werden sollten. Beliehene sind Personen des Privatrechts, denen kraft Gesetz oder aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung gewisse Verwaltungsaufgaben zur hoheitlichen Wahrnehmung in eigenem Namen übertragen wurden.50 Sie führen somit der Art nach gleiche (hoheitliche) Aufgaben aus wie die öffentliche Hand. Begrifflich konnte man sie folglich nicht ohne Weiteres direkt von der Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG vor 1967 ausschließen, da dort wie bereits dargelegt auf die Tätigkeit und nicht auf die ausübende Person abgestellt wurde. Diesbezüglich bediente sich die Rechtsprechung bis 1967 eines „juristischen Kunstgriffes“, indem sie den Begriff „Ausübung öffentlicher Gewalt“ so auslegte, dass Beliehene nicht darunterfielen.51 Mit dem UStG 1967 wurde eine solche Auslegung hinfällig, da nun nicht mehr auf die Tätigkeit, sondern die ausübende Person abgestellt wurde. § 2 Abs. 3 UStG 1967 sprach lediglich von Körperschaften des öffentlichen Rechts. Da beliehene Unternehmer keine selbigen sind, war § 2 Abs. 3 UStG 1967 für sie nicht einschlägig und man konnte sie ohne weitere Begründung von seiner Anwendung ausschließen.52

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VIII. Umsatzsteuergesetz vom 26.11.1979

Im Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes vom 26.11.197953, in Kraft getreten am 1.1.1980 (nachfolgend UStG 1980) änderte man den Begriff „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ in „juristische Person des öffentlichen Rechts“, was jedoch keine besonderen tatsächlichen Auswirkungen hatte. Zudem wurde dem Verweis auf das Körperschaftsteuergesetz im Klammerzusatz § 4 KStG hinzugefügt. Die Formulierung des § 2 Abs. 3 S. 1 UStG 1980 wurde seitdem beibehalten. Inhaltlich geändert wurde § 2 Abs. 3 S. 2 UStG 1967, da er 1971 vom BVerfG für nichtig erklärt worden war54. Um dem Erfordernis der EG nach Wettbewerbsneutralität nachzukommen, wurden im geänderten Satz 2 diverse Leistungen der öffentlichen Hand aufgezählt, die unabhängig von Satz 1 als gewerblich oder beruflich zu klassifizieren waren.55

IX. Steueränderungsgesetz 2015

Mit dem Steueränderungsgesetz 2015 wurde die Besteuerung der öffentlichen Hand im UStG grundlegend neu geregelt. Aufgrund von Zweifeln an einer richtlinienkonformen Umsetzung der Richtlinienvorgaben wurde § 2 Abs. 3 UStG a.F. durch Art. 12 Steueränderungsgesetz 2015 aufgehoben und § 2b UStG eingefügt. Hierdurch wird eine Annäherung an den Wortlaut und die Systematik der europäischen Richtlinienvorgaben erreicht.56 Die Unternehmereigenschaft juristischer Personen des öffentlichen Rechts ist nicht mehr länger negativ innerhalb des § 2 UStG geregelt, in welchem der Begriff des Unternehmers definiert wird. Durch § 2b UStG wird nun in einer eigenen Norm bestimmt, wann juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht als Unternehmer gelten. Auf Umsätze, die bis zum 31.12.2016 ausgeführt wurden, ist gemäß § 27 Abs. 22 UStG jedoch weiterhin § 2 Abs. 3 UStG a.F. anzuwenden. Zudem wird juristischen Personen des öffentlichen Rechts bis zum 31.12.2020 ein einmaliges Wahlrecht zugestanden, § 2 Abs. 3 UStG a.F. auch bis dahin anzuwenden. Dieses Wahlrecht muss jedoch bis zum 31.12.2016 mittels einer ausdrücklichen Erklärung ausgeübt werden.

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X. Zwischenergebnis

Die öffentliche Hand genießt hinsichtlich ihrer umsatzsteuerlichen Behandlung seit jeher einen Sonderstatus. Auch wenn dieser sich in seiner Ausgestaltung im Laufe der Jahre veränderte, kann man grundsätzlich von einer „Tradition umsatzsteuerlicher Privilegierung57 sprechen. Ursprünglich bestand die Sonderstellung lediglich darin, dass Körperschaften des öffentlichen Rechts spezielle Steuerbefreiungen zugestanden wurden, wobei die grundsätzliche Steuerpflicht jedoch den allgemeinen Regeln folgte. Die allgemeine Voraussetzung für eine Steuerpflicht war anfangs der Betrieb eines stehenden Gewerbes,58 wobei an dieser Stelle sogar ausdrücklich festgelegt wurde, dass die Ausübung einer Tätigkeit durch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts nichts an ihrer Gewerbsmäßigkeit ändere.59 Ab 1919 wurde die Steuerpflicht an die Ausübung einer selbständigen gewerblichen Tätigkeit geknüpft.60 Körperschaften des öffentlichen Rechts wurden im Bereich der Steuerpflicht nicht mehr gesondert erwähnt.61 Die öffentliche Hand war in dieser Zeit somit zunächst „normale“ Steuerpflichtige. Ihr Sonderstatus beschränkte sich auf spezielle Steuerbefreiungen.62

Die selbständige gewerbliche Tätigkeit als Voraussetzung für eine Steuerpflicht blieb auch in der Folgezeit bestehen. Ab 1926 wurde jedoch klargestellt, dass die Ausübung öffentlicher Gewalt von der Umsatzbesteuerung ausgenommen sei63 bzw. keine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit darstelle64, welche Bedingung für eine Unternehmereigenschaft und somit die Umsatzsteuerpflicht war65. Praktische Änderungen an der bisherigen steuerrechtlichen Einordnung der öffentlichen Hand ergaben sich durch diese lediglich deklaratorische Bestimmung jedoch nicht.66 Es blieb folglich dabei, dass die Besteuerung von Körperschaften des öffentlichen Rechts zunächst den grundsätzlichen Regeln folgte und sich ihr Sonderstatus auf spezielle Steuerbefreiungsvorschriften beschränkte.

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Mit dem UStG 1967 wurde die Besteuerung der öffentlichen Hand neu geregelt.67 In § 2 Abs. 3 UStG 1967 wurde festgelegt, dass Körperschaften des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig seien. Die Steuerpflicht der öffentlichen Hand war somit positiv und gesondert formuliert – ein wesentlicher Unterschied zur bisherigen Qualifizierung als Steuerpflichtige. Ihr Sonderstatus wurde erheblich ausgebaut, indem er ihr bereits im Bereich der Definition des Unternehmers und folglich auf Ebene der grundsätzlichen Steuerpflicht zugestanden wurde, anstatt sich wie bisher auf die Ebene der nachgelagerten Steuerbefreiungen zu beschränken.68 Zusätzlich nahm man bezüglich der Aufnahme des Begriffes „Betriebe gewerblicher Art“ mittels ausdrücklichen Verweises eine direkte Anbindung an das Körperschaftsteuergesetz vor.69 Im UStG 1980 fanden lediglich marginale Änderungen des § 2 Abs. 3 S. 1 statt, insbesondere der Austausch des Begriffes „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ durch den Begriff „juristische Personen des öffentlichen Rechts“.

Nicht eindeutig geklärt ist bis heute das Wesen des § 2 Abs. 3 S. 1 UStG a.F., welcher § 2 Abs. 3 S. 1 UStG 1980 und somit im Wesentlichen auch § 2 Abs. 3 S. 1 UStG 1967 entsprach.70 Dies zeigt sich vor allem im Zusammenhang mit den Einflüssen des Rechts der Europäischen Union (nachfolgend EU) und der Problematik der richtlinienkonformen Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand.71

Durch das Steueränderungsgesetz 2015 wurde die Besteuerung der öffentlichen Hand auf nationaler Ebene grundlegend neu geregelt, um so Zweifel an einer richtlinienkonformen Umsetzung der Vorgaben hinsichtlich der Besteuerung der öffentlichen Hand auszuräumen. Da § 2 Abs. 3 UStG a.F. jedoch zum einen auf bis zum 31.12.2016 ausgeführte Umsätze nach wie vor anwendbar ist, und zum anderen die Option zur Anwendung bis zum 31.12.2020 besteht, ist die Frage der richtlinienkonformen Umsetzung noch immer aktuell. Zudem stellt sich nun die Frage, ob durch seine Streichung und die Einführung des § 2b UStG alle Abweichungen und Unklarheiten beseitigt wurden.

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C. Der Einfluss durch die Europäische Union

Das nationale Umsatzsteuerrecht ist seit langem nicht mehr autark. Mit der Entscheidung zur Angleichung verschiedener Rechtsbereiche innerhalb der EG entschieden sich die einzelnen Mitgliedstaaten damals gleichzeitig für die teilweise Aufgabe einer gewissen rechtlichen Unabhängigkeit, was auch und insbesondere für den Bereich der Umsatzsteuer gilt. Wie im vorherigen Kapitel geschildert, zeigte sich der wachsende Einfluss der EG – und später der EU – im Bereich der Umsatzsteuer im Jahr 1967 mit der Einführung und nationalen Umsetzung der 1. und 2. EG-RL.72 Zunächst sollte hierdurch die Wettbewerbsneutralität des Waren- und Dienstleistungsverkehrs innerhalb des gemeinsamen Marktes sichergestellt werden, was der Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in seinen Gründen zur 1. EG-RL mehrfach ausdrücklich betonte.73 Erreicht werden sollte dieses Ziel insbesondere, indem die Mitgliedstaaten verpflichtet wurden, das System der Nettoallphasenumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug einzuführen.74 Hierbei wurde den Mitgliedstaaten in Art. 2 Abs. 4 1. EG-RL jedoch die Möglichkeit eingeräumt, das gemeinsame Mehrwertsteuersystem zunächst auf die Großhandelsstufe zu begrenzen und auf der Ebene des Einzelhandels gegebenenfalls eine ergänzende Steuer anzuwenden. Hiermit wurde den großen Unterschieden in den Steuersystemen der einzelnen Staaten Rechnung getragen. Jene hatten zwar zunächst noch einen relativ großen Gestaltungsspielraum, aber der erste Schritt in Richtung Umsatzsteuerharmonisierung war getan.

Den nächsten bedeutsamen Schritt ging man mit der Einführung der 6. Richtlinie des Rates „zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern“ 77/388/EWG75 (nachfolgend 6. EG-RL) vom 17.5.1977, in welcher der Gestaltungsspielraum der einzelnen Mitgliedstaaten erheblich beschnitten wurde. Grundlage war der Vorschlag der Kommission vom 29.6.1973, welcher auf Art. 99 EWG basierte.76 In Art. 99 EWG war unter anderem bestimmt worden, dass die Kommission die Möglichkeit ←34 | 35→der Harmonisierung der Umsatzsteuer im Interesse des gemeinsamen Marktes prüfen und dem Rat entsprechende Vorschläge unterbreiten solle. Über diese Vorschläge wiederum entscheide der Rat einstimmig. Das Motiv für den Erlass der Richtlinie war vor allem fiskalpolitischer Natur. Er diente der Durchführung des EG-Beschlusses vom 21.4.1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaft (70/243/EGKS, EWG, Euratom)77. In Art. 4 Abs. 1 dieses Beschlusses war festgelegt, dass ab dem 1.1.1975 der gesamte Haushalt der EG aus eigenen Mitteln der Gemeinschaft finanziert werden sollte. Ein großer Teil dieser internen Mittel sollte gemäß Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 Eigenmittelbeschluss aus der Beteiligung an den Mehrwertsteuereinnahmen resultieren, welche sich aus der Anwendung eines bestimmten Prozentsatzes auf die steuerpflichtige Bemessungsgrundlage errechnen sollte. Folglich war es notwendig, die Umsatzbesteuerung in den einzelnen Mitgliedstaaten weitestgehend zu vereinheitlichen. Nur so konnte eine vergleichbare Bemessungsgrundlage und gleichmäßige Verteilung erreicht werden. Der Rat legte der 6. EG-RL deshalb das Ziel zugrunde, die Umsatzsteuer-Vorschriften insbesondere hinsichtlich diverser zentraler Begriffsbestimmungen (z.B. Steuerpflichtiger, Ort des Umsatzes, etc.), Steuerbefreiungen, Steuererklärungspflicht und diverser Sonderregelungen zu harmonisieren.78 In Anbetracht dieses Ziels mussten die bisherigen Freiheiten der Mitgliedstaaten erheblich eingeschränkt werden.

Die Beschränkung der Mitgliedstaaten ergab sich aus den ausführlichen und genauen Bestimmungen der 6. EG-RL, welche den einzelnen Mitgliedstaaten kaum noch Gestaltungsspielraum ermöglichten. Lediglich in der Umsetzung der Richtlinie, der Art und Weise, waren sie frei. Auf den ersten Blick wäre die einfachste Form zur Umsetzung in nationales Recht die Ersetzung des geltenden Umsatzsteuergesetzes durch ein neues Umsatzsteuergesetz mit den übernommenen Richtlinienvorschriften gewesen. In Deutschland entschied man sich jedoch dagegen, was bis heute zu Konflikten – insbesondere hinsichtlich der Bestimmung der umsatzsteuerpflichtigen Tätigkeitsbereiche der öffentlichen Hand – führt.

Details

Seiten
378
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631804940
ISBN (ePUB)
9783631804957
ISBN (MOBI)
9783631804964
ISBN (Paperback)
9783631794753
DOI
10.3726/b16262
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Oktober)
Schlagworte
Steuerpflicht Steuerfreiheit Sonderstellung Richtlinienkonformität Mehrwertsteuersystemrichtlinie Richtlinienkonforme Auslegung Wettbewerbsneutralität Wettbewerbs-verzerrung Umsatzsteuer Mehrwertsteuer
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019., 378 S.

Biographische Angaben

Svenja Wessolowski (Autor:in)

Svenja Wessolowski ist Staatsanwältin und in einer Schwerpunktabteilung für Steuerstrafsachen tätig. Nach ihrer Berufsausbildung zur Steuerfachangestellten studierte sie zunächst Rechtswissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn und arbeitete mehrere Jahre als Diplom-Juristin und Steuerfachangestellte in einer Steuerberater- und Rechtsanwaltskanzlei. Ihr Referendariat absolvierte sie im Bezirk des Oberlandesgerichts Köln. Die Promotion erfolgte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn.

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Titel: Die Entwicklung der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand
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