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Internetzugang für Strafgefangene zwischen Resozialisierung und Sicherheit

von Lorenz Bode (Autor:in)
©2020 Dissertation 314 Seiten

Zusammenfassung

Die Frage des Internetzugangs für Strafgefangene betrifft paradigmatisch das Grunddilemma des Strafvollzugs: Zu Gunsten der späteren Wiedereingliederung des Gefangenen soll einerseits das intramurale Leben den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit wie möglich angepasst werden und ihm sollen Fertigkeiten vermittelt werden, die ihn befähigen, nach Entlassung ein Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung zu führen. Andererseits hat der Vollzug die Sicherheit und Ordnung der Anstalt sowie den äußeren Schutz der Allgemeinheit zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund untersucht der Autor systematisch den Zugang zum Internet und seine Nutzung durch Strafgefangene und aktualisiert den bisherigen Diskussionsstand.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhalt
  • Abkürzungsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • B. Forschungsanliegen und Untersuchungsgang
  • I. Forschungsanliegen
  • II. Untersuchungsgang
  • C. Internetnutzung in der Bevölkerung
  • I. Begriffliche Klärungen
  • II. Trends in der heutigen Internetnutzung
  • 1. ARD/ZDF-Online-Studie
  • 2. Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts zur Internetnutzung
  • a) Fachserie 15 Reihe 2
  • b) Fachserie 15 Reihe 4
  • III. Wichtige Internetdienste im Überblick
  • 1. World Wide Web
  • 2. E-Mail
  • 3. Echtzeitdienste
  • 4. Soziale Netzwerke
  • 5. Zusammenfassung
  • IV. Zur gesellschaftlichen Bedeutung des Internets
  • 1. Veränderungen der Informationswelt
  • a) Wirkung des Internets auf andere Informationsmedien
  • b) Entwicklung hin zur internetbasierten Informationsgesellschaft
  • 2. Veränderungen durch internetbasierte Kommunikation
  • a) Internetsprache und digitale Kommunikation
  • b) Soziale Interaktion und gesellschaftliche Integration
  • 3. Internetzugang als Teil der Grundversorgung
  • a) Entscheidung des BVerfG vom 27.2.2008
  • b) Entscheidung des BGH vom 24.1.2013
  • c) Pfändungsschutz
  • d) Beschlagnahme
  • 4. Wertende Zusammenfassung
  • V. Gefahren des Internets
  • 1. Internet als Medium für Straftaten
  • 2. Weitere Risiken der Internetnutzung
  • 3. Wertende Zusammenfassung
  • D. Herkömmlicher Medienzugang im Strafvollzug
  • I. Gestaltungsgrundlagen
  • 1. Vollzugsziel und Vollzugsaufgabe
  • 2. Mindestgrundsätze für die Vollzugsgestaltung
  • a) Angleichungsgrundsatz
  • b) Gegensteuerungsgrundsatz
  • c) Integrationsgrundsatz
  • d) Öffnungsgrundsatz
  • II. Klassische Medienformate
  • 1. Telefonische Kommunikation
  • 2. Bezug von Zeitungen und Zeitschriften
  • 3. Hörfunk und Fernsehen
  • 4. Gegenstände zur Freizeitbeschäftigung
  • 5. Bewertung
  • a) Erweiterung des Medienzugangs
  • aa) Telefonische Außenkontakte
  • bb) Freizeitmedien
  • b) Zulassungsvoraussetzungen
  • c) Sicherheitsbedingte Einschränkungen
  • 6. Thesen für die Internetnutzung im Strafvollzug
  • III. Errichtung eines Internetzugangs für Strafgefangene
  • 1. Zum Verhältnis von Freiheitsstrafe und digitalen Freiheiten
  • a) Grundsätzliches zur historischen Entwicklung von Freiheitsstrafe und Strafvollzug
  • b) Internetfreiheit trotz Freiheitsstrafe?
  • aa) Inhaltliche Konzeption
  • (1) Auffassungen im Schrifttum
  • (2) Internationale und verfassungsrechtliche Vorgaben
  • bb) Vollzugssystematische Implikationen
  • (1) Teleologische Konkretisierung des Vollzugsziels
  • (2) Vollzugsrechtliche Regelungen
  • cc) Zusammenfassung
  • c) Ergebnis
  • 2. Vereinbarkeit des Internetzugangs für Strafgefangene mit Vollzugsziel und Vollzugsaufgabe
  • a) Resozialisierungschancen
  • aa) Arbeit und Bildung
  • bb) Soziale Außenkontakte
  • cc) Freizeitgestaltung
  • dd) Zusammenfassung
  • b) Sicherheitsrisiken
  • aa) Externe Sicherheit
  • bb) Interne Sicherheit und Gefahren für den Gefangenen
  • cc) Zusammenfassung
  • c) Abwägende Gegenüberstellung
  • 3. Bedeutung der Gestaltungsgrundsätze
  • a) Internetnutzung und Angleichungsgrundsatz
  • b) Internetnutzung und Gegensteuerungsgrundsatz
  • c) Internetnutzung und Integrationsgrundsatz
  • d) Ergebnis
  • 4. Rechtsprechungsübersicht
  • a) Spielekonsolen
  • b) Personal Computer
  • c) TV-Geräte
  • d) Wertende Stellungnahme
  • aa) Internetfähigkeit als abstrakte Anstaltsgefahr
  • bb) „Gefahr für Sicherheit und Ordnung der Anstalt“ als unbestimmter Rechtsbegriff
  • cc) Auffassungen im Schrifttum
  • 5. Rechtstatsächliche Entwicklungen
  • a) Projekt „Planet-Tegel“
  • b) „eLis“ – eLearning im Strafvollzug
  • c) Online-Studium in Kooperation mit der FernUniversität Hagen
  • d) „Crimeic“ – Onlinebegleitung im Strafvollzug
  • e) Projekt „Podknast“
  • f) „Resozialisierung durch Digitalisierung“ im Berliner Justizvollzug
  • IV. Fazit
  • E. Einfachgesetzliche Grundlagen eines Internetzugangs für Strafgefangene
  • I. Einzelne landesgesetzliche Bestimmungen
  • 1. Bundesländer ohne eigenständige Regelungen zur Internetnutzung
  • a) Baden-Württemberg
  • b) Bayern
  • 2. Bundesländer mit eigenständigen Regelungen zur Internetnutzung
  • a) Musterentwurfländer
  • aa) Gemeinsamkeiten
  • bb) Unterschiede
  • (1) Sachsen-Anhalt
  • (2) Schleswig-Holstein
  • b) Hamburg
  • c) Hessen
  • d) Niedersachsen
  • e) Nordrhein-Westfalen
  • II. Synopse der Landesbestimmungen
  • 1. Regelungsbereich
  • 2. Zum Begriff „Andere Formen der Telekommunikation“
  • a) Gegenansicht Straßer
  • b) Gegenansicht Heuchemer
  • 3. Zulassungsverfahren
  • 4. Zusätzliche Beschränkungsmöglichkeiten
  • 5. Kostentragung
  • 6. Verwaltungsvorschriften
  • 7. Bundesländer ohne eigenständige Regelung
  • III. Typen der Ausgestaltung
  • IV. Praktische Probleme
  • F. Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte einer Internetnutzung durch Strafgefangene
  • I. Grundrechte im Strafvollzug
  • II. Grundgesetzliche Bedeutung der Internetnutzung für die Lebensführung
  • III. Grundrechtlicher Anspruch auf Internetzugang für Strafgefangene
  • 1. Originäre Leistungsansprüche aus Grundrechten
  • 2. Grundrechtlicher Schutz von Internetnutzung durch Strafgefangene
  • a) Meinungsfreiheit
  • b) Informationsfreiheit
  • c) Resozialisierungsgebot
  • d) Ergebnis
  • 3. Originärer Leistungsanspruch aus der Informationsfreiheit
  • a) Auslegung des Grundrechts
  • b) Andernfalls drohende Gefahr des Leerlaufens
  • c) Vorbehalt des Möglichen und Kostentragungspflicht
  • 4. Ergebnis
  • IV. Grenzen des Internetzugangs
  • 1. Gesetzliche Schranken
  • 2. Einschränkungen und Ausschlussgründe
  • a) Wahrung der Sicherheitsinteressen
  • aa) Sicherheit der Allgemeinheit als verfassungsrechtlich verankerte Aufgabe
  • bb) Sicherheit und Ordnung der Anstalt
  • cc) Gefahrenpotential bei Internetnutzung durch Strafgefangene
  • b) Abwägung zwischen Sicherheitsinteressen und Informationsbedürfnis der Strafgefangenen
  • aa) Vergleich mit der Rechtsprechung zu § 70 StVollzG
  • bb) Schlussfolgerungen für die Internetnutzung
  • c) Ergebnis
  • V. Anspruchsumfang
  • VI. Fazit
  • G. Internetzugang im Kontext internationaler Vorgaben
  • I. Völker- und menschenrechtliche Grundlagen für die Nutzung des Internets
  • 1. Berichte des UN-Sonderberichterstatters zur Meinungs- und Informationsfreiheit
  • a) Bericht vom 16.5.2011 (A/HRC/17/27)
  • b) Bericht vom 10.8.2011 (A/66/290)
  • c) Bericht vom 17.4.2013 (A/HRC/23/40)
  • d) Bericht vom 22.5.2015 (A/HRC/29/32)
  • e) Bericht vom 11.5.2016 (A/HRC/32/38)
  • 2. Resolutionen
  • a) Resolution des UN-Menschenrechtsrats zur Förderung, Sicherung und Ausübung von Menschenrechten im Internet vom 20.6.2014 (A/HRC/26/L.24)
  • b) Resolution 1987 des Europarats „The right to Internet access“ aus dem Jahr 2014
  • c) Resolution des UN-Menschenrechtsrats zur Förderung, Sicherung und Ausübung von Menschenrechten im Internet vom 27.6.2016 (A/HRC/32/L.20)
  • 3. Vorschlag einer Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union
  • 4. Fazit
  • II. Im Besonderen: EMRK und Europäische Strafvollzugsgrundsätze
  • 1. Internationale Standards und deutscher Strafvollzug
  • 2. Judikate des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
  • a) EGMR, Urteil vom 19.1.2016 – 17429/10: Kalda/Estland
  • aa) Internetzugang und Art. 10 EMRK
  • bb) Zugangsbeschränkungen
  • cc) Gerichtliche Entscheidung
  • b) EGMR, Urteil vom 17.1.2017 – 21575/08: Jankovskis/Litauen
  • aa) Bedeutung des Internets
  • bb) Vollzuglicher Gefährdungsmaßstab versus Resozialisierungspotential
  • c) Stellungnahme
  • 3. Europäische Strafvollzugsgrundsätze
  • III. Beispiele aus dem Ausland
  • 1. EU-Projekt LICOS
  • 2. EU-Projekt EuroPris
  • 3. Strafvollzugliche Internetnutzung im europäischen Ausland
  • a) Norwegen
  • b) England und Wales
  • c) Dänemark
  • d) Belgien
  • 4. Strafvollzugliche Internetnutzung im nordamerikanischen Raum
  • a) Trust Fund Limited Inmate Computersystem (TRULINCS), USA
  • b) Annual Report of the Office of the Correctional Investigator 2015–2016, Kanada
  • IV. Zusammenfassende Darstellung
  • H. Rechtliche und praktische Schlussfolgerungen
  • I. Überlegungen zur praktischen Umsetzung
  • 1. Gerätetechnische Lösungen
  • 2. Zeitlicher Umfang der Nutzung
  • 3. Kosten
  • a) Nutzungsentgelt
  • b) Umbau- und Sicherungskosten
  • 4. Kontrolle
  • 5. Sicherheitsfragen
  • 6. Datenschutz
  • II. Zur (künftigen) rechtlichen Ausgestaltung
  • 1. Schlussfolgerungen de lege lata
  • a) Bundesländer mit Regelungen zur Internetnutzung
  • aa) Ermessensreduktion kraft Informationsfreiheit
  • bb) Sonderfall: Ermessensreduzierung auf „Null“
  • cc) Ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift
  • b) Bundesländer ohne Regelungen zur Internetnutzung
  • aa) Analoge Anwendung der Regelungen zur Gefangenentelefonie
  • bb) Ermessensreduzierung auf „Null“
  • c) Ergebnis
  • 2. Schlussfolgerungen de lege ferenda
  • 3. Zusammenfassung
  • Tabellenverzeichnis
  • Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

a. F. alte Fassung
Abs. Absatz
abw. abweichend
Alt. Alternative
Anm. Anmerkung
ARD Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland
Art. Artikel
Aufl. Auflage
Az. Aktenzeichen
Beck-Rs Beck-Rechtsprechung
Begr. Begründung
Beschl. Beschluss
Bespr. Entscheidungsbesprechung
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl. Bundesgesetzblatt
BGH Bundesgerichtshof
bspw. beispielsweise
BT-Drucks. Bundestagsdrucksache
BVerfG Bundesverfassungsgericht
BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerfGG Bundesverfassungsgerichtsgesetz
BVerfGK Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerwG Bundesverwaltungsgericht
bzgl. bezüglich
bzw. beziehungsweise
ca. circa
d. h. das heißt
ders. derselbe Autor (bei Aufzählung mehrerer Werke desselben Autors)
Diss. Dissertation
DSL Digital Subscriber Line
EDV Elektronische Datenverarbeitung
EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Einl. Einleitung←19 | 20→
EMRK Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
EU Europäische Union
f. die angegebene und die folgende Seite
FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung
ff. die angegebene und die beiden folgenden Seiten
Fn. Fußnote
GBl. Gesetzblatt
gem. gemäß
GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
ggf. gegebenenfalls
GVBl. Gesetz- und Verordnungsblatt
Habil. Habilitation
Hg. Herausgeber (Singular)
Hrsg. Herausgeber (Plural)
HS. Halbsatz
HTTP Hypertext Transfer Protocol
i.V.m. in Verbindung mit
i.R.d. im Rahmen der/des
i.R.v. im Rahmen von
i.S.v. im Sinne von
IT Informationstechnik
JVA Justizvollzugsanstalt
KG Kammergericht
krit. kritisch
LG Landgericht
LT-Drucks. Landtagsdrucksache
m.w.N. mit weiteren Nachweisen
ME Musterentwurf zum Landesstrafvollzugsgesetz
ME-Begr. Begründung zum Musterentwurf
NRW Nordrhein-Westfalen
OLG Oberlandesgericht
OVG Oberverwaltungsgericht
Rn. Randnummer
S. Seite/Satz
s. siehe
sog. so genannte(r)
StGB Strafgesetzbuch
StPO Strafprozessordnung←20 | 21→
StVollstrO Strafvollstreckungsordnung
StVollzG Bundesstrafvollzugsgesetz
StVollzÄndG Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes
u. a. unter anderem
UN Vereinten Nationen
Urt. Urteil
USB Universal Serial Bus
usw. und so weiter
v. vom, von
vs. versus
VG Verwaltungsgericht
VGH Verwaltungsgerichtshof
vgl. vergleiche
VO Verordnung
VV Verwaltungsvorschriften
VwGO Verwaltungsgerichtsordnung
VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz
z. B. zum Beispiel
z. T. zum Teil
ZDF Zweites Deutsches Fernsehen
ZPO Zivilprozessordnung

Für das Schrifttum verwendete Abkürzungen finden sich, sofern nicht explizit im Text eingeführt, im Literaturverzeichnis erklärt.

Im Interesse der Lesbarkeit wird in der Folge das generische Maskulinum verwendet.

A. Einleitung

Kaum eine Persönlichkeit von großem politischen Einfluss dürfte so lange Zeit in Haft verbracht haben wie Nelson Mandela und die psychische und körperliche Wirkung von deren Bedingungen so klarsichtig erkannt haben. Mandelas Worte tragen daher ein großes Gewicht, wenn er feststellt: „Eine Nation kennt man erst dann wirklich, wenn man in ihren Gefängnissen gewesen ist. Eine Nation sollte nicht danach beurteilt werden, wie sie ihre höchsten Bürger behandelt, sondern ihre niedrigsten – und Südafrika behandelt seine inhaftierten Bürger wie Tiere“1.

Nun ist zwar das im Deutschland der Gegenwart geltende Recht – glücklicherweise – weit von den Verhältnissen entfernt, die zur Zeit von Mandelas Inhaftierung in Südafrika vorherrschten. Dennoch hat Mandelas Einsicht nicht nur im Südafrika der Apartheid Geltung, sondern überall dort, wo das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit und Individualinteresse des Bürgers in ein Spannungsverhältnis treten.2 Das ist auch im Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland der Fall. Der gesamte Vollzugsalltag wird begleitet von einem ständigen Konflikt zwischen zwei Zielsetzungen: dem Ziel der Resozialisierung des Gefangenen einerseits und dem des Schutzes der Allgemeinheit andererseits.3

Vor diesem Hintergrund ist der Umstand, dass Strafgefangene bisher kaum das Internet nutzen dürfen, kritisch zu behandeln. Auch im Falle der vollzuglichen Internetnutzung tut sich insoweit ein Spannungsverhältnis auf,4 für dessen Auflösung es – unter Berücksichtigung verfassungsrechtlich relevanter Schutzgüter – einer sorgsamen Abwägung zwischen staatlichen Sicherheitsbedürfnissen und individuellen Rechten des Gefangenen bedarf5.

←23 | 24→

Dabei gelten die deutschen Haftanstalten, was den Fortschritt in Technik und Medien angeht, schon lange als vom digitalen Wandel der Gesellschaft ausgeschlossen.6 Daraus resultierende Unterschiede zwischen „Bürgern der Außenwelt“ und „Bürgern in Haft“ wachsen mit jedem Tag beständig, weshalb sich die Frage aufdrängt, wie lange Inhaftierte noch damit leben müssen, dass sie zum „digitalen Analphabetentum“ verurteilt sind.7

Diese Frage ist deshalb von zentraler Bedeutung, weil sie offenbart, wie wichtig ein rationaler Diskurs zum Umgang mit dem Internet im Strafvollzug nicht nur für die betroffenen Akteure, sondern auch in gesamtgesellschaftlicher Hinsicht sein kann.8

Zuletzt hatte sich Florian Knauer in seiner Arbeit „Internet und Strafvollzug. Rechtsprobleme der Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel durch Strafgefangene“ eingehend mit diesem vielschichtigen Themenfeld befasst. Zwischen dem damaligen Erkenntnisstand und der Gegenwart liegen mittlerweile 12 Jahre digitaler Fortschritt sowie eine grundlegende Novellierung9 im Bereich des Strafvollzugs. In Anbetracht dieser tiefgreifenden Entwicklungen erscheint es – mehr denn je – notwendig, das Thema erneut zu fokussieren.10

←24 | 25→

1 Mandela 2006, S. 256.

2 Jehle 2014, S. 165, 167.

3 SBJL/Jehle 2019 (im Druck), 1 C Rn. 11; Hohmann-Fricke/Jehle, FS 2017, 116, 116–117; LNNV/Neubacher, B Rn. 26; Kett-Straub/Streng 2016, S. 22–23; Kudlich, JA 2003, 704, 705 ff.; Kaiser/Kerner/Schöch 1991, S. 143; Kapitel D.I.1; vgl. auch Bode, in: Medien – Kriminalität – Kriminalpolitik 2018, S. 84–85; ders., FS 2018, 219, 219–220; ders., Der Einsatz internetbasierter Medien im Strafvollzug (im Erscheinen).

4 In diesem Sinne bereits Galli/Weilandt, FS 2014, 14, die von einem „Urkonflikt“ sprechen; ähnlich Knauer 2006, S. 2 ff.; vgl. Kapitel D.III.2; vgl. auch Bode, in: Kriminologische Welt in Bewegung 2018, S. 579; vgl. auch ders., in: Medien – Kriminalität – Kriminalpolitik 2018, S. 84–85; ders., FS 2018, 219, 219–220; ders., Der Einsatz internetbasierter Medien im Strafvollzug (im Erscheinen).

5 Jehle 2014, S. 165; SBJL/ders. 2019 (im Druck), 1 A Rn. 15: „auch im Strafvollzug sind grundrechtliche Garantien für den Alltag bindend“; ähnlich schon Kaiser/Kerner/Schöch 1991, S. 152–154; Kudlich, JA 2003, 704, 705 ff.; vgl. Kapitel F; vgl. auch Bode, in: Medien – Kriminalität – Kriminalpolitik 2018, S. 89, 101–102; ders., BAG S 2018, 4; ders., Der Einsatz internetbasierter Medien im Strafvollzug (im Erscheinen).

6 Gruber, Häftlinge sind offline, zeit-online vom 15.9.2013, abrufbar unter http://www.zeit.de/digital/internet/2013-09/internet-gefaengnis-jva-tegel, zuletzt abgerufen am 1.12.2018; „Kluft zwischen der digitalen und der vollzuglichen Welt“: Theine, FS 2014, 161, 162.

7 Gruber, Häftlinge sind offline, zeit-online vom 15.9.2013, abrufbar unter http://www.zeit.de/digital/internet/2013-09/internet-gefaengnis-jva-tegel, zuletzt abgerufen am 1.12.2018; Justizvollzugsbeauftragter des Landes NRW 2015, S. 2 des Vorworts sowie S. 127; „Unzweifelhaft die größte Herausforderung für den Vollzug“: Gerlach, FS 2014, 141; Theine, FS 2014, 161, 162; Thiele 2016, S. 192–193, 197; Knauer 2006, S. 2–3; vgl. auch Bode, Der Einsatz internetbasierter Medien im Strafvollzug (im Erscheinen).

8 Vgl. nur IBI 2011, S. 22.

9 BGBl. I 2006, S. 2035 (Neufassung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG im Zuge der Föderalismusreform I); instruktiv Cornel, NK 2018, 16, 16–17; Kett-Straub/Streng 2016, S. 2–3 m.w.N.

10 Jüngst dazu Esser, NStZ 2018, 121, 127: „Internet im Strafvollzug – die Zeit ist reif!“; IBI 2011, S. 9; vgl. auch Bode, in: Medien – Kriminalität – Kriminalpolitik 2018, S. 84; ders., Der Einsatz internetbasierter Medien im Strafvollzug (im Erscheinen).

B. Forschungsanliegen und Untersuchungsgang

Diese Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, die Möglichkeit des Internetzugangs für Strafgefangene während ihrer Haftzeit im geschlossenen Vollzug systematisch zu untersuchen. Schon bei einer ersten Annäherung an das Thema wird augenfällig, dass es sich um eine hoch aktuelle Materie handelt, die nicht nur durch jüngere Pilotprojekte, sondern auch durch einen sichtbaren Reformwillen innerhalb der Länder zunehmend in Bewegung gerät11. Gleichzeitig bildet die Ausgestaltung des Internetzugangs nach wie vor einen Bereich des Vollzugs, der von behördlicher Seite standardmäßig restriktiv behandelt wird.12 Im Wege der nachfolgenden Analyse gilt es, das sich hierbei auftuende Spannungsfeld zwischen Resozialisierung und Sicherheit zu erkunden.

I. Forschungsanliegen

Auf gesellschaftlicher Ebene betrachtet liegt eine besondere Schwierigkeit zunächst darin, dass sich die generelle Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung für die Frage des Internetzugangs für Strafgefangene erhöhen muss.13 Die vielen erfolgreich verlaufen(d)en Pilotprojekte senden bereits wichtige Signale; problematisch ist indes, dass das medial vermittelte Bild weiterhin Vorbehalte enthält, die sich zuweilen in Form von reflexhaften Sicherheitsappellen oder populistischen Forderungen kundtun.14 Solche polemischen Äußerungen lassen sich immer dann verstärkt beobachten, wenn bei öffentlichen Debatten in monetärer ←25 | 26→Hinsicht vollzugliche Modernisierungsforderungen in Konkurrenz zu anderen staatlichen Projekten – etwa der technischen Ausstattung von Universitäten oder Schulen – treten.

Exemplarisch hierfür findet sich zum Artikel „Häftlinge sind offline“ von Angela Gruber ein unter dem Pseudonym „Humanist“ verfasster Leserkommentar mit folgendem Inhalt:

„Internet für Straftäter

‚Doch wie sollen digitale Analphabeten nach der Haft zurechtkommen?‘

Viele Häftlinge haben auch kein Führerschein und nach der Haft kaum Mobilität, soll der Staat ihnen also auch ein Führerschein und Auto bezahlen? Wer im Gefängnis sitzt hat etwas verbrochen, und für dieses Verbrechen müssen sie logischerweise auch büßen. Und es ist keine Buße wenn man ein Fernseher, Spielekonsolen und Klimaanlagen bekommt, all das brauchen Hotels schon um 5 Sterne zu kriegen.

Es gibt in Deutschland auch Schulen die weder Computer noch Internet haben, und die haben ebenfalls nichts angestellt. Alleine die Überlegung, Internet im Knast, ist absurd und entbehrt jeglicher Grundlage, eine Strafe sollte nich zu einer Belohnung umgewandelt werden. Sonst verlangt man als nächstes Massagen und Frühstück ans Bett.

Details

Seiten
314
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631806333
ISBN (ePUB)
9783631806340
ISBN (MOBI)
9783631806357
ISBN (Paperback)
9783631799758
DOI
10.3726/b16325
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (November)
Schlagworte
Strafvollzug Internetnutzung Wiedereingliederung Medienzugang Strafgefangene
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020., 314 S., 3 Tab.

Biographische Angaben

Lorenz Bode (Autor:in)

Lorenz Bode studierte Rechtswissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen, wo auch die Promotion erfolgte. Seit 2018 ist er Referendar im Bezirk des OLG Düsseldorf.

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Titel: Internetzugang für Strafgefangene zwischen Resozialisierung und Sicherheit
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