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Fahrzeugdiagnose und Erfahrung

Ein Kompetenzmodell zur Aufklärung beruflichen Diagnosehandelns

von Tim Richter (Autor:in)
©2020 Dissertation 432 Seiten

Zusammenfassung

Das Ziel von Kfz-Diagnosearbeit ist es, die Ursache(n) einer oder mehrerer Abweichung(en) vom Fahrzeug-Sollzustand zu identifizieren und zielführende Reparaturmaßnahmen zu definieren. Um das Wissen und Können der Kfz-Diagnoseexpertinnen und Kfz-Diagnoseexperten erschließen und die Erkenntnisse unter anderem für die Gestaltung von Lehr-Lern-Arrangements in der Berufsbildung nutzen zu können, wurde eine qualitative Untersuchung durchgeführt. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass das Handeln der Kfz-Diagnoseexperten unterschiedlichen Diagnosestrategien folgt und sich das Erfahrungswissen bei der Störungsdiagnose an modernen Fahrzeugen als ein besonderes Potenzial und Vermögen der Kfz-Diagnoseexperten erweist. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wird ein Kompetenzmodell vorgestellt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Dankesworte
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Zielsetzung der Arbeit
  • 1.2 Aufbau der Arbeit
  • 2 Der Forschungsgegenstand: Kfz-Diagnosearbeit
  • 2.1 Die Kfz-Diagnose als Bestandteil der Kfz-Instandsetzung
  • 2.2 Das zu diagnostizierende Fahrzeug als technisch komplexes System
  • 2.3 Arbeits- und Informationsmittel in der Kfz-Werkstatt
  • 2.4 Kfz-Diagnoseexperte als Fachkräfte der Kfz-Diagnose
  • 2.5 Zusammenfassung
  • 3 Problemanalyse: Veränderung der externen Bedingungen der Kfz-Diagnosearbeit
  • 3.1 Einflüsse der technischen Komplexität auf die Kfz-Diagnosearbeit
  • 3.2 Einflüsse der Variantenvielfalt auf die Kfz-Diagnosearbeit
  • 3.3 Grenzen der automatisierten Fahrzeugdiagnose und Auswirkungen auf die Kompetenzentwicklung
  • 3.4 Zusammenfassung
  • 4 Fragestellungen und Forschungskonzept
  • 4.1 Stand der Forschung
  • 4.2 Wissenschaftliche Relevanz der Thematik
  • 4.2.1 Beitrag zur lern- und kompetenzförderlichen Arbeitsgestaltung in Kfz-Werkstätten
  • 4.2.2 Beitrag zur Gestaltung von Lehr- und Lern-Arrangements in der beruflichen Ausbildung zur Kraftfahrzeugmechatronikerin und zum Kraftfahrzeugmechatroniker
  • 4.2.3 Beitrag zur Messung von Kfz-Diagnosekompetenz
  • 4.3 Untersuchungsleitende Fragestellungen und Eingrenzung der Untersuchung
  • 4.4 Methodischer Ansatz zur Untersuchung des Arbeitshandelns von Kfz-Diagnoseexpertinnen und Kfz-Diagnoseexperten
  • 4.4.1 Theoriebasierte Exploration der Kfz-Diagnosearbeit
  • 4.4.2 Qualitative Untersuchung der Kfz-Diagnosearbeit
  • 4.5 Gütekriterien
  • 4.6 Zusammenfassung: Konzept zur Untersuchung des Arbeitshandelns der Kfz-Diagnoseexpertinnen und Kfz-Diagnoseexperten
  • 5 Merkmale der Kfz-Diagnosearbeit als eine Form informatorischer Arbeit
  • 5.1 Kfz-Diagnosearbeit als Form informatorischer Arbeit
  • 5.2 Der Arbeitsgegenstand der Kfz-Diagnosearbeit
  • 5.3 Zusammenfassung
  • 6 Merkmale des Kfz-Diagnoseprozesses
  • 6.1 Der diagnostische Prozess als Problemlöseprozess
  • 6.1.1 Fehlerarten, Fehlerhäufigkeit und Klassifikation von Kfz-Diagnosefällen
  • 6.1.2 Der Problemraum „Fahrzeug-Istzustand“
  • 6.2 Das mentale Modell als Produkt des diagnostischen Prozesses
  • 6.2.1 Zur Theorie der mentalen Modelle: Eigenschaften und Funktionen mentaler Modelle
  • 6.2.2 Zur Bedeutung von mentalen Modellen und mentaler Simulation im Kontext von Facharbeit
  • 6.2.3 Strukturen und Gütekriterien mentaler Kausalmodelle der Kfz-Diagnosearbeit
  • 6.3 Informationsverarbeitungsprozesse der Kfz-Diagnosefachkräfte
  • 6.3.1 Anlässe zur Bildung mentaler Modelle
  • 6.3.2 Informationsverarbeitungsprozesse der Kfz-Diagnosefachkräfte
  • 6.3.3 Zum Prozess der mentalen Modellbildung im diagnostischen Prozess
  • 6.4 Zusammenfassung: Anforderungen der Kfz-Diagnosearbeit
  • 7 Instrumente und Durchführung der qualitativ-empirischen Erhebung
  • 7.1 Konstruktion des Beobachtungs- und Interviewleitfadens für die Arbeitsprozessanalysen
  • 7.2 Konstruktion des Gesprächsleitfadens und Auswertungsstrategie der halbstandardisierten Experteninterviews
  • 7.3 Auswahl der Kfz-Betriebe
  • 7.4 Auswahl der im Arbeitsprozess begleiteten Fachkräfte und Interviewpartner
  • 7.5 Durchführung der Arbeitsprozessanalysen und halbstandardisierten Experteninterviews in den Kfz-Betrieben
  • 7.5.1 Durchführung der Arbeitsprozessanalysen
  • 7.5.2 Durchführung der halbstandardisierten Experteninterviews
  • 8 Ergebnisse der qualitativen Untersuchung
  • 8.1 Strategien bei Kfz-Diagnosefällen mit statischen Fehlern und hoher Auftretenshäufigkeit
  • 8.1.1 Intuitiv-heuristische Kfz-Diagnosestrategie
  • 8.1.2 Intuitiv-besonnene Kfz-Diagnosestrategie
  • 8.1.3 Zum intuitiven Erfassen von Kfz-Diagnosefällen mit einer hohen Auftretenshäufigkeit – „… weil jede Fehlersuche ist irgendwann mal gelernt worden.“
  • 8.2 Strategien bei Kfz-Diagnosefällen mit statischen Fehlern und niedriger Auftretenshäufigkeit
  • 8.2.1 Strategie der flexiblen Mensch-Diagnosesystem-Kollaboration – „Ich kann mich nicht immer stur darauf verlassen, was mein Tester sagt.“
  • 8.2.2 Fallbasierte Kfz-Diagnosestrategie – „Dann ist das Nächste ja TPI …“
  • 8.2.3 Erfahrungswissenbasierte Kfz-Diagnosestrategie – „In erster Linie ist das Erfahrung.“
  • 8.2.4 Systematische Kfz-Diagnosestrategie – „Dann kriegt man den so langsam müde gejagt, den Fehler.“
  • 8.2.5 Strategie der kollaborativen Kfz-Diagnose – „Wenn ich mit meiner Logik nicht mehr weiterkomme …“
  • 8.3 Strategien bei Kfz-Diagnosefällen mit intermittierenden oder transienten Fehlern
  • 8.3.1 Strategien bei nachvollziehbaren und reproduzierbaren Funktionsstörungen: Rückführung auf Kfz-Diagnosestrategien für statische Fehler
  • 8.3.2 Strategien bei nachvollziehbaren, aber nicht reproduzierbaren Funktionsstörungen: Wahrnehmungsgeleitet-explorative Kfz-Diagnosestrategie
  • 8.3.3 Strategien bei nicht nachvollziehbaren und nicht reproduzierbaren Funktionsstörungen: Kundeneinbindende Strategie, Strategie des Abwartens und Strategie des gezielten Versuchens
  • 8.4 Unterscheidung der Vorgehensweisen der Kfz-Diagnoseexperten
  • 8.5 Erfahrungsgeleitet-subjektivierendes und objektivierendes Arbeitshandeln bei der Störungsdiagnose an modernen Fahrzeugen
  • 8.5.1 Arten des Vorgehens
  • 8.5.2 Sinnliche Wahrnehmung
  • 8.5.3 Arten des Denkens
  • 8.5.4 Beziehung zu bereichsspezifischen Gegenständen
  • 8.5.5 Zusammenfassung: Störungsdiagnose an Fahrzeugen als objektivierendes und erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln
  • 8.6 Zusammenfassung: Das Arbeitshandeln der Kfz-Diagnoseexperten
  • 9 Ein Modell zur Beschreibung von Kfz-Diagnosekompetenz
  • 9.1 Zum Begriff beruflicher Kompetenz
  • 9.2 Ein allgemeines Kompetenzmodell für gewerblich-technische Berufe
  • 9.2.1 Grundlegender Aufbau und Prinzipien des Kompetenzmodells
  • 9.2.2 Anforderungssituationen zur Beschreibung der externen Bedingungen
  • 9.2.3 Interne Bedingungen zum Arbeitshandeln
  • 9.2.4 Kompetenz als Folge des Zusammenspiels von externen und internen Bedingungen
  • 9.2.5 Gemeinsamkeiten mit und Unterschiede zu anderen Kompetenzmodellen
  • 9.3 Ein Kompetenzmodell für Kfz-Diagnosefachkräfte
  • 9.3.1 Externe Bedingungen der Kfz-Diagnosearbeit
  • 9.3.2 Interne Bedingungen der Kfz-Diagnosearbeit
  • 9.3.3 Kfz-Diagnosekompetenz
  • 10 Zusammenfassung und berufsdidaktische Erkenntnisse
  • 10.1 Erkenntnisse zur lern- und kompetenzförderlichen Gestaltung der Kfz-Diagnosearbeit
  • 10.2 Erkenntnisse zur Gestaltung von Lehr-Lern-Arrangements in der beruflichen Ausbildung
  • 10.3 Erkenntnisse zur Messung von Kfz-Diagnosekompetenz
  • Literaturverzeichnis
  • Verzeichnis der Abkürzungen
  • Transkripte der Experteninterviews
  • Interview mit Experte A
  • Interview mit Experte E
  • Interview mit Experte G
  • Autor
  • Reihenübersicht

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Übersicht des Aufbaus und der Vernetzungsstruktur der Steuergeräte eines Oberklassefahrzeugs (Quelle: Reichart 2006, S. 179)

Abb. 2 Im Umfang reduzierter Ausschnitt der Kommunikationsmatrix zwischen vier Steuergeräten in Anlehnung an Borgeest (vgl. 2014, S. 91) und beispielhaftes Vernetzungskonzept dieser Steuergeräte im Fahrzeug durch CAN-Bus (vgl. Volkswagen 2015, S. 46 f.)

Abb. 3 Schema zur Unterscheidung von On- und Off-Board-Diagnosesystemen (Quelle: MS Motorservice International GmbH 2014)

Abb. 4 Bestandteile und Betriebsarten eines Diagnosetesters mit der Diagnosesoftware „Offboard Diagnostic Information System (ODIS)“ des Volkswagen-Konzerns (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 5 Bestandteile des Werkstattinformationssystems „Elektronisches Service Auskunftssystem (ElsaWin)“ von Volkswagen (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 6 Evolution der technischen Komplexität im Fahrzeug (Quelle: ForTISS GmbH 2011)

Abb. 7 Forschungskonzept der Untersuchung (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 8 Differenzierung von Arbeitsformen nach Schlick, Bruder und Luczak (Quelle: Schlick/Bruder/Luczak 2010, S. 224)

Abb. 9 Grundform realisierender Handlungen der Kfz-Diagnosefachkraft (linke Seite) und der Kfz-Reparaturfachkraft (rechte Seite) (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 10 Der Zusammenhang zwischen dem Arbeitshandeln der Kfz-Diagnose- und dem der Kfz-Reparaturfachkraft (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 11 Der Arbeitsprozess der Kfz-Diagnosefachkraft (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 12 Der diagnostische Prozess als Problemlöseprozess (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 13 Auszug aus der ADAC-Pannenstatistik 2016 (Quelle: ADAC 2016)

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Abb. 14 Die unterschiedlichen Betrachtungsebenen eines Systems im Kontext der Kfz-Diagnose (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 15 Vereinfachte Darstellung eines Ausschnitts des Problemraums für das Fallbeispiel „Verbrennungsmotor springt nicht an“ (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 16 Beispiel eines mentalen Kausalmodells der Kfz-Diagnosearbeit (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 17 Die drei Grundstrukturen der Kausalmodelle der Kfz-Diagnose: a) Kettenmodell, b) Gemeinsamer-Effekt-Modell, c) Gemeinsame-Ursache-Modell (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 18 Grundformen der diagnostischen Urteilsbildung in der Kfz-Diagnosearbeit (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 19 Diagnostischer Prozess als Prozess der Bildung eines funktionalen mentalen Kausalmodells (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 20 Beobachtungs- und Fachinterviewleitfaden zur Durchführung der Arbeitsprozessanalysen (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 21 Gesprächsleitfaden für die Durchführung der halbstandardisierten Experteninterviews (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 22 Fehlerspeicherinhalt Fall A „Motorkontrollleuchte leuchtet“ (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 23 Fehlerspeicherinhalt Fall B „Motor springt schlecht an und ABS-Lampe leuchtet“ (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 24 GFS-Abfrage „Kühlmitteltemperatur“ (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 25 GFS-Abfrage „Verlauf Temperaturanstieg“ (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 26 GFS-Abfrage „Prüfvoraussetzungen“ (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 27 GFS-Diagnose im Fall B „Motor springt schlecht an und ABS-Lampe leuchtet“ (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 28 Fehlerspeicherinhalt Fall C „Motorstörlampe ständig an“ (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 29 Auszug aus der TPI zum Fall C „Motorstörlampe ständig an“ (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 30 Fehlerspeicherinhalt Fall D „Einparkhilfe ohne Funktion“ (Quelle: eigene Darstellung)

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Abb. 31 Fehlerspeicherinhalte Fall E „ESP-Leuchte leuchtet“ (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 32 Umgebungsbedingungen Fall E „ESP-Leuchte leuchtet“ (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 33 Einordnung der Kfz-Diagnosestrategien nach Strategietyp und Wissensart (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 34 Das Vorgehen der Kfz-Diagnoseexperten als objektivierendes und erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 35 Die Wahrnehmung der Kfz-Diagnoseexperten als objektivierendes und erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 36 Das Denken der Kfz-Diagnoseexperten als objektivierendes und erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Arbeitshandeln (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 37 Die Beziehung der Kfz-Diagnoseexperten zu bereichsspezifischen Gegenständen im Rahmen des objektivierenden und erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Arbeitshandelns (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 38 Störungsdiagnose an Fahrzeugen als objektivierendes und erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Handeln (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 39 Übersicht der identifizierten Kfz-Diagnosestrategien der Kfz-Diagnoseexperten (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 40 Handlungstheoretisches Kompetenzmodell nach Musekamp, Fenzl und Richter (Quelle: Musekamp/Fenzl/Richter 2015)

Abb. 41 Arbeitsprozessorientiertes Kompetenzmodell nach Becker und Spöttl (Quelle: Becker/Spöttl 2015)

Abb. 42 Allgemeines Kompetenzmodell für gewerblich-technische Berufe (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 43 Anforderungsniveaumodell zur Kategorisierung von Arbeitsaufgaben und Anforderungssituationen (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 44 Fähigkeiten als aktuelles Vermögen auf der Grundlage der Kombination interner Bedingungen (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 45 Aktuelle Vorgänge in Abhängigkeit von externen und internen Bedingungen (Quelle: eigene Darstellung)

Abb. 46 Modell für Kfz-Diagnosekompetenz (Quelle: eigene Darstellung)

1 Einleitung

„Die individuelle Mobilität und das Kraftfahrzeug werden sich nach allen Prognosen in den nächsten 10 bis 15 Jahren stärker verändern als in den vergangenen Jahrzehnten“ (VDI 2018). Als Gründe werden Trends wie Elektrifizierung, Digitalisierung, Konnektivität oder autonomes Fahren angeführt. Die gegenwärtig geführten Diskussionen über Fahrverbote in Großstädten und das damit einhergehende Ringen um Antriebstechnologien beschleunigen diese Entwicklung zusätzlich. Technologische Veränderungen in der Fahrzeugtechnik sind jedoch kein neues Phänomen. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich ein tief greifender Wandel vollzogen, der sich beispielsweise durch die Zunahme an mechatronischen Systemen, Datenbussystemen oder eigendiagnosefähigen Systemen ausdrückt. Technologische Veränderungen wie diese sind für die Facharbeit in Kfz-Werkstätten nicht folgenlos geblieben. So haben sich die Arbeits- und Informationsmittel der Kfz-Servicearbeit verändert. Schon längst gehören neben klassischen Handwerkzeugen wie Gabelschlüssel, Schraubendreher oder Schlagschrauber digitale Medien zum Arbeitsplatz in einer Kfz-Werkstatt. Der Wandel der Fahrzeugtechnik sowie der Arbeits- und Informationsmittel wirkt sich auf die Kompetenzanforderung zur Bewältigung von Arbeitsaufgaben aus. Zum Leistungsspektrum einer Kfz-Werkstatt und damit zu den Aufgaben von Kfz-Facharbeiterinnen und Kfz-Facharbeitern1 zählt die Störungsdiagnose an Kraftfahrzeugen. In modernen Kfz-Servicebetrieben zählt die Diagnosearbeit zu den qualitativ anspruchsvollsten Tätigkeiten (vgl. Schreier 2001, S. 27).

Von seiner Wortherkunft bedeutet der Begriff „Diagnose“ so viel wie unterscheidende Beurteilung, Erkenntnis, Benennung oder Bestimmung einer Krankheit oder eines Defektes (vgl. Klappenbach/Steinitz 1968, S. 803). Der Begriff der Diagnose ist eng mit dem der Medizin verbunden und wird beschrieben als „the identification of a disease by the study of its signs, symptoms and other manifestations. The noun diagnosis derives from the Greek language, and is composed of the Greek ‚dia‘ (through) and ‚gignosko‘ (to know), meaning to distinguish or discern“ (Carmi 1982, S. 111). Das Ziel der Bearbeitung eines Diagnosefalles besteht darin, die konkreten Ereignisse, die das Abweichen von einer Norm manifestieren, als ←19 | 20→Merkmale von etwas Bestimmten – hier von einer bestimmten Krankheit – zu klassifizieren (vgl. Dick 1996, 130 f.), um gezielte Abhilfemaßnahmen bestimmen und anwenden zu können. Diese Definition ist auf die Kfz-Diagnosearbeit übertragbar, muss aber spezifiziert werden. In einer ersten Annäherung kann die Störungsdiagnose an Fahrzeugen in Anlehnung an Becker und Spöttl (2002, S. 106) als die „Kunst“ bezeichnet werden, eine Defekt- beziehungsweise eine Fehlerursache anhand der Auswirkungen auf das Fahrzeug zu erkennen. Die Bezeichnung dieser Tätigkeit als „Kunst“ lässt erahnen, dass bereichsspezifische Fähigkeiten, Wissen und ausgiebige Erfahrung Voraussetzungen sind, um eine Könnerin beziehungsweise ein Könner der Kfz-Diagnose zu sein.

Der DEKRA-Arbeitsmarktreport 2017 (vgl. DEKRA Akademie GmbH 2017, S. 5) führt den Beruf der Kraftfahrzeugmechatronikerin/des Kraftfahrzeugmechatronikers erstmalig unter den zehn am häufigsten gesuchten Berufen in Deutschland. Damit erreichte dieser Beruf das zweite Jahr in Folge einen neuen Höchststand. Diese angespannte Arbeitsmarktlage verdeutlichen auch die Ergebnisse des „ITB-Fachkräftemonitors Kfz“ (vgl. Zylka/Musekamp 2013, S. 303 ff.). Lediglich 12 % der an der Befragung teilgenommenen Betriebe gab an, keine Probleme bei der Besetzung offener Stellen für Kfz-Mechatronikerinnen beziehungsweise Kfz-Mechatroniker gehabt zu haben. Insbesondere hatten kleinere Kfz-Betriebe (1 bis 9 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) Schwierigkeiten bei der Besetzung von offenen Stellen mit dem Qualifikationsniveau Kfz-Mechatronikerinnen beziehungsweise Kfz-Mechatroniker (72 %). Keine Probleme, geeignete Kfz-Servicetechnikerinnen oder Kfz-Servicetechniker einzustellen, hatten lediglich 19 % der Betriebe. Nur 5 % gaben an, in der Vergangenheit keine Schwierigkeiten gehabt zu haben, ihren Bedarf an Meisterinnen und Meistern im Kfz-Techniker-Handwerk zu decken. Es ist festzuhalten, dass in der Kfz-Branche jedes Jahr eine Vielzahl von neuen Fachkräften auf allen Qualifikationsniveaus gesucht wird, wobei Probleme bei der Stellenbesetzung vor allem bei höher qualifiziertem Personal und bei kleineren Betrieben auftreten. Dass Kfz-Betriebe zunehmend Probleme haben, qualifizierte Fachkräfte zu finden, hat verschiedene Gründe. Neben den Bewerberzahlen erscheint auch eine fehlende qualitative Passung zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt als ursächlich. Anlass für die Annahmen einer solchen Diskrepanz geben die Forschungsergebnisse von Nickolaus, Abele, Gschwendtner u. a. (vgl. 2012, S. 243 ff.) sowie von Nickolaus, Gschwendtner und Abele (vgl. 2013, S. 40 ff.). So ergab eine Untersuchung zur Erfassung der fachspezifischen Problemlösefähigkeit von Auszubildenden zur Kfz-Mechatronikerin oder zum Kfz-Mechatroniker am Ende des 3. Ausbildungsjahres, dass etwa die Hälfte der Teilnehmenden mit Diagnoseaufgaben überfordert war, die über die Abarbeitung vorgegebener ←20 | 21→Arbeitsschritte hinaus die Anwendung von Eingrenzungsstrategien erforderten. Von diesen Auszubildenden konnten etwa 16 % auch einfachere Routinediagnosen nicht mit Sicherheit bewältigen (vgl. Nickolaus/Gschwendtner/Abele 2013, S. 43).

Die Erhebung des zukünftigen Fachkräftebedarfs in den Kfz-Werkstätten war ein Ziel der vom Institut Technik und Bildung (ITB) und dem Berufsbildungsinstitut Arbeit und Technik (biat) im Auftrag des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) durchgeführten ZDK-Fachkräfteprognose (vgl. Spöttl/Grantz/Becker 2013). Für das Jahr 2020 wird insbesondere für hohe Qualifikationen2 ein zunehmender Bedarf prognostiziert, während für geringe Qualifikationen ein stark abnehmender Bedarf an Fachkräften absehbar ist. Die Autoren führen diese Entwicklung auf die Zunahme der komplexen Technik in Kraftfahrzeugen zurück (vgl. ebd., S. 37). Zudem gaben 87,5 % der Befragten an, dass die Bedeutung der Störungsdiagnose an Fahrzeugen als Aufgabenbereich des Kfz-Services bis zum Jahr 2020 zunimmt. Abzusehen ist damit, so die Autoren, dass die „Kfz-Servicetechniker/-innen als Diagnosespezialisten und Problemlöser […] zukünftig das Qualifikationsspektrum in der Werkstatt dominieren [werden]“ (ebd., S. 36).

Insgesamt zeichnet sich die folgende Situation ab: Die Kfz-Betriebe haben Probleme bei der Besetzung von offenen Stellen für Werkstattfachkräfte. Dies zeigt sich in Bezug auf das Qualifikationsniveau Kfz-Mechatronikerin/Kfz-Mechatroniker und noch deutlicher bei höher qualifiziertem Personal wie Kfz-Servicetechnikerin/Kfz-Servicetechniker und Meisterinnen/Meistern im Kfz-Techniker-Handwerk. Bezüglich dieser Gruppe von Fachkräften wird ein zunehmender Bedarf prognostiziert, was durch den technologischen Wandel im Automobil begründbar ist. Diese aktuell und insbesondere zukünftig gefragten Fachkräfte mit einer Zusatzqualifikation sind die heutigen Auszubildenden zur Kfz-Mechatronikerin/zum Kfz-Mechatroniker. Es zeigt sich jedoch, dass diese mit typischen Anforderungen der Kfz-Diagnosearbeit überfordert scheinen. In der Konsequenz gewinnt die Gestaltung der Aus- und Weiterbildung für die Sicherung des gegenwärtigen und zukünftigen Fachkräftebedarfs in der Kfz-Branche an Bedeutung. Denn inwiefern das bestehende qualitative Missverhältnis zwischen dem Angebot und der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt verringert werden kann, hängt entscheidend von der Qualität der Aus- und Weiterbildung ab. Hier setzt die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit an.

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1.1 Zielsetzung der Arbeit

Das Ziel dieser berufswissenschaftlichen Untersuchung ist es, eine genaue Vorstellung vom Vorgehen der Kfz-Diagnoseexpertinnen und Kfz-Diagnoseexperten zu entwickeln, mit der sich die vorhandene und entstehende Kfz-Diagnosekompetenz erklären lässt. Die Relevanz der Untersuchung resultiert aus dem weiter oben angedeuteten Wandel der Kfz-Diagnosearbeit, der sich in den letzten zwei Jahrzehnten rapide vollzogen hat und sich weiterhin vollzieht. Dazu werden auf inhaltlich-theoretischer und methodisch-empirischer Ebene neue Erkenntnisse zur Kfz-Diagnosearbeit gewonnen. Diese beziehen sich sowohl auf die Beschreibung der Anforderungen der Kfz-Diagnose als auch auf das Wissen und Können von Kfz-Diagnoseexpertinnen und Kfz-Diagnoseexperten. Da es sich bei der Kfz-Diagnosearbeit um ein relativ gut erforschtes Feld handelt, wird darauf abgezielt, Erkenntnisse zu gewinnen, die den aktuellen Forschungsstand ergänzen beziehungsweise es ermöglichen, die bestehende Erkenntnislage zu hinterfragen.

Ein Schwerpunkt des Erkenntnisinteresses besteht darin, die Vorgehensweisen, die Kfz-Diagnoseexpertinnen und Kfz-Diagnoseexperten bei der Bearbeitung von Arbeitsaufträgen der Kfz-Diagnose anwenden, aufzudecken und so das im praktischen Arbeitshandeln zum Ausdruck kommende Wissen und Können dieser Fachkräfte zu erschließen. Das Ziel ist es, unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse zum Vorgehen der Kfz-Diagnoseexpertinnen und Kfz-Diagnoseexperten ein Kompetenzmodell zu entwickeln beziehungsweise ein bestehendes Kompetenzmodell weiterzuentwickeln, um zur Konkretisierung des Begriffs der Kfz-Diagnosekompetenz beizutragen und zudem den Zusammenhang zwischen dem Wissen und Handeln der Kfz-Diagnoseexpertinnen und Kfz-Diagnoseexperten weiter aufzuklären.

Auf dieser Grundlage werden berufsdidaktische Erkenntnisse abgeleitet, die sich auf die lern- und kompetenzförderliche Arbeitsgestaltung, auf die Gestaltung von Lehr-Lern-Arrangements in der beruflichen Ausbildung sowie auf die Messung von Kfz-Diagnosekompetenz beziehen. Dadurch wird das Ziel verfolgt, Erkenntnisse zur Gestaltung von Weiterbildungs- und Ausbildungsmaßnahmen zu liefern, die auf die Förderung der tatsächlich benötigten Leistungsvoraussetzungen zur Bewältigung von Kfz-Diagnosefällen abzielen.

Details

Seiten
432
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631826478
ISBN (ePUB)
9783631826485
ISBN (MOBI)
9783631826492
ISBN (Hardcover)
9783631825730
DOI
10.3726/b17615
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (September)
Schlagworte
Kfz-Diagnosekompetenz Kfz-Diagnoseexperten Diagnoseprozess Diagnosestrategien Kompetenzmodell
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 432 S., 46 s/w Abb., 3 Tab.

Biographische Angaben

Tim Richter (Autor:in)

Tim Richter, Dr. phil., M.Ed., Studienrat an den Berufsbildenden Schulen Burgdorf in der Region Hannover.

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Titel: Fahrzeugdiagnose und Erfahrung
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