Lade Inhalt...

Sprachliche Kontextualisierung von globalen und lokalen Popkulturen

Hip Hop Linguistics, Resistance Vernacular und italienischsprachiger Rap

von Paula Rebecca Schreiber (Autor:in)
©2021 Dissertation 278 Seiten

Zusammenfassung

Rap ist Ausgangspunkt dieser Untersuchung der italienischen Gegenwartssprache. Der multiperspektivische Ansatz der Hip Hop Linguistics nach Alim ist hier auch für die Herausstellung kommunikativer und formaler Aspekte der sprachlichen Kontextualisierung angewandt. Einer soziohistorischen Skizzierung des italienischen Rap, der Abbildung des Forschungsstands und dem Verweis auf aktuelle Referenzmedien schließt sich die Darstellung lexikalischer und stilistischer Charakteristika an. Der analytische Teil dieser Publikation widmet sich der Untersuchung des Mistilinguismo und des Code-Switching. Letztlich wird erörtert wie die kommunikative Gattung des Resistance Vernacular als Bündelung verschiedener Aushandlungsprozesse verstanden werden kann.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einleitung
  • 1 Hip-Hop-Welt(en)
  • 1.1 Innovationsgeist – Pioniere des Hip Hop
  • 1.2 Die Vier Elemente
  • 1.3 Lokalisierung – Hip Hop in Italien
  • 2 Forschungsfeld Hip Hop
  • 2.1 Hip Hop Studies
  • 2.2 Linguistische Perspektiven auf italienischsprachigen Rap
  • Rap als Varietät
  • Rap und Diskurs
  • 3 Lexikalische und stilistische Charakteristika des Korpus
  • 3.1 Frequenz lexikalischer Einheiten
  • Häufig auftretende Wordtypes
  • Einmal auftretende Wordtypes
  • 3.2 Flow: Reim- und Sprechrhythmusstrukturen
  • 3.3 Rhetorische Stilmittel
  • 3.4 Texttypologie und Textsortenspezifik
  • 4 Un linguaggio glocale? – „Quello che siamo è solo spazio, parole“
  • 4.1 Die Hip Hop Speech Community
  • 4.2 Artistic Code-Mixing – Repertorio di una comunità linguistica hip hop italiana?
  • Global Linguistic Flows
  • „E chest e na cultur“
  • Tendenzen der sprachlichen Gestaltung des italienischsprachigen Rap
  • Strategien des Code-Switching
  • 4.3 Mündlichkeit und Schriftlichkeit
  • Rap-Performance
  • Akt des Schreibens
  • „Verso il parlato“
  • 5 Resistance Vernacular – „Ma io penso diverso, ostinato e contrario“
  • 5.1 Aktivierung des Kontextes
  • 5.2 Dialogizität
  • 5.3 Resistance Vernacular als kommunikative Gattung
  • Diskussion
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Glossar

Abkürzungsverzeichnis

AAVE African American Vernacular English, synonym verwendet zu Black Language (BL), Black Language Vernacular (BLV), African American English (AAE), African American Language (AAL), Ebonics.

HHN Hip Hop Nation

HHNL Hip Hop Nation Language

HHNSCHip Hop Nation Speech Community

Dieses Werk enthält zusätzliche Informationen als Anhang. Sie können von unserer Website heruntergeladen werden. Die Zugangsdaten entnehmen Sie bitte der letzten Seite der Publikation.

←11 | 13→

Einleitung

Questione di lingua, mi spiego,
Conosco la tua senza Google translator1

Das hier gestaltete Dissertationsvorhaben ist als Forschungsarbeit innerhalb der Romanistischen Sprachwissenschaft angesiedelt. Untersuchungsgegenstand ist der italienischsprachige Rap im Entstehungszeitraum von 2008 bis 2017. Es findet eine Konzentration der Analyse auf varietäten-, text- und pragmalinguistische Eigenschaften statt. Auch stehen funktionale Aspekte des Mistilinguismo, des Code-Switching sowie die Gestaltung von Kontext und Dialogizität im Vordergrund der Arbeit.

Die ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zum Themenbereich Hip Hop stammen aus den African-American Studies und sehen sich vor allem als ethnographische Investigation. Mit der Entstehung dieser Arbeiten setzt zeitgleich aber auch deren Verdrängung im akademischen Umfeld ein. Erst Anfang der 1990er Jahre erholt sich die Hip-Hop-Forschung von dieser Abweisung und gewinnt in fast allen human- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen an wissenschaftstheoretischer Bedeutung.

←13 | 14→

Die sprachliche Verortung sozialer, soziokultureller und sozialpolitischer Leitmotive zwischen Kulturkritik und politischer Anfeindung, zwischen Solidarität und Überlebenskampf, zwischen Moderne und Postmoderne, zwischen globalem Zusammenhalt und Lokalpatriotismus, zwischen zukunftsweisenden Möglichkeiten und dem eigenen Identitätsverlust nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Demnach potenziert Hip Hop als Narrativ eines sich manifestierenden Gesellschaftsumbruchs – „la CNN dei poveri“2 – das Interesse einer diskursanalytischen und linguistischen Konfrontation. Dieser Tendenz folgen in ähnlicher Weise auch die Studien aus dem Bereich der Romanistischen Sprachwissenschaft, vor allem hinsichtlich des französischen Sprachraums. Dies gilt sowohl für die diachrone Analyse von Hip Hop Lyrics, die Genretraditionen und deren Transformation nachzeichnet, als auch für die synchrone Untersuchung, die Interferenzen systemimmanenter und transzendenter Natur unter dem Einfluss von Globalisierungs- und Lokalisierungsprozessen vergegenwärtigt. Rekontextualisierungsprozesse sind dabei auf die Übernahme kommunikativer Praktiken in diversen Subkulturen, wie eben in der Hip-Hop-Kultur, fokussiert.

Der italienischsprachige Rap ist vor allem hinsichtlich seiner diatopischen Varietäten sowie deren expressive und identitätsstiftende Funktionen erforscht. Genuine Tendenz des vorliegenden Dissertationsvorhabens ist dabei die Darstellung funktionaler Aspekte des Mistilinguismo und deren Einbindung in kommunikative Praktiken eines Resistance Vernacular.

Die Arbeit ist in fünf Hauptkapitel gegliedert. Die ersten beiden Kapitel, „Hip-Hop-Welt(en)“ und „Forschungsfeld Hip Hop“ dienen der Einführung in das Thema der Arbeit. Das Kapitel „Lexikalische und stilistische Charakteristika des Korpus“ erläutert allgemeine sprachliche Eigenschaften der Texte. Den analytischen Teil der Arbeit bilden die Kapitel „Un linguaggio glocale?“ und „Resistance Vernacular“.

Im ersten Kapitel „Hip-Hop-Welt(en)“ skizziert der Paragraph 1.1 „Innovationsgeist – Pioniere des Hip Hop“ entscheidende künstlerische Errungenschaften der Entstehungsphase, die der Hip-Hop-Kultur als Basis ihrer immerwähren-den Fortentwicklung dienten. Im Paragraph 1.2 „Die Vier Elemente“ sind die verschiedenen Kunstformen, die als elementar für die Subkultur gelten, knapp vorgestellt, vertieft ist auf das Writing eingegangen. Schließlich wird im Paragraph 1.3 „Lokalisierung – Hip Hop in Italien“ die Entstehungsgeschichte des italienischsprachigen Rap dargestellt. Der Fokus des gesamten Kapitels liegt dabei auf der Fragestellung: Welche Besonderheiten kennzeichnen die Geschichte des italienischsprachigen Rap?

Zentrale Frage des zweiten Kapitels „Forschungsfeld Hip Hop“ ist: Welche Desiderate bestehen hinsichtlich der linguistischen Forschung zum italienischsprachigen Rap? Begonnen beim Paragraph 2.1 „Hip Hop Studies“, der die Anfänge der Hip-Hop-Forschung und Forschungstendenzen darstellt, ist im Paragraph 2.2 „Linguistische Perspektiven auf italienischsprachigen Rap“ die sprachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Rap innerhalb der Italianistik eruiert. Dabei sind vor allem die Perspektiven auf Rap und Varietäten sowie Rap und Diskurs hervorgehoben.

Das dritte Kapitel geht der Fragstellung nach: Gibt es lexikalische und stilistische Charakteristika, die allgemein für den italienischsprachigen Rap herausgestellt werden können? Bei der Betrachtung der „Frequenz lexikalischer Einheiten“ (3.1) werden sowohl häufige als auch nur einmal auftretende, lexikalische Phänomene analysiert. Der Paragraph 3.2 „Flow: Reim- und Sprechrhythmusstruktu-ren“ widmet sich der Akzentuierung von Reimen und der sprachgestalterischen Strukturierung von Klangschemen, die im Rap auch als Flow bezeichnet werden.

←14 | 15→

Anhand „Rhetorischer Stilmittel“ (3.3) sind stilistische Tendenzen und rhetorische Figuren, die als typisch für den italienischsprachigen Rap gelten, dargestellt. Hinsichtlich dieser wird ebenso Bezug auf das Konzept des Signifyin/Signifyin(g) genommen, das in der Tradition des African American Vernacular English wurzelt. Im abschließenden Paragraph 3.4 „Texttypologie und Textsortenspezifik“ ist auf Beschreibungsmodelle diskursiver Modalitäten anhand von Textmustern verwiesen.

Das vierte Kapitel „Un linguaggio glocale? – ‚Quello che siamo è solo spazio, parole‘ “ befasst sich mit der Beziehung zwischen globalen und lokalen Aspekten des italienischsprachigen Rap. In den Paragraphen 4.1 „Die Hip Hop Speech Community“, 4.2 „Artistic Code-Mixing – Repertorio di una comunità linguistica hip hop italiana?“ und 4.3 „Mündlichkeit und Schriftlichkeit“ sind Mistilinguismo und Code-Switching zwischen Dialekt, anderen Sprachsystemen und verschiedenen Varietäten des Italienischen als grundlegende und distinktive Charakteristika beschrieben, die sowohl identitätsstiftende als auch sprachgestalterische Funktionen innerhalb der Rap-Texte erfüllen. Weiter ist anhand der Rap-Texte die Konzeption von „postoralen“ Gestaltungsmustern aufgezeigt, die die Relation zwischen dem Verfassen der Texte und der Einbettung oraler Elemente als Annäherung an spontan und gesprochensprachliche Charakteristika beschreibt. In diesem Kapitel ist der Frage auf den Grund gegangen: Kennzeichnet den italienischsprachigen Rap ein Artistic Code-Mixing, dass Varietäten und Sprachen in der Textgestaltung unkonventionell in Beziehung zueinander setzt?

←15 | 16→

Im fünften Kapitel der Arbeit „Resistance Vernacular: ‚Ma io penso diverso, ostinato e contrario‘ “ werden anhand eines erweiterten Verständnis von Resistance Vernacular als kommunikative Gattung sprachliche Äußerungen untersucht, die in den Texten eine Funktion der Kritik, der Provokation sowie des Darstellens und Erkennens der eigenen Identität erfüllen. Zentral für dieses Kapitel sind die Fragen: Welche Beschreibungsdimensionen eines Resistance Vernacular können anhand des italienischsprachigen Rap elaboriert werden? Welche linguistischen Perspektiven können im Zusammenspiel zu neuen Erkenntnissen hinsichtlich der Untersuchung des italienischsprachigen Rap führen? Dabei sind diskursive und dialogische Merkmale der Texte hinsichtlich der Inklusion, Exklusion und Konfrontation eines „Gegenüber“ analysiert. Der erste Paragraph 5.1 „Aktivierung des Kontextes“ untersucht sowohl deiktische als auch intratextuelle und extra-textuelle Verweise, die Schlüsselelemente für das Verständnis des Kontextes durch den Empfänger sind. Im anschließenden Paragraph 5.2 „Dialogizität“ werden verbalisierte Elemente analysiert, die interaktionale Charakteristika der Texte kennzeichnen, wie beispielsweise Möglichkeiten der Ansprache über verschiedene Adressatenkonzepte und Diskursmarker sowie deren interaktionale Funktionen. Schließlich folgt im letzten Absatz die exemplarische Darstellung eines „Resistance Vernacular als kommunikative Gattung“ (5.3) sowie Beschreibungsdimension des italienischen Rap.


1 Ensi, Tutto Il Mondo È Quartiere, 2017 [ID-RI_ 0068].

2 Pacoda 2000, 3.

←16 | 17→

1Hip-Hop-Welt(en)

HIP HOP IS A MONUMENT to the youth, both black and brown, who resided in low-income communities in the New York area in the 1970s. In the act of living their lives and doing ordinary things, they created an art form that now resonates for the masses throughout the world.3

Das erste Kapitel „Hip-Hop-Welt(en)“ stellt verschiedene Elemente der Hip-Hop-Kultur sowie deren Adaption in Italien dar. Einleitend thematisiert der erste Paragraph „Innovationsgeist – Pioniere des Hip Hop“ die Entstehung der Hip-Hop-Kultur und verweist auf die Innovationskraft des Deejaying und des MCing/Mceeing/Emceeing als Urform des gegenwärtig bestehenden Konzepts von Rap. Im Paragraph 1.2 „Die Vier Elemente“ ist auf das Writing als weitere bestimmende Kunstform des Hip Hop eingegangen. Schließlich sind im dritten Paragraphen „Lokalisierung – Hip Hop in Italien“, die Genese der Hip-Hop-Kultur in Italien und die ersten Entwicklungen und die Eigenständigkeit des italienischsprachigen Rap illustriert.

1.1Innovationsgeist – Pioniere des Hip Hop

Now way back in the days when hip-hop began
With Coke LaRock, Kool Herc, and then Bam4

←17 | 18→

Die Geschichte des Hip Hop beginnt in den 1970er Jahren in den Straßen der New Yorker Bronx.5 In Anlehnung an Chuck D und seine Chronologie des Hip Hop6 gilt DJ Kool Herc (alias Clive Campbell) als Protagonist der ersten Stunde. Am 11. August 19737 initiierte dieser gemeinsam mit seiner kleineren Schwester im Gemeinschaftsraum des Wohnhauskomplexes der 1520 Sedgwick Avenue in der New Yorker Bronx eine als Back-To-School-Party gestaltete Jam-Session. Das Phänomenale des Abends war eben der Auftritt von DJ Kool Herc, der an diesem Abend mit der von ihm entwickelten Technik des Breakbeating, dem Isolieren rhythmischer Passagen – den sogenannten Get Down Part – und deren Neuzusammensetzung bzw. den Loop-artigen Wiederholungen, das Wesen des Deejaying revolutionierte.8 Auf jener ersten Campbell Bronx’s Party9 ergriff auch Coke La Rock, der in der Geschichte des Hip Hop als einer der ersten MC/emcees Erwähnung findet,10 das Mikrophon und improvisierte einen in Reime gefassten Sprechgesang auf die Breakbeats von Herc.11 Dieser Abend ging als sagenumwobenes Ereignis unvergessen in die Entstehungsgeschichte des Hip Hop ein: „When I went to [the] party, it was like stepping into another universe. The vibe was so strong.“12 DJ Kool Herc war bereits in Jamaika – Campbell immigrierte erst im Alter von 12 Jahren mit seiner Familie in die USA – Zeuge wie bei Veranstaltungen der Sound-System-Szene die Tanzenden sich ähnlich eines tranceartigen „Loslassens“ in den Rhythmuspassagen der einzelnen Songs verloren.13 Bei seinen ersten Auftritten in New York musste er jedoch feststellen, dass das Publikum nicht mit derselben Begeisterung wie in Jamaika14 Reggae- und Dubstep-Rhythmen zelebrierte und fand schnell heraus, dass eher ←18 | 19→ der aufstrebende Latin-Tinged Funk eine Stilrichtung war, die in der Bronx auf Anklang stieß.15 Weit entfernt vom Musikgenre Disco, das in dieser Zeit die Radiostationen und Diskotheken dominierte, gestaltete DJ Kool Herc anhand seines Repertoires, das Stilrichtungen wie Gospel, Soul, Rhythm and Blues und Funk kombinierte sowie KünstlerInnen wie Aretha Franklin16 und James Brown einbezog, das von ihm profilierte Breakbeating immer aufwendiger und begann Platten vermehrt nach deren rhythmischen Passagen und Breaks auszuwählen oder erwarb die gleiche Platte nochmals, um das Mischen der Breaks direkt über die Turntables steuern zu können.

Er inszenierte die verschiedenen Arrangements so vielschichtig, dass seine Konzentration nunmehr ganz der Performance als DJ/Deejay galt und involvierte für das Anheizen des Publikums Coke la Rock und Clark Kent als feste MC/emcees.17 Primäre Intention der MC/emcee war es damals,18 das Publikum mitzureißen und zu den Beats der Block Parties auf der Tanzfläche zu halten. Die bereits in den 1960er Jahren in Jamaika entstandene Tradition des Toastings erweist sich dabei als eine der wesentlichen Inspirationsquellen für das Involvieren des Publikums durch gesprochene Passagen, den Toasts. Anschaulich beschreibt Grandmaster Caz dieses Anfeuern und Werben um das Publikum in der Rolle des MC/emcee und als Sprachrohr des DJ/Deejay:

Instead of saying: ‚There’s a party next week and we want you all to come,‘ you say: Yeah, next week at the PAL, we want to see your face in the place, we’re going to party hearty with everybody.19

Die Block Party-Days gehörten Mitte der 1970er Jahre zum festen Bestandteil des Bezirklebens der New Yorker Bronx und waren Treffpunkt einer neu entstehenden Jugendkultur, „composed of graffiti, breakdancing, and rap music.“20 Die territoriale Aufteilung der Bronx unter den begabtesten DJ/Deejays beschreibt Afrika Bambaataa als minutiös abgesteckt:

←19 | 20→

By the mid-‘70s, it was getting strong, with hundreds of people coming to each jam. I mean, you could have Kool Herc going to the West Side, Grandmaster Flash could be playing in the South Side of Bronx, I’d be in the Southeast Bronx, and then you head DJ Breakout and the Funky 4 up in the North Bronx. And each of us would have a jampacked party with hundreds of people all over the place. You had to have teamwork and organization to get that going on, and that led to other people becoming producers and promoters.21

Auch Afrika Bambaataa gilt als einer der Protagonisten der Hip-Hop-Kultur der 1970er Jahre.22 Er wuchs in den Wohnblöcken des Bronx River auf, eine durch große Armut gekennzeichnete Siedlung im südöstlich gelegenen Teil der Bronx. Als einer der Anführer der Black Spades, einer der größten und gefährlichsten Straßengangs der Bronx, versuchte Afrika Bambaataa als Wortführer einen Richtungswechsel einzuschlagen und die afroamerikanische, afrokaribische und hispanische Gemeinschaft zu einen.

Inspiriert von einem längeren Aufenthalt in Afrika23 machte er sich es zur Aufgabe, die verarmte Jugend mit Hilfe des Hip Hop aus ihrem Bandenschicksal zu befreien.24 Afrika Bambaataa verfolgte zudem mit großer Aufmerksamkeit die Diskriminierung der Black Community in der amerikanischen Gesellschaft. Sein Engagement sollte sich später bis zur Gründung der Zulu-Nation erstrecken, die sich heute als internationale Hip-Hop-Gemeinschaft25 für die Werte Wissen, Weisheit, Verständigung, Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Frieden, Einheit, Liebe und Respekt einsetzt.26

←20 | 21→

Neben seiner prägenden Rolle als Hip-Hop-Botschafter27 waren für die Entwicklung einer selbständigen Subkultur auch die Innovationen elementar, die er als DJ/Deejay etablierte. Bambaataa übte sich bereits im Alter von 10 Jahren.28 Gemeinsam mit Jugendlichen und Freunden seines Viertels organisierte er verschiedenste Block Parties, deren feste Stätte das Bronx River Community Center werden sollte. Rasch machte Afrika Bambaataa sich einen Namen als „music man“.29 Seine Breakbeats waren inspiriert von Passagen aus der Rock- und Weltmusik. Er interessierte sich ebenso für elektronisch gestaltete Instrumentalund Rhythmusabschnitte und integrierte europäische Gruppen wie Kraftwerk innerhalb seiner Arrangements. Der große Durchbruch gelang ihm mit „Planet Rock“30 (1982), der gegenwärtig am häufigsten gesampelte Hip-Hop-Track aller Zeiten.31 Jene Entwicklung prägte nachhaltig den Erfolg seiner Gruppe Soul Sonic Force.

←21 | 22→

Die Genrevielfalt Bambaataas beeinflusste weitere DJ/Deejays, wie beispielsweise Grandmaster Flash (alias Joseph Saddler), der neben DJ Kool Herc und Afrika Bambaataa ebenso zu den Pionieren des Hip Hop zählt.32 Saddlers Familie stammte aus Barbados und emigrierte noch vor seiner Geburt in die USA. Er wuchs in der New Yorker South Bronx auf und durch die variationsreichen Hörgewohnheiten seiner Familie war er mit diversen Musikstilen vertraut.33 Er war fasziniert von der neu entstehenden, experimentellen Form des Hip-Hop-Deejaying und entdeckte die Plattensammlung seines Vaters für erste Versuche. Seine Ausbildung als Elektromechaniker sollte ihm die Möglichkeit geben, sein Equipment als DJ/Deejay selbstständig verbessern zu können und das Publikum über seine außergewöhnlichen Fertigkeiten in der Handhabung der Turntables zu elektrisieren.34 Die Innovationskraft von Grandmaster Flash liegt dabei vor allem in der Perfektionierung des Abmischens der Breaks: Er begann eine zweite Platte, die der ersten Platte gleich war, über den nicht angesteuerten Turntable bereits über Kopfhörer einzuhören und den Break, der bereits auf der ersten Platte lief, auf der zweiten Platte auf eine Zehntelsekunde voreinzustellen, so dass ein Übergang von erster zu zweiter Platte und die Wiederholung des Breaks für das Publikum nicht wahrnehmbar war und dieser Break unendlich lang abgespielt werden konnte:

[…] I was able to pre-hear and take these five-second drum breaks and kind of segue them all together, then I just went out and just got ‚x’ amount of duplicate copies of hot records and played just the break. I would cut the break and then, with the duplicate copy, cut the break again to just keep it going. Just the break. I used to play the break with what’s called a backspin or the „clock theory“.35

Eine ebenso bedeutende Innovation wie das Backspin, das Zurückziehen der Platte an die Stelle, wo der Break beginnt, war das Scratching, das Vor- und Rückwärtsbewegen der Platte bei aufgelegter Nadel. Divergent sind die Meinungen darüber, ob die Erfindung des Scratching Grandmaster Flash oder seinem „Schüler“ Grand Wizard Theodore zugeschrieben werden darf, abhängig davon, ob es sich um die Elaboration oder die Entdeckung der Technik des Scratching handelt.36 Gewiss ist, dass Grandmaster Flash durch seine Leistungen und seine Akribie dem Hip-Hop-Deejaying eine komplexere Dimension verlieh.37 Dieser Tatbestand lässt ihm heute den Ruf als „Wissenschaftler“38 zu Teil werden, der das Wesen des DJ/Deejay vom Beatmixer zum Beatmaker wandelte.39 Die Innovationen der Pioniere des Hip Hop – DJ Kool Herc, Afrika Bambaataa und Grandmaster Flash – haben diese Subkultur in ihren Gründungsjahren so nachhaltig geprägt, dass sie noch heute für die Beschreibung der Entwicklungsgeschichte des Hip Hop fundamental sind:

←22 | 23→

The main hip-hop entrepreneur was Herc. The Bam gave an African flavor to it, and once he did that it was off the hook. Flash cut it up, and that took it to a different level. Then Theodore scratched it. That started it – the evolution of hip-hop.40

1.2Die Vier Elemente

A child is born with no state of mind
Blind to the ways of mankind
God is smiling on you, but he’s frowning too
Because only God knows what you’ll go through41

The Message erzählt die Geschichte eines Jungen in den Straßen der New Yorker Bronx. Unschuldig und hoffnungsfroh erblickt dieser das Licht der Welt, doch die einzige Perspektive, die sein Leben bietet, ist die Kriminalität. Vom Unschuldigen wird er zum Schuldigen und stirbt, allein und verlassen. Hinter The Message steht die Geschichte eines Lebens „close to the edge“. Der Refrain des Rap-Tracks wiederholt dies eindringlich und zwingt zur Reflexion der Ausweglosigkeit in der bereits „ihre Kinder“ gefangen sind. Zwar war The Message nicht der erste Track, der auf die niederschlagenden Realitäten der Bronx verwies, jedoch der erste, der als poetische Beschreibung sozialer Missstände – als „saying something that meant something“42 – die New Yorker Epizentren des Hip Hop erschütterte und der heute als einer der „most influential and important rap song[s] […] in rap’s early history“43 gilt.

Details

Seiten
278
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631852507
ISBN (ePUB)
9783631852514
ISBN (MOBI)
9783631852521
ISBN (Hardcover)
9783631852491
DOI
10.3726/b18303
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (April)
Schlagworte
Mistilinguismo Code-Mixing Code-Switching Rap Italiano Rap-Lyrics kommunikative Gattungen Texttypologie sprachliche Positionierung Sprachgemeinschaft lexikalische Frequenz
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 278 S., 17 s/w Abb., 7 Tab.

Biographische Angaben

Paula Rebecca Schreiber (Autor:in)

Paula Rebecca Schreiber ist derzeit Postdoctoral-Fellow an der Università di Trento. Ihre Dissertation zum italienischsprachigen Rap ist im Cotutelle-Verfahren zwischen der Technischen Universität Dresden und der Università di Trento entstanden. Als eine regionale Vertreterin für Italien ist sie auch für das European Hip Hop Studies Network aktiv.

Zurück

Titel: Sprachliche Kontextualisierung von globalen und lokalen Popkulturen
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
280 Seiten