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Die Dogmatik des Gesellschafterbeschlusses

Rechtsnatur, Wirksamkeitsvoraussetzungen und Auswirkungen auf Beschlussmängelklagen

von Laura Gerauer (Autor:in)
©2019 Dissertation 220 Seiten

Zusammenfassung

Der 72. Deutsche Juristentag hat im Jahre 2018 empfohlen, für das Personengesellschaftsrecht ein eigenes Beschlussmängelrecht nach dem Vorbild der §§ 241 ff. AktG gesetzlich einzuführen. Die Publikation befasst sich mit der Frage, ob das aktienrechtliche Beschlussmängelsystem bereits de lege lata nicht nur in der GmbH, sondern in allen rechtsfähigen Verbänden des Privatrechts gilt. Ausgangspunkt dieser Frage ist, wie der Beschluss privatwirtschaftlicher Zweckverbände dogmatisch einzuordnen ist und auf welche Weise er zustande kommt. Die Autorin arbeitet für die Beantwortung dieser Frage die historische Entwicklung des Beschlussrechts auf.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title Page
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltverzeichnis
  • 1. Teil – Einleitung
  • 2. Teil – Historische Entwicklung des Beschluss(mängel)rechts und der prozessualen Geltendmachung von Beschlussmängeln
  • A. AG
  • I. Entstehungsgeschichte
  • 1. ADHGB von 1861
  • a. Allgemeines
  • b. Beschlussfeststellung als Wirksamkeitsvoraussetzung
  • c. Beschlussmängel
  • d. Beschlussmängelklage
  • i. Gesetzgebung und Literatur
  • ii. Rechtsprechung
  • 2. ADHGB von 1884
  • a. Allgemeines
  • b. Beschlussfeststellung als Wirksamkeitsvoraussetzung
  • i. Rechtsprechung
  • ii. Literatur
  • c. Bestellung des Versammlungsleiters
  • d. Beschlussmängelklage
  • 3. HGB von 1897
  • a. Allgemeines
  • b. Beschlussfeststellung als Wirksamkeitsvoraussetzung
  • i. Rechtsprechung
  • ii. Literatur
  • c. Beschlussinhalt
  • i. Rechtsprechung
  • ii. Literatur
  • d. Zuständigkeit für die Beschlussfeststellung
  • i. Rechtsprechung
  • ii. Literatur
  • e. Beschlussmängel
  • f. Beschlussmängelklage
  • 4. AktG von 1937
  • a. Allgemeines
  • b. Beschlussfeststellung als Wirksamkeitsvoraussetzung
  • i. Rechtsprechung
  • ii. Literatur
  • c. Beschlussinhalt
  • d. Zuständigkeit für die Beschlussfeststellung
  • e. Bestellung des Versammlungsleiters
  • f. Beschlussmängel und prozessuale Geltendmachung
  • 5. AktG von 1965
  • a. Allgemeines
  • b. Beschlussfeststellung
  • i. Rechtsprechung
  • ii. Literatur
  • c. Beschlussinhalt
  • 6. AktG ab 1994
  • a. Allgemeines
  • b. Beschlussfeststellung als Wirksamkeitsvoraussetzung
  • i. Grundsatz
  • ii. Ausnahmen
  • c. Beschlussinhalt
  • II. Resümee
  • 1. Beschlussfeststellung
  • 2. Beschlussmängelklage
  • B. Genossenschaft
  • I. Entstehungsgeschichte
  • 1. GenG von 1889
  • 2. GenG-Reform von 1898
  • a. Allgemeines
  • b. Beschlussfeststellung als Wirksamkeitsvoraussetzung
  • i. Rechtsprechung
  • ii. Literatur
  • c. Zuständigkeit für die Beschlussfeststellung
  • d. Beschlussinhalt
  • i. Rechtsprechung
  • ii. Literatur
  • e. Beschlussmängel und prozessuale Geltendmachung
  • 3. GenG-Reform von 1973
  • a. Allgemeines
  • b. Beschlussfeststellung als Wirksamkeitsvoraussetzung
  • i. Rechtsprechung
  • ii. Literatur
  • c. Beschlussinhalt
  • II. Resümee
  • 1. Beschlussfeststellung
  • 2. Beschlussmängelklage
  • C. GmbHG
  • I. Entstehungsgeschichte
  • 1. Allgemeines
  • 2. Beschlussfeststellung als Wirksamkeitsvoraussetzung
  • a. Rechtsprechung
  • b. Literatur
  • i. Beschlussfeststellung als Voraussetzung für Rechtswirksamwerden
  • ii. Beschlussfeststellung als Wirksamkeitsvoraussetzung
  • iii. Keine Notwendigkeit
  • iv. Satzungsklausel
  • 3. Beschlussinhalt
  • a. Rechtsprechung
  • b. Literatur
  • 4. Zuständigkeit für die Beschlussfeststellung
  • a. Rechtsprechung
  • b. Literatur
  • 5. Bestellung des Versammlungsleiters
  • a. Moderierender Versammlungsleiter
  • b. Beschlussfeststellungskompetenter Versammlungsleiter
  • 6. Beschlussmängel
  • 7. Beschlussmängelklage
  • a. Gesetzgebung
  • b. Rechtsprechung
  • i. Grundlage in den allgemeinen Grundsätzen
  • ii. Analoge Anwendung der aktienrechtlichen Vorschriften zu den Beschlussmängelklagen
  • iii. Beschlussfeststellung als Analogievoraussetzung
  • iv. Ausnahmen von der analogen Anwendung
  • c. Literatur
  • i. Grundlage in den allgemeinen Grundsätzen
  • ii. Analoge Anwendung der aktienrechtlichen Vorschriften zu Beschlussmängelklagen
  • iii. Beschlussfeststellung als Analogievoraussetzung
  • iv. Ausnahmen von der analogen Anwendung
  • v. Gegen die analoge Anwendung der §§ 241 ff. AktG
  • 8. Beschlussfeststellungsklage
  • 9. Reformbestrebungen
  • a. Entwurf des Reichsjustizministeriums von 1939
  • b. Entwürfe zur Reform von 1969 und zur „großen GmbH-Reform“ von 1971/1973
  • c. 72. DJT
  • II. Resümee
  • 1. Beschlussfeststellung
  • a. Förmliche Beschlussfeststellung
  • b. Mehrheitserfordernis
  • c. Delegation nicht vorhandener Kompetenzen
  • d. Gespaltene Wirkung der Beschlussfeststellung
  • e. Gespaltene Rechtswirksamkeit des Beschlusses im Außenverhältnis
  • f. Vorliegen eines Beschlusses
  • g. Unsicherheiten bzgl. des Beschlussergebnisses
  • h. Auseinandertreten bei Streit
  • i. Beschlussfeststellung als Analogievoraussetzung für das aktienrechtliche Beschlussmängelsystem
  • 2. Beschlussmängelklage
  • D. Rechtsfähiger Verein
  • I. Entstehungsgeschichte
  • 1. Gesetzgebung
  • 2. Beschlussfeststellung als Wirksamkeitsvoraussetzung
  • a. Rechtsprechung
  • b. Literatur
  • 3. Beschlussinhalt
  • a. Rechtsprechung
  • b. Literatur
  • 4. Beschlussmängel
  • a. Generelle Nichtigkeit
  • i. Allgemeines
  • ii. Kausalität/ Relevanz
  • iii. Vollversammlung
  • iv. Widerspruchserfordernis
  • b. Differenzierung zwischen Anfechtbarkeit und Nichtigkeit
  • c. 72. DJT
  • 5. Beschlussmängelklagen
  • a. Gesetzgebung
  • b. Rechtsprechung
  • i. Statthaftigkeit der Anfechtungsklage
  • ii. Statthaftigkeit der allgemeinen Feststellungklage gem. § 256 ZPO
  • iii. Modifikation der allgemeinen Feststellungsklage
  • 1. Aktivlegitimation
  • 2. Verwirkung
  • 3. Rechtskrafterstreckung
  • c. Literatur
  • i. Statthaftigkeit der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO
  • ii. Analoge Anwendung der §§ 241 ff. AktG
  • iii. 72. DJT
  • II. Resümee
  • 1. Beschlussfeststellung
  • 2. Beschlussmängelklage
  • E. Personengesellschaften (OHG, KG, Außen-GbR)
  • I. Entstehungsgeschichte
  • 1. ADHGB von 1861
  • 2. HGB ab 1897 und BGB ab 1896
  • a. Allgemeines
  • i. Außen-GbR
  • ii. OHG, KG
  • b. Beschlussfeststellung als Wirksamkeitsvoraussetzung
  • i. Rechtsprechung
  • ii. Literatur
  • c. Beschlussinhalt
  • d. Beschlussmängel
  • i. Nichtigkeitslösung
  • ii. Anfechtungslösung nach den genossenschaftlichen Ordnungsprinzipien
  • iii. Anfechtungslösung analog AktG
  • iv. 72. DJT
  • e. Beschlussmängelklage
  • i. Beschlussmängelklage nach den allgemeinen Grundsätzen
  • ii. Allgemeine Feststellungsklage
  • iii. Analoge Anwendung der §§ 241 ff. AktG
  • iv. Widerspruchsklage
  • v. 72. DJT
  • II. Resümee
  • 1. Beschlussfeststellung
  • 2. Beschlussmängelklage
  • 3. Teil – Die Rechtsnatur des Gesellschafterbeschlusses in Literatur und Rechtsprechung
  • A. Der Gesellschafterbeschluss als (mehrseitiges) Rechtsgeschäft
  • I. Kern
  • II. Gründe
  • III. Kritik
  • B. Der Gesellschafterbeschluss als Organakt
  • I. Kern
  • II. Gründe
  • III. Kritik
  • C. Der Gesellschafterbeschluss als Willensbildung bzw. Willenserklärung
  • I. Kern
  • II. Gründe
  • III. Kritik
  • D. Der Gesellschafterbeschluss als Vertrag
  • I. Kern
  • II. Gründe
  • III. Kritik
  • E. Der Gesellschafterbeschluss als Gesamtakt
  • I. Kern
  • II. Gründe
  • III. Kritik
  • 4. Teil – Dogmatik der Gesellschafterbeschlüsse
  • A. Der Gesellschafterbeschluss als Organakt der Gesellschafterversammlung
  • B. Die Beschlussfeststellung als Wirksamkeitsvoraussetzung
  • I. Kundgabe als entscheidender Akt nach allgemeiner Rechtsgeschäftslehre
  • II. Auswertung des Abstimmungsverfahrens und Bewusstwerden des Beschlussergebnisses
  • III. Kundgabe als Mittel der Zurechnung des Beschlusses zum Verband und der Bindung aller Mitglieder der Gesellschaft
  • IV. Ergebnis
  • C. Beschlussfeststellungskompetenz
  • I. Herrschende Meinung
  • II. Dogmatische Lösung
  • D. Beschlussmängelklage
  • I. Kritik an und Widerlegung der herrschenden Meinung
  • 1. Planwidrige Regelungslücke
  • a. Regelungslücke
  • b. Planwidrigkeit bis 1937
  • i. Aktien-/ Genossenschaftsrecht
  • ii. GmbH-Recht
  • iii. Vereinsrecht
  • iv. Personengesellschaften
  • v. Zwischenergebnis
  • c. Planwidrigkeit ab 1937
  • i. Aktienrechtsreform 1937
  • ii. Entwicklung der GmbHs
  • iii. Entwicklung der rechtsfähigen Vereine
  • iv. Entwicklung der Personengesellschaften
  • d. Zwischenergebnis
  • 2. Vergleichbare Interessenslage
  • a. Wesentliche Gleichheit der Gesellschaften798
  • i. Organstruktur und Willensbildung
  • ii. Anzahl der Gesellschafter und kapitalistische Strukturierung
  • iii. Rechts-/ Parteifähigkeit der Gesellschaft
  • iv. Haftungsbeschränkung
  • b. Bedürfnis nach Rechtssicherheit, -klarheit und -frieden
  • i. Einschränkung der Nichtigkeit und Bestandskraft
  • ii. Rechtskraftwirkung des Urteils
  • c. Zwischenergebnis
  • 3. Ergebnis
  • II. Beschlussmängelrechtssystem aller rechtsfähigen Verbänden des Zivilrechts nach aktienrechtlichem Vorbild
  • 1. Bekanntmachung des Klageverfahrens
  • 2. Zuständiges Gericht
  • 3. Passivlegitimation
  • 4. Aktivlegitimation
  • 5. Nichtigkeitsklage
  • a. Nichtigkeitsgründe
  • b. Klagefrist
  • 6. Anfechtungsklage
  • a. Anfechtungsgründe
  • b. Anfechtungsfrist
  • 7. Urteilswirkung
  • E. Exkurs: Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers aus wichtigem Grund in der GmbH
  • I. Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführers
  • II. Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer
  • 5. Teil – Thesen
  • Literaturverzeichnis

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1. Teil – Einleitung

Das Organ1 Gesellschafterversammlung gibt es in allen rechtsfähigen Verbänden des Privatrechts und, es entscheidet im Rahmen seiner Zuständigkeiten durch den Organakt eines Gesellschafterbeschlusses. Der Gesellschafterbeschluss kann an Mängeln leiden, namentlich gegen das Gesetz, den Gesellschaftsvertrag oder andere Rechtsprinzipien verstoßen. Die Frage, wie sich solche Beschlussmängel auswirken, ist auf der Grundlage des geltenden Rechts sowie der Rechtsprechung und hL je nach Rechtsform der Gesellschaft ganz unterschiedlich.

Das AktG ist durch eine detaillierte Kodifikation des Beschlussmängelrechts geprägt (§§ 241 ff. AktG), die seit der Aktienrechtsnovelle von 1884 Bestand hat, ungeachtet der Änderungen im Detail, die seit Ende des 19. Jahrhunderts jeweils erfolgt sind. Grundlage ist eine protokollierte Beschlussfeststellung als Wirksamkeitsvoraussetzung des Beschlusses (§§ 130 II 1, 241 Nr. 2 AktG), der anschließend binnen Monatsfrist (§ 246 I AktG) mit der Anfechtungsklage angegriffen werden muss, wenn er nicht ausnahmsweise wegen eines schwerwiegenden Mangels nichtig ist (§ 241 AktG). Die Nichtigkeit kann nur ausnahmsweise geheilt werden; Hauptfall: Ablauf einer dreijährigen Frist nach Eintragung des Beschlusses im Handelsregister (§ 242 II AktG). Der wegen Mängeln nur anfechtbare Beschluss ist demgegenüber nach Ablauf der Anfechtungsfrist bestandskräftig und grundsätzlich für jedermann als gültig anzusehen.

Schon das Reichsgericht2 hat das kodifizierte Beschlussmängelrecht in der AG teilweise analog auf die Kapitalgesellschaft GmbH angewendet. Anlässlich der in den Jahren 1971 und 1973 geplanten Änderungen des GmbH-Rechts („große GmbH-Reform“) gab es entsprechende Entwurfsregelungen3, die jedoch nie Gesetz geworden sind. Die analoge Anwendung des Beschlussmängelrechts der AG (§§ 241 ff. AktG) auf die GmbH beruht bis auf den heutigen Tag ausschließlich auf Rechtsfortbildung, die aber inzwischen trotz vielfach geäußerter Kritik4 ←21 | 22→so gefestigt ist, dass ein Widerstand dagegen nicht mehr sinnvoll erscheint.5 Insbes. die Hervorhebung, dass es im Fall der GmbH um grundlegend andere Probleme gehe als in der Publikumsgesellschaft AG, das Beschlussmängelrecht deshalb eher demjenigen der Personengesellschaft zu folgen habe,6 ändert an diesem Befund gewiss nichts. Allerdings trifft es zu, dass die GmbH in aller Regel keine Publikumsgesellschaft ist, das Beschlussmängelrecht in der AG aber aus historischer Sicht speziellen Konfliktsituationen in der Publikumsgesellschaft gewidmet sein sollte.7 Insofern ist das Argument nicht von der Hand zu weisen, dass die GmbH materiell Personengesellschaft und nur um der Haftungsbeschränkung willen als juristische Person konzipiert ist.8 Die Problematik steht eher derjenigen in der Gesamthandspersonengesellschaft gleich, deren Organ Gesellschafterversammlung typischerweise einen gleichermaßen überschaubaren Mitgliederkreis aufweist. Doch auch in der AG hängt die Geltung des Beschlussmängelrechts nicht von der Anzahl ihrer Mitglieder ab, während umgekehrt in einer Personengesellschaft, die Publikumsgesellschaft ist, namentlich in der GmbH & Co. KG mit nicht selten mehr als 1000 Mitgliedern, bisher mangels abweichender Regelungen im Gesellschaftsvertrag nach hM das klassische Beschlussmängelrecht der Personengesellschaft Anwendung finden soll.

In der Personengesellschaft führt ein Beschlussmangel nach allgemeinen Grundsätzen aber immer zur Nichtigkeit, während Bestandskraft nach Ablauf einer bestimmten Frist allenfalls in der Variante der Verwirkung in Betracht kommt. Kurzum: In der Personengesellschaft kann sich jeder Gesellschafter auch nach der für die AG und GmbH geltenden Anfechtungsfrist von einem Monat (§ 246 Abs. 1 AktG) noch auf einen Rechtsmangel des Beschlusses berufen, ebenso jeder Dritte, der ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Ungültigkeit des Gesellschafterbeschlusses in der Personengesellschaft hat. Nur sehr vereinzelt wird im Schrifttum eine analoge Anwendung des Beschlussmängelrechts der AG auf die deutsche Personengesellschaft befürwortet, wenn diese ←22 | 23→rechtsfähig ist (§ 14 II BGB) und damit Klagegegner einer Beschlussmängelklage sein kann.9

Bei allem Verständnis für die Kritik an der Rechtsfortbildung, welche seit vielen Jahrzehnten das Beschlussmängelrecht der AG (§§ 241 ff. AktG) auf die Kapitalgesellschaft GmbH überträgt und für die Praxis selbstverständliche Gültigkeit hat, lautet die Frage deshalb eher, ob das Beschlussmängelrecht des AktG nicht noch weiter ausgedehnt werden sollte, nämlich auf Verbände des Personengesellschaftsrechts, die immerhin auch rechtsfähig sind, soweit es um Gesamthandspersonengesellschaften geht.10 Der Umstand, dass die GmbH als juristische Person verselbstständigt ist, hat allein in dem Bedürfnis der Haftungsbeschränkung ihren Grund. Das Beschlussmängelrecht hat aber mit der Haftungsbeschränkung gar nichts zu tun. Deshalb liegt der Gedanke auf der Hand, dass man insoweit keine Unterschiede zwischen der GmbH und der Gesamthandspersonengesellschaft zu machen hat, wenn und weil das Beschlussmängelrecht in erster Linie die Beziehungen der Gesellschafter betrifft, in zweiter Linie Interessen Dritter, die aber gewiss nichts mit der Haftungsbeschränkung zu tun haben. Kurzum: Der Umstand, dass die GmbH als juristische Person verselbstständigt ist, während der Gesamthandspersonengesellschaft, ungeachtet ihrer heute nicht mehr streitigen Rechtsfähigkeit11, die Eigenschaft einer juristischen Person nach herrschender und zutreffender Ansicht fehlt12, kann den Ausschlag nicht geben. Wenn die nicht mehr revidierbare, deshalb heute unangreifbare Rechtsfortbildung der analogen Anwendung des Beschlussmängelrechts der AG auf die GmbH sinnvoll und vernünftig ist, kann nichts anderes für die rechtsfähige Personengesellschaft gelten. Auch dass die GmbH im Gegensatz zur Gesamthandspersonengesellschaft als Körperschaft bezeichnet wird, hebt nur den Aspekt hervor, dass die GmbH juristische Person und insofern von ihren ←23 | 24→Mitgliedern in weit höherem Maße rechtlich verselbstständigt ist als die Mitglieder einer Gesamthandspersonengesellschaft. Da dieses Kriterium aber eine ungleiche Behandlung von Beschlussmängeln des Organs Gesellschafterversammlung nicht plausibel zu erklären vermag, kommt es auf das Kriterium einer Körperschaft gerade nicht an.

Der 72. Deutsche Juristentag (DJT), der im Jahre 2018 in Leipzig stattfand, hat deshalb sehr konsequent empfohlen, das Beschlussmängelrecht der AG nicht nur auf die juristischen Personen AG, GmbH, Genossenschaft und Verein zu beziehen, sondern namentlich auch auf die rechtsfähigen Personengesellschaften. Die Minorität im Schrifttum, die dies schon bisher empfohlen hatte13, hat damit im DJT hohe Akzeptanz erfahren. Der Beschlussvorschlag des DJT, bzgl. eines einheitlichen rechtsformübergreifenden Beschlussmängelsystems, wurde mit 55 zu zwei Stimmen bei einer Enthaltung angenommen. Der Beschlussvorschlag, dabei die bereits im aktienrechtlichen Beschlussmängelrecht verankerte Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit beizubehalten, wurde mit 52 zu vier Stimmen bei drei Enthaltungen angenommen.14

Inzwischen wurde eine Expertenkommission eingesetzt, um eine Reform des Beschlussmängelrechts rechtsformübergreifend zu erarbeiten. Die Frage, ob man vor dem Abschluss der Arbeiten dieser Kommission eine Monographie zu diesem Thema wagen sollte, ist schon vor dem Hintergrund zu bejahen, dass mit endgültigen Ergebnissen, namentlich auch im Sinne entsprechender Gesetzgebung und Judikatur, erst in mehreren Jahren zu rechnen sein wird. Darüber hinaus wird hier der Versuch unternommen, Gemeinsamkeiten aller Gesellschafterbeschlüsse aufzuzeigen, die es rechtfertigen, zu einem einheitlichen Beschlussmängelrecht womöglich schon de lege lata zu gelangen. Die bisher bestehenden Ungereimtheiten, die etwa bei der Frage der Reichweite der Analogie der §§ 241 ff. AktG im Recht der GmbH bestehen, sind mithilfe zutreffender dogmatischer Einordnung des Organaktes Gesellschafterbeschluss aufzulösen. Erkennt man weiter, dass der Schlüssel zur Lösung bei dieser dogmatischen Einordnung des Organaktes Gesellschafterbeschluss liegt, den das Organ Gesellschafterversammlung mit Wirkung für seinen jeweiligen rechtsfähigen Verband trifft, ist der Schritt zu einer analogen Anwendung des Beschlussmängelrechts der AG auf die Gesamthandspersonengesellschaft nicht mehr weit. Insofern muss es überraschen, dass die Rechtsfortbildung insoweit bei der GmbH Halt ←24 | 25→gemacht und noch nicht einmal die Publikumsgesellschaft der GmbH & Co. KG erreicht hat, bei welcher die entsprechende Anwendung der §§ 241 ff. AktG wesentlich näher liegt als bei einer gewöhnlichen GmbH mit einem kleinen und überschaubaren Mitgliederkreis.

Vor diesem Hintergrund steht als erstes die Aufgabe an, die Entstehungsgeschichte des Beschluss- bzw. des Beschlussmängelrechts sowie die Systematik der prozessualen Geltendmachung der Beschlussmängel in allen rechtsfähigen Verbänden des Privatrechts zu durchleuchten und dabei insbes. auf die Bedeutung der Beschlussfeststellung einzugehen, um sodann den Organakt des Gesellschafterbeschlusses dogmatisch zutreffend einzuordnen.

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1 Zur Organqualität der Gesellschafterversammlung in der GmbH: Hüffer, FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 521 ff.

2 RGZ 166, 129, 131 ff.

3 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 6/3088, S. 53 ff.

4 Fehrenbach, Der fehlerhafte Gesellschafterbeschluss, 2011; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck (Hrsg.), GmbHG, 212017, Anh. § 47 Rn. 3 ff.; Raiser, in: Ulmer/Habersack/Löbbe (Hrsg.), GmbHG, 22014, Anh. § 47 Rn. 4 ff.; Noack, Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen, 1989, S. 103 ff., 113 ff.; Fleischer, GmbHR 2013, 1289; Zöllner/Noack, ZGR 1989, 525.

5 Noack, GmbHR 2017, 792, 794: „Messe ist gelesen“.

6 Fehrenbach, Der fehlerhafte Gesellschafterbeschluss, 2011, S. 117 ff.

7 Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 1891, S. 69 (zu § 46): „Einschränkende Bestimmungen über die formellen Voraussetzungen des Anfechtungsrechts, wie im Artikel 190a des Aktiengesetzes (…) mit Rücksicht auf die große Zahl der Mitglieder getroffen werden, können hier als entbehrlich betrachtet werden“.

8 Flume, BGB AT I/ 2, 1983, S. 61 f.

9 Schmidt, Gesellschaftsrecht, 42002, S. 448 mwN.

10 Flume, BGB AT I/ 2, 1983, S. 61 f.

11 BGHZ 146, 341.

12 Vgl. aber Heusler, Institutionen des Deutschen Privatrechts, Bd. 1, 1885, S. 224, 255 f.: Personengesellschaften, die „sich gegenüber den vergänglichen Interessen und dem veränderlichen Willen der momentan Betheiligten unabhängig und selbstständig gestalten“, sind juristische Personen; Affolter, in: Kohler/Ring (Hrsg.), Archiv für Bürgerliches Recht, Bd. 5, 1891, S. 1, 5 ff.: Gesamthandsgesellschaften sind juristische Personen; Kohler, ZHR 74 (1913), 456, 457 f.; Kämmerer, NJW 1966, S. 801 ff.; Raiser, FS Zöllner, 1998, S. 469, 486: „Die Gesamthandsgesellschaft als rechtsdogmatische Kategorie ist daher funktionslos und überflüssig geworden. Ihre Geschichte ist am Ende.“

13 Schmidt, FS Stimpel, 1985, S. 217, 236 mwN.

14 Empfehlungen des 72. DJT, III Nr. 14, 15; vgl. auch Koch, Gutachten F, 72. DJT, 2018, S. 68 ff.

Details

Seiten
220
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631799482
ISBN (ePUB)
9783631799499
ISBN (MOBI)
9783631799505
ISBN (Paperback)
9783631796511
DOI
10.3726/b16035
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (September)
Schlagworte
Dogmatik des Gesellschafterbeschlusses Aktienrechtliches Beschlussmängelsystem Beschlussmängelrecht Qualifizierter Versammlungsleiter Beschlussfeststellungskompetenz Beschlussfeststellung Organakt Rechtsnatur des Gesellschafterbeschlusses
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 220 S.

Biographische Angaben

Laura Gerauer (Autor:in)

Laura Gerauer studierte Rechtswissenschaften an der Universität Passau. Zuletzt war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Passau tätig.

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Titel: Die Dogmatik des Gesellschafterbeschlusses
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